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Mittwoch, 4. Juli 2018

Live-Rollenspieler beten im Klostergarten Horen

Am vorletzten Montag unternahm ich am Vormittag mit Frau und Tochter (letztere im Kinderwagen) einen Spaziergang vom Haus meiner Mutter in Nordenham zum ehemaligen Kloster Atens. Vom Kloster als solchem ist allerdings nicht mehr viel übrig außer der (seit der Reformation evangelischen) St.-Marien-Kirche. In die kamen  wir nicht hinein, womit wir im Grunde auch nicht gerechnet hatten -- aber schade war es doch, denn sie hat einen durchaus sehenswerten Hochaltar.






Eigentlich wollten wir uns aber den Klostergarten ansehen. Im Rahmen einer kleinen Online-Recherche über ehemalige Klöster in der Wesermarsch war ich nämlich auf einen Artikel der Nordwest-Zeitung vom letzten Herbst - genauer: vom 23.09.2017 - gestoßen, in dem angekündigt wurde, der "ehemalige Klostergarten, der später traditioneller Pfarrgarten wurde", solle "einen neuen Charme bekommen": 
"Mit diesem Garten möchte die evangelische Kirchengemeinde Nordenham nach ihren Worten somit einen im Verborgenen schlummernden Schatz heben.
Bereits jetzt können Gläubige hier angesichts des satten Grüns, bunter Stauden und der Obstbäume Gottes Schöpfung bestaunen. Daran soll sich nichts ändern. Aber zusätzliche Impulse für die Sinne und Gedanken der Besucher sollen gegeben werden." 
Angelegt werden sollte dem Bericht zufolge ein "etwa 120 Meter langer Weg [...] in einem großen Bogen vom Gemeindehaus zum Gotteshaus" ("Am Gemeindehaus beginnt die Wegführung mit einem kleinen Kreuzgang in Anlehnung an ein Kloster"), und entlang dieses Weges "gestalterische Akzente [...], die Besucher zum Innehalten anregen" -- etwa "Neuanpflanzungen von Stauden oder Sträuchern" sowie "eine Steinstele als Blickfang". "Zudem sind zwei Leuchten geplant." Wie die NWZ zu berichten weiß, erhofften sich Pfarrer Christopher Iven und Johannes Rauhut, "der als Kirchenratsmitglied viele Ideen eingebracht hat", von dieser Gartengestaltung "auch eine spirituelle Note, eine Art 'Quelle der geistlichen Spurensuche nach Gott und nach sich selbst'." 

Das ist so typisch evangelisch, stöhnte ich innerlich auf, als ich das las. Aus dem Gottesdienst hat man die Spiritualität verbannt, jetzt spürt man plötzlich, dass einem was fehlt, und das sucht man dann aber woanders. Zum Beispiel eben im Garten. Seufz. Aber irgendwie neugierig waren wir da ja jetzt doch.  

"Mit Flatterbändern ist die Wegführung abgesteckt, so dass sich alle Interessierten vor Ort ein persönliches Bild machen können", hieß es gegen Ende des Zeitungsberichts. Und, guess what? Stolze acht Monate später ist das Flatterband immer noch da. Ansonsten hat sich exakt NICHTS getan. 



"Die Ruhe und der Zauber, die von diesem Garten und dem Anblick der Kirche ausgehen, lassen sich vielleicht jetzt schon spüren", hatte die Zeitung Pfarrer Christopher Iven und Kirchenratsmitglied Johannes Rauhut zitiert. Äh ja, DAS schon

Also, Freunde: Was ist da passiert, bzw. nicht passiert? Woran hat's gelegen? Am Geld? Gut möglich: "Das Vorhaben soll in zwei bis drei Bauabschnitten umgesetzt werden. Die Gesamtkosten lassen sich noch nicht beziffern. [...] Die Ausschreibung des Auftrages für interessierte Firmen ist jetzt erfolgt", hieß es im September. Na klar: Wenn man aus dem Garten partout ein Kunstprojekt machen will, dann wird's halt teuer. Man könnte natürlich auch mal auf die Idee kommen, die Gemeinde einzubinden. Über die "Resonanz in der evangelischen Gemeinde" heißt es in dem NWZ-Artikel: "Einige Christen haben Ideen und Tipps zur Umsetzung beigesteuert und sogar ihre Mithilfe angeboten". Das Wörtchen "sogar" spricht hier Bände. Ich mag das gar nicht weiter kommentieren. Nicht weniger bezeichnend ist der Satz "Eventuell sollen auch Beete angelegt [...] werden.". Eventuell? Es ist ein Garten, Herrgott nochmal! Ist es wirklich eine so exotische Idee, dass in einen Garten auch Beete gehören? Ich räume ein, dass in einer Kleinstadt, wo viele Leute sowieso ihren eigenen Garten haben, das Interesse an Urban-Gardening-Projekten wohl geringer sein dürfte als beispielsweise in Berlin. Aber auch in Nordenham gibt es Leute, die in Etagenwohnungen leben. Nun gut, vielleicht gehören die nicht zur Zielgruppe der evangelischen Kirchengemeinde. Könnte durchaus sein. Aber dann wäre es vielleicht mal an der Zeit, die eigene Zielgruppenorientierung zu überdenken. Gemeinschaftsbeete für Leute, die sich keinen eigenen Garten leisten können, das wäre doch mal eine Maßnahme in Sachen community building! Gemeindemitglieder, die bereits Erfahrung mit Gärtnerei haben, könnten die Neulinge anleiten. Und wenn man bei der Gartengestaltung auch die Wildblumen, Insekten und Vögel nicht vergisst, dem Ganzen also auch einen Naturschutz-Aspekt verleiht, könnte man sogar eventuell sogar Fördergelder abgreifen. Aber mich fragt ja mal wieder keiner.  

Kurz gesagt, vor lauter künstlerisch überambitioniertem Spiri-Scheiß (pardon) hat man das Potential verkannt, das der Garten gerade dadurch hat, dass er eben ein GARTEN ist. Dass es auch anders geht, kann man zeitgleich in Bokelesch im (katholischen) Saterland beobachten. Dort kümmert sich ein Förderverein um die Hinterlassenschaften einer früheren Niederlassung des Johanniterordens, und dieser Förderverein hat bereits 2012 einen Klostergarten angelegt -- mit vier "Themenbeete[n] [...] mit Pflanzen, die typischerweise in Klostergärten wuchsen" (einem Küchengarten, einem "Mariengarten" sowie zwei Heilpflanzengärten), und der Nachbildung eines historischen Brunnens. Im Jahr 2013 wurde dieser Klostergarten um eine 1.700 m² große Fläche erweitert -- und unlängst umfassend neu gestaltet. Der "neue" Klostergarten wurde am Sonntag, dem 24. Juni, feierlich eröffnet -- also einen Tag vor unserer Besichtigung des im Ansatz steckengebliebenen Gartenprojekts in Atens. Zufall? Höchstwahrscheinlich.

Werfen wir einen kurzen Blick in die Historie: Die Johanniterkommende Bokelesch wurde 1319 erstmals urkundlich erwähnt, gegründet wurde sie vermutlich um die Mitte des 13. Jahrhunderts als Doppelkloster für Mönche und Nonnen. Die im 15. Jh. im gotischen Stil umgebaute Klosterkapelle ist bis heute erhalten und wird auch noch heute für Gottesdienste genutzt. Das Klostergut wurde bis 1588 von Ordensleuten bewirtschaftet, danach wurde es verpachtet, blieb aber weiterhin im Besitz des Ordens -- bis zum Reichsdeputationshauptschluss von 1803, in dessen Folge das Saterland, das bis dahin zum Niederstift Münster gehört hatte, an das Herzogtum Oldenburg fiel, das die Kommende 1820 verstaatlichte.

Zurück in die Gegenwart: Am 31.03.2018 berichtete die Nordwest-Zeitung von einem gemeinsamen Arbeitseinsatz "des Fördervereins Johanniterkapelle Bokelesch und des Imkervereins Barßel" zur Neugestaltung des Klostergartens. Dabei wurden für eine "Streuobstwiese" zehn "Hochstammobstbäume alter Sorten gepflanzt" sowie "die Fläche für eine Wildblumenwiese vorbereitet und Buchenhecken gesetzt". Weiterhin umfassten die Arbeiten "das Aufstellen von Sitzgruppen und eines Insektenhotels, zweier Hinweistafeln und die Pflanzung einer Johannisbeerenhecke und einer Wildrosenhecke". Seitens des Naturschutzbundes (NABU) wurde "ein Storchennest aufgestellt" -- und durch den Imkerverein ein "Bienenwagen", durch den es möglich wurde, den Besuchern der Eröffnungsveranstaltung "Klosterhonig" anzubieten: "Mit göttlichem Beistand [!] haben wir zum ersten Mal Löwenzahnhonig geschleudert", wird Marlies Jakobi vom Förderverein in einem weiteren NWZ-Artikel zitiert.

Trotz des offenbar umfangreichen Einsatzes freiwilliger Helfer war das Projekt insgesamt nicht billig: "Die Gesamtinvestitionskosten sind mit etwa 20 800 € Euro [sic] veranschlagt", berichtete die NWZ. Allerdings wurde beinahe die Hälfte dieses Betrags, nämlich 10.070 €, aus Fördermitteln des EU-Regionalförderprogramms LEADER und des Europäischen Landwirtschaftsfonds ELER bestritten.

Erwähnenswert scheint mir auch, dass am Tag der Eröffnung des Klostergartens auch die "Familien Jakobi in Strücklingen und Schulte in Bokelesch" ihre privaten Gärten für Besucher öffneten -- unter dem Motto "Komm, ich zeig’ Dir meinen Garten".

Last not least wusste die Presse zu berichten, dass die "Hospitaliter Kommende Norden" maßgeblich an der Gestaltung der Klostergarten-Eröffnungsfeier beteiligt war. Da wurde ich hellhörig. Was das wohl für welche sind? Nun, wie sich herausstellte, verbirgt sich hinter diesem Namen so eine Mittelalter-Rollenspielgruppe, die es sich nach eigenen Angaben "zur Aufgabe gemacht hat, ein Militärlager des Hospitaliter Ordens, zur Zeit des 13ten Jahrhunderts, darzustellen". Schon 2016 war diese Gruppe in Bokelesch zu Gast; und nun, zur Klostergarten-Neueröffnung, hatten sie also erneut "ihre Normannenzelte aufgeschlagen, um den Besuchern die Geschichte der Hospitaliter, dem Ursprungsorden der Johanniter und Malteser zu zeigen": Nicht nur "Lagerleben, Kampftraining und Kalligraphie" sowie  "Wissenswertes aus der Kräuter- und Salbenkunde" und darüber, "wie auf der Kochstelle unter freiem Himmel gekocht wurde", präsentierten die Freizeitritter den Besuchern, sondern - und nun wird es wirklich interessant - "auch Horen -- klösterliche Andachten, wie sie mehrmals täglich in den Ordensgemeinschaften abgehalten wurden".

Also, ich muss schon sagen. Wenn Mittelalter-LARP-Freaks den von Haus aus katholischen Saterfriesen das Stundengebet beibringen müssen, dann weißt du, dass du in interessanten Zeiten lebst.



1 Kommentar:

  1. Ich stell mir gerade vor, wie ein LARP-Spieler nach dem zehnten Auftritt feststellt, daß er das Stundengebet plötzlich ernst nimmt. (Und das wäre in der Tat ein Wunder. Ich habe diverse LARP-Spieler kennengelernt, tatsächlich auch mal mit der Szene geliebäugelt - und die Finger davon gelassen, weil ich da nur neopagan und/oder esoterisch angehauchte Gestalten fand.)

    Nebenbei: Vor meiner Heimatgemeinde St. Marien in Berlin-Friedenau gibt es mehrere Beete, auch zwei Rundbeete mit Rosen und Lavendel und je einem Bäumchen in der Mitte, deren Pflanzen alle auf irgendeine Weise (ikonographisch oder legendarisch oder durch den Namen) mit Maria zu tun haben. Alle gestiftet, angelegt und gepflegt von Ehrenamtlichen aus der Gemeinde.

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