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Montag, 24. Juli 2017

Dein Freund, der Ultrakatholik

Im letzten Halbjahr auf dem Gymnasium hatte ich in meinem Deutsch-Leistungskurs das Thema "Herrschaft durch Sprache". Ich war auf einem ziemlich linken Gymnasium, allerdings habe ich inzwischen, auch im Rahmen meiner Tätigkeit als Nachhilfelehrer, festgestellt, dass "Herrschaft durch Sprache" auch anderswo ein ziemlich beliebtes Thema ist, wenn es gilt, den in Lehrplänen geforderten Linguistik-Anteil in Deutsch-Leistungskursen abzudecken. 

Jedenfalls kam im Rahmen dieses Halbjahres-Oberthemas seinerzeit auch Bertolt Brechts "List, die Wahrheit unter vielen zu verbreiten" (aus "Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit") "dran", und dieser Text ist mir sehr deutlich im Gedächtnis geblieben. Brecht schreibt da u.a.: 
"Zu allen Zeiten wurde zur Verbreitung der Wahrheit, wenn sie unterdrückt und verhüllt wurde, List angewandt. Konfutse fälschte einen alten patriotischen Geschichtskalender. Er veränderte nur gewisse Wörter. Wenn es hieß 'Der Herrscher von Kun ließ den Philosophen Wan töten, weil er das und das gesagt hatte' setzte Konfutse statt töten 'ermorden'. Hieß es, der Tyrann so und so sei durch ein Attentat umgekommen, setzte er 'hingerichtet worden'. Dadurch brach Konfutse einer neuen Beurteilung der Geschichte Bahn." 
Sicherlich könnte man Einiges dazu sagen, dass Brecht hier (und in dem ganzen Essay) seinen eigenen ideologischen Standpunkt mit "der Wahrheit" identifiziert, aber als Katholik sollte man wohl vorsichtig sein, das zu kritisieren, sonst kommt gleich einer und sagt "Wieso, das macht ihr Katholiken doch auch." Darauf könnte man natürlich erwidern "Ja, aber in unserem Fall ist es wirklich die Wahrheit", aber das glauben Nichtkatholiken einem ja nicht. Sonst wären sie ja Katholiken. 

Jedenfalls: Die Methode, die Brecht hier beschreibt und (vermutlich fälschlich, wie ich ihn kenne) dem Konfuzius zuschreibt - sich heimlich, still und leise die Deutungshoheit im gesellschaftlichen Diskurs anzueignen, indem man Begriffe besetzt bzw. umdefiniert -, wird bis heute gern praktiziert; nicht nur von jenen, die weltanschaulich im selben "Lager" stehen wie Brecht, aber von diesen besonders eifrig und erfolgreich. Ein aktuelles Beispiel kann man in Gestalt des vom Gunda Werner Institut der Heinrich Böll Stiftung (beides nur echt mit dem Deppenleerzeichen) verantworteten "Antifeminismus-kritischen Online-Lexikon" bewundern, das auf die den Duft von Konspiration und Abenteuer atmende Abkürzung "Agent*In" hört. Wie das Gunda Werner Institut erklärt, geht es diesem Projekt darum, "Wissen, Daten, Fakten und Zusammenhänge über die Einflussnahme von antifeministischen Akteur_innen auf Politik und Öffentlichkeit" zu sammeln und zu organisieren, "diese Netzwerke, deren Institutionen, Geschichte und führende Protagonist*innen sowie deren Positionen sichtbar zu machen und über deren Ziele und Ideologien, Vorgehensweisen, Argumentationsstrategien und Distributionsmechanismen aufzuklären". Wer oder was als "antifeministisch" zu gelten habe, bestimmen die Initiatoren des Projekts dabei natürlich selbst. Das eigentlich Interessante an dieser Vorgehensweise ist aber, dass da stillschweigend so getan wird, als seien die vom Gunda Werner Institut vertretenen bzw. als richtig anerkannten Auffassungen über Feminismus, Gender, Familie, Ehe, Sexualität usw. - kurz gesagt: über "eine offene und liberale Gesellschaft" [sic!] - in solchem Maße deckungsgleich mit dem Guten, Schönen und Wahren schlechthin, dass abweichende Meinungen an und für sich bereits anprangernswert seien. Henryk M. Broder schreibt in der Welt, es handle sich um nichts Geringeres als eine "Massendenunziation von Menschen, die nichts anderes verbrochen haben, als in Frage von Ehe, Familie und Moral anderer Meinung zu sein als die Verfasser der Liste, die ihre Meinung für die einzig richtige und zulässige halten". 

Und was geht's mich an? Nun, abgesehen davon, dass ich die ganze Vorgehensweise höchst bedenklich finde, werden in diesem "Antifeminismus-kritischen Online-Lexikon" einige Blogger und Publizisten als gefährlich-böse "Akteur_innen" (wieso hier eigentlich der Unterstrich und nicht der Stern? Muss man wohl nicht verstehen) gebrandmarkt, mit denen ich auf Facebook befreundet bin, was wohl früher oder später auch mich in die Schusslinie befördern könnte. Zumal ich zum Teil in denselben Periodika publiziere wie diese. Und - ich habe in der "Agent*In"-Suchmaske keine vollständige Suche nach allen meinen publizistischen Kontakten durchgeführt, aber - mindestens eine Person, die da auftaucht (ich nenne mal keine Namen, um die Denunziationsschraube nicht noch weiter zu drehen), ist nicht nur in den Sozialen Netzwerken, sondern auch im wirklichen Leben ein Freund, noch dazu einer, mit dem ich mich recht regelmäßig über geplante oder angedachte Projekte austausche. 

Das Bindeglied zwischen den betreffenden Personen (und, potentiell, mir) ist im Sprachgebrauch der "Agent*In" die Kategorie "Ultrakatholizismus". Dieser wird definiert als 
"ein rechtsgerichteter Katholizismus, der sich emanzipatorischen Bestrebungen im Katholizismus entgegenstellt (Kampf gegen den sogenannten 'Modernismus'), eine stärkere Hierarchie anstrebt, in Geschlechter- und Familienfragen extrem konservativ auftritt oder aristokratisch-monarchistische Tendenzen hat." 
Isnichwahr! Mit anderen Worten also "Katholiken, die (horribilie dictu!) so richtig echt an das glauben, was ihre Kirche lehrt"? Na, gegen die muss man natürlich entschlossen vorgehen! (Das mit den aristokratisch-monarchistischen Tendenzen halte ich übrigens für ausgedacht oder zumindest für übertrieben. Obwohl, im Herzen bin ich ja auch Monarchist.) -- Ach ja, und dann das noch: "Von einigen ultrakatholischen Gruppen wird das Zweite Vatikanische Konzil abgelehnt." Wie in aller Welt hat man sich das vorzustellen - das Zweite Vatikanische Konzil abzulehnen? "Zweites Vatikanisches Konzil? Ich bin dagegen." Tja, Pech gehabt: Es war schon. Vermutlich meinen die Verfasser des "Lexikon"-Eintrags, dass Beschlüsse des II. Vaticanums abgelehnt werden. Sowas soll's ja geben, wobei meines Wissens selbst die Piusbruderschaft nur einzelne Formulierungen einzelner Konzilsdokumente kritisiert. Aber das ist halt der Witz an diesem "Agent*In"-Eintrag: Von dem echten Ultrakatholizismus, den es ja durchaus gibt, haben die Verfasser*innen überhaupt keine Ahnung, sonst würden sie nicht auf die Idee kommen, Leute wie [...ich wollte keine Namen nennen...] in diese Kategorie einzuordnen. Schon die Liste "ultrakatholische[r] Organisationen", die die "Agent*In" beisteuert, ist ein Lacher. Da erscheint an erster Stelle die Priesterbruderschaft St. Pius X. und direkt danach das Opus Dei - zwei Organisationen, die ja nun nicht so furchtbar viel miteinander gemeinsam haben, aber: Opus Dei, das war doch diese finstere Killergesellschaft in Dan Browns Da Vinci Code, oder? Mehr braucht man nicht zu wissen. Ach ja, die Legionäre Christi stehen auch auf der Liste. 

Nun, ganz so lustig ist das Ganze im Zeichen grassierender Hate Speech-Debatten natürlich nicht, schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass das Projekt "Agent*In" von einer aus Bundesmitteln geförderten Stiftung betrieben wird. Gerade für Menschen, die im publizistischen Bereich ihre Brötchen verdienen, könnte ein solcher "Online-Pranger" erhebliche berufliche Nachteile, wenn nicht Schlimmeres, bedeuten - wozu, so mag man fragen, wäre er sonst da? Um abschließend noch einmal persönlich zu werden: Wenn ich mir ansehe, aus was für Gründen andere Leute (z.B. eben solche, die ich kenne) in diesem "Lexikon" erscheinen, dann muss ich eingestehen, ich gehöre da auch rein. Schon allein, weil ich hier auf meinem Blog und in anderen Veröffentlichungen gern mal gegen "emanzipatorische Bestrebungen im Katholizismus" Stellung beziehe und regelmäßig und vehement für den "Marsch für das Leben" werbe (und seit nunmehr bald sechs Jahren selbst daran teilnehme). Dass die "Agent*In" mich (noch) nicht auf dem Schirm hat, lässt sich im Grunde nur dadurch erklären, dass ich mit meinen publizistischen Aktivitäten einfach (noch) nicht wichtig genug bin. 

Was immerhin eine Erkenntnis ist, die die christliche Demut fördert. 


5 Kommentare:

  1. Es ist erschreckend, wie sich in Deutschland die Denunziation Andersdenkerder ausbreitet. "Ultrakatholiken", "Populisten" ...
    Wer Andersdenkende denunziert, verbrennt am Ende auch Bücher - wer Bücher verbrennt, verbrennt am Ende auch Menschen.
    Der Ruf, "denunziert mich!", ist wohl inzwischen angebracht. Und an Herrn Maas und seine Zensurvereine muß wohl die Aufforderung gehen, "zensiert mich!"

    Es bleibt, daran zu erinnern, wie Oskar Maria Graf und Bert Brecht auf die Bücherverbrennung der NAZIS 1933 reagierten:
    Ersterer schrieb in Österreich einen Protestbrief "Verbrennt mich!", der am 12. Mai 1933 auf der Titelseite der Wiener "Arbeiter-Zeitung", dem "Zentralorgan der Sozialdemokratie Deutschösterreichs", stand.
    Bertolt Brecht, der kurz zuvor aus Deutschland geflohen war, reagierte mit einem Gedicht:
    "Als das Regime befahl, Bücher mit schädlichem Wissen / Öffentlich zu verbrennen, und allenthalben / Ochsen gezwungen wurden, Karren mit Büchern / Zu den Scheiterhaufen zu ziehen, entdeckte / Ein verjagter Dichter, einer der besten, die Liste der / Verbrannten studierend, entsetzt, daß seine / Bücher vergessen waren. Er eilte zum Schreibtisch / Zornbeflügelt, und schrieb einen Brief an die Machthaber. / Verbrennt mich! schrieb er mit fliegender Feder, verbrennt mich! / Tut mir das nicht an! Laßt mich nicht übrig! Habe ich nicht / Immer die Wahrheit berichtet in meinen Büchern? Und jetzt / Werd ich von euch wie ein Lügner behandelt? Ich befehle euch: / Verbrennt mich!"

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  2. >> aristokratisch-monarchistische Tendenzen

    Der Bindestrich zeigt an, daß die Leute einfach ihr Thema nicht verstanden haben. Aristokratismus ist etwas *völlig* anderes als Monarchismus; Chesterton, an dessen demokratischer (fast ein wenig *zu* demokratischer) Gesinnung übrigens kein Zweifel besteht, nennt die Monarchie an einer Stelle einmal die einzige Alternative zu der von ihm beklagten "Aristokratie, die wir haben" (sinngemäß). Subsidiarität, eine möglichst starke Stellung von Familien, Individuen, Innungen und sonstigen Körperschaften, möglichst kleinen Gemeinden (in Städten evtl. Nachbarschaften), in denen echte Demokratie (stereotyp: die tendenziell aprotokollarische Volksversammlung unter dem Lindenbaum) zieht er aber vor (in dieser Reihenfolge).

    In der Tat, wenn man einen beliebigen Philosophen bis einschließlich 18. Jahrhundert fragen würde, würde er zweifelsohne unsere jetzige Staatsform eine "Aristokratie" (oder genauer: eine theoretische Aristokratie mit praktischen Zügen einer Monarchie, wobei Monarch nicht der Präsident ist, sondern der Kanzler) nennen und im Kumulieren, Panaschieren, Volks- und Bürgerentscheid zwar "demokratische Elemente" sehen, in der allgemeinen Wahl aber sogar das nur sehr eingeschränkt.

    Aber ansonsten, ja, monarchistische Tendenzen könnten im Ultrakatholizismus tatsächlich verbreitet sein (z. B. bei mir), allerdings soweit ich das sehe außerhalb vom alten Preußen. Die Hohenzollern sind halt zu preußisch.

    Bei aristokratischen müßte man strikt unterscheiden: Ist eine gewisse Verehrung für den etablierten Adel gemeint, die sich vor allem im Gebrauch der althergebrachten Ehrenbezeigungen äußert, vielleicht auch in dem Wunsch, man möge ihnen das Familienvermögen nicht gerade mit Vorsatz wegnehmen? Oder der Wunsch nach einer Herrschaft derer, die die Besten sind und das auch wissen, im antiken griechischen Sinn? Ersteres ist durchaus vertreten, letzteres sehe ich weniger. Das Faszinierende an der Monarchie ist ja gerade, daß da jemand auf den Thron kommt, der beim besten Willen nicht behaupten kann, sich seine Macht durch Leistung verdient zu haben (und das ist dann genau genommen *schon* ein katholischer Gedanke, wenn auch die Haltung zur Staatsform vom Katholizismus tatsächlich unabhängig ist).

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  3. Es mag Ihnen ja durchaus ein Trost sein, dass viel größere Kapazunder (das sage ich jetzt nicht despektierlich) der Branche wie zum Beispiel Manfred Spieker dort unerwähnt bleiben. Überhaupt scheint es mir etwas sehr oberflächlich gedacht. Interessieren würde mich aber, warum in diversen Blogs von "Verleumdung" oder "Denunziation" gesprochen wird. Da wäre etwas Abrüstung angesagt. Wenn ich z.B. Herrn Winnemöller als "Antifeministen" bezeichne ist das schlicht und einfach die Wahrheit. Das mag dem einen gefallen, dem anderen nicht. Es ist aber sicher nichts ehrenrühriges oder kreditschädigendes. Und schon gar nichts, was den guten Leumund der Person beeinträchtigen würde.

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    1. Nun ja - ob jemand "Antifeminist" ist oder nicht, hängt wohl u.a. davon ab, wie man den Begriff "Feminismus" definiert; insofern ist der Begriff "Wahrheit" in Ihrem Kommentar wohl im Brechtschen Sinne zu verstehen...

      Aber was immer man persönlich vom Feminismus und folgerichtig auch vom Antifeminismus halten mag: Die denunziatorische *Absicht* des hier angesprochenen "Online-Lexikons" scheint mir offenkundig. Es geht darum, Personen und Organisationen als *Feinde* zu kennzeichnen. Und dabei wird munter alles Mögliche, was den Verantwortlichen der Seite weltanschaulich unsympathisch bzw. suspekt ist, in einen Topf geworfen.

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  4. Übrigens mal so als genereller Gedanke:

    Ich bin ja katholisch. Der katholischen Kirche wird seit Urzeiten, genauer seit der Aufklärung, vorgehalten, daß man - ich formuliere jetzt wohl ein wenig krasser, als man in der Praxis tatsächlich handelte - in den historischen katholischen Staaten dachte: "ein bißchen Vielfalt ist gut und schön. Aber das 'agree to disagree' hört auf, wenn nur die Fragestellung hinreichend bedeutend ist: dann gibt es prinzipiell nur einheitliches Denken oder aber totalen Bürgerkrieg, mit verschiedenen Graden Waffenstillstand dazwischen. Cujus regio, ejus religio - Andersgläubige können wir nicht brauchen, sie stören uns. Willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein."

    Und das will ich jetzt gar nicht relativieren (obwohl man das könnte und müßte), sondern einfach mal so plakativ stehen lassen. Das war der Vorwurf.

    Und nun haben wir Katholiken selber unsere Probleme mit dem Prinzip der Inquisition (genauer: nicht mit der Inquisition selbst, aber mit dem, was man "Übergabe an den weltlichen Arm" nannte) - aber trotz alledem: es beeindruckt schon, wie sehr sich die heute modischen politischen Bewegungen ins Zeug legen, die Inquisition zu rechtfertigen.

    Wenn nur die Angelegenheit wichtig genug ist, dann herrscht offene Feldschlacht mit allen zweckmäßigen Mitteln.

    (Anmerkungen: 1. Nur war die Inquisition ein Gericht, daß das Verbrechen "Häresie" anhand feststehender und in wissenschaftlicher Klarheit vorliegender Dogmen (und nicht undefinierter Sentimentalitäten!) feststellte und in diesen Feststellungen - was man vom Prinzip, Häresie überhaupt zu bestrafen, nun auch immer hält - an sich fast immer akkurat war.

    2. Jetzt versuche bitte niemand, übertrieben Wert auf die Feststellung zu legen, daß die "Agentin" momentan nur anprangert und nicht auch ganz literal mit Schießgewehren und Baseballschlägern hantiert. (Noch.) Das Prinzip ist das gleiche. Es wäre es nicht unbedingt, wenn sie der Gegenposition einen Existenzwert als solcher einräumte oder zumindest sich entschieden für Toleranz stark machte, insbesondere ihren Gegnern aus Prinzip und uneingeschränkt erlaubte, ihrer Meinung im Privatbereich (eigene Geschäfte, eigene Firmen, eigene Familien, eigene Kindererziehung, pp.) unbehelligt zur Gänze in die Praxis umzusetzen, sie nur zu überzeugen versuchte; aber das kann ich so nicht sehen.]

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