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Donnerstag, 27. Dezember 2018

Besserwissen und schlechter glauben

In einer der diesjährigen Weihnachtsmessen in meiner Wohnortpfarrei konnte der Pfarrer es nicht lassen, der Gemeinde - nicht in der Predigt, sondern in seinen Begrüßungsworten - ins Stammbuch zu schreiben, es glaube "ja wohl hoffentlich niemand mehr", dass der 25. Dezember das historische Geburtsdatum Jesu sei. Vielmehr, so führte er aus, hätten die Christen erst im 4. Jahrhundert begonnen, der Geburt Jesu mit einem eigenen Feiertag zu gedenken, und sie hätten dieses Fest deshalb auf den 25. Dezember gelegt, weil dies bei den heidnischen Römern der Festtag des Sonnengottes Sol Invictus gewesen sei. Mit der Wahl dieses Datums hätten die Christen betonen wollen, dass Christus die wahre Sonne sei. Oder so. 

Das ist nun vielleicht kein Grund, ein großes Fass aufzumachen, zumal es tatsächlich keine verbindliche Glaubenslehre ist, dass Jesus am 25. Dezember geboren sei. Man kann mit gutem Grund der Meinung sein, das genaue Datum der Geburt Jesu sei gar nicht so wichtig. Trotzdem, oder im Grunde gerade deshalb, hat es schon irgendwie ein Geschmäckle, wenn den Gläubigen just zu Weihnachten diese Sol Invictus-Geschichte als angeblich gesicherte Tatsache aufgetischt wird. Zumal sich, wie sogar Tante Wiki weiß, bereits in den Schriften des Kirchenvaters Hippolyt (ca. 170-235 n. Chr.) ein Hinweis auf den 25. Dezember als Geburtsdatum Jesu findet, wohingegen das Fest des Sol Invictus im römischen Reich erst im Jahr 274 eingeführt wurde. Ich gehe mal wohlwollend davon aus, dass der Pfarrer das nicht wusste und das, was er der Gemeinde da auftischte, im Studium oder sonstwo "gelernt" hat. Bleibt die Frage: Warum muss man den Leuten partout einreden wollen, das Weihnachtsdatum sei nicht das historische Geburtsdatum Jesu? Letztendlich läuft das doch nur darauf hinaus, den Glauben an die Verankerung zentraler Ereignisse der christlichen Heilsgeschichte in der faktischen Historie zu untergraben. 

Heute nun, am Festtag des Apostels Johannes, ist auf der Facebook-Seite des Bistums Münster ein Erklärvideo zum Johannesevangelium veröffentlicht worden, in dem es u.a. heißt: 
"Als Autor nahm Irenäus von Lyon den Jünger Johannes an, was heute allerdings als widerlegt gilt." 
Meine spontane Reaktion darauf lautete: 
"Ich freue mich schon auf den Tag, an dem ihr als widerlegt geltet, ihr Luschen." 
Aber okay, man kann den Einspruch gegen die besagte Äußerung auch eine Spur weniger polemisch formulieren. Zum Beispiel so: 
1. Dass "der Jünger, den Jesus liebte" der Verfasser des Johannesevangeliums ist, steht wörtlich drin im Evangelium (Joh 21,24) -- da braucht man sich also nicht mal auf den Kirchenvater Irenäus von Lyon zu berufen. 
2. Wenn man das aber doch tut, sollte man vielleicht berücksichtigen, dass Irenäus (ca. 135-200 n. Chr.) vermutlich ein Schüler des Polykarp von Smyrna (ca. 68-155 n. Chr.) war bzw. diesen zumindest gekannt hat -- und Polykarp seinerseits war ein Schüler des Apostels Johannes. Trotzdem wissen wir heute mehr als er, weil Irenäus noch nicht über die Methodik der historisch-kritischen Exegese verfügte? Ernsthaft? 
Alonso Cano (1601-1667): Der Hl. Evangelist Johannes spendet der Jungfrau Maria die Kommunion. Gilt heute allerdings wahrscheinlich auch als widerlegt. (Bidquelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei
Sicherlich - oder sagen wir: vermutlich - haben die Münsteraner allerdings mit der Aussage, die Verfasserschaft des Apostels Johannes am Johannesevangelium "gelte" heute als widerlegt, insofern Recht, als es in der akademischen Theologie herrschende Meinung ist, diese Verfasserschaft anzuzweifeln. Ebenso wie es da auch herrschende Meinung ist, dass ca. die Hälfte der Paulusbriefe nicht von Paulus stammt, die Petrusbriefe nicht von Petrus und dass die synoptischen Evangelien erst nach der Zerstörung des Herodianischen Tempels im Jahr 70 n. Chr. entstanden sein können, denn wären sie früher entstanden, dann müsste man annehmen, dass Jesus die Zerstörung des Tempels tatsächlich vorausgesehen hätte, und wo kämen wir denn da hin? 

Ich habe wohlgemerkt nicht die Absicht, die gesamte historisch-kritische Bibelwissenschaft in Bausch und Bogen zu verwerfen. Zu den Leistungen und Grenzen dieser exegetischen Methode hat Benedikt XVI. in seiner "Jesus von Nazareth"-Trilogie allerlei Kluges gesagt; ich könnte da jetzt ein paar schicke Zitate raussuchen, aber wisst Ihr was, Freunde: Lest die Bücher lieber selbst, es lohnt sich und macht sogar Spaß. Das Problem ist nicht die historisch-kritische Methode als solche, sondern der Umstand, dass sie in der Praxis nur allzu oft mit einer Hermeneutik des Misstrauens gegenüber den Texten einhergeht. Simpler ausgedrückt: Man will die biblischen Texte nicht für authentisch halten und sucht daher nach allen Regeln der exegetischen Kunst nach Gründen, ihre Authentizität in Zweifel zu ziehen. 

Differenzierend und präzisierend müsste man wohl hinzufügen, dass hinter diesem Misstrauen gegenüber den biblischen Texten in erster Linie ein Misstrauen gegenüber der kirchlichen Lehre steht, die sich auf diese Texte beruft. Das bringt mich auf etwas, worüber ich schon seit Jahren etwas schreiben will, nämlich meine Überzeugung, dass evangelikaler Biblizismus und eine sich als historisch-kritisch verstehende Dekonstruktion biblischer Texte letztlich zwei Seiten derselben Medaille sind. Beiden Ansätzen ist gemeinsam, dass sie die Autorität der kirchlichen Tradition verwerfen: Die Bibelfundamentalisten lassen nur das gelten, was explizit in den Texten drinsteht, die historisch-kritischen Exegeten gehen noch einen Schritt weiter und dröseln die Texte selbst auf, um zu unterscheiden, was daran authentisch sei und was nicht. Ebenfalls beiden Methoden gemeinsam ist, dass sie - wenn auch nicht unbedingt in vollem Maße bewusst - selektiv und interessegeleitet vorgehen: Am Ende muss bei der Exegese halt das herauskommen, von dem man will, dass es herauskommt. 

Natürlich kann man bei der Frage nach der Verfasserschaft biblischer Texte haarspalterisch vorgehen: Wer nun tatsächlich irgendwann im 1. oder frühen 2. Jahrhundert physisch den Griffel in die Hand genommen hat, um die allererste Handschrift dieses oder jenes neutestamentlichen Texts anzufertigen, dürfte sich letztlich nicht beweisen lassen, und da mag es dann durchaus Gründe geben, anhand von Stilvergleichen und Analysen des verwendeten altgriechischen Vokabulars Zweifel anzumelden, ob verschiedene Texte, die unter demselben Verfassernamen überliefert sind, tatsächlich von derselben Person niedergeschrieben worden sein können. Aber darauf kommt es ja letztlich nicht an. Die eigentliche Absicht hinter den diversen Theorien zur Spätdatierung biblischer Texte und zur "Widerlegung" der Verfasserschaft der Apostel besteht offenkundig darin - jetzt wiederhole ich mich -, den Glauben an die Verankerung zentraler Ereignisse der christlichen Heilsgeschichte in der faktischen Historie zu untergraben. Weil man einen Glauben, dessen historische Grundlagen bestenfalls nebulös sind, viel besser nach Gutdünken so zurechtinterpretieren kann, wie er einem in den Kram passt. Und da würde ich mir dann schon wünschen, dass die Herren und Damen Theologen die einfachen Gläubigen mit ihren Kopfgeburten verschonen. Nicht nur zu Weihnachten. 


3 Kommentare:

  1. Der 25. Dezember des Weihnachtsfestes bildet so schön den 25. Kislew von Chanukka ab und dann frag ich mich: Wer ist eigentlich dieser Sol?

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  2. Als Theologiestudent spricht mir dieser Text aus der Seele.
    Mit einer Mischung aus Entsetzen und Belustigung hörte ich einst eine Religionslehramtlerin sagen: "Also dass Johannes der Täufer Heuschrecken gegessen hat, ist absolut unhistorisch."
    Ich hab sie dann vorsichtig darauf hingewiesen, dass Heuschrecken noch heute in manchen Ländern gegessen werden.
    Das haben wir von dem ganzen Mindset; Nur das in der Bibel ist wahr, dass Dir selber passt.
    Und das wird dann bitte auch im Religionsunterricht (wo es ihn denn gibt) und an alle "falsch/ungebildeten" Christen weitergegeben.

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  3. Wenn ein Pfarrer von seinen Gläubigen fordert, dass sie "hoffentlich nicht mehr glauben", dann schalte ich gewohnheitsmäßig in den Andachtsmodus um. Das geht mittlerweile auch ohne Ohrstöpsel. Übung macht den Meister.

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