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Sonntag, 6. Januar 2013

Fröhliches Julfest allerseits!

Falls meine geschätzten Leser sich schon gefragt haben, warum in letzter Zeit auf den üblichen Kanälen so wenig von mir zu lesen war: Abgesehen davon, dass mein mobiler Internetzugang sich vorübergehend verabschiedet hatte, habe ich mir über Weihnachten eine kleine Auszeit in meinem niedersächsischen Heimatstädtchen N. an der W. gegönnt. Wobei "Heimatstadt" zugegebenermaßen relativ ist: Ich bin dort zwar geboren und zur Schule gegangen, gewohnt habe ich während der ersten 19 Jahre meines Lebens aber auf einem Dorf rund 15 Kilometer außerhalb von N. Meine Mutter ist jedoch, nachdem die Kinder - deren jüngstes ich war - aus dem Haus waren, zweimal umgezogen und wohnt jetzt in der Innenstadt; ein Umstand, der für die Ausführungen, die hier nun folgen sollen, nicht ganz unerheblich ist.

Weihnachten bei und mit meiner Mutter zu verbringen, war schön, aber gleichzeitig habe ich es als durchaus ironisch empfunden, ausgerechnet anlässlich eines der wichtigsten christlichen Feste in einen der heidnischsten Winkel des Landes zu reisen. - Man könnte nun denken, von (Ost-)Berlin aus könne es in dieser Hinsicht viel schlimmer nicht werden; aber das ist ein Irrtum. Mag in Berlin der Atheismus das große Wort führen - das Christentum wird hier zumindest noch als ein ernst zu nehmender Gegner wahrgenommen. In der Gegend von N. hingegen hat es überhaupt nichts zu melden, und das auch nicht erst seit gestern - sondern schätzungsweise seit 1919, als den Kirchen im damaligen Freistaat Oldenburg (sic!) die Schulaufsicht entzogen wurde. Informell wahrten die Kirchen in der Zeit der Weimarer Republik allerdings doch noch einen gewissen Einfluss auf das Volksschulwesen, schon allein dadurch, dass sie vielerorts Eigentümer der Schulgebäude (und damit auch der Lehrerwohnungen) waren; oft mussten die Lehrer ein "kirchliches Nebenamt" versehen, etwa das des Küsters oder Organisten. Den meisten Lehrern war das ausgesprochen zuwider, mit der Folge, dass sie ab ca. Ende der 1920er Jahre scharenweise den Nazis in die Arme liefen, die dem Einfluss der Kirchen auf das Schulwesen endgültig den Garaus zu machen versprachen. Darüber wird heute nicht mehr gern gesprochen.

Nominell ist der Großteil der Bevölkerung in und um N. evangelisch-lutherisch; und ich sage bewusst "nominell". Aus den 1950er Jahren sind Klagen von frisch in diese Gegend versetzten Pastoren überliefert, die Bauern auf den umliegenden Dörfern seien überwiegend Anhänger des Tannenbergbundes - einer 1925 von dem ehemaligen de-facto-Militärdiktator und Hitlerputsch-Teilnehmer Erich Ludendorff gegründeten rechtsextremen Bewegung, die sich unter dem Einfluss von Ludendorffs zweiter Frau Mathilde mehr und mehr zu einer neuheidnisch-germanentümelnden Sekte entwickelt hatte. Noch heute findet man in der Lokalpresse zuweilen Todesanzeigen, in denen anstelle von Stern und Kreuz Runen als Geburts- und Todessymbole firmieren. Insgesamt habe ich allerdings nicht den Eindruck, dass die Nazi-Esoteriker in meiner Heimatregion noch so aktiv sind wie ehedem; stattdessen herrscht allgemeine religiöse Indifferenz.

Während der ersten sechs Jahre meiner Schulzeit war ich in meiner Klasse einer von nur zwei oder drei Schülern, die nicht der evangelisch-lutherischen Landeskirche angehörten; nominell, wie gesagt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass damals auch nur ein einziger meiner evangelischen Mitschüler das geringste Interesse an Religion gezeigt hätte. Auch auf dem Gymnasium wurde das nicht grundsätzlich anders; allerdings waren dort religiöse Minderheiten etwas stärker vertreten. Abgesehen von einigen (türkischstämmigen) Muslimen waren das vor allem Baptisten, Neuapostolische -- und Katholiken. Die wenigen Katholiken, die in und um N. leben, lassen sich im Wesentlichen in drei Gruppen einteilen: Heimatvertriebene Schlesier (und deren Nachkommen; zu denen zähle z.B. auch ich); "Arbeitsmigranten" aus Polen (bzw. deren Nachkommen; heutzutage findet "Arbeitsmigration" eher von N. weg als dorthin statt); und schließlich aus dem Rheinland oder Süddeutschland zugezogene "Besserverdienende", meist Ärzte, Lehrer und Juristen. Letztere scheinen tendenziell eine Ausnahme von der Regel darzustellen, dass Angehörige religiöser Minderheiten ihren Glauben ernster zu nehmen pflegen als die Angehörigen der Mehrheit; als individuell Zugezogene sind sie gewissermaßen nicht Teil einer Minderheit. Für die Schlesier wie für die Polen jedoch ist ihre Konfession prägender Bestandteil ihrer Gruppenidentität; in meiner Kindheit war das jedenfalls noch so.

Soviel erst einmal zur allgemeinen konfessionellen Situation in meiner Heimat. Nun zurück zu meinem Weihnachtsurlaub. Am späten Abend des 21. Dezember kam ich nach einer gut fünfeinhalbstündigen Fahrt in einem exemplarisch unkomfortablen 70er-Jahre-Reisebus und einer weiteren Stunde Fahrt mit der Regionalbahn in N. an, und am nächsten Tag sagte ich beim Mittagessen zu meiner Mutter: "Morgen werde ich wohl Pfarrer B. einen Besuch abstatten müssen." Ich meinte damit keinen privaten Besuch, sondern lediglich die Teilnahme an der Sonntagsmesse; dass ich in diesem Zusammenhang von "Müssen" sprach, muss ich wohl erklären.

Vor ein paar Jahren wurden die katholischen Kirchengemeinden der Stadt N. und zweier angrenzender Landgemeinden zur Pfarrei St. Willehad zusammengelegt. Offiziell wird diese Pfarrei gleichberechtigt von zwei Pfarrern, Alfons K. und Erhard B., geleitet; praktisch gesehen ist Alfons K. aber nach wie vor in erster Linie der Pfarrer der Kirche Herz Jesu, die in einer klassischen Industriesiedlung im Stadtnorden liegt, wo fast ausschließlich die Beschäftigten eines Werks für Flugzeugteile leben (in diesem Werk hat übrigens auch mein Vater gearbeitet). Die Gemeinde von Herz Jesu besteht im Wesentlichen aus Schlesiern und Polen, während die oben erwähnten "Besserverdiener" eher im Einzugsbereich von St. Willehad, und somit im Zuständigkeitsbereich von Pfarrer Erhard B., leben.

 Beide Pfarrer kenne ich schon lange: Alfons K. war (und ist) auch für die Kirchengemeinde des Dorfes zuständig, in dem ich aufgewachsen bin; in meinen Teenagerjahren hatte ich durchaus so meine Reibungspunkte mit ihm, habe ihn im Laufe der Jahre aber sehr schätzen gelernt. Von Erhard B. kann ich das leider nicht behaupten. In der 7. und 8. Klasse hatte ich bei ihm Religionsunterricht - sofern man das als Unterricht bezeichnen kann. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, bei ihm irgendetwas gelernt zu haben; umso besser erinnere ich mich an seine ebenso wirren wie gefühlsduseligen Monologe, die er gern in einem pathetisch-weinerlichen Singsang vortrug, der in schroffem Kontrast zu seinem ausgeprägten niederdeutschen Akzent stand.

Ich wäre also während meines Weihnachtsurlaubs sehr viel lieber bei Pfarrer K. in die Messe gegangen, aber ohne Auto war Herz Jesu von der neuen Wohnung meiner Mutter aus kaum zu erreichen - öffentliche Verkehrsmittel verkehren in N. nur sehr sporadisch, und an Sonn- und Feiertagen praktisch gar nicht. St. Willehad war zu Fuß rund zwanzig Minuten entfernt. Also machte ich mich am Morgen des 4. Advent bei ekligem Nieselregen dorthin auf den Weg. Ich hatte von Anfang an kein gutes Gefühl dabei. Das letzte Mal, dass ich eine von Pfarrer B. zelebrierte Messe besucht hatte, lag schon ein paar Jahre zurück - und hatte ein jähes Ende gefunden: Mein Widerwille gegen den allzu salbungsvollen Sprachduktus des Pfarrers und seine späthippieske Privatliturgie hatte einen frühen Höhepunkt erreicht, als ich registrierte, dass er das Allgemeine Schuldbekenntnis über- bzw. unterschlagen hatte. Ich stellte fest, dass ich mich nicht wohl dabei gefühlt haben würde, ohne vorheriges Schuldbekenntnis zur Kommunion zu gehen, und beschloss: Wenn ich nicht zur Kommunion gehen kann, muss ich mir auch B.s dämliches Gesabbel nicht anhören. Also verließ ich die Kirche, leise und unauffällig, schon während des Glorias. - Diesmal war ich aber entschlossen, alle mir zu Gebote stehende Gelassenheit aufzubieten und länger durchzuhalten. Dieser Vorsatz wurde aber auf eine harte Probe gestellt. Zunächst einmal bemerkte ich, dass Pfarrer B. es beim Einzug unterließ, den Altar zu küssen. Alsdann gab es erneut kein Allgemeines Schuldbekenntnis. Zu meiner Beruhigung entnahm ich dem Gotteslob für das Bistum Münster unter Nr. 353.3, an "bestimmten Tagen" könne "das allgemeine Schuldbekenntnis entfallen"; und da der Schott mir nicht vorlag, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen, ob der 4. Advent ein solcher "bestimmter Tag" ist. Andererseits sagte ich mir, es wäre schon sehr großer Zufall, wenn ich jedesmal, wenn ich bei Pfarrer B. in die Messe gehe, einen Tag erwische, für den kein Allgemeines Schuldbekenntnis vorgeschrieben ist. Ich argwöhnte vielmehr, diese Auslassung sei symptomatisch für das gefühlige, verinnerlichte Glaubensverständnis dieses Geistlichen. Er redet nicht gern über Schuld. Wie sich in der Folge zeigte, redet er auch nicht gern über Gott.

Das Evangelium dieses 4. Advents war Lukas 1, 39-45: Maria besucht Elisabeth. Beide Frauen sind schwanger, und als sie sich begrüßen, hüpft das Kind der Elisabeth - der spätere Johannes der Täufer - vor Freude über die vorgeburtliche Begegnung mit dem Sohn Gottes in ihrem Leibe. Pfarrer B. führte in seiner Predigt aus, es gehe in diesem Text um die "herzhafte Begegnung zwischen zwei Frauen". Er zitierte den Religionsphilosophen Martin Buber mit der profunden Aussage "Leben ist Begegnung" und kommentierte den salto prenatale des ungeborenen Täufers mit den Worten: "Wenn Menschen sich begegnen, schlägt die Natur Purzelbäume!" - Moment mal, dachte ich, geht es nicht eher darum, dass Johannes sozusagen schon von Mutterleib zu Mutterleib Jesus als den Messias erkennt? Nö, davon war in der Predigt keine Rede. Wir schrieben den 4. Advent, einen Tag vor Heiligabend, und mit keinem Wort wurde darauf eingegangen, dass wir uns dem Fest der Menschwerdung Gottes näherten. Vielmehr: "Dass es zwischen uns zur Begegnung kommt, das ist Advent. Das ist es auch, was christliche Gemeinde ausmacht." Aha. Wieder was gelernt. Ich hatte immer gedacht, christliche Gemeinde habe irgendwie auch etwas mit Gott zu tun. So kann man sich irren. Sobald ich meine Verwirrung vorläufig abgeschüttelt hatte, registrierte ich, dass Pfarrer B. mittlerweile über Dag Hammarskjöld sprach. Diesen zitierte er mit den Worten: "Einmal antwortete ich Ja zu Jemandem oder zu Etwas." Jemand oder Etwas, schönschön. Ich habe mal gelesen, dass es zum Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker gehört, diesen Jemand oder dieses Etwas Gott zu nennen. So weit ist Pfarrer B. anscheinend noch nicht. Ich jedenfalls hatte genug gehört. Unvermittelt kam mir in den Sinn, wie vor Jahren einmal in einer von Pfarrer Alfons K. zelebrierten Messe ein Besucher während der Predigt aufstand, den Pfarrer unterbrach und ein Streitgespräch mit ihm begann. Wie sich später herausstellte, war dieser Zwischenfall inszeniert gewesen, der vermeintliche Störer war Pfarrer K.s Schwager. Jedenfalls verspürte ich auf einmal unbändige Lust, hier und jetzt einen vergleichbaren Eklat zu provozieren, aber ich riss mich zusammen - und ging einfach. Ich nehme mal an, für die braven Bürger der Stadt N. war das schon provokativ genug.

Am Abend besuchte ich eine legendär heruntergekommene Punk-Spelunke am Bahnhof, in der ich schon früher gelegentlich zu Gast gewesen war. Die wenigen anderen Gäste waren dem Augenschein nach durchweg Schüler. Zu den charmanten Eigenarten dieses Lokals gehört es, dass es dort eine Jukebox gibt, und ich fand es überaus reizend, dass die Jugendlichen tatsächlich unermüdlich Kleingeld in die Jukebox versenkten und sich Lieder wünschten. Wenig weihnachtlich wurde mir jedoch zu Mute, als jemand das Lied "Kirche" der berüchtigten Gruppe Böhse Onkelz wählte. Der Liedtext wartete mit allerlei ausgelatschten und in ihrer Substanzlosigkeit geradezu frappierenden antiklerikalen Klischees auf und gipfelte in den Versen "Wer keine Angst vorm Teufel hat, braucht auch keinen Gott". Mein Gehirn biss sich eine Weile an der Frage fest, wie man diese schiefe Aussage so umformulieren könnte, dass "ein Schuh draus wird"; was dabei herauskam, war "Wer Gott hat, braucht keine Angst vorm Teufel zu haben", aber metrisch war das natürlich unbefriedigend. Statt mich weiter mit dem Onkelz-Text herumzuschlagen, investierte ich lieber 50 Cent in die Jukebox und suchte andere Musik aus. Erstaunlicherweise enthielt das Repertoire des Apparats neben allerlei Punk- und Schlager-Scheiben auch Perlen wie die Greatest Hits von Creedence Clearwater Revival; und siehe, schon während der ersten Takte von CCRs kongenialer Version von "I Heard It Through The Grapevine" verpieselten sich die punkseligen Gymnasiasten und machten einem älteren Publikum Platz. In der Folge kam ich übrigens in den Genuss, ein perfektes Poolbillard-Spiel mit ansehen zu dürfen. Zwei Männer aus einer Gruppe von sechs Personen nahmen den Pooltisch in Betrieb; der Jüngere der beiden machte den Anstoß, konnte dabei aber keine Kugel versenken - woraufhin sein Gegner mit beeindruckender Seelenruhe, einmal gegen den Uhrzeigersinn um den Tisch herum gehend, alle sieben "halben" Kugeln hintereinander versenkte und schließlich, lehrbuchmäßig, die Acht in die Mitteltasche platzierte. Das ehrfürchtige Staunen der Zuschauer kommentierte er gelassen: "Ich bin jetzt 47 Jahre alt. Im Prinzip habe ich 32 Jahre lang hierfür geübt."

Am nächsten Tag freute ich mich auf die Lokalpresse, und das ganz (na ja: fast ganz) ohne Ironie. Die Nordwest-Zeitung bringt nämlich alljährlich in ihrer Weihnachtsbeilage Beiträge von örtlichen Geistlichen, und ich hoffte darauf, mal wieder etwas von Pfarrer K. zu lesen, dessen Grußworte zum Fest in der Vergangenheit stets sehr anregend gewesen waren. Dieses Jahr hoffte ich aber vergeblich. Der ökumenische Charakter der Weihnachtsbeilage ließ erheblich zu wünschen übrig: Zu Wort kamen zwei im vergangenen Jahr neu in ihre jeweiligen Gemeinden gekommene Pastoren, beide evangelisch. Genauer gesagt: ein Pastor und eine Pastorin. Der Beitrag von Pastor Dietmar R.-C. von St. Hippolyt trug die Überschrift "Gott sorgt dafür, dass alles gut wird". So etwas liest man natürlich gerne, auch wenn kritische Geister finden mögen, davon sei in der Welt wenig zu sehen. Solche Einwände hatte Pastor R.-C. aber zweifellos vorausgesehen. Den zentralen Absatz seines Texts möchte ich hier mal in voller Länge wiedergeben:
"'Alles wird gut' - das ist nicht die kleine Pille mit Sofortwirkung. 'Alles wird gut' ist die Ermutigung zum Vertrauen. In den kleinen und großen Katastrophen des Lebens wie auch in den farblosen Zeiten darauf zu vertrauen: Dieser Gott, den wir Weihnachten feiern, sorgt dafür, dass alles gut wird."
Durchaus erfrischend, dass ein Pastor in diesen heidnischen Gefilden von Gott zu sprechen wagt, und das auch noch ausgerechnet zu Weihnachten. Seine Amtskollegin Heike-Regine A. von St. Laurentius mochte es ihm darin offenbar nicht gleichtun und schrieb lieber über das "Recht auf menschenwürdiges Leben". Das Thema als solches ist natürlich durchaus wichtig. Was Frau A. dazu einfiel, wurde angekündigt als "Eine Weihnachtsgeschichte frei nach Lukas 1, 1-20" - in Wirklichkeit natürlich Lukas 2, 1-20, aber gehen wir mal wohlwollend davon aus, dass dieser Lapsus auf das Konto der Zeitung und nicht auf das der Pastorin geht. Pastorin A. jedenfalls paraphrasiert nun die allbekannte Weihnachtsgeschichte nach Lukas dergestalt, dass es darin um die Asylproblematik geht (Oh Mann, stöhnte ich innerlich auf, das ist so 90er!): Maria und Josef erscheinen darin als Flüchtlinge aus Afrika, die von Schleppern über das Meer nach Europa gebracht werden, dort aber in keinem Land Asyl erhalten und schließlich in einem Auffanglager landen, vor dessen stacheldrahtgesäumten Pforten dankenswerterweise Demonstranten gegen die drohende Abschiebung der Flüchtlinge protestieren - und dann erscheint den Demonstranten doch allen Ernstes ein Engel!
"Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkündige euch eine große Freude, denn eines Tages wird Frieden sein für alle und Gerechtigkeit für jedermann. Und ihr bereitet den Weg, weil ihr euch einsetzt in dieser dunklen Nacht, für die Menschen da drin in dem Lager, die eure Hilfe nun brauchen. Das ist eine große Freude und an solchen Menschen hat Gott Wohlgefallen."
Huch - da ist ja doch von Gott die Rede! Zumindest am Rande. Hatte ich auf den ersten Blick doch tatsächlich übersehen. Aber der offenkundigen Botschaft des Texts tut das keinen großen Abbruch. Das Paradies liegt in der Zukunft, der Mensch soll es erbauen, soll sich mit anderen Worten gefälligst selbst erlösen, und der HErr lächelt fein - was er im Grunde auch bleiben lassen könnte, schließlich haben es sich die Menschen schon ohne ihn gemütlich gemacht. Das Kind, das dem Flüchtlingspaar im Abschiebelager geboren wird, figuriert als Symbol der Hoffnung, immerhin --- der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Menschheit, wohlgemerkt, aber diese Symbolik kennt man ja, spätestens seit Ellen Keys Das Jahrhundert des Kindes (1902) oder Whitney Houstons Greatest Love Of All (1986); es liegt ja auch nahe, in Kindern den Inbegriff der Zukunft zu sehen. Damit, dass Gott Mensch wird, um die Menschen zu erlösen, hat das aber kaum etwas zu tun. Kurzum, Pastorin A. gelingt es geradezu mustergültig, der Weihnachtsbotschaft jedwede christliche Substanz zu entziehen. Das ist ohne Zweifel enorm zeitgemäß und modern, und ich lasse mich gern einen bornierten Dunkelkatholiken schimpfen, wenn ich sage, dass dieser Text aus meiner Sicht das Gebiet der Blasphemie nicht nur streift.

Immerhin fand mein aus geistlicher Sicht über weite Strecken wenig erbauliches Weihnachtsfest ein Happy End darin, dass ich das neue Jesus-Buch des Papstes geschenkt bekommen habe. Ich hatte es mir gewünscht - das erste Mal seit Jahren, dass mir auf die unvermeidliche Frage meiner Mutter, was ich mir zu Weihnachten wünsche, sofort etwas Sinnvolles einfiel. Gelesen habe ich es, wie ich gestehen muss, noch nicht. Mir fehlte bislang wohl die innere Ruhe dazu. Aber demnächst muss ich mal damit anfangen...

3 Kommentare:

  1. Schöner Text zur Situation in N. und der umliegenden Gegend. Ich habe etwa zehn Kilometer entfernt von Dir Weihnachten gefeiert. Die religiöse Allgemeinbildung ist allerdings nicht nur in der Gegend um N., sondern fast in ganz Deutschland ein Trauerspiel.

    Von Pfarrern habe ich z.B. schon die Ansicht gehört, dass man an hohen kirchlichen Feiertagen den dann vermehrt auftretenden Kirchgängern nicht auch noch mit Theologie kommen dürfe - es reicht zu Weihnachten offenbar schon, wenn der Weihnachtsbaum festlich glänzt und schöne Lieder gesungen werden. Aber auch in den regulären Gottesdiensten werden teilweise nur schöne Geschichten erzählt, die mit der Bibel und theologischen Fragen nicht zu tun haben. Die interessierten Kirchgänger erhalten Steine statt Brot, und die Gemeinden vergreisen, weil uns die Amtskirchen nichts mehr zu sagen haben.

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    1. Danke für das Feedback!

      "dass man an hohen kirchlichen Feiertagen den dann vermehrt auftretenden Kirchgängern nicht auch noch mit Theologie kommen dürfe" -- das ist sehr schön auf den Punkt gebracht. So etwas Ähnliches hatte ich schon vermutet.

      Davon abgesehen: Gesegnetes Neues Jahr!

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  2. Also, bei der Sache mit den Purzelbäumen wäre mir glaub ich ein halblautes „Ach du lieber Gott!“ entschlüpft…

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