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Montag, 2. August 2021

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #9 (18. Woche im Jahreskreis)

Was bisher geschah: Für Montag hatte meine Liebste, wie berichtet, ein Treffen mit einigen anderen "kindergartenfrei" lebenden Eltern und Kindern arrangiert, im Rosengarten im Bürgerpark Pankow; unser Aufbruch dorthin gestaltete sich etwas chaotisch, und nachdem wir noch Getränke für unterwegs gekauft hatten, stellten wir fest, dass wir doch noch ein paar Sachen zu Hause vergessen hatten, die wir besser mitnehmen sollten, also ging ich allein noch einmal zurück, während der Rest der Familie am Bahnsteig der S-Bahn auf mich wartete. Und auf diesem kurzen Weg lief ich unseren nigerianischen Pfarrvikar über den Weg -- der mich mit den Worten begrüßte: "Ich habe Glück, dass ich dich treffe." Wie sich zeigte, hatte er das Formular für die Anmeldung unseres Jüngsten zur Taufe bei sich und wies mich darauf hin, dass da noch ein paar Angaben fehlten und dass wir außerdem noch einen Termin für die Taufe vereinbaren müssen. Wir einigten uns darauf, uns nächste Woche zu diesem Zweck zusammenzusetzen, und ich freute mich über dieses unverhoffte Zusammentreffen. Gott passt schon darauf auf, dass der Knabe bald getauft wird, sagte ich mir. -- Im Bürgerpark Pankow verbrachten wir nahezu den ganzen Nachmittag, zusammen mit drei anderen Müttern und deren vier Kindern, und die Aussichten scheinen günstig, dass sich daraus ein regelmäßiger Spieltreff entwickelt. 

Am Dienstag gingen wir zum ersten Mal seit drei Wochen mal wieder alle zusammen zum Lobpreis; am Mittwoch war "Omatag", aber da kam ich diesmal (wieder) nicht mit, da ich erstens dringend letzte Hand an die neuen "Lebendigen Steine" anlegen musste und zweitens wieder einen Bücherei-Arbeitseinsatz hatte. Beides übrigens sehr erfolgreich. Beim Büchereiregal knöpfte ich mir das sehr umfangreiche Themengebiet "Religion/Theologie" vor und fing an, es nach inhaltlichen Kriterien zu sortieren; in knapp zwei Stunden bekam ich die Kategorien "Religion allgemein", "Nichtchristliche Religionen", "Biblische Theologie", "Kirchengeschichte" und den allgemeinen Teil der "Systematischen Theologie" geordnet -- und gab mir selbst als Hausaufgabe auf, mir bis nächste (d.h. diese) Woche sinnvolle Unterkategorien für "Systematische" und "Praktische Theologie" zu überlegen. 

Und dabei, dass "Das deutsche Konzil" direkt neben "Böse Jahre" steht, habe ich mir eigentlich fast überhaupt nichts gedacht...

Am Donnerstag hatte ich vormittags ein konspiratives Treffen in Angelegenheiten der örtlichen Kirchengemeinde, und nachmittags beschäftigte ich mich damit, zum ersten Mal in meinem Leben ein Brot zu backen. Ja, okay, ich habe eine Backmischung verwendet. Um in der Wildnis zu überleben, würden meine Fertigkeiten noch nicht ausreichen. Aber es ist ein Anfang. (Vgl. dazu auch das Thema "Bienenkiste" in den Linktipps.) 

Am Freitag verbrachten wir - bei herrlichstem Wetter - praktisch den ganzen Nachmittag auf dem Gelände "unserer" Kirche, wo unsere Tochter mit einigen Mädchen aus den angrenzenden, der Pfarrei gehörenden Mietshäusern spielte, während meine Liebste und ich abwechselnd zur Eucharistischen Anbetung gingen und Gespräche mit anderen, von der Anbetung oder zur Abendmesse kommenden Gemeindemitgliedern führten. Buchstäblich in letzter Minute, nämlich beim Angelusläuten, entschied unsere Große, sie wolle auch zur Abendmesse, also ging ich mit ihr hinein. Anschließend ging's dann zur Lokalausschuss-Sondersitzung zum Thema Opferkerzenständer -- die bemerkenswert gut besucht war, was darauf schließen lässt, dass dieses Thema mehr Leute stärker bewegt, als ich vermutet hätte. Mit einem Urteil darüber, was das - im Verhältnis zum offenkundig weit geringeren Interesse an vielen anderen Fragen - über die Gemeinde aussagt, will ich mich mal vorerst noch zurückhalten, das wäre vielleicht mal ein Thema für einen eigenständigen Artikel. Viel wichtiger ist allemal, dass wir auf dem Nachhauseweg mit einer Familie ins Gespräch kamen, die gerade daran arbeitet, in unserer Straße ein Familienberatungszentrum zu eröffnen -- und die gerade in eines der unserer Pfarrei gehörenden Mietshäuser in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche eingezogen sind. Ein vielversprechender Kontakt! 

Am Samstag gingen wir zu einer Grillparty im Ernst-Thälmann-Park, anlässlich des Geburtstags eines alten Kumpels, zu dem ich in den letzten Jahren nur sehr sporadischen Kontakt gehabt hatte. Einige andere Bekannte "von früher" traf ich dort auch, aber nicht so viele, wie ich erwartet hatte. Als der Gastgeber zu einem anderen Gast, den ich nicht kannte, sagte, ich sei sein "Lieblingskathole", erwiderte dieser: "Wieso katholisch? Ist das nicht verboten in Berlin?" -- Aber Spaß beiseite: Insgesamt war's ein sehr schöner Nachmittag und Abend, auch für die Kinder. 


Was ansteht: Heute Vormittag haben wir, wie oben schon angesprochen, erst mal einen Termin zur Klärung der für die Anmeldung unseres Jüngsten zur Taufe notwendigen Formalitäten; danach ist wieder kindergartenfrei-Spieltreff im Bürgerpark Pankow geplant -- da bin ich allerdings noch nicht völlig sicher, ob ich mitkomme oder die Zeit lieber anders nutze. Ähnliches gilt für den "Omatag", von dem im Augenblick noch nicht klar ist, auf welchen Wochentag er diesmal fallen wird. -- Am ersten Dienstag des Monats würde im Anschluss an die Lobpreisandacht normalerweise der Glaubensgesprächskreis der Gruppe Benedikt stattfinden, aber wie ich erfahren habe, fällt der im August urlaubsbedingt aus; man wird sehen, ob und wie sich das auf die Teilnehmerzahl beim Lobpreis auswirkt. Und am Mittwoch, dem Gedenktag des Hl. Pfarrers von Ars, werde ich um 18 Uhr in Herz Jesu eine schöne Vesper (vor)beten, und zwar unabhängig davon, ob da außer mir jemand kommt oder nicht. Am Donnerstag will meine Liebste mit den Kindern in den Tierpark, das wäre eventuell eine gute Gelegenheit für mich, mit der Sortierung des Büchereiregals weiterzumachen und/oder endlich die 6. Etappe der "100-Bücher-Challenge" fertigzustellen, wenn ich das nicht schon vorher schaffe. Und am Freitag ist das Fest Verklärung des Herrn und zugleich Herz-Jesu-Freitag. Da dürfen meine Liebste und ich im Rahmen der insgesamt dreistündigen Eucharistischen Anbetung eine halbstündige Andacht gestalten - von 17 bis 17:30 Uhr. Ich freu mich drauf. Sehr. 


Zitat der Woche: 

"Wer sind eigentlich diejenigen, die sich immerzu 'wir' nennen? Und wer sind 'die Menschen', von denen sie reden? Es muß sich jedenfalls um zwei verschiedene Gruppen handeln, zwischen denen es keine Verbindung gibt und von denen die erste aus aktiven und die zweite aus passiven Mitgliedern besteht. Die einen holen ab und nehmen mit, die anderen werden 'die Menschen' genannt, abgeholt und mitgenommen. Sie sind Objekte und werden verwaltet." 

(Wiglaf Droste, "Abgeholt und mitgenommen", in: Junge Welt, 26.01.2012)  

Linktipps: 

Vor zwei Wochen habe ich mich hier erstmals mit Jim Jones und seinem People's Temple befasst und dazu einen Artikel verlinkt, von dem ich fand, er eigne sich als ein erster Einstieg ins Thema und zeichne ein recht eindringliches Bild vom katastrophalen letzten Akt dieses Dramas, dem Untergang des People's Temple im Dschungel von Guyana; gleichzeitig fand ich den verlinkten Artikel aber auch ärgerlich oberflächlich und lückenhaft, speziell in Hinblick auf die Jim Jones' Werdegang und die Motive seines Handelns. Umso erfreuter war ich, kurz darauf dank eines Hinweises auf Twitter einen Podcast zu entdecken, der sich der ambitionierten Aufgabe widmet, die Geschichte des People's Temple in einen größeren zeitgeschichtlichen Kontext einzuordnen, und der dabei genau die Fragen stellt und zu beantworten sucht, die ich im Artikel des New Zealand Herald vermisst habe. Der Ansatz des Podcasts, die Geschichte von Aufstieg und Fall des Reverend Jim Jones und seiner People's Temple-Bewegung als paradigmatisch für die Radikalisierung sozialer Bewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu betrachten und darzustellen, erfordert allerdings einen langen Atem: Die siebenteilige Serie hat eine Gesamtlaufzeit von über 30 Stunden (!), und ich muss gestehen, dass ich bisher noch nicht ganz die Hälfte davon anzuhören geschafft habe. In der Prolog-Episode, die, wie der Autor und Sprecher Darryl Cooper erklärt, lediglich eine Art Einstimmung auf das eigentliche Thema darstellen soll, vergeht sogar über eine Stunde, ehe Jim Jones auch nur erwähnt wird. (Dies mal als Hinweis an diejenigen meiner Leser, die finden, meine Artikel seien "immer so lang".) In den letzten 20 Minuten des Prologs werden dann aber zwei Aspekte angesprochen, die für mein Interesse an dem ganzen Thema sehr wesentlich sind: 

  1. die These, wäre Jim Jones einige Jahre früher gestorben, also z.B. Ende der 60er oder Anfang der 70er von einem Auto überfahren worden, wäre er als allseits respektierter Pionier der Bürgerrechtsbewegung und Vorkämpfer gegen Rassendiskriminierung in die Geschichte eingegangen; 
  2. die Einschätzung, in ihrer Spätzeit habe die People's Temple-Bewegung von ihrem Selbstverständnis und ihrer Programmatik her mehr Ähnlichkeit mit der Baader-Meinhof-Gruppe oder der Symbionese Liberation Army gehabt als mit einer religiös fundamentalistischen Sektenkommune. 

Das lässt natürlich die Frage, wie es dazu kommen konnte, umso dringlicher erscheinen; und die Antwort, die Podcaster Cooper darauf gibt, ist, wie gesagt, seeehr ausführlich und facettenreich. Besonders interessiert mich dabei natürlich das Verhältnis zwischen Religion und sozialistischer bzw. kommunistischer Ideologie in der Message des Jim Jones. In Episode 2 erfährt man - der chronologischen Reihenfolge vorgreifend -, dass Jones in seinen späteren Jahren vor versammelter Gemeinde über den Glauben an einem Gott im Himmel spottete, dass er in seinen "Predigten" eine Bibel auf den Boden warf und darauf herumtrampelte -- und dass er gegen Ende seines Lebens behauptete, er sei immer Atheist gewesen und nur zu dem Zweck Prediger geworden, die Leute unter dem Deckmantel der Religion sozialistisch  bzw. kommunistisch zu indoktrinieren. Podcaster Cooper bezweifelt allerdings, dass diese rückblickende Selbstdarstellung der Wahrheit entspricht, und hält es für wahrscheinlicher, dass Jones' Verhältnis zur Religion erheblich ambivalenter und in sich widersprüchlicher war. Nebenbei lernt der geneigte Hörer in Episode 2 eine ganze Menge über das evangelikale Revival der 1950er-Jahre sowie über die Bürgerrechtsbewegung und ihren Kampf gegen verschiedene Formen von Rassendiskriminierung in den USA, in Episode 3 dann vor allem über die Dynamik, die in den 1960er-Jahren weg von einer christlich geprägten und gewaltlosen, hin zu einer zunehmend militanten und dezidiert linksradikalen Protestbewegung führt -- auch da wird Jim Jones wieder kaum erwähnt, dafür erfährt man aber viel Interessantes über Martin Luther King, Malcolm X, Stokely Carmichael und Eldridge Cleaver. Episode 4 beginnt mit einem Exkurs über den Hang der US-Amerikaner (natürlich nicht der ganzen Bevölkerung, aber doch eines signifikanten Teils) zu religiösem Extremismus und Sektierertum, oft in Verbindung mit abseitigen Auffassungen und Praktiken in sexualibus - als Beispiele werden die Mormonen, die Oneida Community und die Bewegung des Father Divine angeführt,  der um 1960 herum zum Vorbild und Mentor für Jim Jones wurde - und leitet dann über zu der auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges grassierenden Angst vor einer atomaren Apokalypse. Bald darauf geht es um Jones' rätselhaften Aufenthalt in Brasilien 1962/63, um den sich zahlreiche Verschwörungstheorien ranken - unter denen die Hypothese, Jones habe damals insgeheim auf der Gehaltsliste der CIA gestanden, nicht die unplausibelste ist. Cooper gibt allerdings der Deutung den Vorzug,   Jones' Aktivitäten in Brasilien würden gerade deshalb so viele Fragen aufwerfen, weil sie tatsächlich keinen Sinn ergeben -- weil Jones zu dieser Zeit beginnt, den Verstand zu verlieren. 

Tatsache ist jedenfalls, dass Jones nach seiner Rückkehr aus Brasilien beginnt, sich - und den People's Temple - rapide zu radikalisieren; ein Prozess, der dadurch verstärkt wird, dass er den Sitz des People's Temple von Indianapolis nach Kalifornien verlegt, an einen Ort, von dem er glaubt, dort sei es möglich, einen Atomkrieg zu überleben. Und viel weiter bin ich mit dem Anhören noch nicht gekommen. 

Zusammenfassend gesagt empfiehlt sich diese Serie vor allem dadurch, dass sie sich darum bemüht, die Geschichte von Jim Jones in einen größeren zeitgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Zusammenhang einzuordnen, sowie dadurch, dass Podcaster Darryl Cooper der Versuchung widersteht, Jones von vornherein zu dämonisieren, und stattdessen der Frage nachgeht, ob und wie seine Entwicklung zum größenwahnsinnigen Tyrannen und Massenmörder sich plausibel nacherzählen lässt, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, er habe ursprünglich gute Absichten gehabt. 

Im Übrigen verdanke ich diesem Podcast eine Lektüreempfehlung, die nicht unmittelbar mit Jim Jones und dem People's Temple zu tun hat: "Dedication and Leadership" von Douglas Hyde. Kommt definitiv auf meine Leseliste, wenn ich das Buch irgendwie zu fassen kriege. 

Der Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz der USA, Monsignore Jeffrey Burrill, ist von seinem Amt zurückgetreten, nachdem bekannt geworden ist, dass er über Jahre hinweg regelmäßig eine Dating-App für homosexuelle Männer genutzt hat, um an unterschiedlichen Orten, auch auf dienstlichen Reisen im Auftrag der Bischofskonferenz, Treffen in Schwulenbars und Privatwohnungen zu arrangieren. Heikel daran ist nicht zuletzt, dass Monsignore Burrill in seinem Amt als Generalsekretär auch für die Koordination der Reaktionen der US-Bischofskonferenz auf den Missbrauchsskandal zuständig war. -- Sicherlich sind einvernehmliche Sexualkontakte zwischen Erwachsenen nicht mit dem Missbrauch Minderjähriger auf eine Stufe zu stellen, und Letzteres wird Monsignore Burrill explizit nicht vorgeworfen; dennoch liegt es auf der Hand, welche Auswirkungen die Enthüllungen über die sexuellen Eskapaden des nunmehrigen Ex-Generalsekretärs auf seine Glaubwürdigkeit haben -- und nicht allein auf seine. Ist es wirklich denkbar, dass bis zu den Enthüllungen des Magazins The Pillar (das hier vor ein paar Wochen in einem anderen Zusammenhang schon einmal lobend erwähnt wurde) niemand an verantwortlicher Stelle in der Bischofskonferenz oder allgemein in der kirchlichen Hierarchie etwas von Burrills homosexueller Aktivität gewusst oder geahnt hat? Wie kann es sein, dass so jemand überhaupt in eine solche Position gelangt? 

Mein Freund Rod erinnert in diesem Zusammenhang daran, wen die US-Bischofskonferenz im Jahr 2002 mit der Handhabung des Missbrauchsskandals betraute: Kardinal McCarrick. Zufall? Wohl kaum, meint Rod: Man kommt schwerlich um die Erkenntnis herum, dass es bis in höchste Ränge der kirchlichen Hierarchie hinein verzweigte Karrierenetzwerke von Tätern und Mitwissern gibt, die sich gegenseitig decken und ein natürliches Interesse daran haben, bevorzugt solchen Mitbrüdern zu Schlüsselpositionen zu verhelfen, die infolge eigener Verfehlungen und dunkler Geheimnisse erpressbar sind. Es ist bezeichnend, dass dies eine Debatte ist, die niemand führen will - nicht die säkularen Medien, auch und erst recht nicht die angeblich so "Reform"-beflissenen Protagonisten des "Schismatischen Weges" die in ihren Thesen zu den Ursachen von Missbrauch in der Kirche lieber die Rechtfertigungsstrategien der Täter übernehmen. Nicht minder bezeichnend ist es, dass in der causa Burrill Stimmen laut werden, die den eigentlichen Skandal nicht in den sexuellen Eskapaden des Monsignore sehen (wollen), sondern darin, auf welche Weise The Pillar diese aufgedeckt hat. 

Freund Rod, so kennt man ihn, hat noch einiges mehr zu diesem Thema zu sagen und stellt u.a. eine Querverbindung zu einem Essay des Theologen Larry Chapp über Traditionis Custodes her; der Zusammenhang mag nicht jedem Leser unmittelbar einleuchten, aber was Rod aus Chapps Artikel zitiert, klingt äußerst bemerkenswert -- ich werde den Text wohl mal im Ganzen lesen müssen und komme gegebenenfalls nächste Woche noch einmal darauf zurück. 

Ehe jemand fragt: Ja, der Verfasser dieses Artikels und Erfinder der "Bienenkiste", einer betont einfach gehaltenen Vorrichtung zur Haltung von Honigbienen, ist mein leiblicher Bruder, und man kann wohl behaupten, dass diese Verwandtschaft erheblichen Einfluss auf mein Interesse am Thema Imkerei sowie darauf hat, was ich über dieses Thema weiß. Auf diesen Artikel hier wurde ich aufmerksam, weil mein Bruder ihn auf Twitter geteilt hat. Anlass oder Aufhänger des Artikels ist der Umstand, dass Bienenkisten mittlerweile "sogar in Baumärkten und Discountern verkauft" werden: "Das ist ziemlich das Gegenteil von dem, was mir am Herzen liegt", meint Erhard -- und nimmt diesen Umstand zum "Anlass, einmal ausführlicher zu erläutern, warum ich die Bienenkiste entwickelt habe und wohin sie eigentlich gehört." Nämlich: 

"Die Bienenkiste [...] ist eine einfache Holzkiste, und alle Materialien und Ausrüstungsgegenstände können aus Recycling und Umnutzung von Alltagsgegenständen gewonnen werden. Ich habe alle Informationen zum Bau und Betrieb der Bienenkiste bewusst kostenlos als Open-Source-Konzept veröffentlicht [...]. Jede*r kann sich so eine Kiste bauen und mit der Bienenhaltung beginnen. [...] Bienenkisten stehen in Community-, Permakultur- und Selbstversorger-Gärten." 

Oder, kürzer gesagt: 

"Die Bienenkiste ist gewissermaßen der Bauwagen oder das Tinyhouse unter den Bienenwohnungen und ermöglicht eine Art der Bienenhaltung, die sehr ressourcenschonend und damit auch klimafreundlicher ist. "

Dass man sich, bevor man fröhlich drauflos imkert, die Bienenkiste nach Möglichkeit eigenhändig zusammenbasteln soll, ist Teil des Konzepts -- oder, wenn man so will, der Philosophie hinter dem Konzept

"Wer die Kiste selbst baut, sich mit den Details der Konstruktion auseinandersetzt und Zeit und Aufmerksamkeit investieren muss, wird in aller Regel auch der Verantwortung im Umgang mit den Bienen gerecht werden und sich das notwendige Wissen erarbeiten."

Erhard räumt durchaus ein, "dass nicht alle Menschen die Zeit, das Werkzeug oder Talent haben, sich eine Bienenkiste selbst zu bauen"; aber anstatt "[e]ine fertige Bienenkiste im Baumarkt oder Imkereibedarf zu kaufen", regt er an, "dass Menschen, für die ein Selbstbau nicht infrage kommt, sich ja an eine*n örtliche*n Tischler*in wenden können. Hierdurch würde lokales Gewerbe unterstützt, und auch das ist ganz im Geiste einer nachhaltigen Wirtschaft." 

Regelmäßige Leser meines Blogs, denen bereits aufgefallen ist, dass ich immer mal wieder ein gewisses Interesse an Themen wie Nachhaltigkeit, ökologischer Landwirtschaft, Permakultur sowie allgemein an einer naturnäheren, "hobbitmäßigeren" Lebensweise an den Tag lege, wird es kaum überraschen, dass ich das Thema "Bienenkiste" und alles, was da so mit dranhängt, ausgesprochen interessant und anregend finde -- auch wenn mich im verlinkten Artikel die beharrliche Verwendung von Gender-Sternchen sowie von "woken" Schlagwörtern wie "Degrowth" und "Empowerment" eher abtörnen. Möglicherweise bilden allerdings gerade diese Merkmale des Texts einen bezeichnenden Hinweis auf ein gewisses Übermaß an ideologischer Verbohrtheit. In dieser Hinsicht kommt der Leserkommentar von "Bens Bienen" wohltuend pragmatisch daher: "Die Idee hinter der Bienenkiste, oder eher die Philosophie in die das eingewebt ist" - nämlich "ein Rückfahren des Resourcenverbrauchs, eben eine andere Lebensweise" - könne er  für sich selbst "prinzipiell unterschreiben", erklärt dee Kommentator, gibt gleichzeitig aber zu bedenken: "Wir können nicht alle Selbstversorger werden. Die meisten von uns haben da einfach [nicht]den Platz dazu." Umso mehr, argumentiert er, könne und solle man auch in kleinen, unvollkommenen Schritten hin zu einer ökologisch verträglicheren Lebensweise das Gute sehen: 

"Bienenhaltung kann, und war es bei mir, aber sozusagen die Einstiegsdroge in das ganze Thema Umwelt und Nachhaltigkeit sein. Wenn das damit beginnt, dass jemand im Baumarkt eine Holzkiste kauft und im nächsten Jahr die Steine aus dem Vorgarten schmeißt, sehe ich das als Gewinn an."

Das ist, könnte man vielleicht sagen, so ähnlich wie Brotbacken mit Hilfe einer Backmischung. 

Ein Portrait des Catholic Worker-Begründers Peter Maurin, veranlasst durch eine neue Edition seiner "Easy Essays", die praktisch sein gesamtes schriftliches Werk ausmachen: theoretisch-programmatische Kurztexte in Versform, deren Stil von Wortspielen und Wiederholungen geprägt ist und die, wie die Rezensentin Jacquelyn Lee meint, "ein bisschen so klingen wie die Lyrik der Beatniks". Inhaltlich drehen die ursprünglich im Catholic Worker-Magazin publizierten "Easy Essays" um den Versuch, eine auf den Sozialenzykliken der Päpste aufbauende "Philosophie der Arbeit" und ein Programm für eine "Grüne Revolution" zu entwerfen -- so benannt auch und nicht zuletzt in Abgrenzung von der "Roten Revolution" des Kommunismus. 

Jacquelyn Lee bemüht sich, Maurins Ideen aus seiner Biographie herzuleiten und plausibel zu machen, und legt dabei besonderes Augenmerk auf sein Leben in der Zeit vor der Gründung der Catholic Worker-Bewegung, über das ansonsten vergleichsweise wenig bekannt ist. Kommentarwürdig erscheint mir hier besonders Maurins zeitweilige Mitgliedschaft in der linkskatholischen französischen Laienvereinigung Le Sillon: Diese Bewegung wurde im Jahr 1910 vom Hl. Papst Pius X. in der Enzyklika "Notre charge apostolique" wegen ihrer von der kirchlichen Lehre abweichenden politischen Positionen verurteilt, und dieser Umstand wird von konservativen Kritikern der Catholic Worker-Bewegung zuweilen gegen Peter Maurin ins Feld geführt -- der Le Sillon allerdings schon 1909 verlassen hatte, und zwar gerade weil er mit der fortschreitenden Politisierung der Bewegung nicht einverstanden war. Auf diesen Umstand geht allerdings auch Jacquelyn Lee nicht eigens ein. 

Mehr oder weniger explizit unterstreicht der Artikel etwas, das mich an Peter Maurin "schon immer" (also seit ich überhaupt eine Ahnung habe, wer das war) fasziniert hat: Zwar hat Dorothy Day immer darauf bestanden, dass Peter, und nicht sie, der eigentliche Begründer der Catholic Worker-Bewegung gewesen sei - nicht nur der theoretische Vordenker, sondern Herz und Seele der Bewegung -; aber gleichzeitig vermitteln sowohl zahlreiche Anekdoten über ihn als auch die eigentümliche Textgestalt seiner "Easy Essays" den Eindruck, dass Peter Maurin schlichtweg zu sonderbar war, als dass er in der Lage gewesen wäre, eine Bewegung zu gründen; das konnte nur gelingen durch die Zusammenarbeit mit Dorothy, dank ihrer organisatorischen und kommunikativen Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen in der anarchistischen und kommunistischen Szene. 

Wie dem auch sei: Peter Maurins aus dem Manifest der anarcho-syndikalistischen "Industrial Workers of the World" entlehnte Zielerklärung, "eine neue Gesellschaft in der Hülle der alten" aufzubauen, hat eine Menge damit zu tun, was ich mir unter #BenOp und Punkpastoral vorstelle; und wenn Maurin in einem seiner "Easy Essays" ausführt, es bedürfe dazu einer "Philosophie des Neuen / die keine neue Philosophie ist, / sondern vielmehr eine sehr alte Philosophie, / einr Philosophie, die so alt ist, / dass sie aussieht wie neu", dann erinnert mich das frappierend an eine Aussage von Marco Sermarini, die Rod Dreher in der "Benedikt-Option" zitiert: „Wir müssen nur einem alten Weg folgen, die Dinge zu tun – einem Weg, der immer da war und den wir bloß in jüngster Zeit verloren haben" (BenOp, S. 227).

Als entscheidenden Schwachpunkt von Maurins Konzept betrachtet Jacquelyn Lee den Umstand, dass es ihm nie gelungen sei, "die angemessene Rolle von Autorität in Gemeinschaften" zu bestimmen, und dieser Mangel habe sich in der Geschichte der Catholic Worker-Bewegung vielfach problematisch ausgewirkt. Ich würde sagen, diese Kritik ist durchaus valide, aber der Umstand, dass sie am Ende des Artikels steht, erweckt den Eindruck eines allzu einseitig negativen Gesamturteils über Peter Maurin. Auch wenn das vielleicht gar nicht so beabsichtigt ist. 


Ohrwurm der Woche: The Vapors, "Jimmie Jones" (1981) 

Wie das Leben so spielt: Unlängst habe ich mir, als ich gerade mal allein zu Hause war, zur Entspannung ein paar Folgen der (sehr empfehlenswerten) Reihe "One Hit Wonderland" des YouTube-Popmusikkritikers Todd in the Shadows angesehen, darunter die Episode über die britische Post-Punk/New Wave-Band The Vapors, die 1980 ihren einzigen Hit mit dem ebenso schmissigen wie lustigen Song "Turning Japanese" hatte. "Jimmie Jones" wird in dieser Episode gewürdigt als der erfolglose Versuch der Band, einen zweiten Hit zu landen, und ja, in diesem Song geht es tatsächlich um den Jim Jones. Man beachte: Das Jonestown-Massaker lag noch keine drei Jahre zurück, als die Single 'rauskam. Vielleicht ein bisschen früh für eine derart flott-sarkastische Würdigung


Aus der Lesehore: 

Erkenne, dass das Wasser nicht reinigt ohne den Geist. Du hast ja gesehen, dass es bei der Taufe drei übereinstimmende Zeugen gibt: das Wasser, das Blut und den Geist. Wenn du eines von ihnen wegnimmst, kommt das Sakrament der Taufe nicht zustande. Denn was ist das Wasser ohne das Kreuz Christi? Nur ein gewöhnliches Element ohne die Wirkung eines Sakraments! Auf der anderen Seite aber gibt es das Sakrament der Wiedergeburt aber auch nicht ohne das Wasser. Denn "wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen" (Joh 3,5). Auch der Katechumene glaubt an das Kreuz des Herrn Jesus, mit dem er bezeichnet wird. Wenn er aber nicht getauft wird auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, kann er die Verzeihung der Sünden und die Gabe der geistlichen Gnade nicht empfangen. 

Du bist getauft worden im Namen der Dreifaltigkeit. Du hast den Vater bekannt, du hast den Sohn und den Heiligen Geist bekannt. In diesem Glauben bist du der Welt gestorben, auferstanden für Gott. In einem Element dieser Welt wurdest du gleichsam mit Christus begraben und wurdest zum ewigen Leben erweckt. Glaube also: Dieses Wasser ist nicht ohne Wirkung. 

(Hl. Ambrosius, "Über die Mysterien") 

 

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