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Freitag, 8. April 2016

Skandal in Mississippi

Ach, der SPIEGEL. Nachdem Deutschlands meistes Nachrichtenmagazin pünktlich zu Ostern mal wieder daran erinnert hat, wie gefährlich Religionen sind (und zwar, wenn man dem knalligen Titelbild glauben darf, ganz besonders die christliche Religion), wartete das Blatt jüngst mit einer Meldung auf, deren schockierende Überschrift lautete: 


Im Teaser-Absatz las man: "Der Gouverneur des US-Bundesstaates Mississippi hat ein Gesetz unterzeichnet, das die Rechte Homosexueller massiv einschränkt." -- Echt jetzt? Kann ich mir irgendwie gar nicht vorstellen. Nun habe ich es mir allerdings seit einiger Zeit zur Gewohnheit gemacht, deutschen Medienerzeugnissen, wenn es um Nachrichten aus dem USA geht, prinzipiell kein Wort zu glauben -- jedenfalls nicht, ehe ich die Angaben mit Quellen von jenseits des Atlantik abgeglichen habe. Fragen wir also Onkel Google: 
-- Ups. Dann also doch lieber zurück zum SPIEGEL. "Phil Bryant, republikanischer Gouverneur von Mississippi, hat seine Unterschrift unter ein Dokument gesetzt, dass von vielen als pure Diskriminierung angesehen wird", weiß das Nachrichtenmagazin. Es handelt sich um die House Bill 1523, ein von beiden Kammern des Kongresses von Mississippi verabschiedetes und nun eben vom Gouverneur unterzeichnetes Gesetz mit dem Titel "Religious Liberty Accommodations Act" (etwa: "Gesetz zum Schutz der Religionsfreiheit"). Der Titel wird im SPIEGEL-Artikel übrigens nicht genannt. Laut letzterem geht es in dem Gesetz nämlich nicht um Religionsfreiheit, sondern vielmehr um "weitreichende Einschränkungen für Homosexuelle im Süden der USA". 

-- "Süden der USA" - klingelt's? Rassentrennung und so? Gerade Mississippi galt ja lange Zeit als der rassistischste aller US-Bundesstaaten. Dürfen künftig Homosexuelle in Mississippi nicht mehr aus denselben Wasserhähnen trinken wie Heterosexuelle? Könnte man denken. Auch auf der US-amerikanischen (und für dortige Verhältnisse ausgesprochen "linken") Nachrichten-Website Slate zog der Journalist Mark Joseph Stern eine derartige Parallele und bezeichnete die House Bill 1523 als "LGBTQ segregation bill"; er äußerte, das Gesetz sei "essentially an attempt to legalize segregation between LGBTQ people and the rest of society" ("im Wesentlichen ein Versuch, eine Trennung zwischen LGBTQ-Personen und dem Rest der Gesellschaft zu legalisieren") - was David Harsanyi im Federalist als "gross overstatement" ("krasse Übertreibung") bezeichnete. Doch dazu später. Was sagt denn nun der SPIEGEL konkret zum Inhalt des Gesetzes?
"Künftig dürfen private Geschäftsleute, Staatsbedienstete, Kirchen oder Wohltätigkeitsorganisationen Menschen ihre Dienste verwehren - wenn sie aus religiösen Gründen Probleme mit deren Lebensstil haben. Das ist jetzt amtlich." 
Das klingt in der Tat dramatisch. Und es wirft Fragen auf. Private, staatliche und kirchliche Einrichtungen dürfen Menschen, mit deren "Lebensstil" sie nicht einverstanden sind, "Dienste verwehren"? Welche Dienste? Etwa alle? Muss man sich demnach darauf einstellen, dass sich diverse Dienstleister im Staate Mississippi Schilder ins Fenster hängen, auf denen steht "Schwule werden hier nicht bedient"? Dann wäre der Vergleich mit der "im Süden der USA" einstmals praktizierten Rassentrennung in der Tat nicht weit hergeholt. Und das sollte, dem vom SPIEGEL verschwiegenen Titel des Gesetzes zufolge, mit Religionsfreiheit gerechtfertigt werden?

Nun, zum Glück gibt es ja dieses tolle Ding namens Informationsfreiheit, und somit kann man mit minimalem Rechercheaufwand den genauen Wortlaut des umstrittenen Gesetzes online finden. Nämlich hier. Was also steht nun wirklich drin in der House Bill 1523?

Zunächst: Ziel und Zweck des Gesetzes werden in der nun von Gouverneur Phil Bryant unterzeichneten Urkunde dahingehend definiert, Einzelpersonen, religiöse Organisationen und private Vereinigungen davor zu schützen, seitens des Staates aufgrund ihrer religiösen oder moralischen Überzeugungen diskriminiert bzw. bestraft zu werden. Laut Section 2 des Gesetzestexts betrifft dies konkret die Überzeugungen, dass 
  • Ehe als Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau definiert ist bzw. sein sollte,
  • sexuelle Beziehungen ihren legitimen Platz in einer so verstandenen Ehe haben und 
  • dass die Begriffe "männlich"/"Mann" und "weiblich"/"Frau" sich auf das unveränderliche biologische Geschlecht bezieht, wie es zum Zeitpunkt der Geburt anatomisch und genetisch objektiv festgelegt ist. 
Wohlgemerkt, und ehe hier ein Sturm der Entrüstung ausbricht: Das Gesetz behauptet nicht, dass diese Überzeugungen richtig wären. Es erkennt lediglich an, dass es Personen (und ganze Religionsgemeinschaften) gibt, die diese Überzeugungen haben, und gesteht diesen das Recht zu, gemäß dieser Überzeugungen zu handeln. Innerhalb gewisser Grenzen jedenfalls - und diese Grenzen definiert das Gesetz ziemlich gründlich. 

Ich denke, es ist nicht nötig, dass ich hier den gesamten Gesetzestext paraphrasiere - wer es ganz genau wissen will, kann den Originalwortlaut ja selbst nachlesen -, aber ein paar Beispiele mögen einen Eindruck davon vermitteln, in welche Richtung das Ganze geht. Subsection 3,1a des Gesetzes verbietet staatliche Sanktionen gegen religiöse Organisationen, die es aufgrund der oben genannten Überzeugungen ablehnen, bestimmte Paare zu trauen oder Dienstleistungen, Räumlichkeiten etc. für Hochzeitsfeiern zur Verfügung zu stellen. Nun weiß ich ja nicht, wie es den religiös Ungebundenen unter meinen Lesern damit geht, aber ich würde behaupten, das ist nicht mehr als recht und billig. Es wäre doch bizarr, wenn beispielsweise eine katholische, griechisch-orthodoxe oder altlutheranische Kirchengemeinde vom Staat dazu gezwungen werden könnte, eine Trauung zu vollziehen, die der in ihrer Glaubenslehre verankerten Auffassung von  Ehe diametral zuwiderläuft - oder auch nur, wenn sie gezwungen werden könnte, der Hochzeitsgesellschaft einen Saal zu vermieten. Subsection 3,1b und c sichern religiösen Organisationen das Recht zu, Entscheidungen z.B. über die Einstellung oder Entlassung von Mitarbeitern oder über Verkauf, Vermietung oder Verpachtung von ihnen gehörigen Immobilien bzw. Räumlichkeiten von der Übereinstimmung der Beschäftigten, Mieter etc. mit ihren religiösen und moralischen Überzeugungen abhängig machen. Nun, sagen wir mal so: Wer eine Polyamoristen-WG aufmachen will, sollte sich dazu vielleicht nicht unbedingt ausgerechnet die Kirche als Vermieter aussuchen. Was die Einstellung oder Entlassung von Mitarbeitern angeht, mag sich der aufmerksame Beobachter an Debatten über das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland erinnert fühlen - und wird feststellen können, dass Subsection 3,1b der mississippianischen House Bill 1523 nicht gar so weit entfernt ist von der diesbezüglichen Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Skandalös? - Die Einen sagen so, die Anderen so

Ab Subsection 3,3 des umstrittenen Gesetzes geht es dann nicht mehr um religiöse Organisationen, sondern um Privatpersonen. Der besagte Abschnitt legt fest, dass Adoptiv- und Pflegeeltern die ihnen anvertrauten Kindern im Einklang mit ihren religiösen und moralischen Überzeugungen erziehen dürfen. Dass das manch Einem nicht passt, kann ich mir schon vorstellen. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis dies auch hierzulande zu einer strittigen und umkämpften Frage wird. -- Subsection 3,4 verbietet Zwangsmaßnahmen gegen Personen, die sich aufgrund der oben genannten Überzeugungen weigern, an medizinischen Maßnahmen im Zusammenhang mit oder mit dem Ziel einer Geschlechtsumwandlung mitzuwirken. Es wird jedoch explizit klargestellt, dass aus dieser Passage des Gesetzes keine Rechtfertigung dafür abzuleiten sei, einer Person eine notwendige medizinische Behandlung zu verweigern. 

Besonders spannend, weil quasi maßgeschneidert für Fälle, über die es in jüngster Zeit in den USA allerlei heftige Kontroversen gab, sind die Abschnitte 3,5 und 3,8. In Subsection 3,5 geht es um Dienstleistungen für Hochzeitsfeiern - explizit genannt werden z.B. Fotografie, Discjockey-Dienste, die Herstellung bzw. Lieferung von Blumenschmuck, Kleidern und Backwaren, Limousinenservice und die Vermietung von Räumlichkeiten. Das Gesetz legt fest, dass niemand gezwungen werden darf, solche und ähnliche Dienste für Hochzeiten zur Verfügung zu stellen, die er aus religiöser Überzeugung ablehnt. Man könnte meinen, unabhängig von den Gründen für die Ablehnung wäre es einfach eine Angelegenheit der unternehmerischen Freiheit, wenn ein Bäcker oder Florist einen Auftrag ablehnt. Tatsächlich gab es in den letzten Jahren aber einige Fälle, in denen in verschiedenen US-Bundesstaaten massive Strafen wegen solcher Weigerungen verhängt wurden. Zum Teil wurden die betroffenen Dienstleister dadurch zur Geschäftsaufgabe gezwungen. Ist das verhältnismäßig? Wo das jeweils betroffene Braut- oder Bräutigamspaar doch auch einfach zu einem anderen Bäcker hätte gehen können, um seine Hochzeitstorte zu bekommen? Die Meinungen sind geteilt.

Subsection 3,8 betrifft die Ausstellung von Heiratsurkunden durch Staatsbedienstete. Erinnert sich noch jemand an den Fall Kim Davis? Die Standesbeamte des Rowan County im Bundesstaat Kentucky saß eine Woche in Beugehaft, weil sie sich weigerte, Heiratsurkunden für gleichgeschlechtliche Paare mit ihrem Namen zu unterzeichnen. In Mississippi sollen derartige Konfliktfälle zukünftig ausgeschlossen werden: Dem neuen Gesetz zufolge haben Staatsbedienstete das Recht, aus Gewissensgründen den Vollzug oder die Beurkundung von Eheschließungen zu verweigern - allerdings nur unter der Voraussetzung, dass legale Eheschließungen dadurch nicht behindert oder verzögert werden. Simpel gesagt: Wenn ein Standesbeamter sich weigert, ein gleichgeschlechtliches Paar zu trauen oder die Ehe zu beurkunden, dann muss es ein anderer tun.

Werfen wir an dieser Stelle einen Blick auf den größeren Kontext. Mit seiner Entscheidung im Fall Obergefell vs. Hodges vom 26.06.2015 hat der Oberste Gerichtshof der USA bundesstaatliche Gesetze, die gleichgeschlechtliche Paare von der Ehe ausschließen, für ungültig erklärt. Daraus folgt, dass jeder US-Bundesstaat es gleichgeschlechtlichen Paaren erlauben und ermöglichen muss, zu heiraten. Die Entscheidung wurde mit denkbar knapper Mehrheit gefällt, und selbstverständlich sind auch außerhalb des Richtergremiums längst nicht alle US-Amerikaner damit einverstanden. Es gibt zum Beispiel ganze Religionsgemeinschaften, die daran festhalten, dass eine Ehe nur zwischen genau einem Mann und genau einer Frau möglich sei. Nun ist es freilich ein Charakteristikum von Recht und Gesetz, dass sich auch diejenigen daran halten müssen, die damit nicht einverstanden sind. Somit hat kein Standesbeamter, kein Bäcker und kein Florist in den USA das Recht, ein gleichgeschlechtliches Paar am Heiraten zu hindern; ob er aber gegen seine Überzeugung aktiv daran mitwirken muss, ist eine andere Frage. Der Staat Mississippi hat entschieden, die Gewissensfreiheit derjenigen seiner Bürger, die dies nicht wollen, zu schützen. Und deshalb die ganze Aufregung? Eine Einschränkung der Rechte Homosexueller kann ich in diesem Gesetz nirgends entdecken. Mit einzelnen - oder allen - Bestimmungen des Gesetzes nicht einverstanden zu sein, Kritik daran zu üben, ist in einer Demokratie selbstverständlich legitim. Aber haben wir nicht gerade festgestellt, dass sich an Recht und Gesetz auch jene zu halten haben, die damit nicht einverstanden sind?

Ich komme darauf noch zurück; allerdings muss ich zuvor noch auf Subsection 3,6 eingehen, die ich vorläufig übersprungen hatte. An dieser Stelle des Gesetzestextes bin ich nämlich beim ersten Lesen erst mal leicht zusammengezuckt. Der betreffende Abschnitt behandelt das Recht von Personen, "geschlechtsspezifische Standards oder Regeln bezüglich der Kleidung und Körperpflege von Angestellten oder Schülern" oder bezüglich des Zugangs zu Toiletten, Waschräumen, Duschen, Umkleideräumen usw. aufzustellen. Hier, und nur hier, schien mir die doch sehr allgemein gehaltene Formulierung des Gesetzestexts allerlei Willkür zuzulassen - wobei: Ich hatte auch schon mal einen Job, in dem alle männlichen Mitarbeiter Krawatten tragen mussten, und obwohl ich es gehasst habe, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, es wäre Sache des Staates, dagegen vorzugehen. Viel interessanter als der Punkt mit den geschlechtsspezifischen Kleidungsvorschriften ist ja ohnehin der mit den Toiletten und Waschräumen. "If we believe government should micromanage which boys or girls can use the bathroom, then what doesn’t government have a right to micromanage?", fragt David Harsanyi in seinem bereits zitierten Artikel im Federalist; das übersetze ich mal nicht, weil mir partout kein geeignetes Äquivalent für den schönen Begriff to micromanage einfällt. Aber wie man sich denken kann, steckt hinter dieser Passage des Gesetzes mehr, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Tatsächlich tobt in den USA schon seit einiger Zeit eine heftige Debatte über Transgender Bathroom Rights. Die Frage lautet: Soll eine Transgender-Person das Recht haben, die Toilette zu benutzen, die seinem/ihren momentanen geschlechtlichen Selbstbild entspricht, oder soll er/sie die Toilette benutzen müssen, die seinem/ihren angeborenen biologischen Geschlecht zugeordnet ist? Unlängst hat sich sogar Präsident Obama in die Debatte eingeschaltet und sich auf die Seite derer gestellt, die freie Toilettenwahl für Transgender-Personen fordern. Einzelne Bundesstaaten haben bereits entsprechende Regularien erlassen; konservative Kritiker warnen hingegen vor Missbrauchsgefahr. Wer das ganze Thema für eher skurril hält, der sei darauf hingewiesen, dass die Debatte neuerdings auch schon in Deutschland angekommen ist. Der Staat Mississippi hat derweil mit Subsection 3,6 der House Bill 1523 eine im Grunde sehr pragmatische Antwort auf die Frage gefunden, wer welche Toilette benutzen darf; sie lautet: Das soll der Besitzer der Toilette entscheiden. Man kann das Willkür nennen oder einfach Eigentumsrecht; klar dürfte sein: Ein Staat kann in seinen eigenen Einrichtungen Unisex-Toiletten einrichten, soviel er lustig ist -- private Einrichtungen wird er kaum dazu verpflichten können.

Kehren wir nach dieser notwendigen Abschweifung zurück zu der Frage: Warum löst dieses Gesetz so viel Wut und Empörung aus? David Harsanyi stellt fest, dass viele Medien in den USA den Begriff "Religionsfreiheit" in diesem und ähnlichen Zusammenhängen meist nur in Anführungsstrichen verwenden, und folgert: "Der Großteil der Medien will nicht anerkennen, dass Amerikaner, die sich weigern, an schwulen Hochzeiten mitzuwirken, dafür ernsthafte Glaubens- und Gewissensgründe haben könnten. Für sie gibt es da nur Hass." Die Öffentlichkeit, so Harsanyi weiter, werde über das Wesen der Religionsfreiheit in die Irre geführt, indem die Debatte über gleichgeschlechtliche Ehen "als Kampf zwischen weltoffenen, nach bürgerlichen Rechten strebenden Schwulen und einem Haufen bigotter Hinterwäldler, die Angst vor dem Fortschritt haben", dargestellt werde. Für eine derartige Schwarzweißmalerei ist es natürlich hilfreich, die Positionen der Gegenseite krass zu überzeichnen und so zu tun, als erlaube es die House Bill 1523 den örtlichen religiösen Fanatikern, homosexuelle Mitbürger auf dem Marktplatz zusammenzutreiben und auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Differenzierungen der Art, dass eine Auffassung von Ehe, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften per definitionem ausschließt, nicht gleichbedeutend mit "Hass gegen Homosexuelle" sei, sind unerwünscht. So herrscht in der öffentlichen Debatte - und beileibe nicht nur in den USA - vielfach die Tendenz vor, religiös begründete Vorbehalte gegen die Ausweitung des Ehebegriffs auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften rundheraus für illegitim zu erklären. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung - besonders wenn man bedenkt, dass das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit geradezu zu den Gründungsprinzipien der USA zählt (und übrigens auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Artikel 18, garantiert wird).

Betonen wir noch einmal, dass es in der House Bill 1523 nicht darum geht, homo- oder transsexuellen Menschen irgendwelche Rechte vorzuenthalten, sondern lediglich darum, die Gewissensfreiheit derer zu schützen, die aufgrund ihrer religiösen oder moralischen Überzeugungen nicht aktiv an gleichgeschlechtlichen Eheschließungen - oder auch an Geschlechtsumwandlungen - mitwirken wollen. Wenn in diesem Zusammenhang von "Hass" die Rede ist, dann muss ich sagen, dass ich den Hass eher auf der anderen Seite der Debatte wahrnehme. Um nochmals David Harsanyi (in freier Übersetzung) zu zitieren:
"Es geht nicht um die Bürgerrechte einer Gruppe. Vielmehr handelt es sich um einen Konflikt, in dem die Interessen zweier verschiedener Gruppen einander gegenüberstehen. Und derzeit legt nur eine dieser Gruppen das Verlangen an den Tag, die andere zu etwas zu nötigen." 
Wie diese Nötigung aussehen kann, dafür gibt der ebenfalls "im Süden der USA" gelegene Bundesstaat Georgia ein illustratives Beispiel. Dort hatten die beiden Kammern des Kongresses erst kürzlich mit großer Mehrheit ein ähnliches Gesetz zur Religionsfreiheit verabschiedet; allerdings war die House Bill 757 aus Georgia erheblich weniger weitreichend als ihr Pendant aus Mississippi - so garantierte der Gesetzentwurf lediglich Gewissensfreiheit für religiöse Organisationen, nicht für Privatleute. Dennoch gab es auch hier massive Proteste - bis hin zu Boykottdrohungen von Großunternehmen wie Disney, Apple und TimeWarner gegen den Bundesstaat. Die National Football League (NFL) warnte, Georgia riskiere mit diesem Gesetzesvorhaben seine Bewerbung um die Ausrichtung des SuperBowl in Atlanta. Schließlich beugte sich Gouverneur Nathan Deal dem Druck und verweigerte dem Gesetz seine Unterschrift. Funktioniert so Demokratie? Ich weiß ja nicht.
 
Ehe ich meine Leser nun ihren jeweils eigenen Gedanken über diese Vorgänge überlasse, möchte ich - einfach so, ohne jeden inhaltlichen Zusammenhang - ein Zitat aus einem Roman über die Revolution von 1848/49 loswerden, auf das ich kürzlich gestoßen bin:
"Das ist also die Freiheit dieser Freiheitshelden -- Vernichtung ohne Erbarmen allen Denen, die nicht wollen und denken wie sie!" 
Das schrieb Sir John Retcliffe (alias Hermann Goedsche) im Jahre 1862. So richtig viel scheint sich seitdem nicht geändert zu haben. 



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