Es
ist mal wieder soweit: Die Sternsinger stehen vor der Tür, teilweise
metaphorisch, teilweise wortwörtlich. Ich persönlich erwarte sie
heute zwischen 13 und 17 Uhr; ja, wir haben uns in die in unserer Kirche
ausliegende Liste der Haushalte eingetragen, die einen Besuch der
Sternsinger wünschen. Das Dorfkind in mir findet es ja eigentlich
schade, dass es überhaupt solche Listen braucht. Wobei ich die
Notwendigkeit durchaus einsehe, zumindest in von großen Mietshäusern
geprägten städtischen Wohngegenden. Ich nehme allerdings an, auch
in Einfamilienhaussiedlungen, ja möglicherweise sogar auf dem Dorfe
ziehen die Sternsinger heutzutage nicht mehr "einfach so" von
Haus zu Haus und singen ihre Lieder "gelegen oder ungelegen". Und
das finde ich wirklich schade, nicht nur wegen des Kulturerbes,
das da verloren geht, sondern auch, weil es erheblich punkiger
und zugleich missionarischer wäre, auch und gerade die Häuser
derer zu segnen, die nicht darum gebeten haben.
Aber
à propos Kulturerbe: Schon vor drei Jahren habe ich mich in
einem Blogartikel bitter darüber beklagt, dass das
Kindermissionswerk "Die Sternsinger" sich den
„Gesamtzusammenhang der Aktion Dreikönigssingen“ im Jahr 2003
hat urheberrechtlich schützen lassen – und damit ein Stück
traditionelles, seit dem 16. Jahrhundert bezeugtes christliches
Brauchtum für seine alljährliche Fundraising-Kampagne
instrumentalisiert und monopolisiert. Der besagte Artikel hat mir
seinerzeit viel Unverständnis und Kritik eingebracht, auch und
gerade von Lesern, die mir normalerweise wohlgesonnen sind; aber ich
kann meine Meinung in diesem Punkt beim besten Willen nicht ändern.
Wobei ich es, wie anno 2016 ausführlich dargelegt, besonders
ärgerlich finde, dass der religiöse Charakter des
Dreikönigssingens hinter dem Spendenzweck der jeweiligen
Jahresaktion mehr und mehr zu verschwinden droht.
Recht bezeichnend hierfür ist der am 27. Dezember veröffentlichte Motto-Song der diesjährigen Sternsingeraktion, ein Rap-Song mit dem Titel "Das singen die Sterne", performt von Rapper Florian Schäfer, Sängerin Kat Wulff und Florians Bruder Franz an der Gitarre sowie den Sternsingerkindern Johannes, Elisabeth Anna, Stella und Pauline als Background-Chor.
Fangen
wir mal mit dem Positiven an: Sowohl die Musik als auch das Video
wirken ausgesprochen professionell produziert und ragen qualitativ
durchaus aus dem heraus, was man von kirchlicher Medienarbeit sonst
so gewohnt ist. Okay, das habe ich über das umstrittene Stewardessen-Video des Bistums Essen zu Weihnachten auch gesagt. Aber stimmt ja auch. Dass mir die Nase des Rappers nicht
gefällt, weil sie mich an einen Bekannten aus meinen späten
Teenagerjahren erinnert, der damals aus unerfindlichen Gründen alle
Mädels rumkriegte, braucht andere Adressaten dieses Videos nicht
sonderlich zu stören. Aber wie sieht's mit dem Inhalt aus?
Zugegeben, man könnte durchaus der Meinung sein, eine inhaltliche
Kritik erübrige sich weitgehend, denn der Text des knapp drei
Minuten langen Liedes besteht zu gefühlten zwei Dritteln aus
assoziativem Wortgeklingel. Was für das Rap-Genre wohlgemerkt nicht
ungewöhnlich ist. Ein Erfahrungsbericht aus der Berliner S-Bahn:
Wenn jemand in die Bahn einsteigt und wirres Zeug vor sich hin
brabbelt, ist er wahrscheinlich psychisch krank und/oder auf Drogen;
ist das wirre Zeug jedoch rhythmisiert und reimt sich
in mehr oder minder regelmäßigen Abständen, dann handelt es sich
um Rap. – Ehe jetzt jemand meint, ich legte es darauf an,
mich als kulturpessimistischer Waldschrat in Szene zu setzen: Ich
erkenne Rap sehr wohl als eine Kunstform an, und auch wenn es
nicht zwingend zu den spezifischen Qualitätsmerkmalen dieser
Kunstform gehört, dass die Texte einen tieferen Sinn ergeben, gibt
es sehr wohl Rap-Songs mit guten Texten. Dieser gehört nicht
dazu.
Man
tut daher gut daran, den Liedtext auch da, wo er über bloßes
Reimgeläute hinaus geht, nicht allzu genau beim Wort zu nehmen. An
mehreren Stellen sagt er nämlich nicht das aus, was er eigentlich
aussagen will oder sollte, sondern lediglich etwas Ähnliches. Zum
Beispiel:
"Schau
ruhig über deinen Tellerrand /
Nicht
jeder Mensch hat Besteck in der Hand"
Was
hier – wie ich mal wohlwollend unterstellen möchte – eigentlich
gemeint ist, ist, dass nicht jeder Mensch ausreichend zu essen
hat. Aber was hat das Besteck damit zu tun? Ist das nicht
irgendwie kulturimperialistisch,
zu verlangen, alle Menschen
sollten mit Besteck essen? Ehrlich gesagt finde ich, die Vorstellung
eines Hilfswerks, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, dafür zu
Sorgen, dass die Menschen überall auf der Welt lernen, mit Besteck
zu essen, ergäbe durchaus Stoff für eine groteske Filmkomödie
(Arbeitstitel "Knigge's Army“).
Und weiter:
"Nicht jedes Kind sieht 'ne Schule von innen."
Gemeint
ist natürlich: Nicht jedes Kind hat Zugang zu Bildung.
Okay: Dass "Zugang zu Bildung" nicht zwingend dasselbe ist wie
„Schulbesuch“, dürfte speziell in Deutschland wohl gar nicht
groß auffallen. Da haben die Nazis mit ihrem
Reichsschulpflichtgesetz von 1938 wirklich ganze Arbeit geleistet:
Die meisten Deutschen scheinen tatsächlich anzunehmen, echte Bildung
gebe es nur in der Schule, Homeschooling
sei nur eine Marotte von Junge-Erde-Kreationisten und schießwütigen
Hinterwäldlern und daher in Deutschland zu Recht verboten; und wenn
sie doch mal einen jungen Erwachsenen zu Gesicht bekommen, der
überdurchschnittlich gebildet und
sozial kompetent ist, "obwohl" er nie zur Schule gegangen ist,
dann staunen sie ihn an wie ein Weltwunder. Aber das ist eigentlich
ein Thema für sich.
Die
eigentlichen Adressaten des Songtexts und auch des ganzen Videos
scheinen übrigens die Sternsinger selbst zu sein,
insbesondere auch potentielle zukünftige Sternsinger, die es
noch zu rekrutieren gilt ("Werde Sternsinger!", sagt ein Mädchen
am Ende des Videos in die Kamera, und unvermeidlicherweise fügt ein
Junge hinzu "Und Sternsingerin!"). "Ich frage dich: Bist du
dabei, wenn es um Herz und Hilfe geht?", heißt es in den gerappten
Strophen, und:
"Wir
können nach den Sternen greifen /
Nur
zusammen sind wir frei /
Lass
uns für bess're Zeiten fighten /
Ich
frag nochmal: Bist du dabei?"
Was
hier auffallend abwesend ist, ist jede Spur eines religiösen oder
gar spezifisch christlichen Gehalts. Nun ja, fast jede Spur.
Gelegentlich kommt am Rande ein bisschen religiös konnotiertes
Vokabular vor, etwa in den Versen
"Wie
bringt man den Segen bei Sonne und Regen? /
Die
Antwort, mein Freund: Glaube und Stärke".
Okay,
aber Glaube woran? An "diese Welt", an "bess're Zeiten",
an "mehr Mitgefühl"? Das wird nicht verraten. Übrigens wundert
man sich beinahe, dass auf "Stärke" nicht irgendwas mit "gute
Werke" gereimt wird, denn offensichtlich geht es ja genau darum.
Ein Schelm, wem da das Stichwort "Werkgerechtigkeit"
einfällt; hatten wir nicht gerade erst Reformationsjubiläum?
Natürlich
verweist man gerade als Katholik gegenüber der reformatorischen
Kritik an der Werkgerechtigkeit gern und zu Recht auf den
Jakobusbrief, demzufolge "der
Glaube für sich allein tot" sei, "wenn er nicht Werke
vorzuweisen hat". Und unter den Werken, die dem gläubigen
Christen explizit aufgetragen sind, nehmen tätige Nächstenliebe und
speziell der Einsatz für die Armen tatsächlich eine ganz zentrale
Stellung ein. Dennoch entsteht ein schiefes Bild, wenn man das
Christentum auf eine reine "Ethik der Nächstenliebe" reduziert
bzw. diese aus ihrem Kontext herauslöst. In erster Linie ist das
Christentum schließlich eine Erlösungslehre, und die
Erlösung kommt von Jesus Christus, der Mensch geworden und zur Sühne
unserer Sünden am Kreuz gestorben ist und der in Seiner Auferstehung
den Tod besiegt hat. Wir befinden uns immer noch im
Weihnachtsfestkreis, das heißt, wir feiern die heilbringende
Menschwerdung Gottes – und in diesem Kontext lautet die primäre
Botschaft der Heiligen Drei Könige (oder müsste sie lauten) "Wir sind gekommen, um Ihn anzubeten" (vgl. Matthäus
2,2).
Fällt
diese Dimension der Sternsinger-Botschaft unter den Tisch, dann
bleibt nur Selbsterlösung: Mit einer Spende für das
Kindermissionswerk kauft man sich von der Schuld des "white
privilege" frei, die darin besteht, dass man mit "Besteck in
der Hand" und mit Schulpflicht aufgewachsen ist. Das ist ohne
Zweifel total zeitgemäß und dürfte sich auch vorteilhaft auf die
Spendenbereitschaft auswirken, besonders bei "nicht so religiösen" Leuten. Allerdings könnte man sich nun natürlich fragen, wie die
Sternsinger überhaupt zu "nicht so religiösen" Leuten kommen,
wenn man ihren Besuch doch, wie eingangs erwähnt, bei der örtlichen
Pfarrei quasi bestellen muss. Das verweist auf ein tiefer
liegendes Problem: Auch unter einigermaßen regelmäßigen Kirchgängern dürfte eine rein horizontale, rein diesseitige Sicht auf die Kirche als Wohltätigkeitsorganisation und/oder Anbieterin spiritueller Wellness nicht eben selten sein. Weil genau dieses Bild nicht bloß in der medialen Selbstrepräsentation kirchlicher Hilfswerke gepflegt wird, sondern auch in anderen Bereichen kirchlicher Kommunikation, vielfach bis hin zur sonntäglichen Predigt. Was vor Jahrzehnten vielleicht einmal damit begonnen hat, dass man die Basics der christlichen Glaubenslehre (schon damals irrtümlich) als allgemein bekannt und selbstverständlich akzeptiert voraussetzte und deshalb glaubte, man könne sich in der Verkündigung auf die praktische Nutzanwendung für den Alltag konzentrieren, hat schließlich dazu geführt, dass vielfach gar kein Vokabular mehr vorhanden ist, um über den Glauben zu sprechen. (Das gilt es übrigens im Auge zu behalten, wenn mehr oder minder prominente Kirchenvertreter wieder einmal äußern, die Kirche brauche eine "neue Sprache", um "die Menschen von heute" erreichen zu können. Das ist Bullshit. Die "Menschen von heute" unterscheiden sich nicht so grundsätzlich von den Menschen früherer Zeiten, dass sie die uralte Sprache des Glaubens nicht mehr verstehen könnten. Es sind die Kirchenfunktionäre, die es verlernt haben, diese Sprache zu sprechen.)
Am
Ende muss man sich nicht wundern, wenn viele Leute ehrlich überzeugt
sind, die Essenz des Christlichen ließe sich in der Aussage "Gott hat uns alle lieb, und deshalb sollen wir nett zueinander
sein" zusammenfassen. – Wohlgemerkt: Das Christentum lehrt
tatsächlich, dass Gott alle Menschen liebt und dass wir gut
zueinander sein sollen; problematisch wird es erst, wenn man annimmt
oder so tut, als sei dies die allein entscheidende
Glaubensaussage und alles andere, was das Christentum sonst noch
lehrt, sei (sofern man es überhaupt zur Kenntnis nimmt) bloß
"storytelling", bloß eine narrative Einkleidung dieser
vermeintlichen „Kernbotschaft“. Für eine solche um wesentliche
Dimensionen verkürzte Version des Christentums haben – ich erwähne
es immer wieder gern – die Soziologen Christian Smith und Melinda
Lundquist Denton in einer Studie aus dem Jahr 2005 den Begriff
"Moralistisch-Therapeutischer Deismus" geprägt;
und dafür stellt der Text des Sternsinger-Raps ein illustratives
Beispiel dar, nicht zuletzt insofern, als er exemplarisch
deutlich macht, wie der moralistische und der therapeutische
Aspekt des MTD eigentlich miteinander zusammenhängen:
"Die Probleme der Welt machen sauer und traurig", aber "es
macht mich stolz, etwas zu tun" – oder anders ausgedrückt: Gutes
zu tun ist gut dafür, sich selbst gut zu fühlen, das ist das
eigentliche, das ultimative Ziel.
Indessen
hat die Comédienne Sophie Passmann auf Twitter mit der
Bemerkung Aufsehen erregt, Sternsingen
sei "ja auch nix anderes als Betteln mit Blackface". Der
teilweise energische Widerspruch, den sie dafür erntete, war in
seiner Tendenz bezeichnend: Man könne ja der katholischen Kirche ja
vieles vorwerfen, aber gerade das Sternsingen sei eine gute Sache
(Subtext: eben weil es nichts mit dem Glauben zu tun hat,
sondern nur darum geht, Spenden für bedürftige Kinder zu sammeln).
Diese teilweise etwas humorlose Kritik veranlasste Sophie Passmann
nun, ihre Äußerung ebenso humorlos zu verteidigen und darauf
herumzureiten, "Blackfacing" sei nun mal rassistisch und
daher auch durch einen wohltätigen Zweck nicht zu rechtfertigen.
Also, Freunde, jetzt wird’s aber allmählich echt albern. Die
Darstellungskonvention, derzufolge einer der Heiligen Drei Könige
schwarz ist, rührt daher, dass sie traditionell als
Repräsentanten der drei Weltteile der Alten Welt (und somit der
ganzen Menschheit) aufgefasst wurden, und ist daher
gerade antirassistisch. Dies nicht vom "Blackfacing" der
tatsächlich ausgeprägt rassistischen "Minstrel
Shows" unterscheiden zu können, ist schlichtweg
kultureller Analphabetismus.
Aber
okay: Ich persönlich find's ja eigentlich gut, wenn
katholisches Brauchtum als "edgy" und polarisierend
wahrgenommen wird. Auch wenn die Realität meist viel langweiliger
ist.
Volle Zustimmung. Mich hat an dem Video neben dem furchtbaren Text besonders diese schmerzlich lächelnde Blondine gestört, ich finde sie oberpeinlich.
AntwortenLöschenAber eine Sache finde ich wirklich großartig, und zwar genau an dem Video: Eines von den drei Kindern, die zum Sternsinger-werden aufrufen, ist ein pummeliges Mädchen. Ein selbstbewußtes, fröhliches, aktives und hoffentlich gläubiges Moppelchen. Und das finde ich klasse. Denn weibliche Moppelchen haben normalerweise ab Grundschule nicht viel zu lachen.
Listen auslegen geht inzwischen Datenschutzgründen ja mal überhaupt nicht mehr.
AntwortenLöschenIn manchen Städten wurde auf die neuen Datenschutzregeln reagiert und es wurden "Wahlurnen" aufgestellt, in die die Leute ihren Namen und Adresse mitteilen können, da sie von den Sternsingern besucht und sternbesungen werden.
So war das bei uns in der Großgemeinde Maria unter dem Kreuz (Berlin-Friedenau und Wilmersdorf). Fand ich gut.
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