Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Donnerstag, 28. November 2019

Hauptsache erst mal profanieren

Am heutigen Donnerstagabend um 18 Uhr wird in der Herz-Jesu-Kirche in Nordenham-Einswarden buchstäblich die letzte Messe gelesen; anschließend wird das vor gut 90 Jahren geweihte Gotteshaus profaniert. Dass es dazu kommen würde, war schon länger absehbar: Schon zum Jahreswechsel 2014/15 wurde die Kirche "vorläufig geschlossen" und seither nicht wiedereröffnet, und die Profanierung wurde vom Pfarreirat bereits Anfang 2019 einstimmig beschlossen, vorerst allerdings ohne konkreten Termin. Unklar bleibt, wieso man es damit jetzt plötzlich so eilig hat, zumal es offenbar noch keine konkreten Pläne für eine Nachnutzung der Gebäude oder des Grundstücks gibt. Das "benachbarte Werk des Flugzeugteileherstellers Premium Aerotec", das zumindest gerüchteweise immer wieder in diesem Zusammenhang genannt wurde, ist jedenfalls "an diesem Areal nicht interessiert", wusste die Nordwest-Zeitung mit Datum vom 16. November zu berichten. Die Überschrift des Artikels - "Wird Gotteshaus zum Haus der Kunst?" - wirkt übrigens ein bisschen tragikomisch, denn die Antwort auf diese Frage steht bereits im Artikel, und sie lautet Nein. Zwar könne Pfarrer Karl Jasbinschek sich "gut vorstellen, hier ein Haus der Kunst einzurichten" und habe "diese Anregung bereits Nordenhams Bürgermeister Carsten Seyfarth gegeben. Aber offenbar könne die Stadt wegen ihrer Finanznot ein solches Projekt nicht stemmen, jedenfalls habe die Stadt kein Interesse bekundet." Tja, das war dann wohl nichts. An dieser Stelle will ich übrigens erneut nicht unerwähnt lassen, was ich jedesmal erwähne, wenn es relevant ist: Der Verfasser des Artikels, Horst Lohe, ist selbst Gemeindemitglied der örtlichen katholischen Pfarrei St. Willehad. Dem Mangel an kritischer Berichterstattung seitens der lokalen Presse hilft dieser Umstand offensichtlich nicht ab.

Auf der zur Konkurrenz, nämlich zur Bremerhavener Nordsee-Zeitung, gehörenden Lokalnachrichten-Website nord24 wird Pfarrer Jasbinschek derweil mit der Einschätzung zitiert, es gebe "keine Alternative zu diesem Schritt. An den Gottesdiensten in Einswarden hatten zuletzt nur noch 25 bis 30 Besucher teilgenommen." Das seien zu wenige. Aber, 'Tschuldigung, das ist doch jetzt Quatsch. In mehrfacher Hinsicht. Wann soll denn dieses "zuletzt" gewesen sein, wenn die Kirche fast fünf Jahre lang zugesperrt war? Und wer bestimmt eigentlich, wie viele Gottesdienstbesucher "zu wenige" sind? Ich habe schon Messen erlebt, wo ich mit dem Zelebranten alleine war, so what? Die Engel und Heiligen im Himmel feiern in jedem Fall mit, und sooo wenig finde ich 25 bis 30 regelmäßige Gottesdienstteilnehmer in einer so kleinen Kirche nun auch wieder nicht. Das ist schlichtweg eine Ausrede, und noch dazu eine schlechte. Wenn man findet, dass zu wenig Leute in die Kirche kommen, könnte man sich ja theoretisch mal Gedanken darüber machen, woran das liegt und wie man das möglicherweise ändern könnte. Stattdessen sagt man: Ach, das ist ja praktisch, dann können wir ja einen oder zwei Kirchenstandorte einsparen. 


Zugegeben: In größeren kirchenpolitischen Zusammenhängen betrachtet, steckt durchaus eine strategische Absicht hinter diesem Vorgehen. Eine Kirche, deren Funktionäre sich von Unternehmensberatern coachen lassen, tendiert mehr und mehr dazu, nach unternehmerischen Maßstäben zu funktionieren. Wenn die Nachfrage nach dem "Produkt" Gottesdienst nachlässt, wird das Angebot zurückgefahren. Wenn man Kirchen bloß als Immobilien betrachtet, deren Betriebskosten in keinem rentablen Verhältnis dazu stehen, was sie "einbringen", dann liegt es nahe, sich aus der Fläche zurückzuziehen, wie es ja beispielsweise die Post schon vor Jahrzehnten getan hat. Ein Seitenblick ins Erzbistum Hamburg ist in diesem Zusammenhang sehr erhellend: Dort wurde jüngst verlautbart, "man wolle sich von vielen Kirchen und anderen Immobilien trennen", wohingegen "die Caritas und die katholischen Kindergärten weitgehend ungeschoren von den Kürzungsabsichten bleiben sollen". Erzbischof Stefan Heße erklärte dazu, "[e]in eigenes Kirchengebäude sei keine grundlegende Bedingung für das Gebet und den Gottesdienst". Was er damit vermutlich eigentlich meint, ist, dass Gebet und Gottesdienst keine grundlegende Bedingungen für den Einzug der Kirchensteuer sind. -- Im Ernst: Eine Kirche, die vergessen hat, dass ihr gesamtes Handeln, auch das soziale und kulturelle, im Gottesdienst verankert sein und aus diesem gespeist werden muss, ist eine Kirche, die ihr Selbstverständnis als Glaubensgemeinschaft aufgegeben hat und sich nur noch als zivilgesellschaftliche Institution sieht. Man könnte zwar meinen, auch so gäbe es an einem sozialen Brennpunkt wie Einswarden noch genug für sie zu tun, aber das ist ein Thema für sich. Ganz ehrlich gesagt bin ich auch der Meinung, eine Kirche, die so sehr vergessen hat, wozu sie eigentlich da ist, sollte das sozial-karitative Engagement lieber auch anderen Organisationen überlassen. Zum Beispiel der örtlichen Moscheegemeinde. Die soll ja, wie ich höre, recht aktiv sein. 

Natürlich stimmt mich die Profanierung ausgerechnet dieser Kirche vor allem deshalb traurig, weil ich erst in den Sommerferien selbst vor Ort war und ausgiebig Luftschlösser in Hinblick darauf gebaut habe, was man da alles machen könnte. Aber sehen wir die ganze Angelegenheit mal nicht zu negativ: Endgültig ist noch nichts verloren. Solange es kein konkretes Nachnutzungskonzept gibt, wird auf dem Grundstück, rein äußerlich betrachtet, wohl erst einmal alles so bleiben, wie es schon seit Jahren war. Die Nebengebäude um die Kirche herum könnte man zwar theoretisch abreißen und dort einen Parkplatz anlegen oder was weiß ich (was zwar schade um das Gebäudeensemble wäre, aber hey, that's life), das eigentliche Kirchengebäude allerdings ist denkmalgeschützt. Angesichts der eingeschränkten Möglichkeiten der "Umnutzung" ("Nach dem Verständnis der katholischen Kirche bieten sich als Nutzungen für profanierte Kirchen unter anderem Begegnungsräume, Urnenbegräbnisstätten oder auch kulturelle Verwendungen an. Umbauten zu Diskotheken, Moscheen oder Einkaufszentren verbieten sich", erklärt Horst Lohe den Lesern der NWZ) erscheint es auch fraglich, ob sich ein Kaufinteressent für die Kirche finden würde. Bis auf Weiteres kann also davon ausgegangen werden, dass das entwidmete Gotteshaus so stehen bleibt, wie es steht, und wenn der kirchenpolitische Wind irgendwann mal wieder aus einer anderen Richtung weht, könnte man die Kirche ja von neuem weihen. Hat's alles schon mal gegeben. So gesehen ist die Profanierung, gemessen daran, dass die Kirche bereits seit Jahren ungenutzt und zugesperrt war, nicht unbedingt ein Beinbruch. Ärgerlich ist aber die Geringschätzung gegenüber dem Standort Einswarden, die aus der ganzen Vorgehensweise spricht. Als St. Josef in Rodenkirchen profaniert wurde, kam immerhin der Bischof -- der Regionalbischof Wilfried Theising, um genau zu sein. Diesmal hat er den örtlichen Pfarrer beauftragt, die Profanierung selbst durchzuführen, und das Ganze findet an einem Werktag statt, quasi auf den letzten Drücker kurz vor Ende des Kirchenjahres. 

Aus der Distanz betrachtet erscheint diese nonchalante "Abwicklung" des Standortes Herz Jesu Einswarden als konsequenter Endpunkt einer jahrelangen Entwicklung: Im Jahr 2010 wurde die bis dahin eigenständige Pfarrei Herz Jesu mit St. Willehad zusammengelegt, und seitdem, so scheint es, wurde der Einswarder Gemeindeteil zunehmend stiefmütterlich behandelt. In einem Presseartikel von 2007 hieß es noch, in Herz Jesu verwirkliche sich "Weltkirche im Kleinen": "Zu den Gläubigen [...] gehören alt gewordene Vertriebene, Spätaussiedler aus Polen und der ehemaligen Sowjetunion sowie Asylbewerber". "In unserem Gottesdienst versammeln sich bis zu 30 Nationen", wird der damalige Pfarrer Alfons Kordecki zitiert. Wo sind die heute alle hin? In der Sonntagsgemeinde von St. Willehad, so wie ich sie in den letzten Jahren wahrgenommen habe, bildet sich eine solche Diversität jedenfalls nicht ab. Ein bezeichnendes Erlebnis war es für mich, als der Pfarrer von St. Willehad im letzten Sommer meiner Liebsten und mir eine junge Frau aus Madagaskar und eine von der Elfenbeinküste stammende Mutter zweier kleiner Kinder als "unsere afrikanischen Mitchristen" vorstellte. Die Botschaft war, wenn auch sicher unbeabsichtigt, deutlich: Gemeindemitglieder mit Migrationshintergrund gibt es, man bemüht sich auch einigermaßen, sie ins Gemeindeleben einzubinden, aber so ganz werden sie doch nicht zum "Wir" der Gemeinde gezählt, sondern bilden eine Kategorie für sich. (Das ist wohlgemerkt nichts, was ich speziell dieser Gemeinde oder diesenmPfarrer ankreiden möchte. Es ist vielmehr ein weit verbreitetes Problem. "Bei uns" z.B. werden Obdachlose, Tätowierte oder psychisch Kranke nicht zum "Wir" der Gemeinde gezählt.) 

Jedenfalls: Wenn ich es mir recht überlege, könnte es im Grunde durchaus im allseitigen Interesse liegen, für Herz Jesu Einswarden, wie ich es schon einmal angedacht habe, eine ähnliche Lösung zu finden wie für St. Clemens in Berlin-Kreuzberg; also eine Kombination aus privater Trägerschaft für die Immobilie und seelsorgerischer und sakramentaler Betreuung durch eine ausländische Ordensgemeinschaft. Auf diese Weise würde St. Willehad nicht nur den Kirchenstandort im sozialen Brennpunkt los, sondern die dazugehörige Gemeinde gleich mit... 



1 Kommentar:

  1. Zur Frage "Wo sind die denn alle hin?" ist einfach zu sagen, man geht kirchenintern immer mehr dazu über, die Leute nach Sprache und Herkunft in Gemeinden zusammenzufassen. Es gibt mittlerweile kroatische, polnische, afrikanische, eriträische, tschechische, italienische, spanische usw Gemeinden. Viele Mitglieder meiner Gemeinde erzählen mir ganz treuherzig, sie kämen nicht mehr, weil sie eben in "ihren" Gottesdienst der teilweise schon einen gewissen Fahraufwand bedeutet, gingen.
    Ja, ja denke ich dann immer, fast resigniert, so geht heutzutage "katholisch" und denke dann zynisch mit, dass katholisch "allgemein" oder auch "allumfassend" bedeutet.
    Es tröstet mich dann keineswegs, wenn man erfährt, dass es anderswo genauso ist http://summorum-pontificum.de/themen/tradition-und-kultur/1713-die-kirche-in-japan.html.
    Im Grunde setzt sich hier die schon lange zu beobachtende Separierung der Gottesdienstgemeinde, in Senioren, Kinder, Familien, Haustierhalter, usw fort.
    Oder noch anders, es stimmt schon lange in der Praxis nicht mehr, dass der gemeinsame Gottesdienst die Gemeinde aufbaut,. sondern man definiert Gemeinde über die, die gemeinsam was religiöses machen und ein bisschen in Nostaligie schwelgen und deshalb nur, deshalb, kann dieses ganze Kirchengebäudegedöns weg, weil Eucharistie als das was die Gemeinde konstituiert, das ist doch total retro, das glauben wir doch selber nicht.

    AntwortenLöschen