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Mittwoch, 10. April 2013

Dreht euch nicht um...

...denn der Tradi-Troll geht um!

Am Montagabend hatte der Herr Alipius im Kommentarbereich seines Blogs unliebsamen Besuch - von einer sehr, sehr schlecht gelaunten Dame, die sich als treue Leserin des ultra-traditionalistischen Blogs Rorate Caeli zu erkennen gab. Im Unterschied zu den "immer zutreffenden, mit Herzblut geschrieben Worte[n] von New Catholic auf Rorate Caeli" machte die Leserin nun bei Alipius nichts als "gutmenschige [...,] eifrige Seelchen" und "hechelnde Herzerl" aus und beklagte es, dass "Christen ebenso Neusprech hecheln [...] wie zB Claudia Roth oder etwas [!] vergleichbares". Bei dem Vergleich mit Claudia Roth musste ich ein wenig kichern; aber annähernd gleichzeitig wurde ich selbst eines Kommentars zu diesem Artikel gewürdigt und wurde darin als "nachkonziliarer Hinterwäldler" bezeichnet - da ich es gewagt hatte, meine nicht sonderlich erbaulichen Eindrücke vom Besuch einer Messe im Alten Ritus zu schildern. Zunächst suchte ich nach Anzeichen eines leisen Augenzwinkerns in diesem Kommentar, fand aber keine; und als derselbe Leser dann noch einen weiteren Kommentar folgen ließ, der die Liturgiereform und den Novus Ordo Missae als Wurzeln allen Übels in der katholischen Kirche von heute herausstellte, war ich mir sicher: Der meint das ernst.

Die annähernde Gleichzeitigkeit dieser Ereignisse war ziemlich sicher Zufall, aber dennoch stellt sich die Frage: Was war bzw. ist da los? Familienausflug der Tradi-Trolle? Und nach welchen Kriterien wählen diese ihre "Opfer" aus? - Fragen wir Hand Christian Andersen:

Nun war einmal ein alter Mann, den alle Leute Kribbel-Krabbel nannten, denn so hieß er. [...] Dieser Mann sitzt eines Tages und hält sein Vergrößerungsglas vor das Auge und betrachtete einen Wassertropfen, welcher von draußen aus einer Pfütze im Graben genommen war.
Wie es da kribbelte und krabbelte! Alle die tausend Tierchen hüpften und sprangen, zerrten an einander und fraßen von einander.
»Aber das ist ja abscheulich!« sagte der alte Kribbel-Krabbel, »kann man sie nicht dahin bringen, in Ruhe und Frieden zu leben, und daß sich jedes nur um sich bekümmert? [...] Ich muß ihnen Farbe geben, damit sie deutlicher gesehen werden können!« sagte er, und dann tröpfelte er etwas, einem kleinen Tropfen Rotwein ähnlich, in den Wassertropfen, aber das war Hexenblut, von der feinsten Gattung zu sechs Pfennigen; nun wurden aber die wunderbaren Tierchen über den ganzen Körper rosenrot, es sah aus wie eine ganze Stadt voller nackter, wilder Männer. [...] Es sah wirklich aus wie eine ganze Stadt, wo alle Menschen ohne Kleider herumliefen. Es war schauerlich, aber noch schauerlicher war es, zu sehen, wie der eine den andern puffte und stieß, wie sie gezwickt und gezupft, gebissen und gezaust wurden! Was unten war, sollte nach oben, und was oben war, sollte wieder nach unten! »Sieh! sieh! Sein Bein ist länger als meins! Baff. Weg damit!« Da ist einer, der hat eine kleine Beule hinter dem Ohr, ein kleines, unschuldiges Beulchen, aber sie quält ihn, und darum soll sie nicht noch mehrere quälen, sie hackten in dieselbe und sie zerrten ihn, und sie fraßen ihn der kleinen Beule wegen. Da saß einer so still, wie eine kleine Jungfrau und wünschte nur Ruhe und Frieden. Aber nun sollte die Jungfrau hervor, und sie zerrten an ihr und sie zerrissen und verschlangen sie!

(aus: H.C. Andersen, Der Wassertropfen)

- Was teilt uns dieses Märchen mit? Je mikroskopischer man den Bildausschnitt wählt, desto heftiger wirken häufig die internen Auseinandersetzungen. Aus der Sicht prinzipieller Kirchengegner etwa mag der Unterschied zwischen liberalen und konservativen Katholiken marginal sein - diese selbst sehen das aber naturgemäß anders, und daraus resultiert ein umso stärkeres Abgrenzungsbedürfnis. Man sitzt zwar im selben Boot, rudert aber in verschiedene Richtungen.

Derselbe Effekt wiederholt sich, wenn man den Bildausschnitt noch enger wählt und sich ganz auf jenes eher konservative Spektrum konzentriert, das - wie kürzlich schon einmal angesprochen - von  liberalen Katholiken neuerdings gern pauschal als "traditionalistisch" etikettiert wird. Auch da herrscht keinesfalls eitel Sonnenschein. Auseinandersetzungen nach dem Muster "Ich bin katholischer als du!" hat es früher natürlich auch schon gegeben; im Moment habe ich allerdings den Eindruck, dass der "Franziskus-Effekt" hier zu einer Verschärfung geführt hat. Jene Ultra-Traditionalisten, die in Papst Franziskus einen extremen Modernisten sehen, mit dessen Wahl der unwiderrufliche Niedergang des Katholizismus besiegelt sei, oder ihn gleich zum Häretiker und Apostaten stempeln, der gar nicht rechtmäßig Papst sein könne, scheinen in jener Gruppe von Katholiken, die ich jüngst als die "Nach-wie-vor-Papsttreuen" bezeichnet habe, ihren Hauptgegner zu sehen. Das entbehrt ja auch nicht einer gewissen Konsequenz. Wer überzeugt davon ist, dass das Pontifikat Franziskus' einen eklatanten Bruch mit den Traditionen der Kirche und des Papsttums und insbesondere mit der Amtsführung Benedikts XVI. darstellt, der kann in denjenigen, die bisher stets entschieden zu Benedikt gehalten haben, nun aber mit derselben Treue zum neuen Papst sehen, wohl nichts anderes sehen als "Überläufer" und "Verräter in den eigenen Reihen". Und solche Leute haben, das war schon immer so, nichts Besseres verdient als einen Eispickel zwischen die Augen.

Durchaus tragikomisch an dieser Situation ist, dass die Ultra-Traditionalisten sich in ihrer Wahrnehmung des Pontifikats Papst Franziskus' - speziell im Verhältnis zu dem seines Vorgängers - kaum von jenen liberalen Katholiken unterscheiden, die in Franziskus den lang ersehnten "Reformpapst" sehen. Unterschiedlich, ja entgegengesetzt ist nur die Bewertung dieser Wahrnehmung: Was die Einen fürchten und verabscheuen, ist weitgehend dasselbe, das die Anderen erhoffen und bejubeln. Diese Feststellung lässt es freilich nur umso plausibler erscheinen, dass die "Nach-wie-vor-Papsttreuen" gewissermaßen zwischen die Fronten geraten, indem sie die von beiden Seiten behauptete "Hermeneutik des Bruches" zwischen Benedikt XVI. und Franziskus rundweg bestreiten und ihr eine "Hermeneutik der Kontinuität" entgegensetzen. - Ich verwende diese Begriffe durchaus mit Bedacht, denn mtatis mutandis ähneln diese Reaktionen der "radikalliberalen Reformer", der "Ultra-Traditionalisten" und der "Papsttreuen" - die einander so zu sagen wie die Ecken eines gleichschenkligen (aber nicht unbedingt gleichseitigen) Dreiecks gegenüberstehen - auf Papst Franziskus durchaus der Rezeption des II. Vatikanischen Konzils, zu der sich ja gerade Benedikt XVI. mehrfach eindringlich geäußert hat. Was mich wieder auf die Einschätzung meiner Person als "nachkonziliarer Hinterwäldler" bringt.

Ich hatte durchaus Bedenken, meine Eindrücke von der Messe in St. Afra in einen Blogbeitrag einzubauen, in dem es doch eigentlich um Alexander Kisslers Buchvorstellung gehen sollte. Ich fragte mich: Gehört das überhaupt zum Thema? Wie sich nun gezeigt hat, gehört es eben irgendwie doch zum Thema - zumindest dann, wenn man meiner Auffassung folgen mag, dass die Frage, wie sich das Pontifikat Franziskus' zu demjenigen Benedikts XVI. verhält, ein zentrales Anliegen von Kisslers Vortrag darstellte. In diesem Zusammenhang gilt es anzumerken: Eine Vorliebe für die Alte Messe kann man als Kennzeichen von "Traditionalismus" betrachten, aber zwischen einer solchen Vorliebe und einer prinzipiellen Ablehnung der Neuen Messe besteht doch noch ein erheblicher qualitativer Unterschied. Das ist auch genau der Grund, weshalb ich hier mehrfach den Begriff "Ultra-Traditionalismus" verwendet habe - den ich gern mit einem Zitat von Victor Hugo erläutern möchte:

Ultra sein heißt darüber hinaus zu gehen, das Zepter im Namen des Thrones und die Mitra im Namen des Altars anzugreifen, der Sache hart zuzusetzen, die man mit sich schleppt, heißt im Geschirr ausschlagen, sich mit dem Scheiterhaufen um die Brattemperatur für Ketzer streiten, dem Abgott sein bisschen Abgötterei zum Vorwurf machen, heißt aus einem Übermaß an Ehrfurcht beschimpfen, heißt im Papst zu wenig Papsttum, im König zu wenig Königtum und in der Nacht zu viel Licht finden. Das heißt über den Alabaster, den Schnee, den Schwan und die Lilie im Namen des Weiß ungehalten sein. Das heißt so sehr Parteigänger der Dinge zu sein, dass man ihr Feind wird. Das heißt so sehr dafür sein, dass man dagegen ist.
(Hugo bezieht sich hier zwar auf eine politische Strömung im Frankreich der Restaurationszeit, aber ich denke, es wird deutlich, warum ich diese Worte auch auf eine radikale Ausprägung des katholischen Traditionalismus anwendbar finde.)

Traditionalisten, die nicht "ultra" sind, gibt es durchaus auch in den Reihen der "Nach-wie-vor-Papsttreuen"; und auch von solchen habe ich - hauptsächlich via Twitter - Reaktionen auf meinen Artikel erhalten. Sie fielen überwiegend freundlich aus. Der Tenor lautete. "Als erster Eindruck von der Alten Messe ist deine Reaktion verständlich, aber gib der Sache noch 'ne Chance". Das habe ich auch vor.

Eine besonders sympathische Reaktion auf die Mitteilung, man habe mich einen "nachkonziliaren Hinterwäldler" gescholten, erhielt ich von einem Twitter-Bekannten aus dem Bistum Regensburg - einem durchaus entschieden konservativen Katholiken. Zunächs merkte er an, statt "Hinterwäldler" müsse es "Hinterweltler" heißen - "das sind wir Christen nun mal, weil wir an eine Welt hinter der sichtbaren glauben". Dann fügte er hinzu: "Nachkonziliar sind wir doch alle; vorkonziliar geht ja wohl chronologisch nicht, oder?" Sein Fazit: Eigentlich müsse es schlicht "zeitgenössischer Christ" heißen.

Tja: Das bin ich wohl. Eine zeitgenössischer Christ. Mit allen Konsequenzen, im Guten wie im weniger Guten.



4 Kommentare:

  1. Danke für diese ausführliche Wortmeldung zu einem Phänomen, dem ich seit längerem ratlos und traurig gegenüber stehe, den Christen, die ihren Brüdern und Schwestern das Christsein absprechen. Im übrigen waren Christen zu allen Zeiten und Epochen "zeitgenösische Christen mit allen Konsequenzen".

    Persönlich finde ich es richtig, dass die sog. 'Alte Messe' aus der Ächtung herausgeholt wurde, auch wenn ich sie ziemlich herausfordernd, aber auch schön finde. Nach meinem ersten Erlebnis mit einer hl. Messe in diesem Ritus habe ich etwas geschrieben und komme dort zu folgenden Schluss:
    "Danke, Jesus, für die Vielzahl an Riten und Andachtsformen mit denen die Menschen dich ehren, loben und preisen. Hilf uns, dass wir mehr noch als bisher die Polyphonie dieser Riten und Gebete anerkennen und sie gleichberechtigt miteinander klingen lassen, in dem großen Chor, der dich verehrt. Anstatt uns darüber aufzuregen, welcher denn nun der richtige sei. Oder wie es vor langer Zeit schon einmal ein kluger Mann festgestellt hat: "Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit." (Koh 3, 1) Eine Zeit für den "ordentlichen" Ritus, eine Zeit für Rosenkranz u.ä., eine Zeit für Nightfever und Lobpreis und eben eine Zeit für den "außerordentlichen" Ritus. "
    http://dashoerendeherz.blogspot.de/2012/06/destillierte-stille.htm

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  2. Da schließe ich mich Gerties Dank an, denn auch ich fühle mich sehr sprachlos!
    (...und muss aber ebenfalls schreiben, dass ich bei den beiden Malen, als ich einer "Alten Messe" beiwohnte, auch nicht das Gefühl hatte, heimisch zu sein. Es war sehr beeindruckend und interessant, aber fremd - und hinterließ bei mir nicht den Wunsch, zu versuchen, heimisch zu werden.)

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  3. Fein beobachtet! Vielen Dank für die freundliche Erwähnung. Wenn auch ungefragt möchte ich noch die Quelle meines Verständnisses von konservativ zitieren. Ein auch Ihnen sicher nicht unbekannter Briefschreiber hat seinen Adressaten einmal geraten: "Prüft alles; das gute aber behaltet!" Ihr Ratisbonus

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  4. Ich bin bekennende Hinterwäldlerin und zugleich natürlich auch Hinterweltlerin (wundervolles Wort).
    Ich glaube nicht, daß Vat. II ein Sündenbabel der Häresie und Gottesferne war. Ich glaube auch nicht, daß sein Initiator, der selige Johannes XXIII, der Antichrist oder wenigstens sein treuer Diener war. Und damit bin ich also Hinterwäldlerin? Nun gut - hinten in den Wäldern ist auch ein schönes Biotop für fromme Einsiedler, wandernde Gottsucher und liebenswürdige Feen.

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