Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Sonntag, 20. Oktober 2019

Rocket Man und die Jugendlichen vom Brunowplatz

Gestern Abend war ich noch spät mit dem Kinderwagen unterwegs; genauer gesagt machte ich auf dem Nachhauseweg Umwege, in der Hoffnung, das Kind würde an der frischen Luft und im sanft schaukelnden Kinderwagen leichter einschlafen. Aus purer Gewohnheit ging ich auch bei unserer Kirche vorbei, und mit Entzücken registrierte ich schon aus einiger Entfernung, dass Gesang an mein Ohr drang. Vier oder fünf Jugendliche beiderlei Geschlechts saßen auf den Bänken auf dem Platz vor der Kirche, spielten auf einem Smartphone Musik ab und sangen laut, kräftig und durchaus gekonnt mit. Als ich bei ihnen ankam, sangen sie gerade "Rocket Man". Von Elton John. Aus der Zeit, als Elton John, oder jedenfalls seine Musik, noch gut war: 1972. Woher kennen heutige Jugendliche eigentlich einen fast schon ein halbes Jahrhundert alten Popsong? Ach ja, es gab da neulich diesen Film

Auf Facebook habe ich schon mehrfach über ein Video hinweggescrollt, das den Schauspieler Taron Egerton, der im Film den jungen Elton John spielt, im Gespräch mit dem echten, alten Elton John zeigt, und beim Anblick des Letzteren fiel mir auf, wie treffend es war, dass Stefan Raab Elton John schon vor Jahren mal als "die Queen Mum der Popmusik" bezeichnet hatte. Oder anders ausgedrückt: Einer Anekdote zufolge fragte der Maler Lovis Corinth, als er angefragt wurde, den Dichter Stefan George zu porträtieren, einen Kollegen: "Wie sieht dieser Stefan George eigentlich aus?" Der Kollege antwortete nach einigem Überlegen: "Er sieht aus wie ein altes Weib, das aussieht wie ein alter Mann, der wie ein altes Weib aussieht." 

Aber ich möchte eigentlich keine Debatte über die Meriten Elton Johns (oder gar Stefan Georges) vom Zaun brechen, daher hier die Coverversion von "Me First and the Gimme Gimmes"



Aber zurück zum eigentlichen Thema: Jugendliche, die nachts vor der Kirche sitzen und singen. Find ich super. Ernsthaft. Die Frage, die sich mir dabei jedoch aufdrängt, ist: Wie bekommt man sie in die Kirche hinein? Und ich könnt' mich schon wieder aufregen, wenn ich daran denke, dass die meisten (haupt- wie ehrenamtlichen) Mitarbeiter der Pfarrei, trüge man diese Frage an sie heran, erst einmal zurückfragen würden: "Ja sind die denn überhaupt katholisch?" 

Wirklich, diese Schrebergartenvereinsmentalität regt mich auf. Und die Leute meinen es noch nicht einmal böse, sie sind einfach nur zu festgefahren in ihrem Denken. Die Vorstellung, die Kirchengemeinde sei ausschließlich für die Leute da, die schon seit eh und je dazugehören, ist derartig fest verwurzelt, dass darüber gar nicht mehr reflektiert wird. Man merkt das an tausend Kleinigkeiten, wie zum Beispiel auch daran, dass an der Tür zur Außentoilette der Kirche (die seit Kurzem, dank des tatkräftigen Einsatzes meiner Liebsten und meiner bescheidenen Person, auch mit einem Babywickeltisch ausgestattet ist), kein Toilettensymbol angebracht ist, damit bloß niemand diese Toilette benutzt, der nicht zur Gemeinde gehört. Wie gesagt: Ich könnt' mich schon wieder aufregen. 

Jedenfalls will ich diese Jugendlichen in der Gemeinde haben. Vielleicht sollte ich zukünftig öfter spätabends am Brunowplatz entlangspazieren. Teenager sind ja oft ein scheues Wild, aber vielleicht werden sie zutraulicher, wenn sie einen öfter sehen. Und dann kann man sie vielleicht zum nächsten Nightfever Special einladen, das für Ende Januar/Anfang Februar angedacht ist. Oder zum Dinner mit Gott. Oder zu unserer wöchentlichen Lobpreis-Andacht. 

Ich weiß: "belonging before believing" ist ein umstrittenes Konzept, und das durchaus "aus Gründen". Man darf es eben nicht als "belonging instead of believing" missverstehen. Aber irgendwo muss man ja mal anfangen mit der Gemeindeerneuerung

Jedenfalls sehe ich schon kommen, dass ich zukünftig jedesmal, wenn ich "Rocket Man" höre, an die Jugendlichen vom Brunowplatz werde denken müssen. Und das hat doch was sehr Motivierendes. 


3 Kommentare:

  1. "belonging before believing" - in der momentanen Lage könnte das die einzige Chance sein, die Leute überhaupt in eine Position zu bekommen, wo sie zu "believen" anfangen könnten. Es fehlt ja bei Jugendlichen mittlerweile an jeder (kultur)christlichen Umgebung, die ihnen im Vorübergehen einen Blick auf das ermöglichen würde, was sie "believen" könnten, wenn sie denn wöllten.
    Der Hunger nach Zugehörigkeit (im Sinne von Identität), Engagement und großen Taten ist ja durchaus vorhanden, aber wenn sie nicht SEHEN, was Ihr zu bieten hättet, passieren Zugehörigkeit, Engagement und große Taten halt woanders.

    AntwortenLöschen
  2. Gute Idee, die Jugendlichen in die Kirche zu locken! Und ja, mich stört es auch, wenn die Aktivitäten einer Kirchengemeinde von vorneherein nur auf die Alteingesessenen ausgelegt sind.
    Eure Gemeinde hat schon Glück, ein paar Aufwiegler wie euch an der Backe zu haben. ;-) Oder, netter gesagt, ein paar Menschen mit Energie für Erneuerung.

    Zum "belonging before believing":
    Das ist vielleicht eine Frage der Mengenverhältnisse, oder?
    Wenn eine Kirchengemeinde am aussterben ist und man in der Verzweiflung sagt "ihr könnt alle kommen und machen, was ihr wollt, egal was, aber bitte bitte kommt!", erscheint mir das als eine eher schlechte Idee... (Aber ich nehme an das ist nicht was du meinst.)
    Wenn eine ausreichend große Anzahl an Gemeindemitgliedern fest im Glauben verwurzelt ist, ist es super, Nichtgläubige/Zweifelnde usw. dazu zu holen, die "mitlaufen" oder wenn sie wollen auch Dinge aktiv mitmachen können.
    Ich habe Ähnliches als zweifelnde, nichtgläubige, suchende Jugendliche erlebt, als ich mehrfach in einem hochlebendigen Franziskanerinnenkloster zu Besuch war und immer dachte "die haben was, was ich nicht habe, und ich will das auch haben". Diese Erlebnisse waren sehr wichtig für meinen Weg zurück in die Kirche.

    AntwortenLöschen
  3. Wenn ich lese "Abend ... spät" - dann drängt sich mir die Frage auf: Ist die Kirche denn da nicht schon abgeschlossen? Hier, bei uns auf den Dörfern ist die Kirche spätestens ab 18 Uhr abgeschlossen - außer bei Abendmesse, dann im Anschluss daran. Wegen Vandalismus, Brandstiftung etc.. Und wenn wir hier schon bei den "braven Landeiern" solche Probleme haben - wie mag es da erst in der "bösen" Großstadt/Hauptstadt aussehen?

    AntwortenLöschen