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Samstag, 8. August 2015

Gras und Ufer

Eigentlich war es seit Wochen geplant, dass ich an diesem Samstag mit meiner Liebsten erneut zu einem "Straßenfest-Crawl" aufbrechen wollte, mit einem noch umfangreicheren Programm als beim letzten mal und vor allem besser geplant. Leider hatte meine Liebste in der Zwischenzeit einen Fahrradunfall und liegt mit einem Bänderriss flach. Keine Sorge, es geht ihr relativ gut, aber das Bett hüten muss sie vorläufig noch. Nun macht so ein Straßenfest-Crawl alleine natürlich nicht mal halb so viel Spaß, und außerdem war es viel zu heiß für ein anspruchsvolles Tagespensum, das viel "Draußen-Rumlaufen" beinhaltet. Eine Veranstaltung wollte ich mir jedoch - in Hinblick auf den Stoff zum Bloggen, den sie versprach - auf keinen Fall entgehen lassen;wobei man "Stoff" in diesem Fall sogar halbwegs wörtlich verstehen kann. Es handelte sich um die Hanfparade


Diese Demonstration für die Legalisierung von Cannabis "als Rohstoff, Medizin und Genussmittel" begann um 13 Uhr auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs - eine sehr günstige Location, denn da waren sowieso jede Menge Leute. Es dürfte schwer werden, im Nachhinein zu beziffern, wie viele Teilnehmer die Kundgebung tatsächlich hatte - also, wie der Anwesenden tatsächlich zum Demonstrieren da waren und wie viele eher zu den Kategorien "Schaulustige" und "zufällige Passanten" zu zählen waren. Ich selbst war eigentlich nur da, um Fotos zu machen. Die Legalisierung von Cannabis gehört nicht zu den Anliegen, für oder gegen die ich auf die Straße gehen würde. Ich bin da eher leidenschaftslos. 

"Bist du wenigstens dafür, oder kommt das auf so'ne Hetzseite?" - Urteile selbst, lieber Leser! 
Cannabis Sünde sein? 
Pippi Langstrumpf brauchte früher keine Drogen, um die Welt kunterbunt zu sehen.
Morgens ein Joint, und der Tag ist dein Freund. 
Dass, wie man häufig hört, die Suchtgefahr und die sonstigen Gesundheitsrisiken des Konsums von Cannabis als Droge nicht größer, ja eher geringer seien als beim sowohl legalen als auch gesellschaftlich akzeptierten Alkohol, mag durchaus stimmen; ich habe zwar (aufgrund von Beobachtungen in meinem erweiterten Bekanntenkreis wie auch darüber hinaus) zuweilen den Verdacht, dass häufiges Kiffen irgendwie bräsig im Kopf macht (mehr dazu weiter unten), aber Bräsigkeit ist ja kein Verbrechen. Und natürlich gibt es zahlreiche Argumente für eine Legalisierung, die man mehr oder weniger überzeugend finden kann. 

Die Linke betont den Nutzen von Cannabis als Medizin. 
Die Grünen hingegen wollen einfach nur kiffen. 
Für DIE PARTEI gilt wie stets: Humor ist Glückssache. 
Meine besonderen Freunde, die Piraten, spielen mit diesem Plakatmotiv auf eine Razzia in einem Parteibüro in Chemnitz vor ein paar Monaten an. Anlass für die Razzia war der Besitz von Hanfsamen. war aber nur Vogelfutter. Mit Blick auf den letzten Absatz dieses Artikels finde ich allerdings, der Slogan passt auch sonst ganz gut zu den Piraten. 
Kein Foto habe ich von den Jungen Liberalen gemacht, die auch da waren und z.B. ein Plakat mit der Aufschrift "Macht den Dealer arbeitslos" zeigten. Na, wie dem auch sei. Um mehr oder weniger überzeugende Argumente für oder gegen die Legalisierung von Cannabis soll es in diesem Blogbeitrag aber gar nicht in erster Linie gehen (ich bitte daher darum, auch den Kommentarbereich nicht mit solchen Argumenten oder deren Widerlegung vollzuspammen). Ich habe auch den Eindruck, dass es den meisten (oder sagen wir vorsichtiger: vielen) Teilnehmern der Demo ebenfalls nicht um Argumente geht. Schon gar nicht um den therapeutischen Nutzen von Cannabis oder um die vielfältige Verwendbarkeit von Hanf als Nutzpflanze. Sondern einfach darum, unbehelligt ein Tütchen (oder mehrere, oder gleich eine Riesen-Bong) durchziehen zu können. Nun mag das ein verständliches, womöglich sogar (siehe oben) legitimes Anliegen sein - aber ein bisschen peinlich finde ich das schon, sich wer weiß wie rebellisch sex-and-drugs-and-rock'n'rollig zu gebärden und dann 'rumzuheulen, dass das Zeug nicht legal ist. Ich dachte, das ist gerade das Coole daran?! Okay, aber so etwas kennt man aus der autonomen Szene: gegen den Staat sein, aber trotzdem mehr Sozialleistungen fordern. 

(Man könnte natürlich auf die Idee kommen, es sei prima für die Drogenprävention, wenn das Kiffen infolge der Legalisierung den Nimbus des Rebellentums verlöre und uncool würde. Den Stand der CDU/CSU auf der Hanfparade muss ich wohl übersehen haben.) 

Aber auch darum geht es mir nicht in erster Linie. Sondern, man ahnt es bereits: um die eingangs gezeigte Kreuztragungs-Szene. Hier noch einmal aus einer anderen Perspektive: 


Irgendwie hatte ich ja geahnt, dass es dergleichen auf der Hanfparade zu sehen geben würde. Ich hatte durchaus auch damit gerechnet, ein flyerverteilendes Grüppchen mit einem Namen wie "Kiffen für Christus" dort anzutreffen. Bei der oben gezeigten Gruppe kann man zwar davon ausgehen, dass sie die christliche Ikonographie eher zum Zwecke der Provokation aufgreifen - aber man kann nie wissen. Gibt man "Kiffen für Christus" spaßeshalber mal bei Google ein, dann findet man so allerlei. Zum Beispiel eine Diskussion zum Thema "Bibel und Cannabis" im "Jesus-Forum" der Seite bibel.com - mit einer bunten Auswahl verschiedener Meinungen, von denen die meisten in etwa so bekloppt sind, wie man sich das vorstellt. Oder einen Artikel auf n24.de über zwei Evangelikale, die im kalifornischen Sacramento (ausgerechnet!) einen Laden für Cannabis-Produkte betreiben und davon überzeugt sind, damit Gottes Willen zu tun - unter der kongenialen Überschrift "Christlich bekifft: Gläubige betreiben Cannabis-Laden". Besonders präsent ist im Netz jedoch die These eines gewissen Chris Bennet, Jesus Christus habe Wunderheilungen mit Hilfe von Cannabis vollbracht, und in der Folge hätten dann eben auch die frühen Christen fröhlich Cannabis konsumiert. Konkret gesagt hätten sie ein Salböl - nach welchem Christus (= "der Gesalbte") und somit auch die Christen schließlich benannt seien - ein Salböl verwendet, das große Mengen einer Substanz namens Keneh-Bosum enthielt - und dieses Keneh-Bosum, das auch in der "Herstellungslanleitung" für das heilige Salböl in Exodus 30,22-25 erwähnt wird, soll ein Cannabis-Extrakt gewesen sein. Anno 2003 berichteten u.a. der Spiegel und die ZEIT über diese Hypothese, die seither fröhlich durch allerlei Kiffer-Blogs, -Foren und ähnliche Seiten geistert. Einen in seiner - nun ja: Bekifftheit wahrlich exemplarischen Text zu diesem Thema fand ich auf einer Seite, die den Vertrauen erweckenden Namen "Ehrliche Informationen über Haschisch und Marihuana" trägt. Der Text geht schon sehr gut los: 
"Nach meiner Rückkehr aus dem Ashram" - 
Okay, keine weiteren Fragen, Euer Ehren. Oder doch? 
"stieß ich auf einen Artikel im Spiegel [...]. Jesus und seine Jünger waren alle bekifft? Jesu Gang übers Wasser war nur eine Halluzination? – Wie dem auch sei, ich persönlich glaube daran." 
Damit ist dann ja alles klar, oder? Nein, es kommt noch besser: 
"Es kommt nicht darauf an, was Jesus Christus (oder andere Religionsführer) tatsächlich gemacht haben."
Ach so! 
"Sondern darauf, welche Bedeutung es für ihre Gefolgsleute hatte. Ob die Menschen einen Sinn darin sahen. Eine Erleuchtung. Eine Erlösung. Danach suchen alle spirituellen Menschen – egal ob Christen, Hindus oder Moslems."
Halten wir fest: Was Jesus Christus "tatsächlich gemacht hat", spielt keine Rolle. Was er gelehrt hat, spielt keine Rolle. Ob das, woran jemand glaubt, auf Wahrheit beruht (Was ist Wahrheit? Pilatus wollte es wissen, aber der war vermutlich kein Kiffer, sonst hätte er das lockerer gesehen), spielt keine Rolle. Entscheidend ist nur dieses Gefühl von Erleuchtung. Und das kriegt man mit Drogen anscheinend allemal am besten hin: 
"Kein Wunder, dass in allen Religionen Rauschmittel benutzt wurden und werden. Und oft ist das Marihuana. Es kann die Gläubigen in eine Art Trance-Zustand versetzen, der einem hilft, seine spirituelle Seite auszuleben. Im Ashram haben wir das fast täglich gemacht." 
Es geht doch nichts über die Beweiskraft eigener Erfahrung. Auch wenn es bei dieser Erfahrung um etwas völlig Anderes geht. Man muss nur so tun, als wäre das im Grunde gar nichts Anderes. Geht ja alles irgendwie um Spiritualität - wen kümmern die Details? 
"Warum weiß das heute keiner mehr?
Bei meiner Recherche habe ich einen interessanten Hinweis gefunden: Zur Zeit Martin Luthers war Cannabis oder jegliches andere Rauschmittel verpönt. Luther hat ja als erster die Bibel ins Deutsche übersetzt. In seiner Übertragung kommt kein einziges Mal das Wort 'Hanf' vor." 
Schweinerei! 
"Eins muss ich euch sagen: Ich wäre nie ein ganzes Jahr im Ashram geblieben, wenn es kein Marihuana gegeben hätte. Ich hatte auch meinem Guru nicht ein ganzes Jahr lang zugehört!"
Wäre vielleicht besser gewesen. 
"Schließlich war er ein uralter Mann und hatte Haare in der Nase und in den Ohren. So etwas macht man nur, wenn man berauscht ist…. Ich denke, das Maria Magdalena und die anderen Frauen der Bibel gekifft haben. Wären sie sonst jahrelang mit Jesus durch die Wüste gezogen? Arm und hungernd, mit schlechten Kleidern? Nur [!] weil er Gottes Sohn war? Nein, um einen spirituellen Trance-Zustand zu erreichen, braucht es mehr als einen festen Glauben. Die These, dass Jesus Christus und seine Jünger und Jüngerinnen ständig high waren, ergibt für mich Sinn." 
Na klar, das glaube ich sogar. Frei nach dem Apostel Paulus: Dem Bekifften ist alles bekifft. So viel zur oben angesprochenen Bräsigkeit. Mich beschleicht allerdings zuweilen der Eindruck, so eine erlebnisorientierte "Alles-ist-Eins"-Wellness-Spiritualität, deren inhaltliche Unschärfe aus Sicht ihrer Anhänger kein Mangel, sondern vielmehr ein Vorzug ist, kriegen eine ganze Menge Leute - ob das nun "liberale Christen", Esoterik-Anhänger oder Hobby-Synkretisten sind - auch ganz gut ohne Drogen hin. Da muss man nur mal in einen Familiengottesdienst gehen - oder auf die Facebook-Seite des Bistums Münster. 

Währenddessen, auf dem Alexanderplatz...: 



(P.S.: Ein Facebook-Freund wies mich dankenswerterweise darauf hin, dass hinter dem überdimensionalen kreuzförmigen Joint auch dies hier stecken könnte...) 

1 Kommentar:

  1. Der Ashram-Jesus-Kiffer ist so abgefahren, den halte ich nicht mal ganz kurz für eine Satire. Das kann kein jetzt lebender Satiriker.

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