Wer regelmäßig meine Wochenbriefings verfolgt, der wird wissen, dass meine alte Schülerband unlängst Reunion gefeiert hat. Mit dem Bericht über das Bandwochenende in Neufahrn bei Freising habe ich mich in Utopie und Alltag 1 bewusst kurz gefasst, aber jetzt habe ich das Gefühl, es ist noch so viel zu erzählen "übrig", dass es einen eigenständigen Artikel rechtfertigt. Zum Beispiel habe ich noch kaum etwas darüber gesagt, was für Musik wir an diesem Wochenende eigentlich gemacht haben, und außerdem bin ich meinen Lesern noch eine Erklärung schuldig, was es eigentlich mit dem Honigglas im Reisegepäck auf sich hatte. Wen's nicht interessiert, der braucht es ja nicht zu lesen.
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| Hat ein bisschen was von Abbey Road, oder? |
Wie fange ich also an? – In der Kurzfassung meines Berichts über das Bandwochenende hatte ich die Musikinstrumente aufgezählt, die bei unserer Wohnzimmer-Session zum Einsatz kamen – akustisches Klavier, elektronisches Schlagzeug, Cajón, Altsaxophon, Trompete, eine akustische und zwei elektrische Gitarren, ein E-Bass und ein Gesangsmikrofon –, und das mag vielleicht Fragen darüber aufwerfen, wie viele Personen eigentlich an dieser Band-Reunion beteiligt waren. Aber nein, wir hatten nicht so viele Bandmitglieder wie Instrumente. Vielmehr war es tendenziell schon früher™️ so, dass einzelne Bandmitglieder mehrere verschiedene Instrumente spielten, und seitdem haben wir, wie ich glaube behaupten zu können, alle noch was dazugelernt – ich zum Beispiel beherrsche, auch wenn ich nicht so oft zum Üben komme wie ich gern möchte, dank meiner Tätigkeit in der Kinderkatechese inzwischen ungefähr sieben Gitarrenakkorde (wobei "beherrschen" vielleicht schon ein bisschen zuviel gesagt ist).
Dieser Trend zum Multiinstrumentalismus bringt es übrigens mit sich, dass es wenig praktikabel und recht umständlich wäre, die beteiligten Personen im weiteren Verlauf dieses Berichts nach ihrer Funktion in der Band zu benennen (Sängerin, Gitarrist...); daher habe ich mich, bei allem Respekt vor Persönlichkeitsrechten, dazu entschlossen, sie im Folgenden bei ihren Vornamen zu nennen. Und ich schätze, zur Vorstellung der Dramatis personae bietet sich erst einmal ein Rückblick auf die Geschichte der Gruppe Basic Stupidity an.
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| Kollege Bernd hatte tatsächlich ein altes T-Shirt mit unseren "Tourdaten" ausgegraben und zum Treffen mitgebracht. Die Rubrik "Coming Soon" ist übrigens aufschlussreich hinsichtlich unserer Ambitionen: Wir wollten erst im Giants Stadium in New York auftreten und dann in der Jahnhalle in Nordenham. Immerhin haben wir das letztere Ziel wenig später tatsächlich erreicht. |
Die Anfänge der Band reichen zurück bis in die 11. Klasse, als der gerade von einem Austauschjahr in den USA zurückgekehrte Robert sich in verschiedenen Konstellationen mit Mitschülern zum gemeinsamen Musizieren traf; dabei zeigte sich bald, dass er und Bernd musikalisch (und wohl auch sonst) am besten miteinander klarkamen. Robert spielte Gitarre, Bernd Keyboard, und nun suchten sie gemeinsam nach weiteren Mitstreitern, die nach Möglichkeit andere Instrumente spielten – was schwierig war, da die meisten Mitschüler, die irgendwelche musikalischen Ambitionen hatten, entweder Gitarre oder Keyboard spielten. Und da schlug nun meine große Stunde, denn ich hatte mir gerade – angeregt durch den John-Hughes-Film "Ist sie nicht wunderbar?" – ein Schlagzeug gekauft, von den Einkünften eines Jobs, den ich explizit zu diesem Zweck angenommen (und, sobald ich das Geld zusammen hatte, wieder gekündigt) hatte. Und so standen eines Tages nach dem Matheunterricht Robert und Bernd vor mir und sagten:
Ich bestätigte das.
"Und wo spielst du? Hast du einen Probenraum?"
"Äh ja, im Keller."
"Cool. Wir kommen Freitag mal vorbei, bisschen Mucke machen."
Und tatsächlich standen am folgenden Freitag gegen 15 Uhr Robert und Bernd mit ihren Instrumenten und Verstärkern bei mir auf der Matte; wir gingen in den Keller, machten rund drei Stunden "Mucke", dann packten sie ihr Equipment wieder ein und sagten:
"Das war cool – wir kommen nächsten Freitag wieder."
Als wir dann schließlich soweit waren, uns als Band zu betrachten und zu bezeichnen (und nicht nur als "ein paar Jungs, die sich nachmittags treffen, um zusammen Mucke zu machen"), zeichnete es sich ab, dass keiner von uns besonders erpicht darauf war, den Leadgesang zu übernehmen. Dieser Umstand brachte uns auf die Idee, uns unter unseren Mitschülern nach einem Sänger oder einer Sängerin umzusehen; idealerweise sollte das jemand sein, der oder die obendrein ein Instrument spielte, das wir noch nicht hatten. Wenig später bekam ich, während ich nach Schulschluss auf den Bus wartete, mit, dass Inga aus meinem Gemeinschaftskunde-Grundkurs Saxophonunterricht nahm, und dachte mir: Saxophon ist ein cooles Instrument, und singen kann die doch bestimmt auch. Daher regte ich an, sie mal zu einer unserer Bandproben einzuladen. Ich glaube, anfangs war sie sich nicht so ganz sicher, ob sie wirklich mit uns in einer Band spielen wollte, aber das gab sich dann doch recht bald.
Und dann war da noch Daniel. Der war zwar offiziell nie Mitglied der Band, dafür aber mit uns allen befreundet und daher bei unseren gemeinsamen Unternehmungen außerhalb des Bandprobenraums eigentlich immer mit dabei. Teilweise auch im Bandprobenraum: Sofern es darum ging, einfach zum eigenen Vergnügen ein bisschen 'rumzujammen, mischte Daniel gern mal mit und probierte sich an verschiedenen Instrumenten aus. Das gipfelte schließlich darin, dass Robert ihm eine eigene E-Gitarre baute: die Daniel Special.
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| Hier guckt sie aus dem Reisegepäck raus. |
Alles in allem war Daniel jedenfalls so eine Art "Ehrenmitglied" der Band, und darum waren wir uns einig, dass wir ihn auch beim Reunion-Wochenende dabeihaben wollten. –
Ingas Ehemann Volker kennen wir ebenfalls alle schon "von früher her": Als Inga in die Band einstieg, war sie noch nicht mit ihm zusammen, aber ein paar Jahre darauf war er mal mit uns allen auf dem Roonkarker Mart und etwas später fuhren wir auch mal zusammen in Urlaub. Auch er beteiligte sich zeitweilig an unserer Reunion-Session in seinem Wohnzimmer, nämlich indem er Schlagzeug spielte – und zwar ehrlich gesagt besser als ich. Fast hätte ich gesagt "besser als ich es jemals konnte", aber das stimmt vielleicht doch nicht; ich bin einfach extrem aus der Übung. In den letzten Sommerferien war ich mit der Familie bei einem "Schlagzeug- und Cajón-Workshop" in der Nordseelagune in Burhave, da musste ich meinen Kindern ja mal demonstrieren, dass ich das im Prinzip mal konnte, und so setzte ich mich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal seit, na, bestimmt irgendwas zwischen zehn und 20 Jahren wieder an ein Schlagzeug – oder, wie Franz Werfel es in "Der veruntreute Himmel" beschreibt, an "[d]as gekoppelte Schlagwerk einer Jazzmusik [...], dessen große Trommel und Becken mittels eines Pedals zu spielen waren". Und ich kann euch sagen, Freunde, wie ich da so saß, dauerte es ein bisschen, bis sich das motorische Gedächtnis einschaltete und ich plötzlich wieder wusste, was ich mit der linken Hand und was mit dem rechten Fuß machen musste. Na, immerhin trug dieses Erlebnis dazu bei, dass ich mich überhaupt traute, mal wieder mit meinen alten Bandkollegen zusammen zu musizieren.
Und was musizierten wir nun? – Kurz gesagt: eine Menge. Aus unserem früheren Band-Repertoire spielten wir u.a. "Ring of Fire" von Johnny Cash (bzw. eigentlich von seiner Frau, June Carter Cash), "99 Luftballons" von Nena und "So Lonely" von The Police; hätten die Urheber der Songs, die wir spielten, dafür Tantiemen bekommen, wäre der große Gewinner des Wochenendes aber Paul Simon gewesen, denn von diesem spielten wir neben dem im vorletzten Wochenbriefing gewürdigten "Diamonds on the Soles of Her Shoes" (das wir recht eigenwillig interpretierten – aber es hatte was) auch "Late in the Evening", "Mrs. Robinson", "The Boxer" und "Bridge Over Troubled Water". Nicht umsonst war Paul Simon schon dreimal in meiner Wochenbriefing-Rubrik "Ohrwurm der Woche" vertreten (was ansonsten bisher nur dem "Credo unplugged"-Projekt meines Freundes Raphael Schadt gelungen ist); und Gitarrist Robert merkte an, wenn man ihn – wie es in Interviews in Musikzeitschriften zuweilen vorkomme – nach einem "perfekten Song" fragen würde, würden ihm vielleicht zehn Songs einfallen, "aber davon wären bestimmt vier von Paul Simon". – Zu meinen persönlichen Highlights der Session zählten "I Shot the Sheriff" (Bob Marley) und "The Girl From Ipanema" (Antonio Carlos Jobim), die ich vor Jahren mal – als "Ik hebb de Wachtmeester doodmaakt" und "De Deern ut Ipwegermoor" – auf Plattdeutsch nachgedichtet hatte und bei denen ich nun mit "meiner" Textfassung den Leadgesang übernahm, während Volker sich ans Schlagzeug setzte. Bisher hatte ich diese Stücke lediglich auf Kleinkunstbühnen in Berlin zusammen mit einem Gitarristen vorgetragen; sie zusammen mit einer kompletten Band zu spielen, war nochmal ein ganz eigenes Erlebnis. Ebenfalls den Leadgesang übernahm ich bei einer zu unserem "alten" Repertoire zählenden Eigenkomposition von Bernd, "Zu hoch für mich" – einer flotten und witzigen Jazz-Pop-Nummer, von der ich finde, man sollte sie mal professionell einspielen und veröffentlichen; die hätte Potential, glaube ich. – Bereits im vorigen Wochenbriefing gewürdigt habe ich unsere Version von Astor Piazzollas "Libertango"; gut zehn Minuten lang probierten wir an "Little Wing" von Jimi Hendrix herum, und ich sag mal, teilweise gelang es uns recht gut. (Okay, seien wir ehrlich: Roberts Gitarrenpart war gut, das Zusammenspiel klappte so mittel und mein Gesang war auch eher so mittel.)
Mein definitiver musikalischer Lieblingsmoment des Wochenendes ereignete sich jedoch kurz vor der Mittagspause in Form einer Funk-Rock-Improvisation mit Bernd an der Trompete, Robert am Bass und Daniel an der Gitarre; Akkordwechsel erfolgten auf Zuruf, ich hörte erst mal ein bisschen zu, ehe ich mich ans Schlagzeug setzte und mitzuspielen begann, schlichter Groove, keine Fisimatenten. Ich will gar nicht behaupten, dass das im Gesamtergebnis unbedingt besser klang als alles andere, was wir an diesem Wochenende spielten; mein Lieblingsmoment war es vielmehr deshalb, weil es sich so anfühlte wie vor rund 30 Jahren im Keller in Burhave. Ich finde es wirklich schade, ausgerechnet dieses Stück nicht aufgenommen zu haben – aber das war mir früher™️ bei vielen unserer gelungensten Improvisationen auch schon so gegangen. Als Bernd dann allerdings die Trompete aus dem Mund nahm und rief "Daniel, Gitarrensolo!", wusste der arme Daniel erst mal nicht, was er machen sollte. Nachdem wir aufgehört hatten zu spielen, fragte Robert Daniel aus heiterem Himmel: "Weißt du, was Pentatonik ist?" Die Antwort bekam ich nicht mit, sie ging vermutlich in Richtung "So ungefähr", jedenfalls erwiderte Robert darauf kurzerhand: "Dann zeig ich dir jetzt mal, wie man ein Solo auf A spielt." Der folgenden Einweisung schaute ich ausgesprochen fasziniert zu, allerdings bin ich mit meinen bescheidenen Gitarrenfähigkeiten noch weit davon entfernt, irgend etwas davon umsetzen zu können.
Und was war jetzt mit dem Honig? – Das war so: Da Inga ja so freundlich war, uns an dem betreffenden Wochenende bei sich zu Hause einzuquartieren und zu verpflegen, hatten Robert, Bernd, Daniel und ich im Vorfeld untereinander beraten, was wir ihr denn als kleines symbolisches Gastgeschenk mitbringen könnten. Schließlich hatte Bernd die Idee, da es uns alle nach unserer gemeinsamen Schulzeit doch in recht unterschiedliche Winkel der Republik verschlagen hatte, könnte doch jeder von uns ein Glas Honig aus regionaler Herstellung mitbringen. Die Idee traf auf allgemeine Zustimmung.
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| Und ich fand auch genau das richtige Produkt für diesen Zweck. |
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| Hier einmal das gesamte Honig-Ensemble auf einem Blick. |
Da im Stadium der Ideenfindung aber auch – wohl eher scherzhaft – von der Option die Rede gewesen war, "etwas Selbstgehäkeltes" mitzubringen, hatte Daniel in Aussicht gestellt, zusätzlich zum Honig auch einen "selbstgehäkelten Whisky" mitzubringen. Ich war mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob das ein Scherz sein sollte. Es war aber keiner.
Alles in allem eine bemerkenswerte Kombination von Talenten, die an diesem Wochenende zusammenkam; da wäre es ja eigentlich geradezu Verschwendung, sich zukünftig nicht öfter zu treffen...! – Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist und gern noch mehr Döntjes aus der Bandgeschichte lesen möchte, dem seien die folgenden Artikel empfohlen:
"Ansichten aus Wolkenkuckucksheim 46" (Rubrik "Ohrwurm der Woche")
"Creative Minority Report Nr. 1" (Rubrik "Ohrwurm der Woche")
und vor allem aber:
Im Übrigen geht's hier übermorgen weiter mit "Utopie und Alltag 2"...






Moin.
AntwortenLöschenIch bin der Gitarrist der zu der Story gehört. Dazu ein paar weitere Zeilen:
Vor vielen Jahren bot sich mir die Gelegenheit, mit einer milde bekannten Band aus Essen zu spielen. Ich habe den Namen vergessen. Irgendeine dieser leicht dreckig poppigen Deutsch-Grunge-Bands die zu Zeiten von Viva2 mal einen Hit hatten den man hätte kennen können.
Die Band wollte zwar was neues anfangen aber damit man was zum Jammen hat, einigten wir uns, diesen (harmonisch banalen) Semi-Hit zum Jammen und kennenlernen zu nutzen.
Das Ding fing mit einer kleinen Gitarrenfigur an. Kein Problem.
Man traf sich.
Man kam auf dieses Lied.
Ich setze ein.
Ich wurde noch im ersten Takt von der Schnappatmung des Sängers unterbrochen: soooo nicht!
Der erste Ton habe unvermittelt anzufangen. Ich hingegen - der respektlose Spring-ins-Feld - war in den ersten Ton hineingeglitten. Wahrscheinlich fand ich es weniger steif so aber noch nicht mal nachgedacht hatte ich darüber. Mir war auch nicht klar, dass jede banale Abweichung von der Planskizze einen Affront bedeutete.
So hatte ich bisher musikalisch nicht gelebt.
Was soll diese Story die zwar lang, aber wenigsten pointenlos ist?
Ich bin dankbar über unsere (also die Band von der oben im Blog berichtet wird) gemeinsame gegenseitige musikalische Sozialisation, der Genres oder Fehler oder auch nur ein grober Plan immer egal oder sogar aktiv zuwider waren. Das war viel wert. Spontanität über allem!
Ich erinnere mich dass wir zwischendurch überlegten, die Band zu erweitern aber meistens kamen diese Leute mit der großen Ungewissheit von "Komm wir spielen irgendwas, vermutlich in A aber auch das wird kurz darauf Verhandlungssache" nicht ganz klar.
Was für eine schöne Sache. Einfach Musik machen, einfach so. Was für ein Glück, das machen zu können mit Leuten, denen Musik als Spiel auch wichtiger war als das Befolgen von Strukturen oder Vorgaben.
Toll.
Geile Sache gewesen. Finde ich immer noch. Prägend und cool.
Glück auf!
Korrektur: Inga war sich an jenem Tag auf dem Schulhof, in sie dich das Mitmachen wirklich traute. Aus mindestens 2 Gründen:
AntwortenLöschen1.) Die sind zu hoch für mich (auf der Coolness-Skala).
2.) Die sind zu hoch für mich (auf der Musik-Beherrschungsskala).
Aber meine Herren, das „mich doch trauen“ war definitiv eine der besseren Entscheidungen im Leben.