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Dienstag, 5. März 2013

Die kluge Bauerntochter und die Homo-Ehe

Der einst als konservative Hardliner verschrieene Wolfgang Schäuble plädiert neuerdings für die rechtliche Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Warum? Weil die CDU, wenn sie Volkspartei bleiben wolle, "veränderte Realitäten zur Kenntnis nehmen" müsse. Nun gut: Das Zur-Kenntnis-Nehmen von Realitäten ist stets ratsam, nicht nur in der Politik; und seine Meinung zu ändern, ist an und für sich auch nichts Ehrenrühriges. Letzteres scheint aber - gerade in der Politik - Mancher zu glauben oder zu fürchten: Eine Meinungsänderung kommt dem Eingeständnis nahe, sich in der Vergangenheit geirrt zu haben. Das ist für Politiker nicht unproblematisch. Da sagt man dann lieber, nein, nicht die Meinung (die eigene oder gar die der angepeilten Wählerschaft) habe sich geändert, sondern die Realitäten. - Aber was für Realitäten sollen das denn sein, die sich in einer Weise geändert haben, dass es früher richtig war, gegen die Homo-Ehe zu sein, und jetzt richtig ist, dafür zu sein?

Als sehr lehrreich in Hinblick auf diese Frage empfinde ich eine Passage des Grimmschen Märchens "Die kluge Bauerntochter" (KHM 94), die ich hier der Einfachheit halber mal wörtlich zitieren möchte:

"Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr König einmal auf die Parade zog, da trug es sich zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz verkauft; etliche hatten Ochsen vorgespannt, und etliche Pferde. Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte eins ein junges Füllchen, das lief weg und legte sich mitten zwischen zwei Ochsen, die vor dem Wagen waren. Als nun die Bauern zusammenkamen, fingen sie an sich zu zanken, zu schmeißen und zu lärmen, und der Ochsenbauer wollte das Füllchen behalten und sagte, die Ochsen hättens gehabt: und der andere sagte nein, seine Pferde hättens gehabt, und es wäre sein. Der Zank kam vor den König, und er tat den Ausspruch, wo das Füllen gelegen hätte, da sollt es bleiben; und also bekams der Ochsenbauer, dems doch nicht gehörte. Da ging der andere weg, weinte und lamentierte über sein Füllchen. Nun hatte er gehört, wie daß die Frau Königin so gnädig wäre, weil sie auch von armen Bauersleuten gekommen wäre: ging er zu ihr und bat sie, ob sie ihm nicht helfen könnte, daß er sein Füllchen wiederbekäme. Sagte sie 'ja, wenn Ihr mir versprecht, daß Ihr mich nicht verraten wollt, so will ichs Euch sagen. Morgen früh, wenn der König auf der Wachtparade ist, so stellt Euch hin mitten in die Straße, wo er vorbeikommen muß, nehmt ein großes Fischgarn und tut, als fischtet Ihr, und fischt also fort und schüttet das Garn aus, als wenn Ihrs voll hättet,' und sagte ihm auch, was er antworten sollte, wenn er vom König gefragt würde. Also stand der Bauer am andern Tag da und fischte auf einem trockenen Platz. Wie der König vorbeikam und das sah, schickte er seinen Laufer hin, der sollte fragen, was der närrische Mann vorhätte. Da gab er zur Antwort 'ich fische.' Fragte der Laufer, wie er fischen könnte, es wäre ja kein Wasser da. Sagte der Bauer 'so gut als zwei Ochsen können ein Füllen kriegen, so gut kann ich auch auf dem trockenen Platz fischen.'"
Dem Bauern im Märchen bekommt sein geborgter Fürwitz freilich schlecht, er wird verhaftet und gefoltert, bis er verrät, wer ihm den Rat zu dieser Demonstration gegeben hat. Heutzutage müssten unsere Könige vermutlich zu keinen solchen Zwangsmaßnahmen greifen; die öffentliche Meinung würde dem Bauern schon von allein heftig genug ins Gesicht schlagen. Reaktionär sei seine Auffassung, würde es heißen; sie verrate Bovophobie, ja geradezu einen pathologischen Hass auf Ochsen. Dass ein Ochsenpaar sehr wohl ein Fohlen zur Welt bringen könne, würden die erbosten Mitbürger nun wohl nicht direkt behaupten wollen, allerdings aber, dass ein Ochsenpaar dasselbe Recht auf ein Fohlen habe wie ein Pferdepaar. Weil der vermeintliche Unterschied zwischen Pferd und Ochse ohnehin nur auf überkommenen gesellschaftlichen Konventionen beruhe, die es endlich zu überwinden gelte - auch und nicht zuletzt im Interesse des Fohlens, damit es sich, wenn es groß werde, selbst entscheiden könne, ob es ein Pferd oder ein Ochse werden will.

Veränderte Realitäten? Ich sehe da eher eine schwindende Bereitschaft, unveränderte Realitäten als solche anzuerkennen...

(Disclaimer: Da mir erst jüngst - übrigens aufgrund von Äußerungen, die mit dem Thema Homosexualität überhaupt nichts zu tun hatten - "Schwulenfeindlichkeit" unterstellt wurde, möchte ich vorsorglich darauf hinweisen, dass mit diesem Artikel keine "homophobe" Tendenz beabsichtigt ist. Ich bin allerdings auch nicht der Meinung, dass die - im Grundgesetz verankerte - Privilegierung der Ehe gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens "schwulenfeindlich" ist. Gegenteilige Meinungen sind mit bekannt und achte ich. -- Allzu detailliert allegorisch ausdeuten sollte man meinen Vergleich mit dem Märchen übrigens möglichst auch nicht.)

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