"Hat Jesus tatsächlich Tote erweckt und Kranke geheilt?" Wenn diese Frage im Teaser-Absatz eines Artikels auf häretisch.de gestellt wird, kann man es sich von vornherein abschminken, darauf ein klares "Ja" als Antwort zu erhalten. Und wenn Schüler im Religionsunterricht diese Frage stellen? Dann wahrscheinlich auch, jedenfalls wenn die Lehrerin Andrea Vogt heißt. Diese Dame, die am Marie-Curie-Gymnasium in Dresden unterrichtet, hat nämlich für die häretisch.de-Kolumne "Mein Religionsunterricht" geschildert, wie sie die Schüler einer 6. Klasse dazu anleitet, "die biblische Geschichte von der Heilung eines Taubstummen (neu) zu verstehen": "In Zweiergruppen wird immer ein Schüler bestimmt, der sich die Ohren zuhalten soll." Auf diese Weise soll für die Sechstklässler erfahrbar gemacht werden, "was den Taubstummen aus dem 7. Kapitel des Markusevangeliums quält". Der gewünschte Lerneffekt:
"Wie schön, sich vorzustellen, dass Jesus die Macht hatte, diesen Mann von seinen Leiden zu erlösen, seine Ohren zu heilen, ihn hörend und sprechend zu machen!"Na fein: Wenn es nicht wahr ist, dann ist es doch immerhin schön, es sich vorzustellen, und das ist schließlich alles, worauf es letztlich ankommt, nicht wahr? -- Aber nein, nicht ganz:
"[D]ann überlegen wir [...]: Wovor haben wir schon einmal unsere Ohren verschlossen? Was können wir nicht mehr hören? [...] Die Kinder reflektieren, dass auch sie schon einmal 'taub' für etwas waren. Ging es dem Taubstummen aus der Bibel vielleicht genauso? Ist er taub für seine Mitmenschen geworden? Hat er gemerkt, dass es ihm nicht gut damit geht? War es das, was ihn gequält hat?"Ächz bzw. gähn. Damit aber nicht genug:
"Der für mich spannendste Teil der Stunde kommt jetzt. Ich frage die Schüler [...], an welche der beiden Varianten man denn jetzt glauben soll: Jesus, der einen medizinisch Kranken wieder gesund macht, oder Jesus, der einen in sich gekehrten, verschlossenen, selbstbezogenen und einsamen Menschen heilt? Von der Toleranz der Kinderantworten kann sich jeder Erwachsene eine Scheibe abschneiden: Beides ist okay!"
Oberflächlich betrachtet erscheint mir das Verblüffendste an diesem Beitrag, dass die Lehrerin ihren Schrottunterricht in einem Tonfall schildert, als wäre das etwas Tolles und der geneigte Leser müsste das ebenfalls toll finden. Aber wenn's nur das wäre, wär's ja harmlos: Doofen Unterricht haben wir wohl alle mal gehabt, nicht nur im Fach Religion, aber da vielleicht besonders. Auf das eigentlich Problematische an der geschilderten Unterrichtseinheit weist ein befreundeter Netzkatholik auf Twitter hin: Er beschreibt sie treffend als
"ein Beispiel für die religionspädagogische Schutzimpfung gegen das Christentum, mit der die letzten zwei Generationen in D geimpft wurden. Als Christentum verpackter Unglaube. Und dann das Wehklagen über Relevanzverlust?"
Ich möchte hinzufügen: Das ist Religion, wie militante Atheisten sie sich vorstellen. Religion als institutionalisiertes Für-dumm-Verkaufen und sich willentlich für dumm verkaufen lassen.
Natürlich hat diese systematische Verdummung auch Auswirkungen auf den außerreligiösen Bereich: Der Verstand der Schüler, ihre Fähigkeit zum logischen Denken, wird nachhaltig geschädigt, wenn man sie darauf trimmt, die Vorstellung zu akzeptieren, eine Aussage könne wahr und unwahr zugleich sein; wenn man sie dazu konditioniert, "Entweder-Oder"-Fragen mit "sowohl als auch" zu beantworten, um nur ja nichts Falsches zu sagen, und ihnen somit beibringt, Opportunismus - als eine Verhaltensweise, zu der der Mensch, insbesondere der junge Mensch, sowieso von Natur aus neigt und die daher eigentlich nicht noch extra gefördert werden müsste - für eine Tugend zu halten und diese "Toleranz" zu nennen. Und dann wird den Schülern auch noch suggeriert, die Erwachsenen könnten in dieser Hinsicht noch was von ihnen lernen. Kurz gesagt, wenn es an den Schulen so zugeht, muss man sich wirklich nicht darüber wundern, wenn ein Drittel aller Erstwähler die Grünen wählt. Sondern eher darüber, dass es nicht noch mehr sind.
Natürlich ist konfessioneller Religionsunterricht an staatlichen Schulen grundsätzlich eine zwiespältige Angelegenheit. Schließlich soll er - wie gerade seine Verteidiger, zu denen ich auch mal gehört habe, gern hervorheben - ausdrücklich nicht der Glaubensverkündigung dienen. Aber über Religion aus einer nicht explizit gläubigen Perspektive zu sprechen, gerät nahezu zwangsläufig irgendwie schief.
"So gesehen ist es vielleicht doch ganz gut, dass es in Berlin keinen verpflichtenden Religionsunterricht gibt", resümiere ich, als ich mich mit meiner Liebsten über diesen doofen Artikel austausche.
"Natürlich ist das gut!", erwidert sie emphatisch. "Was glaubst du, warum ich niemals an eine katholische Schule gehen würde!" Ich erwähnte wohl schon, dass sie Lehrerin ist; und eines ihrer Unterrichtspraktika hat sie an einer katholischen Schule absolviert. Sie weiß also, wovon sie redet. "Da würde direkt alles in Flammen aufgehen, sobald wir nur einen Fuß hinein setzen", fügt sie hinzu.
Die Vorstellung gefällt mir irgendwie. "Wie hieß nochmal diese angebliche paranormale Fähigkeit, durch pure Willenskraft Feuer zu entzünden? Ach ja: Pyrokinese." Es gibt einen Roman von Stephen King darüber, allerdings habe ich den weder gelesen noch auch die Verfilmung (mit der damals achtjährigen Drew Barrymore in der Hauptrolle) gesehen.
"Das wäre doch mal ein tolles Charisma", sinniere ich. "Levitation, Bilokation, alles gut und schön, aber Pyrokinese... wuuhaa."
Etwas nachdenklicher füge ich hinzu: "Es wäre allerdings wohl ziemlich gefährlich, mir diese Gabe zu verleihen."
"Mir nicht minder", lacht meine Liebste. "Ich glaube, zwischen uns gäbe es allenfalls marginale Unterschiede in Hinblick darauf, was wir jeweils in Flammen aufgehen lassen würden..."
(P.S.: "Alles anzünden - auf katholisch" ist übrigens das Twitter-Motto von Judith Klaiber alias @youdidinvienna, Referentin für Führungskräfte in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und künftige Kardinälin. Ich glaube allerdings, was sie damit eigentlich meint, ist "Alles Katholische anzünden". Kann man ja mal verwechseln.)