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Mittwoch, 25. Februar 2015

Eine Woche voller Sonntage

Die diesjährige Fastenzeit begann für mich mit einem freien Tag, den ich erst einmal zum gründlichen Ausschlafen nutzte; als spätes Frühstück nahm ich ein mit Käse und Tomatenscheiben belegtes Baguette zu mir, am späten Nachmittag bzw. frühen Abend gefolgt von einem kleinen Nudelsalat. Aber eigentlich will ich hier nicht übers Essen schreiben. Sicher, ich esse in der Fastenzeit weniger als sonst, und bestimmte Nahrungsmittel streiche ich in diesen 40 Tagen auch ganz - oder weitestgehend - von meinem Speiseplan; aber entscheidender als die Ernährungsumstellung erscheint mir in der Fastenzeit dann doch die geistige Vorbereitung auf die Passionszeit und das Osterfest, und deshalb stand es dieses Jahr ganz oben auf der Liste meiner Fastenvorsätze, dass ich das Stundengebet eifriger pflegen wollte als in den letzten Monaten - und nach Möglichkeit wollte ich auch  die Heilige Messe häufiger besuchen als sonst. Im Grunde bin ich da in der Großstadtdiaspora schließlich in einer glücklichen Lage: Mit ein bisschen umsichtiger Terminplanung sollte es in Berlin eigentlich an nahezu jedem Tag der Woche möglich sein, eine Kirche zu finden, in der man vor oder nach der Arbeit in die Messe gehen kann.



Am Aschermittwoch selbst hatte ich, wie gesagt, jede Menge Zeit und besuchte die Abendmesse in St. Antonius, wo Pfarrer Birkhahn gewohnt schnörkellos zelebrierte und gewohnt solide predigte und wo ich mir das Aschenkreuz auf die Stirn zeichnen ließ ("Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst"). Am Donnerstag begann dann meine Arbeitswoche. Ich hatte mir inzwischen einen ersten Überblick darüber verschafft, wann in den für mich einigermaßen unschwer erreichbaren katholischen Kirchen (also vorzugsweise solchen, die entweder nahe an meiner Wohnung oder nahe an meinem Arbeitsplatz liegen) Werktagsmessen stattfinden, aber auf die Idee, ich könne nach dem Besuch der Aschermittwochsmesse womöglich gleich am nächsten Tag schon wieder in die Kirche gehen, kam ich tatsächlich erst im Laufe des Nachmittags. Ich stellte fest: Wenn ich einigermaßen zeitig Feierabend bekäme, würde ich es noch zur Abendmesse in Herz Jesu schaffen. -- Mit dem zeitigen Feierabend ist es an meinem Arbeitsplatz so eine Sache. Offiziell endet die Arbeitszeit an Werktagen um 19 Uhr, aber praktisch kommt man ziemlich häufig schon erheblich früher 'raus. Ausgerechnet an diesem Donnerstag sah es danach aber ganz und gar nicht aus, denn nach einem insgesamt eher ruhig verlaufenen Tag wurde es ausgerechnet gegen 18 Uhr noch einmal sehr betriebsam. Ich war also schon mehr oder weniger dabei, mich damit abzufinden, dass ich es wohl doch nicht mehr in die Abendmesse schaffen würde - da sagte die Personalchefin aus heiterem Himmel zu mir: "Du kannst ruhig schon gehen. Den Rest schaffen wir alleine."

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, schnappte mir meine Jacke und machte mich auf den Weg zur Kirche - wo ich gerade noch während des Einzugsliedes ankam. Pater Jacek Mleczko zelebrierte gemeinsam mit einigen Priestern aus Polen, die in der Gemeinde zu Besuch waren; und ich war zutiefst beeindruckt, als er in seinen Begrüßungsworten an die Gemeinde sagte:
"Dass wir heute hier sind und die Messe feiern dürfen, ist eine Gnade Gottes. Er hat uns eingeladen, und wir sind hier, weil Er uns hier haben will."
Tja, dachte ich, das habe ich wohl gerade am eigenen Leibe erfahren.

Beeindruckend war auch Pater Jaceks Predigt über die Evangeliumsworte "Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten" (Lukas 9,24). Sichtlich bewegt begann Pater Jacek seine Predigt mit der Mitteilung, er habe kurz zuvor mit einem Mann telefoniert, der erklärt habe, er wolle sich in dieser Nacht das Leben nehmen - dieses Mannes wurde dann auch in den Fürbitten gedacht. Pater Jacek fuhr fort, Menschen, denen ihr eigenes Leben nichts wert sei, könnten auch zur Gefahr für Andere werden - das zeige sich etwa im Terrorismus. "Es gibt aber auch Menschen", fuhr er fort, "die ihr Leben ganz und gar Gott zur Verfügung stellen. Auch diese Menschen sind gefährlich. Sie sind gefährlich für das Böse, denn in ihnen kann der Heilige Geist wirken."

Insgesamt war diese Abendmesse in Herz Jesu meiner Motivation, in der Fastenzeit möglichst oft in die Kirche zu gehen, ausgesprochen förderlich; am Freitag hätte es am selben Ort zur selben Zeit abermals die Möglichkeit dazu gegeben, aber diesmal musste ich wirklich bis 19 Uhr arbeiten. War aber gar nicht schlimm, denn in der St.-Johannes-Basilika am Südstern gab es eine Abendmesse um 19:30 Uhr, also ging ich dort hin. Vor der Messe hatte es in einer kleinen Seitenkapelle der großen, prächtigen Basilika eine Kreuzwegandacht gegeben, und die Messe - an der nur rund zehn Gläubige, überwiegend Seniorinnen, teilnahmen - fand nun auch in dieser Kapelle statt. Interessant daran war, dass die Kapelle keinen Volksaltar hatte, sodass eine Zelebration versus populum praktisch ausgeschlossen war. Nun gut, ich habe ja auch schon ein paar in Messen in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus miterlebt, also ist die Zelebration versus Deum nichts, was ich noch nie gesehen hätte; aber in der ordentlichen Form war es mir eben doch neu, und der Effekt, den das auf mich hatte, war recht bemerkenswert. Ich stellte nämlich fest, dass ich es ausgesprochen einleuchtend fand, wenn der Priester sich immer dann der Gemeinde zuwendet, wenn er tatsächlich die Gemeinde anspricht - und dass er dann, wenn er zusammen mit der Gemeinde oder auch stellvertretend für die Gemeinde zu Gott spricht, in dieselbe Richtung schaut wie die Gemeinde auch. Damit will ich nicht sagen, dass ich die Zelebration versus populum ab sofort falsch finde und ablehne. Das hieße wohl etwas arg übers Ziel hinausschießen. Ich will nur sagen: Dass man auch im Rahmen der ordentlichen Form versus Deum zelebrieren kann, war mir neu, und ich fand es gut.

Bei der Kommunion gab es einen - nun ja - Zwischenfall: Eine etwas gebrechliche ältere Dame ließ die Hostie fallen. Pfarrer Oliver Cornelius, der es dem Diakon überlassen hatte, den wenigen Anwesenden im engen Gang der Kapelle die Kommunion zu spenden, bemerkte dies sofort und fragte: "Ist eine Hostie 'runtergefallen?" Als das bejaht wurde, drängte er, das Purifikatorium in der Hand, energisch in den Gang und fragte knapp: "Wo?" - "Sie hat sie schon wieder aufgehoben", wollte ihn eine andere Messteilnehmerin beschwichtigen, aber Pfarrer Cornelius erwiderte etwas indigniert: "Ich muss doch den Boden purifizieren!" Man zeigte ihm die Stelle, an der die Hostie den Boden berührt hatte, und er breitete das Purifikatorium darüber, wobei er unwirsch anmerkte: "Es ist schließlich der Leib Christi!"

Das hatte ich so auch noch nicht erlebt - schon allein deshalb nicht, weil ich es, wenn ich mich richtig erinnere, überhaupt noch nie miterlebt habe, dass eine konsekrierte Hostie zu Boden fällt, und das ist ja erst mal beruhigend. Aber auch wenn ich den Gedanken nicht ausblenden konnte, dass diese Szene für Jemanden, der den Glauben an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie nicht teilt oder nicht recht verinnerlicht hat, etwas unfreiwillig Komisches an sich haben musste, fand ich den Ernst, die Umsicht und Entschiedenheit von Pfarrer Cornelius' Eingreifen in dieser Situation doch ausgesprochen lobenswert.
(Ob es allgemein üblich oder sogar vorgeschrieben ist, den Boden zu purifizieren, wenn eine konsekrierte Hostie darauf gefallen ist, aber unbeschädigt aufgehoben wurde, vermag ich indes nicht zu sagen. Vielleicht weiß der eine oder andere meiner Leser Genaueres darüber.)

Am Samstag ging ich dann - erstmals in der diesjährigen Fastenzeit - nicht zur Messe. Ich musste nämlich auch am Samstag arbeiten; um  vor der Arbeit eine Frühmesse zu besuchen, war es am Freitagabend ein bisschen zu spät geworden, und soweit ich es überblicken konnte, gab es zu geeigneter Zeit an einem geeigneten Ort auch gar keine. Wäre ich jedoch nach der Arbeit in die Abendmesse gegangen, dann wäre das ja bereits die Vorabendmesse des Sonntags gewesen. Da ich aber ohnehin vorhatte, am Sonntagvormittag ins Hochamt zu gehen, fand ich, auf eine Vorabendmesse könne ich gut verzichten.

-- Möglicherweise war das aber doch keine so ideale Entscheidung. --
Am Sonntag um 10:30 Uhr ging ich in die St.-Clemens-Kirche am Anhalter Bahnhof, die derzeit von der benachbarten St.-Bonifatius-Gemeinde mitgenutzt wird, da St. Bonifatius gerade renoviert wird. In St. Clemens, wo seit 2006 das Exerzitienzentrum der göttlichen Barmherzigkeit der  Vinzentiner-Kongregation von Malabar zu Hause ist, wird zwar auch so schon zweimal an jedem Werktag und je dreimal am Samstag und Sonntag Messe gefeiert, aber die erste Messe des jeweiligen Tages ist erst um 13 Uhr, sodass das sonntägliche 10:30-Uhr-Hochamt der Bonifatius-Gemeinde ohne Terminkollision hierher verlegt werden konnte.

Die Kirche war an diesem 1. Fastensonntag ausgesprochen gut besucht; aber erst als ich sah, wie vor dem Altar eine Videobeamer-Projektion auf eine Leinwand geprobt wurde (die in Ermangelung eines Leinwandständers von zwei großen, kräftigen Männern gehalten werden musste), und feststellte, dass anstelle des Gotteslobs quietschgelbe Liederbücher mit dem Titel Jubilate Deo ausgeteilt wurden ("Wir singen heute aus den gelben Büchern", verkündete der Pfarrer vor Beginn der Messe mit spürbarem Mangel an Enthusiasmus. "Ausschließlich aus den allseits beliebten gelben Büchern"), fiel mir wieder ein, dass ich im Wochenplan gelesen hatte, es gebe am 1. Fastensonntag eine Familienmesse. Eigentlich nicht so mein Ding. Die Erfahrung zeigt: Wo "Familienmesse" draufsteht, ist in aller Regel "Kindergottesdienst" drin. - Klar, Kindergottesdienste muss es auch geben. Finde ich prinzipiell eine gute Sache. Nur nicht unbedingt für mich. Ob das, was die Aktiven in den Gemeinden sich unter kindgerechter Gottesdienstgestaltung vorstellen, unbedingt immer tatsächlich so kindgerecht ist, ist allerdings noch einmal eine ganz andere Frage.

Zum Beispiel: Welchen Sinn hat es, bei der Liedauswahl ganz auf späthippieske NGL-Schlager zu setzen (mein alter Favorit, die Kiffer-Hymne "Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer", war auch mit dabei), wenn diese von der Kirchenorgel so gravitätisch und getragen begleitet werden, als handle es sich um Choräle aus dem 16. oder 17. Jahrhundert? (Am Rande des Chorraums standen zwar ein Keyboard und ein paar Gitarren, aber die gehörten dem Worship-Team von St. Clemens, das die von den charismatischen indischen Vinzentiner-Patres zelebrierten Abendmessen musikalisch gestaltet. Na, wenigstens die Orgel wird sich gefreut haben, dass sie mal zum Einsatz kam.) - Und dann: Muss man den kompletten Wortgottesdienst dem Auffassungsvermögen von Kindern im Vor- und Grundschulalter anpassen, auch wenn diese Altersgruppe kaum mehr als zehn Prozent der Gottesdienstbesucher ausmacht? Nun, vielleicht muss man das - eine Büffelherde kann sich insgesamt schließlich auch nur so schnell fortbewegen wie ihr langsamstes Tier. Aber manchmal frage ich mich doch, ob man die Kinder nicht unterschätzt und somit unterfordert. Ich jedenfalls fand Kindergottesdienste schon als Kind doof. Aber das ist natürlich nur meine persönliche Sichtweise.

Die Predigt an diesem 1. Fastensonntag knüpfte an die 1. Lesung aus Genesis 9,8-15 an, drehte sich also um den Bund, den Gott nach der Sintflut mit den Menschen schließt, und um den Regenbogen als Zeichen dieses Bundes. Pfarrer Cornelius - ja, tatsächlich: derselbe, der am Freitagabend in der Seitenkapelle von St. Johannes zelebriert hatte - gestaltete seine Predigt zunächst als Frage-und-Antwort-Spiel mit den Kindern in den ersten Bankreihen, und dann kam der Videobeamer zum Einsatz. Auf die von zwei hünenhaften Gemeindemitgliedern hochgehaltene Leinwand wurde ein Regenbogen projiziert. Toll. Vor dem Hintergrund dieser Projektion spielte sich sodann etwas ab, was offenbar vor allem (aber nicht nur) im evangelisch-freikirchlichen Milieu als "Anspiel" bezeichnet werden würde: die szenische Darstellung einer für das Thema der Predigt beispielhaften Situation. Dieses Anspiel wurde nicht etwa von Kindern aufgeführt, sondern von drei erwachsenen Frauen aus der Gemeinde, die dabei so unbeholfen agierten, wie man es bei Kindern gerade noch als "niedlich" hätte durchgehen lassen; die dargestellte Situation wirkte ziemlich banal und auch in ihrer Gestaltung alles Andere als originell. Ich konnte mir nicht helfen: Ich sagte mir, hätten die Gestalterinnen dieses Anspiels in ihrer eigenen Kindheit etwas öfter Sesamstraße oder Sendung mit der Maus gesehen, hätten sie in der Lage sein müssen, etwas Charmanteres und Ansprechenderes zu fabrizieren. Wenn sie dazu nun aber nicht in der Lage sind: Wieso lassen sie's nicht gleich ganz sein? Gibt es irgendwo ein Gesetz darüber, dass Predigten in Kindergottesdiensten szenische und interaktive Elemente enthalten müssen, egal wie schlecht?

Aber vielleicht bin ich auch - wieder einmal - zu streng. Die Erläuterung des Anspiels fand abermals in Frage-und-Antwort-Form statt, und die Kinder stellten dabei unter Beweis, dass die message durchaus bei ihnen angekommen war. Insofern kann man ja eigentlich nicht klagen.

Davon abgesehen war diese "Familienmesse" ein interessantes Anschauungsbeispiel dafür, dass liturgische... sagen wir mal... Unregelmäßigkeiten keineswegs zwangsläufig auf den "persönlichen Stil" des jeweiligen Zelebranten zurückzuführen sind. Schließlich stand hier - wenn wir die Möglichkeit, dass er einen bösen Zwillingsbruder hat, mal außen vor lassen - derselbe Oliver Cornelius am Altar, der am Freitagabend in St. Johannes ausgesprochen "konservativ" zelebriert hatte; und trotzdem schlichen sich hier und jetzt in die Eucharistiefeier einige jener Unregelmäßigkeiten ein, die mir aus dem Nordenhamer Ritus nur allzu bekannt vorkamen (beispielhaft seien genannt: Vaterunser ohne Embolismus, Ersetzen des Agnus Dei durch irgendein anderes Lied). Eigentlich will ich auf diesen Punkt jetzt gar nicht groß eingehen, aber -- im Grunde frage ich mich bei derartigen Verstößen gegen die Liturgie immer: Was soll das? Welchen Sinn kann es haben, Dinge wissentlich falsch zu machen, die man doch ohne größeren Aufwand ebensogut richtig machen könnte? Und in diesem speziellen Fall: Wieso kann man sich bei einer Werktags-Abendmesse mit zehn Teilnehmern ans Messbuch halten, bei einer sonntäglichen Familienmesse mit schätzungsweise knapp zweihundert Teilnehmern jedoch nicht? Nun gut, irgendwie ahne ich die Antwort auf diese Frage, wenngleich diese Ahnung etwas zu vage ist, um sie in Worte zu fassen.

Aber wie dem auch sei: Pfarrer Cornelius gefiel mir, schon allein als Typ, nach wie vor gut. Und besonders gut gefielen mir seine Vermeldungen. Als er etwa eine Veranstaltung im Kreuzberger Himmel, einer von der St.-Bonifatius-Gemeinde in Form eines gemeinnützigen Vereins betriebenen Gaststätte, zum Thema "Was ist Erlösung?" ankündigte, fügte er hinzu: "Sie dürfen hinterher auch ein Fastenbier trinken. Hinterher. Wenn's dann noch nötig sein sollte." Außerdem wies er darauf hin, dass es im Anschluss an die Messe wie üblich Kaffee gebe -- "aber ohne Zucker. Man muss Zeichen setzen."

Ich blieb nicht zum Kaffee, behielt mir aber vor, eventuell am Mittwoch in den Kreuzberger Himmel zu gehen. Zunächst aber war noch die Frage zu klären, wo und wann ich am Montag die Messe besuchen wollte. Die eine Möglichkeit wäre gewesen, früh aufzustehen und um 8 Uhr in die Frühmesse in St. Antonius zu gehen. Da ich am Montag aber erst nachmittags arbeiten musste, kam ich nach einigem Abwägen zu dem Schluss, dass ich lieber länger schlafen und dann um 13 Uhr in St. Clemens in die Messe gehen wollte. So verschlug es mich also den zweiten Tag in Folge in dieselbe Kirche - und dennoch war es eine völlig andere Atmosphäre. Und nicht nur deshalb, weil es diesmal keine Familienmesse war.

Eine der Besonderheiten der St.-Clemens-Kirche ist es, dass sie rund um die Uhr zur Eucharistischen Anbetung geöffnet ist - und soweit ich es aus eigener Erfahrung bezeugen kann, kann man dort auch tatsächlich jederzeit einige betende Gläubige antreffen. Außerhalb der Gottesdienstzeiten ist das Allerheiligste permanent in einer großen Monstranz auf dem Altar ausgestellt, wird erst unmittelbar vor Beginn der Messe feierlich vom Altar genommen und unmittelbar nach dem Ende der Messe ebenso feierlich erneut ausgestellt.

Zur 13-Uhr-Messe am Montag versammelten sich schätzungsweise 30 bis 40 Gläubige, was ich für diesen Wochentag und diese Uhrzeit bemerkenswert viel fand. Die Messe, die von einem mir nicht namentlich bekannten indischen Pater zelebriert wurde, war strikt auf das Wesentliche reduziert: Es gab - mit Ausnahme eines (lateinischen!) Salve Regina zum Auszug - keinen Gesang, es gab keine Predigt, keine "persönlichen Worte" des Zelebranten an die Gemeinde; es gab das Ordinarium und das Proprium und sonst nichts. Dadurch dauerte die Messe kaum länger als eine halbe Stunde, wirkte dadurch aber umso konzentrierter und intensiver. -- Zur Kommunion wurden zwei zusammenklappbare Kniebänke in den Mittelgang der Kirche gestellt; diese musste man nicht benutzen, man konnte auch im Stehen kommunizieren - aber in die Hand bekam man die Hostie nicht. Die Kommunion wird in St. Clemens grundsätzlich in beiderlei Gestalt gespendet, und zwar in der Form, dass der Kommunionspender die Hostie in den Kelch eintaucht, ehe er sie dem Kommunionempfänger auf die Zunge legt.

Am Dienstag schließlich besuchte ich um 9 Uhr die Messe in der akut von der Schließung bedrohten Kirche St. Pius. Die Frühmesse fand dort in einer kleinen und ausgesprochen schlichten Seitenkapelle statt - zum Einen wohl, weil dies der zu erwartenden Anzahl von Teilnehmern angemessener war, zum Anderen aber, weil das Hauptschiff dieser großen Kirche nicht beheizbar ist.


Dem Wochenplan entnahm ich, dass im Anschluss an die Messe ein Seniorentreff stattfinden sollte. Als ich die Kapelle rund zehn Minuten vor Beginn der Messe betrat, waren dort bereits fünf oder sechs Seniorinnen versammelt und beteten gemeinsam den Rosenkranz. Laien-Engagement, wie man es sich wünscht. Im Anschluss an das Rosenkranzgebet kam eine der älteren Damen auf eine andere, die ganz in meiner Nähe saß, zu und fragte: "Ist heute Polykarp oder Matthias? -- Wegen der Fürbitten." Die Angesprochene wusste es auch nicht, aber ich konnte helfen: "Polykarp war gestern." Es war also das Fest des Apostels Matthias, was auch darin zum Ausdruck kam, dass Pfarrer Birkhahn Rot statt Violett trug und dass nach dem Kyrie ein Gloria-Lied gesungen wurde. Aber, merke: Ein Fest ist kein Hochfest und unterbricht somit nicht das Fasten!
Insgesamt erschienen übrigens knapp 20 Personen zu dieser Messe, womit die kleine Kapelle dann auch annähernd voll war; außer dem Diakon (der allerdings "in Zivil" da war), einer Frau um die Vierzig und mir waren es durchweg Senioren, weit überwiegend Seniorinnen.

Somit ist nun also seit Aschermittwoch eine Woche vergangen, ich war an sieben Tagen sechsmal in der Messe, in fünf verschiedenen Kirchen und bei vier verschiedenen Zelebranten. Und ich kann nur sagen: Es  tut mir gut,  die Heilige Messe möglichst häufig zu besuchen. Ich fühle mich seelisch ausgeglichener, zuversichtlicher im Glauben, ich schöpfe Kraft für die Anforderungen des Alltags -- und davon abgesehen ist es auch unheimlich interessant, den Reichtum und die Vielfalt des katholischen Glaubens in der Großstadtdiaspora Berlins zu studieren. Kurz und gut: Ich schätze, ich mache noch eine Weile so weiter...


(P.S.: Folgerichtig war ich heute erneut in der Frühmesse in St. Pius; heute nachmittag findet in der Koptisch-Orthodoxen Kirche in Berlin-Lichtenberg ein ökumenischer Trauergottesdienst für die 21 in Libyen entführten und enthaupteten Christen statt, da will ich ebenfalls hin; und danach vielleicht noch zum Glaubensgespräch in den Kreuzberger Himmel...) 

10 Kommentare:

  1. Ich bin in der luxuriösen Situation, jeden Tag zur Messe zu können, und nehme das fast jeden Tag wahr. Und alles ist leicht erreichbar, ich bin verwöhnt! Heilig Kreuz in Wilmersdorf, St. Marien in Friedenau, Rosenkranzbasilika in Steglitz und als besonderes Sahnehäubchen die Kapelle des Gertraudenkrankenhauses, die rund um die Uhr geöffnet ist.
    Auch ich nehme jetzt in der Fastenzeit an mehreren Andachten und Lobpreisgottesdiensten teil - und auch ich mache die Erfahrung: Es ist gut. Nur gut.
    Aber nach St. Clemens geh ich nicht... da war ich zweimal, und mehr halte ich nicht aus von dieser unsäglich kitschüberladenen Kirche. Das Auge betet ja mit.

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    1. St. Clemens ist aber toll, weil man dort 24/7 beichten kann -- es gibt lustigerweise einen Klingelknopf am Beichtstuhl, was ich sonst noch nirgendwo gesehen habe.

      Mich reißt dort eher die simultanverdolmetschte Predigt mit dem evangelikalesken der Gemeinde ("Preist den Herrn!") ein wenig aus der Andacht. Bei Kitsch schließe ich einfach die Augen und betrachte meine körpereigene Apsis. :-)

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    2. Über die 24/7-Beichtgelegenheit in St. Clemens und den Klingelknopf am Beichtstuhl hab ich übrigens auch schon mal was geschrieben:

      http://mightymightykingbear.blogspot.de/2013/03/mit-christus-im-jordan-stehen.html

      ;)

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    3. Oh, wie schön! Die Erfahrung, die Du da beschreibst, teilen wir -- als Beichtväter sind die Patres von St. Clemens wirklich eine Wucht, das durfte ich schon öfter erfahren. :-)


      [In meinem letzten Beitrag fehlt nach "evangelikalesken" übrigens ein "Dazwischenrufen".]

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  2. Zum Theme Zelebration versus Deum: in "meiner" Kirche, wo ich fast jeden Sonntag die ordentliche Form besuche, gibt es auch keinen Volksaltar. Dort wird die ordentliche Form ganz natürlich versus Deum zelebriert. (Im Übrigen auch "ordentlich".) Offen gestanden ist mir nach jetzt wohl schon zwei Jahren immer weniger klar, warum man die Zelebration versus populum eingeführt hat.

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  3. "(Ob es allgemein üblich oder sogar vorgeschrieben ist, den Boden zu purifizieren, wenn eine konsekrierte Hostie darauf gefallen ist, aber unbeschädigt aufgehoben wurde, vermag ich indes nicht zu sagen. Vielleicht weiß der eine oder andere meiner Leser Genaueres darüber.)"

    Mir ist dazu als einzige Regelung der folgende Satz aus der Allgemeinen Einführung ins Messbuch bekannt:
    "Ist eine Hostie oder ein Teilchen hinuntergefallen, hebt man es ehrfurchtsvoll auf".

    Allerdings: was Du mit "unbeschädigt aufgehoben" beschreibst, ist so eine Sache bei einer Hostie. Da können, wenn sie auf den Boden fällt, durchaus unbemerkt kleine Stückchen abspringen oder schon vorher lose Partikel, die an einer Hostie gehaftet haben, abfallen. Daher ist es auf jeden Fall sinnvoll, da noch mal genau hinzusehen, wenn man die Hostie aufgehoben hat - und dann natürlich auch eventuelle Teilchen "ehrfurchtsvoll aufzuheben".

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  4. Falls Dich das interessiert:

    In der Steglitzer Rosenkranzbasilika in der Schloßstraße (bzw. in der Kieler Str. an der gleichnamigen Omnibushaltestelle) gibt es jeden Freitag um 18 Uhr Hl. Messe im ordentlichen Ritus versus absida am Josephsaltar, öfters auch mit Weihbischof Heinrich, der dort Kaplan war.

    Und werktags in der Kathedrale wird ebenfalls ad orientem zelebriert, am Hochaltar in der Unterkirche -- latürnich im ordentlichen Ritus.

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  5. Ich meine mich zu erinnern in einem entsprechenden Büchlein (vor dem Vaticanum II) für Zelebranten, daß dort die Palla zum Abdecken der Stelle bis zur Purifikation anempfohlen wurde. Das Purifikatorium ist recht unüblich, da dieses zur Patenen-/Ciboriums-Purifikation verwendet wird, und daher dort möglicherweise Partikel des Sanctissimum anhaften. Es würde daher die Gefahr bestehen, daß weitere Partikel auf den Boden gelangen. Aus ebendiesem Grund wurde früher die Corporale und das Purifikatorium einer Vorwäsche durch einen entsprechenden Weihegrad unterzogen, bevor sie zumeist an Nonnen zur weiteren Reinigung/Stärken übergeben wurde.

    Die Haltung des Priesters ist lobenswert, gerade da sich heutzutage eher ätzend-verächtlich über die "Krümeltheologie" lustig gemacht wird und die Lehre der Kirche, daß Christus im kleinsten sichtbaren Teil einer Hostie in Leib und Blut ganz gegenwärtig ist, ignoriert wird im besten Fall.

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  6. Ganz blöde Frage: was bedeutet denn "purifizieren" in diesem Kontext?

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