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Samstag, 22. Juni 2024

Creative Minority Report Nr. 35

Grüße aus dem verregneten Berlin, Freunde! Nachdem die zurückliegende Woche nicht so besonders reich an blogrelevanten Ereignissen bzw. Erlebnissen war, habe ich die Gelegenheit genutzt, im aktuellen Wochenbriefing etwas mehr thematische Vielfalt jenseits des Selbsterlebten einzubringen; und zwar vorrangig in Form der neuen Rubrik "Vermischtes aus verschiedenen Pfarreien". Dem einen oder anderen Leser dürfte das gefallen. Ob dieser Trend sich über den Sommer fortsetzen wird, kann ich indes noch nicht versprechen... 

Was bisher geschah 

Hatte ich nicht im vorigen Wochenbriefing geschrieben, ich ginge "nicht unbedingt davon aus", dass der "Straßenfest-Crawl" des vergangenen Samstags Stoff für einen eigenständigen Artikel abgeben würde? Tja, so kann man sich irren. Ich würde sagen, der Artikel "Klima und Pizza, Suppe und Mucke" ist sogar gehaltvoller geraten als einige meiner früheren Artikel zum "Suppe & Mucke"-Festival, die größtenteils aus Fotos bestanden. – Am Sonntag gingen wir früh in St. Stephanus Haselhorst in die Messe und fuhren anschließend zum "Haus des Rundfunks", wo es ein Kinderkonzert gab: Ein Bläserensemble des Deutschen Symphonie-Orchesters (Querflöte, Oboe, Klarinette, Waldhorn und Fagott) spielte Auszüge aus Mendelssohns "Sommernachtstraum", dazwischen stellten Viertklässler einer Spandauer Grundschule selbst komponierte Percussion-Stücke vor. Musikalisch war's klasse, hingegen fand ich das erzählerische Element – die Erläuterungen zur Handlung des "Sommernachtstraums" – nicht so gelungen. Neben dem rbb-Moderator Christian Schruff agierte auf der Bühne der Musiklehrer der schlagzeugspielenden Grundschulkinder in der Rolle des Puck; und während ich an seinen musikpädagogischen Fähigkeiten, soweit man diese an der Darbietung seiner Schüler messen kann, keinerlei Zweifel habe, fand ich seine schauspielerische Darbietung erheblich zu dick aufgetragen; ich fühlte mich teilweise stark an Produktionen des Nordenhamer "Theater Fatale" aus den Nuller Jahren erinnert (über das heutige Niveau dieser Truppe kann ich indes nicht urteilen).  

Am Montag war mal wieder ein "ganz normaler" Omatag; am Dienstag besuchte das Tochterkind nach der Schule eine Freundin (eine andere als die, bei der sie vor zwei Wochen übernachtet hat), kam aber, anders als zunächst geplant, zum Schlafen doch wieder nach Hause. Dadurch wurde es insgesamt recht spät, und so war es kein Wunder, dass die Kinder am nächsten Morgen schwer wach zu kriegen waren. Wir schafften es aber trotzdem, rechtzeitig zum üblichen Mittwochsprogramm aufzubrechen – das diesmal wieder eine Wortgottesfeier unter Leitung des berüchtigten Diakons beinhaltete. Was der Diakon zum Evangelium des Tages zu sagen hatte, werde ich diesmal aus kompositorischen Gründen gemeinsam mit der Predigt vom Sonntag in der Rubrik "Predigtnotizen" würdigen. Nachmittags waren wir beim JAM, und was es darüber zu sagen gibt, folgt unter der Rubrik "Schwarzer Gürtel in KiWoGo"

Am Donnerstag erschien die neueste Folge meiner Tagespost-Kolumne "Klein.Kram" – die sich mit dem bemerkenswerten Faktum auseinandersetzt, dass die Katholische Hochschulgemeinde an der Universität Tübingen ein linkes Bündnis "gegen Missionierung auf dem Campus" unterstützt; seit heute Morgen ist der Text auch online. Im Übrigen musste meine Liebste am Donnerstag zum Abiball der Schule, an der sie arbeitet, und ich hatte etwas Sorge, wie ich wohl am Abend allein mit beiden Kindern zurecht kommen und sie zu einer vernünftigen Zeit ins Bett kriegen würde, aber es klappte alles in allem besser als erwartet. Am Freitag, also gestern, war Fête de la Musique, und wir unternahmen den schon im vorigen Wochenbriefing schon angekündigten wagemutigen Versuch, an einem Schul- und Arbeitstag einen Straßenfest-Crawl durchzuziehen – jedenfalls einen kleinen. Zu berichten, wir es uns bei diesem Versuch ergangen ist, würde hier und jetzt den Rahmen sprengen, andererseits habe ich aber auch Zweifel, ob ein eigenständiger Artikel zu diesem Thema sich lohnen würde. Vielleicht warte ich daher erst mal ab, was das Wochenende sonst noch so bringt... 

Das für heute Vormittag geplante Wichtelgruppentreffen ist erneut ausgefallen. Ein paar grundsätzliche Erwägungen dazu, wie (bzw. ob) es mit der Wichtelgruppe weitergehen soll, werden wohl in der nächsten Woche fällig. 

Hingegen freue ich mich zu Protokoll geben zu können, dass mein Jüngster und ich in der zurückliegenden Woche ganze drei Lobpreisandachten in St. Joseph Tegel abgehalten haben – am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Am Dienstag war ich entzückt, wie engagiert mein Jüngster das bluesrockige "Alles was atmet" von Johannes Falk mitsang und dabei Luftgitarre spielte; am Mittwoch schaffte er es, ich weiß nicht wie, mein Mobilgerät so einzustellen, dass der Bildschirm zwischen der Musik-App und der Stundenbuch-App geteilt war. Das sah dann so aus: 


Was ansteht 

Heute sind wir beim Geburtstagspicknick einer hier schon mehrfach, wenn auch nicht namentlich, erwähnten Künstlerfreundin eingeladen; morgen steht dann ein erneutes Kinderkonzert auf dem Programm, nämlich "Peer Gynt" im Kammermusiksaal der Philharmonie, dargeboten von der Deutsch-Skandinavischen Jugend-Philharmonie. Die Anfangszeit des Konzerts (11:30 Uhr) bringt allerdings Schwierigkeiten für den Messbesuch mit sich, zumal angesichts des besagten Picknicks auch eine Vorabendmesse keine realistische Option zu sein scheint. Nach umfangreichen Recherchen sehe ich derzeit zwei mögliche Wege, die Erfüllung der Sonntagspflicht zu gewährleisten: früh aufstehen und in St. Matthias am Winterfeldtplatz in die Familienmesse gehen; oder in den sauren Apfel beißen und in die Abendmesse in Herz Jesu Tegel gehen. Letztere wird laut Wochenplan von dem netten, kinderfreundlichen "Pater Brody" zelebriert und die meisten uns nicht wohlgesonnenen Leute in der Gemeinde gehen wohl ohnehin eher morgens in die Messe, aber ich habe trotzdem erhebliche Zweifel, ob meine Liebste sich dazu bewegen lässt, noch einmal einen Fuß in diese Kirche zu setzen. – Am Montag ist kein Omatag, daher böte sich dieser Tag möglicherweise dazu an, mal wieder einen Regionalbahn-Ausflug mit dem Jüngsten zu unternehmen; ich hätte auch schon eine Idee für ein interessantes Ziel, aber das verrate ich erst, wenn es soweit ist. Im weiteren Verlauf der Woche hat meine Liebste, wenn nicht noch irgendwelche Vertretungsstunden 'reinkommen, einen freien Tag und muss an einem bis zwei weiteren Tagen nur ganz kurz zur Arbeit erscheinen; besondere Pläne haben wir für diese Tage allerdings noch nicht. Irgendwann im Laufe der Woche werde ich mich dann auch noch um die Vorbereitung des letzten Kinderwortgottesdienstes der Saison kümmern müssen, und am Wochenende ist im Baumhaus nicht bloß die übliche allmonatliche Community Networking Night, sondern ein "Urgent Action Summit" unter dem, wie ich den Initiator Scott Bolden kenne, durchaus augenzwinkernd gemeinten Motto "Can Berlin Save the World?". Mal sehen, ob wir da hingehen... 


Predigtnotizen 

Am Sonntag waren wir, wie erwähnt, im "Sommernachtstraum", wenn auch nicht in einer Aufführung der Shakespeareschen Komödie, sondern lediglich in einer konzertanten Darbietung von Mendelssohns Bühnenmusik; gleichwohl fiel mir bei der Anmoderation zum Marsch der Handwerker eine Passage des Stücktexts ein, die ich einfach wunderschön formuliert finde: In der 1. Szene des V. Aktes wird die Darbietung der Handwerker als "A tedious brief scene of young Pyramus / And his love Thisby; very tragical mirth" (V/1, V. 56f.; in der deutschen Fassung von August Wilhelm Schlegel: "Ein kurz langweilger Akt vom jungen Pyramus / Und Thisbe, seinem Lieb. Spaßhafte Tragödie") angekündigt, und als Herzog Theseus sich wundert, wie das zusammenpassen soll, erläutert der Zeremonienmeister Philostrat:

"A play there is, my lord, some ten words long,
Which is as brief as I have known a play;
But by ten words, my lord, it is too long,
Which makes it tedious" 

– bzw. auf Deutsch: 

"Es ist ein Stück, ein Dutzend Worte lang,
Und also kurz, wie ich nur eines weiß;
Langweilig wird es, weils ein Dutzend Worte
Zu lang ist, gnädger Fürst" (V/1, V. 61-64). 

Tja, und so ungefähr ging's mir mit der Predigt an diesem Sonntag. Wir waren ja, um es rechtzeitig zum Konzert zu schaffen, in St. Stephanus in Haselhorst zur Messe gegangen; diese Messe zelebrierte, wohl als Urlaubsvertretung, ein mir nicht bekannter Priester, der wohl eigentlich schon im Ruhestand ist, eine Frisur hatte wie Gilderoy Lockhart (nur mit silbernem statt güldenem Haar) und mit leichtem polnischem Akzent sprach. Die Predigt, die er vortrug, war mit sechs Minuten wirklich kurz, aber ich langweilte mich dabei trotzdem, zumal ich partout nicht dahinter kam, was der Priester eigentlich sagen wollte. Vielleicht wusste er es selbst nicht – denn wie ich im Nachhinein herausfand, war die Predigt nicht sein eigenes Werk, sondern stammt von einem Dr. Max Angermann und kann auf der von der Provinz Wien-München des Redemptoristenordens betriebenen Website "Predigtforum" nachgelesen werden. Urteile also selber, Leser; was mich betrifft, finde ich diese Predigt wirklich bemerkenswert schlecht. Alle möglichen Gedanken werden darin angerissen, aber kein einziger näher ausgeführt, und dann ist sie plötzlich vorbei. Besonders ärgerlich ist der Mittelteil der Predigt, die mit den Worten eingeleitet wird "Teresa von Avila (1515-1582), Karmelitin, spanische Mystikerin, schreibt in einem Brief an engagierte Christen...". Ich habe nicht herausfinden können, woher der darauf folgende Textabschnitt stammt, aber es ist schon eine ziemliche Frechheit, so zu tun, als stamme er tatsächlich von der großen Kirchenlehrerin des 16. Jahrhunderts. Mancher mag jetzt beschwichtigend einwenden wollen, es werde ja wohl niemand ernsthaft glauben, die Hl. Teresa habe wirklich aus dem Jenseits einen Brief an Christen von heute verfasst; aber ich muss leider gestehen, ich bin mir da nicht so sicher. Selbst bei zweifelsfrei rechtgläubigen Predigten kann es passieren, dass die Leut' nicht so genau hinhören, nur die Hälfte verstehen und die Leerstellen mit selbst zusammengereimtem hanebüchenen Unsinn auffüllen; aber dafür ist dann wenigstens nicht der Prediger verantwortlich zu machen. 

Die Predigt des Diakons bei der Wortgottesfeier in St. Marien Maternitas am Mittwoch wies ebenfalls einen assoziativen Bezug zu der Sommernachtstraum-Darbietung vom Sonntag auf, nämlich unter dem Aspekt der allzu dick aufgetragenen Schauspielerei. Mit seinem Hang zu Überbetonung, Kunstpausen und ähnlichen Stilmitteln, bis hin dazu, sich mit theatralischem Seufzen und versonnen in die Ferne schweifenden Blicken selbst zu unterbrechen, bewegt der Diakon von St. Klara sich oft hart an der Grenze zur unfreiwilligen Selbstparodie und nicht selten jenseits dieser Grenze. Im vorliegenden Fall stand dieser Predigtstil – den Otto Waalkes schon vor rund einem halben Jahrhundert so treffend karikiert hat, dass man sich eigentlich wundern muss, ihn immer noch in freier Wildbahn anzutreffen – in besonders augenfälligem Kontrast zum Inhalt der Predigt: Das Tagesevangelium war Matthäus 6,1-6.16-18 – die Passagen aus der Bergpredigt über das Almosengeben, das Beten und das Fasten –, und die offenkundige Lehre dieser Perikope ist ja schließlich, dass es beim Almosengeben, Beten und Fasten auf die innere Haltung ankomme und nicht auf die Außendarstellung. Da wirkte das dick aufgetragene Pathos des Diakons gleich doppelt bizarr. – Bei den alten Leuten in der Gemeinde kam dieses Schmierentheater indes gut an, wie ich den Gesprächen beim anschließenden Gemeindefrühstück entnehmen konnte (an dem der Diakon selbst übrigens nicht teilnahm). 


Schwarzer Gürtel in KiWoGo 

In der zurückliegenden Woche war zwar kein Kinderwortgottesdienst in St. Joseph Siemensstadt und auch kein Planungstreffen für einen solchen; aber es war JAM, und da war der katechetische Teil diesmal auf eine Weise gestaltet, die ich – zumindest in Teilen – nachahmenswert fand. Und damit ich diese Gestaltungselemente nicht wieder vergesse, ehe ich mal die Gelegenheit habe, etwas Ähnliches selbst in Szene zu setzen, will ich sie hier mal schnell festhalten. 

Inhaltlich ging es um das 27. Kapitel der Apostelgeschichte: Der Apostel Paulus soll als Gefangener nach Rom gebracht werden. Zur interaktiven Gestaltung dieser Erzählung waren an den Wänden des Raumes Ortsschilder angebracht, die die Stationen der Reise (Caesarea, Kreta, Malta, Rom) angaben, und auf dem Fußboden waren mit Kreppband die Umrisse eines Schiffes markiert. Zu Beginn der Erzählung sollten sich alle Kinder in dieses "Schiff" setzen. Aus dem Über-Bord-Werfen der Ladung im Seesturm vor Kreta (V. 18f.) wurde ein Spiel gemacht: Die Kinder wurden in zwei Teams eingeteilt, von denen eins die Schiffsbesatzung darstellte, die die Ladung (dargestellt durch Luftballons) über Bord werfen musste, während das andere Team den Sturm darstellte und die Ballons zurück in den als "Schiff" markierten Bereich werfen musste. Nach 90 Sekunden tauschten die Teams ihre Rollen, und gewonnen hatte am Ende die Mannschaft, bei der nach Ablauf der 90 Sekunden weniger Luftballons innerhalb des "Schiffes" lagen. Dieses Spiel könnte sicherlich auch im Zusammenhang mit biblischen Erzählungen zum Einsatz kommen; ich denke da etwa an das Buch Jona. – Der Schiffbruch vor Malta wurde ebenfalls interaktiv gestaltet, indem die Kinder dazu animiert wurden, Sturmgeräusche zu imitieren; dann mussten alle das "Schiff" verlassen und sich in der als "Malta" gekennzeichneten Ecke des Raumes versammeln, und dort endete die Erzählung mit einem "Cliffhanger" – ausgerechnet an der Stelle, als eine giftige Schlange Paulus in die Hand beißt. Wie's weitergeht, erfahren die Kinder nächste Woche... 


Vermischtes aus verschiedenen Pfarreien 

  • Zeit wird's derweil auch, dass wir mal einen Blick in den aktuellen Pfarrbrief von St. Klara Reinickendorf-Süd werfen; denn "aktuell" bedeutet in diesem Fall "die Ausgabe für die Monate Juni bis August", und der Juni ist ja schon größtenteils rum. Der Pfarrbrief enthält u.a. einen reich bebilderten Bericht zum Patronats- und Siedlungsfest in St. Joseph am 1. Mai, den der geneigte Leser gern mal mit dem meinen abgleichen darf; man beachte besonders die Erwähnung von Besuchern, die "nicht zu den 'Stammgottesdienstbesuchern' unserer Kirche zählen". 
  • Auf den der Gemeinde St. Rita gewidmeten Seiten des Pfarrbriefs findet sich eine Fotocollage mit dem Titel "Gemeinde-Impressionen", und eins der dort zusammengestellten Bilder zeigt eine "Handwaschung zum Gründonnerstag". Äh – Handwaschung? Hat da jemand Johannes 13,9f. nicht gründlich gelesen? – Na, ehrlich gesagt kann ich mir schon vorstellen, wie das zustande gekommen ist: Immer wieder gibt es Schwierigkeiten, genug Freiwillige für eine Fußwaschung zusammenzubekommen, weil es den Leuten irgendwie peinlich ist, sich in der Öffentlichkeit die Füße waschen zu lassen, und dann auch noch vom Priester. Man könnte sagen, die Überwindung dieser Hemmungen ist Teil des Rituals, schließlich wollte Petrus sich zuerst auch nicht von Jesus die Füße waschen lassen. Aber wenn sich nun mal nicht genug Leute finden, die bereit sind, diese Hemmungen zu überwinden – was dann? In St. Rita hat man sich offenbar gedacht "Dann machen wir eben eine Handwaschung, da findet man leichter Leute, die mitmachen"; und diese Handwaschung nahm obendrein kein Priester vor, sondern, soweit man es dem Foto entnehmen kann, eine altgediente "Erzlaiin" der Gemeinde, die ich aus meiner Zeit in der Pfarrbriefredaktion in unguter Erinnerung habe. Im Hintergrund des Bildes ist der Diakon der Pfarrei zu sehen, und ich kann mir gut vorstellen, dass er salbungsvolle Worte gefunden hat, um die Ersetzung der Fußwaschung durch eine Handwaschung pastoraltheologisch zu legitimieren, aber ich kann dazu nur sagen: Ach, geh mir doch weg. 
  • Ein weiterer Beitrag dieses Pfarrbriefs ist einem "Technologie-Workshop" gewidmet, der ebenfalls in St. Rita stattfand. Konkret ging es dabei um eine Einführung in "die Funktionsweise und den Gebrauch" eines "Multimedia Boards", darüber hinaus aber auch darum, "Berührungsängste abzubauen" gegenüber "Technologie" in einem breiteren Sinne. Folgerichtig ist der Beitrag mit einem im Rahmen dieses Workshops aufgenommenen Foto illustriert, auf dem man auf dem besagten Multimedia-Board das Statement lesen kann: "Technologie ist nur ein Werkzeug. Was zählt ist, wie wir sie nutzen." Was ich an dieser Aussage alles problematisch finde, könnte ich in wenigen Zeilen gar nicht ausdrücken; das wäre eher mal Stoff für einen eigenständigen Artikel oder vielleicht einen Tagespost-Essay. Hier erst mal nur soviel: Lautete der erste Satz "Das Multimedia-Board ist nur ein Werkzeug", hätte ich daran schon erheblich weniger auszusetzen. Aber "Technologie" als Sammelbegriff für "neumodische Erfindungen, mit denen wir im Alltag umgehehen, obwohl wir nicht so richtig verstehen, wie sie funktionieren" einzusetzen, greift einfach zu kurz. Wer das 10. Kapitel der "Benedikt-Option" (oder wahlweise auch Neil Postmans "Technopol") gelesen hat, der weiß, dass Technologie – wie es der Wortbestandteil "-logie" ja schon nahelegt – nicht zuletzt eine Weltanschauung ist; man könnte auch sagen: eine Art der Weltaneignung. In diesem Sinne kann man sie durchaus auch als Werkzeug bezeichnen; aber die Vorstellung, ein Werkzeug sei etwas, das man benutzen kann wie man will, ist eine Illusion: Tatsächlich hat jedes Werkzeug seine eigenen Regeln, denen sich der Nutzer zu einem gewissen Grad unterwerfen muss. Wenn einem, wie es hier offenbar intendiert ist, suggeriert werden soll, ein Werkzeug sei grundsätzlich ethisch neutral und es liege allein in der Verantwortung des individuellen Nutzers, es zum Guten oder zum Bösen zu nutzen, würde ich ja gern mal provokant dazwischenfragen: Und wie ist das mit der Atombombe? – Wie gesagt, das ist ein weites Feld. 
  • Bei unseren Nachbarn in der Ökumene – sprich: der evangelischen Landeskirche – dreht sich derweil "alles um den Ball"; das ist keine Polemik von mir, sondern das kann man so in einem Artikel des Online-Terminkalenders "Churchdesk" lesen. "Zur Fußball-EM vom 14. Juni bis zum 14. Juli öffnen Kirchen ihre Türen zum Public Viewing, Fußball-Hymnen singen, zu Live-Konzerten, Mitfiebern und so manches mehr. Alle Veranstaltungen sind kostenfrei." Mit der Fülle an Veranstaltungen rund um die Fußball-EM, die dieser Übersichtsartikel aufführt, kann die katholische Kirche nicht ganz mithalten, aber Public Viewing bieten auch diesseits des konfessionellen Grabens einige Pfarrgemeinden an – darunter auch meine Wahlpfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland: Im Gemeindesaal von Maria, Hilfe der Christen werden "alle Spiele und Tore der deutschen Mannschaft, sowie das Finale auf der Großbildleinwand" gezeigt; "Alter, Nationalität oder Religionszugehörigkeit spielen dabei keine Rolle", na ein Glück. "Für Getränke zu fairen Preisen [!] ist gesorgt." – Im Prinzip ist diese Unterwerfung der Kirche(n) unter den Kult des Fußballgottes natürlich überhaupt nichts Neues; dennoch frage ich mich: Sollte man nicht denken, die Kirche täte besser daran, Angebote für Menschen zu machen, die sich nicht für Fußball interessieren (und es in diesen Wochen daher ohnehin schon schwer genug haben)? Beinahe hätte ich das zum Thema meiner Tagespost-Kolumne gemacht, denn im Grunde betrifft das nicht nur König Fußball, sondern ist vielmehr exemplarisch für die sonderbare fixe Idee der institutionellen Kirche in unserem Lande, "gesellschaftliche Relevanz" bedeute, über dasselbe zu reden, worüber alle anderen reden. Dass ich es lieber sähe, wenn die Kirche mehr auf Differenz und Kontrast setzte, ist durchaus nicht nur eine taktische Überlegung (etwa im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals auf dem Markt der Sinnangebote); es berührt vielmehr grundlegende Fragen des Selbstverständnisses und des Auftrags der Kirche: Wie kann man denn Salz der Erde sein, wenn man so sehr bestrebt ist, sich dem Geschmack der Welt anzugleichen? 

Geistlicher Impuls der Woche 

Und nun bitten wir den Hl. Josef um ein weiteres kleines Wunder. Unsere Bargeldkasse ist leer. Wir haben gerade die letzten Pennies für eine Rolle Zwirn und Briefmarken zusammengekratzt, und eine Anweisung über 25 Cent, die gerade hereingekommen ist, werden wir für einen Eintopf zum Abendessen verwenden. Aber die Druckereirechnung, die 165 Dollar, die davon noch unbezahlt sind, starrt uns an und versucht uns einzuschüchtern. 

Doch was sind 165 Dollar für den Hl. Josef, oder auch für die Hl. Teresa von Avila! Wir weigern uns, verzagt zu sein. (Auch wenn der Drucker es vielleicht ist – o, dieser Kleingläubige!) 

Don Bosco erzählt von vielen Fällen, wo diese oder jene Summe benötigt wurde, um die Miete oder andere Rechnungen zu bezahlen, und wie das Geld auf wundersame Weise genau rechtzeitig von irgendwoher auftauchte. Auch er war stets bedürftig, hat stets gebeten und stets erhalten. 

Viele unserer Freunde drängen uns, unsere Geschäfte auf eine geschäftsmäßige Grundlage zu stellen. Aber wir betreiben kein Geschäft, sondern eine Bewegung, und vom Geschäft verstehen wir hier ohnehin nichts. 

(Dorothy Day, Februar 1934; eigene Übersetzung) 


Ohrwurm der Woche 

Ritter Rost: Paolo mit dem Pizza-Blitz 

Dankt mir später: Dies ist wirklich der hartnäckigste Ohrwurm seit langem. Und zu verdanken habe ich ihn meinem Jüngsten, zu dessen Lieblings-Fernsehserien "Ritter Rost" gehört – auch wenn er den Namen des Protagonisten "Ritter Horst" ausspricht. Die Serie basiert auf einer Kinderbuchreihe von Jörg Hilbert mit Liedern von Felix Janosa, und die Lieder aus den Büchern werden gern auch in der Serie verwendet – zum Teil auch mehrmals in verschiedenen Folgen, was natürlich erfordert, sie in einen anderen Handlungszusammenhang einzubetten als in der Vorlage. Dafür eignet sich ein Lied über einen fahrenden Pizzaboten natürlich gut, denn dass im Laufe einer Serienepisode mal jemand eine Pizza bestellt, ist ja nun wirklich ein Handlungselement, das man ohne Probleme öfter verwenden kann. Was mich übrigens irgendwie an eins meiner Lieblingszitate aus Lessings "Hamburgischer Dramaturgie" erinnert: 

"Was kostet es denn nun auch für große Mühe, aus drei Aufzügen fünfe zu machen? Man lässt in einem andern Zimmer einmal Kaffee trinken; man schlägt einen Spaziergang im Garten vor; und wenn Not an den Mann gehet, so kann ja auch der Lichtputzer herauskommen und sagen: 'Meine Damen und Herren, treten Sie ein wenig ab; die Zwischenakte sind des Putzens wegen erfunden, und was hilft Ihr Spielen, wenn das Parterre nicht sehen kann?'" (13. Stück) 

Isse egal, die Pizza schmeckte gut! 


Donnerstag, 20. Juni 2024

Requiem für eine Seelsorgehelferin

Anfang der ersten Juniwoche erfuhr ich aus den Vermeldungen der Pfarrei St. Klara Reinickendorf-Süd, dass eine Frau, die ich aus meiner aktiven Zeit in der Gemeinde Herz Jesu Tegel kannte, verstorben war. Ich hatte sie seit Jahren nicht gesehen und auch nichts mehr von ihr gehört, trotzdem hatte ich sie in guter Erinnerung: Als meine Liebste und ich nach Tegel zogen und begannen, uns in der dortigen Pfarrgemeinde zu engagieren, gehörte sie – damals schon über 80 und leicht gehbehindert – zu den ersten Gemeindemitgliedern, von denen wir uns angenommen und willkommen geheißen fühlten. Sie kam auch zu unserer Wohnungseinweihungsfeier und schenkte uns eine Orchidee.

In der Folgezeit sah man sie in der Kirche immer weniger und schließlich gar nicht mehr; soweit wir hörten, lag das wohl daran, dass ihre Mobilitätseinschränkung sich weiter verschlimmerte und sie insgesamt kaum noch das Haus verließ. – Sie hatte uns gegenüber mal beiläufig erwähnt, dass sie früher Gemeindereferentin gewesen war; als solche wurde sie eines Nachrufs vom Erzbistum gewürdigt, und diesem entnahm ich nun, dass sie nicht nur in ihrer langjährigen Wohnortpfarrei Herz Jesu Tegel, sondern u.a. auch in St. Stephanus Haselhorst als Gemeindereferentin tätig gewesen war. Ach guck, dachte ich, so klein ist die Welt.

Auf eigentümliche Weise schön und stimmig fand ich es auch, dass ihr Requiem und ihre Beisetzung am Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu stattfinden sollte; und eine leise, aber hartnäckige Stimme in meinem Innern sagte mir: Ich glaube, da will ich hin. Auch wenn das bedeutete, dass ich meinen Jüngsten dorthin mitnehmen müsste. Ich nehme an, es gibt Leute, die der Meinung sind, man sollte ein dreijähriges Kind nicht zu einer Beerdigung mitnehmen. Ich selbst bin ganz entschieden nicht dieser Ansicht. Meiner Überzeugung und Erfahrung nach kann man dreijährige Kinder so gut wie überall hin mitnehmen, und sofern es doch Orte oder Ereignisse gibt, wo man Bedenken hätte, ein Kind dorthin mitzunehmen, sollte man sich vielleicht lieber mal überlegen, ob man selber wirklich da hinwill. 

Auf dem Weg zum Friedhof dachte ich darüber nach, ob der Umstand, dass das Requiem in der Friedhofskapelle gefeiert wurde und nicht in einer regulären Kirche, ein Indiz dafür sein mochte, dass nicht mit vielen Teilnehmern gerechnet wurde, und offenbar war das tatsächlich so. Aber so ist es wohl heutzutage, wenn man im Alter von 90 Jahren stirbt und keine große Familie hinterlässt (der einzige Sohn der Verstorbenen war, wie in der Predigt erwähnt wurde, schon vor über 40 Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen). Wenn man den Priester und den Organisten nicht mitzählt, fanden sich zehn Personen zu diesem Requiem ein, unter denen, soweit es für mich ersichtlich war, zwei Familienangehörige der Verstorbenen waren, ein Neffe und dessen Frau (die sich am Ende bei allen, die gekommen waren, persönlich bedankte). Zwei anwesende Frauen kannte ich aus der Gemeinde von Herz Jesu, bei einer dritten war ich mir nicht ganz sicher, ob ich sie nicht verwechselte; außerdem war eine Gemeindereferentin aus Spandau da und dann noch ein Mann und eine Frau, die ich nicht zuordnen konnte.

Wie sich zeigte, hatte die Verstorbene in ihren letzten Lebensjahren nicht mehr in Tegel gewohnt, sondern im Märkischen Viertel, das zur Pfarrei St. Franziskus Reinickendorf-Nord gehört; der dortige Pfarrer hielt auch das Requiem, und das traf sich gut, denn wie er in seiner Predigt erwähnte, hatte er die Verstorbene bereits kennengelernt, als er vor seiner Weihe zum Diakon Praktikant in Herz Jesu Tegel gewesen war. Ein paar Jahre später war er dann Kaplan derselben Gemeinde – das war zu der Zeit, als meine Liebste und ich anfingen, dort zur Kirche zu gehen, und nebenbei bemerkt hat er in dieser Zeit unsere ersten Schritte in der Gemeindearbeit, insbesondere das Projekt "Dinner mit Gott", entscheidend gefördert und unterstützt.

Was der Priester in seiner Predigt über die Biographie der Verstorbenen, und gerade auch über ihre Tätigkeit in der Pfarrseelsorge, zu berichten wusste, fand ich ausgesprochen interessant. Geboren und aufgewachsen war sie in Heiligensee, hatte dann geheiratet und war mit ihrem Mann nach Westdeutschland gezogen; aber die Ehe ging in die Brüche, und so kam sie als geschiedene Frau und alleinerziehende Mutter nach Berlin zurück, wo sie eine Wohnung in Tegel unweit der Herz-Jesu-Kirche fand. Der dortige Pfarrer, der früher die Pfarrstelle in Heiligensee gehabt hatte und sie daher kannte, sprach sie eines Tages darauf an, ob sie sich nicht vorstellen könne, als Seelsorgehelferin (wie die Berufsbezeichnung damals noch lautete) in der Pfarrei mitzuarbeiten. Das war wohlgemerkt in den 60er Jahren, als es mit Blick auf die öffentliche Meinung noch ein ziemliches Wagnis war, eine geschiedene Frau und alleinerziehende Mutter in der Gemeindeseelsorge zu beschäftigen.

Gleichwohl war der Aspekt, der mich an dieser Geschichte am meisten interessiert, nicht der, "dass so etwas damals schon möglich war", sondern vielmehr die Frage, ob so etwas heute noch möglich wäre. Damit meine ich natürlich nicht die Frage des "Beziehungsstatus": Heutzutage könnte man vermutlich auch Gemeindereferentin werden, wenn man in einer polyamoren WG lebt, und könnte das notfalls wohl einklagen. Was ich mir heute eher schwierig vorstelle, ist, dass ein Pfarrer zu einem ihm persönlich bekannten Gemeindemitglied sagt: Ich möchte dich als pastoralen Mitarbeiter in meiner Pfarrei, weil ich dir zutraue, dass du das kannst. Freilich, eine berufsbegleitende Ausbildung musste die Dame, die wir am Herz-Jesu-Fest zu Grabe getragen haben, auch damals schon absolvieren. Dennoch darf man wohl behaupten, dass ihr Beruf(ung)sweg keine große Ähnlichkeit damit hat, wie man heutzutage typischerweise Pastoral- oder Gemeindereferent(in) wird. Und leider merkt man das den Leuten, die diese Berufe heutzutage typischerweise ausüben, oft nur allzu deutlich an. Kurzum, das, was ich bei diesem Requiem über die berufliche Biographie der Verstorbenen erfahren habe, hat mich veranlasst, über die schädlichen Auswirkungen der Professionalisierung der Seelsorge zu sinnieren.

Mir ist bewusst, dass es Leute gibt, in deren Wortschatz der Begriff "Professionalisierung" uneingeschränkt positiv besetzt ist. Bei mir ist das praktisch umgekehrt, schon immer. Schon als ich an der Studiobühne der Humboldt-Universität bei einem studentischen Varietétheater mitarbeitete, waren mir Professionalisierungstendenzen zutiefst suspekt. In meiner Wahrnehmung bedeutet Professionalisierung den Verlust von Authentizität, die Eindämmung von Kreativität und Initiative, eine Tendenz zur Normierung und Regulierung, eine Fokussierung auf Funktionalität und Effizienz. An die Stelle einer Blumenwiese tritt ein ordentlich getrimmter Rasen.

Das gilt sicherlich nicht immer und überall. Selbst in Hausbesetzerkreisen, wo Do-It-Yourself und Graswurzelarbeit nun wirklich sehr groß geschrieben werden, ist man sich im Klaren darüber, dass es Dinge gibt, die man besser Profis überlassen sollte. Die Wartung von Gasleitungen zum Beispiel. Seelsorge gehört meiner Überzeugung nach nicht zu diesen Dingen. Ich möchte an das "Mission Manifest" erinnern, in dem es unter These 9 ("Wir brauchen eine 'Demokratisierung' von Mission") hieß:

"Nirgendwo steht, dass die Mission, die Jesus uns gegeben hat, sich auf Spezialisten, professionelle Verkündiger, Theologen, Kleriker oder Mitglieder von Ordensgemeinschaften beschränkt. Missionarisch zu sein ist der Auftrag Christi an alle Getauften."

Ich würde sagen, das gilt auch für die Gemeindepastoral, die ja schließlich auch Aspekte von Mission umfasst. Oder umfassen sollte. Tatsächlich tut sie es oft wohl nicht, und das ist Teil des Problems.

Woran ich in diesem Zusammenhang außerdem noch denken musste – und das meine ich gar nicht despektierlich, im Gegenteil –, ist die vor acht Jahren auf der christlichen Satire-Website "The Babylon Bee" veröffentlichte Geschichte eines obdachlosen Straßenmusikers, der aufgrund einer Verwechslung eine Stelle als Jugendpastor bekommt. Eine Geschichte, bei deren Lektüre ich schon immer schmerzlich den Wunsch verspürt habe, sie möge wahr sein – auch wenn mir durchaus bewusst ist, dass das kaum die von den Verfassern beabsichtigte Reaktion ist. Selbst in diesem fiktiven Fall wird der unverhofft zum Jugendpastor avancierte Straßenmusiker, als sich herausstellt, dass er seine Stellung einer Verwechslung verdankt, kurzerhand gefeuert – trotz der erfolgreichen Jugendarbeit, die er geleistet hat; einfach deshalb, weil er keine formale Qualifikation für diese Position besitzt. Tja.

Übrigens hätte ich mich – mit Rücksicht auf meinen Jüngsten, der eigentlich entschieden mittagsschlafreif war und mir beinahe schon auf dem Weg zum Friedhof eingeschlafen wäre – durchaus damit zufrieden gegeben, "nur" das Requiem mitzufeiern und dann den Rückzug anzutreten; aber mein Sohn wollte ausdrücklich mit ans Grab. Er wollte auch, wie die "Großen" es taten, eine Handvoll Erde ins offene Grab werfen, also ließ ich ihn das tun. Ich muss sagen, ich war überrascht, wie aufmerksam und konzentriert er bei der Sache war. Also, Leser, falls ihr Bedenken habt, ob man Kinder zu einer Beerdigung mitnehmen kann: Keine Sorge, das Kind wird euch schon zeigen, ob das geht. Ich halte ja grundsätzlich viel davon, Kinder frühzeitig an das Thema Tod heranzuführen; und zur Beerdigung einer Person zu gehen, die das Kind zu Lebzeiten nicht (oder kaum) gekannt hat, ist da vielleicht gar kein so schlechter Einstieg. 


Hinweis in eigener Sache: Dieser Artikel erschien zuerst am 13.06. auf der Patreon-Seite "Mittwochsklub". Gegen einen bescheidenen Beitrag von 5-15 € im Monat gibt es dort für Abonnenten neben der Möglichkeit, Blogartikel rund eine Woche früher zu lesen, auch allerlei exklusiven Content, und wenn das als Anreiz nicht ausreicht, dann seht es als solidarischen Akt: Jeder, der für die Patreon-Seite zahlt, leistet einen Beitrag dazu, dass dieser Blog für den Rest der Welt kostenlos bleibt! 


Dienstag, 18. Juni 2024

Klima und Pizza, Suppe und Mucke

Ich weiß nicht, wie es anderen Familien geht, die Kinder im Alter unserer Kinder haben, aber ich muss mal ein Geständnis machen: Wenn am Samstag, nach fünf Schul- und Arbeitstagen, endlich mal Gelegenheit ist, mit der ganzen Familie ohne Zeitdruck zu frühstücken und anschließend zusammen was Schönes zu unternehmen, läuft das bei uns oft nicht so harmonisch ab, wie man es sich in der Theorie gern vorstellen möchte. Der Drang der Kinder, sich entweder gegenseitig zu Quatsch anzustiften oder sich zu streiten – wobei das eine jederzeit und in Sekundenschnelle in das andere umschlagen kann – scheint sich, da sie unter der Woche nicht so viel Gelegenheit dazu haben, am Wochenende umso geballter zu entladen; und hinzu kommt, dass speziell unser Jüngster seine Mami stark in Anspruch nimmt, wie um sich dafür zu entschädigen, dass er unter der Woche so viel Zeit ohne sie verbringen musste. 

Erfahrungsgemäß ist das Konfliktpotential am größten, wenn das Frühstück vorbei ist, man zu Hause herumsitzt und "nichts Besonderes zu tun hat". Dieser Umstand veranlasste uns, am vergangenen Samstag möglichst früh zu dem "Klimafest" aufzubrechen, das der "Klimaschutzstammtisch Reinickendorf" zusammen mit einer Vielzahl von Kooperationspartnern in der Fußgängerzone Gorkistraße veranstaltete. Die Schattenseite war, dass, als wir dort ankamen, noch nicht viel los war. 

Aber so ist das, wenn man an einem nasskalten Junitag gegen den Klimawandel protestieren will. #sorrynotsorry

An einem Stand, den die Berliner Stadtreinigung zu diesem Fest beisteuerte, wurden wir als die ersten Gäste des Tages begrüßt, und die Kinder durften hier spielerisch ihre Mülltrennungs-Kompetenz unter Beweis stellen. 

An einem anderen Stand konnte man lernen, aus Papierresten und Bindfaden Notizhefte herzustellen, an wiederum einem anderen Glasflaschen bemalen. 


Davon abgesehen hielten wir uns bevorzugt am Stand der LebensMittelPunkt-Initiative Lichtenberg auf, denn da gab's Pizza, frisch aus dem Ofen und gegen Spende. 

Man beachte die Pizza-Girlande! 

Einen solchen transportablen Pizzaofen, wie er hier zum Einsatz kam, hatten wir schon vor ein paar Wochen im Baumhaus (oder genauer gesagt draußen vor dem Haus) in Aktion erlebt, und dieser Déja-vû-Effekt war durchaus kein Zufall: Das Baumhaus gehört ebenfalls zum LebensMittelPunkte-Netzwerk, und folgerichtig wird bei den Community Networking Nights im Baumhaus immer kräftig die Werbetrommel für diese Initiative gerührt. Folgerichtig kannte der Mann vom Pizzastand das Baumhaus auch und erzählte uns, er sei schon ein paarmal dort zur Community Networking Night gewesen, aber von Lichtenberg aus sei es doch ein ganz schön weiter Weg. Wir unterhielten uns mit ihm und einigen anderen Besuchern des Standes recht angeregt über Foodsaving, Foodsharing und angrenzende Themen und verdrückten dabei so einiges an Pizza. 

Was übrigens das Konzept der LebensMittelPunkte angeht, muss ich sagen, dass ich mich damit noch nicht sehr ausgiebig befasst habe, aber interessant finde ich es auf alle Fälle. Und nun rate mal, Leser, in welchem Berliner Bezirk es bisher keinen LebensMittelPunkt gibt... Na? In Spandau! Irgendwie sehe ich da Potential im Zusammenhang mit dem Gartenprojekt in St. Stephanus... aber das ist natürlich noch ein sehr unausgegorener Gedanke. 

An wiederum einem anderen Stand – bei dem für mich nicht ersichtlich war, wer den im wahrsten Sinne des Wortes gestellt hatte – wurden die "17 Ziele für nachhaltige Entwicklung" der UN-Agenda 2030 vorgestellt; wenngleich, wie man hier sieht, nicht für alle 17 Platz an der Girlande war: 


Besonders möchte ich übrigens auf die Nr. 5 aufmerksam machen: "Geschlechtergleichheit" ist auch ein Klimaziel. Keine Klimagerechtigkeit ohne Geschlechtergerechtigkeit! Und/oder umgekehrt. Das ist Intersektionalismus, das muss man nicht verstehen. Und wer es doch tut, der versteht wahrscheinlich auch das Bohrsche Atommodell und die Heisenbergsche Unschärferelation. 

Livemusik gab's auch, und zwar zunächst von einem Trio aus zwei in Ehren ergrauten Gitarristen (elektrisch und akustisch) und einem bedeutend jüngeren Percussionisten; der Mann mit der akustischen Gitarre war unverkennbar der Bandleader und sang auch. Zuerst spielten sie eine folkrockige Interpretation von George und Ira Gershwins "Summertime", dann eigene Stücke mit deutschen Texten, stilistisch irgendwo zwischen Klaus Lage, Hans Hartz, Fanny van Dannen und Chris Rea. Diese Beschreibung mag etwas sonderbar klingen, aber ich fand die Musik durchaus gut – gut genug, dass ich, als das Trio eine erste Pause machte, den Leadsänger und Akustikgitarristen fragte, wie die Gruppe denn heiße. "Ich bin Liedermacher", erwiderte der Mann würdevoll. Über diesen Standesstolz musste ich ja schon ein bisschen grinsen, aber das schmälert meine Wertschätzung für die Musik dieses Herrn nicht, und seinen Namen verriet er mir dann doch: Mimi Wohlleben

Immer dann, wenn die Musiker Pause machten, stellte eine Seniorentheatergruppe namens "RostSchwung" – die bei ihrer Gründung vor gut 30 Jahren noch "OstSchwung" hieß, und das ist kein Witz – Auszüge aus ihrem Bühnenprogramm "Umweltgeflüster" vor. Einen Trailer zu dieser Inszenierung, ohne Originalton und stattdessen mit flotter Musik unterlegt, gibt's bei YouTube; und wer der Meinung ist, das, was man da zu sehen bekommt, sehe irgendwie doof aus, dem sei versichert: so richtig doof ist es erst, wenn man's live sieht. Meine alte Dramaturgie-Dozentin hätte gesagt: Das war nicht nur peinlich, das war schon hochnotpeinlich.

Später trat dann auch noch ein anderer, jüngerer Gitarrist und Sänger auf, der allerdings keine Eigenkompositionen spielte, sondern Folk-Klassiker von "Bella Ciao" bis Reinhard Mey. Nicht schlecht, aber eben nicht gerade originell. Immerhin, ein Medley aus "Volare" und "Über den Wolken" gefiel mir dann doch recht gut. 

Alles in allem verbrachten wir dann doch so annähernd drei Stunden auf dem Klimafest, was ich anfangs wirklich nicht erwartet hätte; die Schattenseite war, dass unser Jüngster keinen Mittagsschlaf bekam, und auch das Tochterkind war nicht gerade ein Muster an Ausgeglichenheit und Wohlverhalten. Zwischenzeitlich hatte ich schon Zweifel, ob wir es überhaupt noch zu "Suppe & Mucke" schaffen würden. Gegen 16:30 Uhr erreichten wir dann aber doch einigermaßen wohlbehalten den S-Bahnhof Warschauer Straße. 

Dort erwartete uns erst mal dieses Plakat, dessen – äh – Sekundärbeschriftung mir so einige Rätsel aufgab. Ich fürchte, da hat jemand so einiges falsch verstanden bzw. durcheinandergekriegt.

Bei "Suppe & Mucke" angekommen, ging es mir prompt so, wie ich es mir eigentlich von der Fiesta Kreutziga zwei Wochen zuvor erhofft hätte: Kaum hatte ich fünf Schritte aufs Festivalgelände gemacht, da traf ich auch schon Bekannte. Konkret gesagt handelte es sich um einen auf meinem Blog schon mehrfach (wenn auch nicht namentlich) erwähnten alten Freund, den ich irgendwann in der zweiten Hälfte der Nuller Jahre in einer links-alternativen Kneipe kennengelernt habe, samt Tochter und Schwiegersohn (bei deren Hochzeit ich einen Auftritt als DJ hatte) und zwei Enkelkindern, die ungefähr so alt sind wie meine Kinder. Zuletzt hatte ich den besagten Freund hier übrigens deshalb erwähnt, weil er in der Kneipe, in der wir uns kennengelernt haben und über viele Jahre Stammgäste waren, inzwischen ebenso persona non grata ist wie ich und insgesamt in dem Milieu, aus dem dieses Lokal seine Kundschaft schöpft, als "rechtsoffener Wagen-Knecht" gilt, wie er selbst sagte. "Ja, ich habe das mit Interesse verfolgt", merkte ich an, worauf er lachte und sagte "Ja, das glaub' ich, dass du das mit Interesse verfolgt hast." Kurz, es war ein rundum erfreuliches Wiedersehen; auch sonst war die Stimmung bei "Suppe & Mucke" gut, auch das Wetter wurde doch noch unerwartet sommerlich. 


In durch hohe Zäune abgetrennten Bereichen des RAW-Geländes fand Public Viewing zur Fußball-EM statt (erst Schweiz gegen Ungarn, dann Spanien gegen Kroatien); das interessierte mich ja wider Willen schon ein wenig, aber wesentlich interessanter war dann doch, dass es auch auf diesem Festival ein Kreativangebot für Kinder gab: 



Zunächst dachte ich, es handle sich lediglich um eine Ausstellung, aber als wir den Hinweisschildern folgten, gelangten wir zu einer Werkstatt, in der Kinder allerlei Gebrauchtmaterialien mit einer Heißklebepistole zu Leibe rücken durften. 


Oder auch die Eltern: Unser Jüngster wünschte sich einen Elefanten, also bastelte meine Liebste ihm einen Elefanten. 

Nach dem Motto: Man wächst mit den Anforderungen, die die Kinder an einen stellen. 

Hier noch mal aus einem anderen Blickwinkel, damit man sieht, dass der Elefant auch ein Schwänzchen hat. In einem früheren Leben war es ein Karabinerhaken.

Kunst zum Anschauen gab es aber auch nicht zu knapp. 







Davon abgesehen geht es bei "Suppe & Mucke" naturgemäß vor allem um zwei Dinge, nämlich zum einen Suppe und zum anderen Mucke; und beide waren gut. Wie ich schon mal geschildert habe, ist es wesentlich für das Konzept dieses Festivals, dass diverse soziale und/oder ökologische Initiativen und Projekte dort ihre Arbeit vorstellen, wobei es eine unerlässliche Teilnahmebedingung ist, dass es anders jedem Infostand eine Suppe gibt (gegen Spende). Ich kostete mindestens fünf verschiedene Suppen und meine Liebste wohl noch mehr. Was die Mucke angeht, wurde auf mindestens drei auf dem Gelände verteilten Bühnen musiziert; die größte war die Bühne am Blechpalast, dort hörten wir eine Weile einer Band namens Mishmosh zu, die ihren Stil als "KlezHop" bezeichnet – also als Mischung aus Klezmer und HipHop. Hat was. 

Hier ist der Name der Band falsch geschrieben. 


Übrigens trug ich an diesem Tag, ohne dass ich mir dabei etwas Besonderes gedacht hätte, ein T-Shirt, das meine Liebste mir zum Abschluss unseres gemeinsam bewältigten Jakobswegs in Santiago de Compostela gekauft hat; darauf zu sehen sind zwei verpflasterte Füße und der spanische Schriftzug "Sin dolor no hay gloria" ("Ohne Schmerz kein Ruhm"). Während des Aufenthalts auf dem RAW-Gelände hatte ich mehrmals den Eindruck, dass Leute, die ich nicht kannte, diesen T-Shirt-Aufdruck aufmerksam und etwas misstrauisch beäugten; vielleicht verstanden sie Spanisch, vielleicht wunderten sie sich nur über die Füße. Ich würde mal sagen, ich habe durchaus T-Shirts im Schrank, deren Motive geeignet wären, noch wesentlich kontroverse Reaktionen hervorzurufen. 

Ach ja, und à propos "Leute, die ich nicht kannte": Außer den Bekannten, die ich gleich beim Betreten des Festivalgeländes getroffen hatte, begegnete ich vielleicht noch einer Handvoll Leute, die ich "vom Sehen her" kannte; insgesamt blieb damit auch dieses Festival, was den Punkt "Leute von früher wiedersehen" angeht, deutlich hinter den Erwartungen zurück. Wie ich schon mal erwähnt habe, war ich schon beim ersten "Suppe & Mucke"-Festival in Berlin, im Jahr 2009, nicht nur als Besucher mit von der Partie, sondern hatte da sogar einen Auftritt auf der Kleinkunstbühne. Auch in den verschiedenen Clubs auf dem RAW-Gelände, so im "Lovelite" und im "Cassiopeia", hatte ich in den Nuller und Zehner Jahren ein paar Auftritte oder war auf Partys. Ich frage mich manchmal, was aus den ganzen Leuten geworden ist, mit denen ich mir damals regelmäßig die Nächte um die Ohren geschlagen habe. Ob die sich damals wohl hätten träumen lassen, dass ich anno 2024 immer noch zur "Fiesta Kreutziga" und zu "Suppe & Mucke" gehen würde, sie aber nicht? Dem einen oder anderen dieser Leute würde ich eigentlich gern mal meine Frau und meine Kinder vorstellen. 


Samstag, 15. Juni 2024

Creative Minority Report Nr. 34

Servus, Leser! Die Zeichen stehen schon wieder auf Straßenfest-Crawl, denn in der Gorkistraße in Tegel fand heute von 11-16 Uhr ein "Klimafest" statt und auf dem RAW-Gelände unweit des Bahnhofs Warschauer Straße ab 13 Uhr das Festival "Suppe & Mucke", das langjährigen Lesern dieses Blogs zweifellos ein Begriff ist: Nicht weniger als viermal, nämlich 2016, 2018, 2019 und sogar im Corona-Jahr 2020, habe ich dem Besuch dieses Festivals jeweils einen eigenständigen Artikel gewidmet. Ich gehe allerdings nicht unbedingt davon aus, dass das auch dieses Jahr wieder der Fall sein wird. – Im vorliegenden Wochenbriefing liegt der Fokus weniger auf Selbsterlebtem als in den letzten Wochen, dafür gibt es aber ein paar Reflexionen zur Europawahl und anderen Wahlen sowie Predigtnotizen zum "Gottesurteil auf dem Berg Karmel" (1. Könige 18,20-39), obwohl (oder gerade weil) ich dazu gar keine Predigt gehört habe. Garantiert frei ist diese Ausgabe des Creative Minority Report hingegen von Fußball-Content; ich kann indes nicht versprechen, dass das auch in den nächsten Wochen so bleibt... 

Ein erster Eindruck vom Klimafest. 

Was bisher geschah 

Das vergangene Wochenende verlief für mich erheblich ruhiger als die beiden vorangegangenen und auch als das aktuelle: Am Samstag fuhr meine Liebste mit unseren Kindern und einer Schulfreundin unserer Großen zum Fort Hahneberg im Spandauer Ortsteil Staaken, wo im Rahmen des "Langen Tags der Stadtnatur" ein Familienfest stattfand; ich blieb derweil zu Hause, und wir trafen uns erst zum Abendessen wieder (bei Würgerking in der Spandauer Altstadt). Den Ereignissen des Sonntags sind die Rubriken "Marmelade im Schuh" und "Endlich (wieder) Nichtwähler" gewidmet. – Die Schul- und Arbeitswoche wurde teilweise davon überschattet, dass eine hartnäckige Erkältung, verschlimmert durch chronischen Schlafmangel, mir zunehmend zu schaffen machte; ich bemühte mich aber trotzdem, mein Pensum in Sachen Kinderbetreuung, religiöse Frühförderung für den Jüngsten, Kochen für die Familie und natürlich Bloggen gewissenhaft zu erfüllen. Inwieweit mir dies bei den ersten beiden Posten dieser Aufzählung gelungen ist, mag anhand der Rubriken "Wenn der Vater mit dem Sohne (und der Tochter)" und "Immer wieder mittwochs" beurteilt werden. 


Was ansteht 

Am morgigen Sonntag werden wir wohl erneut früh aufstehen und in St. Stephanus Haselhorst zur Messe gehen "müssen", da wir danach zu einem Kinderkonzert des Deutschen Symphonie-Orchesters im "Haus des Rundfunks" wollen; mehr dazu im nächsten Wochenbriefing. – Von der ersten Hälfte der anstehenden Schul- und Arbeitswoche erwarte ich, dass sie im Wesentlichen so abläuft "wie immer"; aber lassen wir uns mal überraschen. Am Donnerstag hat meine Liebste zwar keinen Unterricht, muss dafür aber abends zum Abiball ihrer Schule, was für mich bedeutet, dass ich mir etwas einfallen lassen muss, um die Kinder bei Laune zu halten, und sie wohl auch alleine ins Bett bringen muss. Am Freitag stellt sich die spannende Frage, ob ein "Straßenfest-Crawl" sich auch an einem Schul- und Arbeitstag realisieren lässt – denn es ist Fête de la Musique, in der Fußgängerzone Gorkistraße wird um 14 Uhr der Tegeler Sommer eröffnet, und in Siemensstadt gibt es in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche St. Joseph ab 16 Uhr ein Stadtteilfest, was ja schon allein unter Networking-Gesichtspunkten recht interessant sein könnte. Am Samstag ist dann wieder Wichtelgruppentreffen, ebenfalls in Siemensstadt... 


Marmelade im Schuh 

Als ich am Sonntag erwachte, fand ich mich ein Jahr älter, als ich noch am Abend zuvor gewesen war. Der Jüngste sang mir ein Ständchen, während die Große vorerst nicht wach zu kriegen war: Es war noch früher, als sie an Schultagen aufzustehen pflegt. Ein Grund für dieses frühe Aufstehen war, dass meine Schwiegermütter angeboten hatten, ab dem späten Vormittag ein paar Stunden lang etwas mit den Kindern zu unternehmen, damit meine Liebste und ich mal etwas "Zeit für uns" hätten – was indes erforderte, dass wir früher als gewohnt zur Messe gingen, nämlich in St. Stephanus Haselhorst statt in St. Joseph Siemensstadt. Über die Messe, die von Padre Ricardo aus Mexiko zelebriert wurde, gibt es nicht viel Besonderes zu sagen; danach trafen wir uns wie verabredet mit meinen Schwiegermüttern und übergaben die Kinder ihrer Obhut. Anschließend erwogen wir, zum Italian Street Food Festival zu fahren, konnten uns aber doch nicht so recht dazu entschließen – unter anderem, weil wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens eine Stunde dorthin gebraucht hätten. Also gönnten wir uns erst mal Kaffee und Kuchen in der Gorkistraße und genossen dann einen ruhigen, gemütlichen Nachmittag zu Hause. So ist das, wenn man älter wird: Statt den Drang zu verspüren, an seinem Geburtstag "einen drauf zu machen", freut man sich, wenn man sich's zu Hause gemütlich machen kann. Es stand durchaus noch der Gedanke im Raum, am Abend mit den Kindern essen zu gehen, aber als die Omas die Kinder am späten Nachmittag zurückbrachten, zeigte sich, dass der Kleine etwas kränkelte und die Große dafür umso überdrehter war – insgesamt also keine so günstigen Voraussetzungen, um nochmal rauszugehen. Also bestellten wir Sushi und bemühten uns, einigermaßen zeitig ins Bett zu kommen. 

Alles in allem muss man also wohl gestehen, dass ich schon aufregendere Geburtstage gehabt habe; aber ich finde trotzdem, dass ich allen Grund habe, froh und dankbar zu sein. Neben meiner lieben Familie haben dazu auch zahlreiche Freunde beigetragen, von denen mich zum Teil ganz unverhoffte Geburtstagsgrüße erreichten; und auch meine Anregung, man könne mir durch ein Abonnement der Patreon-Seite des Mittwochsklubs eine Geburtstagsfreude machen, blieb nicht unerhört. Obwohl da – diesen Hinweis kann ich mir nun doch nicht verkneifen – weiterhin durchaus noch Luft nach oben ist. 

Der nächste Geburtstag in unserer Familie wirft übrigens auch schon wieder seine Schatten voraus, nämlich der meiner Liebsten; aber da gebe ich noch rechtzeitig Bescheid. 


Endlich (wieder) Nichtwähler! 

Außerdem waren am Sonntag ja auch Europawahlen; ich war schon drauf und dran, diesen Abschnitt mit einer Floskel wie "Der eine oder andere wird's mitgekriegt haben" einzuleiten, aber tatsächlich war's ja kaum möglich, es nicht mitzukriegen, so sehr wie man von allen Seiten mit Ermahnungen vollgeballert wurde, wählen zu gehen. Ich muss gestehen, ich hätt's beinahe gemacht. Es gab sogar zwei Parteien, von denen ich mir hätte vorstellen können, sie zu wählen. Hab's dann aber doch bleiben lassen – und kann nach Kenntnisnahme der Ergebnisse versichern, dass, im Widerspruch zur konventionellen Weisheit derer, die einen immer zum Wählen Gehen überreden wollen, meine Stimme – egal welcher der von mir favorisierten Parteien ich sie gegeben hätte – nichts am Gesamtergebnis geändert hätte. 

Die Wahlbeteiligung in Deutschland war übrigens für eine Europawahl ungewöhnlich hoch, somit hat die unermüdliche Wahlpropaganda offenbar doch etwas gebracht – nur nicht das, was man sich von ihr versprochen hat. Dass eine hohe Wahlbeteiligung den Parteien der Mitte bzw. den etablierten Parteien nütze, eine niedrige Wahlbeteiligung hingegen den (vermeintlichen oder tatsächlichen) Extremisten, Populisten und Protestparteien, ist auch so ein Stück konventionelle Weisheit, das einem alle Wahljahre wieder aufs Brot geschmiert wird, obwohl es sich inzwischen 'rumgesprochen haben könnte, dass diese Behauptung einer empirischen Überprüfung nicht standhält. Aber es gehört offenbar zu den Ritualen des Parlamentarismus, dass man den Bürger erst einbläut, sie müssten von ihreb Wahlrecht Gebrauch machen, und sich dann beschwert, sie hätten die Falschen gewählt. 

Insgesamt und grundsätzlich halte ich es mit den handelsüblichen Argumenten für das Wählen so wie der alte Cat Stevens in "Father and Son": "If they were right, I'd agree". Wenn es tatsächlich stimmte, dass man, indem man alle soundsoviel Jahre ein Kreuz auf einen Stimmzettel malt, "Politik mitgestalten" könnte, fände ich das prima und würde mir die Gelegenheit dazu gewiss nicht entgehen lassen. Ich halte es jedoch für offenkundig, dass das nicht stimmt – außer vielleicht bei Kommunalwahlen, und da relativiert es sich wieder dadurch, dass es auf kommunaler Ebene nun wirklich effizientere Wege der politischen Beteiligung gibt als das Wählen. –

Wozu mir einfällt: Kommunalwahlen gab's an diesem Sonntag auch, in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg; das scheint im Vergleich zur Europawahl in der öffentlichen Wahrnehmung etwas untergegangen zu sein. In Brandenburg, also quasi vor unserer Haustür, hat jedenfalls die AfD gewonnen, und zwar mit Karacho. Und im Herbst ist in Brandenburg auch noch Landtagswahl; das kann ja noch spannend werden. Durchaus erwartungsgemäß hatten auch die Senioren beim Gemeindefrühstück in St. Marien Maternitas am Mittwoch so allerlei Anmerkungen zu den Wahlergebnissen vom Sonntag, aber darauf komme ich weiter unten (unter "Immer wieder mittwochs") zurück. 

Gegenüber der, wie ich immer wieder feststelle, doch recht verbreiteten Auffassung, das Wahlrecht im demokratischen Staat impliziere gewissermaßen eine moralische Pflicht, von diesem auch Gebrauch zu machen, möchte ich übrigens auf den Historiker und Politikwissenschaftler Hans Buchheim (1922-2016) verweisen, der anno 1968 bei einem Vortrag auf dem Katholikentag in Essen betonte, es sei "zwar eine gängige Forderung der sogenannten Politischen Bildung", dass jeder Staatsbürger sich an der politischen Willensbildung beteiligen müsse, aber es sei "trotzdem falsch und undemokratisch", dies jedem Einzelnen als Pflicht aufzuerlegen: "Vielmehr ist das Recht auf politische Abstinenz eines der Grundrechte einer freien Gesellschaft". Die Begründung hierfür ist frappierend: 

"Wenn alle politischen Entscheidungen frei getroffen werden sollen, dann muss das auch für die Grundentscheidung gelten, ob man sich überhaupt der Politik zuwenden will oder nicht. Wenn die Grundentscheidung nicht frei ist, dann können auch die folgenden Entscheidungen nicht frei sein. Aus den gleichen Gründen kann Wahlrecht auch niemals Wahlpflicht sein. Es ist eine der Segnungen der politischen Demokratie, dass sie, obgleich sie in fundamentaler Weise auf die politische Integration angewiesen ist, doch niemanden zwingt, sich mit Politik zu befassen oder sich politisch zu betätigen. Dagegen müssen wir feststellen, dass in den autoritären und totalitären Systemen dieses Recht auf Abstinenz von der Politik den Untertanen nicht zugestanden wird". 

Übrigens möchte ich mit diesen Anmerkungen durchaus niemandem ausreden, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Im Gegenteil, wenn jemand nach bestem Wissen und Gewissen eine Wahlentscheidung trifft und für sich selbst überzeugt ist, damit das Richtige getan zu haben, finde ich das eher beneidenswert. Wenn allerdings jemand glaubt, durch ein Kreuz auf dem Wahlzettel Europa, die Demokratie oder das Klima retten zu können, nötigt mir das eher ein Kopfschütteln ab. 


Wenn der Vater mit dem Sohne (und der Tochter) 

Nachdem unser Jüngster, wie oben bereits erwähnt, am Sonntagabend ziemlich kränklich gewirkt hatte, ging es ihm am Montagmorgen unverkennbar besser; ich beabsichtigte trotzdem, den Tag mit ihm möglichst ruhig anzugehen, zumal ich, wie ebenfalls schon erwähnt, selbst etwas angeschlagen war. Die Hoffnung, der Knabe würde – nachdem er, als wir das Tochterkind zur Schule gebracht hatten, erst mal auf den Spielplatz wollte, sich dort aber nicht allzu lange aufgehalten hatte – ausnahmsweise mal zu Hause Mittagsschlaf halten, erfüllte sich indes nicht, und so erklärte ich mich schließlich einverstanden, als er vorschlug, doch nochmal rauszugehen – und seinen Roller mitzunehmen. Das erste Ziel war der Spielplatz um die Ecke, aber nachdem wir dort keine seiner regelmäßigen Spielkameraden trafen, verkündete er: "Jetzt will ich zur Kirche!" Das war mir recht; wir steuerten also St. Joseph Tegel an, und dort angekommen, hielten wir eine Lobpreisandacht mit nicht weniger als sieben Liedern ab – zwei am Anfang, zwei mittendrin und drei am Schluss. 

Nachdem meine Liebste von der Arbeit gekommen war, gingen wir alle zusammen die Große von der Schule abholen. Auf dem Heimweg stritten sich die Kinder permanent, wobei die Gründe oder Anlässe zum Teil gar nicht ersichtlich waren; auf diese Weise waren wir schon fast zu Hause angekommen, ehe es mir einfiel, die Frage zu stellen, wo unsere Tochter eigentlich ihr Lieblings-Kuscheltier gelassen hatte. Die bittere Wahrheit: Sie hatte es in der Schule vergessen. (Bei dieser Gelegenheit mal wieder eine Bemerkung zum Thema "Warum ich es gut finde, dass unsere Tochter auf eine freie Alternativschule geht": Neulich, am Rande der Fronleichnamsfeier des Erzbistums Berlin auf dem Bebelplatz, unterhielten wir uns mit einer Bekannten, die wir nicht so oft sehen, und dabei kam die Rede auch darauf, dass unsere Tochter ihren allerliebsten Kuschelhund überallhin mitnimmt, also auch in die Schule; und die besagte Bekannte war erstaunt, dass die Schule das erlaubt. Unserer Tochter hingegen ist die Vorstellung einer Schule, die das nicht erlauben würde, vollkommen fremd – und mir zunehmend auch.) Angesichts der Aussicht, womöglich die Nacht ohne ihr Lieblings-Kuscheltier verbringen zu müssen, war unsere Große jedenfalls am Boden zerstört und flehte mich an, zur Schule zurückzufahren und das Tier zu holen. Ich befürchtete zwar, das Schulgebäude würde schon abgeschlossen sein, wenn ich ankam, war jedoch bereit, es auf den Versuch ankommen zu lassen – "aber nur wenn du mitkommst". (Diese Bedingung diente nicht zuletzt dazu, meine Liebste, die einen langen Arbeitstag ohne Pausen hinter sich hatte, nicht mit zwei gerade ziemlich auf Krawall gebürsteten Kindern allein zu lassen.) Das Tochterkind war damit einverstanden, also zogen wir los – und trafen auf dem Bahnsteig "Pater Brody", der eigentlich gerade in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war, der aber, als er mich erkannte, auf uns zukam, um uns zu begrüßen. Dabei fiel ihm auf, wie verheult das Tochterkind aussah, und er fragte, was denn los sei. Ich erzählte es ihm, er reagierte teilnahmsvoll und wünschte uns Glück für unseren Rettungsversuch. Und tatsächlich hatten wir Glück: Als wir ankamen, war der Haupteingang der Schule noch offen, beim Betreten des Gebäudes liefen wir direkt der Vertrauenslehrerin des Tochterkindes über den Weg, und die konnte sich sogar noch erinnern, wo sie den Kuschelhund zuletzt gesehen hatte, nämlich in der Werkstatt. Und da war er auch noch. Happy End! 

Der Mittwoch bekommt diese Woche mal wieder seine eigene Rubrik (s.u.); am Donnerstag war der Gedenktag des Hl. Antonius von Padua, was eigentlich ein guter Anlass für eine weitere Lobpreisandacht gewesen wäre. Die Ausführung dieses Vorgabens zögerte sich aber aus verschiedenen Gründen so lange hinaus, bis der Jüngste hochgradig mittagsschlafreif war, und folgerichtig schlief er (wieder einmal) auf dem Weg zur Kirche ein. Am Freitag, also gestern, ging ich mit ihm wieder zur Eltern-Kind-Gruppe in der "Gemeinde auf dem Weg", wo es ihm ausgesprochen gut gefiel; danach wollte der Knabe mit seinem Roller zur Skate-Anlage beim Humboldt-Gymnasium, und so blieb wieder keine Zeit für "Beten mit Musik". In diesem Zusammenhang fiel mir ein bzw. auf, dass wir schon allzu lange keine Familien-Gebetszeit mehr gehabt haben; eigentlich hatten wir mal vorgehabt, eine solche mindestens zweimal in der Woche nach dem Abendessen abzuhalten, und ich finde, dieses Vorhaben sollten wir dringend wieder aufgreifen. Gestern Abend waren die Voraussetzungen dafür, damit anzufangen, allerdings denkbar ungünstig, da der Jüngste keinen Mittagsschlaf gehabt hatte und daher am Abend völlig überdreht war... 

Immerhin wurde die Antonius-Statuette in unserem Bücherregal festlich geschmückt. 

Immer wieder mittwochs 

Am Dienstag, dem Gedenktag des Apostels Barnabas (der, wir erinnern uns, der Lieblingsheilige des Tegeler Pfarrers ist), machte die Schulfreundin, bei der unser Tochterkind von Freitag auf Samstag übernachtet hat, einen Gegenbesuch bei uns und blieb ebenfalls über Nacht; wie man sich vorstellen kann, brachte das allerlei Unruhe mit sich, aber am Mittwoch waren die Kinder trotzdem früh genug wach, dass wir zur gewohnten Zeit losgehen konnten. Folgerichtig schafften der Jüngste und ich es, nachdem wir die Mädchen zur Schule gebracht hatten, auch noch pünktlich zur Messe in St. Marien Maternitas – die diesmal von Pater Mephisto gehalten wurde; tatsächlich hatte ich schon auf dem Weg zur Kirche darüber nachgedacht, dass wir ihn schon ziemlich lange nicht mehr gesehen hatten. (Soweit ich es anhand meiner Wochenbriefings nachvollziehen kann, war das zuletzt am Aschermittwoch der Fall gewesen.) In seinen Begrüßungsworten machte Pater Mephisto besonders auf die 1. Lesung aufmerksam: das Gottesurteil auf dem Berg Karmel aus 1. Könige 18,20-39. In dieser ganzen Woche, so betonte er, gehe es in der jeweiligen 1. Lesung um das Wirken des Propheten Elíja, und es lohne sich, diese ganze Geschichte einmal im Zusammenhang zu lesen. Dieser Empfehlung kann ich nur beipflichten: Schon in meiner allerersten Kinderbibel habe ich die Abschnitte über den Propheten Elíja mit Begeisterung gelesen, und den über das Gottesurteil auf dem Karmel ganz besonders. Indes kann auch ein Bibeltext, den man schon seit einer gefühlten Ewigkeit kennt, immer wieder neue Denkanstöße vermitteln; und so stellte ich fest, dass diese 1. Lesung zum Mittwoch der 10. Woche im Jahreskreis allerlei enthält, wozu ich gern mal eine Predigt hören würde (oder bei Bedarf vielleicht auch selber eine schreiben könnte). Zum Beispiel: 

  • In Vers 22 sagt Elíja: "Ich allein bin als Prophet des HERRN übrig geblieben; die Propheten des Baal aber sind vierhundertfünfzig." An dieser Stelle konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass verglichen mit so einem Zahlenverhältnis die rechtgläubigen Katholiken in Deutschland gegenüber den Verfechtern des Schismatischen Weges noch gar nicht so schlecht dastehen. 
  • Wenn Elíja die Baalspriester verspottet, weil ihr Gott offensichtlich nicht auf ihre Gebete reagiert – "Ruft lauter! Er ist doch Gott. Er könnte beschäftigt sein, könnte beiseitegegangen" (in anderen Übersetzungen, etwa in der Elberfelder, steht an dieser Stelle "austreten gegangen", und ich gehe davon aus, dass damit tatsächlich gemeint ist "Vielleicht ist euer Gott gerade auf dem Klo") "oder verreist sein. Vielleicht schläft er und wacht dann auf" (V. 27) –, erinnert das frappierend daran, wie heutzutage manche Vulgäratheisten in den Sozialen Medien über Christen spotten. Das heißt, gerade das allzu anthromorphistische, materialistisch-krude heidnische Gottesbild, über das Elíja sich hier lustig macht, wird heute Christen unterstellt. Oder sollte man annehmen, dass sich darin vor allem die Gottesvorstellungen der Atheisten ausdrücken, und müsste man darauf eigentlich erwidern "An das, was du dir unter Gott vorstellst, glaube ich auch nicht"? 
  • Bemerkenswert ist es in jedem Fall, wie sicher Elíja sich ist, dass ihn sein Gott erhören wird und es ihm also nicht so ergehen wird wie den Baalspriestern. Den "Versuchsaufbau" mit dem Brandopferaltar, den Gott selbst entzünden soll, mag man als einen klassischen Fall von "Don't try this at home, kids" betrachten und sich, wie es Jesus in der Wüste gegenüber dem Satan getan hat, darauf berufen, dass es in der Schrift auch heißt "Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen" (Mt 4,7; vgl. Deut 6,16); aber eine Lektion zum Thema Gottvertrauen steckt wohl doch darin. 
  • Nicht Bestandteil der Lesung ist V. 40, in dem Elíja das versammelte Volk dazu aufruft, die Baalspriester niederzumachen, was dann auch prompt geschieht: Es hat sich erwiesen, dass sie einen falschen Gott verkündigt haben, und damit ist ihr Leben verwirkt. Das entspricht nun nicht gerade unseren heutigen Vorstellungen von religiöser Toleranz; sollte man daher einfach froh und dankbar sein, dass die Leseordnung diesen Vers auslässt, oder ist es doch möglich, etwas Sinnvolles dazu zu sagen, ohne sich entweder auf die schiefe Bahn des historischen Relativismus zu begeben ("So war das damals eben, heute sind wir da weiter") oder sich dem Verdacht auszusetzen, religiös motivierte Gewalt gutzuheißen? 

Beim Gemeindefrühstück im Anschluss an die Messe dauerte es kaum zehn Minuten, bis jemand – ich glaube, es war der "Erzlaie" – die Frage in den Raum warf, ob die Anwesenden denn mit den Wahlergebnissen zufrieden seien. "Nein!", rief daraufhin einer der alten Herren am Tisch. "Die AfD hat noch zu wenig Stimmen gekriegt." Der weitere Verlauf des Tischgesprächs legte allerdings die Vermutung nahe, dass das entweder ironisch gemeint war oder höchstens im Sinne von "Vielleicht braucht es noch mehr Stimmen für die AfD, damit die etablierten Parteien endlich aufwachen und bessere Politik machen". Tatsächlich hätte diese Gesprächsrunde – wenn nicht alle so beharrlich durcheinander geredet hätten, dass ich kaum mal einen ganzen Satz mitbekam, zumal mein Jüngster ja auch noch meine Aufmerksamkeit beanspruchte – ein interessantes Anschauungsbeispiel für ein gutbürgerlich-konservatives Milieu abgeben können, das zwar wohl mit einigen Positionen der AfD übereinstimmt (mit anderen aber auch nicht: Von "dumpfen Vorurteilen" gegenüber Migranten und "allen, die irgendwie anders aussehen" grenzte man sich entschieden ab), aber die Vorstellung, diese Partei tatsächlich zu wählen, schlichtweg degoutant findet. Dass die AfD gerade im Osten Deutschlands so erfolgreich ist, wurde darauf zurückgeführt, dass die Leute dort noch aus DDR-Zeiten daran gewöhnt seien, vom Staat zu erwarten, dass er sich um alle Probleme kümmert; immerhin ein interessanter Gedanke, den man mal vertiefen könnte oder sollte. Derweil urteilte der "Erzlaie", gerade der Umstand, dass in den Medien permanent auf der AfD herumgehackt werde, veranlasse viele Leute, sie zu wählen: "Das ist die Psychologie der Massen." (Frappierend finde ich es übrigens immer, dass Leute, die sich auf die Psychologie der Massen berufen, stillschweigend vorauszusetzen scheinen, dass sie selbst nicht zur "Masse" gehören.) – Auf der anderen Seite wurde dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" vorgeworfen, es sei schlechter Stil, eine Partei nach einer einzelnen Person zu benennen. "Unmöglich" sei das und zeige, dass die Parteigründerin eine "Egomanin" sei. Wofür das BSW inhaltlich steht und ob nicht manches davon gerade konservativen Gemütern durchaus sympathisch sein könnte, kam da gar nicht in den Blick. 

Am Nachmittag holte ich zusammen mit dem Jüngsten unsere Große von der Schule ab, um mit beiden Kindern zum JAM zu fahren. Als eine etwas (aber wohl nur wenig) ältere Mitschülerin die Große fragte, ob sie an diesem Nachmittag noch was vorhätte, antwortete sie, wir würden jetzt "zu einer Kinderkirche" fahren; die Mitschülerin fand das, so wörtlich, "cool". Na guck an. Meine Liebste, die direkt von der Arbeit kam, stieß erst an der Bushaltestelle in Haselhorst zu uns. Eigentlich hatte sie wieder einmal die Absicht, zum Elterncafé zu gehen; aber kaum bemerkte unser Jüngster, dass seine Mami nicht mehr in Sichtweite war (nachdem er sie ja gerade erst wiedergesehen hatte), forderte er kompromisslos, zu ihr gebracht zu werden. Also brachte ging ich mit ihm ebenfalls zum Elterncafé, eigentlich in der Absicht, ihn dort abzugeben und zur Kinderkatechese zurückzukehren. Erst mal nutzte ich aber die Gelegenheit, mir einen Becher Kaffee einzuschenken, und kaum hatte ich dies getan, da kam mir auch schon der Gedanke: Och, wo ich schon mal hier bin, könnte ich eigentlich ausnahmsweise auch hier bleiben. Und siehe da, es war gar nicht schlecht! Das Thema des Tages lautete "Großzügigkeit", und in der Hauptsache handelte es sich um einen Erfahrungsaustausch dazu, wie es ist, unverhofft ein großes Geschenk zu bekommen, und auch dazu, wie schwer es manchmal fallen kann, ein solches Geschenk anzunehmen. Im Hintergrund stand dabei – wie man sich wohl denken kann – der Gedanke, dass sich in der Großzügigkeit, die Menschen einander erweisen, die Liebe Gottes zu uns widerspiegelt und dass das größte und unverdienteste Geschenk die Vergebung der Sünden ist. – Bei den Kindern ging es derweil, wie das Tochterkind mir auf Nachfrage erzählte, mit der Apostelgeschichte weiter; konkret war diesmal davon die Rede, wie Paulus erst dem römischen Statthalter und dann dem König Agrippa vorgeführt wird. Im Gegenzug erzählte ich ihr von der 1. Lesung in der Messe am Morgen. 


Geistlicher Impuls der Woche 
Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott! Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren.
Schließlich, Brüder: Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht! Was ihr gelernt und angenommen, gehört und an mir gesehen habt, das tut! Und der Gott des Friedens wird mit euch sein. 

Ohrwurm der Woche 

Judy Garland: I Got Rhythm 

Dass dieser Klassiker aus der Feder von George und Ira Gershwin es zum Ohrwurm der Woche gebracht hat, ist, wie ich gestehen muss, primär einer Folge meiner neuen Lieblingsfernsehserie zu verdanken: "Young Sheldon". Ja, ich bin total verliebt in diese Serie; vielleicht muss ich mal darüber bloggen, was ich an ihr so toll finde. Jedenfalls: In Folge 16, "Killerasteroiden, Rebellion und Lampenfieber", beschließt Sheldon, nachdem er bei einer Wissenschaftsausstellung an seiner Schule nur einen Trostpreis gewonnen hat, die Wissenschaft an den Nagel zu hängen und stattdessen lieber Schauspieler werden zu wollen. Beim Vorsprechen für die Schultheatergruppe singt er u.a. "I Got Rhythm" und steppt dazu, zuerst solo, dann im Duett mit dem Schauspiellehrer. Ich vermute, dass diese Sequenz nicht zuletzt dazu konzipiert war, die Talente des Hauptdarstellers Iain Armitage – dessen Mutter Theaterproduzentin ist und der schon vor seinem Schauspieldebüt einen YouTube-Kanal mit Musical-Rezensionen ("Iain Loves Theatre") betrieb – bestmöglich zur Geltung zu bringen, aber wie dem auch sei: Der Song ist nicht umsonst ein Evergreen, er sprüht einfach vor guter Laune. – Und dann wartete ich neulich morgens mit den Kindern auf die S-Bahn, um die Große zur Schule zu bringen, und kam spontan auf die Idee, zur Überbrückung der Wartezeit auf YouTube in verschiedene Versionen von "I Got Rhythm" 'reinzuhören. Die von Judy Garland gesungene Version gefiel mir am besten – während die Kinder von einer Taube begeistert waren, die über den Bahnsteig stolzierte und dabei den Kopf im Rhythmus der Musik zu bewegen schien. Die "tanzende Taube" war noch für den Rest des Tages und den nächsten ein angesagtes Gesprächsthema...