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Donnerstag, 8. September 2016

Mutter Teresa und der Importpriester

Die Kirchengemeinde St. Bonifatius in Berlin-Kreuzberg veranstaltet einmal im Monat einen "Glaubensstammtisch" im Lokal "Kreuzberger Himmel". Bei der jüngsten Veranstaltung dieser Reihe sollte anlässlich der Heiligsprechung Mutter Teresas der im Jahr 2010 entstandene Dokumentarfilm Mutter Teresa - Heilige der Dunkelheit von Maria Magdalena Koller gezeigt werden. Das veranlasste meine Liebste und mich, dort hinzugehen, obwohl St. Bonifatius und der "Kreuzberger Himmel" von uns aus gesehen nicht gerade "um die Ecke" liegt. 

Gemeindepfarrer Oliver Cornelius, der den Stammtisch üblicherweise leitet, konnte wegen einer Kirchenvorstandssitzung nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen und wurde vom neuen Kaplan der Gemeinde, Edward Augusto Santiago Monroy, vertreten. 

Kaplan Monroy, der seinen Dienst in St. Bonifatius - nach Diakonat und Praktikum in der Pfarrei St. Matthias in Schöneberg und nach seiner Priesterweihe im Mai diesen Jahres - erst acht Tage zuvor angetreten hatte, ist gebürtiger Kolumbianer und kann somit als einer jener Geistlichen gelten, für die der "ZdK"-Vorsitzende Thomas Sternberg jüngst die wenig schmeichelhafte Bezeichnung "Importpriester" geprägt hat. Nach Berlin kam Monroy, der dem Neokatechumenalen Weg angehört, allerdings schon 2004, um das Priesterseminar "Redemptoris Mater" im Stadtteil Biesdorf zu besuchen und Theologie und Philosophie zu studieren. Unterbrochen wurde sein Aufenthalt in Berlin durch einen dreijährigen Studienaufenthalt in Italien. Er stamme aus einer "kleinen Familie", merkte der Kaplan augenzwinkernd an: Er sei das zweitälteste von acht Kindern, habe fünf Brüder und zwei Schwestern.

Ein Stammtisch-Teilnehmer wollte von Kaplan Monroy wissen, was ihn denn aus Kolumbien ausgerechnet nach Deutschland verschlagen habe: "Wollen Sie hier missionieren?" Der junge Geistliche bejahte die offenbar scherzhaft gemeinte Frage mit ernster Miene. Seine Motivation sei es, "die Liebe Gottes zu den Menschen zu bringen"; zu diesem Zweck gehe er dahin, wohin Gott ihn schicke, und das sei in seinem Fall nun mal Berlin gewesen.

In seiner Einführung zum Film würdigte Kaplan Monroy Mutter Teresa als "eine Heilige unserer Zeit" - "Mir scheint, das ist wichtig", betonte er. Viele bekannte Heilige hätten in so gänzlich anderen Zeiten gelebt als wir, dass es dem heutigen Menschen vielfach schwer falle, in ihnen Vorbilder für das eigene Leben zu sehen. Dagegen gebe Mutter Teresas Leben ein starkes Zeugnis davon, wie Heiligkeit in unserer Zeit aussehen könne. 

Der Film selbst - auf der Bildebene eine Montage aus Archivmaterial, Interviews und (einigen wenigen) Spielszenen, durchgängig mit einem zuweilen etwas penetranten Off-Kommentar versehen - zeichnet ein eindrucksvolles Bild von Mutter Teresas Arbeit in den Slums von Kalkutta: Wie sie Ende der 1940er Jahre, kurz nach der Unabhängigkeit Indiens, ihre Stellung als Lehrerin und Schulleiterin an der Saint Mary's High School in einem der "besseren" Stadtteile Kalkuttas aufgab, um, anfangs allein und ohne jede institutionelle Unterstützung, zu den Ärmsten der Armen zu gehen, wie sie selbst betteln musste, um Anderen helfen zu können; wie sich ihr nach und nach immer mehr junge Frauen anschlossen, mit denen sie den Orden der "Missionarinnen der Nächstenliebe" aufbaute, der 1950 als Kongregation päpstlichen Rechts zugelassen wurde; und wie sie schließlich zu einer weltweit bekannten und bewunderten Symbolfigur christlicher caritas wurde. Insbesondere die Gründung des ersten "Heims für die Sterbenden" (Nirmal Hriday, wörtlich "Haus des reinen Herzens") im hinduistischen Tempelbezirk Khaligat und Mutter Teresas Fürsorge für die Leprakranken werden im Film eindringlich dargestellt. Daneben, oder eigentlich sogar hauptsächlich, konzentriert sich der Film auf Mutter Teresas Glaubenszweifel, Anfechtungen und Erfahrungen von Einsamkeit, Trostlosigkeit und Gottverlassenheit, denen sie in Briefen und Tagebuchaufzeichnungen Ausdruck gegeben hat. 

"Wofür arbeite ich? Wenn es keinen Gott gibt, kann es auch keine Seele geben. Wenn es keine Seele gibt, dann, Jesus, bist du auch nicht wahr!" Diese Tagebuchnotiz Mutter Teresas aus dem Jahr 1959 steht ganz am Anfang des Films, und ähnliche Zitate durchziehen ihn geradezu leitmotivisch. Gleichzeitig lässt der Film keinen Zweifel daran, dass Mutter Teresas unermüdlicher Einsatz für die Armen, Leidenden und Ausgestoßenen gerade durch ihre bedingungslose Hingabe an Gott motiviert war und dass allein ihr Glaube ihr die schier übermenschlich erscheinende Kraft für ihre Arbeit gegeben hat. In einem Interview-Ausschnitt erklärt Mutter Teresa, sie habe "nie, nicht einmal für eine Sekunde daran gezweifelt, das Richtige getan zu haben": "Es war Gottes Wille, Er hat mich erwählt". An dem scheinbaren Widerspruch zwischen diesen Äußerungen arbeitet der Film sich weidlich ab. "Das Gefühl, von Gott nicht geliebt zu werden, bringt sie den Armen noch näher", konstatiert die Stimme aus dem Off, um kurz darauf rhetorisch zu fragen: "Braucht Mutter Teresa die Armen, um Gott zu finden?" 

Zwei langjährige geistliche Begleiter der Heiligen, Pater Joseph Neuner SJ und Pater Albert Huart SJ, kommen zu Wort, um dem Zuschauer das schon von dem großen Mystiker Johannes vom Kreuz (1542-1591) beschriebene Phänomen der "Dunklen Nacht der Seele" begreiflich zu machen: Solche Erfahrungen seien geradezu charakteristisch für Menschen, die eine besonders intensive Gottesbeziehung hätten; je näher der Mensch Gott komme, umso deutlicher - und schmerzlicher - spüre er die Distanz zu Ihm. 

Trotz solcher Erläuterungen krankt der Film insgesamt daran, dass er dem katholischen Glauben im Allgemeinen und Mutter Teresas persönlicher Frömmigkeit im Speziellen letztlich als etwas Fremdem und Unverständlichem gegenübersteht. So wird Mutter Teresas "obsessive [!] Hingabe an Gott" tendenziell pathologisiert und andeutungsweise als Kompensation für den frühen Tod ihres Vaters erklärt. Den Vogel schießt die Psychiaterin und "Burnout-Expertin" Margot Schmitz ab, die der Heiligen eine "aggressive Lebenseinstellung" und eine "workaholische Auffassung vom Leben" attestiert - die, wer hätte es gedacht, "mit Burnout was zu tun" habe. In ein ausgesprochen schlechtes Licht rückt der Film den Hl. Papst Johannes Paul II., der, dem gängigen antiklerikalen Klischee entsprechend, als gewiefter und machtbewusster Politiker dargestellt wird, der die Popularität Mutter Teresas geschickt für seine Zwecke auszunutzen gewusst habe. So wird mehr oder weniger unterschwellig suggeriert, bei ihren zahlreichen öffentlichen Auftritten, bei denen sie immer wieder "dieselbe Brandrede [...] vor allem gegen Abtreibung" gehalten habe, habe Mutter Teresa quasi als Werkzeug und Sprachrohr des Papstes agiert. 

Wie die abschließende Diskussion zeigte, war den meisten Stammtisch-Teilnehmern das, was mich an dem Film ärgerte, aber anscheinend gar nicht so sehr aufgefallen. Stattdessen waren die Wortmeldungen geprägt von tiefer Bewunderung für das caritative Wirken Mutter Teresas (verbunden mit Unverständnis gegenüber dem Umstand, dass Kritiker wie Christopher Hitchens so einen Aufwand betrieben haben, die Heilige mit an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen schlecht zu machen) - und von tiefer Betroffenheit über die Zeugnisse ihrer Glaubenskrisen. Kaplan Monroy äußerte, Glaubenszweifel kenne wohl jeder Christ - und das sei nicht unbedingt etwas Schlechtes, denn solche Zweifel könnten auch einen Weg aufzeigen, "Gott besser kennenzulernen". Außerdem betonte er: "Auch wir sind gerufen, heilig zu werden!" 

Nebenbei bemerkt stieß auch Mutter Teresas vehementer Einsatz gegen Abtreibung bei den Stammtischteilnehmern auf einhellige Zustimmung. Insgesamt war es eine sehr angenehme und durchweg "gut katholische" Gesprächsatmosphäre. Meine Liebste und ich sind uns einig: Da gehen wir in Zukunft öfter hin. 



1 Kommentar:

  1. Welche Hybris vom obersten Vertreter der katholischen deutschen Laien [von mir hat er allerdings kein Mandat, mich zu vertreten], wenn er ausländische Kleriker als "Importpriester" abqualifiziert.

    Folgende eigene Erfahrungen in unserem pastoralen Raum mit Klerikern fremdländischer Herkunft:

    1.)Ein indischer Priester wurde unserem Pfarrer zugeteilt, um ihn zu unterstützen u. praktische Erfahrungen in Gemeinde zu sammeln.
    Ein sehr sympathischer, offener und freundlicher Mann aber leider sind die Deutschkenntnisse des Priesters so miserabel, dass selbst das von ihm verlesene Evangelium kaum zu verstehen ist. Bis zum Ende des mehrmonatigen Praktikums wird aber offenbar von Bistumsseite daran nichts geändert (Sprachkurs...), und der Priester wird so schließlich in die tiefste Diaspora nach Nordostdeutschland gesandt. Mir tut er leid und auch die dortigen Gemeinden, denn sprachliche Verständigung ist in diesem Beruf von grundlegender Bedeutung.

    2.)Ein schwarzafrikanischer Priesteramtskandidat wird ebenfalls unserem Pfarrer zugeteilt zwecks Gemeindepraktikum. Er spricht sehr gut verständlich deutsch wenngleich mit leichtem Akzent und ist bei den Menschen sehr beliebt. Bald erhält er die Diakonenweihe und darf nun als Diakon u.a. auch predigen, taufen, trauen und beerdigen. Auch besucht er Kranke und Alte und bringt ihnen die hl. Kommunion. Er ist allerdings "konservativ", kommt deshalb mit dem Regens in Konflikt und in der Gemeinde arbeitet eine liberal eingestellte Gemeindereferentin gegen ihn. 

    So wird seine Priesterweihe weit über die Zeit (über ein Jahr) hinausgezögert und es gelingt den "liberalen" Kräften in der Gemeinde, den Pfarrer zu beeinflussen, dass man ihn nicht mehr predigen lässt - unter haarsträubenden Begründungen.

    Erst mit monatelangen Verzögerungen und erst nachdem sich nicht allein mehrere Gemeindemitglieder sondern auch mehrere Pfarrer für ihn persönlich beim Bischof eingesetzt haben und zwischenzeitlich auch ein neuer Regens eingesetzt wurde, wird dieser Mann endlich zum Priester geweiht.
    Die betr. Gemeindereferentin verlässt übrigens kurz darauf das Bistum, mit dem Pfarrer gibt es eine Aussöhnung und der Neupriester ist jetzt in einer Gemeinde im Norden als Kaplan.

    Die beiden Beispiele zeigen einerseits Dilletantismus in der Ausbildung aber auch im Umgang mit neuen bzw. angehenden Klerikern fremdländischer Herkunft - ich möchte es z.T. sogar als Diskriminierung bewerten.

    Für eine christliche Kirche ist das allerdings eine Schande!

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