Donnerstag, 3. Januar 2019

Mit dem Himmelreich ist es wie mit dem Sauerteig – oder: Die Hermann-Option

Tja, Freunde: Jetzt ist es wohl an der Zeit, Euch von meinem Projekt fürs neue Jahr zu erzählen. 

Am Rande der neulich schon einmal erwähnten "Tauferinnerungsfeier" unseres Pastoralverbunds für Familien, in denen im vergangenen Jahr ein Kind getauft wurde, wurde den anwesenden Eltern der sogenannte "Essener Adventskalender" zum Kauf angepriesen: ein vom Medienforum des Bistums Essen in Zusammenarbeit mit dem Bonifatiuswerk, dem Hilfswerk Adveniat und dem Kindermissionswerk "Die Sternsinger" herausgegebener Wandkalender für die Advents- und Weihnachtszeit, der "[n]eben Geschichten, Liedern, Spielen, Gebeten, Back- und Bastelanleitungen für 4- bis 12-Jährige" auch "Reportagen" darüber enthält, "wie Kinder in aller Welt Großes schaffen". Ich erinnerte mich, etwas in dieser Art als Kind auch jedes Jahr gehabt zu haben – ob der Kalender auch damals schon aus Essen kam, weiß ich nicht, hätte mich damals wohl auch nicht sonderlich interessiert. Ich glaube mich zwar zu erinnern, dass diese Kalender in meiner Kindheit irgendwie schöner gestaltet gewesen waren, aber egal, das Teil kostete nur zwei Euro, also kauften wir einen. Dem Adventskalender war in unserem Haushalt allerdings kein glückliches Schicksal beschieden: Noch ehe wir einen sinnvollen Platz an der Wand gefunden hatten, um ihn aufzuhängen, hatte unsere kleine Tochter die äußersten Seiten abgefetzt, mit dem Ergebnis, dass wir ihn nun gar nicht mehr aufhängten, sondern auf dem geräumigen Sofa herumliegen ließen, wo nach und nach immer größere Teile des Kalenders der Lust unserer Tochter am Papierzerreißen zum Opfer fielen. Als wir aber – noch vor Weihnachten – den Gedanken ins Auge fassten, die traurigen Reste des Kalenders endgültig wegzuwerfen, fiel mir das (inzwischen ebenfalls lose herumfliegende) Inhaltsverzeichnis in die Hände, und in der Rubrik "kochen & backen" las ich unter dem Datum vom 18. Dezember: "Hermann! – Kleiner Teig ganz groß".

"Ich werde in diesem Leben ganz sicher keinen 'Hermann' mehr ansetzen", merkte meine Liebste an, als sie mein Interesse registrierte. Wer weiß, dass "Hermann" der Name einer traditionellen Sauerteigmischung ist, wird dieser Reaktion meiner Liebsten entnehmen können, dass sie bereits Erfahrungen mit dem Ansetzen von Sauerteig gesammelt hatte, und zwar keine durchweg positiven Erfahrungen. "Hm, dann werde ich das eventuell machen müssen", erwiderte ich.

"Aber schau doch mal, ist er nicht niedlich?"
"Was heißt hier niedlich, das ist doch bloß Teig in einer Schüssel."
"NEIN, schau genau hin! Das ist Hermann, der in der Teigschüssel chillt!"

Das war nun, wie ich selbst zugeben muss, ein in geradezu absurdem Maße untypischer Gedanke für mich. Und ich wäre wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen, mich für Sauerteig zu interessieren, wenn ich nicht einige Wochen zuvor das Buch "Building the Benedict Option: A Guide to Gathering Two or Three Together in His Name" von Leah Libresco gelesen hätte. Aufmerksamen Lesern von Rod Drehers "Benedikt-Option" wird der Name der Autorin nicht unbekannt sein: Auf S. 228f. schildert Rod Leah als "eine vor Energie übersprudelnde 'Benedikt-Options'-Aktivistin", die, "[b]evor sie heiratete, [...] 'Benedikt-Options'-Veranstaltungen im Kreise ihrer alleinstehenden christlichen Freundinnen in Washington, D.C." organisierte: "sie war zu der Überzeugung gekommen, dass die Leute in ihrem Umkreis mehr 'kulturelle Liturgien' christlicher Prägung in ihrem Alltag brauchten". Über ihren persönlichen Ansatz, die Idee der "Benedikt-Option" mit einfachen Mitteln und im kleinen privaten Kreis in die Praxis umzusetzen, hat sie nun also ihr eigenes Buch veröffentlicht; es liegt noch nicht auf Deutsch vor, aber wenn sich ein deutschsprachiger Verlag dafür interessiert, es herauszubringen, möchte ich mich hiermit schon mal als Übersetzer bewerben.

In einem Kapitel ihres Buches schildert Leah ihre Erfahrungen aus den ersten Jahren nach ihrem Studienabschluss, als sie eine Reihe befristeter Jobs an unterschiedlichen Orten hatte und deshalb häufig umziehen musste – und zeitweise auch überhaupt keine eigene Wohnung hatte, sondern bei Freunden auf der Couch übernachtete. Und in diesem Zusammenhang findet sich in dem Buch die folgende Passage:
"Am albernsten war, dass ich mir aufgrund meines Mangels an Sesshaftigkeit sogar versagte, Sauerteig zu machen. Es hatte mir Spaß gemacht, Sauerteig aufzubewahren, zu 'füttern' und damit zu backen, doch als ich ans andere Ende des Landes umziehen musste, hatte ich den Grundteig weggeworfen, und jetzt kam es mir so vor, als hätte ich kein Recht auf einen neuen. Es wäre mir töricht erschienen, einen Sauerteig zu füttern, wenn ich möglicherweise bald schon wieder würde umziehen müssen und dann entweder einen Weg würde finden müssen, das blubbernde Schlamassel zu transportieren, oder es erneut in den Abfall würde löffeln müssen. Also gab ich es auf, verzichtete darauf, Sauerteigbrot und Pizzateig herzustellen. Ich gab es auf, meine Mitbewohner mit Sauerteigpfannkuchen zu überraschen, wenn ich mir etwas einfallen lassen musste, um den überschüssigen Teig zu verbrauchen. Ich gab den Spaß auf, den es mir bereitet hatte, so ein sonderbares lebendes Etwas zu betreuen und zu pflegen.  
Ich hatte übertriebene Schuldgefühle bei dem Gedanken, dass meine unbeständige Lebensweise dazu führen könnte, dass ich einem Sauerteig Unrecht tat – etwas Primitiverem als einer Pflanze. Es handelt sich ja nur um eine Mischung aus Hefe, Wasser und teilweise vergorenem Mehl. Ich fragte mich: Wenn ich schon das Gefühl hatte, ich könne es mir nicht einmal erlauben, Verpflichtungen gegenüber einem Mikroorganismus einzugehen, wie zurückhaltend war ich dann erst gegenüber anderen Menschen, wenn es darum ging, ihnen etwas anzubieten oder etwas von ihnen anzunehmen?"

Irgendwie, ich weiß selbst nicht genau warum, hatte diese Passage bei mir einen starken Eindruck hinterlassen. Und als ich nun in dem zerfetzten Adventskalender die "Hermann"-Seite suchte und fand, stellte ich entzückt fest, dass es sich nicht einfach nur um eine Anleitung zum Herstellen und "Füttern" von Sauerteig handelte, sondern dass diese auch mit einer Art "geistlichem Impuls" kombiniert war. Natürlich auf einem Niveau, das der konzeptionellen Ausrichtung des Kalenders auf die Altersgruppe der 4-12jährigen entspricht, aber hey: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder... und so.

Natürlich wird in diesem Impuls auf das Gleichnis Jesu vom Sauerteig (Matthäus13,33) hingewiesen, und erläutert wird es wie folgt:
"Was er damit gemeint hat, spürt ihr vielleicht am ehesten, wenn ihr euch vorstellt, wie das damals mit dem Brotbacken war. Der Sauerteig war die wichtigste Zutat […]. Man mischte aber nie alles unter das Mehl, sondern behielt immer ein bisschen davon zurück. Dann gab man wieder etwas Mehl dazu und ließ den Teig gären, damit man auch für das nächste Brot wieder genug davon hatte. Manchmal passierte es, dass der Teig schlecht wurde. Dann half einem die Nachbarin aus oder die Verwandten gaben etwas von ihrem Sauerteig weiter […]. Und so ist es auch mit dem Reich Gottes."

Es folgt die Anregung, es selbst einmal mit der Sauerteigherstellung zu versuchen, und dann heißt es:  
"Das Schöne daran ist: Ihr müsst ihn 'füttern', fast wie ein Haustier, allerdings nur alle paar Tage. Und: Ihr könnt den gebackenen Teig dann als Weihnachtsgeschenk weitergeben oder einfach so zum Adventskaffee mitbringen. Und auch den Sauerteig könnt ihr weiterverschenken! Immer nur ein kleines Stückchen von dem, was ihr selbst braucht. Aber stellt euch vor: Aus diesem kleinen Stückchen von eurem Teig entsteht ganz viel neues Gebäck, von dem andere satt werden – auch Menschen, die ihr gar nicht kennt! Das und mehr muss Jesus wohl mit seinem Gleichnis gemeint haben..."

Wer nicht intuitiv versteht, wieso die Vorstellung des sich durch Teilung immer weiter verbreitenden Sauerteigs mich irgendwie fesselte, dem werde ich es wohl auch nicht erklären können. Der nächste Impuls ließ nicht lange auf sich warten: Eine katholische Bloggerin und Podcast-Betreiberin aus den USA fragte via Twitter nach Anregungen dafür, wie man sein Leben im neuen Jahr Hobbit-mäßiger gestalten könne, und das erste, was mir dazu einfiel, war "Irgendwas mit Sauerteig". Kurz und gut, die Erkenntnis, dass das Thema mich irgendwie nicht losließ, wurde allmählich unausweichlich, also sagte ich mir: Alles klar. Projekt fürs neue Jahr: Die Hermann-Option

"Dir ist aber schon klar, dass du dann jede Woche Kuchen backen musst, oder?", fragte mich meine Liebste. 

Nein, das war mir selbstverständlich nicht klar. Aber hey, sagte ich mir: Das macht die ganze Sache doch eigentlich noch besser! Und lässt sich auch prima mit den Foodsaving-Aktivitäten meiner Liebsten verbinden: Obst- oder gelegentlich auch Gemüsekuchen mit "geretteten" Zutaten backen, je nachdem, was gerade so reinkommt, und den Kuchen dann zum Krabbelfrühstück oder zum Lesecafé in der Kirchengemeinde mitbringen... (Diese Veranstaltungsreihen gibt es noch nicht. Das sind auch noch Projekte fürs neue Jahr. Ich werde berichten.) Wenn ich mich recht erinnere, habe ich seit meiner Schulzeit keinen Kuchen mehr gebacken (und auch damals nur mit Hilfe von Fertigbackmischungen, was natürlich Quatsch war, weil mein die Bestandteile von Fertigbackmischungen genauso gut für ein Drittel des Preises einzeln kaufen und selbst zusammenschütten kann, aber erklär das mal einem Teenager). Ein Grund mehr, endlich (wieder) damit anzufangen. Man wächst schließlich mit seinen Aufgaben. Wie der Sauerteig selber ja ooch

Letzteres ist natürlich noch einmal eine Herausforderung für sich. Will man jeweils einen Teil des angefütterten Sauerteigs weiterverschenken und die Empfänger dazu motivieren, dasselbe zu tun, dann braucht man dafür auf mittlere Sicht natürlich einen nicht zu kleinen Kreis an Abnehmern, sonst wächst einem der Sauerteig irgendwann buchstäblich über den Kopf. (Für die Veganer in meinem Bekanntenkreis mag es in diesem Zusammenhang eine relevante Information sein, dass es auch eine vegane "Hermann"-Variante gibt; sie hört auf den Namen "Volker". Kein Scheiß.)

Na, ich bin jedenfalls gespannt, wie die Sache sich entwickelt. Es ist vermutlich keine große Überraschung, wenn ich sage, dass ich auch darin das Potential für ein Projekt innerhalb der Pfarrgemeinde sehe: Mir scheint, das Ansetzen, Füttern und Weitergeben von Sauerteig ist nicht nur eine hervorragende (weil biblische) Metapher dafür, neues Leben in die Gemeinde zu bringen, sondern kann auch ganz praktisch zu diesem Ziel beitragen. Nicht zuletzt, wie schon angedeutet, mittels der auf diesem Wege entstehenden Backwaren.

Ich werde berichten...



2 Kommentare:

  1. Ich hätte eine Idee, wie man den immer gleich langweiligen Hermann abwandeln könnte. Sauerteig bereiten, gut, damit soll es ruhig anfangen. Und ein bißchen Sauerteig zurückbehalten zum Verschenken. Aber man kann ja ganz verschiedene Arten Brot daraus backen. Und man muss es auch durchaus nicht tragisch nehmen, wenn der Grundteig nicht bei allen "Mitspielern" gleich ist. Im Gegenteil: daß mein Sauerteig vermutlich etwas anders ist als Deiner, und so weiter, macht die Sache doch besonders spannend.
    Also, da wäre ich dabei.

    AntwortenLöschen
  2. Wenn Sie einen Tipp brauchen, was man so mit Sauerteig et al. anfangen kann - Blog: hefe und mehr
    Ich backe seit Jahr und Tag fast nur mehr Brot nach ihren Rezepten, sie sind quasi gelingsicher. Damit werden Sie nicht von Hermanns Fülle überwältigt werden!
    Viel Spaß dabei!

    NB: Ich empfehle auch das Thema "Sauerteigsicherung", für den Fall, dass Hermann doch mal das Zeitliche segnet.

    AntwortenLöschen