Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Montag, 28. Dezember 2015

Keine Lieder über frierende Enten

Hans Fiene, Pastor der River of Life Lutheran Church in Channahon/Illinois und Schöpfer des YouTube-Trickfilmkanals Lutheran Satire, hat wieder einmal zugeschlagen: Wenige Tage vor Weihnachten erschien ein neues YouTube-Video von ihm, ein flotter Fünfminüter mit dem schönen Titel Martin Luther Yells About Inferior Anglican Christmas Hymns. Der Trickfilm zeigt den leicht pummeligen Reformator, Bibelübersetzer und Kirchenlieddichter in klassischer Pose - mit Talar und aufgeschlagenem Buch -, flankiert von zwei Figuren, die schon in mehreren früheren Lutheran Satire-Videos zu sehen waren: The Vicar and Mr. Thompson, ein anglikanischer Geistlicher der Viktorianischen Ära und ein "engagiertes Mitglied" seiner Gemeinde, die sich beide durch einen dick aufgetragenen britischen Akzent und ein skurriles, altertümelndes Vokabular auszeichnen und stets allerlei "innovative" Ideen in petto haben, wie man die Kirche attraktiver machen kann, indem man ihre Lehre und liturgische Praxis banalisiert (winke winke, Bistum Münster!). 


In diesem neuesten Lutheran Satire-Clip offenbaren sich einige Meinungsverschiedenheiten zwischen Dr. Luther und den beiden Anglikanern darüber, was für Elemente in den Text eines gutes Weihnachtsliedes hineingehören und welche nicht. So kritisiert der deutsche Reformator, englische Weihnachtslieder würden sich allzu sehr in stimmungsvoller Genremalerei ergehen, statt die heilsgeschichtliche Bedeutung von Weihnachten hervorzuheben: Statt um die heilbringende Menschwerdung Gottes drehe sich alles um Schnee, Stille und Aufzählungen der Tiere im Stall von Betlehem. Um zu demonstrieren, wie man es besser machen könne, singt er einige Verse des Liedes "O Jesu Christ, Dein Kripplein ist" von Paul Gerhardt ("an even better hymnist than I am") in englischer Übersetzung; der Vicar und Mr. Thompson jedoch sind unzufrieden, da in diesem Lied keine frierenden Enten vorkommen. 

Mich veranlasste diese zweifellos nicht unpolemische Gegenüberstellung anglikanischer und lutherischer Weihnachtslieder dazu, einmal der Frage nachzugehen, wie im Vergleich dazu eigentlich das katholische Weihnachtsliedgut abschneidet. Mit empirischem Material für diese Untersuchung versorgten mich die Christmette in der Dominikanerkirche St. Paulus in Berlin-Moabit und die Messe am 1. Feiertag in Herz Jesu Prenzlauer Berg. (Dazu, was es über die musikalische Gestaltung hinaus noch zu diesen Gottesdiensten zu sagen gibt, folgt, so Gott will, in Kürze ein eigener Artikel.) Für die Christmette bei den Dominikanern gab es ein Faltblatt mit allen Gesängen, sodass man sich das Blättern im Gotteslob sparen konnte, und bereits vor Beginn des Gottesdienstes gab es zur Einstimmung mindestens eine halbe Stunde lang Chor- und Orgelmusik. Zum Einzug wurde dann "Heiligste Nacht" gesungen; der Text, erstmals gedruckt 1783 in Salzburg ohne Verfasserangabe, lässt an Klarheit bezüglich der heilsgeschichtlichen Bedeutung von Weihnachten wenig zu wünschen übrig, besonders in der zweiten Strophe: 

"Du, der gottseligen Väter Verlangen,
Zweig, der der Wurzel des Jesse entsprießt.
[...] 
Was uns der Sündenfall Adams geraubt,
Schenket uns deine Huld,
Sie tilgt die Sündenschuld 
Jedem, der glaubt." 

Viel besser geht's ja wohl nicht, das müsste auch Dr. Luther anerkennen. Es folgten Kyrie und Gloria, Antwortpsalm nach der ersten Lesung, Halleluja-Ruf vor dem Evangelium, und nach dem Evangelium "Zu Betlehem geboren" (GL 239) vom großartigen Friedrich Spee (1591-1635). Der Text stellt die liebende Hingabe an das Jesuskind ins Zentrum, es geht also eher um eine "verinnerlichte", emotional besetzte Frömmigkeit als um theologische bzw. dogmatische Aussagen, aber ebendiese Hingabe setzt ja den Glauben daran, dass dieses Kind der Erlöser der Menschheit ist, bereits voraus. Nach der Predigt ging es weiter mit "Ich steh an Deiner Krippen hier" (GL 256), und das ist natürlich von Paul Gerhardt! Ein Punkt für Sie, Dr. Luther! In seiner kontemplativen Grundhaltung hat dieser Liedtext durchaus gewisse Gemeinsamkeiten mit dem zuvor genannten Werk von Gerhardts katholischem Zeitgenossen Spee. 

Zur Gabenbereitung folgte "Hört, der Engel helle Lieder", eine Übersetzung des wohl aus dem 18. Jh. stammenden französischen Weihnachtsliedes "Les Anges dans nos campagnes". Die deutsche Textfassung von Otto Abel ist dem Evangelischen Gesangbuch (EG 54) entnommen; es gibt auch eine katholische Übersetzung von Marie Luise Thurmair ("Engel auf den Feldern singen", GL 250); die gab es tags darauf in Herz Jesu zum Gloria, was ich nicht ganz so passend fand, obwohl die Worte "Gloria in excelsis deo" den Refrain des Liedes bilden. Wie dem auch sei: Was den theologischen Gehalt des Liedes angeht, kann ich zwischen der evangelischen und der katholischen Textfassung keine entscheidenden Qualitätsunterschiede feststellen. 

Nach dem Agnus Dei folgten zwei Strophen des auf die Melodie von "Lobet den Herren" (GL 392) zu singenden Liedes "Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel, in Chören" (GL 251) - und zwar diese zwei Strophen: 

"Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget;
sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget!
Gott wird ein Kind, träget und hebet die Sünd; alles anbetet und schweiget.

Gott ist im Fleische: wer kann dies Geheimnis verstehen?
Hier ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen.
Gehet hinein, eins mit dem Kinde zu sein, die ihr zum Vater wollt gehen." 

Das ist ja nun in Hinblick auf die Thematisierung des Festgeheimnisses von Weihnachten quasi nicht zu toppen - allerdings kann die Una Sancta diesen Matchpunkt nicht wirklich für sich verbuchen, denn der Text stammt von Gerhard Tersteegen (1697-1769), einem Vertreter des reformierten Pietismus. Aber immerhin steht das Lied im Gotteslob. Gut so. Als Danklied nach der Kommunion folgte dann wieder ein katholisches Original: "Nun freut euch, ihr Christen" (GL 241), die deutschsprachige Fassung von "Adeste Fideles" (GL 242), komponiert um 1734 von dem wegen seines katholischen Glaubens nach Frankreich emigrierten Engländer John Francis Wade. Theologisch gehaltvoll ist hier vor allem die dritte Strophe: 

"Der Abglanz des Vaters, Herr der Herren alle,
Ist heute erschienen in unserm Fleisch; 
Gott ist geboren als ein Kind im Stalle." 

Und zum Auszug gab es - natürlich - "Stille Nacht, heilige Nacht" (GL 249). Ein Lied, von dem man finden könnte, dass die in obbesagtem Lutheran Satire-Video geäußerte Kritik in weiten Teilen darauf zutrifft. So von wegen stimmungsvolle Genremalerei. Holder Knabe im lockigen Haar und so. Nicht umsonst focht während meiner Kindheit und Jugend der damalige Pfarrer von Herz Mariae in Burhave einen jahrelangen Streit mit den alten Schlesierinnen in der Gemeinde aus, weil er sich weigerte, "Stille Nacht" in der Christmette singen zu lassen: Für sein Empfinden war das einfach eine unerträgliche Kitschgranate. Auf längere Sicht setzten sich die alten Schlesierinnen aber doch durch. Und im Grunde, warum nicht? Wenn ein Lied nur zu einem einzigen Zeitpunkt im gesamten Kirchenjahr, nämlich eben in der Christmette, thematisch passt, dann kann man es zu genau diesem Anlass ruhig mal bringen. Zumal der Text gar so substanzlos nun auch wieder nicht ist: Immerhin finden sich Passagen wie "da uns schlägt die rettende Stund / Christ, in deiner Geburt" und abschließend "Christ, der Retter ist da". Das ist allemal besser als frierende Enten. 

Die Messe zum 1. Weihnachtstag in Herz Jesu wurde eröffnet mit "Lobt Gott, ihr Christen alle gleich" (GL 247) - wiederum ein Weihnachtslied evangelischer Provenienz. Sein Verfasser Nikolaus Herman (ca. 1480-1561) war Kantor und Lehrer an einer Lateinschule, korrespondierte mit Martin Luther und stand auch sonst der Reformation nahe. Folgerichtig stehen heute viele seiner Lieder im Evangelischen Gesangbuch, ins katholische Gotteslob hat es hingegen nur dieses eine geschafft. Als Zwischengesang zwischen erster und zweiter Lesung gab's dann Es ist ein Ros' entsprungen (GL 243) - so richtig erzkatholisch, sollte man meinen. Ist schließlich ein Marienlied. Und evangelische Marienlieder gibt es doch gar nicht. Oder? - Nun ja, tatsächlich findet sich das Lied erstmals im katholischen Speyerer Liederbuch von 1599 - allerdings nur die ersten zwei Strophen. Schon zehn Jahre später erschien eine protestantische Fassung von Michael Praetorius; dieser dichtete die zweite Strophe so um, dass das Lied in seiner Fassung kein Marienlied mehr war. Während im Original "das Ros", also der Rosenstock, für Maria und das "Blümlein" für Jesus steht, bezieht Praetorius beides auf Jesus, und Maria kommt nur noch am Rande vor. Im Gotteslob steht natürlich die ursprüngliche katholische Fassung (im alten Gotteslob gab es unter Nr. 133 noch eine alternative ökumenische Fassung der 2. Strophe, in der der Hinweis auf die Jungfräulichkeit Marias getilgt war, aber diese Version wurde in die Neuausgabe nicht übernommen); allerdings folgt noch eine dritte Strophe, die das "Blümelein", also Jesus, in den Mittelpunkt stellt - und diese stammt von dem lutherischen Pfarrer Friedrich Layriz (1808-1859). Also abermals ein Punkt für Dr. L., denn die von Layriz hinzugedichtete Strophe ist wirklich gut

"Das Blümelein so kleine,
das duftet uns so süß,
mit seinem hellen Scheine
vertreibt's die Finsternis:
Wahr' Mensch und wahrer Gott,
hilft uns aus allem Leide,
rettet von Sünd und Tod." 

Zur Gabenbereitung stand GL 253, "In dulci jubilo", auf der Liedertafel - und das liebe ich einfach, auch wenn es in der Herz-Jesu-Kirche nicht annähernd so flott gespielt wurde wie in der Instrumentalversion von Mike Oldfield. Die klingt für mich immer nach einer mittelalterlichen Tanzweise, was die Melodie womöglich auch ursprünglich mal war. Vielleicht auch eine mittelerdische, sprich auenländische. Ich sehe da jedenfalls tanzende Hobbits vor meinem geistigen Auge. 


Der Text des aus dem 14. Jh. stammenden Liedes wird zuweilen dem Sel. Heinrich Seuse zugeschrieben. Besungen wird hier die Freude über die Geburt Christi, und man kann wohl sagen, dass die Gründe für diese Freude eher als selbstverständlich vorausgesetzt als explizit benannt werden. Die lateinischen Schlussverse der ersten beiden Strophen allerdings - Alpha es et O ("Du bist das Alpha und das Omega, d.h. der Anfang und das Ende") bzw. Trahe me post te ("Ziehe mich Dir nach") - haben es durchaus in sich. Obendrein enthält das neue Gotteslob eine Strophe, die im alten noch nicht enthalten war und die aus einer Liedersammlung des Peter von Dresden aus dem Jahr 1440 stammt: 

"O Patris caritas!
O Nati lenitas!
Wir wären all verloren,
Per nostra crimina,
So hat er uns erworben
Coelorum gaudia.
Quanta gratia!" 

Peter von Dresden war übrigens Anhänger der Hussiten und wurde 1426 in Regensburg als Ketzer verbrannt. Hmpf.

Als Danklied nach der Kommunion wurde "Kommet, ihr Hirten" gesungen, das nur im Regionalteil des Gotteslobs steht - in der Berliner Ausgabe unter Nr. 736. Es wird dort als "altböhmisches Weihnachtslied" deklariert, ohne Quellenangabe für die deutschsprachige Textfassung. Diese stammt laut Tante Wiki aus dem Jahr 1868 und wurde in enger Anlehnung an den tschechischen Originaltext von dem (evangelischen) Leipziger Kapellmeister Carl Riedel verfasst. Also wieder kein Pluspunkt für die katholische Weihnachtslieddichtung! Bei dem Text des populären Liedes handelt es sich übrigens im Wesentlichen um eine ausgeschmückte Paraphrase zu Lukas 2,8-17; das macht ihn zweifellos konfessionsübergreifend untadelig, andererseits aber auch nicht unbedingt zu einem großen Wurf.

Letzteres gilt auch für das Auszugslied dieses 1. Weihnachtstages, "O du fröhliche" (GL 238). Die christliche Weihnachtsbotschaft kommt in diesem Lied in schlichten Worten daher, aber immerhin ist sie da: Die Weihnachtszeit ist nicht nur fröhlich, sondern auch selig und vor allen gnadenbringend, und zwar weil "Christ [...] geboren" ist, ja: "Christ ist erschienen, uns zu versühnen". Und wer soll sich darüber freuen? Die Christenheit natürlich! Die Entstehungsgeschichte des Liedes ist recht interessant: Seine Melodie stammt von einem italienischen Marienlied ("O sanctissima, o purissima, dulcis virgo Maria"), das 1807 im 3. Band der posthum erschienenen Ausgabe von Johann Gottfried Herders Volksliedsammlung "Stimmen der Völker in Liedern" unter dem Titel "An die Jungfrau Maria - Ein sizilianisches Schifferlied" erschien. 1815 dichtete der evangelische Laientheologe und Waisenhausgründer Johannes Daniel Falk auf diese Melodie ein Lied mit drei Strophen, von denen eine zu Weihnachten, eine zu Ostern und eine zu Pfingsten gesungen werden sollte. Die Oster- und die Pfingsstrophe setzten sich allerdings nicht durch; hingegen wurde die Weihnachtsstrophe 1826 von Heinrich Holzschuher um zwei weitere Strophen erweitert. Bemerkenswerterweise finden sich in einer 1830 bei Reclam in Leipzig erschienenen Liedersammlung noch weitere, auf verschiedene Anlässe abgestimmte Strophen von "O du fröhliche", darunter ganze vier zu Ehren von Martin Luther.

Insgesamt kommt man wohl nicht um die Erkenntnis herum, dass wir den Reformatoren in Hinblick auf die Qualität deutschsprachiger Weihnachts- und allgemein Kirchenlieddichtung so einiges zu verdanken haben - und dabei habe ich das von Dr. Luther höchstselbst verfasste "Vom Himmel hoch, da komm' ich her" noch nicht einmal erwähnt! Davon mal ganz abgesehen finde ich es aber höchst bemerkenswert, dass viele der oben genannten Lieder auch jenseits ihrer Verwendung in evangelischen und katholischen Gottesdiensten im deutschsprachigen Raum weit verbreitet und ungebrochen populär sind. Meine Mutter besitzt, wenn ich mich nicht irre, noch heute eine Musikkassette aus dem Jahr 1983 mit dem Titel "Die schönsten Lieder der Weihnachtszeit", auf der diverse Schlager-, Volksmusik- und Operettenstars traditionelles Weihnachtsliedgut interpretieren: Da singt z.B. Michael Schanze "Kommet, ihr Hirten", René Kollo "O du fröhliche", Anneliese Rothenberger "Stille Nacht, heilige Nacht" und Julia Migenes sogar "Es ist ein Ros entsprungen"; die Regensburger Domspatzen steuern "Vom Himmel hoch, da komm ich her" bei und die Westfälischen Nachtigallen "Ihr Kinderlein kommet", endlich mal wieder ein katholisches Original aus der Feder von Christoph von Schmid (1768-1854). Ich möchte behaupten, dass man viele dieser Lieder auch heute noch in Fernsehshows und auf ganz unkirchlichen, kommerziellen Weihnachtsmärkten hören kann. Man vergleiche dies einmal mit den Texten der populärsten Weihnachtslieder des angloamerikanischen Raums - Liedern wie "Jingle Bells", "White Christmas", "Let it Snow", "Winter Wonderland", "Rudolf the Red-nosed Reindeer", "Santa Claus is Coming to Town", "Deck the Halls with Boughs of Holly" oder "The Christmas Song (Chestnuts Roasting on an Open Fire)". Da findet man so gar nichts von christlicher Weihnachtsbotschaft - es sind entweder einfach Winterlieder, die Schnee und Kälte besingen, oder sie drehen sich um den Weihnachtsmann und seine Helferlein oder allgemein um weihnachtliches Brauchtum, das aber seinerseits keinerlei christlichen Gehalt zu erkennen gibt. Hier zeigt sich eine fortgeschrittene Säkularisierung, Entchristlichung des Weihnachtsfests, die, wie Molly Hemingway unlängst im Federalist ausführte, bemerkenswerterweise ausgerechnet in God's Own Country schon sehr früh und nachdrücklich einsetzte. Verglichen damit ist im deutschen Sprachraum die christliche Bedeutung des Weihnachtsfests schon allein durch populäres Liedgut wie das oben aufgeführte noch immer ausgesprochen präsent.

Zweifellos gibt es auch bei uns Weihnachtslieder, deren Texte lediglich winterliche Stimmungsbilder malen. Zum Teil handelt es sich dabei allerdings um Umdichtungen ursprünglich christlich geprägter Liedtexte, wobei diese Umdichtungen nicht selten aus der NS-Zeit stammen (so z.B. im Falle von "Es ist für uns eine Zeit angekommen" - ursprünglich ein schweizerisches Sternsingerlied). Und natürlich gibt es auch hierzulande rein "brauchtümliche" Weihnachtslieder - ein besonders bekanntes Beispiel dürfte "O Tannenbaum" sein. Und auch solche Weihnachtslieder, bei denen das Beschenktwerden im Mittelpunkt steht, brauchten die Deutschen nicht erst von den Amerikanern zu lernen: "Morgen, Kinder, wird's was geben" etwa entstand schon im 18. Jahrhundert,  Hoffmann von Fallerslebens "Morgen kommt der Weihnachtsmann" stammt von 1835, "Eine Muh, eine Mäh, eine Täterätätä" von Wilhelm Lindemann wurde erstmals 1912 veröffentlicht. Trotzdem haben sich Weihnachtslieder mit explizit christlichem Inhalt hierzulande bis heute ausgesprochen gut gehalten. Und dann gibt es auch noch, so zu sagen, Zwischenformen. Also solche Weihnachtslieder, in denen zwar die Ankunft des "Christkinds" besungen wird, aus deren Text aber nicht recht deutlich wird, ob damit Jesus Christus, der Sohn Gottes, gemeint ist oder nur eine niedliche Geschenkebringerfigur. Hier wären etwa "Alle Jahre wieder", "Süßer die Glocken nie klingen" oder auch "Leise rieselt der Schnee" zu nennen. Zu erahnen ist ein Zusammenhang mit der christlichen Heilsbotschaft in diesen Liedern sehr wohl noch - da singen "Engelein [...] Lieder von Friede und Freud", das Christuskind bringt "Segen [...] in jedes Haus", und es heißt von ihm, "dass es treu mich leite an der Liebe Hand". Man kann aber wohl behaupten, dass diese Hinweise so marginal sind, dass man ihren christlichen Gehalt nur erkennt, wenn man um ihn weiß. Das vielleicht interessanteste dieser "Christuskindelein"-Lieder scheint mir "Kling, Glöckchen, klingelingeling" (ursprünglich "Christkindchens Einlass" betitelt) zu sein. Bei den Versen "Lasst mich ein, ihr Kinder / Ist so kalt der Winter" mag man vor dem Hintergrund des oben verlinkten Lutheran Satire-Videos an ein niedliches frierendes Entchen denken, aber die dritte Strophe wird deutlicher:

"Hell erglühn die Kerzen,
öffnet mir die Herzen!
Will drin wohnen fröhlich,
frommes Kind, wie selig." 

Bei aller - natürlicherweise beabsichtigten - Kindlichkeit der Formulierungen: Die Aufforderung, Christus die Herzen zu öffnen, ist nun wirklich christliche Weihnachtsbotschaft at its best

Abschließend, und auch um einen Bogen zurück zum Anfang dieses Artikels zu schlagen, kann ich es mir nun aber nicht verkneifen, noch darauf hinzuweisen, wer die in diesen Liedern, noch mehr aber in Gedichten wie dem jeglichen Bezugs zur christlichen Heilsbotschaft entkleideten "Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen" zu beobachtende Verniedlichung des "Christkinds" zum märchenhaften Geschenkebringer in der Weihnachtsnacht ursprünglich angestoßen hat: "Mit hoher Wahrscheinlichkeit" - so Tante Wiki - war dies nämlich kein Geringerer als Martin Luther... 


2 Kommentare:

  1. Ergänzend noch zwei Lieder aus meiner Rubrik "kein Weihnachtslied", die beide immer und immer mit Weihnachten in Verbindung gebracht werden.
    Das eine ist etwas aus der Mode gekommen; es steht im Ruf, eine unerträgliche Weihnachtsschnulze zu sein, weil mehrere unerträgliche Schnulzensänger es dazu gemacht haben. Dabei ist es - richtig, unverkitscht, ohne Ritardando an einer leeren Wiege gesungen - ein ergreifendes Kindertotenlied.
    Ein anderes hat zum Inhalt: Spaß, Unfall mit Fahrerflucht, Schadenfreude. Es ist wohl das im Advent am häufigsten gedudelte Lied.

    AntwortenLöschen
  2. Im Gotteslob steht übrigens ganz richtig:

    Wir wärn all verdorben,
    Per nostra crimina,
    So hat er uns erworben
    Coelorum gaudia.

    Dann reimt es sich nämlich.

    AntwortenLöschen