Seid mir gegrüßt, liebe Kinder- und Jugendliteratur-Interessierte! Die Liste der Bücher, die ich meiner sechsjährigen Tochter zum Einschlafen vorgelesen habe, hat in den letzten Wochen wieder einige interessante Neuzugänge zu verzeichnen gehabt, also mal ohne weitere Vorrede hinein ins Vergnügen:
Nachdem wir zuerst den sechsten und dann den zweiten Teil der "Ostwind"-Saga gelesen hatten, war ich recht erfreut, endlich mal den ersten Teil in die Finger zu bekommen. Wozu ich gleich eingangs anmerken möchte: Die Handlung der einzelnen Teile der Reihe ist zwar jeweils so weit in sich abgeschlossen, dass man sich auch dann noch einigermaßen darin zurecht findet, wenn man sie in der "falschen" Reihenfolge liest; aber einen gewissen Einfluss auf die Wahrnehmung des Geschehens und der Charaktere hat die Lektürereihenfolge eben doch. Zum Beispiel: Wenn man im sechsten Teil Mika als besonnene, gereifte und irgendwie mystisch begabte Kontrastfigur zum "wilden" Problemkind Ari kennengelernt hat, erfordert es erst einmal eine gewisse Umstellung, wenn man feststellt, dass im ersten Teil Mika selbst das Problemkind ist. Wenn auch im Vergleich zu Ari ein eher harmloses Exemplar: Ja meine Güte, sie hat schlechte Noten in der Schule, das ist für ihre Eltern, die beide in der Wissenschaftlerszene hoch angesehene Physiker sind, natürlich ziemlich schlimm, und dann wird sie auch noch verdächtigt, einen Brand gelegt zu haben, den in Wirklichkeit ihre Freundin Fanny versehentlich verursacht hat, und klärt den Sachverhalt nicht auf, weil sie ihre Freundin nicht anschwärzen will. Zur "Strafe" muss sie die Ferien auf dem Gestüt ihrer Großmutter verbringen, von deren Existenz sie bisher noch gar nichts wusste; und da nimmt dann das Geschehen seinen Lauf, als Mika Anzeichen einer Art Seelenverwandtschaft zu dem als unberechenbar und gefährlich geltenden Hengst Ostwind an den Tag legt. – Man kann nicht leugnen, dass die Story ihre Schwächen und Ungereimtheiten hat: Zum Beispiel bleibt völlig unklar, warum Mikas Mutter so sehr mit ihrer Mutter zerfallen ist, dass sie dreizehn Jahre lang keinerlei Kontakt zwischen Großmutter und Enkeltochter zugelassen hat; und dann, auf einmal, soll Mika die Ferien bei dieser fremden Großmutter verbringen? Und dass Mika, die zuvor noch nie geritten ist, nach wenigen Wochen Unterricht in der Lage ist, an einem Springturnier teilzunehmen, strapaziert die Glaubwürdigkeit wohl ebenfalls ziemlich. Tatsächlich lässt die fesselnde, nicht zuletzt auch emotional mitreißende Handlung aber über Manches hinwegsehen; leider jedoch nicht darüber, dass das Buch sehr schlecht geschrieben ist.
Ich habe schon an den zuvor gelesenen "Ostwind"-Bänden bemängelt, manche Passagen ließen allzu deutlich erkennen, dass sie entweder Filmszenen nachempfunden sind oder auf eine Verfilmung hin konzipiert wurden; und diese Passagen kämen auf Papier einfach nicht so richtig gut 'rüber. Dieses Urteil muss ich nun dahingehend erweitern, dass es im Fall von "Ostwind – Zusammen sind wir frei" nicht nur einzelne Passagen, sondern so ziemlich das gesamte Buch betrifft. Auch ohne den Film gesehen zu haben, hat man den Eindruck, dieser (oder das Drehbuch) werde Szene für Szene, ja nahezu Einstellung für Einstellung nacherzählt. Das führt nicht nur zu Brüchen in der Erzählperspektive, die in einem Film natürlich und intuitiv wirken mögen, in einem Buch aber irritieren und stören; es erweckt auch insgesamt den Eindruck, die Verfasserin Carola Wimmer habe sich der Aufgabe, das Filmdrehbuch von Lea Schmidbauer und Kristina Magdalena Henn in einen Roman umzuarbeiten, recht uninspiriert und schlampig entledigt. Man kann sich schon vorstellen, warum die Drehbuchautorinnen die Romanfassungen der weiteren Teile der Ostwind-Reihe lieber selbst geschrieben haben. Immerhin habe ich jetzt Lust bekommen, mir den Film anzusehen, denn ich bin geneigt anzunehmen, dass der erheblich besser ist als das Buch.
Ein Buch, das ich in der örtlichen Stadtteilbibliothek entdeckt habe, als ich dort an einem Schultag mit meinem Jüngsten hinging; ich hatte spontan den Eindruck, das könnte ein Buch sein, das dem Tochterkind gefällt, einfach von der Covergestaltung her und weil der Titel vermuten ließ, dass es sich um eine Detektivgeschichte an einer Schule handelt.
Titelheldin Paula geht in die 3. Klasse der "Waldschule", von der nicht ganz klar wird, ob das eine freie Alternativschule oder eine staatliche Schule mit Reformkonzept sein soll; auf diesen Punkt komme ich noch zurück, da er aus meiner Sicht so ziemlich das Interessanteste an dem ganzen Buch ist. Als es Paula und ihren Freundinnen Sissi und Kim gelingt, das verlorene Handy einer Mitschülerin wiederzubeschaffen, avancieren sie in den Augen der anderen Kinder zu Schuldetektiven; ein Junge namens Oleg, der zwar mit den drei Mädchen nicht direkt befreundet ist, aber auch gern Detektiv sein will, schließt sich ihnen an. Ihren ersten richtigen Fall bekommen sie, als die Glitzerstifte ihrer Klassenlehrerin geklaut werden.
– Okay, fangen wir mal mit dem Positiven an: Die Handlung ist durchaus spannend und kommt einigermaßen glaubwürdig rüber. Erheblich weniger überzeugend ist die Reflexionsebene gelungen: Mir drängt sich vielfach der Eindruck auf, die Autorin – die hauptberuflich eigentlich Drehbücher fürs Fernsehen schreibt – habe arg klischeehafte und übersimplifizierte Vorstellungen davon, wie Kinder im Grundschulalter denken und die Welt wahrnehmen. Ein Vergleich mit den "Lola"-Büchern von Isabel Abedi – deren Protagonistin zu Beginn der Serie ebenfalls in der 3. Klasse ist – macht den qualitativen Abstand schmerzhaft deutlich. Das ist umso "schader", als die Story theoretisch auch auf der Reflexionsebene einiges hätte hergeben können. So sinniert Paula beispielsweise darüber, dass sie sich mit ihrer besten Freundin Sissi nicht mehr so gut versteht wie früher, kaum etwas mit ihr gemeinsam hat und im Grunde lieber Kim aus der Parallelklasse als beste Freundin hätte, sich aber nicht recht im Klaren darüber ist, ob man seine beste Freundin einfach so wechseln kann; als ein Mitschüler von der Schule fliegt, weil er die Toiletten verstopft und damit einen massiven Wasserschaden verursacht hat, regen sich bei Paula Zweifel, ob diese Strafe gerecht und angemessen ist; aber diese und andere Themen werden nur oberflächlich angerissen und bald wieder fallen gelassen. Auch die Auflösung des Stiftediebstahls – die hier nicht verraten werden soll – hätte eigentlich Anlass zu Reflexionen darüber bieten können oder sollen, ob die Tatsache, dass die Klassenlehrerin gute Noten oder lobende Kommentare mit speziellen Glitzerstiften unter die Klassenarbeiten ihrer Schüler schreibt, nicht ein subtiles Mittel zur Erhöhung von Leistungsdruck und Konkurrenzdenken ist. Womit wir bei dem Aspekt angekommen sind, der mich an diesem Buch wie gesagt am meisten interessiert: die Darstellung des Schulalltags.
Ich-Erzählerin Paula schwärmt von ihrer Schule und ist überzeugt, dass sie viel besser ist als "normale" Schulen; aber inwiefern ist die Waldschule denn nicht "normal", außer dass sie direkt am Waldrand liegt und die Unterrichtsräume in mehreren kleinen Häusern untergebracht sind statt in einem großen Betonklotz? Ausdrücklich genannt werden als Besonderheiten des Schulkonzepts etwa, dass es dort "nicht nur Lehrerinnen und Lehrer [...], sondern auch noch Erzieherinnen" gibt (S. 13), dass es nachmittags Wahlkurse wie Tanzen, Werken, Seidenmalen und Fechten gibt und dass es einen Schulgarten gibt, in dem Gemüse angebaut wird. Alles gut und schön, aber natürlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn man dieses Buch einem Kind vorliest, das im wirklichen Leben auf eine Schule mit sehr viel "freierem" Konzept geht. Schon ein Satz wie "Im Unterricht müssen wir wie in jeder Schule immer alle machen, was die ganze Klasse macht" (S. 14) wirkt da etwas tragikomisch, und erst recht gilt das dafür, wie auffallend oft in diesem Buch davon die Rede ist, was an der Waldschule alles verboten ist. Wirklich die Ohren angelegt habe ich an der Stelle, an der Oleg, weil ihm sein Turnbeutel geklaut wurde, "eine Ecke von seiner Schlamperkarte abgeschnitten" bekommt (S. 64): Das, so darf der geneigte Leser sich zusammenreimen, passiert immer dann, wenn ein Schüler etwas, was er für den Unterricht braucht, nicht dabei hat. Und: "Wenn alle vier Ecken weg sind, bekommen die Eltern einen Brief" (ebd.). Reizende Verhältnisse!
Okay: Man kann davon ausgehen, dass viele andere Leser meine Perspektive auf diese Aspekte des Buches eher nicht teilen werden, zumal ich diese Perspektive ja sehr wesentlich meinen Einblicken in den Schulalltag meiner Tochter verdanke. Festhalten kann man allemal, dass "Paula Prima" eine durchaus unterhaltsame und stellenweise sogar fesselnde Bettlektüre abgibt; aber wie weit das Buch hinter seinem Potential zurückbleibt, ist dann doch ärgerlich. Von den in der aktuellen Folge dieser Artikelserie besprochenen Büchern ist es jedenfalls definitiv das schwächste; beziehe ich andere Bücher, die ich meinem Tochterkind schon so vorgelesen habe, in den Vergleich mit ein, finde ich "Paula Prima" immerhin besser als "Bibi & Tina", und gegenüber "Sternenschweif" kann man diesem Buch immerhin zugute halten, dass es ohne magische Einhörner auskommt.
Eins vorweg: Dass wir diesen Kinderbuchklassiker gerade jetzt gelesen haben, wurde nicht etwa durch die Nachricht veranlasst, dass es eine neue Serien-Adaption von "Ronja Räubertochter" auf Netflix gibt (wozu man ja eigentlich nur fragen kann "Wiesu denn bluß?"). Tatsächlich hätte ich das Buch durchaus schon früher mal auf die Leseliste gesetzt, wenn das Exemplar, das meine Liebste mit in die Ehe gebracht hat, nicht zwischenzeitlich unauffindbar verkramt gewesen wäre. Nun ist es aber wieder aufgetaucht, und zwar gerade rechtzeitig, nachdem wir "Paula Prima" ausgelesen hatten.
– Darf man den Inhalt als bekannt voraussetzen? Nun, falls nicht, hier in aller Kürze: Ronja, die Tochter des Räuberhauptmanns Mattis, ist seit Menschengedenken das erste Kind, das auf der Mattisburg geboren wird. In der Nacht ihrer Geburt spaltet ein Blitzschlag den Mattisberg von oben bis unten, und die Burg, die darauf steht, ebenso. Dass in derselben Gewitternacht auch Mattis' Erzrivale Borka Vater eines Kindes – eines Jungen namens Birk – geworden ist, stellt sich erst heraus, als Borkas Räubersippe Jahre später, nachdem sie aus ihrem bisherigen Schlupfwinkel vertrieben wurde, in den Teil der Mattisburg einzieht, der nun jenseits der "Höllenschlund" genannten Kluft liegt. Als die beiden Kinder sich miteinander anfreunden, beschwört das allerlei harte Konflikte herauf...
Mit eineinhalb zusammengekniffenen Augen könnte man die Grundidee der Handlung als "Romeo und Julia, aber nicht als Liebesgeschichte, sondern als Geschichte einer Kinderfreundschaft und mit einem glücklicheren Ende" zusammenfassen. Während der Handlungsverlauf wohl nicht zu komplex für ein Kinderbuch ist, ist das Buch sprachlich, schon durch seinen sehr eigentümlichen Wortschatz, ziemlich anspruchsvoll, aber wie ich neulich schon ausgeführt habe, finde ich das gerade gut. Zudem ist es emotional sehr intensiv, und zwar vor allem soweit es die Darstellung des Verhältnisses zwischen Vater und Tochter betrifft. Dank dieser Qualität eignet es sich besonders gut dazu, am Ende eines nicht durchweg konfliktfreien Tages zu einem harmonischen Tagesabschluss zu finden, jedenfalls habe ich das so erlebt.
Was man auch noch erwähnen sollte: Das Buch hat durchaus auch gruselige Momente, denn im Mattiswald streifen außer den Räubern nicht nur Füchse, Bären und Wildpferde umher, sondern auch verschiedene, unter der Bezeichnung "das Dunkelvolk" zusammengefasste Arten von Fabelwesen. Während die Rumpelwichte ein bisschen dumm und weitgehend harmlos sind und die Graugnomen nur gefährlich werden, wenn man Angst vor ihnen hat, werden die Wilddruden, die den Harpyien der klassischen Mythologie ähneln, wiederholt zu einer sehr ernsthaften Bedrohung für Ronja und Birk. Ich denke aber, man braucht sich nicht zu scheuen, seinem Kind auch diese Passagen vorzulesen. Gruselelemente haben von jeher ihren legitimen und sinnvollen Platz in Kindergeschichten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es von Chesterton oder von C.S. Lewis habe – es ist gut möglich, dass beide sich sinngemäß ähnlich geäußert haben –, aber jedenfalls fallen mir hierzu die Sätze ein:
"Es wäre Unsinn, anzunehmen, Kinder würden aus Märchen lernen, dass es Monster gibt. Dass es Monster gibt, wissen sie schon von allein. Aus Märchen lernen sie, dass man Monster besiegen kann."
Nachdem der dritte Teil der "Ruby Fairygale"-Buchreihe sich als erheblich besser erwiesen hatte, als zumindest ich es nach dem beiden ersten für möglich gehalten hätte, war natürlich die ganze Familie gespannt auf den vierten. Wobei ich daran erinnern muss, dass ich nach der Lektüre des dritten Bandes den Eindruck festgehalten hatte, eigentlich könnte man die Buchreihe an diesem Punkt der Handlung als abgeschlossen betrachten. Und in gewissem Sinne, so möchte ich behaupten, bestätigt der vierte Band diese Einschätzung.
Um das näher zu erläutern, muss ich hier leider den Ausgang des 3. Bandes spoilern: Ruby hat ihre Eltern (und nebenbei auch noch einen Halbbruder) gefunden, womit das Rätsel ihrer Herkunft gelöst ist; sie hat ein Mittel entdeckt, ihre Gestaltwandler-Fähigkeiten unter Kontrolle zu bringen; und die Bewohner von Patch Island sind in die Tatsache eingeweiht worden, dass es auf ihrer Insel Fabelwesen gibt, womit die Notwendigkeit zu ständiger Heimlichtuerei im Alltag weitestgehend wegfällt. Dass sich all dies zu einer ziemlich tiefen Zäsur in der Gesamthandlung der Buchreihe addiert, hat offenbar auch die Autorin so empfunden: Obwohl die Handlungszeit des 4. Bandes kurz nach dem Ende des vorigen einsetzt, werden die bisherigen Handlungsfäden zunächst geradezu demonstrativ nicht aufgegriffen und weitergeführt. Rubys Mutter und Halbbruder sind erst einmal in die geheime Pooka-Kolonie zurückgekehrt, um die dort im Verborgenen ihr Dasein fristenden Pookas auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten; Rubys Vater, der sich gegen Ende vom Band 3 wider Willen in einem Hund verwandelt hat, ist vorerst nicht in der Lage, wieder menschliche Gestalt anzunehmen. Stattdessen werden ganz neue Handlungsstränge aufgemacht: Rubys Freund Noah muss eine Art "Antrittsbesuch" in der Feenwelt machen, um vom Hohen Rat der Feen gewissermaßen seine Zulassung als Pfleger magischer Wesen zu erhalten; dabei zeigt sich, dass der Hohe Rat nicht nur Noah, sondern auch Ruby erhebliches Misstrauen entgegenbringt. Gleichzeitig tauchen mehr und mehr Fabelwesen auf Patch Island auf und wirbeln den Alltag der menschlichen Inselbewohner durcheinander, was für eine zunehmend angespannte Stimmung sorgt. Nebenbei kommt Ruby dahinter, dass schon die Mutter ihrer "Nana" Kontakte zur Feenwelt hatte, und lernt die Fee Felicity kennen, die nach Feen-Maßstäben noch ein Teenager wie sie ist, nach menschlicher Zeitrechnung aber schon so alt ist, dass sie bereits mit Rubys Urgroßmutter befreundet war, als diese ein junges Mädchen war. Derweil hat Noah Probleme mit dem Fernunterricht, an dem er teilnehmen muss, weil es auf Patch Island keine Schule gibt, und befürchtet, dass sein Vater ihn schließlich doch in ein Internat stecken wird und er die Insel (und Ruby) verlassen muss. Bezeichnend für den Bruch gegenüber der Handlung der vorangegangenen Bände ist es nicht zuletzt, dass Ruby bis etwa zur Mitte des Bandes – weiter sind wir mit der Lektüre noch nicht gekommen – nicht ein einziges Mal ihre Gestaltwandler-Fähigkeiten eingesetzt hat.
Dennoch kann man sagen, dass das Buch den Stärken der Serie treu bleibt: Die Charaktere, allen voran Ruby und Noah, sind enorm sympathisch und stellen damit ein hohes Maß an emotionaler Anteilnahme des Lesers am Geschehen sicher; die Handlung ist spannend und reich an überraschenden Wendungen. Eine Konstante der Serie ist auch die Fabulierlust der Autorin, die Fülle der skurrilen und witzigen Einfälle, mit denen sie die Handlung spickt; leider wirkt sie zuweilen allzu unbekümmert darum, ob diese Einfälle der Handlung wirklich dienlich sind, und gelegentlich vermisst man bei ihr auch ein gewisses Gespür dafür, dass manche ihrer Einfälle einfach plump und unpassend sind. Da die Geschichte sich auf einer Insel vor der Westküste Irlands abspielt, liegt es nahe, dass die Autorin sich bei ihrer Darstellung der Feenwelt und ihrer Bewohner ausgiebig bei irischer Mythologie und Folklore bedient, aber sie mischt auch bedenkenlos Elemente ganz anderer Herkunft hinein und gibt z.B. einem düster-grimmigen Elf, dessen Umhang die Farbe des Nachthimmels hat, den Namen Nocturno (in einem früheren Band kam bereits eine Blumenfee namens Florabella vor, das fand ich ähnlich ärgerlich). Und auch die explizite Bezugnahme auf Harry Potter, die ich schon anlässlich von Bd. 2 kritisiert habe, feiert hier fröhliche Urständ: Noah merkt an, das Portal zur Feenwelt erinnere ihn "total an diese Bahnhofswand bei Harry Potter", worauf Ruby erwidert: "Nur, dass man von hier aus nicht auf ein anderes Gleis kommt, sondern in eine andere Welt" (S. 59).
#Sorrynotsorry, aber so etwas tut man einfach nicht. Man möchte die Autorin beiseite nehmen und sie streng fragen: Kira-Schatz, willst du Fanfiction schreiben oder willst du eine ernstzunehmende Autorin in your own right sein?
Im Ganzen geht es mir mit diesem vierten "Ruby Fairygale"-Band – soweit ich ihn bisher gelesen habe, wie gesagt – wieder so ähnlich wie mit dem ersten: Ich finde ihn gerade gut genug, um zu bedauern, dass er nicht noch etwas besser ist. Der Autorin würde ich mehr Selbstdisziplin, mehr Selbstkritik und/oder einen besseren (d.h. strengeren) Lektor wünschen.
‐- In der nächsten Ausgabe der Artikelserie "Vorlesestoff fürs Tochterkind" werde ich wohl nochmals auf dieses Buch zurückkommen müssen; zwei weitere Bücher, die demnächst als Gutenachtlektüre an die Reihe kommen sollen, liegen bereits neben meinem Bett, und da möchte ich schon mal – ohne Genaueres zu verraten – die jeweils ersten Sätze zitieren:
"Ich schrie um mein Leben.
Das hier war der pure Wahnsinn – wenn mir jetzt jemand entgegenkam, wäre ich Matsch. Ich hatte das Gefühl, dass der Wind mir das Gesicht abriss. Der Lenker zitterte, als ob ich hundert Meilen die Stunde hinlegte, und die Reifen schienen auch schon zu kreischen. Mit zusammengekniffenen Augen wartete ich auf den Zusammenstoß.
Dann hörte ich ein Muh."
Und:
"'Eins, zwei, drei...', zählte das elfenhafte kleine Wesen und holte dabei kräftig Schwung. Dann rief es 'Hep!' und schwebte leicht wie eine Feder die bröckelnden Treppenstufen hinauf."
Alles Weitere zu gegebener Zeit, Freunde!
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