Was bisher geschah: Am Montag brach meine Liebste schon morgens mit den Kindern zu einer Spielplatz-Verabredung auf, die dann aber wegen des schlechten Wetters doch nicht zustande kam; nach einigem Hin und Her fuhren sie schließlich ins Trampolinland, während ich die neue Ausgabe der "Lebendigen Steine" ausdruckte und damit anfing, einen Teil der Auflage in öffentlichen Bücherschränken, Supermärkten usw. zu verteilen. Davon abgesehen rang ich noch ein wenig mit meiner bereits im vorigen Wochenbriefing thematisierten Sitzungs-Unlust und schrieb schließlich eine eMail, in der ich meine Teilnahme an dem für Freitag angesetzten Meeting zum Thema "SWOT-Analyse" absagte und darüber hinaus die Hoffnunf ausdrückte, beim Treffen der AG Neuevangelisierung am Mittwoch werde es nicht nur darum gehen, ein paar Sätze für das Pastoralkonzept zu formulieren. Einen Satz, der inhaltlich in etwa hätte aussagen sollen "Wir sollten nicht so viel Energie auf dieses Pastoralkonzept verwenden, am Ende interessiert es ja doch keine Sau, was da drinsteht", formulierte ich dreimal um, ehe ich ihn schließlich ganz wegließ.
Am Dienstag hatten wir eine sehr schöne Lobpreisandacht, auch wenn das Tochterkind zwischendurch im Hof mit den Nachbarsmädchen spielen wollte und meine Liebste (mit dem Baby auf dem Arm) daraufhin auch nach draußen gehen musste, um die Mädchen ein bisschen zu beaufsichtigen. Dann kamen sie aber zurück -- mit den Nachbarsmädchen, und ich registrierte erfreut, dass sogar die frechste und wildeste unter den Spielkameradinnen meiner Tochter zeitweilig ganz brav und andächtig in der Kirchenbank saß. Fast noch besser war, dass ein mir unbekannter älterer Mann, von dem ich nicht ganz sicher war, ob er gezielt zu unserer Andacht gekommen oder nur zufällig ein paar Minuten vor Beginn in die Kirche 'reingeschneit und dann kurzentschlossen dageblieben war, nach dem Ende der Gebetszeit (während ich mit dem Kirchenschließdienst beschäftigt war) mit meiner Frau sprach, ihr sagte, diese Andachtsform gefalle ihm sehr gut, und fragte, ob wir das öfter machen. Außerdem fragte er, ob ich Gemeindereferent sei... (Immerhin hielt er mich nicht für den Pfarrer. Das ist mir auch schon öfter passiert, allein im letzten Monat zweimal.)
Der Mittwoch begann damit, dass ich eine Anfrage erhielt, mal wieder was für die Tagespost zu schreiben - woraufhin ich direkt damit anfing, im Kopf einen Essay zu entwerfen. Ihr dürft Euch schon mal freuen, Leser: Es wird um das Thema "Ökologie und Apokalyptik" gehen, darüber wollte ich schon lange mal was schreiben, jetzt habe ich endlich einen konkreten Anlass und Ansporn. -- Auch ohnedies bot der Mittwoch ein umfangreiches Programm: 16 Uhr AG Neuevangelisierung in St. Joseph, 18 Uhr Vesper in Herz Jesu und anschließend das "Phantom-Dinner", wie ich es insgeheim nannte -- jenes "Dinner mit Gott", das in den Vermeldungen angekündigt worden war, obwohl wir gar keins geplant hatten. -- Aber mal der Reihe nach: Um den Teil des AG-Meetings, auf den ich - wie oben schon geschildert - am wenigsten Lust hatte, nämlich die Formulierung von Sätzen fürs Pastoralkonzept, möglichst effizient über die Bühne zu bringen, hatte ich mir eigentlich vorgenommen, schon vorab ein paar Textbausteine zu entwerfen. Infolge eines nicht ganz plangemäß verlaufenen Vormittags (die Kinder... die Waschmaschine... reden wir nicht drüber) hatte ich dafür letzten Endes zwei Stunden weniger Zeit, als ich eigentlich gehofft hatte, bekam aber trotzdem etwas ganz Anständiges zustande, was zugleich auch noch "unfertig" genug war, um noch Impulse von den anderen AG-Mitgliedern aufnehmen zu können. Und dann widmeten wir uns "unserer eigentlichen Arbeit" -- diese Formulierung kam wohlgemerkt nicht von mir, und ich empfand es als sehr erfrischend, festzustellen, dass ich offenbar nicht allein mit der Auffassung stehe, unsere eigentliche Arbeit bestehe nicht darin, irgendwelche Formulierungen für das Pastoralkonzept auszuhecken. Unter anderem sprachen wir über den Aufbau eines Gebetsleiterkreises und eines Begrüßungsdienstes für neu zugezogene Gemeindemitglieder. Insgesamt war es ein sehr erfreuliches, motivierendes und ermutigendes Meeting -- schön, dass es auch so etwas gibt... Der Mann, der am Dienstag zum Lobpreis gekommen war, kam auch zur Vesper, diesmal zusammen mit einer (seiner?) Frau; ich bin gespannt, wie sich das weiter entwickelt. -- Gerade als ich die Kirche schließen wollte, kam noch ein junges Pärchen herein; soweit ich die Situation "von außen" beurteilen konnte, war der Mann wohl nur "mitgekommen", er setzte sich in die letzte Reihe und schaute auf sein Handy, während die Frau sich ganz nach vorn setzte und dort wohl still betete. Als sie einige Minuten später wieder gingen, fragte die Frau noch, ob sie sich einen Pfarrbrief mitnehmen dürfe. Ich kann nur immer wieder sagen: Man sollte die Wirkung einer offenen Kirche nicht unterschätzen! -- Anschließend war ich inmer noch etwas unschlüssig, wie ich in Hinblick auf das "Phantom-Dinner" vorgehen sollte, auch wenn ich die Wahrscheinlichkeit, dass da irgendwer kommen würde, nur weil die Veranstaltung in den Vermeldungen stand, als eher gering einschätzte. Schließlich setzte ich mich auf eine Bank auf dem Brunowplatz und genoss eine Weile lang den lauen Spätsommerabend, dann ging ich nach Hause.
Am Donnerstag begann ich - veranlasst durch Kommentare zu meinem Wochenbriefing - einen Blogartikel über die Situation im Erzbistum Hamburg zu schreiben, und wurde am Samstag früh damit fertig. Das Wochenende stand dann sehr wesentlich im Zeichen des vom Verein Freunde der katholischen Kirche Herz Jesu Tegel e.V. ausgerichteten Begegnungsfests. Am Samstag waren noch allerlei Vorbereitungen dafür zu treffen - wozu es u.a. gehörte, dass meine Liebste spontan ein Kindertrampolin kaufte, das bei Woolworth im Sonderangebot war -, und am Sonntag standen wir superfrüh auf, um beim Aufbau mit anzufassen.
Symbolbild: Tag der Offenen Tür |
Kurz bevor es losging, hatte ich schon keine Lust mehr, denn es kam mir vor, als müsste ich eigentlich überall gleichzeitig sein: Bänke schleppen, den Bücherstand aufbauen, das Trampolin zusammenbauen, meinen Kindern die Windeln wechseln, mich auf den Lektorendienst in der Messe vorbereiten... Aber dann wurde doch alles sehr schön.
An der Heiligen Messe unter freiem Himmel, die musikalisch von einem Bläseremsemble gestaltet wurde, nahmen schätzungsweise 60-70 Personen teil; eigentlich war eine solche Freiluftmesse schon für den Sonntag nach Fronleichnam geplant gewesen, aber an fehlenden behördlichen Genehmigungen gescheitert, und um nun sozusagen "ein bisschen Fronleichnam nachzufeiern", gab es zum Abschluss der Messe eine kurze Aussetzung des Allerheiligsten und den Eucharistischen Segen.
Irgendwie bezeichnend fand ich es, dass meine Liebste praktisch im Alleingang - lediglich mit ein bisschen Unterstützung von ihrem treuen Gatten (und beim Trampolin-Aufbau packte auch unser neuer Büchereiprojekt-Mitarbeiter Timo mit an) - mit Rutsche, Trampolin und Maltisch ein umfangreicheres "Kinderprogramm" auf die Beine gestellt hatte als der "offiziell dafür zuständige" Stand des Familiengottesdienst-Teams. Genug jedenfalls, um auch die nebenan wohnenden Spielkameradinnen unserer Tochter aufs Festgelände zu locken.
Da ich - wie ich wohl schon mal erwähnt habe - kein besonderer Freund des für Kirchenfeste charakteristischen, in riesigen Blechzylindern aufgebrühten und dann stundenlang warmgehaltenen Filterkaffees bin, bereitete ich zwischendurch in einer French-Press-Kanne eigenen Kaffee für Timo, meine Liebste und mich zu; lustigerweise brachte uns das in Kontakt mit einigen Festbesuchern, die ebenfalls keinen "Kirchenkaffee" mochten. Zu einem kurzen, aber recht netten Gespräch mit dem Diakon, der die "Texte für den Augenblick" herausgibt, kam ich auch; und schließlich gelang es meiner Liebsten sogar, das erst am Vortag erworbene Trampolin fast verlustfrei weiterzuverkaufen, nämlich an eine Familie, die wir vor Jahren im Zusammenhang mit Foodsharing-Aktivitäten kennengelernt hatten, zu der wir nun aber schon seit einiger Zeit keinen Kontakt mehr gehabt hatten und somit erst jetzt erfuhren, dass sie inzwischen ganz in der Nähe unserer Kirche wohnt. -- Um 13:30 Uhr waren wir bereits mit dem Abbau fertig, theoretisch hätten wir also direkt im Anschluss noch zum "Festival für Selbstgebaute Musik" am Holzmarkt gehen können, aber wir fanden, es sei auch ohnedies schon genug Action für einen Tag gewesen.
Zitat der Woche:
"Gott und ich, wir kamen gut miteinander aus, solange ich in die Kirche und ab und zu mal zum Beichten ging. Ansonsten wäre ich ihm sehr verbunden, wenn er sich weitgehend aus meinem Leben heraushielte. Denn irgendwie hatte ich auch ein bisschen Angst davor, dass er vielleicht mehr von mir und für mich wollte, als ich zu geben bereit war.
Lange bin ich vor der Frage davongelaufen was Gott von mir will."
(Rudolf Gehrig in "Den ersten Schritt macht Gott", S. 10f.)
Linktipps:
Dass der "stern" eine Kummerkasten-Kolumne mit dem blumigen Titel "Der geheime Code der Liebe" unterhält, ist ja an und für sich schon ein Faktum, von dem zumindest ich nicht weiß, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Okay, ursprünglich ist das der Titel eines 2011 erschienenen Buches der Hamburger Psychotherapeutin Julia Peirano; und weil dieses Buch sie wohl bekannt gemacht hat (Hat es? Also bei mir nicht so, aber das hat nicht viel zu sagen), heißt jetzt eben auch ihre Kummerkasten-Kolumne beim "stern" so, na meinetwegen.
Auf die hier verlinkte Folge dieses Kummerkastens bin ich aufmerksam geworden, weil die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) sie bei Facebook geteilt hat. Aus Gründen. Hier meldet sich nämlich die 19-jährige Luisa bei Dr. Peirani: Vor zwei Jahren, also mit 17, war sie ungeplant schwanger geworden -- und hat abgetrieben, nachdem der Kindsvater schroff erklärt hatte, "dass er sich nicht vorstellen kann, so früh Vater zu werden und dass ihm das seine Zukunft versaut", und auch ihre Mutter, bei der sie zu diesem Zeitpunkt noch wohnte, ihr keinen Rückhalt bot. "Ein paar Tage später wurde mir klar, was ich getan hatte und ich konnte nicht aufhören zu weinen", berichtet Luisa. Um ihren "Schmerz zu betäuben", sei sie für einige Zeit "viel feiern gegangen und habe auch sehr viel getrunken"; die "Schuldgefühle und Stimmungsschwankungen" hörten aber nicht auf, "und manchmal musste ich weinen, wenn ich in einem Film eine Mutter mit ihrem Baby gesehen habe. Ich habe mir dann ausgerechnet, wie alt meine Tochter jetzt wäre". Schließlich stellte sich auch noch heraus, dass Luisa infolge einer "schwere[n] Endometriose" wahrscheinlich keine Kinder mehr bekommen kann. Ihr Fazit:
"Ich habe leichtfertig mein Kind abgetrieben, und jetzt sieht es so aus, als wenn es das einzige Kind war, das ich je bekommen werde."
Wer sich mit Menschen unterhält, die in der Schwangerenkonfliktberatung tätig sind, oder vielleicht selbst schon einmal in diesem Bereich aktiv gewesen ist, wird in Luisas Geschichte einige durchaus typische Muster wiedererkennen. Was aber sagt nun Psychotherapeutin und Buchautorin Dr. Julia Peirano dazu? Sie legt Luisa nahe, zu erwägen, "dass Ihre Probleme nicht erst mit Ihrer Schwangerschaft angefangen haben, sondern schon viel früher" -- konkret nämlich mit dem von jeher belasteten Verhältnis zu ihrer zu Depressionen neigenden Mutter. Die "negativen Glaubenssätze", die Luisa durch diese beschädigte Mutterbindung quasi erlernt habe - "ich bin nicht wichtig", "ich bin eine Last, wenn ich etwas brauche", "ich muss alleine klarkommen" - habe ihr Partner, von dem sie schwanger wurde, dann "durch sein abweisendes und entwertendes Verhalten verstärkt" -- und diese Erfahrung sei der eigentliche Auslöser "für Ihre depressiven und posttraumatischen Symptome, unter denen Sie bis heute leiden".
Um's ganz deutlich zu sagen: Ich bin nicht unbedingt der Meinung, dass diese Einschätzungen ganz und gar falsch sind. Es ist geradezu eine Binsenweisheit der Küchenpsychologie, dass jedes akute und manifeste psychische Problem über den offenkundigen Auslöser hinaus noch tiefer gehende Ursachen hat, und gerade für die Schwangerenkonfliktberatung gilt diese Grundregel in einem ganz spezifischen Sinne: Das Kind ist nicht das Problem -- das heißt im Umkehrschluss: Abtreibung ist nicht die Lösung. Bleiben wir beim konkreten Fall: Auf die Idee, die Tatsache, dass Luisa mit 17 Jahren eine Beziehung mit einem "etwas [!] älteren (23) Jungen" [nicht etwa "Mann"!] hatte und von diesem schwanger wurde, könnte etwas mit fehlendem Rückhalt im Eltetnhaus zu tun haben, wäre ich mit meinen Laienkenntnissen in Küchenpsychologie vielleicht noch von alleine gekommen. Bezeichnend ist jedoch, worüber Dr. Peirano nicht spricht. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Da sucht eine Frau ausdrücklich deshalb nach Rat und Hilfe, weil sie Schuldgefühle nach einer Abtreibung hat, und die Kummerkastentante geht in ihrer Antwort mit keinem Wort auf das Faktum der Abtreibung ein, sondern versucht der Ratsuchenden stattdessen einzureden, ihr eigentliches Problem läge ganz woanders. Das hat schon fast das Niveau des berüchtigten Dr. Sommer in der BRAVO, der den Mädchen, die sich über sexuelle Belästigung beklagten, einredete, sie bildeten sich das nur ein oder hätten es selbst gewollt und genossen. Aber ich will nicht so tun, als wäre mir nicht klar, warum Dr. Peirano so verfährt. Überhaupt nur darüber zu reden, dass eine Abtreibung nachteilige Folgen für die psychische und physische Gesundheit der betroffenen Frau haben könnte, ist hoch problematisch, denn es gefährdet das Narrativ, ungehinderter Zugang zu Abtreibung sei ein notwendiger Bestandteil des Rechts von Frauen auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung, ja "reproduktive Gesundheit". Das "Post Abortion Syndrome", so hört man immer wieder, sei "nur eine rechte Verschwörungstheorie". Und genau aus diesem Grund finden Frauen, die daran leiden, Hilfe praktisch ausschließlich in den Kreisen der ach so bösen Lebensschützer. Zum Beispiel bei Rahel e.V. oder SaveOne. Beim "stern" jedenfalls eher nicht.
Diesen Artikel, auf den ich durch Twitter aufmerksam wurde, finde ich auf mehreren Ebenen interessant. Zum einen kommen Jom Jones und der People's Temple drin vor, aber okay, das habe ich erst entdeckt, als ich schon mitten in der Lektüre steckte, und es ist auch eher eine Randbemerkung -- ein Extrembeispiel dafür, wozu sektenförmige Kommunikationsstrukturen führen können.
Ein erheblich offensichtlicherer Grund, weshalb ich mich für diesen Artikel interessiert habe, liegt in der Erwähnung von "Wellness Mommy Bloggers" in der Überschrift; denn seit ich Kinder habe, und insbesondere seit ich in der kindergartenfrei-Szene unterwegs bin, habe ich eben auch so meine Erfahrungen mit verschiedenen Typen von "Netzmamis" gemacht. Sehr unterschiedliche Erfahrungen, möchte ich betonen. Und genau diese Diversität an Erfahrungen bedingt es, dass mir eine Sache noch suspekter ist als esoterisch durchgeistigte windelfrei-unerzogen-homöopathisch-frutarische Impfgegner-Mamis im Blümchenkleid; nämlich Leute, die alle irgendwie "alternativ" oder "unkonventionell" daherkommenden Eltern unter den Generalverdacht stellen, gemeingefährliche Irre und/oder Extremisten zu sein. So als wäre es irgendwie anrüchig, mehr Zeit, Mühe und Sorgfalt auf das Wohlergehen der eigenen Kinder zu verwenden, als die postmodern-spätkapitalistische Arbeits- und Konsumwelt es Eltern normalerweise zugesteht. So ging's mir mit der Reportage von Sabine Rennefanz in der Berliner Zeitung, durch die ich erstmals überhaupt auf die Existenz einer kindergartenfrei-Bewegung aufmerksam wurde; und Ähnliches erwartete ich auch hier. Nicht ganz zu Unrecht, wenngleich die Autorin sich durchaus darum bemüht, zumindest den Anschein von Differenzierung zu erwecken -- nach dem Muster "Es sind ja nicht alle so, aber konzentrieren wir uns mal auf die, die so sind". Und natürlich gibt's die tatsächlich, das sagte ich ja schon. Gleichwohl gilt auch hier wie so oft: Was jemand für extrem hält, ist nicht zuletzt deshalb aufschlussreich, weil es Rückschlüsse darauf zulässt, was dieser Jemand für normal hält. Darauf komme ich noch zurück.
Interessant ist allemal, was die Verfasserin des Artikels, Sara Petersen, über das Buch von der Linguistin Amanda Montell verfasste Buch "Cultish" zu sagen hat. Der Buchtitel ist nicht leicht zu übersetzen: "Cult" wird im deutschen Sprachgebrauch meist mit "Sekte" wiedergegeben, aber die Nachsilbe -ish signalisiert eine Abmilderung oder Relativierung; so beispielsweise in dem Wort "fattish" = "dicklich". Die Wortbildung "cultish" wäre demnach in etwa als "mehr oder weniger sektenartig bzw. sektenähnlich" zu verstehen, und diese Eigenschaft beobachtet die Linguistin Montell in diversen Sprachverwendungszusammenhängen, von Fitness- und Wellness-Ratgebern über Multilevel-Marketing bis hin zu buchstäblichen Massenselbstmord-Kulten wie "Heaven's Gate" oder eben Jim Jones' "People's Temple". Die Analyse gemeinsamer sprachlicher Muster in diesen unterschiedlichen Bereichen ist ohne Frage ein spannendes Thema. Ich fühle mich da an ein Gespräch zwischen meinem Bruder und einem damaligen Freund und Kommilitonen desselben erinnert, bei dem ich zufällig zugegen war -- das mag schon an die 30 Jahre her sein, aber es hat sich mir tief eingeprägt. Der besagte Freund meines Bruders war zu dieser Zeit gerade dabei, sich von der evangelikalen Szene "loszusagen", und in diesem Gespräch verglich er die Missionierungsmethoden evangelikaler Studentengruppen mit den Marketingmethoden von Tupperware. Andere würden vielleicht behaupten, die Marketingstrukturen von Tupperware seien sektenartig. Beide Aussagen beschreiben denselben Sachverhalt, aber eben aus unterschiedlichen, ja einander geradezu entgegengesetzten Blickwinkeln. Ein anderes Beispiel: Anlässlich des Weltjugendtags 2005 in Köln konnte man in der Presse lesen, die Jugendlichen würden dem Papst zujubeln "wie einem Popstar". Über einen Popstar würden dieselben Journalisten wohl eher nicht schreiben, dass seine Fans ihm zujubeln wie dem Papst. Was ich damit sagen will, ist: Was jemand womit vergleicht, hängt von dessen eigenem Standpunkt ab.
Und damit komme ich zu einem weiteren bemerkenswerten Aspekt dieses Artikels -- und das ist der, der mich ursprünglich dazu veranlasst hat, ihn überhaupt zu lesen. Der mir ansonsten nicht näher bekannte Twitter-Nutzer David Hines teilte den Artikel nämlich mit der Anmerkung, er finde es "erstaunlich", wie sich da eine "linksgerichtete Journalistin über die Charakteristika sektenartiger Sprache" auslasse, "ohne dabei auch nur ein einziges Mal in den Spiegel zu schauen". Ein ausgesprochen treffender Kommentar, wie ich finde. Warum bezieht Sara Petersen die Erkenntnisse der Linguistin Montell ausgerechnet auf Mamiblogger? Die Antwort, die sie selbst gibt, lautet: Weil Mamiblogger mit ihrer manipulativen, sektenartigen Sprache andere Mütter beeinflussen und potentiell gefährliche Desinformation, etwa zu Gesundheitsthemen, verbreiten. Nun gut: Ich zweifle nicht unbedingt daran, dass dieser Vorwurf zuweilen zutrifft, und da ist es dann auch nurvein schwacher Trost, dass die Mamiblogger in aller Regel wohl nicht böswillig, sondern in gutem Glauben agieren. Andererseits wissen wir aber auch, dass der Vorwurf potentiell gefährlicher Desinformation seit Brexit, Trump und nochmals verstärkt seit COVID-19 zur Universalwaffe im Kampf um die Diskurskontrolle geworden ist. Der Vorwurf, "Fake News" zu verbreiten, kann jeden treffen, der das politisch-ideologisch erwünschte Narrativ infrage stellt. Genau diese Form der Delegitimierung und Marginalisierung unerwünschter Standpunkte und Sichtweisen gehört natürlich auch zu den in Amanda Montells Buch beschriebenen Kennzeichen sektenartiger Kommunikation, und Sara Petersen referiert darüber, ohne dabei im Geringsten zu reflektieren, dass sie selbst genau das tut. Ähnliches ließe sich über die Methode sagen, durch einen gruppenspezifischen Jargon ein Gefühl von Identität zu erzeugen. Okay, das tun nun wirklich alle möglichen Arten von Gruppen . Allein innerhalb der Kirche gibt es einen traditionalistischen Jargon, einen charismatischen Jargon, einen Jargon der nachkonziliaren Progressiven und so weiter. Das ist auch nicht unbedingt schlimm. Amanda Montell würde sagen, Sektenähnlichkeit ist ein Spektrum. Aber auch hier wirft Sara Petersen wieder fröhlich im Glashaus sitzend mit Steinen. Besonders auffällig wird das, wenn sie den Esoterik-/Wellness-Mamibloggern vorwirft, Begriffe aus dem Vokabular der feministischen Bewegung aufzugreifen und in ihrem Sinne umzudeuten. Ja Moment mal: Geht es hier noch um die Kritik an sprachlichen Mustern oder doch eher darum, wer bestimmte Begriffe verwenden "darf" und wer nicht? Abstrakter formuliert: Geht es darum, Methoden zu kritisieren, oder hängt es von den Inhalten ab, ob die Methoden zur Vermittlung oder Verbreitung dieser Inhalte legitim sind? Alles in allem drängt sich der Eindruck auf, Sara Petersen verarge es den Mamibloggern nicht so sehr, dass sie agieren wie eine Sekte, als vielmehr, dass sie nicht in ihrer Sekte sind. So tadelt sie, wer derart beschäftigt damit sei, seiner inneren Stimme zu lauschen und dem ultimativen körperlichen und seelischen Gleichgewicht nachzuspüren, dem bleibe umso weniger Zeit, Energie und Motivation übrig, um sich "aktiv antirassistisch" zu engagieren oder "systemische Ungerechtigkeit" zu bekämpfen -- wenngleich sie in einem wohlmeinenden Differenzierungsversuch einräumt, man könne sehr wohl "Momfluencer" sein und sich trotzdem für "Black Lives Matter" begeistern. -- Wie schon gesagt: Sektenähnlichkeit ist ein Spektrum. Im Endergebnis dürfte das tatsächlich der klügste Satz des ganzen Artikels sein.
Micah Murphy, der vor einigen Wochen im Zusammenhang mit Traditionis Custodes schon einmal in meinen Linktipps vertreten war, hat auf seinem Blog eine vierteilige Artikelserie über Probleme der modernen Katechese angekündigt bzw. begonnen, und in deren erstem Teil geht es um Anforderungen für die Zulassung zum Sakrament der Firmung. Ein heikles Thema, zu dem ich mich - zumindest in Teilaspekten - auch schon einmal geäußert habe; grob vereinfacht könnte man meine Haltung zu dem Umstand, dass die Firmlinge, ehe sie zum Empfang des Sakraments zugelassen werden, erst mal eine Liste mit Pflicht-Anforderungen abarbeiten müssen, in die vielleicht etwas paradoxe Formulierung kleiden "Erstens ist es falsch, dass es diese Anforderungen überhaupt gibt, und zweitens sind sie zu niedrig". Und was sagt nun Micah Murphy dazu?
Er konzentriert sich in seinen Ausführungen sehr weitgehend auf den in den USA offenbar recht verbreiteten Usus, die Firmlinge zu einem bestimmten Stundenkontingent an ehrenamtlicher sozialer Arbeit zu verpflichten; mancherorts muss es sich dabei explizit um Arbeit in einer kirchlichen Einrichtung handeln, andernorts wird auch Arbeit in irgendeiner anderen sozialen Einrichtung akzeptiert. Was ist davon zu halten? -- Dagegen, dass Jugendliche dazu angehalten werden, Werke der Barmherzigkeit zu praktizieren, ist grundsätzlich natürlich nichts einzuwenden -- das sieht auch Micah Murphy so. Aber es gibt ein sehr großes ABER; oder eigentlich sogar gleich mehrere, die allerdings eng miteinander zusammenhängen. Der offensichtlichste Haken an der Sache ist, dass die Anforderung, ein festgelegtes Kontingent an Sozialstunden ableisten zu müssen, bei den Jugendlichen leicht dazu führen kann, dass sie diese Tätigkeit nur als eine lästige Pflicht wahrnehmen, die sie "abhaken" müssen, und somit gerade nicht dazu beiträgt, ein nachhaltiges Interesse an sozialem bzw. caritativem Engagement zu wecken oder zu fördern. Noch heikler ist indes, dass die Aufstellung eines solchen Pflichtprogramms als Voraussetzung für die Zulassung zur Firmung den strengen Beigeschmack eines Geschäfts bzw. Tauschhandels hat -- als wäre das Sakrament etwas, was man sich durch eigene Leistung verdienen könnte und auch müsste. Dahinter lauert, so Murphy, "die Sünde der Simonie" -- und die "damit verwandte Häresie des Pelagianismus", also die Vorstellung, "das Heil sei eine Belohnung, die man sich verdient, und nicht ein freies Geschenk der Gnade Gottes".
Eine Diskussion auf Twitter hat Murphy davon überzeugt, dass dies nicht nur sein persönliches "pet peeve" ist, sondern ein gravierendes Ärgernis für viele Gläubigen. Murphy räumt ein, dass die Sakramente, um eine fruchtbringende Wirkung zu entfalten, der Mitwirkung des Empfängers bedürfen (Die Gnade baut auf der Natur auf, wie der Hl. Thomas von Aquin lehrt); allerdings ist gerade die Fähigkeit und Bereitschaft zu dieser Mitwirkung wiederum eine Frucht der Gnade. Das Kirchenrecht schreibt vor, die Kirche habe dafür Sorge zu tragen, dass die Empfänger eines Sakraments in rechter Weise zu dessen Empfang disponiert sind (can. 843 CIC); anstatt die Firmlinge eine Liste von Aufgaben abarbeiten zu lassen, so meint Murphy, sollte man lieber mit solider Katechese für diese rechte Disposition sorgen -- sowie dadurch, sie möglichst kurz vor der Firmung zur Beichte gehen zu lassen.
Gespannt bin ich jetzt, wie die Artikelserie weitergeht; wir werden sehen, ob auch die weiteren Folgen in meinen Linktipps auftauchen!
Vom 30. September bis zum 2. Oktober 2021 soll in Frankfurt am Main die zweite Synodalversammlung des "Katholischen Reformprozesses Synodaler Weg" (KRSW) stattfinden -- ein volles Jahr später als ursprünglich geplant, was mich unwillkürlich daran denken lässt, wie der Magdeburger Bischof Feige im vergangenen Frühjahr die Frage aufwarf, ob die Coronavirus-Pandemie eine Strafe Gottes für den Synodalen Weg sei. Okay, er hat diese Frage verneint, aber immerhin hat er sie gestellt. Was natürlich Anlass dafür bieten mag, sich zu fragen, was für Katastrophen wohl notwendig sein werden, um den Schismatischen Weg abermals auszubremsen.
Diese kleine Vorrede mag demonstrieren, dass ich eher nicht davon ausgehe, meine Leser noch groß davon überzeugen zu müssen, wie die in der Überschrift des hier verlinkten Artikels formulierte Frage zu beantworten sei. Das wäre ja wie Eulen nach Athen tragen und auf dem Weg dahin lauter offene Türen einrennen. Wer aber doch noch daran zweifelt, dass die Agenda des Schismatischen Weges auf eine Vorstellung "von Kirche" (wie man so unschön sagt) ausgerichtet ist, die nichts Katholisches mehr an sich hat, den dürfte diese "Standortbestimmung" meines Freundes Rudolf Gehrig unschwer von seinen Illusionen befreien. Ich empfehle diesen Artikel aber ausdrücklich auch jenen, die bereits wissen, was sie vom Schismatischen Weg zu halten haben; denn die Palette der Grausamkeiten, die die entfesselte Funktionärsriege durch die Synodalversammlung zu peitschen beabsichtigt, ist hier sehr plastisch und übersichtlich dargestellt.
Irgendwann, wenn der Staub sich gelegt hat, wird es ein spannendes Arbeitsfeld für Kirchenhistoriker sein, sich zu fragen: Wie konnte es dazu kommen, dass eine Versammlung von Vertretern der kirchlichen Hierarchie einerseits und offiziell anerkannter katholischer Laiengremien und -verbände andererseits über einen "Abschied von sakralisierten priesterlichen Rollenbildern", über eine Anpassung der Sexualmoral an die "Realität des 21. Jahrhunderts" und über eine "Anerkennung der Existenz von Geschlechteridentitäten jenseits der Binarität 'männlich' und 'weiblich'" beraten. Spoiler: Die Go-To-Antwort der Ultra-Tradis, "Das II. Vaticanum ist an allem schuld!", dürfte da um Einiges zu kurz greifen. Hingegen wird man kaum fehlgehen, anzunehmen, dass da irgendwie der Deifi seine Klauenhand mit im Spiel haben muss, aber diese Feststellung liegt bereits außerhalb der Zuständigkeit der Kirchenhistoriker.
Ohrwurm der Woche: Goo Goo Dolls, "Slide" (1998)
Als Christus Jesus, der wahre Sohn Gottes, am Leidensholz hing, wurde ihm die Kirche in der Verborgenheit des himmlischen Geheimnisses vermählt, und sie erhielt als Hochzeitsgabe sein purpurfarbenes Blut. Darauf deutet sie auch selber hin; denn immer wieder tritt sie zum Altar hinzu, bittet um ihre Hochzeitsgabe und beobachtet mit der größten Aufmerksamkeit, wie innig die Andacht ist, mit der ihre Kinder zum Empfang der göttlichen Geheimnisse hinzutreten.
(Hl. Hildegard von Bingen, "Scivias")
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