Zu den interessantesten Menschen in meinem Bekanntenkreis gehört zweifellos der weithin unterschätzte Popkultur-Sachverständige Bong Boeldicke. Wobei, "unterschätzt" ist nicht das richtige Wort: Er ist einfach nur zu wenig bekannt. Wer ihn kennt, unterschätzt ihn gewiss nicht. Ich habe Bong Boeldicke als Mitglied der Künstlergruppe Die tönenden Hörlinge kennengelernt, aber er war auch schon Popkultur-Sachverständiger, da lag ich noch als Quark im Schaufenster. Um seine Punk-Vergangenheit (er war Mitglied der Band Die frustrierten Konsumenten) ranken sich Legenden. In New York setzte er sich - aus bizarren Gründen ohne Schuhe - dem riskanten Selbstversuch aus, einem Konzert der Gruppe Throbbing Gristle beizuwohnen, deren erklärtes Ziel es war, mit ihrer Musik die Psyche ihrer Zuhörer zu zerstören. Er war ein großer Anhänger der Einstürzenden Neubauten, sagte sich aber nach diversen Enttäuschungen von ihnen los. Vor seinem Einstieg bei den Tönenden Hörlingen trat er u.a. mit den legendären Surfpoeten auf und war Mitglied des kaum weniger legendären Künstlerkollektivs Uschi 66. Seine Beiträge zu den Live-Programmen der Hörlinge (zu denen ich meist Lesungen von Kurzprosa-Texten wie diesem und diesem beisteuere) bezeichnet er als "Impulsreferate mit Hörbeispielen". Sie sind stets ebenso lehrreich wie unterhaltsam. In seinem bislang letzten "Impulsreferat" schlug er einen eleganten Bogen von John Cages nur aus Pausen bestehender Klavierkomposition 4'33'' über Brian Enos mehr oder minder durch Zufall inspirierter Erfindung der Musikrichtung Ambient bis hin zu Musikstücken, die zur Gänze aus Wassergeräuschen oder den Schlüpfgeräuschen von Kaulquappen komponiert sind. Als ich während der Generalprobe den Vorschlag machte, das Fenster zu schließen, da ich die Geräusche der vorbeifahrenden S-Bahn als störend empfand, wandte er ein: "Nein, das ist Illbient. Das muss so sein."
So war ich einigermaßen überrascht, als Bong Boeldicke mir letzten Sonntag - beim Kaffeetrinken mit einer gemeinsamen Künstlerfreundin - engagiert mitteilte: "Die neue Heino-Scheibe ist ein absolutes Must-Have!"
Nun lebe ich ja nicht hinterm Mond und hatte folglich über Heinos aktuelles Album Mit freundlichen Grüßen - Das verbotene Album, auf dem er Songs der Ärzte, der Fantastischen Vier, Rammstein und anderer covert, schon so einiges gehört und gelesen. Für ein paar Wochen war das Thema ja geradezu allgegenwärtig gewesen. Der allgemeine Tenor der Äußerungen, die mir zu Ohren oder zu Gesicht gekommen waren, hatte allerdings in etwa gelautet: "Ist ja eine ganz lustige Idee, aber anhören kann man sich das nicht."
Bong Boeldicke schien anderer Meinung zu sein. Er strahlte richtig, als er vom neuen Opus des dunkel bebrillten Barden von Bad Münstereifel sprach. Dass man diesen Heino-Enthusiasmus von ihm kaum erwartet haben würde, war ihm durchaus bewusst. "Da stehe ich im MediaMarkt", berichtete er schmunzelnd, "und höre mich fragen: 'Haben Sie die neue Heino?'" Die Antwort habe gelautet: "Schau'n Sie mal in der und der Ecke, vielleicht haben wir noch'n paar Stück." Tatsächlich waren von dem Stapel Heino-CDs gerade noch fünf Exemplare vorhanden. "Anschließend hab' ich mir gleich erst mal die Bild der Frau gekauft", fügte Bong hinzu, "für weitere Informationen." (Zum Beispiel darüber, welchen Anteil Heinos Frau Hannelore am Entstehungsprozess des Albums gehabt hat.)
"Allein das Coverfoto ist ja schon brillant", schwärmte er weiter. "Mit diesem Totenkopfring... Und er zeigt nicht etwa den Stinkefinger, sondern nur die Faust. Er disst jetzt die, die immer ihn gedisst haben. Er hat die Kunst des Zurück-Dissens entdeckt!" - Ich räumte ein, dass ich diese Selbst-Neuerfindung der alten Kitsch-Ikone Heino, und gerade auch das öffentliche Echo darauf, als mediales Phänomen ausgesprochen interessant finde, fragte jedoch skeptisch: "Aber kann man sich das auch anhören?" Bong bejahte dies emphatisch - schränkte dann allerdings ein: "Also, sich das ganze Album anzuhören, ist schwer. So weit trägt das Konzept nicht, nach ein paar Nummern wird der Rest vorhersehbar. - Man müsste mal eine Compilation machen", sinnierte er. "Eine Compilation mit legendären Stimmen. Jim Morrison... Ian Curtis vielleicht... John Cale könnte man mit 'reinnehmen. Und dazu Heino. Der hat eine große Stimme, hat er schon immer gehabt. Und man braucht solche großen Stimmen, um auf einer Compilation mit ihm mithalten zu können."
Etwas später stellte Bong Boeldicke uns dann das Konzept für sein nächstes "Impulsreferat" vor. "Das Thema ist Identitätswechsel und popkulturelle Wunschidentität - von David Bowie über Klaus Nomi bis zu Genesis Breyer P-Orridge. Und dazu Heino. So ein bisschen am Rande. Heino unter Gender-Aspekten. Kann man machen." Nachdenklich fügte er hinzu: "Ich hab' da noch so'ne Platte, da wird auf Hüftknochen gespielt. Ausschließlich auf menschlichen Hüftknochen. Die könnte man im Hintergrund laufen lassen."
Ich muss sagen: Ich bin gespannt...
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