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Sonntag, 22. Januar 2012

Der Bischof soll die Kirche im Dorf lassen

Dass die katholische Kirche, in Deutschland zumindest, in der Krise sei, ist ein Gemeinplatz, der seit Jahren ebenso unentwegt wie unhinterfragt durch die öffentlichen Debatten schwirrt; aber gerade weil diese Aussage so selbstverständlich wirkt, kommt nur selten in den Blick, worin diese Krise eigentlich besteht, worin sie sich konkret äußert bzw. bemerkbar macht. Auf Nachfrage wird zumeist einerseits auf steigende Kirchenaustrittszahlen verwiesen, andererseits auf Priestermangel. Okay, könnte man sagen, die Kirche wird kleiner. Weniger Mitglieder, weniger Priester - wenn das Verhältnis sich dabei einigermaßen die Waage hielte, dann wäre so ein Schrumpfungsprozess noch nicht unbedingt als "Krise" zu bezeichnen, könnte vielleicht sogar etwas Gesundes an sich haben. Aber so ist es nicht.

Zum einen schrumpft die Mitgliederzahl der katholischen Kirche in Deutschland nämlich gar nicht so dramatisch, wie man angesichts der jährlichen Austrittszahlen denken könnte. Es wird nämlich gern vergessen, die Austritte mit den Neueintritten, v.a. den Taufen, gegenzurechnen, und deren Zahl ist nach wie vor hoch. Zudem darf man unterstellen, dass zumindest ein Teil derer, die aus der Kirche austreten, schon vorher nicht zu den besonders aktiven Mitgliedern gehört haben wird - oder umgekehrt ausgedrückt: Diejenigen Kirchenmitglieder, die die "Angebote" ihrer Kirchengemeinde intensiv nutzen, dürften eher weniger zum Austritt neigen.

Das Ergebnis ist: Durch die Austritte haben die Priester und sonstigen Kirchenmitarbeiter nicht weniger Arbeit; aber die Kirche hat, infolge verminderter Steuereinnahmen, weniger Geld. Und außerdem, wie bereits festgestellt, Priestermangel.

Die Auswirkungen dieser Situation kann man in Deutschland landauf, landab beobachten; besonders deutlich oder vielleicht auch nur besonders medienwirksam zeigen sie sich derzeit jedoch im Bistum Essen, auch bekannt unter der Bezeichnung "Ruhrbistum". Das Bistum muss sparen und greift daher zu Umstrukturierungsmaßnahmen, wozu auch die Zusammenlegung von Pfarreien zählt; das heißt, genau wie in der freien Wirtschaft, dass Standorte geschlossen werden müssen. Allein in Duisburg-Nord sind sechs Kirchen davon betroffen. Aber es regt sich Widerstand gegen diese Pläne.

Gemeindemitglieder der auf der Streichliste stehenden Pfarreien vernetzten sich - vom 'Arabischen Frühling' lernen heißt siegen lernen - via Facebook und organisierten Protestaktionen, wozu auch Besetzungen einigr von der Schließung bedrohter Kirchen zählten. Spätestens an diesem Punkt wurde auch der SPIEGEL auf das Thema aufmerksam und brachte in seiner Weihnachtsausgabe einen Artikel mit dem durchaus nicht unwitzigen Titel Occupy St. Norbert; als Autor zeichnete der an anderer Stelle in diesem Blog schon einmal erwähnte Peter Wensierski. An ziemlich früher Stelle des Artikels lenkt Wensierski das Augenmerk des Lesers auf die sozialen Begleiterscheinungen der drohenden Kirchenschließungen: "Mit den Gotteshäusern verschwinden auch Kindergärten und Suppenküchen, ebenso Treffpunkte für Jugendliche, Mütter und Senioren - alles Einrichtungen, die auch für den sozialen Zusammenhalt in Dörfern und Stadtvierteln stehen." Nun ist es ja ganz interessant, einmal darauf hingewiesen zu werden, was die Kirche so alles für das Gemeinwesen tut; dass es um Wensierskis Verständnis für die eigentlichen Kernaufgaben der Kirche - wozu an prominenter Stelle die Spendung der Sakramente zu zählen wäre - weniger gut bestellt ist, zeigt der mokant-spöttische Tonfall, in dem er berichtet, angesichts der Besetzung von St. Barbara habe die Küsterin "vorsichtshalber das sogenannte [sic!] Allerheiligste aus dem Tabernakel" genommen und "dem 'Leib Christi', der geweihten Hostie, über Nacht in der Sakristei eine provisorische Bleibe" gegeben.

Überhaupt ist ja Skepsis geboten, wenn ein als ausgesprochen kirchenkritisch, wenn nicht gar kirchenfeindlich bekanntes Magazin wie der SPIEGEL im Ton besorgter Anteilnahme über Probleme in der Kirche berichtet. Und so wird bei genauerem Hinsehen auch schnell deutlich, was den SPIEGEL an dieser Geschichte wirklich bzw. vor allem interessiert. Indem Peter Wensierski die Duisburger Kirchenbesetzer als "Wutkatholiken" tituliert - analog zu der v.a. im Zusammenhang mit Stuttgart 21 populär gewordenen Wortschöpfung "Wutbürger" -, suggeriert er, die Duisburger Proteste seien ein Symptom für eine allgemeine Gärung innerhalb der Kirche; obwohl die Kirchenbesetzer lediglich die Erhaltung ihrer Heimatpfarreien und nicht etwa die Abschaffung des Zölibats oder die Zulassung von Frauen zum Priesteramt fordern, werden sie pauschal der innerkirchlichen Reformbewegung zugerechnet.

Ganz abwegig ist diese Sichtweise allerdings wohl nicht. Immerhin bedeutet der Protest gegen Kirchenschließungen einen Protest gegen die Leitung des Bistums, und das ist für das Amtsverständnis katholischer Bischöfe - "Wer nicht mit dem Bischof ist, der ist auch nicht in der Kirche", sagt der hl. Cyprian von Karthago - eigentlich ein unerhörter Affront. Den SPIEGEL freut's - umso mehr, als der hier zuständige Bischof Franz Josef Overbeck, mit 47 Jahren der jüngste Diözesanbischof Deutschlands, als einer der "jungen Konservativen in der Deutschen Bischofskonferenz" gilt. So erinnert Wensierski seine Leser daran, dass Bischof Overbeck "durch Ausfälle gegen Homosexuelle in der Talkshow 'Anne Will'" Aufsehen erregt habe; das gehört zwar eigentlich nicht zum Thema, ist aber ein immer wieder gern genommener Vorwurf (was Overbeck bei Anne Will wirklich gesagt hat, wie sich das zur offiziellen Haltung der katholischen Kirche zum Thema Homosexualität verhält und wie der Bischof seine Äußerungen später korrigiert bzw. relativiert hat, kann man hier nachlesen). Zudem heißt es von ihm, er gelte als "möglicher Nachfolger des einflussreichen Kölner Kardinals Joachim Meisner". Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. Indem Overbeck Ambitionen auf den Kölner Erzbischofssitz nachgesagt werden, werden durch die Blume auch Zweifel an seinem Engagement für seine jetzige Diözese gestreut - nach dem Motto: Wenn er sowieso nach Köln will, kann es ihm ja egal sein, wenn er im Ruhrbistum verbrannte Erde hinterlässt. Gleichzeitig mögen Overbecks Aussichten auf den erzbischöflichen Stuhl zu Köln, der traditionell mit dem Kardinalspurpur verbunden ist, für den SPIEGEL ein Grund mehr sein, den vermeintlichen oder tatsächlichen Hardliner Overbeck zu attackieren - womöglich gar in der Hoffnung, Overbecks Karrierechancen könnten durch die Duisburger Vorgänge bechädigt werden. Ob das eine realistische Erwartung ist, darf bezweifelt werden, aber die Zeit wird es zeigen - Kardinal Meisner ist 78 Jahre alt und hat dem Papst schon 2008 aus Altersgründen seinen Rücktritt angeboten.

Doch auch jenseits der Frage der Meisner-Nachfolge bieten die Duisburger Proteste gegen Kirchenschließungen genug politischen Zündstoff. So liegt eine der von der Schließung bedrohten Kirchen, St. Peter und Paul, in unmitelbarer Nähe der größten Moschee Deutschlands. Für Islamphobiker und andere Kulturpessimisten ist diese Konstellation selbstredend ein sicheres Anzeichen für den nahenden Untergang des Abendlandes: So weit ist es gekommen, der Islam verdrängt das Christentum aus unseren Städten! Den Verhältnissen vor Ort wird diese düstere Sichtweise allerdings kaum gerecht. Tatsächlich hat sich gerade die katholische Gemeinde St. Peter und Paul sich vor fünf Jahren sehr für einen muslimischen Treffpunkt in ihrem Stadtteil eingesetzt - und das haben die dortigen Muslime ihren katholischen Nachbarn nicht vergessen. "Ihr habt uns beim Bau unserer Moschee geholfen, jetzt helfen wir euch beim Kampf um eure Kirchen!", heißt es in Duisburgs Norden; eigentlich ein schönes Signal für freundschaftliches Miteinander verschiedener Religionsgemeinschaften - und wie ich soeben erfahre, haben die Proteste hier sogar einen Erfolg erzielt: St. Peter und Paul wird nun doch nicht geschlossen, womit, wie ein Sprecher des Bistums erklärt, "ein Zeichen für den interreligiösen Dialog gesetzt werden" soll.

Dass es um diesen auch in Duisburg nicht überall so gut bestellt ist wie im Falle der Nachbarschaft zwischen Merkez-Moschee und St. Peter und Paul, belegen andere Nachrichten aus dem Norden der Niederrhein-Metropole. Vor wenigen Wochen berichtete das Nachrichtenportal "Der Westen" über "Gewalt gegen Kirchen in Duisburg", insbesondere über wiederholte Steinwürfe gegen die auch als "Laarer Dom" bekannte Kirche St. Maximilian und Ewaldi in Duisburg-Laar; und obwohl die Täter unbekannt sind, suggeriert der Artikel, es handle sich um muslimische Jugendliche, die sich darüber geärgert hätten, dass sie auf dem Parkplatz der Kirche nicht Fußball spielen dürfen. Der Blog Via Dolorosa, der dem durchaus ernsten Thema Christenverfolgung gewidmet ist, griff das Thema sofort auf und verschärfte die Überschrift des genannten Artikels zu "Angriffe auf Christen in Duisburg". In dem Blogbeitrag heißt es u.a.: "Mal ganz abgesehen davon, dass kein Christ in Deutschland auf die Idee kommen würde, auf dem Grundstück einer Moschee Fußball zu spielen, scheint unserer Respekt vor der Religion anderer Menschen weitaus größer zu sein, als der vieler Muslime vor dem Christentum. Es geht den jugendlichen Muslimen [...] nicht ums Fußballspielen, so ein Quatsch, es geht wohl eher darum, dass der Christ an sich schon mal ein Dorn im Auge des Muslimen ist." -- Ob da womöglich derjenige, der über den "Dorn im Auge des Muslimen" spricht, den Balken im eigenen Auge nicht sehen will, sei nur mal so am Rande in die Diskussion geworfen.

Um zwischen den Protestaktionen der Katholiken in Duisburg-Hamborn und -Marxloh einerseits und den Fällen von Kirchenvandalismus in Duisburg-Laar einen inneren Zusammenhang zu wittern, müsste man freilich schon ein ganz ausgebuffter Verschwörungstheoretiker sein; aber zu denken gibt die Synchronizität der Ereignisse allemal. Einerseits könnte man, sehr frei nach Brecht, fragen: "Was ist die Beschädigung einer Kirche gegen die Schließung einer Kirche?". Andererseits erscheint die Frage berechtigt, ob nicht auch die Besetzung eines Gotteshauses einen Akt der Entweihung darstellt (und die Küsterin von St. Barbara, die vorsichtshalber das Allerheiligste in Sicherheit gebracht hat, hat dazu sicherlich eine klare Haltung). Überhaupt werden sich die Duisburger "Wutkatholiken" die kritische Frage gefallen lassen müssen, ob sie die Kirche womöglich allzusehr als Dienstleisterin missverstehen.

Klar dürfte bei alledem - trotz des Teilerfolgs im Fall von St. Peter und Paul - sein, dass Protestveranstaltungen die Zusammenlegung von Pfarreien und damit auch die Schließung von Kirchen, wenn solche Maßnahmen durch Priestermangel und schrumpfende Gemeinden notwendig werden, nicht verhindern können. Und auch wenn die Proteste mit den jüngsten Verlautbarungen des Bistums womöglich noch nicht beendet sein werden, wird das Bistum letztlich doch tun, was das Bistum tun muss; Bischof Overbeck wird Kardinal werden oder vielleicht auch nicht; und die katholische Kirche im Ruhrgebiet wird schrumpfen, aber nicht untergehen.

Was wird also bleiben von den Duisburger Kirchenprotesten? - Mindestens wohl der Erfolg, in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür geschaffen zu haben, welchen Verlust es für die Kommunen bedeutet, wenn die Kirche sich aus ihnen zurückzieht. Und das könnte für die Debatte über die Rolle der Kirche in der Gesellschaft ein durchaus produktiver Beitrag sein.

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