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Freitag, 11. November 2016

Valerie und die jungen Erwachsenen

Seit Ende September gehen meine Liebste und ich ziemlich regelmäßig zum Kreis junger Dunkelkatho Erwachsener der Pfarrei St. Antonius in Berlin-Friedrichshain. Speziell für mich, der ich gegenüber den Gruppen und Kreisen von Pfarrgemeinden von jeher gewisse Berührungsängste hatte, ist dieser Kreis ein echter Glücksfall: lauter nette Leute, angenehme Atmosphäre und stets interessante Gesprächsthemen. Nebenbei bemerkt bildet dieser Kreis junger Erwachsener auch eine interessante Schnittstelle zwischen Pfarreiarbeit und Blogoezese - denn zu den mehr oder minder regelmäßigen Teilnehmern zählen einerseits die Pfarrbriefredakteurin und der Webmaster der Pfarrei-Homepage, andererseits der Betreiber des Podcasts Gott bewahre!, der Initiator und Chefredakteur des katholischen Lifestyle-Blogs The Cathwalk und nun eben auch meine Frau und ich. Ich bin in dieser Runde - sogar mit einigem Abstand, glaube ich - der Älteste und freue mich immer wieder, dass ich mich noch zu den "jungen Erwachsenen" rechnen darf. 

Das gestrige Treffen dieses Kreises war schon seit einiger Zeit mit Spannung erwartet worden, denn es hatte sich ein besonderer Gast angekündigt: die Journalistin Valerie Schönian, bekannt durch das Blogprojekt Valerie und der Priester.

Suchbild: Wo ist Valerie? (Und wo bin ich?) 
Dieses Projekt, das im April begonnen hat und in dessen Rahmen Valerie den jungen Kaplan Franziskus von Boeselager ein Jahr lang in seinem beruflichen Alltag begleitet, ist wohl bekannt genug, als dass ich hier große Erläuterungen zum Konzept einschalten müsste. Könnte man jedenfalls denken. Was mich persönlich betrifft, so war ich, nachdem ich den Trailer gesehen hatte, recht neugierig auf das Projekt gewesen, aber nach der Lektüre von drei oder vier Folgen des Blogs flaute mein Anfangsinteresse schnell ab - zu den Gründen später. Es vergingen einige Monate, bis ich - auf Empfehlung von Bloggerkollegen und anderen befreundeten Netzkatholiken - doch mal wieder bei Valerie und der Priester reinschaute, und seitdem habe ich zwar längst nicht alle Beiträge dieses Blogs gelesen, aber doch immer mal wieder einen. Gleichwohl spricht es für mein eher oberflächliches Interesse, dass ich einige Fakten zu den Hintergründen des Projekts gestern Abend aus Valeries Mund zum ersten Mal hörte. 

Das betraf zum einen den Umstand, dass der Bestseller-Autor Erik Flügge (mit dessen vieldiskutierten Thesen zur "Kirchensprache" ich mich in einem Beitrag für die Tagespost kritisch auseinandergesetzt habe) eine wesentliche Rolle bei der Konzeption von Valerie und der Priester gespielt hat. Und zum anderen war mir zwar vage bewusst gewesen, dass das Projekt aus kirchlichen Töpfen finanziert wird - nicht aber, dass Valerie und der Priester in die Zuständigkeit des Zentrums für Berufungspastoral fällt. Dazu werden auch noch zwei, drei Worte zu sagen sein. 

Keine Überraschung war es hingegen, dass die Initiatoren des Projekts einen möglichst großen Kontrast zwischen den Protagonisten - eben Valerie und dem Priester - erzielen wollten und daher gezielt nach einer eher linken, feministischen und möglichst kirchenfernen Journalistin gesucht haben. Und da muss man sagen, dass Valerie Schönian wirklich eine sehr gute Wahl ist. Wie sie selbst sagt, war sie, bevor sie diesen Auftrag übernahm, "noch nicht einmal kirchenkritisch"; vielmehr habe die Kirche, und überhaupt Fragen von Glaube und Religion, in ihrem Leben und ihrem Denken schlicht überhaupt keine Rolle gespielt. Diese totale Fremdheit nicht nur der Kirche als Organisation gegenüber, sondern ganz allgemein gegenüber der Welt des christlichen und speziell des katholischen Glaubens prägt das Projekt Valerie und der Priester sehr stark, auch noch nach einem halben Jahr. Als Valerie äußerte, dieses Aufeinanderprallen zweier völlig verschiedener Welten bedeute ja auch eine Herausforderung, zumal sie sich dazu habe verpflichten müssen, dies ein Jahr lang "durchzuhalten", musste ich gleich mal "provokant dazwischengrätschen": Da gebe es ja etwas ungleiche Voraussetzungen, meinte ich. "Für dich ist es - auch wenn ein Jahr natürlich schon eine lange Zeit ist - ein zeitlich begrenztes Projekt. Für uns, auf der katholischen Seite, ist diese Konfrontation Alltag. Das ist unser ganzes Leben." Valerie räumte das zwar ein, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass sie wirklich verstand, was ich meinte. Ich komme darauf noch zurück. 

Was immer man nun persönlich von dem Projekt Valerie und der Priester halten mag, kann man auf jeden Fall festhalten, dass Valerie im Rahmen des ihr vorgegebenen Konzepts alles richtig macht. Und sie macht durchaus den Eindruck, mit ehrlicher Begeisterung dabei zu sein. Sie sagt, journalistisch sei es eine enorm spannende Aufgabe, einen Menschen, der in einer völlig anderen Welt lebt als sie selbst, ein Jahr lang begleiten und kennenlernen zu dürfen. Und sie lerne dabei auch viel - über den Umgang mit anderen Perspektiven, anderen Weltbildern. Eine andere Frage ist, was die Auftraggeber sich eigentlich von diesem Projekt versprechen. Sicherlich kann man sagen, die große Aufmerksamkeit, die Valerie und der Priester zuteil wird, trage in Verbindung mit der authentischen Sympathie, mit der Valerie den Kaplan von Boeselager trotz aller weltanschaulichen Differenzen schildert, dazu bei, dass die Kirche in den Medien zur Abwechslung mal in einem vergleichsweise positiven Licht erscheint. Man mag das also als eine relativ gelungene Imagekampagne für die Kirche betrachten. Aber --- Berufungspastoral? Als zentrale Fragestellung von Valerie und der Priester kann man die ungläubig-staunende Frage betrachten, was einen jungen Mann heutzutage eigentlich dazu veranlasst, ausgerechnet Priester werden und sein zu wollen. Die Art und Weise, wie diese Frage gestellt und die Annäherung an eine Antwort gesucht wird, dürfte vor allem ein kirchenfernes Publikum ansprechen, das durch Valerie gewissermaßen repräsentiert wird. Aber ist es denkbar, dass junge Männer durch diese Form der Reportage dazu angeregt werden, sich für das Priesteramt zu interessieren? Dass potentielle zukünftige Priester, die mit ihrer Berufung ringen oder sich nicht sicher sind, ob sie eine haben, darin Orientierung finden? Das kann ich mir nun gar nicht vorstellen, und die Diskussionen im Kreis junger Erwachsener zeigte, dass es mir da nicht allein so geht. 

Dafür kann nun natürlich Valerie nichts. Dennoch kann ich auch sie mit Kritik nicht ganz verschonen. Zunächst einmal hatte ich - und nicht nur ich - den Eindruck, dass sie selbst gar nicht merkt, wie sehr sie in Vorurteilen befangen ist. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal darauf zurückkommen, was ich meinte, als ich sagte, in Hinblick auf das Aufeinanderprallen zweier Welten gebe es ungleiche Voraussetzungen: Als gläubiger Katholik, der auch seine Einstellung zu allerlei gesellschaftlich relevanten Themen an seinem Glauben und der Lehre seiner Kirche ausrichtet, hat man es im alltäglichen Leben ständig mit Leuten zu tun, die den eigenen Glauben und die eigenen Auffassungen nicht nur nicht teilen, sondern auch prinzipiell nicht verstehen. Das führt häufig zu Auseinandersetzungen, die anstrengend sein können, aber auch dazu verhelfen können, den eigenen Standpunkt zu schärfen und das eigene Verständnis dafür zu vertiefen. Das ist umgekehrt, also aus Sicht des - sagen wir mal - "linken Säkularisten", eher weniger der Fall. Bloggerkollegin Anna hat dazu unlängst einen lesenswerten Artikel veröffentlicht, übrigens auch in direkter Reaktion auf Valerie und der Priester. Und dann bin ich kürzlich auf einen Artikel von Charles Camosy in der Washington Post gestoßen, dessen konkreter Anlass der Wahlsieg Donald Trumps war, dessen zentrale Aussagen aber weit über diesen Anlass hinausgehen. Camosy, Professor an der Fordham University, beschreibt das Phänomen, dass junge Intellektuelle zunehmend nicht mehr verstehen, dass es außerhalb ihrer Filterblase Menschen gibt, die fundamental andere Ansichten und Überzeugungen haben als sie selbst. Er führt das darauf zurück, dass im akademischen Apparat eine liberal-säkularistische Weltanschauung in einem solchen Maße dominant ist, dass sie schon gar nicht mehr als Weltanschauung wahrgenommen wird, sondern als etwas Selbstverständliches. Wenn man sich aber der Prämissen des eigenen Denkens nicht mehr bewusst ist, kann man auch die Prämissen des Denkens eines Anderen nicht verstehen. 

Um zu erklären, was das mit Valerie und der Priester zu tun hat, muss ich ein bisschen ausholen. Dass mein Anfangsinteresse an diesem Blogprojekt, wie erwähnt, relativ schnell abflaute, hatte damit zu tun, dass die bloße Gegenüberstellung zweier einander entgegengesetzter Weltanschauungen mir bald langweilig wurde. Ich hatte den Eindruck: Da findet keine Entwicklung statt. Als ich nach längerer Pause mal wieder in den Blog reinschaute, stellte ich fest, dass das nicht ganz so stimmt. Es gibt durchaus eine Entwicklung in Valeries Wahrnehmung der ihr fremden Welt des Glaubens und der Kirche - aber diese findet auf einem rein subjektiven und emotionalen Level statt. Valerie entwickelt nach und nach ein emotionales Verständnis dafür, dass Glaube und Kirche für Franziskus von Boeselager (und andere Gläubige) "Heimat", Orientierung, Halt und Sicherheit bedeuten. Das ist alles nicht falsch, aber da fehlt ein ganz wesentlicher Aspekt: die Frage nach der - so zu sagen - "überpersönlichen" Wahrheit des Glaubens. Wenn Valerie denkt "Okay, für Franziskus ist das so, weil er eben glaubt", dann ist das für sie - das sagt sie übrigens selbst - schon eine bahnbrechende Erkenntnis. Den Schritt, auch nur hypothetisch in Erwägung zu ziehen "Vielleicht ist es ja wahr", geht sie jedoch nicht. Nun kann man sagen, das sei vielleicht auch nicht ihre Aufgabe im Rahmen des Projekts; aber die Verständnisbarriere, die dadurch aufgebaut bzw. aufrecht erhalten wird, dass dieser Gedanke nicht einmal ansatzweise eine Rolle spielt, ist gravierend. Denn auf diese Weise entgeht ihr das missing link zwischen einem persönlichen, emotional besetzten Glauben und dem Bekenntnis zu konkreten ethischen oder gesellschaftspolitischen Standpunkten. Dieses fehlende Bindeglied ist die Glaubenslehre, und diese ist - im Gegensatz zur Tatsache des Glaubens selbst, derer sie gleichwohl als Voraussetzung bedarf - sehr wohl rational vermittelbar; doch wenn Kaplan von Boeselager oder seine Priesterkollegen versuchen, darüber mit Valerie zu reden, steigt sie innerlich aus. Das sagt sie selbst. Mit dem emotionalen Zugang zum Glauben, sagt sie, kann sie eher etwas anfangen. Das führt dann aber eben dazu, dass sie Franziskus und andere gläubige Katholiken zwar ganz sympathisch finden kann und zu verstehen meint, was der Glaube ihnen "gibt" - dann aber ganz schockiert und fassungslos ist, wenn diese Gläubigen Auffassungen vertreten, die aus ihrer Sicht antiquiert und indiskutabel sind. 

Gleichzeitig versteht sie aber auch den subjektiven und emotionalen Zugang zum Glauben, ja erst recht diesen, nicht wirklich. Das kann man von jemandem, der selbst nicht glaubt, allerdings auch nicht erwarten. Dennoch wirkt es einigermaßen grotesk, wenn sie durch ihren Wahrnehmungsfilter hindurch den Weltjugendtag in Krakau, an dem sie teilgenommen hat, als eine "Nische" betrachtet, in die junge Gläubige sich "zurückziehen", um sich endlich einmal "nicht rechtfertigen zu müssen".

Angesichts dieser Verständnisbarriere, die Valerie gegenüber der Welt des katholischen Glaubens hat, hätte ich mir von der gestrigen Veranstaltung im Kreis junger Erwachsener eigentlich mehr offenen Austausch gewünscht, anstatt dass Valerie im wesentlichen über ihr Projekt referiert und Fragen dazu beantwortet. Das ist kein Vorwurf an ihre Adresse - darüber hätte man sich im Vorfeld verständigen müssen, aber vielleicht kann man das ja mit Blick auf künftige Veranstaltungen ähnlichen Zuschnitts im Auge behalten. -- Einer meiner Lieblingsmomente des gestrigen Abends kam, als der Cathwalk-Chefredakteur anmerkte, inzwischen lese er Valerie und der Priester durchaus mit Interesse, anfangs sei er jedoch negativ voreingenommen gewesen: 

"Ich hab gedacht, das ist mal wieder so ein typisches Projekt der Bischofskonferenz. Super-links." 
"Die Bischofskonferenz ist super-links?", fragte Valerie irritiert dazwischen. 
Vielstimmige Antwort aus dem Plenum: "Jaaa." 
Valerie: "Das muss ich jetzt erst mal verarbeiten." 

Das mal so als ein Beispiel dafür, dass Valerie dieses Aufeinanderprallen verschiedener Welten, das ihre Arbeit mit Franziskus von Boeselager prägt, auch bei uns hätte erleben können - wenn sie sich mehr darauf eingelassen hätte. Wenn man bedenkt, dass sie zu einem Raum voller junger Katholiken sprach, die auch durchweg nicht nur auf dem Papier katholisch sind - darunter drei junge Ehepaare, von denen zwei noch deutlich jünger, aber trotzdem länger verheiratet sind als meine Liebste und ich -, ist es eigentlich schade, das sie nicht mehr Fragen an uns hatte. Vielleicht hätten wir ihr mehr neue Erkenntnisse vermitteln können als sie uns. Gerade meine Liebste, die ja in einem völlig religionsfernen Umfeld aufgewachsen ist und erst in ihren späten Teenagerjahren den Kontakt und Bezug zu Glauben und Kirche gefunden hat, hätte ihr sicher einige Einblicke aus ihrer persönlichen Erfahrung mitgeben können, die auch für ihr Projekt hätten fruchtbar sein können. Sie hat auch tatsächlich - beim Übergang zum "gemütlichen Teil" des Abends - einen Anlauf dazu unternommen, aber Valerie ist darauf kaum eingegangen. Fairerweise muss man sagen, dass das wohl auch damit zu tun hatte, dass sie nicht unbegrenzt viel Zeit mitgebracht hatte. Schade war's trotzdem. 

-- Ein paar versöhnliche Worte zum Abschluss? Gerne doch! Der Abend war schön, außerordentlich gut besucht, und ich glaube, für alle Beteiligten gab es einige interessante Erkenntnisse. Es gab sogar einen Livestream auf Facebook, der zwar unter technischen Problemen zu leiden hatte, aber immerhin war das ein Novum für die Pfarrei St. Antonius und hat ihr zweifellos zu ein bisschen Publicity im Netz verholfen. Und Valerie ist wirklich nett. Ich werde ihren Blog auf jeden Fall weiter verfolgen - zumindest punktuell - und bin gespannt, ob sich darin vielleicht doch der eine oder andere Impuls aus ihrem Besuch beim Kreis junger Erwachsener wiederfinden lässt... 


2 Kommentare:

  1. Ich fand ja das ganze set up weitestgehend sinnbefreit. Zu erwarten, dass valerie plötzlich den saulus geben könnte und das Christentum für etwas anderes halten könnte als für eine x beliebige Weltanschauung, hal ich für äusserst naiv. Mich beschäftigt das Christentum seit Jahren, ich schätze viele seiner Aspekte sehr, und ich kann immer noch nicht nachvollziehen, wie jemand ernsthaft glauben kann, was Christen halt so glauben sollen. Die valerie wurde eben bewusst nicht als critical friend gecastet, sondern als grösstmöglicher outsider.was immer der priester sAgt,kann bei valerie doch nur als kaUderwelsch ankommen. Sie hat eben nicht die ohren, um zu hören. Die kirche hat hier einfach ihren priester in einer mission impossible verheizt. Wer solche dienstgeber hat, braucht keine feinde.

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  2. Herzliche Glückwünsche übrigens, ich habe mich sehr für sie und ihre Frau gefreut. Alles gute für ihre zukunft, ehe ist ein sehr schöner parcours.

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