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Donnerstag, 20. Februar 2020

Baumhaus Berlin: Be the Change you want to see in the World

Regelmäßigen Lesern meiner Artikelserie "Kaffee & Laudes" dürfte nicht entgangen sein, dass ich schon mehrfach das "Baumhaus" im Berliner Ortsteil Wedding - laut Eigenbeschreibung ein "Projektraum für sozial-ökologischen Wandel" - erwähnt und insbesondere die dort regelmäßig stattfindende "Community Networking Night" in den höchsten Tönen gelobt habe. Wenn ich mich ohne Nachschauen korrekt erinnere, habe ich auch schon mehr als einmal in Aussicht gestellt, mal in einem eigenständigen Artikel ausführlich zu erläutern, was ich daran eigentlich so toll finde und inwiefern ich das für den Interessenschwerpunkt dieses Blogs (Gemeindeerneuerung, Neuevangelisierung, "christliche Graswurzelrevolution") als relevant betrachte. Nach meinem jüngsten Besuch dort - anlässlich einer als "Emergency Meeting" angekündigten Veranstaltung in der letzten Januarwoche - scheint mir nun die Zeit gekommen, dieser Ankündigung endlich mal Taten folgen zu lassen. 

Also, habe ich mir gedacht, gehe ich mal vom Speziellen zum Allgemeinen vor und fange mit der Schilderung des besagten "Emergency Meetings" an, um von da aus darauf zu kommen, was ich grundsätzlich so toll am Baumhaus finde. 

Von einer "normalen" Community Networking Night unterschied sich die genannte Veranstaltung im Wesentlichen durch eine Ansprache des Baumhaus-Co-Initiators Scott Bolden; und ich muss sagen: Eine Ansprache wie diese würde ich gern einmal in einem kirchlichen Kontext hören, sei es als Predigt im Gottesdienst oder auch in einem nicht-liturgischen Zusammenhang. Mir ist klar, dass diese Aussage zu Fehldeutungen einlädt, aber keine Sorge, ich werde sie gleich erläutern. Das Thema der auf Englisch gehaltenen Ansprache war, dem Motto des Abends entsprechend - "Emergency",  also "Notsituation" oder auch "Ernstfall"; wider Erwarten stand dabei indes die angespannte finanzielle Situation des Baumhauses, die in der Veranstaltungsankündigung hervorgehoben worden war, gar nicht so sehr im Vordergrund -- die spielte Scott eher herunter. Ja, natürlich sei das Baumhaus zur Deckung seiner Fixkosten (s. Abb.) auf Spenden angewiesen, und augenblicklich besonders: Die Kostendeckung für die nächsten zwei Monate stehe auf recht wackligen Füßen, man könne da also jede Unterstützung brauchen, die zu haben sei. Gleichzeitig verbreitete er aber Optimismus: Man werde diese Durststrecke schon überstehen und weitermachen.



Wesentlich mehr als um den akuten Geldbedarf des Projekts ging es in der Ansprache aber um die Frage "Wozu machen wir das alles hier überhaupt?", und in diesem Zusammenhang äußerte Scott die Überzeugung, dass sich die ganze Welt in einer Notfallsituation befindet: dass sie auf einen sozialen, ökonomischen und nicht zuletzt natürlich ökologischen Kollaps zusteuert, und wenngleich die Vorboten der Katastrophe im Alltag der meisten Menschen hierzulande noch nicht spürbar seien, sei doch jetzt die Zeit, Maßnahmen zu ergreifen, um die Katastrophe nach Möglichkeit noch abzuwenden. In jedem Katastrophenfilm, so Scott, gibt es diese Sequenz vor dem dramatischen Höhepunkt - bevor der Meteorit einschlägt, der Vulkan ausbricht, die Flutwelle die Küste erreicht, die Ork-Armee ins Land einbricht -; eine Sequenz, in der die Helden der jeweiligen Geschichte sich zusammentun und ihre unterschiedlichen Fähigkeiten und Ressourcen kombinieren, um sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten. Eine Sequenz, in der Schiffe gezimmert, Vorräte gesammelt, Waffen geschmiedet, Formeln berechnet werden. Das, sagte Scott, ist die Situation, in der wir uns befinden, und das ist es, was wir tun.

Und ich dachte mir: Ich würde gern mal erleben, wie ein Kirchenvertreter mit einem vergleichbaren Sinn für Dringlichkeit über die spirituelle Krise der westlichen Welt spricht. 

Dieser Gedanke drängte sich umso mehr auf, als Scott Bolden, so wie ich ihn kennengelernt habe, jemand ist, der sich sehr im Klaren darüber ist, dass die ökologische Krise, ursächlich betrachtet, auch und nicht zuletzt eine spirituelle Krise ist. Mir fällt dazu Johannes Hartls auf der jüngsten MEHR-Konferenz gehaltener Vortrag über die "Ökologie des Herzens" ein. Ich weiß nicht, wie Scott zum christlichen Glauben steht - mein Eindruck ist, dass seine Spiritualität eher pantheistisch orientiert ist -; aber ich bin ziemlich überzeugt, dass über die These, dass Zerstörungen des natürlichen Lebensraums ihren Ursprung letztlich in einer unerfüllten Sehnsucht des menschlichen Herzens haben, zwischen ihm und Hartl ein hohes Maß an Übereinstimmung herrschen würde. So ist der "sozial-ökologische Wandel", den zu fördern das Baumhaus sich auf die Fahnen geschrieben hat, auch und nicht zuletzt als ein Wandel zu verstehen, der in den Herzen der Menschen zu beginnen hat. Aus diesem Grund ist das Baumhaus so darauf bedacht, Gemeinschaft zu stiften, Menschen miteinander in Verbindung zu bringen, um so in kleinem Maßstab Strukturen zu etablieren, die zur Keimzelle oder, wenn man so will, zum "Versuchslabor" für eine menschlichere Gesellschaft werden können.

Nichts anderes als dies bedeutet letztlich das Prinzip "Graswurzelrevolution". Und eine spezifisch christliche Version einer solchen Graswurzelrevolution - nicht in dem Sinne, dass der christliche Glaube gewissermaßen als Sahnehäubchen auf die Vision von der menschlicheren und zugleich ökologisch nachhaltigeren Gesellschaft draufgesetzt wird, und erst recht nicht im Sinne einer Reduktion und Abstraktion des christlichen Glaubens zu "christlichen Werten", die in einer solchen Gesellschaftsvision problemlos ihren Platz fänden, sondern vielmehr so, dass das Motto "Instaurare omnia in Christo" ("alles in Christus erneuern") die Maßstäbe dafür setzt, was man unter einer wahrhaft menschenfreundlichen Gesellschaft versteht -, wäre nach meinem Verständnis die #BenOp. So, hätten wir das mal geklärt.

Nun hat das Baumhaus, wie bereits angedeutet, zwar nicht diesen christlichen Aspekt, aber auf der anderen Seite fehlt vielen kirchlichen Einrichtungen dafür alles andere. Oder nein, ehrlich gesagt ist es sogar noch schlimmer: In vielen kirchlichen oder kirchennahen Initiativen findet man den dezidiert christlichen Aspekt ebenfalls nicht, oder höchstens in einer so verwässerten Gestalt, dass man darauf schließlich auch noch verzichten könnte. Aber auch da, wo dieser letztgenannte Kritikpunkt nicht oder nur zum Teil zutrifft, packt mich in jüngster Zeit immer häufiger die Ungeduld gegenüber der, wie mir scheint, charakteristischen Behäbigkeit volkskirchlicher Strukturen, die mangels Visionen und Phantasie einfach so weiterwurschteln, wie sie es seit jeher gewohnt sind, und dabei beharrlich ignorieren, dass ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Und deshalb stellt für mich das Baumhaus - wo ich Menschen begegne, die die Überzeugung ausstrahlen, dass es sowohl notwendig als auch möglich ist, die Welt zu verändern - einerseits eine Erholung vom Kirchenfrust dar und andererseits auch einen Ansporn, etwas von diesem "Spirit" in den kirchlichen Raum hineinzutragen.  

Nun aber mal von vorne: Dass ich überhaupt aufs Baumhaus aufmerksam geworden bin, das immerhin zehn U-Bahn-Stationen von meinem Zuhause entfernt liegt (was für Berliner Verhältnisse allerdings noch als "halbwegs nah" gelten kann), verdanke ich tatsächlich Facebook, und zwar genauer gesagt der Rubrik "Veranstaltungen, die dich interessieren könnten". Da hatte der olle Algorithmus mal den richtigen Riecher.  Bei der betreffenden Veranstaltung, die am Vorabend des Palmsonntags 2019 stattfand, handelte es sich um eine Buchvorstellung zu Anja Hradetzkys "Wie ich als Cowgirl die Welt bereiste und ohne Land und Geld zur Bio-Bäuerin wurde"; das Buch habe ich hier und auch in der Tagespost ausführlich gewürdigt, es hat Platz 5 auf meiner Buchtipp-Rangliste des Jahres 2019 erreicht, aber nicht nur deshalb hat sich der Besuch gelohnt. Die Location fand ich schon allein von der Raumgestaltung her einfach total schön - wie man, außer auf den folgenden Fotos, auch unter diesem Link nachvollziehen kann -, aber mindestens ebenso gut gefiel mir die Ausstrahlung der Leute dort. Man fühlte sich einfach willkommen, hatte den Eindruck, von lauter netten, interessanten und aufgeschlossenen Menschen umgeben zu sein. Seither - das habe ich, glaube ich, auch schon mal irgendwo geschrieben - treibt mich die Frage um, wie man einen Raum gestalten muss, damit er quasi "von selbst" die richtigen Leute anlockt




Ja, das ist eine Toilette. Die wahrscheinlich schönste nicht-private Toilette Berlins. 
Zwischen meinem ersten und meinem zweiten Besuch im Baumhaus - diesmal mit Frau und Kind, zur Community Networking Night - vergingen sage und schreibe drei Monate, wovon allerdings (wie man in der Reihe "Kaffee & Laudes" detailliert nachlesen kann) ungefähr der letzte Monat damit verging, dass wir praktisch jede Woche vorhatten, da hinzugehen, und es dann doch nicht schafften. Auch jetzt noch denke ich nahezu jede Woche "Man könnte ja mal wieder..." und schaffe es dann doch viel seltener, als ich eigentlich möchte. Was mich an dem Veranstaltungsformat Community Networking Night von vornherein interessierte, war seine strukturelle Ähnlichkeit mit unserem "Dinner mit Gott", oder, wenn man ehrlich ist, damit, wie ich mir unser "Dinner mit Gott" idealerweise vorstellen würde. Tatsächlich habe ich - wie ich bereits in einem eigenen Artikel dargelegt habe - meine Erlebnisse bei der Community Networking Night im Baumhaus zum Anlass genommen, beim "Dinner mit Gott" einige konzeptionelle Änderungen einzuführen, um dieser Idealvorstellung etwas näher zu kommen. Ein knappes halbes Jahr später würde ich sagen, dass diese Änderungen durchaus "etwas gebracht" haben, aber letztendlich steht und fällt so ein Konzept immer mit den Leuten, die daran teilnehmen, und da ist nach wie vor Luft nach oben. 

Das für mein Empfinden interessanteste Segment der Community Networking Night im Baumhaus nennt sich "News You Can Use"; in dem just erwähnten Artikel zur Neugestaltung des "Dinner mit Gott" beschrieb ich die Kernidee dieses Programmpunktes wie folgt: 
"Schlicht gesagt geht es darum, allen Teilnehmern Gelegenheit zu geben, Projekte und Ideen vorzustellen, an denen sie gerade arbeiten und/oder bei denen sie Unterstützung benötigen, und Dienste oder Hilfen jedweder Art anzubieten oder zu suchen. (Gibst Du Gitarrenunterricht oder würdest Du gern welchen nehmen? Kannst Du Fahrräder reparieren oder ist Dein Fahrrad gerade kaputt? Suchst Du Helfer für einen Umzug oder zum Äpfelpflücken?)"
Bei dieser "News You Can Use"-Runde gibt es, so oft ich bisher dabei war, immer allerlei Interessantes und Verblüffendes. Neulich im Rahmen des "Emergency Meetings" auch wieder. "Wir planen gerade einen Lehmofen." -- "Heißt das, ihr baut einen Lehmofen?" -- "Nein, im Moment planen wir ihn nur." -- "Wir kommen aus Japan und sind in Berlin für ein Projekt, bei dem wir aus Pappe und Elektroschrott Roboter bauen." Das nur mal als ein paar Beispiele dafür, was da für Leute hinkommen. Wieso kommen solche Leute nicht zu unseren Veranstaltungen? Man muss offenbar der Tatsache ins Auge sehen, dass eine Kirchengemeinde nicht gerade der Ort ist, wo Leute als erstes hingehen, wenn sie ein spannendes Projekt planen und dafür Unterstützer suchen - oder auch umgekehrt, wenn sie sich denken "Ich würde gerne Leute kennenlernen, die Ideen für spannende Projekte haben, bei denen ich mitmachen könnte." Aber warum ist das so? Vermutlich gibt es eine Reihe unterschiedlicher Aspekte, die dazu beitragen, aber ich denke mir, es müsste doch möglich sein, etwas daran zu ändern. Zum Beispiel, indem man in der Kirchengemeinde eine Atmosphäre schafft, die auf solche Leute einladender wirkt. 

Demselben Ziel, Leute, die etwas anzubieten haben, mit Leuten zusammenzubringen, die etwas suchen, dient eine Pinnwand im Flur zu den Toiletten: 


Huch, da hängt ja ein Mittwochsklub-Flyer. Wer den da wohl hingehängt hat. Zwinkersmiley. 
Okay, so eine Pinnwand ist im Prinzip nicht unbedingt eine originelle Idee. Deshalb soll es die demnächst auch als App geben. Kein Scherz. Aber originell oder nicht, ich frage mich bei diesem Anblick: Wieso haben wir so eine Pinnwand nicht? In der Kirche, meine ich. Ja, es gibt eine Art "Schwarzes Brett" im Windfang der Kirche, aber das wird nicht auf diese Weise genutzt. Das erinnert mich übrigens an einen Artikel von der guten Simcha Fisher mit dem schönen Titel "Committees are no Substitute for True Community". Den hatte ich eigentlich schon längst mal in meine wöchentlichen Linktipps (im Rahmen von "Kaffee & Laudes") aufnehmen wollen, habe dann aber doch davon Abstand genommen, da es nur ein Auszug aus einem in dem australischen Magazin Catholic Weekly erschienenen Artikel ist und die Website von Catholic Weekly sich aus obskuren Sicherheitsgründen von einer deutschen IP-Adresse nicht öffnen lässt. Aber was soll's, dann begnügt man sich eben mit der Kurzfassung und denkt sich den Rest selber. Fällt zumindest mir nicht sehr schwer. Einleitend schildert die liebe Simcha nämlich eine Kirchengemeinde, der sie und ihre Familie früher mal angehört haben und die "eine echte Gemeinschaft" gewesen sei: 
"Die Gemeinde war wirklich divers, es gab dort reiche und arme Leute, alte und junge, gesunde und kranke, und sie war auch ethnisch und kulturell sehr gemischt. [...] Nachdem wir uns auf dem E-Mail-Verteiler der Gemeinde eingetragen hatten, erhielten wir regelmäßig Mails: Der und der braucht jemanden, der ihn am Donnerstag zum Arzt bringt. Der und der braucht Hilfe beim Ölwechsel. Zufällig habe ich in dem Zeitraum, in dem wir zu dieser Kirchengemeinde gehörten, kein Kind zur Welt gebracht, aber ich kann mir die Lawine von Eintopfgerichten und selbstgehäkelten Strampelhöschen gut vorstellen, die über uns hereingebrochen wäre, wenn das der Fall gewesen wäre." 
Und sie resümiert: "Im Grunde ist es tragisch, dass ich diese Gemeinde als etwas so Besonderes erlebt habe -- und nicht als den Normalfall." Tja. Isso. Es sollte eigentlich der Normalfall sein. Aber solange das nicht der Fall ist, muss es halt Leute geben, die mit gutem Beispiel vorangehen. -- So, damit habe ich jetzt eigentlich alles gesagt, was ich sagen wollte, und würde alles Weitere gern meinen Lesern zum Selber-Weiterdenken überlassen. Aus kompositorischen Gründen müsste ich zwar zum Ende dieses Artikels eigentlich wieder einen Bogen zurück zum Anfang und somit zum Baumhaus schlagen, aber vielleicht spare ich mir das einfach, klappe stattdessen den Rechner zu und gehe zur Community Networking Night. Das letzte Mal ist schließlich schon wieder drei Wochen her... 



1 Kommentar:

  1. Tatsächlich habe ich eine ähnliche Pinwand mal in einer Kirchengemeinde entdeckt (Zürich, Maria Lourdes) - allerdings wurde / wird diese wenig genutzt, da sie in einer Art Teeküche hängt, die nur zu bestimmten Anlässen geöffnet ist und nur von "ausgewählten" Gruppen benutzt wird.

    Hier in Freiburg findet man solche Pinwände gelegentlich in Supermärkten (und da werden die durchaus genutzt).

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