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Dienstag, 5. April 2016

Dunning und Kruger lachen sich einen Ast

In einer Folge der Zeichentrickserie SpongeBob Schwammkopf erwartet der Nachbar und beste Freund des Titelhelden, der exemplarisch dämliche, faule und verfressene Seestern Patrick, Besuch von seinen Eltern und ist extrem nervös, da er bestrebt ist, einen guten Eindruck auf sie zu machen. SpongeBob schlägt vor, ihm zu helfen, indem er bei diesem Besuch ebenfalls zugegen ist und sich so extrem dumm stellt, dass Patrick im direkten Vergleich mit ihm intelligent wirkt. Leider spielt SpongeBob seine Rolle so überzeugend, dass Patrick bald selbst anfängt zu glauben, er sei klüger als sein Freund und Nachbar. Als SpongeBob es schließlich satt hat, für dumm gehalten zu werden, und zu beweisen versucht, dass er in Wirklichkeit viel klüger ist, glaubt man ihm nicht, und Patrick spricht die klassischen Sätze: 
"War doch klar, dass du so was sagen würdest. Dumme Leute haben meistens überhaupt keine Ahnung davon, wie dumm sie eigentlich sind." 
Der Witz besteht hier natürlich darin, dass Patrick, ohne es zu merken, über sich selbst spricht. Die Aussage selbst ist nämlich korrekt. Es gibt sogar eine quasi-wissenschaftliche Bezeichnung für dieses Phänomen: den Dunning-Kruger-Effekt

Benannt ist dieser Effekt nach David Dunning und Justin Kruger, die dieses Phänomen erstmals 1999 in einer populärwissenschaftlichen Publikation beschrieben und dafür im Jahr 2000 mit dem satirischen Ig-Nobel-Preis im Bereich Psychologie ausgezeichnet wurden. Dunning und Kruger verwendeten nicht den pejorativen Begriff "Dummheit", sondern sprachen stattdessen von "Inkompetenz"; aber jedenfalls kamen sie zu dem Ergebnis, dass "weniger kompetente Personen" dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, und somit das Ausmaß ihrer eigenen Inkompetenz nicht erkennen können; und mehr noch, sie sind auch unfähig, die überlegenen Fähigkeiten Anderer zu erkennen. Kurz und dreckig gesagt, je dümmer jemand ist, desto mehr neigt er dazu, Personen für dumm zu halten, die tatsächlich viel klüger sind als er selbst. Und da wird es nun interessant. 

Wie der Kollege Josef Bordat unlängst berichtete, existiert eine aktuelle Studie des Brain, Mind & Consciousness Lab der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio, aus der hervorgeht, was viele Atheisten schon immer vermutet oder behauptet haben: nämlich, dass das analytische Denken bei Atheisten ausgeprägter sei als bei Menschen, die an Gott glauben. Interessanterweise freuen sich die Atheisten aber gar nicht so richtig darüber -- denn dieselbe Studie, die auf den Ergebnissen von acht psychologischen Tests an 2212 Versuchspersonen basiert, stellt zugleich fest, dass das im Vergleich zu gläubigen Menschen stärker ausgeprägte analytische Denken der Atheisten mit einem Mangel an Empathie und Moral einhergeht. "Die Betonung eines Hirnabschnitts geht zu Lasten des anderen", erklärt der FOCUS in einem Bericht über die Studie. "Das führt dazu, dass gläubige Menschen über mehr Mitgefühl und moralische Prinzipien verfügen, die Nicht-Gläubigen dafür intelligenter und nüchterner sind. Die rationale Fokussierung rückt Atheisten in die Nähe von Psychopathen, in dem Sinn, dass sie selbstbezogener und kaltherziger sind, und weniger von moralischen Überzeugen geleitet werden." Im Interesse maximaler Polarisierung versieht der FOCUS seinen Artikel folgerichtig mit der Überschrift "Was Atheisten mit Psychopathen gemeinsam haben"

Über die empörten Reaktionen eingeschworener Kampfatheisten, die sich von ihrer vermeintlich besten Verbündeten, der empirischen Wissenschaft, verraten sehen (noch vor nicht einmal einem halben Jahr berichtete der FOCUS über eine andere Studie, derzufolge religiöse Kinder "weniger großzügig" seien als atheistisch erzogene; da scheint ein gewisser Widerspruch vorzuliegen, aber so funktioniert der Wissenschaftsbetrieb nun mal), ließe sich durchaus Einiges sagen, aber das hat im Wesentlichen bereits Josef Bordat getan. Ich verzichte daher darauf, seine Anmerkungen hier zu wiederholen; im Zuge dessen, worauf ich hier hinaus will, möchte ich jedoch seine fundamentale Infragestellung der Aussagekraft derartiger Studien zitieren: 
"[E]in solches Urteil kann in der allgemeinen Diktion nur falsch sein. Es kommt immer auf den Einzelnen an. 'Wer an Gott glaubt' ist ebensowenig eine sinnvolle wissenschaftliche Kategorie wie 'das Gehirn von Atheisten'. Beides gibt es nicht im suggerierten Singular. Jeder kennt wohl Beispiele kaltherziger Katholiken, egoistischer Evangelikaler und scharfsinniger Juden, kennt Moslems ohne Mitleid, Atheisten mit Anstand und hochempathische Heiden. Und wenn nicht, wird es Zeit, sie kennenzulernen. Oder auch nicht. Und der Unglaube allein sorgt nicht notwendig für überragende Intelligenz." 
Tatsächlich widerspricht laut FOCUS auch der Leiter der betreffenden Studie, Tony Jack, einer Deutung seiner Untersuchungsergebnisse, die darauf hinausliefe, dass Atheisten gläubigen Menschen grundsätzlich intellektuell überlegen wären. "Man kann gleichzeitig religiös und ein guter Wissenschaftler sein", betont Jack und "beruft sich auf die Nobelpreisträger von 1901 bis 2000: 90 Prozent gehörten einer von 28 Religionen an. Nur zehn Prozent bezeichneten sich als Atheisten, Agnostiker oder Freidenker." 

Dafür, dass ein Mensch an Gott glaubt und ein anderer Atheist ist, kann es eine Vielzahl von Ursachen geben; mit Intelligenz hat das jedoch nicht notwendigerweise etwas zu tun. Dass einem ebendies dennoch vielfach suggeriert wird, und zwar vor allem von Seiten kämpferischer Atheisten selbst, hat - meiner persönlichen Beobachtung zufolge - mit einem funktionalistischen Religionsverständnis in Verbindung mit einer bestimmten Spielart von Fortschrittsdenken zu tun: Religion wird verstanden als veraltetes Welterklärungsmodell, das früher einmal nützlich und sinnvoll gewesen sein mag, durch den Fortschritt der Wissenschaften jedoch obsolet geworden sei; und wer dennoch daran festhalte, der sei eben geistig zurückgeblieben - insofern, als er nicht in der Lage sei, die Realität ohne die "Krücke" des Glaubens an Gott zu erfassen. Simpler ausgedrückt: Glauben wird fälschlich als eine unvollkommene Vorform des Wissens verstanden; wer genug wisse, der brauche nicht zu glauben

Nun könnte man meinen, eine Einstellung dem Glauben gegenüber, die auf einem fundamentalen Unverständnis dessen basiert, was Glauben eigentlich bedeutet, sei als Ausweis geistiger Überlegenheit eher untauglich. Ironischerweise ist sie aber gerade deshalb so populär, und das hat mit dem oben beschriebenen Dunning-Kruger-Effekt zu tun. Das Fehlurteil, oder sagen wir, die Behauptung, Atheismus sei prinzipiell ein Kennzeichen überlegener Intelligenz, macht den Atheismus besonders für dumme Menschen attraktiv. Zahllose Menschen, die in früheren Zeiten, als Atheismus gesellschaftlich geächtet oder sogar illegal war, brav jeden Sonntag zur Kirche gegangen wären - sei es aus Angst vor der Hölle oder vor dem Gerede ihrer Nachbarn -, gerieren sich heute als Atheisten, weil ihnen dies eine Möglichkeit eröffnet, sich Milliarden von Mitmenschen, die sich zu einer Religion bekennen, haushoch überlegen zu fühlen. 

Was dabei herauskommt, kann man beispielsweise anhand eines Beitrags der NDR-Satiresendung "Extra 3" beobachten - wobei, wie sollte es im Zeitalter der Sozialen Netzwerke auch anders sein, die Kommentare zum Video auf Facebook noch erheblich dümmer sind als das Video selbst. Kostproben gefällig? (Rechtschreibung und Zeichensetzung unverändert.) 
"Die Antwort ist so Simpel wie das Hirn des Menschen! Also am Anfang waren Götter die Erklärung für einfach alles! Mystisch, und dem Volke dienlich, den Herrschern! Christentum, es gibt nur einen Gott, tja wer sich das ausdachte, war sehr klug, die ihm folgten sehr dumm! Es entstand der größte Konzern auf Erden, der Kriege befahl und Sklaverei, der Ungläubige richtete, und Gläubige Buße tun ließ! Alles im Sinne der Macht und Reichtum anhäufenden Kirchenelite! Im Hightech Zeitalter hat Gott und Götter ausgedient, weil der Glaube alles moderne nur behindern würde und früher auch tat, wir erinnern uns, wir leben auf einer Scheibe!" 
"Ich sage einmal, in vielen Jahren haben diese Religionen keine Bedeutung mehr! Nur geistig einfältige Wesen brauchen Gott oder Götter! Es gibt Sie / ihn nicht! Wenn es Gott gäbe wäre es ein Kind, das nicht weiß was es da tut! Sage ich immer! Denn wenn es Götter gebe, hätte es Hittler und viele andere schlechte Menschen nie gegeben! Oder doch weil sie der Teufel sind?" 
"Wer will eigentlich Jungfrauen? Wozu? Die haben null Erfahrung im Bett und von eher durchschnittlichen Praktiken sind sie total entsetzt. Und wenn du richtig loslegen willst, dann machen sie spätestens zu und du musst abbrechen." 
"Wiedergeburt in eine besseren Welt, den sog. Himmel, wenn man der Kirche genug Geld spendet sowie die Hexenverbrennungen im Mittelalter, wenn eine Frau von einem Pfaffen schwanger wurde, habt ihr vergessen."  
Nun, seien wir ehrlich: Natürlich habe ich mit Absicht einige besonders dumme Äußerungen herausgesucht. Und natürlich sind es nicht ausschließlich Atheisten, die glauben, sie müssten die Welt via Social Media an dem teilhaben lassen, was so an "Gedanken" in den großen leeren Korridoren ihres Gehirns herumirrt, auch wenn sie nicht den blassesten Schimmer von dem haben, worüber sie reden. Und umgekehrt gibt es natürlich auch kluge Atheisten. Allerdings werden die, wenn sie wirklich klug sind, sich nicht einbilden, sie wären deshalb Atheisten, weil sie so verdammt klug sind

Richtig ist, dass religiöser Glaube auf Grundannahmen beruht, die weder beweisbar noch widerlegbar sind. Das betrifft jede Religion - aber es betrifft genauso auch jede nicht-religiöse Weltanschauung, wenngleich der durchschnittliche Atheist sich dessen weniger bewusst sein mag als der durchschnittliche Gläubige. Ein grundlegender Irrtum derjenigen Atheisten, die jede Form von Religiosität für dummes Zeug halten, besteht in der Auffassung, ihre eigene Grundannahme - "Es gibt keinen Gott" - sei vernunftgemäßer als jene Grundannahme, die sie ablehnen: "Es gibt einen Gott". Aus der falschen Voraussetzung, die Annahme, es gebe einen Gott, sei per se unvernünftig, folgt die Vorstellung, jegliche Folgerungen aus dieser Grundannahme - und somit sämtliche Glaubenslehren der verschiedenen Religionen - könnten ebenfalls nur Quatsch sein. Damit erübrigt ich jede Notwendigkeit, sich eingehender damit auseinanderzusetzen, was die verschiedenen Religionen denn nun tatsächlich lehren - und so kommen dann solche kruden Urteile zustande, wie ich sie weiter oben zitiert habe. Das Ironische daran ist unschwer einzusehen: Indem die Religionsverächter ihre eigenen verzerrten Vorstellungen von Religion(en) auf die Gläubigen selbst projizieren und sich darüber lustig machen, wie man so dumm sein könne, an so etwas zu glauben, machen sie sich - ohne es zu merken - tatsächlich über ihre eigene Dummheit lustig. 

Aber Ironie hin oder her: Frustrierend ist es doch, wenn man, sei es im Netz oder in der Kneipe, in Diskussionen mit Atheisten gerät, die glauben, sie seien von Natur aus klüger als gläubige Menschen. Und die aufgrund ebendieser Annahme völlig unempfänglich sind für Argumente - geschweige denn für Fakten, die ihre Vorurteile widerlegen. Denn aus ihrer Sicht ist man als gläubiger Mensch eben unheilbar dumm - dümmer als sie jedenfalls. Trösten kann man sich in solchen Fällen höchstens noch mit einem Spruch, der - aus Gründen, offenbar - immer mal wieder als Meme durch die Sozialen Netzwerke geistert: 
"Mit dummen Menschen zu streiten, ist wie mit einer Taube Schach zu spielen. Egal, wie gut du Schach spielst, die Taube wird alle Figuren umwerfen, auf das Brett kacken und herumstolzieren, als hätte sie gewonnen." 


14 Kommentare:

  1. "Dafür, dass ein Mensch an Gott glaubt und ein anderer Atheist ist, kann es eine Vielzahl von Ursachen geben"
    Wie bitte?
    Dafür gibt es genau eine Ursache: Gnade!

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  2. "so Simpel wie das Hirn des Menschen"
    Puh... und ich dachte schon, das menschliche Gehirn sei so komplex, dass wir es nie erforschen werden.

    "weil der Glaube alles moderne nur behindern würde"
    Es wäre schön gewesen, hätte der Glaube manches Moderne wirksam behindert.

    "und früher auch tat, wir erinnern uns, wir leben auf einer Scheibe!"
    Nä, oder? Eine dreiste Lüge der Moderne wirkt so stark nach?

    "Hexenverbrennungen im Mittelalter"
    Hat es eigentlich irgendeinen Sinn, Kirchengeschichte zu betreiben?

    Zu den zahlreichen Studien gibt es beim Kollegen Blume eine kritische Einordnung unter besonderer Berücksichtigung methodologischer Aspekte: http://www.scilogs.de/natur-des-glaubens/religionsforschung-schlagzeilen-soziale-kognition-religioesen/

    LG, Josef

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  3. @dilletantus in interrete:

    quae supponit naturam...

    Es ist übrigens nicht so, daß der Atheismus eine logisch-intellektuell vertretbare Position wäre und "nur" die Gnade dazu führt, die - das dann schon - ebenso vertretbare Position "Glaube" zu wählen. Auch wenn man das so ähnlich oft hört. Der Glaube, und zwar der katholische, ist nicht nur eine logisch-intellektuell vertretbare Position (auch wenn das gegenüber dem modernen Vulgäratheismus, gegen den man sogar Friedrich Nietzsche, Jean-Paul Sartre oder andere Atheisten von Format zitieren kann, sicherlich die angenehmere Position ist), sondern auch die einzige solche.

    Um zu glauben; braucht es Gnade - aber wer (zunächst) nicht glaubt, sondern sich allein auf seine Vernunft verläßt, der landet entweder in einer Sackgasse, wo ihn die Gnade dann abholen kann, oder aber er verläßt auch den Pfad der Vernunft. (Was er nicht unbedingt merken muß^^)

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  4. Ich bin immer etwas verblüfft, wie "dunkel" der dunkelkatholische Echoraum tatsächlich ist. Wer so argumentiert - und damit meine ich auch Tobias - wird zur leichten Beute "aufgeklärter" (nicht Stammtisch-) Atheisten. In letzter Konsequenz habt ihr nur Zirkelschlüsse (das Lehramt sagt das Lehramt hat Recht) und den Verweis auf ein "unergründliches Geheimnis - Gnade - etc" zu bieten. In den letzten zwei Jahrhunderten haben sich viele kluge Christen Gedanken gemacht, wie man "Glaube" und unser neues, sehr komplexes Bild der Wirklichkeit in Einklang bringen kann. Irgendwie schade...

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    1. Da ich lediglich "auch" gemeint bin, überlasse ich das Antworten (vorerst) dem "Echoraum"... :)

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    2. "Echoraum"?

      Aufgeklärte Nichtstammtischatheisten sind heute selten. Und auch wer nicht fähig ist, ein Argument zu gewinnen, kann recht haben.

      Zirkelschlüsse haben wir nicht zu bieten. Zu diesem Thema bringt es Msgr. Knox schön auf den Punkt:

      "Um weitere Zweideutigkeit zu vermeiden, lassen Sie mich gewisse hervorstehende Lehren auflisten, die kein Katholik, der einen Moment darüber nachdenkt, auf kirchliche Autorität hin und ausschließlich auf kirchliche Autorität hin annehmen kann:
      (i.) Daß Gott existiert.
      (ii.) Daß Er sich in Jesus Christus der Welt offenbart hat.
      (iii.) Das Leben (in seinen Grundzügen), den Tod und die Auferstehung Jesu Christi.
      (iv.) Daß unser Heiland eine Kirche gegründet hat.
      (v.) Daß Er dieser Kirche sein eigenes Lehramt vermacht hat, unter der Garantie (versteht sich), daß sie beim Lehren nicht irren würde.
      (vi.) Die daraus folgende intellektuelle Pflicht, zu glauben, was die Kirche glaubt." (Belief of Catholics III)

      All das glauben wir, aber nicht, weil es das Lehramt halt sagt, sondern auf Grund der Beweise, Indizien und historischen Berichte.

      Und unter dem (das heißt technisch so, sorry) Anhauch der Gnade, gewiß. Daß freilich ein wenig zu viel mit dem Verweis auf das unergründliche Geheimnis und die Gnade herumgespielt wird... mag durchaus so sein. Die Kirche jedenfalls will mit dem sog. Fideismus nichts zu tun haben.

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    3. Ich versuche, die Argumentation in anderen Worten wiederzugeben:

      - besagte Glaubensaussagen würde ich einem Menschen / einer Institution vom Verstand her nicht abnehmen
      - glaube sie aber auf Grund von Beweisen (naja) etc "unter dem Anhauch der Gnade", die ich (andere anscheinend ja nicht)empfangen habe

      Wer behauptet das Wirken dieser speziellen Gnade? (Es könnte sich ja auch um eine Wahnvorstellung / Projektion etc handeln): Die Kirche, der ich ja folgen muss, wenn ich in dieser Gnade bin...
      Für mich ist das ein (zugegeben kein klassischer) Zirkelschluss. Man setzt letztlich voraus, was man beweisen will.

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    4. Einstweilen nur kurz: die Gnade wurde erwähnt, weil das sonst eine Auslassung wäre - und nicht, weil irgendetwas vorausgesetzt worden wäre.

      In der Tat: Msgr. Knox geht es darum (und ich fand das hier ganz gut anwendbar), dem seinerzeit (und später?) verbreitete Vorurteil zu entgegnen, die Katholiken würden einfach auf der Basis von "ich glaube das, weil es der Papst sagt" glauben.

      Was die Gnade betrifft: wenn wir von ihr reden wollen, dann dürfte *das* zu den Details gehören, die wir wirklich nur unter Zuhilfenahme des Lehramtes klären können. Einfach weil's da spitzfindig wird. ***Dadurch entsteht aber kein Zirkelschluß***, denn daß wir die ganze Dogmatik schon vorher kennen und dann nachher herausfinden, daß die katholische Kirche wundersamerweise mit uns übereinstimmt, haben wir nie behauptet.

      In der Reihenfolge des logischen Argumentes gesprochen und stark (bis ins Inkorrekte hinein - aber ich will nach der Geschichte mit der Gnade nicht noch einmal eine Detaildiskussion, ehrlich gesagt) vereinfacht:
      1. Wir glauben die Basics, und zwar nicht deswegen, weil die Kirche das sagt.
      2. Zu den gehört, daß die Kirche ein irrtumsfreies Lehramt hat.**
      3. Die Kirche versorgt uns mit einer Lehre von etwas, daß sie Gnade nennt.
      4. Wir stellen fest, daß wir von dieser offensichtlich getroffen wurden, immerhin glauben wir ja.

      Das ist allein deswegen keine Wahnvorstellung, weil die Gnade merkt man ja (ob es dazu mögliche wundersame Ausnahmen gibt, lasse ich hier mal offen - im Regelfall jedenfalls:) nicht, was übrigens die Kirche auch ausdrücklich so lehrt.

      Also nochmal: Wir glauben nicht, weil wir eine Gnade fühlen, die uns dazu treibt, wir stellen (wenn überhaupt) fest, daß wir offensichtlich eine gewisse Gnade gehabt haben müssen, weil wir ja glauben.

      Und nebenbei weil uns unser Glaube (also die Kirche - in dem "nicht-Basics"-Bereich) lehrt, daß jeder Mensch Gnade empfängt... bitte daran jetzt nicht auch noch eine Diskussion anhängen.

      [** "Und warum?" Ganz einfach.

      Die Kirche hat ein irrtumsfreies Lehramt, weil wir Christus das gesagt hat und weil Christus Gott ist. Daß Christus Gott ist, wissen wir ebenfalls, weil er es gesagt hat und weil - um nur ein Argument anzuführen - Er auch Wunder gewirkt hat, Gott hätte ihn aber keine Wunder wirken lassen, wenn er das fälschlich behauptet hätte. Daß er das beides gesagt hat und daß er Wunder gewirkt hat, wissen wir wiederum aus den glaubwürdigen historischen Überlieferungen. Usw.

      Es hat übrigens niemand gesagt, daß man die entsprechenden Begründungen jeweils zwischen Tür und Angel machen kann.]

      - Also jetzt bitte die Gnade oben wegdenken - die war da nur der Vollständigkeit und Korrektheit halber drin, was aber argumentativ vielleicht ein Fehler war^^

      Jedenfalls brauchen wir sie *nicht*, weil ohne sie die Argumente für den Glauben, und zwar für den wahren katholischen, *an sich* noch nicht zwingend genug wären.

      [Daß freilich Menschen an sich zwingende Argumente nicht immer als zwingend empfinden oder überhaupt über sie nachdenken, steht auf einem anderen Blatt.]

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  5. Nun zu Tobias: ich spiele jetzt mal den ernsthaften Atheisten. Mit der billigen Gegenüberstellung Glauben vs Wissen gebe ich mich nicht ab. Die Frage nach der Existenz Gottes ist mir zu abstrakt. Kann sein, kann nicht sein...Es geht mir nicht darum, DASS an Gott geglaubt wird, sondern das WAS und WIE. Schon was das Gottesbild betrifft, bietet das real existierende Christentum ein breites Sammelsurium. Das reicht von trinitarischen Vorstellungen bis zu unitarischen, mystisch spiritualistischen (Gott in mir) hin zu panentheistischen Positionen, die allesamt schwer miteinander zu vereinbaren sind. Das war kirchenhistorisch auch in den ersten 400 Jahren des Christentums so, bis sich eine Orthodoxie - die KIRCHE mitunter mit Feuer und Schwert und Staatsgewalt durchgesetzt hat. Ich beobachte, dass der Streit trotzdem nicht aufhörte - man schlug sich wegen des "rechten Glaubens" [der Dir ja so am Herzen liegt] viele weitere Jahrhunderte die Köpfe ein. Dann kommt das 19. Jahrhundert und damit die Diskurshoheit der Naturwissenschaften. Das herrschende Weltbild wird auf den Kopf gestellt, Raum- und Zeithorizont erweitert sich ungeheuerlich ("Jerusalem" ist damit nicht mehr der Mittelpunkt der WELT wie in mittelalterlichen Karten, Christus nicht der Mittelpunkt der ZEIT). Und noch schlimmer. Der Mensch ist nach Darwin ein Produkt langer Evolution, eine Vorstellung gegen die sich Fundamentalisten aller Couleur - Juden, Muslime, Evangelikale, Orthodoxe etc - mit aller Kraft wehren. Mit denen kann man dann eh nicht diskutieren...
    Ihr aber, die ihr die Vereinbarkeit dieser Erkenntnisse mit dem kirchlichen Lehramt behauptet, frage ich: Ihr besteht auf der in der Zeugung erfolgten Neuerschaffung einer unsterblichen Seele. Hatte der Neanderthaler eine? Oder erst der Homo sapiens?
    So würde ich in dieser Rolle vorgehen.

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    1. Zu der langen Vorbemerkung könnte man auch noch einiges sagen**... aber erstmal nur eine Antwort auf Deine eigentliche Frage. (Ja auch wenn ich nicht Tobias bin.]

      >>Ihr besteht auf der in der Zeugung erfolgten Neuerschaffung einer unsterblichen Seele. Hatte der Neanderthaler eine? Oder erst der Homo sapiens?

      Die Antwort ist banal einfach.

      "Das wissen wir nicht.*" - Wir wissen aber: *wenn* der Neandertaler eine Seele hatte, dann war er das, was wir meinen, wenn wir von "Mensch" sprechen; wenn nicht, dann nicht.


      [* Nach dem, was die Populärwissenschaft vom Neandertaler erzählt, scheint es mir persönlich wahrscheinlich, daß er eine unsterbliche Seele gehabt hat, also Mensch war. Ich bitte diese private Vermutung aber nicht überzubewerten.]

      [** zum Beispiel das Folgende: "Es stimmt nicht einmal nur, daß ein Glaube Menschen vereinigt. Nein, ein Glaubensunterschied vereinigt Menschen auch, solange der Unterschied nur klar und deutlich ist. Grenzen vereinen. Viele großherzigen Moslems und ritterliche Kreuzzügler [Original mit Alliteration] müssen sich einander näher gefühlt haben - waren sie doch beide Dogmatiker! - als irgendwelche zwei Agnostiker. 'Ich sage: Gott ist Einer' - 'Ich sage: Gott ist Einer und auch Drei' - dies ist der Anfang einer guten streitbaren, männlichen Freundschaft." (Chesterton, ohne genaue Quelle)]

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    2. Tja, das kommt wohl davon, wenn man Kommentare freischaltet und nicht sofort selbst beantwortet. Aber im Grunde ist es ja ganz gut, dass Imrahil sich argumentativ so reinhängt -- denn ich hätte mich vermutlich darauf beschränkt, zu erklären, dass diese Art der Diskussion mich langweilt. Dass ich keine Lust habe, mich zu konstruierten Fragen äußern zu sollen, die für meinen Glauben irrelevant (oder allenfalls von sehr, sehr nachrangiger Bedeutung) sind. Vielleicht, ganz ganz vielleicht, hätte ich noch hinzugefügt, dass ich manchmal den Verdacht habe, dieses ganze Kreisen um Spitzfindigkeiten (Hatte der Neandertaler eine unsterbliche Seele? Wie viele Engel passen auf eine Nadelspitze? Kann Gott einen Stein erschaffen, den Er selbst nicht heben kann?) nur dazu dient, sich (wie weiland Adam im Garten Eden) vor Gott zu verstecken. Vor der Realität Gottes wegzulaufen. Um eine Ausrede zu haben, nicht glauben zu müssen. Sich nicht entscheiden zu müssen. Im "als-ob'- und " was-wäre-wenn"-Modus zu verharren und existentielle Fragen von Sein oder Nichtsein wie abstrakte Denksportaufgaben zu betrachten, die mit dem eigenen Leben im Grunde nichts zu tun haben.

      Das, unter Anderem, ist so schön und wertvoll an einem verbindlichen Lehramt: dass es den einzelnen Gläubigen davor bewahrt, sich in Spekulationen zu verzetteln, die ihn vom Eigentlichen des Glaubens ablenken.

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  6. "Vor der Realität Gottes wegzulaufen. Um eine Ausrede zu haben, nicht glauben zu müssen. Sich nicht entscheiden zu müssen. Im "als-ob'- und " was-wäre-wenn"-Modus zu verharren und existentielle Fragen von Sein oder Nichtsein wie abstrakte Denksportaufgaben zu betrachten, die mit dem eigenen Leben im Grunde nichts zu tun haben. Das, unter Anderem, ist so schön und wertvoll an einem verbindlichen Lehramt: dass es den einzelnen Gläubigen davor bewahrt, sich in Spekulationen zu verzetteln, die ihn vom Eigentlichen des Glaubens ablenken."

    Ich gebe ja zu, dass mein Nachhaken mehr oder weniger den Zweck hatte, Einblick in die dunkelkatholische Seele zu bekommen. Danke für diese sehr klare Aussage. Das Eigentliche des Glaubens ist der Akt der Entscheidung zum Glauben, wenn es denn sein muss mit einem "sacrificium intellectus". Doch diese "Lebensübergabe" und die Unterwerfung unter ein "verbindliches Lehramt" hat etwas Künstliches, Gewolltes, Pathetisches. Es ist eine Konversion und Konvertiten sind bekanntlich besonders pingelig, was z.B. Priesterkrägen oder Liedtexte betrifft.
    Glaub mir, man kann sich "existentielle(n) Fragen von Sein oder Nichtsein" stellen, ohne ALLES glauben zu müssen.
    Tatsächlich trifft die kosmische Dezentrierung des Menschen durch die Naturwissenschaften die christliche Theologie ins Mark und an diesem Problem haben sich viele Theologen abgearbeitet. Dabei geht es nicht um Denksport oder Spekulation. DEN Eindruck hatte ich oft eher bei der Lektüre kirchlicher Lehrschreiben.
    Auch ich bin tief besorgt über den Verfall religiöser Substanz beim "Volk Gottes". Und das betrifft nicht das "Wissen" - das ist eh unterirdisch, war es vorkonziliar auch - sondern das "Existenzial", die "Gestimmtheit", die "Offenheit" für das "ganz andere"...Dagegen helfen allerdings weder Weihrauch, buchstabengetreue Messen etc. Es gibt kein Zurück, nur ein Versuchen nach vorne. Wobei ich damit nicht meine, dass man dem "Zeitgeist" hinterherläuft. Der Rückzug in die Sektenexistenz, den dunkelkatholischen Echoraum, mag kuschelig sein, ist ja auch super im Besitz der "Wahrheit" zu sein, doch das spricht - mit Recht! - immer nur kleine Gruppen an.

    Um ein letztes Mal spitzfindig zu sein. Meine Nichte war letzthin empört darüber, zu hören, dass ihre Tochter, die an einer schweren Zöliakie leidet, wohl nicht zur Kommunion gehen könne anlässlich der Erstkommunion des kleineren Bruders. Denn sie bekam etwa folgende Auskunft:

    "In der römisch-katholischen Kirche muss die Hostie aus ungesäuertem Weizenbrot hergestellt werden. Abgeleitet wird dies aus dem biblischen Zeugnis, dass Jesus beim letzten Abendmahl wahrscheinlich Weizen- oder Gerstenbrot verwendet habe. Hostien, die demnach keinerlei Gluten enthalten (also kein Weizenmehl), gelten nach der römischen Glaubenskongregation als „ungültige Materie“ für die Eucharistie."
    Also unter 100ppm Gluten ist leider keine Transsubstantiation möglich. Was für ein Quatsch...

    Auf Nachfrage wurde sie mit einem kaltschnäuzigen "Dann hat sie halt ein bisschen Bauchweh" abgefertigt. Danach war sie mit der Kirche durch.

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    1. Lieber Jochen, ich hatte schon angefangen, eine detaillierte Antwort zu skizzieren - aber dann war ich beim "Nightfever" in der Rosenkranzbasilika und habe dort eine Kerze für Dich angezündet. Ich glaube, das bringt mehr.

      Ach ja, und ich habe einen Zettel mit einem Bibelvers aus einem Korb gezogen. Handelte sich um Johannes 15,5. Mir schien, das passte ganz gut zu einigen Aspekten unserer Diskussion.

      (Die detaillierte Antwort kommt vermutlich trotzdem noch. Aber dann wohl als eigenständiger Blogartikel.)

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  7. Ein sacrificium intellectus im Sinne von "versteh ich jetzt nicht, glaub ich aber einfach mal" ist sicher ein Gott wohlgefälliges Opfer...

    (solange man nicht davon ausgeht, daß zwischen dem zu Glaubenden und der Vernunft ein *echter* Gegensatz entstehen könnte, das wäre nämlich falsch...)

    zum Glauben an sich notwendig ist er aber gerade nicht.

    Zum Glauben ist Gnade notwendig (wieder dieses Wort), die man regelmäßig auch erhält... aber *nicht* die Bereitschaft, einen Widerspruch zu ignorieren.

    Anstelle einer Antwort wiedermal ein Zitat von Msgr. Knox aaO:

    "Sie [unsere nichtkatholischen Zeitgenossen] sehen aber sehr wohl, daß hier und heute keine Tradition so lange etabliert ist, daß sie nicht hinterfragt werden kann, keine Lehre so ehrwürdig, daß sie nicht wiederlegt werden kann; sie sehen sehr wohl, daß die protestantischen Vordenker verzweifelt ratend nach der Wahrheit suchen und ihre Unsicherheiten mit vieldeutigen Phrasen und Sentimentalitäten übertünchen. Fürwahr - ihr Anblick allein würde einen fast schon katholisch machen: wenn nur diese Katholiken nicht so unmögliche Sachen glauben würden.

    Der Instinkt, der nach Schönheit, der nach Mysterium, der nach Natürlichkeit, der nach Geschichte, der nach Weltbürgerschaft, der nach moralischer Anleitung, der nach intellektueller Wohldefiniertheit verlangt - alle diese und jeder von ihnen kann Menschen dazubringen, und bringt viele Menschen dazu, auf die katholische Kirche zu blicken, wenn nicht mit weniger Verwerfung, so doch mit mehr Interesse; wenn nicht mit weniger Unwissen, so doch mit mehr Neugier. Einige wünschen, sie könnten Katholiken wären, einige wünschen, sie wären als Katholiken geboren; einige geben sich damit zufrieden zu sagen, es müsse schon sehr schön sein Katholik zu sein. Wenn sie nur (wie jemand es formuliert hat) die erste Lüge erzählen könnten, wie einfach würde dann der ganze Rest daraus folgen!

    [Kapitelüberschrift: 3. Die erste Lüge erzählen]

    Diese Formulierung, die erste Lüge erzählen, ist ganz besonders bezeichnend. Sie offenbart nicht die Einstellung der Katholiken gegenüber religiöser Wahrheit, sondern das Unwissen der Nichtkatholiken über die Religion ihrer Landsleute."

    Und darauf folgt mehr oder weniger, was ich oben schon zitiert habe.

    Also sacrificium intellectus im Sinne von "versteh ich nicht, wie das gehen soll, glaube es Gott aber trotzdem" - super. Glauben im eigentlichen Sinn - "ich glaube das, weil Gott es gesagt hat und ich Gott das 'abnehme' - nicht, weil ich es selbst durch Experiment oder Philosophieren herausgefunden hätte'" - super. Aber ein falsch verstandenes sacrificum intellektus im Sinne von "ja, ist Unfug, aber irgendwo muß man 'den Sprung wagen' [oder wie man das nennt] und sich mit dem Unfug zufrieden geben", was Msgr. Knox hier in dem Ausdruck "die erste Lüge erzählen, aus der der ganze Rest folgt"... das weniger.

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