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Donnerstag, 11. Juni 2015

Slam, Slammer, am Schlimmsten

Vor wohl so ungefähr zehn Jahren begegnete ich eines Abends im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg unverhofft einem ehemaligen Kommilitonen, der Schauspieler geworden war - schon während des Studiums war er häufig auf diversen Off-Bühnen zu sehen gewesen - und der mich aus schierer Freude über dieses überraschende Wiedersehen spontan zum Essen einlud. Dabei erzählte er mir, er werde am nächsten Sonntag in einer nahe gelegenen evangelischen Kirche predigen, und lud mich dazu ein. 
"Wie, du predigst da?", fragte ich verständnislos - und fügte hinzu: "Ich wusste gar nicht, dass du gläubig bist." 
"Bin ich auch nicht", bestätigte mein Bekannter. "Also nicht im eigentlichen Sinne. Mein Verhältnis zum Glauben ist eher ein suchendes. Aber das stört die Kirche nicht. Im Gegenteil, ich glaube, die wollten mich gerade deshalb haben. Für so eine Reihe mit Gastpredigten zum Thema 'Was bedeutet Glauben für mich?'. Von ganz verschiedenen Leuten." 

Ich ging tatsächlich hin. Martin (so hieß mein Bekannter) trug einen Text vor, der in Tagebuchform verschiedene Erlebnisse reflektierte, die im weitesten Sinne etwas mit Religion zu tun hatten; der Text war interessant und vielschichtig und warf Fragen auf, ohne Antworten zu geben. Ich fand ihn durchaus gelungen und den Vortrag - erwartungsgemäß - sehr gekonnt, wunderte mich allerdings darüber, dass so ein Beitrag den Platz einer Predigt in einem regulären Sonntagsgottesdienst einnahm. Die Gemeinde jedoch war, wie sich beim anschließenden Beisammensein im Pfarrgarten zeigte, mehr als angetan; eine nicht mehr junge Dame erklärte sogar, das sei die beste Predigt gewesen, die sie seit Langem gehört habe. 

I. 

Dieses Erlebnis fiel mir wieder ein, als ich bei meinem Kurzbesuch auf dem Evangelischen Kirchentag am Samstagabend die Abschlussveranstaltung eines Workshops im Zentrum Gottesdienst in der Steigkirche besuchte: einen so genannten Predigt-Slam. Wie Poetry Slam, nur eben als Predigt. Der Andrang bei dieser Veranstaltung war enorm: Schon fast eine halbe Stunde vor Beginn mussten die Kirchentags-Helferlein den Neuankömmlingen die wenigen noch verbliebenen Sitzplätze einzeln anweisen, und da die Plätze in den Kirchenbänken bei Weitem nicht ausreichten, kamen kirchentagstypische Papphocker und Papphockerinnen zum Einsatz. - Das Konzept der Veranstaltung: Sieben Teilnehmer (und -innen) des Workshops tragen einen jeweils selbst verfassten Text vor, eine Jury aus dem Publikum vergibt Punkte dafür - wobei zwischen der Qualität des Texts und der Qualität des Vortrags nicht differenziert wird: Beides wird als Einheit betrachtet. Der einzige Unterschied zum Poetry Slam ist der, dass der vorgetragene Text eine Predigt sein soll. So weit, so (mehr oder weniger) lustig.

Es liegt aber wohl einigermaßen auf der Hand, dass es bei diesem Predigt-Slam um mehr ging als nur um eine heitere Samstagabendveranstaltung: nämlich darum, eine neue Art des Predigens einzuüben. Deshalb hatte es im Vorfeld einen Workshop gegeben, bei dem die Teilnehmer im Verfassen und Vortragen Slam-tauglicher Texte geschult wurden; darüber, was bei diesem Workshop so alles eingeübt wurde, berichtet ein Artikel des Magazins Chrismon (dessen Verfasser, Burkhard Weitz, mir übrigens in der U-Bahn gegenüber saß, als ich nach dem Predigt-Slam zurück in die Stuttgarter Innenstadt fuhr).

Geleitet wurde der Workshop von den erfahrenen Slammern Bo Wimmer (der die Abschlussveranstaltung moderierte) und Holger Pyka (der selbst am Wettbewerb teilnahm und ihn - um hier gleich schon mal alle Spannung 'rauszunehmen - mit der maximal möglichen Punktzahl von 27 Punkten gewann). Pyka wirft im Chrismon-Artikel die Frage auf: "Ist die Slampredigt eine Predigt?" - und gibt darauf gleich zwei denkwürdige Antworten:
"Nein, denn sie wird bewertet. Es gehe beim Poetryslam darum, einen Wettbewerb zu gewinnen. Zweite Antwort: Ja, denn auch die Sonntagspredigt wird bewertet, spätestens dadurch, dass sich Menschen entscheiden, nicht zum Gottesdienst zu kommen. Wenn die meisten Plätze in der Kirche leer blieben, so Pyka, sei das auch ein Votum."
Eine Aussage, die durch ihre Zirkelschlüssigkeit besticht - aber doch immerhin deutlich macht, worum es geht: so zu predigen, dass es bei den Leuten ankommt - dass es idealerweise sogar Leute anlockt. - Nun könnte man sagen, die Vorstellung, Leute würden deshalb in die Kirche kommen, weil sie eine tolle Predigt hören wollen, sei im Ansatz ausgesprochen protestantisch; in ihren Konsequenzen ist sie aber möglicherweise noch nicht einmal das. Man muss hier einmal die Frage stellen: Was ist eine Predigt im klassischen protestantischen Verständnis eigentlich, was sollte sie sein?
Tante Wiki definiert eine Predigt als "Rede mit religiösem Inhalt oder eine Rede im Kontext einer religiösen Feier". Konzentrieren wir uns hier getrost auf den zweiten Teil dieser Definition: die Predigt im Gottesdienst, v.a. im katholischen Bereich auch Homilie genannt. Klassischerweise dient sie - auch wenn das in der Praxis nicht immer und überall so gehandhabt wird - der Auslegung der im Gottesdienst verlesenen Schrifttexte. Die Katholische Kirche hatte das Predigen seit dem Mittelalter ausschließlich Priestern und Diakonen vorbehalten; das heißt: Die Vollmacht, der Gemeinde das Wort Gottes auszulegen, wurde an die Weihe gebunden. Die protestantischen Konfessionen haben aber das Weihepriestertum abgeschafft und kennen nur das "allgemeine Priestertum der Gläubigen"; was also qualifiziert da einen Einzelnen, den Anderen das Wort Gottes auszulegen, ja, sie im Glauben zu unterweisen? - Dieses Problem ist durchaus komplex, aber man kann durchaus auch versuchen, es ganz einfach zu betrachten: Handelt es sich beim protestantischen Prediger um einen Pastor oder sonstigen Berufstheologen, dann besteht eine kaum bestreitbare Qualifikation zur Schriftauslegung und Glaubensunterweisung in seinen im Vergleich zu den Zuhörern fundierteren und umfassenderen theologischen Kenntnissen. An die Stelle von göttlicher Vollmacht durch Weihe tritt somit fachliche Kompetenz - womit bei der Predigt der Aspekt der Belehrung Unwissender in den Vordergrund tritt. Nicht ohne Grund ist die traditionelle Amtskleidung evangelischer Geistlicher der Talar, der ursprünglich zur akademischen Kleidung an mittelalterlichen Universitäten gehörte. Der Prediger, zuvor ein geweihter Gottesmann, wird mit der Reformation in erster Linie zum Lehrer.

Problematisch daran ist aus heutiger Sicht, dass es nicht besonders populär ist, sich belehren zu lassen. Die Leute mögen es nicht, wenn man von oben herab zu ihnen spricht, deshalb haben die Kanzeln vielerorts ausgedient. "Der klassische Prediger distanziere sich von vornherein vom Publikum: durch Talar, Altar und Kanzelsegen", wird abermals Holger Pyka zitiert; beim Slam-Workshop dagegen sollen die Teilnehmer lernen, ihrem Publikum von Gleich zu Gleich gegenüberzutreten: "Keine Verkleidung [!], keine Barriere". Na fein: Dieses von Gleich zu Gleich entspricht ja auch sehr schön der Idee des allgemeinen Priestertums der Gläubigen. Aber damit stecken wir wieder mittendrin im bereits angesprochenen Dilemma: Wenn der Typ, der da vorne steht und predigt, just a regular Joe ist - nur ein ganz normaler Typ -, warum steht dann gerade der da vorne und predigt? - Die einzige Antwort, die es darauf noch gibt, lautet: Weil er es KANN. Und dass er es kann, dafür soll der Slam-Workshop sorgen.

Und was lernt man da so? - Spontaneität, Improvisation, freies Assoziieren, "Elfchen" schreiben - letzteres eine Gedichtform, bei der der erste Vers aus einem Wort besteht, der zweite aus zwei Wörtern, der dritte aus drei, der vierte aus vier und der fünfte wieder nur aus einem. Kann ich auch:
Chrismon. 
Platte Schreibe. 
Phrasen tönen hohl. 
Substanz sucht man vergeblich. 
Altpapier. 
Das alles seien "Übungen, die auch in einer Gemeinde ganz viel Phantasie triggern können", meint Chrismon-Autor Weitz wie zur Bestätigung - und beruft sich nochmals auf Holger Pyka, der meint, "Slammer würden eine größere Vielfalt an Formen und Stilmitteln in die Predigt bringen" - und nicht zuletzt "Spielfreude".
"Die Form ist offen: Balladen, Parabeln, Briefe, Witze, Gebrauchsanweisungen. Auch die Palette der Stilmittel ist groß: Übertreibung, Endreim, Kontrast, Ironie, Wiederholung, Metaphern, rhetorische  Fragen, Pausen - was einem so einfällt." 
-- Angesichts des beschriebenen Trainingsprogramms kann es nicht verwundern, dass einige der sieben Slam-Beiträge des Samstagabends sich zumindest passagenweise anhörten wie eine Mischung aus freier Lyrik und Freestyle-Rap. Noch dominanter ist allerdings der stilistische Einfluss von Stand-up-Comedy. Auch das ist nur allzu verständlich: Angesichts des Wettkampfcharakters der Veranstaltung muss der Slammer natürlich bestrebt sein, das Publikum möglichst schnell für sich einzunehmen, und das geht am besten, indem man es zum Lachen bringt.

Klare Aussagen, Glaubensaussagen gar, muss man in den sieben Slam-Beiträgen mit der Lupe suchen. Das ist durchaus kein Versehen: Man will ja nicht belehren. Mindestens zwei der Beiträge enthalten sogar deutliche satirische Seitenhiebe auf "Fachtheologen", deren Fachwissen letztlich nur eine Distanz zwischen ihnen und dem Publikum aufbaue, die man ja gerade nicht will. Tatsächlich hatte ich den Eindruck, dass gerade diejenigen Beiträge, die noch am ehesten bestrebt schienen, etwas theologischen Gehalt zu vermitteln, bei Jury und Publikum am schlechtesten ankamen. "Glaubensunterweisung" ist out, Predigten nach Slammer-Art dürfen und sollen Denkanstöße bieten, Fragen aufwerfen -- aber keine Antworten geben. Die Antworten sollen die Hörer sich bitteschön selbst suchen, man will ja niemanden bevormunden.

(Das Problem an Denkanstößen ist freilich, dass man nie weiß, in welche Richtung der angestoßene Gedanke rollt. Nicht umsonst sagt man ja, der Kopf sei rund, damit das Denken die Richtung wechseln könne. Und je "poetischer" und vieldeutiger die Texte daherkommen, je mehr Assoziationsspielraum sie bieten, desto größer ist das Risiko, dass beim Hörer ausgesprochen heterodoxe, ja häretische Botschaften ankommen. Sofern das nicht sogar so gewollt ist - beispielsweise, wenn die biblische Sündenfall-Erzählung in den Versen "Riskier doch den Garten / Um Welt zu gewinnen" zusammengefasst wird.)

Klar ist jedenfalls: In Predigten nach Slammer-Art wird kein Glaube verkündigt, es wird lediglich Material bereitgestellt, aus dem der einzelne Hörer sich seinen eigenen individuellen Glauben gestalten kann. Das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was man früher einmal unter einer "Predigt" verstanden hat.

Aber zweifellos ist das total zeitgemäß, und die Leute lieben es. Slammer-König Holger Pyka, seines Zeichens Pastor in Köln, berichtete launig, jüngst habe ihn sogar eine 70jährige Dame aus seiner Gemeinde gefragt, wann es denn mal wieder im Gottesdienst eine Predigt im Slam-Stil geben werde. Merke: Das ist das ultimative Qualitätssiegel für eine gelungene Innovation - wenn sie sogar den alten Leuten gefällt. Dabei ist das so erstaunlich ja nun eigentlich nicht; man vergisst nur allzu leicht, dass die originale Hippie-Generation auch schon im Rentenalter angekommen ist. 

II. 

Im Grunde hätte ich den Predigt-Slam in der Steigkirche gar nicht für wert gehalten, ihn hier so einlässlich zu bespreche, wenn es nicht so offensichtlich wäre, dass dieses Format gewissermaßen Teil eines Versuchslabors für die Kirche der Zukunft ist. Die Auffassung, genau so müsse man heute predigen (und morgen erst recht), schien für Teilnehmer und Publikum ein unhinterfragbares Dogma zu sein. -- Zugegeben, bei den Protestanten habe ich es im Grunde aufgegeben, mich darüber zu wundern, dass sie so erpicht darauf sind, die letzten Reste von Tradition, liturgischer Form und inhaltlicher Verbindlichkeit, die es bei ihnen noch gibt, auch noch über Bord zu werfen: Diese Neigung ist dem Protestantismus wohl in gewissem Maße inhärent. Man könnte sagen, in der Reformation haben die Protestanten das herrliche, architektonisch anspruchsvolle Gebäude der katholischen Dogmatik und Liturgie eingerissen, und jetzt hocken sie in den immer weiter zerfallenden Ruinen und spielen mit Backförmchen. Als Katholik könnte ich nun zwar sagen "Soll'n se doch, wenn's ihnen Spaß macht"; befremdlich ist es aber, dass es augenscheinlich auch nicht gerade wenige Katholiken gibt, die finden, so ein imposantes Gebäude sei doch gar nicht mehr zeitgemäß, die Ruinen der Protestanten seien viel gemütlicher, und sie würden auch viel lieber mit Backförmchen spielen.

Fallbeispiele ließen nicht lange auf sich warten. Von der Steigkirche aus fuhr ich mit der U-Bahn zum Schlossplatz und ging von dort zur katholischen Domkirche St. Eberhard, der Konkathedrale des Bistums Rottenburg-Stuttgart. Eigentlich hatte ich die Absicht, dort - sofern die Kirche noch offen sein würde - etwas Ruhe und innere Einkehr in katholischer Umgebung zu suchen; diesbezüglich hatte ich aber kein Glück: Als ich kurz vor 22 Uhr dort eintraf, war die Kirche nicht nur offen, sondern es waren auch auffallend viele Leute dort - und wie sich zeigte, hatte das einen Grund. Ich hatte mich kaum in der Bank niedergelassen, da begann die Orgel zu spielen, und eine Frau in einer Mantelalbe kam herein und postierte sich am Ambo. Eine Liednummer wurde eingeblendet, aber wie sich zeigte, bezog sie sich nicht auf das Gotteslob, sondern auf das Kirchentags-Liederbuch: Gesungen wurde "Meine Zeit steht in Deinen Händen". Anschließend begrüßte die Frau in der Albe alle Anwesenden "zum Nachtgebet". Schau an, da betritt man aufs Geratewohl eine Kirche und kommt genau rechtzeitig zum Nachtgebet. Schöne Sache eigentlich. Nun hätte ich mir allerdings als Nachtgebet etwas gewünscht, das zumindest eine gewisse Ähnlichkeit mit der Komplet hätte. Idealerweise natürlich eine "richtige" Komplet. Ich meine: Da hat man mal um 22 Uhr eine ausgesprochen gut besuchte Kirche; wäre das nicht eine ideale Gelegenheit, die Schönheit des Stundengebets - dessen Pflege schließlich auch das so gern beschworene II. Vatikanische Konzil so nachdrücklich gewünscht hat (vgl. Sacrosanctum Concilium Kap. IV) - einer großen Zahl von Menschen nahe zu bringen? Oder anders gefragt, muss man partout neue Formen gottesdienstartiger Feiern aushecken, während man gleichzeitig die Schatzkammern der kirchlichen Tradition noch lange nicht ausgeschöpft hat? - Die Gestalter dieses Nachtgebets waren offenbar der Meinung, man müsse. Man hatte geradezu den Eindruck, jegliche Ähnlichkeit mit der Komplet solle gezielt vermieden werden. Gewissenserforschung? Schuldbekenntnis? Hymnus? Psalmodie? Nix da, die Dame am Ambo hielt eine gefühlig-schwammige Ansprache darüber, was Beten bedeute und warum es so wichtig sei, dann wurde eine weitere Nummer aus dem Kirchentagsliederbuch gesungen ("Laudate omnes gentes", also wenigstens ein Vers aus einem Psalm, und der sogar auf Latein - man staunt!). Anschließend kündigte die Vorturnerin eine "Lesung aus dem Evangelium nach Johannes" an, las aber stattdessen aus der Apostelgeschichte. Das Pfingstereignis. Und nach einem weiteren grausigen Kirchentagsschlager folgte doch tatsächlich eine Art Predigt - in der die Albenträgerin allen Ernstes Parallelen zwischen dem Pfingstereignis und dem Evangelischen Kirchentag zog: "Plötzlich ist da etwas, das Mut macht und Hoffnung... Die Funken, die sich hier in diesen Tagen neu entzünden, werden wir voll Freude weiter versprühen..." An dieser Stelle stieg ich innerlich aus, betete lieber still für mich die Komplet aus dem Gotteslob und verließ dann die Kirche. In Sicht- und Hörweite einer Gruppe afrikanischer Trommler setzte ich mich auf eine Bank und betete dort noch einen Rosenkranz. Die schmerzhaften Geheimnisse erschienen mir als die passendsten.

III.  

Nachdem ich in der Nacht erst ziemlich spät und nur mit viel Glück noch einen Schlafplatz ergattert hatte, hatte ich am Sonntagmorgen Mühe, aus den Federn zu kommen; zur 10-Uhr-Messe in St. Eberhard war ich folglich ein bisschen spät dran, dachte mir aber: Na, um 12 Uhr ist ja auch noch eine. Dann muss ich mich ja nicht beeilen. Ein Fehler, wie sich zeigte - oder vielleicht auch nicht, denn wäre ich nicht in die 12-Uhr-Messe gegangen, dann könnte ich jetzt auch nicht darüber bloggen. Sonntags um 10 Uhr zelebriert nämlich Stadtdekan und Dompfarrer Christian Hermes, und bei dem kann man sich darauf verlassen, dass alles rite et recte zugeht. Um 12 Uhr hingegen ist Pfarrer ***** ********* dran und verfährt mit dem Messbuch, wie er es für richtig hält. Die Stuttgarter wissen das und stellen sich darauf ein - das hat mir Pfarrer ********* im Wesentlichen selbst bestätigt.

[Wichtiger Hinweis: Die Nennung des Namens des Zelebranten in der ersten Fassung dieses Artikels beruhte, wie sich inzwischen herausgestellt hat, anscheinend auf einem Irrtum meinerseits. Bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts ersetze ich den Namen deshalb durch Sternchen.]

Das Erste, was mir auffiel, war die Gewandung des Priesters: Er trug nämlich nicht, wie ich zu dieser Zeit des Kirchenjahres erwartet hätte, eine grüne Kasel, sondern lediglich eine Albe (oder etwas Ähnliches) mit einer breiten grünen Stola drüber. Aber es kann ja sein, dass das unter bestimmten Voraussetzungen als liturgisch korrekte Kleidung durchgeht - ich wüsste es nicht. Das Zweite, was mir auffiel, war eine gewisse Neigung des Zelebranten zu frei formulierten Ansprachen an die Gemeinde in einer wenig zeremoniell wirkenden Sprache; na gut, Geschmackssache. Ein bisschen stutzen musste ich, als bei der Lesung (der einzigen; die - eigentlich - erste war weggelassen worden, aber das erlebt man ja öfter) die schlichte Einleitungsformel "Lesung aus dem 2. Brief des Apostels Paulus an die Korinther" durch eine längere "Anmoderation" des Pfarrers ersetzt wurde. Dass Pfarrer ********* nicht selbst predigte, überraschte mich deshalb nicht besonders, weil ich vor dem Betreten der Kirche flüchtig einen Aushang mit einer Liste von Gastpredigern für die sonntäglichen 12-Uhr-Gottesdienste wahrgenommen hatte. Besondere Aufmerksamkeit hatte ich diesem Umstand nicht geschenkt, aber nun gab es mir doch zu denken, dass der Mann, der jetzt - wiederum nach einer Anmoderation durch den Pfarrer - das Wort ergriff, offenbar weder Priester noch Diakon war: Es war Dr. Michael Krämer, Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) im Bistum Rottenburg-Stuttgart. Nun sind Laienpredigten in der Heiligen Messe zwar eigentlich ein eklatanter Verstoß gegen Can. 767 § 1 CIC, aber wie man so hört und liest, werden sie dennoch vielerorts von den Diözesanbischöfen toleriert, z.T. wohl auch aktiv gefördert. Mir fiel allerdings auf, dass der Begriff "Predigt" oder gar "Homilie" in diesem Gottesdienst - vermutlich "aus Gründen" - konsequent vermieden wurde; es hieß lediglich "Herr Dr. Krämer legt uns die biblischen Texte aus".  

Das, was er sagte, fand ich zunächst durchaus gut. Er begann damit, über den Begriff des Glaubens zu sprechen und darüber, was darunter landläufig so alles verstanden werde; er führte aus, dass das lateinische credere von 'cor' und 'dare' stamme und somit im Wortsinne "sein Herz geben" bedeute, und dass auch das im Neuen Testament für 'glauben' verwendete Verb pisteuein ("treu sein, vertrauen"), wie auch, seiner Etymologie nach, auch das deutsche Wort 'glauben' selbst, eine persönliche Beziehung ausdrücke. Dann aber kam er auf das Tagesevangelium (Markus 3,20-35) zu sprechen - im Speziellen auf die Schriftgelehrten, die Jesus unterstellen, er treibe Dämonen mit Hilfe des Beelzebul, des Fürsten der Dämonen, aus. Und auf Jesu harte Worte gegen jene, die "den Heiligen Geist lästern", indem sie für dessen Wirken einen vermeintlich "unreinen Geist" verantwortlich machen. Ich legte die Ohren an, als Dr. Krämer Parallelen zwischen den damaligen Schriftgelehrten und heutigen Theologen zog und erklärte, ähnliche Vorwürfe, wie sie hier gegen Jesus erhoben würden, müssten sich heute Menschen anhören, "die zum Beispiel mit alten kirchlichen Traditionen brechen wollen, weil sie sich als nicht lebensfähig erwiesen haben". Aha, dachte ich, jetzt wird das eine kirchenpolitische Kampfrede. Und was für eine: Konservative Katholiken, die gewissen "Reform"-Bestrebungen reserviert bis entschieden ablehnend gegenüberstehen, werden kurzerhand der Sünde wider den Heiligen Geist bezichtigt, der schlimmsten Sünde also, die es gibt - der schlechthin unvergebbaren Sünde. Man könnte auch sagen, sie werden verbal zur Hölle geschickt. Eigentlich hätte ich da schon gehen sollen. 

Dr. Krämer spielte auch auf Leute an, die sich tadelnd über "falsche Barmherzigkeit" äußerten: "Als ob es so etwas geben könnte, 'falsche Barmherzigkeit'!" Nun, da kann ich dem Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung im Bistum Rottenburg-Stuttgart nur raten, mal Chestertons Orthodoxie zur Hand zu nehmen; da kann er, auf S. 69 der Ausgabe aus der Eichborn-Reihe Die Andere Bibliothek, nachlesen, dass es sehr wohl ein falsches Verständnis und in der Folge auch eine falsche Anwendung der "für sich genommen mystischen und fast irrationalen Tugend der Barmherzigkeit" geben kann und tatsächlich gibt

Dass der Redner dann noch die Verantwortung der Kirche für die Armen und Ausgegrenzten betonte und sich dabei auf Papst Franziskus berief, ist für sich selbst genommen sicher nicht zu tadeln, im Kontext des zuvor Gesagten aber doch mindestens ärgerlich. Allerdings fiel mir dabei auf, dass Pfarrer ********* tatsächlich physiognomisch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Papst hat - während Michael Krämer selbst mich eher an Michael Schmidt-Salomon erinnerte.

Nach dieser Predigt - pardon: Schriftsauslegung - sah ich der Eucharistiefeier mit einer gewissen Anspannung entgegen. Zu Recht, wie sich zeigte: Fragte ich mich zu Beginn des Eucharistischen Hochgebets noch, ob der Pfarrer womöglich lediglich eine Variante verwendete, die sprachlich etwas "moderner" und schlichter daherkam als die mir bekannten Texte, die aber gleichwohl approbiert sein mochte, fiel ich fast aus der Bank, als Pfarrer ********* mitten ins Hochgebet eine ausgedehnte Würdigung des Evangelischen Kirchentags samt Segensbitte für dessen Teilnehmer einschob! - - Ich meine: Soll er doch den Kirchentag loben und preisen und für die Kirchentagsbesucher beten, soviel er will, nette ökumenische Geste, aber... im Eucharistischen Hochgebet?! ("Warum denn nicht?", entgegnete er ungerührt, als ich ihn später darauf ansprach.) Dass beim Vater Unser der Embolismus weggelassen wurde ("Das ist in unserer Diözese so üblich. Das macht sogar der Bischof so."), fiel demgegenüber kaum noch ins Gewicht, und ebenso, dass das Agnus Dei durch ein anderes Lied ersetzt wurde (das immerhin inhaltlich untadelig war: Es handelte sich um "O heil'ger Leib des Herrn"). Was mir dann aber endgültig den Rest gab, war der Umstand, dass die Eucharistie - in beiderlei Gestalt - in Keramikschalen und -bechern (ohne Henkel) gereicht wurde. Passte ja durchaus ins Bild - "neue Bescheidenheit", sehr en vogue bei "reformorientierten" Katholiken gewisser Couleur, die dabei sogar Papst Franziskus auf ihrer Seite wähnen (obgleich dieser, wie schon seit Namenspatron Franz von Assisi, persönliche Anspruchslosigkeit sehr wohl von der Frage des angemessen würdevollen Umgangs mit dem Heiligen, ja dem Allerheiligsten zu trennen und zu unterscheiden weiß) -- aber muss ich hier jetzt ernsthaft Redemptionis Sacramentum Nr. 117 zitieren, um zu begründen, weshalb ich angesichts dieses Sakrilegs fluchtartig die Kirche verließ?

(Ich bekam gerade noch mit, dass die Kommunion vom Pfarrer selbst, Dr. Krämer, der Lektorin und einer weiteren Frau ausgeteilt wurde.)

Draußen angekommen, kam ich bald zu dem Schluss, dass ich nicht einfach gehen konnte, ohne dem Pfarrer meinen Unmut mitgeteilt zu haben. Also wartete ich bis zum Ende der... äh... sagen wir mal: Feier und ging dann wieder hinein. - Ich fand Pfarrer ********* im Mittelgang im Gespräch mit zwei Frauen mittleren Alters - die ihn, wie ich mir schon fast gedacht hatte, überschwänglich für den "schönen Gottesdienst" lobten. Ich stellte mich dazu und lauschte erst einmal, bekam so auch mit, wie Pfarrer ********* über Kollegen spottete, die die Messe strikt nach Messbuch lesen. Er sonnte sich sichtlich in der Popularität seiner Gottesdienste, zu denen - wie er mir gegenüber später noch einmal nachdrücklich wiederholte - regelmäßig 500 bis 600 Leute kämen; das veranlasste mich schließlich zu dem Einwurf: "Wäre es dann nicht konsequenter, Sie würden Ihre eigene Kirche aufmachen?" 

Die Damen reagierten empört, als ich erklärte, ich fände es (so wörtlich) "unverschämt", so eigenmächtig mit der Liturgie umzuspringen wie hier geschehen; Pfarrer ********* selbst jedoch blieb souverän wie der Sonnenkönig. Er wisse schon, was er tue, sei überzeugt davon und stehe dazu. Auf meinen Einwand, es könne doch wohl nicht zuviel verlangt sein, dass man, wenn man als Katholik in eine katholische Kirche gehe, dort eine ordentliche Heilige Messe erwarte "und nicht irgendeinen selbstgebastelten Zirkus", erwiderte er, ich hätte ja auch nach St. Mariä Himmelfahrt in Feuerbach gehen können, dort gebe es (so wörtlich!) "Lefebvre-Messen" [*] - "alles ganz korrekt im alten Stil und auf Latein". ("Wie schrecklich!", entfuhr es einer der Damen.) Im Übrigen sei die Liturgie doch im Großen und Ganzen korrekt gewesen: Alle wesentlichen Elemente, Kyrie, Gloria, Credo, Hochgebet und so weiter, seien doch in der Messe enthalten gewesen, und sogar in der richtigen Reihenfolge. 

Eine der Damen fragte mich verständnislos, ob ich denn glaubte, Gott würde seine Gegenwart in der Eucharistie von der strikten Einhaltung liturgischer Formen abhängig machen. Mir schien, mir solle hier ein quasi-magisches Verständnis der Wandlung unterstellt werden - als seien die Wandlungsworte eine Zauberformel, die korrekt aufgesagt werden müsse, damit sie "funktioniert" -, also verneinte ich, erklärte aber, viele Elemente dieses Gottesdienstes fügten sich für mich zu einem Gesamtbild zusammen, aus dem die demonstrative Haltung spreche: "Der Römische Ritus ist uns scheißegal, wir machen hier unser eigenes Ding." (Ich hätte natürlich auch sagen können, zum gültigen Spenden eines Sakraments sei laut kirchlicher Lehre auch die richtige Intention des Spenders notwendig, und bei einem Zelebranten, der so offensichtlich auf die Tradition und Lehre der Kirche und die Einheit mit der Kirche scheißt, dürfe man hinsichtlich der richtigen Intention ja wohl seine Zweifel haben - aber darauf kam ich in dem Moment nicht.) Während die Damen erkennbar nach Luft schnappten angesichts des Tonfalls, den ich ihrem vergötterten Ortsschamanen gegenüber anzuschlagen wagte, erklärte Pfarrer ********* spöttisch, ich könne mich gern beim Bischof über ihn beschweren - oder auch gleich beim Papst: "Schreiben Sie ihm einen Brief, mit einem netten Gruß von mir." 

Eine der Damen äußerte Unverständnis darüber, dass ich - so ihr Eindruck - so einen großen Wert auf Worte lege. Leider fiel es mir in dem Moment nicht ein, zu erwidern: "Wenn Worte unwichtig sind, warum müsst ihr sie dann ändern?" 

Tatsächlich ist dies nämlich ein ziemlicher Knackpunkt der ganzen Debatte. Bei all seiner unerschütterlichen Selbstzufriedenheit konnte Pfarrer ********* letztlich doch nicht auf den Versuch verzichten, mir zu beweisen, dass er Recht und ich Unrecht hätte; und eins seiner zwei Lieblingsargumente war, um die Leute zu erreichen, müsse man eine Sprache sprechen, die die Leute verstehen. Daher müsse man die Texte aus dem Messbuch modernisieren, denn die seien ja "schon 40 Jahre alt". Man könnte sich fragen, was die armen Deutschlehrer da sagen sollen, die gezwungen sind, ihren Schülern Texte aus dem 19. oder sogar 18. Jahrhundert zuzumuten; aber im Grunde griffe auch dieser Einwand noch zu kurz. Eigentlich müsste man viel grundsätzlicher fragen: Was gibt es an der Heiligen Messe eigentlich zu verstehen? Die Predigt, ja, die sollte in verständlicher Sprache gehalten sein (was - siehe oben - nun auch nicht heißt, dass man sie partout dem Sprachstil von TV-Moderatoren, Stand-up-Comedians und Gangsta-Rappern anpassen sollte, aber in dieser Hinsicht war die "Schriftauslegung" des Dr. Krämer durchaus untadelig). Aber das Eigentliche an der Messe, die Eucharistie, ist nun einmal ein Mysterium; zu behaupten, dieses zu verstehen, wäre schon im Ansatz häretisch. Natürlich ist es im Sinne eines aktiven Mitvollzugs (actuosa participatio) zu wünschen, dass die Gemeinde ein gewisses Grundverständnis für die Bedeutung der liturgischen Handlungen hat; aber das ist doch nichts, was man ihnen jeden Sonntag aufs Neue erklären müsste (oder könnte). Und wenn es tatsächlich Katholiken gibt (und offenbar gibt es sie), die nach Erstkommunion- und Firmvorbereitung immer noch nicht in der Lage sind, den Ablauf einer Heiligen Messe geistig mitzuvollziehen, dann muss in der Katechese aber eine ganze Menge im Argen liegen. Und, also, das hab ich ja so richtig gern: wenn dieselben Leute, die über Jahrzehnte die Katechese kaputt"reformiert" haben, jetzt die schlechte religiöse Bildung der Kirchenmitglieder zum Vorwand nehmen, das sprachliche (und damit auch geistige) Niveau der Messe abzusenken. 

Pfarrer ********** zweites Lieblingsargument stammte - was zu der Berufung auf "Zeitgemäßheit" doch irgendwie in einem heiklen Spannungsverhältnis zu stehen schien - aus der beliebten Rubrik "Aber die Urkirche...!": Er verwies darauf, die Liturgie sei schließlich nicht fertig vom Himmel gefallen; in den ersten vier Jahrhunderten z.B. habe es überhaupt noch kein Eucharistisches Hochgebet gegeben. Er betonte, er habe sich bei den Einsetzungsworten "sogar" (!) an den Wortlaut des Messbuchs gehalten - "obwohl die Einsetzungsworte in dieser Form nicht von Jesus stammen - das ist erwiesen". Und als ich das Keramikgeschirr bemängelte, aus dem die Kommunion gereicht worden war, erwiderte Pfarrer *********: "Was glauben Sie denn, was Jesus im Abendmahlssaal gehabt hat? Gold und Silber?" - Da reichte es mir, und ich sagte schroff, er solle aufhören, mir mit solchen historizistischen Pseudoargumenten zu kommen. "Das sind keine Pseudoargumente", blaffte er zurück. "Studieren Sie mal ein bisschen Kirchengeschichte und Liturgiegeschichte!" 

Damit war er fertig mit mir; die Damen allerdings noch nicht. Sie wollten wissen, wo ich herkäme, und dann was ich in Stuttgart mache. Ich erklärte, ich sei tags zuvor angereist, um "noch ein bisschen was vom Evangelischen Kirchentag mitzukriegen", und nun hätte ich - weil ja schließlich Sonntag sei - eine katholische Messe besuchen wollen. "Und jetzt sind Sie enttäuscht", resümierte die eine Dame, etwas Ähnliches wie Verständnis andeutend. Guter Trick, die Debatte von der Sach- auf die Personenebene zu verlagern. Kann ich auch, ich mache es nur meist lieber umgekehrt. Die andere Dame war unversöhnlicher. "Sie waren also beim Evangelischen Kirchentag", stellte sie fest. "Und da haben Sie sich gar nicht inspirieren lassen, von dieser Stimmung, diesem Geist, diesem Glauben?" 
"Was für ein Glauben denn?", gab ich trocken zurück. 
"An Gott!", erwiderte die Dame energisch, sie schrie es fast. 
"Gott ist ein weiter Begriff", brummte ich und verabschiedete mich. 




[* Einige meiner Leser werden zweifellos sehr genau verstehen, wie die Bezeichnung 'Lefebvre-Messe' gemeint und wie das zu bewerten ist; aber ich schreibe hier ja nicht nur für die, die schon alles wissen (und es im Zweifel genauer wissen als ich selbst). Für alle Anderen daher hier ein paar Erläuterungen: Die Kirche St. Mariä Himmelfahrt im Stuttgarter Stadtteil Feuerbach wird tatsächlich von der von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründeten Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) betrieben, der wegen ihres Widerstands gegen die Liturgiereform 1975 die kirchliche Anerkennung entzogen wurde. Trotzdem sind die Messen, die dort gefeiert werden, keine "Lefebvre-Messen", denn Lefebvre hat sie schließlich nicht erfunden; es sind ganz einfach Messen nach dem Messbuch von 1962, das übrigens seit 2007 als außerordentliche Form des Römischen Ritus wieder gesamtkirchlich zugelassen ist. Indem Pfarrer ********* mich nun gerade zur FSSPX nach Feuerbach verwies - und nicht etwa nach St. Albert in Zuffenhausen, wo die von Rom anerkannte Priesterbruderschaft St. Petrus (FSSP) ebenfalls lateinische Messen in der außerordentlichen Form zelebriert - wollte er mir offenbar zu verstehen geben, dass er mich bei den mit dem Vatikan zerstrittenen Ultra-Traditionalisten am besten aufgehoben wähnt; dabei hatte ich doch gar nicht der außerordentlichen Form das Wort geredet, sondern lediglich gefordert, dass die ordentliche Form auch wirklich ordentlich zelebriert werde. Aber aus Sicht eines Pfarrer ********* genügt das offenbar schon, um als Lefebvre-Anhänger dazustehen. Mit anderen Worten: Nicht diejenigen, die Lehre und Tradition der Kirche ignorieren, sind die wahren Schismatiker, sondern die, die sie verteidigen. Das passt ja auch sehr schön zu Dr. Krämers "Schriftauslegung". Und ich fürchte beinahe, die glauben das echt.]  

Dienstag, 9. Juni 2015

Hey, Ms. Tambourine Woman!

Bei meinem Kurzbesuch beim diesjährigen Martin Luther Grave Rotation Event, besser bekannt als Evangelischer Kirchentag, führte mich mein erster Weg zum Zentrum Kirchenmusik in der Andreäkirche. Und das aus gutem Grund: Miriam Buthmann, die ich unlängst in einem Artikel über kirchliche Popularmusik gewürdigt habe, stellte dort mit ihrer Band ihr aktuelles Projekt Neue Lieder zu den Psalmen vor. Das Timing meiner Anreise war perfekt: Um 14 Uhr am Samstag kam mein Fernbus am S-Bahnhof Waiblingen an, von dort brachte mich die Bahn innerhalb weniger Minuten zum S-Bahnhof Nürnberger Straße, und von dort aus war es nur noch ein kurzer Fußweg zum Zentrum Kirchenmusik, wo um 14:30 Uhr der Auftritt von Mire und Band begann. 



Die Andreäkirche entpuppte sich als ein modern-abstrakt-asymmetrisch gestalteter Betonbau von schlagender Hässlichkeit; 70er Jahre, würde ich mal schätzen, vielleicht aber auch schon etwas älter. Aber darauf kam's ja nun nicht an. - Etwa 50-60 Zuhörer aus allen Altersgruppen hatten sich hier eingefunden; die Band bestand übrigens aus dem kompletten Lineup der von Mire gegründeten und geleiteten  Plattdeutsch-Pop-Combo Die Tüdelband (neben Mire selbst noch Tim an der Gitarre, Malte am Bass und noch ein Malte am Schlagzeug) und zwei weiteren Musikern: Jan Simowitsch - der meines Wissens zumindest einen Teil der Kompositionen zu Mires Psalm-Nachdichtungen beigesteuert hat oder daran beteiligt war - am Keyboard, sowie Joy Bogat als zweite Sängerin. - Das Erste, was mir an Mire auffiel, war, dass sie - ohne ihre charakteristische Ballonmütze, die Rasta-Mähne (soweit das möglich ist) brav zurückgebunden und im schlichten schwarzen Leibchen - auf dieser Bühne viel kleiner, zarter und zerbrechlicher wirkte, als man es anhand der YouTube-Clips ihrer Tüdelband denken würde. Das Zweite, was mir an ihr auffiel, war, dass sie erzsympathisch 'rüberkam. Zwischen den Songs erzählte sie teils augenzwinkernd, teils fast schüchtern von ihrer Arbeit als Leiterin eines Gospelchors an einer Hamburger Kirchengemeinde, von gelegentlichen Misshelligkeiten des Berufsmusikerlebens - und natürlich von ihrem Psalmenprojekt. Vor etwa eineinhalb Jahren, so ließ sie das Publikum wissen, habe sie - aus einem spontanen Impuls heraus - begonnen, sich intensiver mit den Psalmen zu befassen, und habe sich vorgenommen, Neuinterpretationen zu allen 150 Psalmen zu dichten. Eine große Aufgabe, wie sie zugab: Natürlich hat sie da noch eine ganze Menge Arbeit vor sich. Erste Ergebnisse - immerhin zwölf Songs - gibt es auf einer frisch erschienenen CD ("Mit einem anderen Blick" - Neue Lieder zu den Psalmen) zu hören, und einen Großteil dieser Songs performte sie nun mit ihrer Band live in der Andreäkirche.  Dabei bewies sie ganz nebenbei ihre Qualitäten als Chorleiterin, indem sie bei mehreren Songs das Publikum dazu animierte, den Refrain mitzusingen, und dies jeweils mit dem Publikum übte, bevor die Band einsetzte. 




Über die Kompositionen und Arrangements kann man sagen, dass sie es fertig brachten, den Eindruck stilistischer Geschlossenheit und Stimmigkeit mit einer beachtlichen musikalischen Bandbreite unter einen Hut zu bringen. Im Ganzen gesehen irgendwo zwischen Pop und Rock einzuordnen, enthielten die Songs auch Elemente von Jazz, Soul, Funk und Reggae - und vereinzelt auch HipHop: Zu einem oder zwei Songs steuerte Backgroundsängerin Joy gekonnte Rap-Soli bei, für die sie spontanen Szenenapplaus bekam. "Du gibst Dich mit uns ab" (nach Psalm 8) klingt nach Girliepop, "Lasst euch warnen" (nach Psalm 2) ist eine lupenreine Reggae-Nummer. Der wohl größte Hit des Programms ist "Dankt Ihm" (nach Psalm 136): rockig, mitreißend, "in your face". Insgesamt gelang es Mire und Band hervorragend, meine nach der strapaziösen Anreise etwas angespannte Stimmung ins annähernd Euphorische zu heben.

Je nachdem, wie man grundsätzlich zu Popularmusik in der Kirche steht, kann man die Gottesdiensttauglichkeit der Songs durchaus unterschiedlich beurteilen; als eingängige Popmusik mit religiösem Gehalt betrachtet sind sie jedenfalls state of the art, ja ich würde sogar sagen: ganz weit vorn.  Jedenfalls Lichtjahre entfernt von jenem NGL-Elend, das es seit den 70er Jahren - wie ich es unlängst formulierte - "auf seinem Langen Marsch durch die Liederbücher teilweise bis ins Gotteslob geschafft hat".


Auf der musikalischen Seite also alles tutti; und wie sieht's mit den Texten aus? Mire beschreibt ihr Konzept für das Projekt "Neue Lieder zu den Psalmen" mit den Worten, ihr Ziel sei es, die Botschaften der Psalmen "in eine Sprache zu übersetzen, die man heute versteht." Der große Psalmen-Liebhaber in mir fragt sich da unwillkürlich: Brauchen die Psalmen das? Wo gäbe es denn da ernsthafte Verständnisbarrieren? - Nehmen wir mal ganz bewusst ein besonders "problematisches" Beispiel - Psalm 60,9-10:

Mein ist Gilead, mein auch Manasse, 
Efraim ist der Helm auf meinem Haupt, Juda mein Herrscherstab. 
Doch Moab ist mein Waschbecken, 
auf Edom werfe ich meinen Schuh, 
ich triumphiere über das Land der Philister. 

Warum sollten die Leute das nicht verstehen? Sie lesen doch auch historische Romane und begeistern sich für Fantasy-Epen wie Der Herr der Ringe oder Game of Thrones. - Aber okay, zu moderner Popmusik passt so ein Vokabular wohl nicht so recht; Und "Neue Lieder zu den Psalmen" zu dichten ist allemal ein begrüßenswerterer Ansatz, als den Bibeltext selbst modernisieren zu wollen, wie es fragwürdige "Übersetzungs"-Projekte wie "Hoffnung für alle" oder, besonders übel, die "Volxbibel" tun. Noch dazu ist zu konstatieren, dass Miriam Buthmanns Nachdichtungen durchweg geschmackvoll und respektvoll  gegenüber dem Originaltext sind und allzu platte und plumpe Aktualisierungen konsequent meiden. Kurz und gut, mein Gesamteindruck war uneingeschränkt und ungebrochen positiv.

Im Anschluss an den Auftritt verkaufte Mire höchstpersönlich CDs ans Publikum, aber dann kam ein Mitarbeiter des WDR-Kirchenradios auf sie zu, der sie interviewen wollte; also delegierte sie den CD-Verkauf kurzerhand an ihre Mutter (!). Ich hätte Mire eigentlich auch gern für meinen Blog interviewt, aber ehrlich gesagt hätte ich gar nicht so genau gewusst, was ich sie hätte fragen sollen; und falls mir doch noch etwas einfiele - so sagte ich mir -, gäbe es ja im weiteren Verlauf des Nachmittags und Abends noch weitere Gelegenheiten, sie zu sehen.

Unmittelbar nach dem Interview mit dem Mann vom Kirchenradio musste sie nämlich schon weiter zum nächsten Auftritt - mit der Tüdelband auf der Bühne im Oberen Schlossgarten. Eigentlich hatte ich da auch hingewollt - ich meine, etwas so Skurriles wie ein plattdeutsches Konzert in Stuttgart konnte ich als Fischkopp und Plattdeutschversteher mir ja eigentlich nicht entgehen lassen. Aber nun fand ich, ich müsse mich erst einmal um ein paar andere Dinge kümmern - mir etwas zu essen besorgen, beispielsweise; mich in Stuttgart orientieren und ein bisschen allgemeine Kirchentagsatmosphäre aufsaugen (ein paar Eindrücke habe ich unlängst bereits geschildert). Und dann war ich angesichts der Hitze so geschlaucht, dass ich ernsthaft zweifelte, ob ich mir ein Open-Air-Konzert zumuten sollte. Schließlich ging ich aber doch noch hin - als der Auftritt sich bereits dem Ende zuneigte.

Und siehe da: Zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden schafften Mire und ihre Bandkollegen es, meine Stimmung aufzumöbeln. Die Atmosphäre im Oberen Schlossgarten war angenehm entspannt, obwohl sich einige hundert Zuhörer vor der Bühne eingefunden hatten (ich sagte schon mal, ich bin schlecht im Schätzen von Menschenmengen, aber irgendwas zwischen 300 und 500 werden's schon gewesen sein); und Mire, jetzt mit Ballonmütze und gestreiftem Minikleid-mit-Hose-drunter (eine Tracht, mit der ich ich nie anfreunden werde), war gegenüber ihrem Auftritt in der Andreäkirche kaum wiederzuerkennen: Sie hüpfte ausgelassen auf der Bühne herum, machte Faxen mit ihren Bandkollegen, übte moves mit dem Publikum ("Wie tanzt der Dithmarscher? Wie tanzt der Nordfriese?") und brüllte ihre Ansagen in einer Sprache ins Mikrofon, die eher Hamburger Slang als Plattdeutsch im eigentlichen Sinne war. Das Publikum sollte ja auch was verstehen. (Wie sich anlässlich einer von der Bühne herab durchgeführten Publikumsbefragung zeigte, hatten sich allerdings überdurchschnittlich viele Norddeutsche zu diesem Konzert eingefunden. Aber auch die verstehen ja nicht zwangsläufig Platt.)

Angesichts meines verstäteten Erscheinens bekam ich gerade noch drei Songs der Tüdelband mit: "In de Nacht", eine zum Tanzen animierende Party-Nummer; den "Schietwetter-Blues", der nicht nur so hieß, sondern sich tatsächlich als stilechte, erdige Bluesnummer entpuppte; und schließlich eine ziemlich abgefahrene Version von "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" - mit ins Plattdeutsche übertragenem Text und auf Funk gebürstet, und zwar so richtig harten Funk à la frühe Red Hot Chili Peppers. Mit einem Wort: geil. Wie sollte man dabei keine gute Laune bekommen?

Ein weiteres Mal traf ich Mire und ihre Tüdelband-Kollegen am Abend im Zentrum Gottesdienst in der Steigkirche, wo sie (nun wieder als "Miriam Buthmann & Band", aber ohne Jan und Joy) das musikalische Begleitprogramm zum Predigt-Slam beisteuerten (zu dieser Veranstaltung in Kürze mehr). Sie spielten hauptsächlich Lieder aus dem Psalmenprojekt, die ich einige Stunden zuvor bereits gehört hatte - aber auch ein paar andere Stücke, darunter ein sehr schönes Abendlied, das eigens für diesen Kirchentag geschrieben worden war und folgerichtig auch im offiziellen Kirchentags-Liederbuch stand: "Es wird Abend mit Dir".

In der Pause und im Anschluss an den Predigt-Slam hätte es theoretisch mehrfach Gelegenheit gegeben, ein bisschen mit Mire ins Gespräch zu kommen, aber da ich noch immer nicht so richtig wusste, was ich hätte sagen oder fragen können, fehlte es mir an der letzten Entschlossenheit, diese Gelegenheiten zu nutzen, und so war dann jedesmal jemand Anderes schneller. Ich konnte mir übrigens vorstellen, dass Mire nach drei Konzerten an einem Tag (und insgesamt sieben an drei Tagen) eventuell auch ganz gern mal ein bisschen in Ruhe gelassen worden wäre. Noch ein Grund für mich, ihr lieber kein Gespräch aufzudrängen.

Ich hoffe jedenfalls, dass Mire & Co. ihr Psalmen-Projekt konsequent weiterverfolgen - und dass die Songs über kurz oder lang auch online auftauchen, z.B. als YouTube-Videos. Dann könnte man sie nämlich ganz hervorragend für die #Twomplet verwenden...
(Also, liebe Mire: Ich wünsche mir Psalm 4, 16, 31, 32, 51, 86, 88 und 91!)

Und die CD "Mit einem anderen Blick" werde ich mir demnächst auch kaufen (oder gegebenenfalls downloaden). War schon am Samstag mehrfach drauf und dran, aber da der Kirchentag mich sowieso schon so viel Geld kostete, bin ich dann doch vor dieser Ausgabe zurückgeschreckt. Aber haben muss ich sie....!)


Montag, 8. Juni 2015

Unser'n Heiner nimmt uns keiner!

So, nun isses also raus: Heiner Koch, bislang (seit 2013) Bischof von Dresden-Meißen, wird neuer Erzbischof von BerlinWie bei praktisch allen Bischofs- und Erzbischofsernennungen in Deutschland in jüngster Zeit - Passau, Erfurt, Köln, zuletzt Hamburg - war die bevorstehende Ernennung auch diesmal schon einige Tage vorher durchgesickert; aber es hätte ja sein können, dass die Gerüchte sich doch noch als falsch herausstellen. War aber nicht so. Hätte man die Ernennung dann nicht schon am Freitag verkünden können? Da hätte ich Zeit gehabt, mich um 12 Uhr in der Hedwigskathedrale einzufinden, um die frohe Nachricht live entgegen zu nehmen, und hätte anschließend in Ruhe darüber bloggen können. Stattdessen kommt das heute, wo ich gerade aus Stuttgart zurück bin, mein Schlafdefizit noch nicht kompensieren konnte und außerdem sowieso eigentlich überhaupt keine Zeit zu gar nichts habe. Aber sei's drum, dann ist das jetzt halt so. 

Tatsächlich war Heiner Kochs Name in den Spekulationen um die Nachfolge Kardinal Woelkis von Anfang an genannt worden; wie Kollege Josef Bordat jüngst erinnerte, war Koch sogar schon 2011 als Favorit für den Erzbistumssitz an der Spree gehandelt worden, als er, ebenso wie Woelki, noch Weihbischof im Erztbistum Köln war. 

In der nun zu Ende gehenden gut acht Monate langen Berliner Sedisvakanz hatten die Medien allerdings auch ganz andere Namen ins Spiel gebracht - etwa Bischof Ackermann aus Trier, Bischof Overbeck aus Essen, ja sogar Kardinal Marx. Und Bischof Tebartz-van Elst, wobei, das waren nicht "die Medien", das war ich selber. Als nun letzten Dienstag lanciert wurde, die Wahl des Domkapitels sei auf Koch gefallen, kamen mir über die einschlägigen Sozialen Netzwerke Stellungnahmen zu Gesicht, die wörtlich oder sinngemäß lauteten "Hätte schlimmer kommen können". Nun ja, das hätte es zweifellos; aber der Komparativ ("schlimmer") ließ doch ein gewisses Unbehagen gegenüber der Personalie Koch erkennen. Warum eigentlich? - Soweit ich es überblicken kann, kamen Koch-skeptische Wortmeldungen in der Hauptsache von ausgesprochen konservativer Seite. Heiner Koch ist in der Deutschen Bischofskonferenz seit 2014 für das Thema Ehe und Familie zuständig, weshalb es eine nicht zu leugnende Folgerichtigkeit hat, dass er als einer von drei deutschen Bischöfen an der diesem Thema gewidmeten Bischofssynode im kommenden Oktober teilnehmen wird. Und er hat auch an der so genannten "Schattensynode" teilgenommen, einem unter konservativen Katholiken viel diskutierten und kritisierten "Geheimtreffen" von Bischöfen aus Deutschland, der Schweiz und Frankreich, das nach Einschätzung des Journalisten Guido Horst "offensichtlich darauf angelegt [war], den kontroversen Fragen bei der vergangenen Familiensynode doch noch einen Dreh zu geben" - und das nebenbei bemerkt gar so geheim dann doch nicht war, denn sonst wüsste man ja gar nichts davon. - Man könnte nun freilich einwenden, die bloße Tatsache seiner Teilnahme an dieser Tagung sage über Kochs inhaltliche Position überhaupt nichts aus, aber für manche Beobachter scheint es festzustehen, dass Bischof Koch zu jenen Modernisten zählt, die die Heiligkeit des Ehesakraments dem Zeitgeist opfern und geschiedene und wiederverheiratete homosexuelle Frauen zu Priestern weihen wollen (oder so ähnlich). 

Erfreulicherweise meldeten sich aber auch andere Stimmen zu Wort, die die unbestreitbaren Verdienste des 60jährigen gebürtigen Düsseldorfers ins Licht rückten - so etwa seine organisatorischen Leistungen als Generalsekretär des Weltjugendtags in Köln 2005, oder auch die Tatsache, dass er die Initiative Nightfever, die diesem Weltjugendtag gewissermaßen ihre Entstehung verdankt, von Beginn an entschieden unterstützt und gefördert hat. Auch seine Fähigkeiten als Prediger und sein Gespür für eine schöne und würdige Feier der Heiligen Messe wurden hervorgehoben. Ermutigend war es nicht zuletzt, dass gerade solche Debattenteilnehmer, die schon mal persönlich mit Bischof Koch zu tun hatten, sich lobend über ihn äußerten. 

Mir selbst fiel im Zusammenhang mit Bischof Koch in erster Linie sein Fastenhirtenbrief für das Jahr 2015 ein - von dem ich vermutlich gar nichts mitbekommen hätte, wenn Josef Bordat nicht darüber gebloggt hätte. Bischof Koch hatte seine Fastenbotschaft an die Diözese Dresden-Meißen mit dem Brief einer 13jährigen Schülerin eingeleitet, die ihm geschildert habe, wie sie in der Schule wegen ihres Bekenntnisses zur Katholischen Kirche beschimpft und gedemütigt worden war - und zwar nicht etwa von Mitschülern, sondern von ihrem Lehrer. Dass ein deutscher Bischof einen solchen Fall von Diskriminierung Gläubiger aufgriff und publik machte - in einem Hirtenbrief, der in allen Pfarreien der Diözese verlesen zu werden hatte -, fand ich (so traurig es andererseits ist, so etwas zu sagen) bemerkenswert mutig. 

Kurz und gut, es kann spannend werden mit dem künftigen Erzbischof. Bei mir persönlich überwiegt Alles in Allem der Optimismus, dass Heiner Koch sich als "ein Guter" herausstellen wird. Mal abgesehen davon, dass ein neuer (Erz-)Bischof, egal was so alles geredet und geschrieben wird, allemal einen gewissen Vertrauensvorschuss verdient.

Nicht so schön ist die Neuigkeit natürlich für das Bistum Dresden-Meißen. Dort hatte man nach dem altersbedingten Rücktritt des langjährigen Bischofs Joachim Reinelt (2012) über ein Jahr lang auf einen neuen Oberhirten warten müssen, und jetzt, nach kaum mehr als zwei Jahren im Amt, ist er schon wieder weg. Und das, wo diese Diözese im nächsten Jahr Gastgeber des Deutschen Katholikentags (in Leipzig) sein wird! -- Man kann den Katholiken in Sachsen nur wünschen, dass nsie möglichst schnell einen guten neuen Bischof bekommen...

Berlin jedenfalls - einschließlich Brandenburgs (ohne die Niederlausitz), des ehemals preußischen Vorpommern und Havelbergs in Sachsen-Anhalt - möge jubeln und sich freuen (und Grund dazu haben)! - In Hinblick auf die pastoralen Herausforderungen, die Dr. Koch in der Bundeshauptstadt erwarten, möchte ich meinen Lesern übrigens abschließend ein Video des Kollegen Geistbraus ans Herz legen:

Sonntag, 7. Juni 2015

Martin Luther Grave Rotation Event - 1st Impressions

Wie war er denn so, der Kirchentag? - In zwei Worten ausgedrückt: anstrengend - und teuer. Stuttgart ist - und das sage ich als jemand, der seit über 18 Jahren in Berlin lebt - eine erstaunlich hässliche Stadt. Fairerweise muss ich einräumen, dass man das vielleicht besonders stark so empfindet, wenn diese Stadt total überfüllt mit Menschen ist und es außerdem unerträglich heiß ist. Angesichts der Menschenmassen fiel mir übrigens auf, wie wenig diese Stadt anscheinend um die Sicherheit ihrer Einwohner und/oder Besucher besorgt ist. Hier gibt es lebensgefährliche Bahnsteige, die anderswo verboten wären, und an zahlreichen Fußgängerüberwegen über Bahngleise gibt es keine Ampeln, sondern nur Schilder mit dem Hinweis "Bahnen haben Vorrang". 

Am lästigsten war aber doch die Hitze in Verbindung mit der Überfüllung. Der Schweiß rann in Strömen, die Kleidung dampfte; es gab kaum einen Ort, an dem einem nicht heiß war. Und übrigens auch keinen Ort, an dem man zwischendurch mal seine Ruhe haben konnte - obwohl einige Kirchen sogar so genannte "Räume der Stille" eingerichtet hatten. 

Am Samstagabend hörte ich, in den Zelthallen auf dem Cannstatter Wasen sei es im Laufe des Tages bis zu 50° Celsius heiß geworden, und die Feuerwehr haben die Zelte von außen mit Wasser kühlen müssen. Glücklicherweise war ich dort gar nicht - auch wenn das hieß, das ich mir den Markt der Möglichkeiten mit seinen vielen Angeboten zu Gender Mainstreaming, Fair Trade und den Schutz des Regenwaldes entgehen lassen musste (und darum geht es ja eigentlich beim Kirchentag... oder?). Im Grunde glaube ich, es war nicht nur der Temperaturen wegen gut für meinen Kreislauf, dass ich da nicht hingegangen bin. In der Stuttgarter Fußgängerzone, besonders rund um den Schlossplatz, gab es aber auch genug zu entdecken. Zum Beispiel allerlei "Trittbrettfahrer", die von dem großen Zulauf, den der Kirchentag hatte, profitieren wollten. Dazu gehörten allerlei Straßenmusiker, Breakdancer (toll - ich dachte, die wären schon längst ausgestorben!), aber auch Infostände von Sektierern verschiedenster Couleur, von den Zeugen Jehovas über das Missionswerk Historischer Adventisten bis hin zu, jawohl, Scientology. Im Vorübergehen drückte mir jemand ein leuchtend gelbes Büchlein mit dem Titel "Das 'damit wir klug werden'-Buch - 33 Argumente für Gott" in die Hand. Ersten Lektüreeindrücken zufolge kommt das wohl aus der evangelikalen Ecke; jedenfalls vertritt es, wenngleich der Titel (sicher in gezielter Absicht) das diesjährige Kirchentagsmotto aufgreift, ein erheblich "fundamentalistischeres" Christentumsverständnis, als man es dem Mainstream der EKD und mithin auch dem Mainstream dieses Kirchentages zutrauen würde. Und das war mir im direkten Vergleich sogar erheblich sympathischer. 

Und auch die Politik war überall. - "Lesezeichen" in einer Bibel im "Raum der Stille" im "Haus der Katholischen Kirche" neben der Domkirche St. Eberhard.

Was die Kosten anging, lernte ich gleich am Eingang der ersten Kirchentagsveranstaltung, die ich besuchen wollte, eine wichtige Lektion: Versuche niemals, in eine Veranstaltung 'reinzukommen, ohne eine Karte zu haben. Und zwar nicht für diese eine konkrete Veranstaltung, sondern für das Gesamtprogramm. Nun gut, vielleicht hätte es geklappt, wenn ich auf die Frage einer der Helferinnen, ob ich "Künstler" sei (sie meinte: ob ich bei dieser Veranstaltung auftrete), nicht eine Sekunde zu lange mit der Antwort gezögert hätte. - Ein anderer Helfer schlug den Kompromiss vor, mir angesichts der vorgerückten Uhrzeit eine "Abendkarte" zu verkaufen, aber der Kassierer beharrte, die sei erst ab 16 Uhr gültig, und es sei schließlich erst 14:30 Uhr. Schließlich bekam ich gnädigerweise eine ermäßigte Tageskarte. Für 18 Euro. "Ich hatte nicht gedacht, dass das hier eine kommerzielle Veranstaltung ist", murrte ich. 

Ist es aber natürlich doch: Auch sonst kostete auf diesem Kirchentag absolut alles Geld - bis auf Leitungswasser, das gab's umsonst, wenn man denn drankam. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt - fünf Brote und zwei Fische, und alle werden satt, oder so

"Gute Nacht Café" an der Steigkirche. Ich wollte schon fragen, was genau das Lutherische an dieser Wurst ist, habe es mir dann aber doch verkniffen: Gegessen hätte ich sie ja so oder so nicht. 

Ich weiß schon, die Organisation so eines Riesenfestivals verursacht natürlich Kosten, und die müssen ja auch irgendwie wieder 'reinkommen. Man könnte an dieser Stelle darauf zu sprechen kommen, dass der Kirchentag ja aus öffentlichen Mitteln bezuschusst wird, aber dagegen zu protestieren, überlassen ich lieber den Piraten

Screenshot von Twitter - persönlich bin ich den Piraten auf dem Kirchentag nicht begegnet.  

Im Grunde fand ich es allerdings albern, dass die Piraten gegen den Kirchentag demonstrierten. Da ist wohl ihre habituelle Religionsfeindlichkeit mit ihnen durchgegangen. Hätten sie genauer hingeschaut, wären sie vielleicht darauf gekommen, dass sie den Kirchentag viel eher hätten unterstützen sollen, denn im Grunde fördert er genau das, was die Piraten immer fordern: die Privatisierung von Religion. Will sagen, ein verinnerlichtes, individualisiertes, auf persönliche Bedürfnisse zugeschnittenes, im Wesentlichen emotionales Glaubensverständnis. Dass dies gleichwohl in einem öffentlichen Massenevent abfeiern, ist so widersprüchlich nicht, wie es zunächst scheinen mag - das tun andere individualistische Weltanschauungen ja auch, man denke nur an die Love Parade. -- Und was die Berührungsflächen von Ethik und Politik betrifft, da ist der Kirchentag eigentlich total auf Piratenlinie: Ehe für alle, Gender Mainstreaming für alle, Unisex-Toiletten für alle. (Leider kein Foto von den letzteren, mein Akku war gerade alle.) 

Okay, die Piraten haben ausdrücklich nur gegen die Finanzierung des Kirchentags aus teilweise öffentlichen Mitteln protestiert. Aber das ist schon ein bisschen kleinkariert, um nicht zu sagen kurzsichtig. Schließlich profitieren Stadt und Land auch davon, dass der Kirchentag ausgerechnet bei ihnen stattfindet. Das Event spülte weit über hunderttausend Leute in die Stadt, und die musste alle irgendwas essen, irgendwo übernachten und in der Zeit, in der sie keine Kirchentagsveranstaltungen besuchten, irgendwo hingehen - sprich: Geld in der Stadt lassen. Die örtlichen Geschäftsleute waren sich dessen sehr bewusst und stellten sich darauf ein. Auch preislich: Alles war unglaublich teuer. 

Nette Marketingidee, aber ob "Das Brot zum Brechen" wirklich so ein guter Claim ist?

Ich bin mir somit ziemlich sicher, dass sich der Kirchentag für Stuttgart gelohnt hat - wenn auch nicht für alle Stuttgarter. Am Samstagabend hielt mir unweit der Domkirche St. Eberhard ein Bettler seinen Pappbecher unter die Nase, und als ich etwas Kleingeld hinein warf, teilte er mir mit: 

"Das Geschäft läuft lausig heute." 
"Ach, wirklich?", erwiderte ich mit Blick auf die zahllosen Menschen, die die Fußgängerzone auf und ab strömten. 
"Ganz lausig", bekräftigte er. "An jedem normalen Samstag ist es zehnmal mehr." 
"Das finde ich aber erschreckend", merkte ich an; der Bettler zuckte die Achseln. "Christen sind halt geizig." 
- Ich reagierte mit einem Lächeln, das wohl eine Spur zu zweideutig ausfiel, denn der Bettler hakte nach: "Bist du auch Christ?" 
"Ja", erwiderte ich und lächelte noch mehr. "Aber kein Evangele." 
Der Bettler zuckte erneut die Achseln. "Ich bin Buddhist." 

Das hat jetzt zwar keine Pointe, aber dafür ist es wahr. Mehr von meinem Erlebnissen beim Martin Luther Grave Rotation Event gibt's, wenn ich wieder zurück in Berlin bin...  


Freitag, 5. Juni 2015

"Ein Geheimnis ist kein Rätsel" - Fronleichnam im Erzbistum Berlin

Was mir kürzlich aufgefallen ist: Es scheint in Berlin Tradition zu haben, dass Fronleichnam in die Sedisvakanz des Bischöflichen bzw. Erzbischöflichen Stuhls fällt. Das war schon 1935 so, 1951, 1989 und 2011, und dieses Jahr wieder. Nun deutet aber alles darauf hin, dass die Ernennung eines neuen Erzbischofs für Berlin unmittelbar bevorsteht, also dürfen die Berliner Katholiken wohl hoffen, dass dies bis auf weiteres das letzte Hochfest war, das sie ohne einen Oberhirten feiern mussten... 

Wie ich kürzlich schon anmerkte, ist es in Berlin nicht unüblich, das Hochfest des Leibes und Blutes Christi am darauf folgenden Sonntag nachzufeiern. Wie man mir inzwischen erklärt hat, ist das nicht nur der Rücksichtnahme auf die berufstätige Bevölkerung geschuldet, für die der Fronleichnamsdonnerstag ein normaler Arbeitstag ist: Zugleich soll damit auch möglichst vielen Gläubigen, zumindest aus den Stadtberliner Pfarreien, Gelegenheit gegeben werden, an der zentralen Fronleichnamsfeier der Erzdiözese teilzunehmen, die traditionell mit einem Pontifikalamt auf dem Gendarmenmarkt beginnt und nach einer Prozession durch die Friedrichstadt mit einer Messe in der St.-Hedwigs-Kathedrale endet. Für dieses Jahr rechnete das Erzbistum nach Angaben des Tagesspiegels mit rund 3000 Teilnehmern. 

In der Pfarrei St. Antonius-St. Pius, zu der ich meinem Wohnsitz nach gehöre, wurde aber schon am Morgen bzw. Vormittag Heilige Messe gefeiert, und zwar an beiden Standorten: um 8:45 Uhr in St. Pius und um 10:15 Uhr in St. Antonius. Und da ich ja gerade Urlaub habe, ging ich da auch hin. Also zur 10:15-Uhr-Messe. Außer mir fanden sich dort noch rund 20 Senioren ein. Die Messe war ausgesprochen schlicht: Es gab keine Ministranten (wieso eigentlich nicht? Sind die nicht normalerweise im schulpflichtigen Alter und hätten, auch an öffentlichen Schulen im ach so "weltanschaulich neutralen" Berlin, an Fronleichnam schulfrei bekommen können?) und nicht einmal Lektorendienst, sodass der Pfarrer die Lesungen selbst vortrug. Immerhin wurden deutsche Nachdichtungen der Fronleichnamssequenz Lauda Sion (GL 844, nach "ortsüblicher Melodie") und des Hymnus Adoro Te devote von Thomas von Aquin (GL 497) gesungen, und Pfarrer Birkhahn predigte sehr schön über die Opferpraxis vorchristlicher Religionen und das demgegenüber revolutionär Neue des Heilsopfers Christi (Hebräer 9,12: "Christus ist [...] ein für alle mal in das heiligtum hineingegangen, nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt"), über die Überwindung der Logik des "do ut des" durch einen Bund der Liebe. Vermeldungen gab es nicht, somit auch keine Einladung zur Teilnahme an Pontifikalamt und Prozession am Abend, aber vermutlich war diese Messe ohnehin eher für die gedacht, die nicht an der Feier am Gendarmenmarkt teilnehmen wollten oder konnten. 



Ich hingegen wollte und konnte, also fand ich mich eine gute halbe Stunde vor Beginn des Pontifikalamts am Gendarmenmarkt ein, wo ich mich mit einigen Bekannten aus der Blogger- und sonstigen Dunkelkatholenszene traf. Der Platz füllte sich rasch; ich bin nicht gut darin, Menschenmengen zahlenmäßig abzuschätzen, aber ich könnte mir vorstellen, dass die angekündigte Zahl von rund 3000 Teilnehmern deutlich überschritten wurde. Es war perfektes Wetter, die Straßencafès rund um den Gendarmenmarkt waren gut besucht, man kam sich vor wie eine Touristenattraktion. 



Tatsächlich wurde den Schaulustigen so Einiges geboten; schon allein der Einzug der Ordensritter und Bannerträger war ausgesprochen eindrucksvoll. Davon abgesehen amüsierte mich auch die Vorstellung, wie es wohl auf Cafégäste oder zufällige Passanten wirken mochte, wenn sie dreitausend oder mehr Menschen im Chor das Schuldbekenntnis sprechen hörten... 

Geleitet wurde das Pontifikalamt, wie schon während der Sedisvakanz 2011, von Weihbischof Matthias Heinrich. Die musikalische Gestaltung lag in den bewährten Händen von Domkapellmeister Harald Schmitt; es sangen und spielten der Chor und das Bläserensemble der St.-Hedwigs-Kathedrale, Domorganist Thomas Sauer und der Chor "Auxilium" der polnischen Gemeinde Berlin. Der Tatsache, dass über 25% der Berliner Katholiken nichtdeutscher Herkunft sind, trug nicht allein dieser polnische Chor Rechnung, der auch einige Lieder in polnischer Sprache sang; es gab Fürbitten in verschiedenen Sprachen, die 1. Lesung wurde auf Arabisch vorgetragen, die 2. Lesung auf Tagalog (der Landessprache der Philippinen). 

In seiner Predigt stellte Weihbischof Heinrich den Begriff "Geheimnis des Glaubens" in den Mittelpunkt: An Fronleichnam werde der in der Eucharistie präsente Christus als "das wahre Lebensmittel für unsere Welt" gefeiert, "aber wenn jetzt jemand käme und fragte: Wie soll man denn das verstehen?, dann müsste ich sagen: Ich verstehe es auch nicht, aber ich glaube." Ein Geheimnis, betonte der Weihbischof, sei etwas Anderes als ein Rätsel: "Wir können es nicht mit unserem Verstand entschlüsseln. Es kann uns nur offenbart werden." Er erinnerte daran, dass, als Jesus in der Synagoge von Kafarnaum erklärte "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben", viele seiner Zuhörer Anstoß nahmen und sich von ihm abwandten: "Was er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören?" Daraufhin wandte Jesus sich an die Zwölf: "Wollt auch ihr weggehen?", worauf Simon Petrus erwiderte: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens." (Johannes 6,51-71) 
Die Frage "Wollt auch ihr weggehen?" stelle Christus auch jedem von uns, so Weihbischof Heinrich: "Und mit unserer Teilnahme an dieser Prozession geben wir auf diese Frage unsere Antwort. Wir sind hier, weil wir nicht weggehen, sondern mitgehen wollen. Deshalb ist diese Prozession keine Demonstration gegen Jemanden oder Etwas, sondern ein Glaubenszeugnis." 



Die Prozession selbst fand ich übrigens, wie schon in früheren Jahren, etwas unspektakulär. Sie geht im Grunde nur einmal um den Gendarmenmarkt herum, was bei einer so großen Teilnehmerzahl bedeutet, dass die Spitze der Prozession schon fast wieder auf dem Platz angekommen ist, wenn die Letzten sich gerade erst in Bewegung setzen. Ich frage mich, ob eine etwas weiträumigere Route nicht auch ein stärkeres Zeichen wäre. -- Immerhin, feindselige Reaktionen auf die Prozession blieben, soweit ich das überschauen konnte, aus. Wir wurden angestaunt, teilweise wohl auch belächelt; leichten Unmut konnte man lediglich bei solchen Passanten feststellen, die mit Fahrrädern die Straße überqueren wollten und von der Prozession zum Warten genötigt wurden. 



Das Schlusswort der Veranstaltung hielt Diözesanadministrator Tobias Przytarski - und erinnerte darin zunächst einmal an das Fronleichnamsfest des letzten Jahres: "Damals hat uns Kardinal Woelki versprochen, in diesem Jahr werde es zur Prozession perfektes Wetter geben. Das Versprechen wurde eingehalten - herzlichen Dank nach Köln." Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass in Przytarskis Danksagung an alle Mitwirkenden und Teilnehmer leise Kritik an der vergleichsweise schwachen Beteiligung der diözesanen Geistlichkeit anklang. "Aber umso besser ist es, dass Sie da sind", wandte er sich an die Anwesenden. Und auch auf die seit ein paar Tagen durch die Medien geisternden Gerüchte um die angeblich bevorstehende Ernennung eines neuen Erzbischofs für Berlin ging der Diözesanadministrator kurz (ja: betont kurz) ein: "Der Heilige Vater ernennt die Bischöfe. Bis dahin gibt es über einen neuen Erzbischof nichts zu vermelden." 

Meinen ursprünglichen Plan, noch um 21 Uhr die Messe in der St.-Hedwigs-Kathedrale zu besuchen, gab ich dann doch auf. Die nächsten Tage werden ja noch genug "Input" bringen... 

Weitere Berichte und Fotos: 

"Fronleichnam auf dem Gendarmenmarkt" (in: Mein Leben als Rezitatorin und Dichterin) 
"Und so war es dann wirklich" (in: JoBo72's Weblog) 

Donnerstag, 4. Juni 2015

Vorsicht! Freilaufende Katholiken!

Der Tagesspiegel, das Berliner Pflichtblatt für gutbürgerliche Linksliberale, präsentierte seinen Lesern in seiner gestrigen Ausgabe eine erstaunliche Sicherheitswarnung für den heutigen Tag: 


Das klingt dramatisch; nicht umsonst erscheint der Artikel in der Rubrik Polizei & Justiz. - Was aber fällt den Katholiken, diesem sonderbaren Volk, ein, sich zu Tausenden zusammenzurotten? Der Tagesspiegel klärt auf: Es ist Fronleichnam, "das 'Hochfest des Leibes und Blutes Christi'". "In katholischen Bundesländern ist Fronleichnam ein offizieller Feiertag, in Berlin muss am Donnerstag ganz normal gearbeitet werden." Empörend! Aber damit nicht genug: "Trotzdem (!) wollen sich Berlins Katholiken am Donnerstagabend versammeln, um das Fest zu begehen". Frechheit! Kann man dagegen denn gar nichts tun? 

Man muss den Hut ziehen davor, wie der Tagesspiegel es schafft, mit einer so kurzen Meldung sämtliche seit dem 19. Jh. verbreiteten antikatholischen Ressentiments zu aktivieren. Es fehlt im Grunde nur der Hinweis, anständige Berliner Bürger sollten heute zwischen 18 und 21 Uhr ihre Kinder nicht auf die Straße lassen - und die Wäsche von der Leine nehmen. Punktabzüge gibt's allerdings bei der Bebilderung. Ob man zum Thema "Fronleichnam in Berlin" aus unerfindlichen Gründen kein brauchbares Archivmaterial hatte oder ob man die Fremdheit, ja Exotik des Katholizismus noch besonders unterstreichen wollte: Das Foto zum Tagesspiegel-Artikel zeigt eine Fronleichnamsprozession im oberbayerischen Seehausen am Staffelsee. Noch schöner wird's, wenn man den Artikel in den Sozialen Netzwerken teilen will; dann erscheint als Vorschaubild nämlich ein Foto, das zwar eindeutig in Berlin (nämlich vor dem - evangelischen - Berliner Dom) aufgenommen wurde, das aber definitiv keine Fronleichnamsprozession zeigt: Zu sehen sind dort vielmehr evangelische Geistliche in Talar und Beffchen, darunter auch Frauen; und die tragen (natürlich) keine Monstranz mit dem Allerheiligsten, sondern ein großes Kreuz. Das üben wir nochmal, Tagesspiegel

Übrigens ist es durchaus kein Wunder, dass das Hochfest des Leibes und Blutes Christi in Berlin, einer ehemals protestantischen, in neuerer Zeit zunehmend religionslosen Metropole, auf Unverständnis stößt. Die Protestanten hatten schon immer ein gespanntes Verhältnis zu diesem im 13. Jh. durch eine Vision der Hl. Juliana von Lüttich angeregten, im Jahr 1264 von Papst Urban IV. gesamtkirchlich eingeführten Feiertag; so schrieb Martin Luther: 
"Ich bin keinem Fest mehr feind als diesem. Denn es ist das allerschändlichste Fest. An keinem Fest wird Gott und sein Christus mehr gelästert, denn an diesem Tage und sonderlich mit der Prozession. Denn da tut man alle Schmach dem heiligen Sakrament, dass man's nur zum Schauspiel umträgt und eitel Abgötterei damit treibet. [...] Darum hütet euch vor solchem Gottesdienst!" 
So kann man es in der Wikipedia nachlesen; wäre das nicht auch etwas für den Tagesspiegel gewesen? - Tante Wiki  fährt sodann fort, das Konzil von Trient habe das Fronleichnamsfest "gleichsam zu einer gegenreformatorischen Demonstration" ausgebaut; "[a]ls Reaktion darauf" sei es "in manchen gemischt-konfessionellen Gebieten (etwa der Schweiz) üblich" geworden, "dass die protestantischen Bauern als Provokation den Mist gerade an Fronleichnam auf die Felder ausbrachten". Polemisch könnte man anmerken, es sei diesem Brauch des Mistausbringens an Fronleichnam durchaus vergleichbar, dass die EKD ausgerechnet in dieser Woche ihren Kirchentag feiert... Aber keine Bange, die Katholiken schlagen zurück: Just am heutigen Abend findet in der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard ein Nightfever Special statt - laut Website explizit unter dem Motto "Nightfever Stuttgart auf dem Evangelischen Kirchentag" - tatsächlich aber wohl nicht minder aus Anlass des Hochfestes des Leibes und Blutes Christi. Schließlich ist ein zentrales Element von Nightfever die Eucharistische Anbetung

Aber lassen wir mal Stuttgart Stuttgart sein, da komme ich noch früh genug hin. Heute Abend geht es erst einmal auf den Gendarmenmarkt. Sind eigentlich irgendwelche Gegendemos angemeldet? -- Ich werde berichten. 

Mittwoch, 3. Juni 2015

Terminvorschau: Huhn meets Ei on the Road!

Wenn man bei der Arbeit einen Zettel auf den Tisch bekommt, auf dem die Personalchefin den Resturlaub aus dem Vorjahr und die im laufenden Jahr angefallenen Überstunden zusammengerechnet hat, und wenn dabei eine volle Woche herauskommt, dann ist das wohl ein ziemlich deutliches Signal, dass man mal Urlaub nehmen sollte. Schön ist es, wenn man sich dann mehr oder weniger aufs Geratewohl eine Woche Urlaub in den Dienstplan einträgt und erst hinterher feststellt, wie günstig diese Urlaubswoche liegt - insofern, als sie einem die Teilnahme an einer Reihe von Aktivitäten ermöglicht, die sonst wohl ohne einen hätten stattfinden müssen. 

Kurz und gut, mich erwartet in den nächsten Tagen ein ziemlich volles Programm, und es steht zu erwarten, dass es darüber eine ganze Menge zu bloggen geben wird. Daher hier schon mal eine kleine Vorschau auf die kommenden Attraktionen: 


Donnerstag, 04.06.2015: 
Hochfest des Leibes und Blutes Christi 

Besser bekannt als Fronleichnam. In Berlin (natürlich) kein gesetzlicher Feiertag, weshalb es in einigen Pfarreien Usus ist, dieses Hochfest am darauf folgenden Sonntag "nachzufeiern". So habe ich es z.B. letztes Jahr gehalten; wenn aber der Fronleichnamsdonnerstag in diesem Jahr in meinen Urlaub fällt, dann will ich ihn auch ausgiebig zelebrieren! 

Geplant sind die folgenden Termine: 


18:00 Uhr: Gendarmenmarkt, Berlin 

21:00 Uhr: St.-Hedwigs-Kathedrale, Berlin 


Freitag, 05.06.2015: 
Allerlei außerordentliche Formen 

12:00 Uhr: Erzbischöfliches Ordinariat Berlin bzw. St.-Hedwigs-Kathedrale 

Wenn es sich bestätigt, dass - wie es sich ja anzudeuten scheint - am Freitag um 12 Uhr die Ernennung des neuen Erzbischofs von Berlin bekannt gegeben wird, dann wird es sich wohl kaum vermeiden lassen, dass ich das in meinem Blog thematisiere. Aber wie habe ich mir die Bekanntgabe der Ernennung eigentlich vorzustellen? Wird sich das katholische Volk Berlins auf dem Bebelplatz drängen und darauf warten, dass um Punkt Zwölf ein Domkapitular auf der Loggia des Erzbischöflichen Palasts erscheint und "Annuntio vobis gaudium magnum!" ausruft? Na, ich werd's mir mal ansehen. 


17:30 Rosenkranzgebet 
18:00 Heilige Messe 
19:30 Buchvorstellung: Alfred Sobel, "'Gute Ehen werden in der Hölle geschlossen'. Das wilde Leben des Künstlerpaares Hugo Ball und Emmy Hennings zwischen Dadaismus und Glauben." 
anschließend Gespräch bei Wein, Brot und Käse. 

Was bei dieser Veranstaltung besonders interessant werden könnte, ist, dass ein atheistischer Marxist aus meinem Freundeskreis in Aussicht gestellt hat, eventuell mitzukommen. In erster Linie interessiert er sich wohl für Hugo Ball, aber ich weiß, dass er auch dem Katholizismus, vor allem in seiner Hardcore-Variante, mit einer gewissen Faszination gegenübersteht, und so wunderte es mich nicht allzu sehr, dass er sagte, wenn er mitkäme, wolle er sich auch "das volle Programm geben", einschließlich Rosenkranzgebet und Messe in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus. Es kann aber auch sein, dass er ausgerechnet an dem Tag Opa wird, und in dem Fall wird er nicht mitkommen. Schauen wir mal. 


Samstag, 06.06.2015 / Sonntag, 07.06.2015: 
Martin Luther Grave Rotation Event 

Besser bekannt als Deutscher Evangelischer Kirchentag. In Stuttgart. War ein sehr spontaner Entschluss, da übers Wochenende hinzufahren, nachdem ich festgestellt hatte, dass dieses Event aufgrund mysteriöser Fügung just in meinen Urlaub fällt. Kaum hatte ich den Gedanken gefasst, da könnte ich ja eventuell hinfahren, wurde ich von verschiedensten Seiten dazu ermutigt. Dass, wie ich erst am Montag herausfand, gerade eine neue Fernbuslinie zwischen Berlin und Stuttgart, mit unschlagbar günstigen Preisen und für meine Pläne geradezu idealen Fahrtzeiten den Betrieb aufgenommen hat, gab den Ausschlag: Das ist ein Zeichen!, sagte ich mir. Mal ein paar Erfahrungen mit Journalismus aus Krisengebieten sammeln. 

Erfahrenen Kirchentagsveteranen in meinem Umfeld verdanke ich die Information, es sei empfehlenswert, eine Trinkflasche und eine Brotdose mitzunehmen. Außerdem nehme ich mit: Unterwäsche zum Wechseln, meinen Rosenkranz, Schreibzeug sowie natürlich mein unverzichtbares Mobilgerät inklusive Stundenbuch-, Twitter- und Facebook-App. Die Kirchentags-App herunterzuladen, habe ich hingegen verschmäht. Infolgedessen sind meine Pläne, wie genau ich meinen schätzungsweise 32-stündigen Aufenthalt auf dem Häretikerfest gestalten werde, einigermaßen unscharf. Als gesetzt möchte ich jedoch die folgenden Termine betrachten: 

Samstag, 06:30-14:00 Uhr: Anreise

14:30 Uhr: Andreäkirche Stuttgart 

17:00 Uhr: Bühne im Oberen Schlossgarten, Stuttgart 
Konzert von "Die Tüdelband" 

19:00 Uhr: Steigkirche Stuttgart 


Sonntag, morgens bzw. vormittags: 
eine katholische Kirche suchen, in der es keinen ökumenischen Gottesdienst, sondern eine richtige Heilige Messe mit allem Drum und Dran gibt. 

Den Rest des Sonntags werde ich vermutlich einfach irgendwie durch die Gegend eiern und schauen, was so passiert. Es sei denn, im Laufe des Samstags werden sich konkrete Pläne für den Sonntag herauskristallisiert haben. 

Sonntag, 22:00 Uhr - Montag, 05:30 Uhr: Rückfahrt. 


Man sieht, mich erwartet eine ganze Menge Input; das Alles gebührend zu verbloggen, mag allerdings - gerade bei meiner bekannten Neigung zu epischer Breite - einige Zeit in Anspruch nehmen. Wem der Sinn nach kurzgefasster Live-Berichterstattung steht, dem kann ich daher nur empfehlen, mir auf Twitter zu folgen. Über den Trip zum Kirchentag twittere ich unter dem Hashtag #BloggupyStuttgart


P.S.: Besonderer Dank dafür, mich zu diesem Abenteuerurlaub motiviert zu haben, gebührt meinem Kollegen, regelmäßigen Diskussionsgegner und Kekskumpel Patrick, äh nein, Wigant Grön! Danke!!