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Donnerstag, 22. November 2012

Von der Grünen Insel: Kann Abtreibung Leben retten?

Eigentlich hatte ich ja vorgehabt, nach meinem letzten Beitrag erst einmal von aktuellen Aufreger-Themen Abstand zu nehmen und mal wieder etwas Entspannendes zu schreiben, eine Buchkritik zu einem Roman aus meiner Klobibliothek zum Beispiel. Die wird nun warten müssen, denn erstmals in meiner noch jungen Blogger-Karriere hat mich ein Leserkommentar auf ein Thema aufmerksam gemacht, das mir ansonsten womöglich entgangen wäre. Zwar handelte es sich bei dem Kommentator offenbar eher um eine Art Troll, den man bekanntlich nicht füttern soll; aber das von ihm angeschnittene Thema verdient dennoch eine Stellungnahme, und ich denke mir, die ist in einem eigenständigen Beitrag besser aufgehoben als im Kommentarbereich eines Texts, der damit, wenn überhaupt, nur ganzganz am Rande etwas zu tun hat. Die Pimpfe, die ebenfalls Besuch vom Troll hatten, haben sich bereits kurz und pointiert zur Sache geäußert; bei mir wird's, so kennen mich meine Leser, wohl eher etwas ausführlicher geraten.

Also: Worum geht's? - Am Montagabend erreichte mich ein anonymer Kommentar zu meinem letzten Blogpost, in dem es unter Bezugnahme auf das in meiner Überschrift etwas dreist verballhornten Paul-Celan-Zitat hieß: "Und im Moment dürfte der Tod ein Meister aus Irland sein, der Muttertod zumindest." Zunächst konnte ich damit nichts anfangen, und auch eine Google-Recherche zu den Begriffen "Irland + Muttertod" half nicht viel weiter: Zwar fand Google so allerlei, von einer angeblich keltischen mythologischen Getstalt namens Mutter Tod bis hin zu einem Artikel über die Kelly Family ("Der Muttertod ist der erste schwere Schlag in der Kinderwelt von Kellys"), aber nichts davon erklärte mir den anonymen Kommentar. Als richtungsweisend erwies sich schließlich meine vage Vermutung, der Kommentar habe womöglich irgend etwas mit Abtreibung zu tun. So stieß ich auf folgende, von mir hier kurz paraphrasierte Meldung:
Savita Halappanavar, eine 31jährige in Irland lebende Inderin, war in der 17. Woche schwanger, als sie mit schweren Rückenschmerzen in die Universitätsklinik Galway eingeliefert wurde. Es wurde eine beginnende Fehlgeburt diagnostiziert; als der Zustand der Patientin sich verschlimmerte, bat sie um eine Abtreibung, die die Ärzte jedoch verweigerten, da Abtreibung in Irland illegal sei. Als drei Tage nach der Einlieferung der Tod des Fötus festgestellt wurde, wurde dieser aus Savita Halappanavars Gebärmutter entfernt; inzwischen hatte sie sich jedoch eine Blutvergiftung zugezogen, an der sie vier Tage später starb.

Wir haben es also erneut, wie im Fall Jens Pascal, mit einer hochsensiblen,. hoch emotionalen Materie zu tun. Das faktische Ergebnis der Vorgänge im Klinikum von Galway ist katastrophal: Mutter und Kind sind tot. Es ist nur allzu menschlich, dass bei solchen Tragödien ein Schuldiger gesucht wird. Wenn ein zumindest dem äußeren Anschein nach kurz zuvor noch völlig gesunder Mensch im Krankenhaus stirbt, wird die Schuld meist - ob zu Recht oder zu Unrecht - bei den Ärzten gesucht. Im vorliegenden Fall gehen die öffentlichen Reaktionen aber weit darüber hinaus: Da die behandelnden Ärzte - laut Aussage von Savita Halappanavars Ehemann - eine Abtreibung mit der Begründung "Dies ist ein katholisches Land" abgelehnt haben, wird die Schuld am Tod der Frau nicht allein ihnen zugewiesen, sondern dem in Irland geltenden strikten Abtreibungsverbot und in letzter Konsequenz der Katholischen Kirche. Auf diese Weise wird der tragische Todesfall in einer Vielzahl von öffentlichen Stellungnahmen dazu instrumentalisiert, für ein liberaleres Abtreibungsrecht zu agitieren und all jene zu attackieren, die sich für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzen.

Exemplarisch für diese Strategie ist, wen sollte es überraschen, ein am 15.11. erschienener SPIEGEL online-Artikel mit dem Titel "Tod einer Schwangeren - Irland streitet über Abtreibungsgesetz", verfasst von Carsten Volkery. Dem aufmerksamen Leser teilt dieser Artikel eine Reihe bemerkenswerter Fakten mit: so etwa, dass die Müttersterblichkeit auf der Grünen Insel ausgesprochen gering ist; dass die Gesetzeslage in Irland es Ärzten sehr wohl erlaubt, operative Eingriffe an schwangeren Frauen durchzuführen, die faktisch eine Abtreibung der Leibesfrucht bedingen, sofern diese Eingriffe notwendig sind, um das Leben der Mutter zu retten; und schließlich auch, dass es keinesfalls sicher ist, ob ein solcher Eingriff Savita Halappanavars Leben hätte retten können bzw. ob das Unterbleiben des Eingriffs für ihren Tod verantwortlich ist. Zusammenfassend kann man sagen, die puren Fakten des Falles lassen die Behauptung, das auf dem Menschenbild und der Morallehre der Katholischen Kirche aufbauende irische Abtreibungsstrafrecht habe Savita Halappanavar getötet, gegenstandslos erscheinen. Das stört den SPIEGEL aber nicht im Geringsten. Mit frappierender Offenheit argumentiert der Artikel vielmehr, die allgemeine Trauer, Wut und Empörung über diesen Todesfall biete einen guten Anlass, endlich mal gegen das lästige und anachronistische Abtreibungsverbot vorzugehen. (Auch der Hinweis, die Gelegenheit sei auch deshalb günstig, weil die Katholische Kirche in Irland durch den Missbrauchsskandal viel an moralischer Autorität verloren habe, fehlt nicht.) Verräterisch ist hier nicht zuletzt der Satz: "Schwangere Irinnen müssen ins benachbarte Großbritannien reisen, um abzutreiben." Dieser Sachverhalt, den man in Deutschland auch aus eigener Erfahrung kennt - so lange ist es noch nicht her, dass deutsche Frauen Abtreibungen, die nach damaligem deutschen Recht strafbar waren, in den Niederlanden vornehmen ließen -, wird hier so lapidar dargestellt, als gehe es um ein Dorf ohne Supermarkt, desse Einwohner zum Einkaufen in die 16 Kilometer entfernte Kreisstadt fahren müssen. Abtreibung, so wird hier suggeriert, ist etwas ebenso Selbstverständliches und Alltägliches wie Shoppen - wenn man es zu Hause nicht tun kann, geht man eben woanders hin, aber bequemer wäre es allemal, man müsste dafür nicht so weit fahren.

Mit dem traurigen Schicksal von Savita Halappanavar hat all das erkannbar wenig zu tun. Sie und ihr Mann wollten ihr Kind schließlich, haben sich darauf gefreut, und nur die Angst um ihr eigenes Leben hat die Mutter veranlasst, einen Schwangerschaftsabbruch zu verlangen. Komplikationen in der Schwangerschaft, die für die Mutter lebensbedrohlich sind, kommen in unseren Breiten glücklicherweise selten vor, aber sie kommen vor, und wenn den Ärzten nur die Wahl bleibt, entweder das Leben der Mutter oder das des Kindes zu retten, werden sie sich in der Regel für das der Mutter entscheiden. Ein moralisches Dilemma bleibt es allemal. In dem hier in Frage stehenden Fall haben die Ärzte anders entschieden und haben schließlich weder die Mutter noch das Kind retten können. Ob es sich medizinisch gesehen um eine objektive Fehlentscheidung gehandelt hat, für die die Ärzte zur Verantwortung zu ziehen wären, kann und will ich nicht beurteilen; Fakt ist so oder so, dass es keiner Legalisierung von Abtreibung bedarf, um das Leben schwangerer Frauen in Konfliktfällen wie diesem zu schützen.

Der zitierte SPIEGEL online-Artikel klärt seine Leser dankenswwerterweise darüber auf, dass es in Irland seit 1983 einen Verfassungszusatz gibt, der klarstellt, dass jedem Menschen ab dem Moment der Zeugung - also auch schon als Embryo und später als Fötus - die vollen Menschenrechte zustehen. Unter diesen steht das Recht auf Leben, als Voraussetzung für alle anderen Rechte, logischerweise an erster Stelle. Dass der Mensch vom Moment der Zeugung an ein vollwertiger Mensch ist, entspricht durchaus nicht nur der Lehre der Katholischen Kirche; es ergibt sich auch schlicht und ergreifend aus den biologischen Fakten, denn wenngleich ein Fötus frühestens einige Wochen vor dem "normalen" Geburtszeitpunkt in der Lage ist, außerhalb des Mutterleibs zu überleben, steht es doch außer Zweifel, dass er auch schon im Embryonalstadium ein von der Mutter verschiedenes Lebewesen ist, und zwar eines, das der Spezies "Mensch" angehört. Da diese simple Tatsache aber weithin nicht anerkannt wird, wäre ein Verfassungszusatz wie in Irland auch andernorts, z.B. auch in Deutschland, ein begrüßenswerter Fortschritt. Die im deutschen Abtreibungsrecht gültige Fristenregelung, die jährlich rund 100.000 Abtreibungen ermöglicht, wäre dann allerdings wohl kaum mehr aufrecht zu erhalten...

(Weitere Stellungnahmen zum Thema gibt es hier, hier und hier.)

3 Kommentare:

  1. Umgekehrt: Kann die Verweigerung einer Abtreibung Leben vernichten? Nein! Auf keinen Fall, weil die Mutter, egal welchen Glaubens, durch die Bluttaufe das ewige Leben erhält.

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  2. Seit den Ereignissen um die mutmaßlich vergewaltigte Frau und der angeblich verweigerten Hilfe durch zwei Kliniken in katholischer Trägerschaft in Köln, denke ich viel über das unangenehme Thema Abtreibung nach, und über die Frage ab wann ein Mensch ein Mensch ist. Das Thema gärt in mir, und Ihr Artikel hier ist überaus interessant. Das gilt übrigens für Ihre ganze Internetpräsentation.

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