Es ist mal wieder Kolportage-Zeit! Wie die Blog-Statistik beweist, ist ein zwar relativ kleiner, aber treuer Teil meiner Leserschaft wohl annähernd so gespannt wie ich, wie es mit Dr. A. Rodes Fortsetzungsroman Barbara Ubryk oder die Geheimnisse des Karmeliter-Klosters in Krakau (München 1869) weitergeht - und ob nach über 300 Seiten vielleicht langsam mal die Titelheldin auf der Bildfläche erscheint, wozu sie allerdings erst einmal geboren werden müsste. - Nun, immerhin zeigt der Autor in der 8. Lieferung guten Willen, den Handlungsfaden, der ihm in den Lieferungen 6 und 7 komplett aus den Händen geglitten war, wieder aufzunehmen. -- Wir erinnern uns, dass auf S. 343, also relativ kurz nach dem Beginn der 8. Lieferung, der totgeglaubte Jesuit Rebinsky erneut auf der Bildfläche erschienen ist; man erfährt, dass er nach seiner Scheinhinrichtung ein Dreivierteljahr in Thorn in Festungshaft gehalten und dann nach Frankreich deportiert worden, dort jedoch freigelassen worden war. Über Rom ist er nun nach Warschau zurückgekehrt, um erneut die Vormundschaft für den jungen Grafen Wratislaw (zur Erinnerung: Elkas Halbbruder) zu übernehmen. Elka selbst ist hingegen inzwischen mündig - was, nebenbei bemerkt, voraussetzen würde, dass seit ihrer Heirat mit Kasimir Ubryk schon wieder mehr als zwei Jahre vergangen sein müssten, wohingegen Rebinsky auf S. 346 erklärt, er sei "vor einem Jahre nach Thorn" abgereist. - Wie dem auch sei: Rebinsky hat vor, den jungen Wratislaw nach Rom ins Kolleg zu schicken, doch Elka und die Tante widersetzen sich diesem Ansinnen. Zum Schein gibt Rebinsky vorerst nach, insgeheim überzeugt, schließlich doch sein Ziel zu erreichen.
Elka zieht sich nach Rebinskys Rückkehr mehr und mehr vom Leben im gräflichen Palast zurück, und als ihr neuer Geliebter Hugo von Rassow so weit von seiner Duellverwundung genesen ist, dass er sich in der Lage fühlt, seinen todkranken Bruder in Mecklenburg zu besuchen, entschließt sie sich, ihn zu begleiten, da ihr die Anwesenheit Rebinskys im Palast verhasst ist. Da Hugo und Elka auf ihrer Reise "französische Garnisonen" meiden wollen - vermutlich Hugos wegen, der zwei französische Offiziere im Duell getötet hat -, wenden sie sich zunächst südwärts und reisen "über Kalisch nach Krakau" (S. 355) - was zu der folgenden Reflexion Anlass gibt:
"Generalvormund" Drahomirsky verlangt also per Brief kategorisch Wratislaws Eintritt ins Jesuitenkolleg in Rom; die Tante erhebt zwar Einsprüche, insbesondere wegen der Befürchtung, "seine Gesundheit möchte den bedeutenden Klimawechsel nicht ertragen können" (S. 357f.), kann aber letztlich gegen den Willen des Vormunds nichts ausrichten. Rebinsky bringt den Knaben persönlich nach Rom, wo er nach "zweimonatlicher Reise" (S. 360) über Wien, Triest, Ancona und Loreto ankommt. Dort trifft Rebinsky auch seinen Vorgesetzten Brzozowski wieder, der inzwischen zum Ordensgeneral avanciert ist. In Wirklichkeit wäre diese Begegnung kaum möglich gewesen, da Brzozowski aufgrund eines persönlichen Befehls Zar Alexanders I. Russland nicht verlassen durfte und daher in Rom durch seinen späteren Nachfolger Aloisius (Luigi) Fortis (1748-1829) vertreten wurde. Aber das ist nicht der größte historische Patzer an dieser Stelle: Wie schon einmal angemerkt, erfolgte die "Wiedereinführung des Jesuitenordens durch Papst Pius VII." (ebd.) tatsächlich erst 1814, was auf S. 370 auch korrekt angegeben wird. In der Handlungszeit können wir uns aber erst im Jahr 1808 oder allerspätestens 1809 befinden. Während der Jesuitenorden aufgehoben war, wurde am "Collegium Romanum" (S. 361) - der heutigen Päpstlichen Universität Gregoriana - der römische Diözesanklerus ausgebildet. Im Übrigen erwähnt der Verfasser auch nichts davon, dass Rom und der ganze Kirchenstaat zur Zeit der Handlung von französischen Truppen besetzt war.
Im Folgenden wird Wratislaws Erziehung am Collegium Romanum dargestellt, und das umfangreiche XXXII. Kapitel "Das Innere der Gesellschaft Jesu" (S. 364-382) schildert ausgiebig die Geschichte, Struktur und Ordensregeln des Jesuitenordens sowie die angeblichen verbrecherischen Machenschaften seiner Mitglieder. Dabei bedient sich der Autor weidlich bei den Monita secreta (d.h. "Geheime Ermahnungen"), einem fingierten Dokument aus dem 17. Jh., das angeblich auf den 5. Ordensgeneral Claudio Aquaviva (1543-1615) zurückgehen soll und das gewissermaßen für den Antijesuitismus das ist, was die Protokolle der Weisen von Zion für den Antisemitismus sind. ("Diesen geheimen Anweisungen soll keine Ruhe beschieden seyn, dem ewigen Juden gleich tauchen sie jedesmal auf, wenn es einen neuen Sturm gegen die Kirche gilt", heißt es in einem 1869, also im selben Jahr wie Dr. Rodes Barbara Ubryk-Roman, erschienenen Artikel der Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland, 64. Band, S. 974.) Darüber hinaus zitiert er als Beispiele für die berüchtigte jesuitische Moral angebliche Sätze aus moraltheologischen Abhandlungen verschiedener Ordensmitglieder und versieht sie sogar mit Quellenangaben (S. 376-379). Von den zwanzig Sätzen, die dort aufgeführt sind, finden sich ganze dreizehn wörtlich oder sinngemäß übereinstimmend (und ebenfalls mit den entsprechenden Quellenangaben) in dem Pamphlet "Jesuitenmoral. Ein Album für die Freunde der frommen Väter" (Leipzig 1845), das Dr. Rode somit sehr wahrscheinlich als Quelle genutzt hat. Über die Authentizität der Zitate ist damit natürlich noch nicht zwangsläufig etwas gesagt. Die genannten Moraltheologen - z.B. Antonio Escobar y Mendoza (1589-1669), Jacques Tirin (1580-1636), Hermann Busenbaum (1600-1668), Franz Xaver Fegeli (1690-1748) und Benedikt Stattler (1728-1797) - sind zum Teil durchaus namhafte Vertreter einer probabilistischen oder sogar laxistischen Kasuistik; es ist anzunehmen, dass aus ihren Werken besonders drastische Beispiele ausgewählt wurden, die durch den fehlenden Kontext und vermutlich auch durch tendenziöse Übersetzung noch stärker überzeichnet wirken.
Sehr bemerkenswert ist eine Fußnote auf S. 364 über den Benediktinerorden, der den Jesuiten positiv gegenübergestellt wird: "Der älteste und einzige Orden, welcher seinen ursprünglichen Regeln treu geblieben und daher im Sinne des Christenthums wahrhaft Großes und Gute [sic] geleistet hat. An Gelehrsamkeit hat er den Jesuitenorden jederzeit übertroffen." Als Elka allerdings bei den Benediktinerinnen in "Pension" war, wurde dieser Orden nicht besonders wohlwollend beschrieben!
(Übrigens zählt Dr. Rode an dieser Stelle noch ganze 22 weitere Orden auf - weitgehend in alphabetischer Reihenfolge, nur die "Franziskaner und Kapuziner nebst Minoriten und Minimen" nennt er ganz am Schluss.)
Das erzählerische Mittel, einen positiven Romancharakter mehr oder weniger unfreiwillig zum Zögling des Jesuitenordens zu machen, um dem Leser auf diese Weise eine (angebliche) Innenansicht des Ordens bieten zu können, ist übrigens nicht gerade neu oder originell. Als prototypisch kann hier die Figur des jungen Gabriel de Rennepont aus Eugène Sues Roman Der ewige Jude (1844/45) gelten; ähnliche Schilderungen finden sich z.B. auch in einem Nebenhandlungsstrang von Sir John Retcliffes Magenta und Solferino (1864-66) sowie in Balduin Möllhausens Das Monogramm (1873). Dass Dr. Rode diesen Autoren in Sachen erzählerischer Qualität nicht das Wasser reichen kann, sei nur am Rande angemerkt.
Das XXXIII. Kapitel, "Die Zigeuner" (S. 382-397), erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, einen völlig neuen Handlungsstrang zu eröffnen; ob und wie der Autor es schafft, diesen dennoch mit den losen Fäden des bisherigen Handlungsverlaufs zusammenzuknüpfen, schauen wir uns beim nächsten Mal an. Für diesmal mache ich erst mal einen Punkt! (Oder ein Ausrufezeichen.)
(Fortsetzung folgt!)
"Bei der Rast, welche sich die beiden Reisenden hier einige Tage gönnten, ahnte Elka wohl nicht, daß in dieser altehrwürdigen Stadt in nicht allzu langer Zeit ein Glied ihrer Familie in einem höchst traurigen Drama eine Rolle spielen sollte, welche selbst das Herz des Härtesten unter den Menschen erschaudern läßt. Sie ahnte nicht, daß finstere, unheilbringende Mächte über dem Unglücke ihrer Familie brüteten, und ein unheimlicher Geist über dem Schicksale ihrer Familie waltete." (ebd.)Tja, wie sollte sie das auch ahnen? Auf jeden Fall scheint sich hier zu bestätigen, dass der Autor beabsichtigt, einen Zusammenhang zwischen den Intrigen um das Vermögen der Familie Zolkiewicz und der Einkerkerung Barbara Ubryks zu konstruieren. -- Durch die Abwesenheit Elkas hat Rebinsky - der inzwischen den Privatunterricht für den jungen Grafen Wratislaw wieder aufgenommen hat und den Knaben dabei insgeheim auf die Aufnahme ins Jesuitenkolleg vorbereitet - im gräflichen Palast nun freie Hand, denn von der alten Tante hat er keinen nennenswerten Widerstand gegen seine Pläne zu erwarten:
"In richtiger Erkenntniß dieser Sachlage schritt der Jesuit sofort an die Ausführung seiner Pläne. Gleich nach der Abreise Elka's erstattete er einen Bericht nach Rom, in dem er hervorhob, daß durch die Abwesenheit eines seinen Plänen stets hinderlichen Familiengliedes jetzt der günstige Augenblick gekommen sei, die Schwäche der allein zurückgebliebenen Tante [...] auszubeuten. Demgemäß solle umgehend ein kurz und bestimmt gehaltener Befehl des Generalvormundes an ihn ergehen, mit dem jungen Grafen beim Eintritt der milderen Jahreszeit sofort die Reise nach Rom anzutreten" (S. 356).Bedenken wir in diesem Zusammenhang, dass eine Ausschaltung Elkas, wodurch Rebinsky angesichts der leichten Beeinflussbarkeit der Tante "freies Spiel" (S. 355) im gräflichen Palast hat, bereits durch Elkas Verbringung ins Kloster erreicht worden war. Den jungen Grafen Wratislaw auf ein Jesuitenkolleg zu schicken, war auch damals schon geplant gewesen, allerdings war er damals wohl noch zu jung (sein Alter ist zwar bisher noch nirgends konkret angegeben worden, aber zu Beginn der Handlungszeit war er jedenfalls ein kleines Kind). Wäre Elka länger im Kloster geblieben, wäre Wratislaws Verschickung nach Rom früher oder später auch auf die Tagesordnung gekommen; man kann daher davon ausgehen, dass das nun folgende Geschehen in den Grundzügen, wenn auch nicht in allen Details, der "ersten Schicht" der Romanstruktur angehört.
"Generalvormund" Drahomirsky verlangt also per Brief kategorisch Wratislaws Eintritt ins Jesuitenkolleg in Rom; die Tante erhebt zwar Einsprüche, insbesondere wegen der Befürchtung, "seine Gesundheit möchte den bedeutenden Klimawechsel nicht ertragen können" (S. 357f.), kann aber letztlich gegen den Willen des Vormunds nichts ausrichten. Rebinsky bringt den Knaben persönlich nach Rom, wo er nach "zweimonatlicher Reise" (S. 360) über Wien, Triest, Ancona und Loreto ankommt. Dort trifft Rebinsky auch seinen Vorgesetzten Brzozowski wieder, der inzwischen zum Ordensgeneral avanciert ist. In Wirklichkeit wäre diese Begegnung kaum möglich gewesen, da Brzozowski aufgrund eines persönlichen Befehls Zar Alexanders I. Russland nicht verlassen durfte und daher in Rom durch seinen späteren Nachfolger Aloisius (Luigi) Fortis (1748-1829) vertreten wurde. Aber das ist nicht der größte historische Patzer an dieser Stelle: Wie schon einmal angemerkt, erfolgte die "Wiedereinführung des Jesuitenordens durch Papst Pius VII." (ebd.) tatsächlich erst 1814, was auf S. 370 auch korrekt angegeben wird. In der Handlungszeit können wir uns aber erst im Jahr 1808 oder allerspätestens 1809 befinden. Während der Jesuitenorden aufgehoben war, wurde am "Collegium Romanum" (S. 361) - der heutigen Päpstlichen Universität Gregoriana - der römische Diözesanklerus ausgebildet. Im Übrigen erwähnt der Verfasser auch nichts davon, dass Rom und der ganze Kirchenstaat zur Zeit der Handlung von französischen Truppen besetzt war.
Im Folgenden wird Wratislaws Erziehung am Collegium Romanum dargestellt, und das umfangreiche XXXII. Kapitel "Das Innere der Gesellschaft Jesu" (S. 364-382) schildert ausgiebig die Geschichte, Struktur und Ordensregeln des Jesuitenordens sowie die angeblichen verbrecherischen Machenschaften seiner Mitglieder. Dabei bedient sich der Autor weidlich bei den Monita secreta (d.h. "Geheime Ermahnungen"), einem fingierten Dokument aus dem 17. Jh., das angeblich auf den 5. Ordensgeneral Claudio Aquaviva (1543-1615) zurückgehen soll und das gewissermaßen für den Antijesuitismus das ist, was die Protokolle der Weisen von Zion für den Antisemitismus sind. ("Diesen geheimen Anweisungen soll keine Ruhe beschieden seyn, dem ewigen Juden gleich tauchen sie jedesmal auf, wenn es einen neuen Sturm gegen die Kirche gilt", heißt es in einem 1869, also im selben Jahr wie Dr. Rodes Barbara Ubryk-Roman, erschienenen Artikel der Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland, 64. Band, S. 974.) Darüber hinaus zitiert er als Beispiele für die berüchtigte jesuitische Moral angebliche Sätze aus moraltheologischen Abhandlungen verschiedener Ordensmitglieder und versieht sie sogar mit Quellenangaben (S. 376-379). Von den zwanzig Sätzen, die dort aufgeführt sind, finden sich ganze dreizehn wörtlich oder sinngemäß übereinstimmend (und ebenfalls mit den entsprechenden Quellenangaben) in dem Pamphlet "Jesuitenmoral. Ein Album für die Freunde der frommen Väter" (Leipzig 1845), das Dr. Rode somit sehr wahrscheinlich als Quelle genutzt hat. Über die Authentizität der Zitate ist damit natürlich noch nicht zwangsläufig etwas gesagt. Die genannten Moraltheologen - z.B. Antonio Escobar y Mendoza (1589-1669), Jacques Tirin (1580-1636), Hermann Busenbaum (1600-1668), Franz Xaver Fegeli (1690-1748) und Benedikt Stattler (1728-1797) - sind zum Teil durchaus namhafte Vertreter einer probabilistischen oder sogar laxistischen Kasuistik; es ist anzunehmen, dass aus ihren Werken besonders drastische Beispiele ausgewählt wurden, die durch den fehlenden Kontext und vermutlich auch durch tendenziöse Übersetzung noch stärker überzeichnet wirken.
Sehr bemerkenswert ist eine Fußnote auf S. 364 über den Benediktinerorden, der den Jesuiten positiv gegenübergestellt wird: "Der älteste und einzige Orden, welcher seinen ursprünglichen Regeln treu geblieben und daher im Sinne des Christenthums wahrhaft Großes und Gute [sic] geleistet hat. An Gelehrsamkeit hat er den Jesuitenorden jederzeit übertroffen." Als Elka allerdings bei den Benediktinerinnen in "Pension" war, wurde dieser Orden nicht besonders wohlwollend beschrieben!
(Übrigens zählt Dr. Rode an dieser Stelle noch ganze 22 weitere Orden auf - weitgehend in alphabetischer Reihenfolge, nur die "Franziskaner und Kapuziner nebst Minoriten und Minimen" nennt er ganz am Schluss.)
Das erzählerische Mittel, einen positiven Romancharakter mehr oder weniger unfreiwillig zum Zögling des Jesuitenordens zu machen, um dem Leser auf diese Weise eine (angebliche) Innenansicht des Ordens bieten zu können, ist übrigens nicht gerade neu oder originell. Als prototypisch kann hier die Figur des jungen Gabriel de Rennepont aus Eugène Sues Roman Der ewige Jude (1844/45) gelten; ähnliche Schilderungen finden sich z.B. auch in einem Nebenhandlungsstrang von Sir John Retcliffes Magenta und Solferino (1864-66) sowie in Balduin Möllhausens Das Monogramm (1873). Dass Dr. Rode diesen Autoren in Sachen erzählerischer Qualität nicht das Wasser reichen kann, sei nur am Rande angemerkt.
Das XXXIII. Kapitel, "Die Zigeuner" (S. 382-397), erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, einen völlig neuen Handlungsstrang zu eröffnen; ob und wie der Autor es schafft, diesen dennoch mit den losen Fäden des bisherigen Handlungsverlaufs zusammenzuknüpfen, schauen wir uns beim nächsten Mal an. Für diesmal mache ich erst mal einen Punkt! (Oder ein Ausrufezeichen.)
(Fortsetzung folgt!)
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