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Samstag, 3. März 2018

Blühende Brote und kreisende Lieder: Eine Dystopie

Gestern unter der Dusche hatte ich eine Idee für einen dystopischen Zukunftsroman mit Kirchen-Content. Allerdings bin ich recht schnell zu der Überzeugung gelangt, dass die Idee als solche interessanter und unterhaltsamer ist als ihre Umsetzung in Romanform es wahrscheinlich wäre; daher werde ich diesen Roman vermutlich nie schreiben, und folglich kann ich die Idee ebensogut hier verbraten. 


Das Szenario: Deutschland in nicht allzu ferner Zukunft. Seit etwas mehr als einer Generation herrscht ein radikal säkularistisches Regime, das jegliche Form öffentlicher Religionsausübung verboten hat. Eine Kirche in einer der heutigen vergleichbaren institutionellen Gestalt gibt es also nicht mehr; stattdessen haben sich kleine Gruppen von Gläubigen - nennen wir sie, der Einfachheit halber, "Hauskreise" - gebildet, die ihren Glauben im privaten Rahmen praktizieren. Die einzelnen Hauskreise sind jedoch, da für sie nicht öffentlich geworben werden kann, weitgehend voneinander isoliert; zudem wurde die Bibel - wegen diskriminierender (homophober, sexistischer, heteronormativer...) Inhalte - auch für den privaten Gebrauch verboten.

Solcherart isoliert, abgekoppelt von der Lehrautorität der Kirche und ohne Bibel, haben die Teilnehmer der Hauskreise (oder jedenfalls einiger Hauskreise) innerhalb einer Generation aber weitgehend vergessen, was der christliche Glaube eigentlich beinhaltet. So. Nun kommt ein Hauskreis ins Spiel, der aus den Wirren der Zerschlagung institutioneller Religionsgemeinschaften und des Bibelverbots ein NGL-Liederbuch als einzige (vermeintlich) "Heilige Schrift" gerettet hat; und der Hauskreis trifft sich regelmäßig, um nach Art des "Bibelteilens" Liedtexte aus diesem Buch meditativ zu betrachten und sich darüber auszutauschen.

Lassen wir diese Vorstellung mal ein paar Minuten lang auf uns wirken.


Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht.


Werde ich dich pflanzen, dass du weiter wächst.


Und vierzehn Tage Spanien ändern auch nichts daran.


Man kann sich leicht ausmalen, was für eine Art Glaube dabei herauskäme: eine Mischung aus sozial-politischem Programm und individualistischer Wellness-Spiritualität. Rousseauistische Idealisierung von "Ursprünglichkeit" und "Natürlichkeit", ein quasi-pantheistisches Gefühl der Alleinheit, globale Verantwortung für Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung. Kreuz und Auferstehung werden gelegentlich am Rande erwähnt, aber so richtig weiß man damit nichts anzufangen und zieht es daher vor, möglichst wenig darüber nachzudenken.

Das Ding ist: Diesen Glauben gibt es bereits, und er ist unter Menschen, die sich selbst als Christen und Katholiken verstehen, erstaunlich verbreitet. Man muss sich nur mal, exemplarisch, die Facebook-Seite des Bistums Münster oder Leserkommentare auf katholisch.de ansehen. Was da herrscht, ist im Kern jene "schwammige Pseudoreligion", für die der Soziologe Christian Smith von der katholischen Universität Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana die Bezeichnung "Moralistisch-Therapeutischer Deismus" (MTD) geprägt hat. (Wir brauchen uns hier nicht über die Bezeichnung zu streiten. "Deismus" ist eigentlich was anderes, das weiß ich selbst. Beschwerden bitte direkt an christian.smith@nd.edu.)

Und was verrät uns das? Es braucht gar keine Zwangsmaßnahmen einer fiesen religionsfeindlichen Diktatur, um eine authentische Glaubensweitergabe zu ver- oder zumindest behindern. Das schaffen wir schon ganz alleine...


P.S.: Meine heutige Zukunftsvision ereilte mich, anders als die gestrige, nicht unter der Dusche, sondern beim Blick in den Kühlschrank. Brause war alle. Und ich dachte: Hätte ich doch im Souterrain (Keller haben wir nicht) ein großes Brausefass, mit einer Leitung in die Küche, und direkt neben der Kaffeemaschine stünde eine Brause-Zapfanlage. In Gestalt eines Elefanten, den man am Rüssel ziehen muss, um Brause zu zapfen. Der BRAUSEFANT. Den hätte ich, im Gegensatz zum NGL-Hauskreis, gern in echt...


14 Kommentare:

  1. Hier ein Zitat aus: Hubert Windisch in 'Laien - Priester' (S. 30f.)

    ----
    Inzwischen wird von der Kirche oftmals erwartet abzusegnen, was Adolf Holl als Fluxreligion bezeichnet ... Er charaterisiert sie so: "In Zeitalter des Wassermanns, das angeblich bereits begonnen hat, macht der Mensch (im Januar, H.W.) eine Fastenkur, absolviert im Februar einen Zenkurs, geht im März zu einer Vortragsreihe über astrologische Partnerwahl, tanzt im April mit einem Derwisch, läßt sich im Mai in abgelebte Existenzen zurückführen, wandert im Juni durch Nepal, lernt im Juli eine Schmanin kennen, besucht im August einen Workshop in temenzentrierter Interaktion, beschäftigt sich im Oktober mit Bergkristallen, erlebt im November eine Todesmediation und wünscht sich zu Weihnachten eine Gehirnwellenmaschine."

    Norbert Jernej bringt die Sachlage ironisch auf den Punkt ...:

    Gestern ging seng ich feng shui.
    Heute reiki ich mir träume aus.
    Morgen couet der wind ins siebte haus.

    Montag buddha ich mir ein grab.
    Dienstag druide ich hinab.
    Mitwoch ist europacup.

    Die fünf tibeter monden später.
    Amfortas ante portas
    taofrisch am pendeltisch
    ... und alle Jahre wieder kommt
    das christuskind...
    ----

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  2. Nun,

    1. man muß dem NGL lassen, es erhebt ja gar nicht den Anspruch, daß man in hundert Jahren einen völlig Unwissenden im Glauben daran ausbilden kann.

    NGL ist, was Leute, die im Idealfall schon gläubig und voll Glaubenswissen sind bzw. im Realfall sich dafür halten, singen, wenn sie mal eine poppige Abwechslung zur im Idealfall vorherrschenden Gregorianik wollen; nichts weiter.

    2. Der Begriff "MTD" ist nicht nur schlecht gewählt, sondern per Definition keine Pseudoreligion oder "ganz andere Religion", sondern einfach nur schlechtes Christentum (und ja, das ist auch *etwas* vereinfacht, aber nicht viel). Für das, was Du kritisieren willst, wobei es sich speziell im Kommentarbereich um handfeste Häresien und "wir wollen nicht, daß dieser König über uns werde" handelt, ist MTD (im Sinne seiner offiziellen Definition) eine reichlich schmeichelhafte Beschreibung.

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  3. Wenn das Huhn, das wir hören, den Schnabel hält,
    und die Band, die da hämmert, den Text vergisst,
    dann wird Gott sein Haus endlich neu bezieh'n,
    dann ertrag ich wieder die Welt.

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    1. Neinnnn! Den Text bekomme ich nie aus meinem Kopf heraus! Wie soll ich hier den nächsten Familiengottesdienst überstehen, ohne laut rauszulachen?

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    2. Ich dachte immer Lachen sei ein fester Bestandteil von Familiengottesdiensten.

      Im übrigen genügt es oft nur ein Wort der Lieder zu verändern um den Nagel auf den Kopf zu treffen:

      "Liebster Jesus vier sind hier."

      "Unser Leben ist ein Test!"



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  4. Bei "blühende Brote" habe ich übrigens sofort farbenprächtigen Brotschimmel vor Augen.
    http://4pg6ytlewbav5wl8.zippykid.netdna-cdn.com/wp-content/uploads/2015/02/148CA400DD101E9E.jpg

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  5. Ich glaub, daß es zum Himmel stinkt, wenn die ganze Kirche swingt.

    Ich seh zum Hochaltar, drei Herren sind schon da,
    sie knien an den Stufen, den Vater anzurufen,
    sie blicken mit Entzücken zum Volke mit dem Rücken
    der ganze Erdkreis bebt, die alte Messe lebt.


    (Melodie: Ich glaub an einen Gott der singt.)

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  6. Gut. Und dann schlagen sie Seite 271 auf (Phantasienummer).

    Vergiß nicht zu danken dem ewigen Herrn,
    er hat Dir viel Gutes getan;
    gedenke, in Jesus vergibt er Dir gern,
    Du kannst Ihm so, wie Du bist nahn:
    Barmherzig, geduldig und gnädig ist er, viel mehr als ein Vater es kann:
    er warf unsre Sünden ins äußerste Meer. Kommt, betet, den Ewigen an.

    Du kannst Ihm vertrauen in dunkelster Nacht,
    wenn alles verloren erscheint.
    Er liebt Dich, auch wenn Du ihm Kummer gemacht,
    ist näher als je Du gemeint.
    Barmherzig, geduldig ...

    Im Danken kommt Neues ins Leben hinein:
    ein Wünschen, das nie Du gekannt:
    daß jeder - wie Du - Gottes Kind möchte sein,
    vom Vater zum Erben ernannt:
    Barmherzig, geduldig ...

    In Jesus gehörst Du zur ewigen Welt,
    zum Glaubensgehorsam befreit.
    Er hat Dich in seine Gemeinde gestellt
    und macht Dich zum Dienen bereit:
    Barmherzig, geduldig ...

    Mit Verlaub, da kann ich dann eigentlich nur noch sagen:

    Geht doch.

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    1. Es geht um NGL und „neu“ ist das Lied ja nun wahrlich nicht.
      Das stand schon seit den 1950er Jahren in der „Mundorgel“.

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    2. Echt?

      Gehört allerdings jedenfalls ins klassische NGL-Repertoire hinein, ob es da nun definitionsgemäß hineinpaßt oder nicht. "Is this the Way to Amarillo" ist ja schließlich auch ein deutscher Schlager.

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  7. "Lassen wir diese Vorstellung mal ein paar Minuten lang auf uns wirken" -- Aaaaah! Nein, das halte ich nicht durch.

    Das nächste Mal wenn ich "Kleines Senfkorn Hoffnung" höre, werde ich dazwischen rufen "Nein, DICH pflanze ich sicher nicht! Du kommst auf den Kompost!"

    Ansonsten kennt ihr ja sicher auch das Lied "Ins Wasser fällt ein Schwein", frei nach Markus 5,13.

    Na ja, ich muss sagen dass NGL in meinem Herzen doch noch irgendwo einen Platz haben. Ich bin damit aufgewachsen, und wie Imrahil schreibt, gibt es auch ein paar nicht ganz so furchtbare.

    Von meiner NGL-Jugend bin ich aber inzwischen dazu gekommen, dass ich mir mal eine tridentinische Messe mit Lobpreismusik wünschen würde. Gibt's das irgendwo? Bei den tridentinischen Messen, die ich bisher so kennengelernt habe, werden neben den gregorianischen Sachen auch häufig einige fürchterlich schnulzige Lieder aus dem 19. Jahrhundert gesungen. Da könnte man doch genauso gut Lobpreislieder nehmen...

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    1. Naja, die Tradis singen halt auch traditionelle Lieder. Zum Glück werden die noch *überhaupt* irgendwo gesungen.

      (Daß es sachlich natürlich Unfug ist, die Schubertmesse zu verteidigen und Lobpreismusik als zu poppig für die Messe abzulehnen, ist eh klar. Ich verteidige *beides* - unter "auch möglich" jeweils.)

      Wobei ich sagen muß: Von "Segne Du, Maria" einmal abgesehen - das im Grunde ein NGL *ist*, nur zu früh gekommen - ist die Durchschlagskraft und Schmissigkeit von so Kampfliedern wie "ein Haus voll Glorie schauet" oder Lobpreisliedern wie "Erde singe, daß es klinge" im heutigen Lobpreis für gewöhnlich nicht erreicht.

      Eine tridentinische Messe mit passenden NGL oder Lobpreis müßte man halt mal organisieren und einen Priester dazu finden und dann noch eine Gemeinde (letzteres wird vermutlich sehr schwierig).

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  8. In der aktuellen kirchlichen Situation passen auch einige Verballhornungen von klassischen Kirchenliedern, denn nicht nur NGL eignet sich dazu:

    Ein Haus voll Glorie schauet
    weit über alle Land.
    Aus ewigen Stein erbauet
    nun ist es abgebrannt.
    Holt die Feuerwehr!
    Holt sie ganz schnell her!
    O löscht doch dieses Haus,
    sonst brennt es völlig aus!

    Oder im Anschluß an die Messe beim Pfarrfest:

    Fest soll mein Saufbund immer stehen,
    das Glas will stets ich leeren.
    Nie soll der Herr mich nüchtern sehen,
    den Weingeist will ich ehren.
    Dank sei dem Herrn für jedes Glas
    das er uns füllt in reichem Maß
    nie will ich Wasser trinken.

    Irgendwer muß dann dann den Dreck vom Fest auch wieder weg machen. Der singt dann:

    Großer Mop wir holen dich
    feudeln unter allen Bänken
    wischen auch die Treppen auf,
    putzen unter, auf den Schränken.
    War dann noch der Beichtstuhl dran,
    ist die Kirche sauber dann.


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    1. Die Pfarrfeste gehören aber zu dem, was gut ist, nicht zu den modernen Abirrungen.

      (Vom theologischen Hautgout der Feststellung "die Kirche ist abgebrannt" mal zu schweigen.)

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