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Sonntag, 23. Juni 2019

Schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr

Wochenkommentar auf Radio Horeb, ausgestrahlt am 22.06.2019 

In meiner Wohnortpfarrei gibt es seit ungefähr einem Jahr einmal monatlich eine sogenannte "Jugendmesse", die üblicherweise vom Firmkurs unter Leitung der Gemeindereferentin mitgestaltet wird, unter anderem musikalisch. Neulich ging ich da einmal hin, denn ich wollte gern mit den musizierenden Jugendlichen darüber ins Gespräch kommen, sie womöglich auch in andere Aktivitäten in der Gemeinde einzubeziehen. Allerdings hatte ich nicht bedacht, dass die diesjährige Firmung bereits vorbei war und der Firmkurs fürs nächste Jahr erst im Herbst beginnt. Die Folge war, es gab in dieser Messe keine musizierenden Jugendlichen. Nicht einmal die Gemeindereferentin war anwesend. Stattdessen saß der hauptamtliche Kirchenmusiker an einem E-Piano statt an der Orgel und spielte pflichtschuldigst einige Lieder von der Art, wie sie im kirchlichen Kontext als "jugendgerecht" gelten. Dabei waren in den Gemeindebänken auch nur maximal zwei bis drei Jugendliche vertreten. Aber die Messe stand nun mal als "Jugendmesse" im Zelebrationsplan. 

Diese kleine Anekdote scheint mir auf vielfältige Weise bezeichnend dafür, wie schwer sich die Kirche in ihrem Umgang mit jungen Menschen tut. Ich will mich hier auf einige Teilaspekte dieses umfangreichen Themas beschränken. Zunächst wäre da das Phänomen des spurlosen Verschwindens von Jugendlichen aus der Kirche nach der Firmung zu nennen. Der kanadische Priester James Mallon spricht in seinem Buch "Wenn Gott sein Haus saniert" sogar "von der fast überall verbreiteten Erfahrung in der katholischen Kirche der westlichen Welt", dass die Firmung "in Wirklichkeit für viele den Abschied von der Kirche bedeutet. Was eine Feier der Vollmitgliedschaft sein sollte, ist eine Fassade, die den systematischen Glaubensabfall kaschiert." Das sind harte Worte, aber ihr Wahrheitsgehalt ist kaum zu leugnen; nicht umsonst gib es etwa den bekannten Witz über die Geistlichen, die sich darüber austauschen, was man gegen Fledermäuse im Dachstuhl tun könne, und einer von ihnen erklärt: "Ich hatte das Problem auch mal, aber dann habe ich die Fledermäuse getauft und gefirmt und seitdem habe ich sie nie wiedergesehen." Dass dieses Problem so allgemein bekannt ist, aber weithin achselzuckend zur Kenntnis genommen wird, als könne man daran schlechterdings nichts ändern, stimmt bedenklich. Betrachtet man die Statistiken darüber, wie viele tausend Kinder und Jugendliche in der katholischen Kirche in Deutschland alljährlich zur Erstkommunion und zur Firmung angemeldet werden, kann man feststellen, dass die schrumpfende Volkskirche immer noch ein gewaltiges Nachwuchspotential hat; gleichzeitig drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass dieses Potential durch die landläufige Praxis der Kinder- und Jugendkatechese auf unverantwortliche Weise vergeudet wird. 

Aber wird denn nicht schon viel dafür getan, die Kirche für Jugendliche attraktiver zu machen, etwa durch speziell auf diese Zielgruppe zugeschnittene Angebote? Die regelmäßigen Jugendmessen in meiner Pfarrei wären ein Beispiel hierfür, aber meiner Beobachtung zufolge sind sie in erster Linie ein Beispiel dafür, dass dieser Ansatz eher kontraproduktiv ist. Seit es diese Jugendmessen gibt, tauchen die Jugendlichen nur umso weniger in den "normalen" Gemeindemessen auf. Auf diese Weise werden die Jugendlichen noch stärker von der übrigen Gemeinde isoliert, als das ohnehin der Fall wäre, und eine "erwachsene" Glaubenspraxis bliebt ihnen fremd. Noch etwas schärfer formuliert: Durch speziell auf sie zugeschnittene Gottesdienstformen wird den Jugendlichen suggeriert, der Besuch "normaler" Gottesdienste sei ihnen nicht zuzumuten; dann braucht man sich auch nicht zu wundern, dass sie sich dafür nicht interessieren. Für die "Familienmessen", die in meiner Pfarrei ebenfalls einmal im Monat stattfinden, gilt mehr oder weniger dasselbe. 

Die Idee einer nach Zielgruppen ausdifferenzierten Pastoral wird, nicht nur auf Altersgruppen bezogen, in jüngerer Zeit immer offensiver als das Mittel der Wahl angepriesen, um die schrumpfende Mitgliederbasis der Großkirchen bei der Stange zu halten. Dieser marketingorientierte Ansatz ergibt jedoch im Grunde nur Sinn, wenn man die Kirche als einen Dienstleister und die Kirchenmitglieder als Kunden betrachtet, denen man ein Konsumangebot macht. Versteht man die Kirche hingegen als eine Gemeinschaft von Gläubigen, die sich gegenseitig im Glauben stärken und einander dabei helfen sollen, auch im Alltag ein christliches Leben zu führen, dann müsste man vielmehr darauf bedacht sein, unterschiedliche Zielgruppen zusammenzubringen und so innerhalb der Gemeinde einen Gegenentwurf zur fortschreitenden Fragmentierung der postmodernen Gesellschaft zu verwirklichen. 

Es soll nicht geleugnet werden, dass gerade Teenager zuweilen ein ausgeprägtes Bedürfnis danach haben, unter ihresgleichen zu sein, und sich daher zu Veranstaltungsangeboten hingezogen fühlen, die speziell für ihre Altersgruppe konzipiert sind. Zu einem gewissen Grad wird es auch im kirchlichen Kontext sinnvoll sein, diesem Bedürfnis entgegenzukommen. Gerade die Sonntagsmesse sollte jedoch eine Feier der ganzen Gemeinde sein. Daneben und darüber hinaus wäre übrigens zu fragen, ob das, was im kirchlichen Bereich üblicherweise als "jugendgerecht" gehandelt wird, diese Bezeichnung wirklich verdient – ob also, polemisch gesagt, bunte Handabdrücke auf Bettlaken und vierzig Jahre alte Klampfenlieder wirklich das sind, was "die jungen Leute" wollen. Wäre die kirchliche Jugendarbeit stärker darauf ausgerichtet, die Jugendlichen zur Eigeninitiative anzuregen, statt sie als passive Konsumenten zu behandeln, käme man womöglich zu ganz anderen Ergebnissen. 

Die Ästhetik kirchlicher Angebote für Jugendliche.
Die wohl größte Herausforderung für die kirchliche Jugendarbeit besteht indes darin, dass Jugendliche in ihrem täglichen Leben – in der Schule, im Umgang mit nicht-gläubigen Gleichaltrigen, in den Medien etc. – einer Fülle von Einflüssen ausgesetzt sind, die sie vom Glauben der Kirche entfernen; dass ihnen, beispielsweise in Fragen von Geschlecht und Sexualität (aber auch nicht nur dort), tagtäglich Anschauungen vermittelt werden, die im Widerspruch zur kirchlichen Lehre stehen. Eine Jugendpastoral, die darauf setzt, diesen Konflikt abzuschwächen, indem sie heikle Themen ausspart oder hinter vorgehaltener Hand den Eindruck vermittelt, diese seien nicht so wichtig oder die kirchliche Lehre sei in diesen Fragen nicht so ganz ernst zu nehmen, erweist sowohl ihrem eigenen Anliegen als auch den Jugendlichen selbst einen Bärendienst, denn gerade so erscheint der Glaube der Kirche nicht als eine erwägenswerte Alternative zu den säkularen Heilsversprechen der postmodernen Welt, sondern bestenfalls als eine langweiligere, leicht verstaubte Version davon, mit schlechterer Musik und erheblich schlechterer Deko. Anders ausgedrückt: Die Zentrifugalkräfte, die die Jugendlichen von der Kirche wegtreiben, sind zu stark, als dass sie sich durch eine möglichst anspruchslose, harmlos-tolerante Selbstdarstellung der Kirche beschwichtigen ließen. Eine Chance hat die Kirche bei den Jugendlichen auf Dauer nur, wenn sie sie positiv zu begeistern versteht – und zwar nicht für irgendetwas, was ihnen auch woanders, und dort wahrscheinlich sogar besser, geboten wird, sondern für den Glauben an Jesus Christus. Das wird ihr jedoch nicht gelingen, wenn sie ihnen diesen Glauben nur in einer verwässerten, verharmlosten Variante anbietet. 

Katecheten klagen nicht selten darüber, dass sie es in der Firmvorbereitung teilweise mit Jugendlichen zu tun bekommen, bei denen sie, was die Vermittlung von Glaubenswissen angeht, praktisch bei Null anfangen müssten – was im Rahmen eines Firmkurses aber nicht geleistet werden kann. Zu fragen wäre, ob es unter solchen Voraussetzungen überhaupt noch sinnvoll ist, die Schüler pauschal nach Jahrgangsstufen zum Erstkommunion- und Firmunterricht antreten zu lassen. Ob man nicht besser daran täte, stattdessen die Familienkatechese zu stärken – sowohl im Sinne von "Katechese für Familien" als auch im Sinne von "Katechese in der Familie". Beides sollte idealerweise Hand in Hand gehen. Katholische Eltern müssen sich bewusst sein, dass es Bestandteil ihres Eheversprechens ist, ihre Kinder im Glauben der Kirche zu erziehen, und Aufgabe der Kirche – zuallererst in Gestalt der örtlichen Pfarrei – ist es, ihnen einerseits diese Verantwortung bewusst zu machen und ihnen andererseits Hilfestellung zu geben, um dieses Versprechen erfüllen zu können. Eltern dazu zu befähigen, selbst die ersten und vorrangigen Katecheten für ihre Kinder zu sein, ist indes keine Aufgabe, die man mittels eines vier- oder sechswöchigen Kurses ein für allemal abhaken könnte, sondern ein permanenter Prozess, in dem sich die Familien in einer Pfarrgemeinde gegenseitig unterstützen sollten, etwa in Form von Hauskreisen. Natürlich würde ein derart umfassendes Modell von Familienkatechese einen radikalen Mentalitätswandel bei jenen voraussetzen, die daran gewöhnt sind, die institutionelle Kirche als Dienstleister zu betrachten. Mancher wird es als Zumutung zurückweisen, sich selbst um die religiöse Unterweisung seiner Kinder kümmern zu sollen. Die Frage ist jedoch, ob die Kirche gut beraten ist, auf solche Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Pastoral, das kann nicht deutlich genug betont werden, heißt Hirtendienst, und die wichtigste Aufgabe des Hirten – das betont auch Father Mallon in seinem oben schon zitierten Buch – ist es, seine Herde auf die Weide zu führen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, kann er sich nicht an denjenigen orientieren, die gar keinen Hunger haben.



2 Kommentare:

  1. Worauf ich mit dem Cave "ich bin bei diesem Thema nicht objektiv" natürlich wieder schreibe:

    Und was ist mit den Kindern, denen die Eltern dann nicht nur wegen mangelndem Aufgabenbewußtsein oder mangelnder Ausbildung oder allenfalls wegen Faulheit, sondern *bewußt* keine Katechese angedeihen lassen, weil sie das nicht wollen?

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    1. In dem Fall kann man zuerst fragen: Warum wollt ihr eure Kinder überhaupt firmen lassen? Wenn sie keinen Hunger haben, sollte man sie nicht auf die Weide zwingen. Wenn man auch ohne "Hunger" immer alles nachgeworfen bekommt, weckt das den Hunger vermutlich auch nicht...
      Und wenn sich zeigen sollte, dass die Eltern das eigentlich gar nicht wollen, Sohn oder Tochter aber von sich aus Interesse an der Firmung zeigt, dann muss eben die Kirchengemeinde die Rolle der Eltern, also die Katechese, übernehmen.

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