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Freitag, 5. Juni 2015

"Ein Geheimnis ist kein Rätsel" - Fronleichnam im Erzbistum Berlin

Was mir kürzlich aufgefallen ist: Es scheint in Berlin Tradition zu haben, dass Fronleichnam in die Sedisvakanz des Bischöflichen bzw. Erzbischöflichen Stuhls fällt. Das war schon 1935 so, 1951, 1989 und 2011, und dieses Jahr wieder. Nun deutet aber alles darauf hin, dass die Ernennung eines neuen Erzbischofs für Berlin unmittelbar bevorsteht, also dürfen die Berliner Katholiken wohl hoffen, dass dies bis auf weiteres das letzte Hochfest war, das sie ohne einen Oberhirten feiern mussten... 

Wie ich kürzlich schon anmerkte, ist es in Berlin nicht unüblich, das Hochfest des Leibes und Blutes Christi am darauf folgenden Sonntag nachzufeiern. Wie man mir inzwischen erklärt hat, ist das nicht nur der Rücksichtnahme auf die berufstätige Bevölkerung geschuldet, für die der Fronleichnamsdonnerstag ein normaler Arbeitstag ist: Zugleich soll damit auch möglichst vielen Gläubigen, zumindest aus den Stadtberliner Pfarreien, Gelegenheit gegeben werden, an der zentralen Fronleichnamsfeier der Erzdiözese teilzunehmen, die traditionell mit einem Pontifikalamt auf dem Gendarmenmarkt beginnt und nach einer Prozession durch die Friedrichstadt mit einer Messe in der St.-Hedwigs-Kathedrale endet. Für dieses Jahr rechnete das Erzbistum nach Angaben des Tagesspiegels mit rund 3000 Teilnehmern. 

In der Pfarrei St. Antonius-St. Pius, zu der ich meinem Wohnsitz nach gehöre, wurde aber schon am Morgen bzw. Vormittag Heilige Messe gefeiert, und zwar an beiden Standorten: um 8:45 Uhr in St. Pius und um 10:15 Uhr in St. Antonius. Und da ich ja gerade Urlaub habe, ging ich da auch hin. Also zur 10:15-Uhr-Messe. Außer mir fanden sich dort noch rund 20 Senioren ein. Die Messe war ausgesprochen schlicht: Es gab keine Ministranten (wieso eigentlich nicht? Sind die nicht normalerweise im schulpflichtigen Alter und hätten, auch an öffentlichen Schulen im ach so "weltanschaulich neutralen" Berlin, an Fronleichnam schulfrei bekommen können?) und nicht einmal Lektorendienst, sodass der Pfarrer die Lesungen selbst vortrug. Immerhin wurden deutsche Nachdichtungen der Fronleichnamssequenz Lauda Sion (GL 844, nach "ortsüblicher Melodie") und des Hymnus Adoro Te devote von Thomas von Aquin (GL 497) gesungen, und Pfarrer Birkhahn predigte sehr schön über die Opferpraxis vorchristlicher Religionen und das demgegenüber revolutionär Neue des Heilsopfers Christi (Hebräer 9,12: "Christus ist [...] ein für alle mal in das heiligtum hineingegangen, nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt"), über die Überwindung der Logik des "do ut des" durch einen Bund der Liebe. Vermeldungen gab es nicht, somit auch keine Einladung zur Teilnahme an Pontifikalamt und Prozession am Abend, aber vermutlich war diese Messe ohnehin eher für die gedacht, die nicht an der Feier am Gendarmenmarkt teilnehmen wollten oder konnten. 



Ich hingegen wollte und konnte, also fand ich mich eine gute halbe Stunde vor Beginn des Pontifikalamts am Gendarmenmarkt ein, wo ich mich mit einigen Bekannten aus der Blogger- und sonstigen Dunkelkatholenszene traf. Der Platz füllte sich rasch; ich bin nicht gut darin, Menschenmengen zahlenmäßig abzuschätzen, aber ich könnte mir vorstellen, dass die angekündigte Zahl von rund 3000 Teilnehmern deutlich überschritten wurde. Es war perfektes Wetter, die Straßencafès rund um den Gendarmenmarkt waren gut besucht, man kam sich vor wie eine Touristenattraktion. 



Tatsächlich wurde den Schaulustigen so Einiges geboten; schon allein der Einzug der Ordensritter und Bannerträger war ausgesprochen eindrucksvoll. Davon abgesehen amüsierte mich auch die Vorstellung, wie es wohl auf Cafégäste oder zufällige Passanten wirken mochte, wenn sie dreitausend oder mehr Menschen im Chor das Schuldbekenntnis sprechen hörten... 

Geleitet wurde das Pontifikalamt, wie schon während der Sedisvakanz 2011, von Weihbischof Matthias Heinrich. Die musikalische Gestaltung lag in den bewährten Händen von Domkapellmeister Harald Schmitt; es sangen und spielten der Chor und das Bläserensemble der St.-Hedwigs-Kathedrale, Domorganist Thomas Sauer und der Chor "Auxilium" der polnischen Gemeinde Berlin. Der Tatsache, dass über 25% der Berliner Katholiken nichtdeutscher Herkunft sind, trug nicht allein dieser polnische Chor Rechnung, der auch einige Lieder in polnischer Sprache sang; es gab Fürbitten in verschiedenen Sprachen, die 1. Lesung wurde auf Arabisch vorgetragen, die 2. Lesung auf Tagalog (der Landessprache der Philippinen). 

In seiner Predigt stellte Weihbischof Heinrich den Begriff "Geheimnis des Glaubens" in den Mittelpunkt: An Fronleichnam werde der in der Eucharistie präsente Christus als "das wahre Lebensmittel für unsere Welt" gefeiert, "aber wenn jetzt jemand käme und fragte: Wie soll man denn das verstehen?, dann müsste ich sagen: Ich verstehe es auch nicht, aber ich glaube." Ein Geheimnis, betonte der Weihbischof, sei etwas Anderes als ein Rätsel: "Wir können es nicht mit unserem Verstand entschlüsseln. Es kann uns nur offenbart werden." Er erinnerte daran, dass, als Jesus in der Synagoge von Kafarnaum erklärte "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben", viele seiner Zuhörer Anstoß nahmen und sich von ihm abwandten: "Was er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören?" Daraufhin wandte Jesus sich an die Zwölf: "Wollt auch ihr weggehen?", worauf Simon Petrus erwiderte: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens." (Johannes 6,51-71) 
Die Frage "Wollt auch ihr weggehen?" stelle Christus auch jedem von uns, so Weihbischof Heinrich: "Und mit unserer Teilnahme an dieser Prozession geben wir auf diese Frage unsere Antwort. Wir sind hier, weil wir nicht weggehen, sondern mitgehen wollen. Deshalb ist diese Prozession keine Demonstration gegen Jemanden oder Etwas, sondern ein Glaubenszeugnis." 



Die Prozession selbst fand ich übrigens, wie schon in früheren Jahren, etwas unspektakulär. Sie geht im Grunde nur einmal um den Gendarmenmarkt herum, was bei einer so großen Teilnehmerzahl bedeutet, dass die Spitze der Prozession schon fast wieder auf dem Platz angekommen ist, wenn die Letzten sich gerade erst in Bewegung setzen. Ich frage mich, ob eine etwas weiträumigere Route nicht auch ein stärkeres Zeichen wäre. -- Immerhin, feindselige Reaktionen auf die Prozession blieben, soweit ich das überschauen konnte, aus. Wir wurden angestaunt, teilweise wohl auch belächelt; leichten Unmut konnte man lediglich bei solchen Passanten feststellen, die mit Fahrrädern die Straße überqueren wollten und von der Prozession zum Warten genötigt wurden. 



Das Schlusswort der Veranstaltung hielt Diözesanadministrator Tobias Przytarski - und erinnerte darin zunächst einmal an das Fronleichnamsfest des letzten Jahres: "Damals hat uns Kardinal Woelki versprochen, in diesem Jahr werde es zur Prozession perfektes Wetter geben. Das Versprechen wurde eingehalten - herzlichen Dank nach Köln." Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass in Przytarskis Danksagung an alle Mitwirkenden und Teilnehmer leise Kritik an der vergleichsweise schwachen Beteiligung der diözesanen Geistlichkeit anklang. "Aber umso besser ist es, dass Sie da sind", wandte er sich an die Anwesenden. Und auch auf die seit ein paar Tagen durch die Medien geisternden Gerüchte um die angeblich bevorstehende Ernennung eines neuen Erzbischofs für Berlin ging der Diözesanadministrator kurz (ja: betont kurz) ein: "Der Heilige Vater ernennt die Bischöfe. Bis dahin gibt es über einen neuen Erzbischof nichts zu vermelden." 

Meinen ursprünglichen Plan, noch um 21 Uhr die Messe in der St.-Hedwigs-Kathedrale zu besuchen, gab ich dann doch auf. Die nächsten Tage werden ja noch genug "Input" bringen... 

Weitere Berichte und Fotos: 

"Fronleichnam auf dem Gendarmenmarkt" (in: Mein Leben als Rezitatorin und Dichterin) 
"Und so war es dann wirklich" (in: JoBo72's Weblog) 

2 Kommentare:

  1. Diese 21-Uhr-Messe würde ich mir wegen ihrer lieblosen Gestaltung nicht geben. Mir sind da einmal beinahe die Tränen gekommen.

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  2. Können Schüler in Berlin nicht für Feiertage ihrer Religion frei bekommen? Bei uns (Bayern) ist das kein Ding - Zuckerfest, jüdische Feiertage, Buß- und Bettag - ein paar von denen sind automatisch frei für die betreffende Religion, bei ein paar muss man wohl ein Schreiben der Eltern bringen, aber prinzipiell ist schon vorgesehen, dass die Schüler die Feiertage ihrer Religion "mitnehmen".

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