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Donnerstag, 11. Februar 2016

"Publizistische Relevanz"? Es geht um die Diskurshoheit!

Armer Björn Odendahl! Immer wird er missverstanden. Da schreibt er auf katholisch.de eine Standpunkt-Kolumne, in der er die bürokratischen Strukturen der Katholischen Kirche in Deutschland - von denen er schließlich lebt! - verteidigt und behutsam vor übertriebener Idealisierung der "armen Kirche" Afrikas warnt; schon fallen alle über ihn her, von dunkelkatholischen Blogs wie katholon oder JoBo72 bis hin zu international hochrangigen katholischen Magazinen wie First Things und dem Catholic Herald. Nicht nur eurozentrische Arroganz wird ihm vorgeworfen, sondern sogar Rassismus. Dabei wollte er doch Niemandem etwas Böses. Schon gar nicht Kardinal Sarah. -- Und kaum hat sich die Aufregung darüber einigermaßen gelegt, da verfasst Björn Odendahl anlässlich des Rosenmontags, nichts Böses ahnend, eine kleine Glosse, in der die etwas auffälliger Frommen unter den deutschen Katholiken liebevoll-augenzwinkernd auf die Schippe genommen werden. Zum Karneval sollen schließlich auch diejenigen Katholiken, die katholisch.de normalerweise eher nicht lesen, etwas zu lachen haben: sich selbst. Aber was muss Redakteur Odendahl da erleben: Die freuen sich ja gar nicht! Im Gegenteil, einige sind richtiggehend beleidigt!

Den durchschnittlichen katholisch.de-Leser (oder -Autor, for that matter) bestärkt diese Reaktion letztlich aber nur in dem, was er schon immer gewusst oder zumindest geahnt hat: Die Dunkelkatholen, die Fundis, Tradis oder wie auch immer man sie nennen will, die Katholiban, die Pullunderträger, die haben einfach keinen Humor. Die gehen zum Lachen in den Keller und anschließend zur Beichte, und dann wieder zurück in den Keller, um sich mit der Neunschwänzigen Katze zu kasteien, oder so. Leser, denen Odendahls Rosenmontags-Glosse gefallen hatte, schrieben auf der Facebook-Seite von katholisch.de beispielsweise: 
"Liebe Nörgler,
es ist Rosenmontag, ich persönlich glaube an einen gütigen, sicher auch humorvollen Gott und finde diesen Artikel großartig. Allen anderen empfehle ich zur Beruhigung ein 'Vater unser'." 

"Lieber Himmel, sind hier einige verbittert. [...] Nehmt doch nicht alles so ernst. Gott liebt uns alle!"
"Wenn ich mir manche Kommentare durchlese dann wundere ich mich nicht mehr dass unsere Kirchen leerer werden ... nicht wegen des Artikels hier .... sondern wegen der Verbissenheit die einige haben .... […] hab ich irgendwo das 11. Gebot übersehen : du darfst nicht lachen und schon gar nicht über deinen Glauben?"
Derweil beharrten Kritiker des Artikels - deren es recht viele gab - darauf, der Punkt sei gar nicht, dass sie überhaupt nichts lustig finden, sondern dass sie diesen Artikel nicht lustig finden. Dass es den Dunkelkatholen entgegen verbreiteter Vorurteile durchaus nicht an Humor mangelt, zeigte sich, nebenbei bemerkt, auch an den Antwortartikeln diverser Blogs auf Odenthals Glosse - so auf grumpycath, katholon, Pro Spe Salutis, Nur ein Kreuzknappe, Im Glauben er-leben und Katholisch ohne Furcht und Tadel. Humorlos fand ich diese Repliken durchaus nicht - am allerwenigsten den letztgenannten Artikel, anhand dessen ein Björn Odendahl geradezu lernen könnte, wie Satire funktioniert. -- Denn, ob man's glaubt oder nicht: Wir Dunkelkatholen sind seitens des Mainstreams der Katholischen Kirche in Deutschland Kummer gewohnt und kennen schon alle Witze über uns. Ja, die haben einen richtigen Bart. Das ist der eine Grund, warum wir nicht so richtig herzlich über Odendahls Rosenmontags-Glosse lachen konnten. Der andere, für mein Empfinden wichtigere Grund lautet: Mobbing auf dem Schulhof ist für die Opfer ja auch nicht besonders witzig. Meine Liebste hinterließ in der oben auszugsweise zitierten Facebook-Diskussion u.a. den Kommentar: 
"Ich komme mir vor wie in der Grundschule hier: Die Kinder, die andere ärgern und sich über sie lustig machen, werfen denen, die sie mobben, dann vor, Spaßbremsen zu sein, wenn diese sich zu wehren versuchen oder einfach nur sagen, dass sie das verletzend finden...

Sorry, aber dieser Artikel hat mit Humor nichts zu tun. Wer so unfreundlich über eine Gruppe seiner Mitmenschen herzieht, der kann nicht erwarten, dass dabei Freude aufkommt.

Aber vielleicht sagen Sie ihrem Kind, wenn es in der Schule gehänselt wird auch: 'Was hast du denn, das ist doch ganz lustig'?"

(Meine eigenen Kommentare wurden übrigens von der Redaktion gelöscht. Warum, ist mir nicht ganz klar.) 

Und meine Liebste und ich sind nicht die Einzigen, die es dem Herrn Odendahl schlicht nicht abkaufen, dass er es - ebenso wie zuvor seine üblen Schmähungen gegen afrikanische Christen - gar nicht böse gemeint habe. Oh doch, das hat er. Deswegen ist der Text so unlustig geraten, so verbissen, so feindselig. Dass eine nicht geringe Zahl von Lesern ihn dennoch lustig findet, ist so schwer zu verstehen allerdings nicht: Für die In-Group, die der Artikel anspricht, ist es ein gelungener Karnevalsscherz. Die freuen sich, wenn der "frommen" Richtung eins ausgewischt wird. Wenn die Anderen die Doofen sind, muss man nämlich nicht sich selbst in Frage stellen. Und wenn die Angegriffenen zu erkennen geben, dass sie sich tatsächlich angegriffen fühlen, dann macht das Mobbing erst so richtig Spaß. So findet ein Kommentator auf der Facebook-Seite von katholisch.de es ausdrücklich "schön, wie die Pharisäer [!] sich aufregen". (Gegen solche Äußerungen hat die Redaktion übrigens überhaupt nichts.) 

Wäre es demnach besser, der katholisch.de-Klientel nicht den Triumph zu gönnen, zu erkennen zu geben, dass man sauer, empört, verletzt ist? -- Vielleicht. Aber abgesehen davon, dass das nicht meinem Naturell entspricht, geht es hier schließlich nicht um eine Büttenrede auf der Karnevalsfeier von Wir Sind Kirche (mit ca. 15 Teilnehmern) oder um einen Sketch bei der als antiklerikal bekannten, dafür aber wenigstens meist wirklich witzigen Stunksitzung; sondern es handelt sich um katholisch.de, DAS offizielle Internet-Portal der Katholischen Kirche in Deutschland, von der Deutschen Bischofskonferenz großzügig aus Kirchensteuermitteln finanziert. Wenn in einer solchen Publikation boshaft feixend über so genannte "gute Katholiken" hergezogen wird, dann kann man schon der Meinung sein, dass da etwas ganz erheblich falsch läuft. Umso mehr, wenn der betreffende Artikel kein einmaliger Ausrutscher eines einzelnen Mitarbeiters ist, der womöglich die scharfe Kritik an seinem Afrikaner-Bashing noch nicht ganz verdaut hat - sondern offenbar der Redaktionslinie entspricht.

Dass dem so ist - dass es sich um eine gezielte Attacke handelte, die nur notdürftig als harmloser Karnevalsscherz kostümiert wurde -, lässt sich u.a. an den Reaktionen des "Chefs vom Dienst" (CvD) von katholisch.de, Steffen Zimmermann, auf die Kritik an Odendahls Rosenmontags-Glosse ablesen. Nicht nur nahm Zimmermann die Wortmeldungen Jener, die sich durch den Artikel verspottet fühlten, zum Anlass, sie auf Twitter wegen ihrer "Humorlosigkeit" noch weiter zu verspotten ("Und ich dachte, 'humorlos' und 'katholisch' schließen sich aus"); das Thema beschäftigte ihn offenbar so sehr, dass er noch einige weitere Tweets folgen ließ, die mehr über die Intention hinter Odendahls Glosse verrieten, als ihm eigentlich lieb sein dürfte. 

"Bisschen enttäuschend, dass Linz so lange für eine Reaktion auf unseren Karnevals-Beitrag gebraucht hat. Und dann auch nur Copy & Paste..." -- Mit "Linz" ist hier natürlich  kath.net gemeint, ein Online-Portal, das im Gegensatz zu katholisch.de ohne finanzielle und institutionelle Unterstützung seitens der Amtskirche auskommt und zu dessen Lesern, so darf man wohl annehmen, in besonderem Maße auch solche Katholiken zählen, über die man sich bei katholisch.de lieber lustig macht. Im Speziellen bezieht sich Steffen Zimmermanns Äußerung darauf, dass kath.net meinen Blogartikel zur Rosenmontags-Glosse als Gastbeitrag übernommen hatte. Warum der CvD von katholisch.de es spottwürdig findet, dass kath.net mit Bloggern zusammenarbeitet, darauf wird vielleicht noch zurückzukommen sein; halten wir aber erst einmal fest: "In Bonn" wird sehr genau beobachtet, was die Konkurrenz "in Linz" so treibt; und in diesem speziellen Fall hat man "in Bonn" sogar ganz explizit auf eine Reaktion "aus Linz" gewartet. Man war sich also bewusst, dass es sich bei der Rosenmontags-Glosse um eine Provokation handelte, ja, es sollte eine Provokation sein. -- Aber damit nicht genug, hier ein weiterer Tweet des CvD von katholisch.de:

"Gerade gelesen: 'Besonders bei den katholischen Bloggern ist die Aufregung groß' = 3 Männchen ohne publizistische Relevanz sind aufgeregt"


Nun ja. Mal ganz von der Frage abgesehen, ob Herr Zimmermann meint, "Männchen ohne publizistische Relevanz" dürfe man unbesorgt beleidigen: Ist es nicht ein bisschen, ein ganzganz kleines bisschen paradox, wenn der CvD eines Online-Portals mit Millionen-Etat sich über Äußerungen von Personen mokiert, denen er im selben Atemzug die Relevanz abspricht? Räumt er ihnen nicht schon dadurch Relevanz ein, dass er ihre Äußerungen nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sogar kommentiert? Den zitierten Satz "Besonders bei den katholischen Bloggern ist die Aufregung groß" hat er übrigens vom Kreuzknappen. In Bonn werden also durchaus auch katholische Blogs gelesen.

Woran also, so möchte man fragen, macht Steffen Zimmermann "publizistische Relevanz" fest? An der reinen Leserzahl wohl nicht. Ein einzelner kleiner Blog wie z.B. meiner wird sicher nicht annähernd so viel gelesen wie katholisch.de; aber es gibt ja eben nicht nur einen deutschsprachigen katholischen Blog, sondern mehrere hundert. Und dann ist da ja noch "Linz". Mir liegen zwar keine konkreten Zahlen vor, aber ich habe mal läuten hören, kath.net erreiche erheblich höhere Zugriffszahlen als katholisch.de. -- Nun kann es natürlich sein, dass Steffen Zimmermann meint, die publizistische Relevanz von katholisch.de ergebe sich daraus, dass diese Seite eben das offizielle Online-Portal der Katholischen Kirche in Deutschland ist. Und an dieser Sichtweise ist ja durchaus was dran, also was die Außenwirkung angeht. Außerhalb dunkelkatholischer Zirkel, also z.B. seitens der säkularen Medien, wird etwas, das auf katholisch.de steht, vermutlich eher als seriös und zitierfähig eingestuft als etwas, das auf irgendwelchen Blogs steht. Dann bliebe aber zu fragen: Wenn publizistische Relevanz nur eine Frage des Status ist, warum hat katholisch.de diese Stichelei gegen andere katholische Seiten im Internet dann nötig? Die wären dann doch von vornherein keine Konkurrenz!

Wenn publizistische Relevanz aber doch auch etwas mit Reichweite zu tun haben sollte - und zwar nicht nur in Hinblick auf absolute Leserzahlen, sondern auch mit Reichweite über die Grenzen innerkirchlicher "Lager" hinweg -, sollte man dann nicht meinen, katholisch.de täte besser daran, konservativere Katholiken einzubinden, statt sie bei jeder Gelegenheit vor den Kopf zu stoßen? Zugegeben, in der Rubrik "Standpunkt" kommen hin und wieder auch mal moderat konservative Stimmen zu Wort. Aber im Ganzen gesehen ist das kaum mehr als ein Feigenblatt.

Somit ergibt sich der Eindruck, dass es tatsächlich gar nicht um publizistische Relevanz geht, sondern um Diskurshoheit. Als offizielles Online-Portal der Katholischen Kirche in Deutschland betrachtet katholisch.de es als seine Aufgabe, das Erscheinungsbild der Katholischen Kirche im deutschsprachigen Internet zu definieren und zu kontrollieren; und das Bild, das sie dabei abgeben möchten, ist das eines undogmatischen, weltoffenen, politisch korrekten, locker-flockigen Wellness-Katholizismus. Dumm nur, dass Leute, die eine andere Auffassung vom katholischen Glauben haben, ebenfalls über Möglichkeiten verfügen, Beiträge im Internet zu publizieren. Deshalb sind insbesondere Blogs so lästig und gehören bekämpft. Dazu greift man dann auch mal auf ein ungeschicktes Zitat des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, zurück:

"Gestern gelernt: Verbloggung führt in manchen Kreisen offenbar nicht nur zu Verblödung, sondern auch zu Humorlosigkeit."

Bei der Deutschen Bischofskonferenz freut man sich bestimmt sehr über diese kleine Hommage. Aber so ist der Lauf der Welt: Kaum ist über eine Peinlichkeit ein bisschen Gras gewachsen, kommt irgendein Kamel und frisst es ab. 

Alles in allem ist es aus Bloggersicht relativ leicht, Zimmermanns Einlassungen über angeblich fehlende publizistische Relevanz als "Pfeifen im Walde" zu durchschauen. Man könnte es ja geradezu amüsant finden, wie sehr die Medienprofis in Bonn ihren Status durch unbezahlte Amateure bedroht sehen. Ja, die haben offenbar richtig Schiss vor uns. Aber ärgerlich ist es dennoch, was dabei herauskommt. Nicht so sehr für die bloggende Community, sondern für die Außendarstellung des deutschen Katholizismus insgesamt. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass unsere Bischöfe die Bedeutung des Internets als Medium der Neuevangelisation bis heute nicht richtig erkannt haben. Andernfalls würde man - sei es beim Katholischen Medienhaus Bonn oder auf der Ebene einzelner Bistümer - vielleicht doch mal etwas genauer hinschauen, ob die Arbeit, die dort geleistet wird, dem Verkündigungsauftrag der Kirche gerecht wird. Dass Katholiken, die sich auch da für den Glauben ihrer Kirche einsetzen, wo er dem modernen Menschen Schwierigkeiten bereitet (und wo täte er das nicht?), in den Redaktionen kirchlicher Internetauftritte fast ausschließlich als Störenfriede betrachtet werden, müsste eigentlich zu denken geben.


1 Kommentar:

  1. Nun, dass "kath.net" öfter gelesen wird, als "katholisch.de" mag daran liegen, dass die Linzer Internet-Präsenz ein klein wenig älter ist. Als ich anfing, "katholisch" im Internet zu suchen, war "katholisch.de" noch fest in der Hand eines Sedisvakantisten ...

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