Donnerstag, 27. Juli 2023

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #40

Abermals Grüße aus dem Urlaub, Leser! Es ist seit Jahren meine Überzeugung, dass jeder Urlaub gewisse Unbequemlichkeiten mit sich bringt, die man nicht hätte, wenn man zu Hause geblieben wäre, müsse so sein, damit man sich am Ende des Urlaubs wieder auf zu Hause freut. In dieser Hinsicht war die Woche auf dem Reiterhof fast schon zu gut; die zweite Urlaubswoche hat das aber tendenziell wieder ausgeglichen. Näheres dazu unten! Urlaubsbedingt gibt es diese Woche ein paar Sonderrubriken, dafür fallen einige der gewohnten Rubriken aus – darunter auch die "Blogvorschau", denn da wüsste ich gerade wirklich nichts zu schreiben, was ich nicht schon vorige Woche geschrieben habe.  – Die angekündigte Rubrik "Aus meinem Wichtelbuch" verschiebe ich nochmals um eine Woche, da dieses Wochenbriefing sonst nicht rechtzeitig fertig wird und es auch ohnedies mehr als genug zu berichten gibt. 

Zum Gedenken an alle Embolismen, die beim Vaterunser in der Messliturgie "aus pastoralen Gründen" weggelassen wurden

Weiteres aus dem Urlaub in Ostfriesland 

Am Freitag, dem letzten vollen Tag unseres Aufenthalts auf dem Reiterhof Kleine Mücke, wollte meine Liebste sich erkundigen, ob unsere Kinder am Nachmittag noch eine Reitstunde bekommen könnten, und passte zu diesem Zweck das Ende des Mittagessens der Ferienmädchen ab. Unser Jüngster begleitete sie nach unten, und als beide zurück in unsere Ferienwohnung kamen, verkündete er freudestrahlend: "Toffel!" Tatsächlich, meine Liebste brachte eine Schüssel Kartoffelbrei mit. Die war beim Mittagessen der Ferienmädchen übrig geblieben, und jetzt durften wir den Kartoffelbrei aufessen. Nebenbei war meiner Liebsten mitgeteilt worden, unsere Ferienwohnung sei noch für ein paar weitere Tage frei. Gut zu wissen, dass man uns gern noch länger dabehalten hätte. Ein paar Tage zuvor hatte ich beim Frühstück den Satz fallen lassen "Von mir aus können wir hier jedes Jahr Urlaub machen", worauf das Tochterkind prompt erwidert hatte: "Von mir aus können wir hier einziehen." 

– So ist das, wenn das Leben ein Ponyhof ist. Die Frage nach dem Reitunterricht für die Kinder wurde übrigens dahingehend beantwortet, dass die beiden am Nachmittag einen geführten Ausritt machen durften. Am Samstagmorgen hieß es dann Abschied nehmen vom Reiterhof Kleine Mücke, und somit war der schöne Teil des Urlaubs erst mal vorbei. Für die folgenden sieben Tage hatte meine Liebste eine Ferienwohnung in Norddeich gebucht – theoretisch eine gute Idee: Ein paar Dörfer weiter wohnen meine Schwester und mein Schwager, die wir bei der Gelegenheit mal besuchen wollten, und meine Mutter wollte auch für ein paar Tage dazustoßen; davon abgesehen hat Norddeich einerseits einen Strand, andererseits aber auch das Erlebnisbad OceanWave, ein Kinderspielhaus, eine Seehundstation und ein Waloseum, sodass wir annahmen, einigermaßen wetterunabhängig zu sein – es war nämlich Dauerregen angekündigt. 

Als wir in Norddeich ankamen (es gibt übrigens mit öffentlichen Verkehrsmitteln keine sinnvolle Direktverbindung von Aurich nach Norden, wir mussten über Emden fahren, was, wenn man es sich auf der Landkarte ansieht, ein grotesker Umweg ist), regnete es recht beharrlich, und da wir noch fast zwei Stunden Zeit hatten, bis wir in die Unterkunft konnten, flüchteten wir vom Bahnhof erst einmal in eine Eisdiele namens Frieseneis. Da war's super: 





So begann der Aufenthalt in Norddeich also mit einer positiven Note; es blieb aber vorläufig die letzte. Zuerst stellten wir fest, dass wir uns bei der Adresse unserer Ferienwohnung in der Hausnummer geirrt hatten und die Unterkunft zwar nah am Hafen und am Bahnhof, aber längst nicht so dicht am Zentrum von Norddeich lag, wie wir gedacht hatten; dann stellte sich heraus, dass wir uns erst einmal den Schlüssel im Büro der Ferienhausverwaltung abholen mussten, das abermals ganz woanders (sprich: einen gut 20minütigen Fußweg entfernt) lag; und die Ferienwohnung selbst erwies sich, als wir endlich hineinkonnten, auch nicht gerade als komfortabel. Ich sag mal so: Auf unserem gemeinsamen Jakobsweg vor sieben Jahren haben meine Liebste und ich einmal in einer Pension in León übernachtet, die so aussah, als wäre sie seit den Tagen von Generalissimus Franco nicht renoviert worden, und auch so roch, und nachts wurde man vom Gebrüll des besoffen Fußball guckenden Mannes der Pensionswirtin wach gehalten; und über Weihnachten 2019 waren wir in Nordenham in einer Ferienwohnung, die sonst meist als Monteurswohnung genutzt wurde und in der die Möbel eine bedenkliche Neigung zeigten, auseinanderzufallen. Aber eine Bronzemedaille im Kampf um den Titel der miesesten Ferienunterkunft hat diese Norddeicher Ferienwohnung sich allemal verdient. Meine Liebste versichert indes, es sei die einzige einigermaßen bezahlbare Unterkunft für eine vierköpfige Familie gewesen, die zu dieser Jahreszeit in Norddeich zu finden war. 

Was mich zum nächsten Punkt auf der Liste der Ärgernisse bringt: Norddeich ist sehr touristisch. Wenn man zuvor eine Woche an einem Ort verbracht hat, an dem Reiterferien die dominierende Form des Tourismus darstellen (okay: Auf dem Tannenhauser See kann man auch wakeboarden. Dafür kann man in Norddeich aber kite-surfen – und tut das auch, und zwar nicht zu knapp), ist das schon ein kleiner Kulturschock. Das fiel mir schon auf dem Weg von unserer Unterkunft zur Ferienhausverwaltung und zurück auf, als ich Leuten begegnete, die miteinander Schwäbisch sprachen. Bitte nicht falsch verstehen: Ich habe nichts gegen Schwaben, einige meiner besten Freunde sind – aber das ist einfach nicht das, was man als gebürtiges Nordlicht erwartet, wenn man von Berlin nach Ostfriesland reist. 

Davon abgesehen äußert sich der touristische Charakter von Norddeich hauptsächlich darin, dass alles zu voll und zu teuer ist. Wobei das ehrlich gesagt nicht ganz stimmt: Zu teuer ist eigentlich nur die Gastronomie; der Eintritt ins OceanWave-Schwimmbad ist eigentlich recht günstig und der ins Kinderspielhaus sogar kostenlos. – Im Übrigen ist mir das Widersinnige daran, sich als Tourist darüber zu beschweren, dass es am Urlaubsort seiner Wahl zu viele Touristen gibt, sehr wohl bewusst. Ich glaube aber trotzdem, dass das eine Regung ist, die Viele nachvollziehen können. Man lese nur mal "The Beach" von Alex Garland: Der Unterschied zwischen Individual- und Pauschaltouristen ist nun mal der, dass der Individualtourist gern dahin möchte, wo die Anderen nicht sind, aber immer wieder ergeht's ihm wie dem Hasen in der Schwankerzählung vom Hasen und dem Igel, und der Igel ist zumeist ein Schwabe. (Sorry, die Pointe konnte ich mir jetzt nicht verkneifen.) 

Der größte Minuspunkt von Norddeich ist, dass es keine öffentlichen Mülleimer gibt. Im Ernst, ich habe im ganzen Ort keinen einzigen gesehen. Und im Übrigen werden um 21 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt. Einige wenige Lokale haben bis 22 Uhr geöffnet, und danach nur noch Metas Musikschuppen – aber nur samstags. Die einmalige Chance, diese Kult-Location des frühen deutschen Rock'n'Roll und Beat, wo sowohl Otto Waalkes (als Sänger und Leadgitarrist einer Beatband) als auch Howard Carpendale (als Elvis-Imitator, kein Witz) ihre Karrieren begannen, von innen zu sehen, verpasste ich, weil ich am Abend unseres Ankunftstags so erschöpft war, dass ich froh war, endlich ins Bett gehen zu dürfen. 

Trotz alledem entwickelte sich unser Aufenthalt in Norddeich in den folgenden Tagen besser, als man nach dem schlechten Start hätte erwarten mögen. Zu den Highlights gehörte es, dass wir zusammen mit meiner Schwester und meiner Mutter die Seehundstation besuchten: 







Ins OceanWave gingen wir natürlich auch, und auch das Wetter besserte sich so weit, dass wir mehrmals an den Strand gehen konnten. – Übrigens eine kleine Beobachtung aus dem OceanWave: Eltern, die ihre Kinder #kitafrei aufziehen, stehen ja häufig im Ruf, überfürsorgliche Helikoptereltern zu sein. Ich persönlich halte das für Quatsch. Ich kann nicht für alle kitafreien Eltern sprechen und will auch die Auswirkungen der KiTa-Betreuung auf das Verhalten von Kindern nicht verallgemeinern, möchte aber behaupten, unsere Kinder agieren für ihr Alter ziemlich souverän und selbstsicher; und zumindest zu einem gewissen Grad, so denke ich, rührt das gerade daher, dass sie mit der Erfahrung aufwachsen, dass mindestens ein Elternteil jederzeit für sie da ist, wenn sie uns brauchen. – Was nun aber wirklich überforsorgliche Eltern angeht, so habe ich im OceanWave sogar im Kleinkinder-Planschbecken zahlreiche Kinder gesehen, die mit Schwimmflügeln, Schwimmwesten oder so komischen Schwimmgürteln ausgerüstet waren, mit denen man aussieht wie ein Selbstmordattentäter. Einige Kinder trugen sogar mehrere solcher Teile gleichzeitig. Bei einer Wassertiefe von maximal 20 Zentimetern, wo selbst ein Kleinkind höchstens dann ertrinken kann, wenn es mit dem Gesicht nach unten im Wasser liegt – und genau dann nützen auch solche Schwimmhilfen nichts. 

Wie dem auch sei: Auf dem Programm stehen nun noch das Waloseum, eventuell das Ostfriesische Teemuseum in Norden, und auf der Drachenwiese am Strand beginnt heute ein "Wikingerfest" – da müssen wir wohl auch mal gucken. Ich werde berichten! 


Neues von der musikalischen Frühförderung 

Dass unser Jüngster großes Interesse an Musik zeigt, habe ich in den letzten Wochen ja schon ein paarmal erwähnt, und in diesem Urlaub hat es sich einmal mehr bestätigt. Am späten Nachmittag unseres Ankunftstags in Norddeich dachte ich, ich könnte mich vielleicht kurz mal ein bisschen ausruhen, aber die Kinder waren nicht dieser Meinung und sprangen ausgelassen um mich herum. Der Jüngste brabbelte dabei teils mehr, teils weniger unverständlich vor sich hin, und ein Wort, das er mehrmals wiederholte, klang für mein Ohr so ähnlich wie Papageno.  "Papageno? Kann ich dir zeigen", sagte ich spontan, zückte mein Handy und suchte bei YouTube eine Aufnahme von "Der Vogelfänger bin ich ja" heraus – als Auszug aus einer Zauberflöten-Aufführung an der Opéra Nationale de Paris aus dem Jahr 2001 mit Detlef Roth als Papageno. Ehrlich gesagt entschied ich mich für diese Version hauptsächlich deshalb, weil mir das Kostüm gefiel bzw. ich annahm, dass es meinen Kindern gefallen würde. Ich wurde nicht enttäuscht: Die Kinder waren absolut gefesselt, und insbesondere der Jüngste kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Die Folge war, dass ich den Kindern noch diverse weitere Papageno-Auftritte aus derselben Zauberflöten-Aufführung zeigen musste. Besonders gut kam das Papageno-Papagena-Duett an, auch wenn der Jüngste mit kindlicher Logik überzeugt war, Pagagena müsse "Mama-Geno" heißen. (Wie Heinz Erhardt dichtete: Aus der Ferne grüßen Fata und Mutta Morgana.) Zu diesem Duett übrigens eine inhaltliche Anmerkung: Papageno und Papagena sind endlich vereint, hatten einander verloren und haben sich wiedergefunden – und widmen dieser Tatsache gerade mal zwei Verse pro Person, ehe sie dazu übergehen, von den Kindern zu singen, die sie zusammen bekommen wollen. Das nämlich, so meinen sie, sei "das Höchste der Gefühle". Mit Blick auf meine eigenen Kinder möchte ich da nicht widersprechen, aber bemerkenswert finde ich diese Prioritätensetzung schon. 

In den Tagen seither ist es immer mal wieder vorgekommen, dass der Jüngste, wenn er gerade wegen irgendetwas traurig, maulig oder aufgebracht war, zu mir gelaufen kam und nachdrücklich "Papageno!" forderte. Allmählich erinnert mich das an Ludwig Tiecks Theaterstück "Der gestiefelte Kater", in dem es die Figur des "Besänftigers" gibt: Zunächst ist es seine Aufgabe, den von Stimmungsschwankungen geplagten König aufzumuntern wie weiland David König Saul, aber zunehmend wird er dazu eingesetzt, das über die zahlreichen Mängel des Stücks erzürnte Publikum zu besänftigen. Und dieser Besänftiger... tritt in einem Papageno-Kostüm auf und trägt Auszüge aus der Zauberflöte vor! (Das Stück erschien erstmals 1797, nur sechs Jahre nach der Uraufführung der Zauberflöte.) 


Zu Gast in deinem Zelt Strandkorb 

Am Dienstag stand ich am Strand von Norddeich am Coffee-Bike an und ärgerte mich, dass die Warteschlange vor mir nicht kürzer wurde (was nicht unwesentlich daran lag, dass der Barista telefonierte, statt die Kunden zu bedienen), als eine Lautsprecherdurchsage meine Aufmerksamkeit auf sich zog: Eine Frau, die sich als Almut vorstellte, lud die anwesenden Kinder für 15 Uhr zur "Kinderkirche" am Kirchenstrandkorb ein. Der Kirchenstrandkorb war dank einer blau-weißen Fahne mit der Aufschrift "Kirche" weithin zu erkennen; ich ließ die Hoffnung auf einen frischen Kaffee fahren, kehrte zu meiner Familie zurück und fragte das Tochterkind (da der Jüngste gerade auf Mamis Schoß Mittagsschlaf hielt), ob sie Lust habe, mit mir zur Kinderkirche zu gehen. Sie bejahte ohne Zögern, also stiefelten wir los. 

Bei diesem "Kirchenstrandkorb" handelt es sich um eine Einrichtung der "Ökumenischen Urlauber*innenseelsorge [sic] Norden/Norddeich"; Almut entpuppte sich als freundliche ältere Dame von der evangelischen Kirchengemeinde, die den ca. zehn zu ihren Füßen versammelten Kindern (fast ausschließlich Mädchen) eine freie Nacherzählung der Geschichte von Jona und dem Wal präsentierte, teilweise szenisch illustriert mit Playmobil-Figuren. 

Ich fand es übrigens recht charakteristisch, dass von allen anwesenden Kinder einzig meine Tochter Anstalten machte, das Programm ein bisschen interaktiver zu gestalten, indem sie auf die in die Erzählung eingestreuten rhetorischen Fragen tatsächlich Antworten gab. 

Anschließend wurden noch ein paar Lieder gesungen: Zunächst "Bruder Jakob" – ein Lied, dessen christlicher Hintergrund zumindest in der deutschen Textfassung kaum mehr zu erahnen ist, aber okay, immerhin passte es dazu, dass gerade der Festtag des Apostels Jakobus war –, dann "Weißt du, wieviel Sternlein stehen", dessen Text man schon als erheblich eindeutiger christlich geprägt bezeichnen kann, und schließlich ein mir bis dahin nicht bekanntes, aber eindeutig kinderkirchentaugliches Lied mit dem Titel "Große Leut', kleine Leut'". Insgesamt fand ich diese "Kinderkirche" so mittel, was aber für ein Angebot der großkirchlich-ökumenischen Urlauberseelsorge bei mir allemal "besser als erwartet" bedeutet; und das Tochterkind fand es richtig gut, was im Zweifel das gewichtigere Urteil ist. Zum Abschluss bekam jedes Kind ein Büchlein mit kindgerechten Morgen-, Mittags- und Abendgebeten geschenkt; die Gebete gefallen mir gut, und schön illustriert ist das Büchlein auch. – "Ich hätte es ja besser gefunden, wenn da Lobpreis gesungen worden wäre", sagte ich zum Tochterkind, während wir zum Strandspielplatz zurückgingen. "Sowas wie 'Je-Je-Jesus ist größer' zum Beispiel." – "Oder 'Alles was ich hab'", erwiderte meine Tochter, also sangen wir das auf dem Weg zum Spielplatz. 

Neues aus Synodalien 

Am vergangenen Freitag fand in der Kirche St. Canisius in Berlin-Charlottenburg ein von der "Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) e.V" ausgerichteter "Ökumenischer CSD-Gottesdienst" unter dem Motto "Mit Gottes Segen - für mehr Solidarität und Empathie" statt; darüber informierte mich eine Pressemitteilung, die mich per eMail erreichte. Es zelebrierten Pater Georg Maria Roers SJ und Thomas Beckmann, die Predigt hielt Veronika Gräwe von der Initiative #OutinChurch, und, nun die Pointe: "An der Orgel begleitet[e] den Gottesdienst Anna Vavilkina, Hausorganistin im Kino Babylon". Sic. Das lasse ich einfach mal so stehen

Derweil habe ich auch diesmal wieder ein paar Beobachtungen aus der Diaspora des vakanten Bistums Osnabrück mitzuteilen. In Norddeich gibt es zwar keine katholische Kirche, wohl aber in Norden, und diese heißt ebenso wie die in Aurich St. Ludgerus. Um die Verwirrung komplett zu machen, heißt auch die evangelische Hauptkirche von Norden Ludgerikirche; genauer gesagt ist dies eigentlich die erste dem Hl. Ludger geweihte Kirche des Ortes, sie wurde bereits im 13. Jh. errichtet, die heutige katholische Kirche Nordens hingegen erst 1885. Die erstere habe ich bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nur von außen gesehen, war aber beeindruckt von ihrer mittelalterlichen Wuchtigkeit und schieren Größe; die letztere kann da nicht mithalten, ist aber größer und prächtiger als die gleichnamige Kirche in Aurich – was zwar insofern überrascht, als Norden eine deutlich kleinere Stadt als Aurich ist, aber, wie ich bei Tante Wikipedia gelesen habe, der großzügigen Stiftung eines Münsteraner Pelzhändlers zu verdanken sein soll. 



Bedenklich erscheint indes, dass im Schaukasten der Kirche die Thesen von Maria 2.0 aushängen. Einen "Frauenstammtisch" gibt es in der Gemeinde auch, aber der veranstaltet eher so Sachen wie Kartenspielabende, "Weihnachtsmarktbesuch oder [!] Plätzchenbacken" und, besonders hübsch, "Gewürzabenteuer: Heilmittel-Curryduft-Kompositionen sehen, riechen, schmecken" ("Wir probieren Chutney und Papadam und machen uns eine eigene Gewürzmischung zum Mitnehmen"). 

À propos Mitnehmen: Natürlich nahm ich mir auch hier wieder den Pfarrbrief mit – ein 72 Seiten starkes, bunt bebildertes Heft, das ich hier nicht umfassend rezensieren kann und will, aber ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind, will ich doch festhalten. Im Bericht über die Konstituierung des neugewählten Pfarrgemeinderates heißt es: "Gerade heute in den Zeiten des Umbruchs und Neuanfangs im Bistum Osnabrück und in der kath. Kirche Deutschlands müssen wir zusammenstehen und weitere Umstrukturierungen und neue Ansätze bzw. Möglichkeiten einfordern." Diejenigen Beiträge, in denen es um "Seelsorge am Meer", die Urlauberseelsorge des Bistums Osnabrück, geht – aber, soweit ich gesehen habe, nur diese –, sind gespickt mit Gender-Sternchen, sogar beim Wort "Gott*". Ansonsten wirkt der Großteil des Pfarrbriefs auf den ersten Blick recht "normalkatholisch", im Guten wie im Bösen; kurz vor Schluss folgt dann aber eine Doppelseite über den "Synodalen Weg". Irritierenderweise ist dieser Beitrag zwar in Ich-Form geschrieben und enthält dezidiert subjektive Einschätzungen, ist aber dennoch nicht namentlich gezeichnet, sodass man sich wie Susi Sorglos fragen möchte: "He, wer spricht'n da?". Jedenfalls liest man da unter anderem: 

"Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass dieser Weg richtig und wichtig war und ist. Meine anfängliche Euphorie, dass wir bahnbrechende Veränderungen erlangen, hat sich im Laufe der Versammlungen sicherlich verändert. Und ja, kritische Stimmen bemerken zu recht, dass wir die Jahrzehnte diskutierten Hauptthemen: frauenweihe, Pflichtzölibat und Sexualmoral nur angekratzt haben. Aber dieses hartnäckige Kratzen und Füße scharren war und ist fruchtbar. Mit dem Synodalen Weg haben wir deutliche Spuren hinterlassen vielleicht sogar in Rom". 

Und abschließend: 

"Und nein, mit dieser 5. Versammlung ist der Synodale Weg nicht beendet, können wir uns nicht wieder bequem zurück lehnen, können und dürfen wir nicht mehr hinter dem zurück, was wir angestoßen haben! Für mich beginnt der Synodale Weg jetzt erst richtig!

Es ist nun an uns, dass wir die oft sperrigen Texte in unserem Bistum, Gemeinden und Verbänden mit Leben füllen. Mit der sofortigen Umsetzung der Beschlüsse, die unser Bistum direkt angekündigt hat: Taufspendung und Predigtdienst durch befähigte Lai*innen" – da ist er also doch noch einmal, der Genderstern – "und Segensfeiern für alle, setzen wir erste konkrete und ermutigende Zeichen für einen für mich [!] notwendigen Veränderungsprozess – für mehr Menschlichkeit – für mehr Veränderungswillen – für ein Mehr in Kirche!" 

Schöner kann man's fast nicht sagen: Die hier schreibende Person findet die auf dem Synodalen Weg propagierten Veränderungen  für sich notwendig, und der Rest der Kirche hat da gefälligst mitzuziehen. Das hat etwas von einer Geiselnahme, einer Flugzeugentführung

Zusammenfassend gesagt: Es ist nicht leicht, in Ostfriesland katholisch zu sein, aber das war es wohl noch nie – womöglich nicht einmal vor der Reformation. Interessant ist, dass es an der St.-Ludgerus-Kirche in Norden auch eine vietnamesische Gemeinde gibt; die könnte eventuell ein Refugium für glaubenstreue Katholiken sein, denn soweit ich es von Berlin aus beurteilen kann, haben die sogenannten "muttersprachlichen Gemeinden" mit der ganzen Synodalen Agenda absolut nichts am Hut. Ansonsten kann man natürlich darauf hoffen, dass sich im Bistum Osnabrück unter dem nächsten Bischof Manches ändert, aber übermäßig optimistisch wäre ich da bis auf Weiteres nicht. 


Spandau oder Portugal 

Dies ist eine Premiere, Leser: das erste Wochenbriefing, in dem es in der Rubrik "Spandau oder Portugal" nicht um Spandau geht, sondern um Portugal! Verantwortlich dafür ist natürlich der Weltjugendtag in Lissabon. Dieser hat zwar noch nicht begonnen, aber wie mich eine eMail der Pressestelle des Erzbistums Berlin informierte, sind bereits am gestrigen Mittwoch "180 junge Menschen aus 13 Pfarreien aus dem Erzbistum Berlin gemeinsam mit 28 Betreuer:innen [sic] zum 38. Weltjugendtag (WJT) nach Portugal" aufgebrochen. Zum Programm bis zur eigentlichen Eröffnung des Weltjugendtags heißt es da: 

"Zunächst geht es zu den Tagen der Begegnung im Vorfeld des Weltjugendtages nach Marinha Grande. Der knapp einwöchige Aufenthalt in der Pfarrei bietet Gelegenheit, die Bevölkerung und die Jugend vor Ort kennenzulernen. Außerdem werden hunderte weitere Jugendliche aus aller Welt mit vor Ort sein. Zu den Programmpunkten gehört ein Ausflug ins nahe gelegene Fatima, dem Ort der berühmten Marienerscheinungen von 1917, deren zentrales Thema das Gebet für den Frieden ist. Von Samstag, 29. bis Montag, 31. Juli wird der Berliner Erzbischof Heiner Koch zur Gruppe dazu stoßen." 

Gender-Doppelpunkt und Fatima: eine brisante Mischung, könnte man meinen. Aber wie ich immer gern sage, im Erzbistum Berlin macht der BDKJ sogar beim Nightfever mit. Auf den zweiten Blick fiel mir die Aussage ins Auge, das "zentrale Thema" der Marienerscheinungen von Fatima sei "das Gebet für den Frieden". Ach so, na dann: Das findet natürlich jeder jut, "gerade heute", wie man im Pastoralsprech so sagt. Ich muss sagen: Auf die Idee, dass man die Erscheinungen von Fatima politisch korrekt "framen" könnte, wäre ich nicht gekommen. 

Nebenbei, und weil ich gerade beim Thema bin: Im Vorfeld des Weltjugendtags sorgte eine Interviewaussage des Präsidenten der Stiftung Weltjugendtag Lissabon 2023, Américo Aguiar – seines Zeichens Weihbischof im Patriarchat von Lissabon und angehender Kardinal – für Unruhe, derzufolge der Weltjugendtag nicht darauf ausgerichtet sei, "die jungen Menschen [...] zu Christus oder zur katholischen Kirche [zu] bekehren, absolut nicht". Nun kann man sicherlich einige Verrenkungen anstellen, um dieser Aussage eine möglichst wohlwollende Deutung zu unterlegen – z.B., dass die Veranstaltung Weltjugendtag einfach vom Format her nicht auf Evangelisierung und Mission zugeschnitten sei und diese auf anderen Wegen geschehen müsse –; man kann auch, wie die portugiesische katholische Nachrichtenagentur ACI es tut, darauf verweisen, auch Papst Benedikt XVI. habe schließlich in einer Audienz mit Bischöfen aus Kasachstan und Zentralasien im Jahr 2008 gesagt, dass "die Kirche den katholischen Glauben nicht aufzwingt, sondern frei anbietet, weil sie weiß, dass die Bekehrung die geheimnisvolle Frucht des Wirkens des Heiligen Geistes ist". Aber wie man es dreht und wendet: Weihbischof Aguiars Aussage bleibt problematisch, weil sie den Eindruck einer direkten Absage an den zentralen Auftrag Jesu an Seine Kirche, "Gehet hin in alle Welt und macht alle Menschen zu meinem Jüngern" (Mt 28,19), erweckt. – Nun ist mir natürlich die eigentümlich dialektische Argumentation bekannt, gerade im Interesse dieses Auftrags müsse die Kirche den Eindruck vermeiden, missionieren zu wollen, weil der Begriff des Missionierens so einen negativen, abschreckenden Klang bekommen habe. Aber ich bezweifle, dass das stimmt. Wie ich neulich schon mal schrieb: "Klimaschützer, Tierrechtsaktivisten, Veganer, LGBTQ- und Antirassismus-Initiativen haben solche Bedenken hinsichtlich ihrer jeweiligen Message in der Regel nicht: Die glauben daran, dass das, was sie zu sagen haben, richtig, wichtig und eben darum auch attraktiv sei, und verhalten sich entsprechend." 


Aus dem Stundenbuch 

Die Söhne des Zebedäus bedrängten Jesus mit den folgenden Worten: "Lass in deinem Reich den einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen." Was antwortet Jesus? Er weist darauf hin, dass sie etwas Ungeistliches erbeten haben und dass sie es nicht gewagt hätten zu bitten, hätten sie gewusst, um was sie bitten. Dann fährt er fort: "Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?" Er will damit sagen: Ihr sprecht von Ehren und Kränzen, ich aber rede von Kampf und Schweiß. Denn noch ist nicht die Zeit für den Siegerpreis, noch erscheint meine Herrlichkeit nicht. Die Gegenwart ist eine Zeit von Mord, Kampf und Gefahr. Sie antworteten ihm: "Wir können es."

In der Bereitwilligkeit ihres Herzens versprechen sie es sogleich, ohne zu wissen, was sie da sagen, und erwarten die Gewährung ihrer Bitte. Und was sagt Jesus? "Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde." Eine große und schöne Verheißung gibt er ihnen, nämlich, ihr werdet des Martyriums gewürdigt und müsst ebenso leiden wie ich. Mit einem gewaltsamen Tod werdet ihr euer Leben beschließen, und darin werdet ihr meine Gefährten sein. 
(Johannes Chrysostomus, Homilie zum Matthäusevangelium) 

Ohrwurm der Woche 

Julien Bam: Mach die Robbe 


Die Kenntnis dieses Liedes verdanke ich ursprünglich der "Orry & Friends"-Kinderdisco im CenterParc Tossens, wo wir in den Winterferien waren, aber wie dem auch sei: Seinen Status als Ohrwurm der Woche hat sich der Song spätestens nach dem Besuch der Seehundstation redlich verdient. Einen guten zweiten Platz belegt Falco mit "Maschine brennt", wegen der Textstelle "Ich seh' es ganz genau, noch ist der Himmel blau, wer weiß, wie lange dieser Segen hält"... 


Sonntag, 23. Juli 2023

Bloggen als unehrenhafte Form des Journalismus

Ich habe es schon einmal erwähnt: Als ich im Sommer 2019 mit Frau und Tochter beim "Forum Altötting" der Gemeinschaft Emmanuel war, kam ich mit einem Pastoralreferenten aus dem Bistum Münster ins Gespräch, den ich zwar persönlich nicht kannte, der aber meinen Blog kannte; und dieser äußerte den bemerkenswerten Satz: "Sie werden mehr gelesen als Sie denken." Nanu, dachte ich, woher weiß der denn, was ich denke, wie viel ich gelesen werde? – 

An diese Begebenheit muss ich immer mal wieder denken, denn, Spaß beiseite: Es kommt tatsächlich immer mal wieder vor, dass ich überrascht bin, wer meinen Blog so alles liest; und besonders überrascht es mich, wie viele Leute meinen Blog nicht etwa deshalb lesen, weil sie das, was ich schreibe, gut oder wenigstens in einem irgendwie positiven Sinne interessant finden, sondern aus dem genau gegenteiligen Grund. Da könnte man sich nun natürlich bequem auf die Weisheit any publicity is good publicity zurückziehen, aber gerade da ich ja auch Erfahrungen mit anderen Publikationsformen, von der Kleinkunstbühne über Tages-, Wochen- und Monatszeitungen bis hin zu Radio und in sehr bescheidem Ausmaß auch Fernsehen habe, scheint mir, dass sich in dem verbreiteten Phänomen des Hate-Readings von Blogs nicht zuletzt auch eine feindselige Haltung gegenüber dem Medium selbst ausdrückt. Wobei es vielleicht weniger um das Medium im technischen Sinne geht als vielmehr darum, dass das Bloggen eine Form des Self-Publishing ist, bei dem man ohne Rücksicht auf Redakteure, Verleger oder Anzeigenkunden so ziemlich schreiben kann, was und wie einem der Schnabel gewachsen ist. Und dann gibt's da draußen Leute, die zutiefst davon überzeugt scheinen, dass man dazu kein Recht hätte; dass es irgendwie grundsätzlich unanständig sei, seine persönlichen Anschauungen derart ungefiltert in die Öffentlichkeit zu tragen. 

Mein Eindruck ist, dieses Phänomen hat eine allgemeine und dann noch mal eine spezielle Seite, soweit es das Bloggen über Kirchenthemen betrifft. Was die allgemeine Seite angeht, hat das sogenannte "Web 2.0" in zuvor ungekanntem Ausmaß die Diskurshoheit der etablierten Medien erschüttert. "Pressefreiheit", schrieb der konservative Publizist Paul Sethe 1965 in einem Leserbrief an den Spiegel, "ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten". Wo kommen wir denn da hin, wenn plötzlich nicht mehr nur 200 reiche Leute die Medien dazu nutzen können, ihre Meinung zu verbreiten, sondern – zumindest theoretisch – jeder?!? 

Wenn ich oben vom "zuvor ungekannten Ausmaß" dieses Umsturzes der etablierten Formen öffentlicher Meinungsbildung sprach, dann heißt das übrigens nicht, dass es so etwas früher überhaupt nicht gegeben hätte. Eine dem Aufkommen des Web 2.0 strukturell durchaus vergleichbare Umwälzung der Medienlandschaft vollzog sich im Bereich der Printmedien im 19. Jh., in Deutschland mit voller Wucht etwa ab den 1860er Jahren, in Frankreich und England schon ein paar Jahrzehnte früher: Ein explosionsartiges Anwachsen des potentiellen Lesepublikums, einerseits bedingt durch die gestiegenen Alphabetisierungsquoten, andererseits durch die Verbilligung von Druckerzeugnissen infolge technischer Neuerungen im Druckereiwesen und in der Papierherstellung, führte zu einem Boom preisgünstiger Druckschriften – wozu Kolportageromane, aber auch Zeitungen und Zeitschriften zählten. Auf dieses "Web 2.0 des 19. Jahrhunderts" habe ich bereits in der 12. Folge der Saga um die eingekerkerte Nonne hingewiesen – und dort kann man auch anhand von Beispielen nachvollziehen, was für einen schlechten Ruf die Leute genossen, die diese Druckschriften "mit viel Unverschämtheit und wenig Geld" produzierten. Die Darstellung des "verkommenen Journalisten" Siglowsky in dem von mir analysierten "Barbara Ubryk"-Roman ist zweifellos klischeehaft überzeichnet (und nebenbei bemerkt scheint es mir recht vielsagend, dass die Zunft der Schmierenjournalisten sogar und gerade in einem Roman, der unstrittigerweise selbst der Schundliteratur angehört, so ausgesprochen negativ beurteilt wird), aber man darf dennoch davon ausgehen, dass diese Schilderung einige Realitätsanteile enthält; so etwa, "daß er theils um das Holz für Heizung zu sparen, theils aus Mangel an einem Redaktionslokale in einem Kaffeehause Warschaus sein Schmutzblatt redigirte". Auch ein Karl May redigierte übrigens, bevor er mit seinen abenteuerlichen "Reiseerzählungen" aus dem Orient und dem Wilden Westen zu Ansehen und Wohlstand gelangte, mehrere kurzlebige Wochenblätter, bei denen er selbst sein wichtigster und oft wohl einziger Mitarbeiter war; und wenn wir schon beim Name-Dropping sind: Noch jemand, der den Presseboom um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu nutzen wusste (und dabei höhere Ziele im Auge hatte als schnöden Mammon), war Adolph Kolping. Ja, wirklich. Einige Jahrgänge der von ihm praktisch im Alleingang herausgebrachten Rheinischen Volksblätter habe ich mir schon vor einiger Zeit als pdf-Downloads besorgt, hatte aber bisher nie die Muße, sie systematisch durchzuarbeiten. Irgendwann kommt es dazu, hoffe ich. 

Und damit bin ich über diesen Exkurs ins 19. Jahrhundert auch schon bei der speziellen Seite des Problems "Bloggen im Raum der Kirche" angekommen. Die katholischen Blogger unserer Tage mögen sich mit ihrer Tätigkeit in der Nachfolge eines Adolph Kolping sehen (oder auch eines Maximilian Kolbe, der mehrere Zeitschriften und einen Radiosender gründete), aber das entspricht nicht unbedingt dem Grad an Wertschätzung, die ihnen seitens der kirchlichen Strukturen, von der lokalen Ebene bis hinauf zur Deutschen Bischofskonferenz zuteil wird. Gerade in Deutschland ist die katholische Kirche in einem solchen Maße durchinstitutionalisiert, dass Eigeninitiative von Einzelpersonen, die zu dem, was sie tun, nicht offiziell beauftragt wurden, als grundsätzlich suspekt gilt; hinzu kommt eine tief verwurzelte Innovationsfeindlichkeit, nicht selten gepaart mit Humorlosigkeit, und das alles zusammengenommen führt dazu, dass die institutionelle Kirche in Deutschland sich mit dem Thema Blogger Relations von jeher eher schwer tut. Pioniere des katholischen Bloggens wie Peter Winnemöller können ein Lied davon singen – bis hin zu der wahren Geschichte von einem ungenannten Bischof, der sich, um sich ein Bild davon zu machen, was es mit diesem Internet auf sich hat, mal von einem Mitarbeiter eine Website ausdrucken ließ. Heute haben natürlich die meisten deutschen Diözesen ihre finanziell teils mehr (z.B. Münster), teils weniger (z.B. Berlin) üppig ausgestatteten Social-Media-Abteilungen, auch einige altehrwürdige Bistumszeitungen (z.B. Kirche + Leben, ebenfalls Münster) sind im Netz präsent, und allen voran gibt es natürlich häretisch.de; dass all diese Formate die Konkurrenz der freischaffenden Blogger nicht besonders schätzen, war hier schon wiederholt Thema und ist ja auch nicht besonders überraschend. So bilden Amtskirche und amtskirchlich subventionierter Online-Journalismus in ihrer Haltung gegenüber den Bloggern leicht eine "Echokammer"; Kardinal Marx' berüchtigtes "Verblödungs"-Bonmot bei einer Pressekonferenz im Jahr 2015 war diesbezüglich zweifellos ein Tiefpunkt, aber kein Einzelfall. Schon 2009 bezeichnete der damalige Chefredakteur der Katholischen Nachrichtenagentur KNA, Ludwig Ring-Eifel, die katholischen Blogger in einem Gastbeitrag für das Vatican-Magazin als "Freibeuter"; bei genauerem Hinsehen kann man allerdings feststellen, dass das gar nicht ausschließlich negativ gemeint war, und immerhin lieferte es den Anlass für ein cooles T-Shirt-Motiv

Auf lokaler Ebene kommen noch ganz andere Probleme hinzu; das habe ich besonders in meiner Zeit in Tegel zu spüren bekommen, glaube jedoch nicht, dass es sich um Probleme handelt, die für Tegel spezifisch sind. Wo die über den mehr oder weniger regelmäßigen Gottesdienstbesuch hinaus aktive Pfarrgemeinde auf einen harten Kern von einer Handvoll Leute zusammenschrumpft, da entwickelt sich bei dieser Handvoll Leute leicht – mehr oder weniger bewusst – die Vorstellung, die Gemeinde gehöre ihnen und die Belange der Gemeinde seien gewissermaßen Privatangelenheiten, die prinzipiell nicht in die Öffentlichkeit gehören. Deshalb sind die Pfarrbriefe auch oft so langweilig: Themen, die eine etwas kontroversere Form öffentlichen Interesses erregen könnten als mit Fotos gespickte Berichte über das letzte Pfarrfest oder die Seniorenwallfahrt nach Alt-Buchhorst, kommen nicht hinein. Meine Zeit in der Pfarrbriefredaktion des damaligen Pastoralen Raums Reinickendorf-Süd (heute Pfarrei St. Klara) war geprägt von Diskussionen darüber, was so alles angeblich "nicht in den Pfarrbrief gehört"; dazu, dass diese Auffassungsunterschiede im Zuge der Endredaktion für die Frühjahrsausgabe 2021 eskalierten, trugen u.a. zwei Leserbriefe bei, in denen zwei Familien – nicht wir! – sich darüber beklagten, dass der Pfarrer sie bei zwei Messen in St. Rita (an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen oder vielleicht bei der Vorabend- und der Sonntagvormittags-Messe desselben Wochenendes, so genau weiß ich das nicht mehr) praktisch hinausgeworfen habe, weil ihre Kinder zu laut gewesen seien. Der eine der beiden Leserbriefe war in einem so unterwürfigen Tonfall verfasst, dass es schon an das maoistische Prinzip von "Kritik und Selbstkritik" erinnerte; veröffentlicht wurde er trotzdem nicht, und der andere, deutlich weniger demütige natürlich erst recht nicht. Wenn noch etwas gefehlt hätte, mich davon zu überzeugen, dass im Sozialsystem Pfarrei bzw. Pfarrgemeinde eine kritische Gegenöffentlichkeit vonnöten ist, dann wäre es diese Erfahrung gewesen. 

In welchem Maße die Tatsache, dass es in der Tegeler Pfarrgemeinde einen aktiven Blogger gab, als Problem wahrgenommen wurde, bekam ich erst richtig zu spüren, nachdem ich in den Pfarrgemeinderat gewählt worden war. Am Ende der konstituierenden Sitzung ließ der Pfarrer die Bemerkung fallen, er hoffe nicht, dass demnächst alles, was im Pfarrgemeinderat besprochen werde, haarklein in irgendwelchen Blogs nachzulesen sein würde. Man könnte denken, es wäre zielführender gewesen, mich direkt anzusprechen, aber das ist nun mal seine Art zu kommunizieren. Andeutungen dieser Art baut er durchaus auch mal in seine Predigten ein. – Jedenfalls wurde die präventive Beschwerde des Pfarrers über die Verbloggung von Pfarrgemeinderatssitzungen, obwohl es sich dabei lediglich um eine informelle Randbemerkung außerhalb der Tagesordnung handelte, ins Protokoll der Sitzung aufgenommen; was wohl nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken war, dass der Pfarrer dieses Protokoll selbst verfasst hatte. Dort las man unter "Verschiedenes", der Pfarrer weise "ausdrücklich" (wie auch sonst?) darauf hin, dass die Sitzungen des Pfarrgemeinderats "nicht in den Sozialen Medien (Internet-Blogs o.ä.) dargestellt und debattiert werden sollen"; dies habe in der Sitzung "allgemein Zustimmung" gefunden. Sodann folgt noch dirAnkündigung, der Pfarrer werde "seine Mitarbeit im PGR aussetzen [...], wenn dies dennoch geschehen sollte". Ich sag mal: Hashtag #kannstedirnichtausdenken. Zu beachten ist übrigens, dass Pfarrgemeinderatssitzungen in der Regel öffentlich sind, es sei denn, der Ausschluss der Öffentlichkeit wird explizit beantragt und beschlossen. Zu fordern, dass über öffentliche Veranstaltungen nicht öffentlich berichtet werden dürfte, ist offenkundig absurd; somit dokumentiert dieser Vorgang recht deutlich die Auffassung, Blogs und Soziale Netzwerke seien keine legitimen Plattformen der Berichterstattung. – Ich gab mir dennoch Mühe, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, indem ich in der nächsten "Kaffee & Laudes"-Folge auf meinem Blog keine konkreten Inhalte der Sitzung thematisierte, sondern nur allgemeine Eindrücke. War aber auch nicht recht: Vier Tage nach dem Erscheinen des besagten Blogartikels schickte der Pfarrer den Ratsmitgliedern eine Mail des Inhalts, "leider" habe er erfahren müssen, "dass entgegen [s]einer ausdrücklichen Bitte, unsere PGR-Sitzung NICHT in den sozialen Medien zu thematisieren, dieses doch geschehen ist". (Ich frage mich bis heute, wer ihm das eigentlich zugetragen hat, denn er selbst hält es mit Kardinal Marx und "liest sowas gar nicht".) Daher werde er, "wie für diesen Fall angekündigt", an der nächsten Sitzung nicht teilnehmen "und hoffe, dass sich diese Frage klären lässt, damit wir im Gremium wieder gut und vertrauensvoll zusammen arbeiten können". Und wie reagierten darauf die Ratsmitglieder? Legten sie dem Pfarrer nahe, er solle sein Krönchen richten und sich nicht so anstellen? Mitneffen (bzw. -nichten); vielmehr erging man sich in performativer Empörung über den unbotmäßigen Blogger – und berief eine Sondersitzung des Pfarrgemeinderats ein. 

Einziger Tagesordnungspunkt dieser Sondersitzung war es, mir die Selbstverpflichtung abzuringen, fortan nicht mehr über die Sitzungen des Pfarrgemeinderats zu bloggen. Letztlich stand dabei die Drohung im Raum, wenn darüber keine Einigung erzielt werde, müsse dem Erzbistum mitgeteilt werden, dass der Pfarrgemeinderat nicht arbeitsfähig sei. Das wollte ich dann doch nicht verantworten, auch wenn ich aus heutiger Sicht denke, ich hätte es mal ruhig darauf ankommen lassen sollen. Was hätte schlimmstenfalls passieren können? Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, und noch ehrlicher gesagt finde ich es im Rückblick schade, dass ich nicht die Gelegenheit genutzt habe, es herauszufinden. – Wie dem auch sei, nach fast zweistündiger Debatte gab ich meine Zustimmung zu einer Erklärung, über deren Wortlaut buchstäblich bis aufs Komma gestritten worden war. 

Im Zuge dieser ätzenden Diskussion wurde mir jedenfalls die Erkenntnis zuteil, dass meine Ratskollegen es irgendwie als unfair empfanden, dass ein Ratsmitglied über eine Plattform verfügte, die es ihm ermöglichte, seine subjektive Sicht auf die Arbeit des Gremiums einer breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen. Auf meinen Einwand, jeder Andere habe doch dieselbe Möglichkeit – das sei doch gerade der Punkt beim Bloggen, dass das jeder könne –, hieß es: Wollen wir ja gar nicht. Diese bestechende Logik – was ich nicht will, soll kein anderer dürfen – trifft man zweifellos auch in ganz anderen Lebensbereichen an und ist zu einem gewissen Grad womöglich "typisch deutsch", unterscheidet sich aber immerhin signifikant von der Haltung solcher Leser, die zwar keinen eigenen Blog betreiben, dafür aber die Kommentarfelder der Blogs anderer Leute desto ungenierter als ihre persönliche Plattform nutzen. (Kaum habe ich dies niedergeschrieben, fällt mir auf, dass man das dem Wortlaut nach auch auf einige Leser meines Blogs beziehen könnte, deren häufige und nicht selten umfangreiche Kommentaren ich durchaus schätze und oft als bereichernd empfinde; ich hoffe mal, diese Leute wissen, dass sie nicht gemeint sind.) Ich bekomme es immer wieder mit Leuten zu tun, die zwar einerseits finden, ich hätte kein Recht dazu, zu schreiben, was und wie ich es tue, es andererseits aber als einen Eingriff in ihr Recht auf freie Meinungsäußerung auffassen, wenn man einen ihrer Kommentare nicht freischaltet. Verklagen die eigentlich auch ihre Tageszeitung, wenn die einen Leserbrief nicht abdruckt? Ich bin im Allgemeinen recht großzügig, was das Freischalten von Kommentaren angeht; einschließlich solcher, in denen ich persönlich scharf angegriffen oder beschimpft werde. So wurde ich schon als "Vollhorst", als "verbohrter, engstirniger und bornierter Mensch mit zuviel Zeit" oder auch als "Wichser" tituliert, der "Hass in Gottes Namen" verbreite; unlängst wurde ich auch mal "Macho" genannt – eine Bezeichnung, von der ich eigentlich dachte, sie wäre als Schimpfwort schon lange ungebräuchlich geworden; zumindest denke ich, jene "2nd Wave"-Feministinnen, die den Ausdruck in den 70er und 80er Jahren populär gemacht haben, haben sich darunter etwas anderes vorgestellt als jemanden, der berufliche Ambitionen zurückstellt, um sich der Betreuung seiner Kinder zu widmen, während seine Frau Arbeiten geht. Aber das mal nur am Rande. Mir wurde ein "schizophrener Spagat" zwischen "fundamentalistischen Überzeugungen" und "subkultureller Einbettung" attestiert ("Das ist widerlich! Schon mal dran gedacht, dass es Menschen gibt, die sich von Typen wie dir massivst bedroht fühlen?"); mir wurde unterstellt, ich würde mich "mit offen rechtsextremen Blogs vernetzen, aber ansonsten die Unschuld vom Lande raushängen lassen"; andere Urteile lauteten etwa: "Eure ekelhafte Religion hat euch anscheinend vollkommen das Gehirn weggeätzt"; "einfach nur widerwärtig"; "rechter Schmarrn"; "krude Polemik"; mir wurde nahegelegt, mein "Maul zu halten", da ich "auf der falschen Seite der Geschichte" stünde; mir wurden "Hasstiraden und Wahrheitsverdrehungen" vorgeworfen. All diese Freundlichkeiten sind nach wie vor im Kommentarbereich unter den betreffenden Artikeln auffindbar, mit Ausnahme von einigen, die vom Verfasser selbst gelöscht wurden (darunter einer, in der ich als "Brandbeschleuniger" charakterisiert wurde, der "Latrinengerüchte" verbreite – den vermisse ich ein bisschen). Daraus sollte man nun allerdings nicht den Schluss ziehen, diejenigen Kommentare, die ich nicht freischalte, wären noch schlimmer. Sehr viel eher als bei gegen mich gerichteten Beleidigungen bin ich zum Eingreifen geneigt, wenn Kommentatoren übereinander herfallen; ich unterbinde auch manchmal Diskussionen im Kommentarbereich, die mir zu sehr ausufern, besonders wenn ich finde, dass sie am eigentlichen Thema des Artikels vorbeigehen. Zuweilen schalte ich auch Kommentare deshalb nicht frei, weil ich finde, dass sie nichts Sinnvolles zur Debatte beitragen; machmal aber auch einfach deshalb, weil ich keinen Bock auf sie habe. Auch das ist mein gutes Recht. Das Moderieren von Kommentaren ist ein ganz normaler Bestandteil redaktioneller Arbeit. Ich könnte auf meinem Blog auch gar keine Kommentare zulassen, da hätte sich auch keiner drüber zu beschweren. (Es sei allerdings erwähnt, dass der weit überwiegende Teil der Kommentare, die ich erhalte, wohlwollend ist.) 

Eine weitere bezeichnende Eigenschaft der "Hate-Reader" ist eine unerschütterliche Gewissheit, von den Dingen, über die ich schreibe, mehr zu verstehen als ich. "Wer sich mit dem Thema richtig beschäftigt, sieht das auch so wie ich", sagte mir mal einer, der mir meine Sympathien für die "rechten Pfadfinder" (er meinte die KPE) verübelte. Diese Selbstgewissheit geht zuweilen so weit, dass Leser glauben, mir erklären zu müssen, was ich eigentlich mit meinen Aussagen gemeint hätte. Hier wirken sich vorgefasste Meinungen darüber, was ich für einer sei, erkennbar nachteilig auf die Fähigkeit zum sinnerfassenden Lesen aus. - - - 

Ab und zu sinniere ich darüber, dass es doch schön wäre, wenn diejenigen Leute aus Nordenham, aus Tegel, aus Falkensee oder sonstwoher, die meine Artikel nur grob überfliegen, um nach Äußerungen zu suchen, über die sie sich empören können (oder, siehe Pfarrer B., nicht einmal das tun, sondern sich lediglich von Dritten berichten lassen, was dieser schlimme Blogger schon wieder Schlimmes geschrieben hat), diese Artikel mal im größeren Zusammenhang und mit unvoreingenommenerem Blick läsen. Würde ich sagen "Da könnten sie noch was lernen", klänge das zweifellos ungebührlich arrogant, daher sage ich lieber: Da könnten sie die eine oder andere Überraschung erleben. Arroganz hin oder her, so überzeugt bin ich dann doch von der Qualität meiner Arbeit, dass ich zu behaupten wage, meine Artikel seien zu schade für bloßes Hate-Reading. Indes mache ich mir keine Illusionen darüber, dass auch und gerade diesem Artikel dieses Schicksal nicht erspart bleiben wird... 

Neu hinzugekommenen Lesern möchte ich raten: Lasst Euch nicht verunsichern, kommt erst mal rein, nutzt die Wochenbriefings (bis auf Weiteres jeden Donnerstag um 18 Uhr neu) zur Orientierung, schaut Euch um, genießt die Themenvielfalt. Vielleicht ist etwas für Euch dabei. Vielleicht findet Ihr Manches verwunderlich oder irritierend. Macht Euch nichts draus: Ich glaube, ich habe nicht einen einzigen Leser, der alles gut findet, was ich schreibe. (Vielleicht meine Frau, aber ich glaube, auf volle 100% kommt selbst die nicht.) Es kann natürlich auch sein, dass wir überhaupt nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen; auch das ist nicht unbedingt schlimm, denn es ist ja niemand gezwungen, zu lesen, was ich schreibe. Wer aber so ergrimmt über meinen Blog ist, dass er diesen Ärger nicht für sich behalten kann, der darf seine Beschwerde gern auf einen 10-Euro-Schein schreiben und ihn mir zuschicken... 


Donnerstag, 20. Juli 2023

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #39

Grüße aus dem Urlaub, Leser! Die aktuelle Wochenbriefing-Ausgabe kommt vom Reiterhof Kleine Mücke in Tannenhausen, einer ehemaligen Moorkolonie am Rande von Aurich – und da ist es keineswegs schaurich! Es kann daher nicht ausbleiben, dass Pferdemädchen-Content in dieser Folge der Ansichten aus Wolkenkuckucksheim einigen Raum einnehmen wird – was man vielleicht als passende thematische Vorbereitung bzw  Einstimmung auf den geplanten Artikel "Shopping-Queens und Horsefluencerinnen" betrachten kann, aber ich werde mich trotzdem bemühen, die für meinen Blog typischeren Themen nicht ganz zu kurz kommen zu lassen. Auch wenn es dafür zuweilen nötig sein mag, zwischen den Zeilen zu lesen, aber das sind erfahrene und wohlgesonnene "Huhn meets Ei"-Leser ja hoffentlich gewohnt...

Gruß aus der Steinzeit, pardon: Trichterbecherkultur...

Unser Leben ist ein Ponyhof (zumindest vorübergehend) 

Regelmäßige Leser werden sich erinnern, dass ich vor ein paar Wochen mit meiner Familie bei einem von einer alten Künstlerfreundin veranstalteten Picknick im Hansaviertel war. Als diese Freundin uns fragte, ob und wohin wir denn in diesem Sommer in Urlaub fahren würden, und ich antwortete "Nach Ostfriesland auf'n Ponyhof", amüsierte sie sich königlich über die pure Freude, die ich bei diesen Worten ausstrahlte. Interessanterweise war mir das selbst gar nicht bewusst, aber es stimmt: Ich freu mich wie Bolle, in Ostfriesland auf'm Ponyhof zu sein. Wir haben hier eine Ferienwohnung mit zwei Schlafzimmern, Wohnküche und Bad, direkt neben den Zimmern der Ferienmädchen. Um die 30 Mädchen im Alter zwischen (schätzungsweise) acht und 17 Jahren machen hier nämlich derzeit Reiterferien – und die haben ein straffes Programm: Um 8 Uhr werden sie geweckt, nach dem Frühstück werden die Pferde von der Weide geholt, und alles in allem sind die Mädchen dann um die sechs Stunden am Tag mit den Pferden beschäftigt. Wir können unseren Tagesablauf glücklicherweise etwas individueller gestalten,  bemühen uns aber, es unserer Großen zu ermöglichen, einmal am Tag (entweder vormittags oder nachmittags) am Reitprogramm teilzunehmen; und unser Jüngster durfte auch schon ein paarmal ein Pony putzen und reiten (geführt, versteht sich). Wenige Minuten Fußweg vom Reiterhof entfernt gibt es zudem einen Baggersee mit Badestrand. Der buchstäblich einzige Wermutstropfen dieses Urlaubs ist das recht unbeständige Wetter. Aber erst mal der Reihe nach.

Am Samstag in aller Früh brachen wir auf, mit dem Doppelkinderwagen und zwei großen, Jakobsweg-erprobten Wanderrucksäcken: eine Hippie-Familie auf Tour, ich liebe das. Mit Bus, U-Bahn und wieder Bus zum Berliner Hauptbahnhof, von dort nach Hannover und von Hannover nach Bremen mit dem ICE, dann weiter mit dem "Ostfriesland-Express" nach Esens, wo wir unseren Anschluss verpassten und, da der Linienbus nach Aurich nur alle zwei Stunden fährt, daraufhin erst einmal an einem Fish & Chips-Imbiss unweit des Busbahnhofs zu Mittag aßen. Von dieser Unterbrechung abgesehen klappte die Anreise aber bemerkenswert reibungslos. Von der Bushaltestelle aus hatten wir noch einmal eine gute Viertelstunde Fußweg. "Isses nich' schön hier?", fragte ich meine Liebste, als wir an der Landesstraße L7 entlang stiefelten, und sie erwiderte: "Auf 'ne Art." Als wir am Reiterhof ankamen, schliefen die Kinder im Wagen; ein alter, sehr gemütlicher Hund namens Cooper zeigte uns den Weg zum Gemeinschsftsraum. Den Kinderwagen durften wir in der Stiefelkammer parken. 


Ich will jetzt nicht unbedingt jeden Urlaubstag einzeln nacherzählen, denn ein bisschen ähnelt sich der Tagesablauf ja doch immer. Die nächsten Nachbarn des Reiterhofs sind übrigens andere Reiterhöfe, und überhaupt wird Pferdehaltung in Tannenhausen offenbar sehr groß geschrieben; es scheint hier nicht ganz ungewöhnlich zu sein, dass selbst in normalen Wohnsiedlungen einfach mal ein paar Pferde im Vorgarten stehen. 






Was das Wetter angeht, hat es bisher jeden Tag geregnet – von leichtem, erfrischendem Sommerregen bis hin zu apokalyptischen Gewitterschauern –, aber das ging meist schnell vorbei, und sobald dann die Sonne wieder zum Vorschein kam, war es praktisch sofort wieder sehr schön. Schön genug, um mehrmals im Baggersee schwimmen zu gehen. Dass der Wechsel zwischen Regen und Sonnenschein oft so schnell und unvorbereitet kam, führte außerdem dazu, dass wir diejenigen Aktivitäten, die wir als "Schlechtwetter-Alternative" zu Badesee und Reiten eingeplant hatten, letztlich zu Zeitpunkten unternahmen, an denen gar kein schlechtes Wetter war. So machten wir am Montagnachmittag einen Ausflug ins Energie-Erlebniszentrum (EEZ) in Sandhorst; meiner Liebsten gefiel das Ambiente,  das sie als "Mischung aus FU Berlin und Kinderspielplatz" charakterisierte, und die interaktive Ausstellung zum Thema Energiewende eignete sich gut dazu, die Kinder eineinhalb Stunden lang damit zu beschäftigen, auf irgendwelche Knöpfe zu drücken; empfohlen war eine Besichtigungsdauer von drei Stunden. Ich dagegen hielt es nur 20 Minuten aus: Von den vielen flackernden Lichtern und surrenden Geräuschen wurde mir unwohl, und ich verzog mich ins Bistro. Da war's nett, und besonders nett war, dass meine Schwester, die in der Nähe einen beruflichen Termin hatte, spontan vorbeikam. 

Am Mittwoch machten wir dann ein bisschen Sightseeing in der historischen Residenzstadt der Grafschaft Ostfriesland. Anhand eines Faltblatts, dass wir in einer Infobox am Tannenhauser See abgegriffen hatten, hatten wir den nicht ganz ernst gemeinten Plan ausgeheckt, Frau und Kinder könnten in die Grüffelo-Abenteuerausstellung im MachMitMuseum miraculum gehen, während ich die Grablege der Grafen und Fürsten von Ostfriesland besichtigte – "was ja mehr oder weniger dasselbe ist", wie meine Liebste scherzte. Der Plan scheiterte indes schon im Ansatz, denn das MachMitMuseum miraculum wird derzeit umgebaut und in das Mausoleum kommt man nur in Begleitung eines Mitglieds der wohllöblichen Stadtführergilde Aurichs rein, und ein solches zu engagieren, lohnt sich eigentlich nur für Gruppen. Dafür gab's aber im Historischen Museum eine Lego-Ausstellung... 

Das Haus der Ostfriesischen Landschaft, einmal in echt und einmal aus Lego

Aurichs Wahrzeichen, der Turm der Lambertikirche, wiederum einmal in echt und einmal aus Lego 



...und über die ostfriesischen Häuptlings- und Fürstenfamilien erfuhr man da auch so allerlei. 

Das Wappentier der Häuptlingsfamilie Cirksena, eine Harpyie (auch "Jungfrauenadler"), ist auch heute noch im Landeswappen Ostfrieslands zu sehen. 

Empfehlenswert, zumindest wenn man Kinder hat, ist auch der Häuptlingsspielplatz

Anderswo würde ein in diesem Stil gestalteter Spielplatz wohl schlicht "Ritterspielplatz" heißen, aber dieser hier ist angereichert mit kindgerecht aufbereiteten Informationen zur mittelalterlichen Geschichte Ostfrieslands. 

In Tannenhausen selbst gibt es einen Steinzeit-Erlebnispfad, in dessen Mittelpunkt die Rekonstruktion eines Großsteingrabs aus der Trichterbecherkultur (ca. 4200-2800 v. Chr.) steht. Den Eingang zu diesem Rundweg entdeckte ich zufällig auf einem abendlichen Solo-Spaziergang und fand, das würden bestimmt auch die Kinder spannend finden; was sich, als wir zwei Tage später zusammen hingingen, auch bestätigte. 






Zum Thema Pferdemädchen-Content übrigens noch soviel: Ich selbst bin nie geritten, finde es aber durchaus gut, dass das Tochterkind sich dafür interessiert (wie groß das Interesse unseres Jüngsten tatsächlich ist, wird sich noch zeigen müssen; im Moment macht er einfach seiner geliebten und bewunderten großen Schwester alles nach): Ähnlich wie bei der Pfadfinderei sehe ich auch beim Reiten großes Potential, einerseits die Liebe zur Natur zu fördern und zu pflegen und andererseits und nicht zuletzt Disziplin, Teamgeist und Verantwortungsbewusstsein zu erlernen und dabei Spaß zu haben. Die Ferienmädchen, die hier Tür an Tür mit uns wohnen, machen im dieser Hinsicht jedenfalls einen sehr positiven Eindruck auf mich; besonders erfreulich finde ich es, wie hilfsbereit und fürsorglich die älteren Mädchen sich beim Reitunterricht gegenüber den jüngeren, einschließlich meiner Tochter, verhalten. 


Währenddessen in Tegel 

Ein bisschen ironisch finde ich es ja schon, dass diese Rubrik, nachdem sie in den letzten beiden Wochenbriefings pausiert hat, ausgerechnet in der Urlaubs-Ausgabe ein Comeback feiert. Der Grund dafür ist, dass am vergangenen Wochenende Tegeler Hafenfest war, und vor unserer Abreise bekamen wir gerade noch etwas davon mit: Am späten Freitagnachmittag ging ich mit den Kindern spazieren, damit meine Liebste in Ruhe unser Reisegepäck packen konnte, und auf diesem Spaziergang konnten wir uns dem Sog des Hafenfests schlechterdings nicht enziehen. Wir gingen zum Kinderschminken, und anschließend überredeten die Kinder mich mit vereinten Kräften, mit ihnen Schiffschaukel zu fahren – war ein Riesenspaß, muss ich zugeben. Interessant fand ich auch und nicht zuletzt die Beobachtung, dass das Hafenfest sich sozusagen "inoffiziell" bis in die Fußgängerzone von Alt-Tegel hineinzog, nämlich in der Form, dass die Wirte einiger Lokale in Alt-Tegel sich etwas hatten einfallen lassen, um das verstärkte Aufkommen von Laufkundschaft an diesem Wochenende für sich zu nutzen. Zum Beispiel: einen DJ zu engagieren, der im Außenbereich des jeweiligen Ladens auflegt. Natürlich fiel mir in diesem Zusammenhang ein, wie ich vor mittletweile fünf Jahren am Hafenfestwochenende kurzfristig einen Infostand vor der Herz-Jesu-Kirche organisiert hatte. Im Rückblick würde ich diese Aktion nicht unbedingt als einen großen Erfolg bewerten – mit gründlicherer Vorbereitung und mehr Helfern hätte man sicherlich etwas sehr viel Besseres auf die Beine stellen können –, aber es war besser als nichts, und von der grundsätzlichen Richtigkeit der Idee, ein Stadtteilfest vor der Haustür dazu zu nutzen, dass auch die örtliche Kirchengemeinde auf sich aufmerksam macht, bin ich nach wie vor überzeugt. – Just zu der Zeit, als ich mit meinen Kindern auf dem Weg zum Hafenfest war, fand in der Herz-Jesu-Kirche, wie jeden Freitagnachmittag, eine Eucharistische Anbetung statt; erst im Nachhinein fiel mir auf, wie einfach und naheliegend es gewesen wäre, wie beim "Nightfever" ein paar Leute vor der Kirche zu postieren, um Passanten zur Anbetung einzuladen. Zugegeben, ein Hindernis für derartige Aktionen ist es, dass es der Gemeinde an ehrenamtlichen Mitarbeitern bzw. Helfern fehlt (Warum bloß, möchte ich mit sarkastischem Augenrollen einwerfen), aber was der Gemeinde zweifellos noch viel mehr fehlt, ist der Wille, sich in irgendeiner Form für Außenstehende zu öffnen, geschweige denn aktiv auf sie zuzugehen. 

Bemerkenswerterweise bestand mein Jüngster, als wir an der Kirche vorbeikamen, dennoch nachdrücklich darauf, dass wir hineingehen sollten. Bei der Anbetung verhielt er sich mucksmäuschenstill, und als ich ihn das erste Mal fragte, ob wir wieder gehen sollten, schüttelte er den Kopf; als ich ihn einige Zeit später noch einmal fragend ansah, nickte er doch, und kaum waren wir draußen, da begann er lautstark zu singen: "Jesus, Jesus, Jesus... Halleluja, Amen!" Der Junge ist einfach ein Phänomen. 


Neues aus Synodalien 

In gewissem Sinne sind wir hier in Synodalien, denn Ostfriesland gehört im katholischen Atlas zum derzeit vakanten Bistum Osnabrück, dessen zurückgetretener Bischof, wir erinnern uns, als einer der eifrigsten Verfechter des Synodalen Wegs in den Reihen der Deutschen Bischofskonferenz galt. Gleichzeitig ist Ostfriesland tiefste Diaspora: Der vielleicht prominenteste Ostfriese der Gegenwart, Otto Waalkes, kolportiert in seiner "Ottobiografie" die Emder Lokalanekdote von dem Mann, der seine Katze über die Ems schmiss, weil "das Biest katholisch" sei. Jenseits der Ems liegt nämlich das zutiefst katholisch geprägte Emsland, wohingegen sich in Ostfriesland schon um 1520 die Reformation durchsetzte. Erst während der Zugehörigkeit des Landes zum Königreich Hannover (1815-1866) wurde wieder der Bau katholischer Gotteshäuser genehmigt. Was die heutige kirchliche Situation im Lande angeht, stellten wir fest, dass es am Sonntag nach unserer Ankunft auf dem Reiterhof in der gesamten Pfarreiengemeinschaft Neustadtgödens-Aurich-Wiesmoor-Wittmund nur eine einzige Heilige Messe gab, nämlich um 9:30 Uhr in der 1953 erbauten Kirche Maria, Hilfe der Christen in Wiesmoor; von unserer Unterkunft aus hätte man dorthin eineinhalb Stunden mit dem Bus gebraucht, aber nur werktags – sonntags kam man gar nicht hin. In St. Ludgerus in Aurich, erbaut 1849, gab es an diesem Sonntag nur eine "Wort-Gottes-Feier", und selbst dorthin hätten wir mit dem Bus eine halbe Stunde gebraucht. (Man muss allerdings einräumen, dass hier die gesamte Infrastruktur, z.B. auch was Einkaufsmöglichkeiten angeht, darauf ausgerechnet ist, dass jeder ein Auto hat. Mit dem Auto wären es "nur" 35 Minuten nach Wiesmoor gewesen.) 

Immerhin ist die Auricher St.-Ludgerus-Kirche, wie wir bei unserer Sightseeing-Tour am Mittwoch feststellten, tagsüber geöffnet; und es ist eine durchaus hübsche Kirche, wenn auch unerwartet klein – kleiner als St. Willehad in Nordenham, würde ich schätzen. 



Schaukasten und Schriftenstand vermittelten mir, ebenso wie die gänzliche Abwesenheit aufdringlich-bunter Gestaltungselemente neueren Datums im Kirchenraum, den Eindruck, es eher mit einer moderat-volkskirchlichen Gemeinde zu tun zu haben als mit einer, die in den Sog des Schismatischen Wegs geraten ist; zur genaueren Überprüfung dieses Ersteindrucks nahm ich mir die aktuellen Pfarrnachrichten mit, außerdem einen Flyer vom "Weltladen Aurich" und einen zur Aktion "Faire Gemeinde" des Bistums Osnabrück, der, wie sich zeigte, viel politisch korrektes Blabla, aber wenig konkrete Sachaussagen enthielt. Die Pfarrnachrichten gaben ebenfalls, im Guten wie im Bösen, nicht viel her – mal abgesehen vom "Zombieballturnier" der Katholischen Jugend Ostfrieslands ("Es wird ganz viel Zombieball gespielt, gemeinsame Stunden verbracht und dabei werden wir lecker verpflegt" – das Event ist allerdings schon vorbei, es war am 1. Juli) und einem Hinweis auf die "dennoch."-Konferenz in Hannover, zu der ich mich ja schon mal geäußert habe und zu der die Bezeichnung "Zombieball" wohl ebenfalls ganz gut passen würde. 

Derweil bleibt es einem auch im Urlaub nicht ganz erspart, Neuigkeiten aus anderen Ecken Synodaliens zur Kenntnis zu nehmen. So schickte mir ein alter Freund aus Ostberlin den Link zu einem Artikel des mir bislang nicht bekannten Overton Magazin ("Das Overton Magazin versteht sich als Stimme gegen Debatteneinengung und Moralismus. Es hinterfragt die allgemeinen Narrative und ist dezidiert kein ideologisches Sprachrohr 8oder Verlautbarungsorgan, sondern fühlt sich der Aufklärung verpflichtet"), in dem aus unerwarteter Richtung Kritik an der katholischen Kirche in Deutschland geübt wird: Vorgeworfen wird ihr das Bestreben, sich "an die Spitze des vermeintlichen Zeitgeistes zu setzen". Anlass für die Kritik ist die Anbringung eines Hinweisschilds in der Krypta der Erzbischöfe von Paderborn, "aus dem hervorgeht, dass sich die hier beigesetzten Erzbischöfe schuldig gemacht hätten im Hinblick auf den Umgang mit sexuellem Missbrauch". Für den "Overton Magazin"-Autor Jan D. Pavel ist das "ein unglaublicher Vorgang", ja "wohl das Widerlichste, Menschenverachtendste und Unkatholischste, was man seit langem gehört hat": 

"Was bilden sich die Menschen ein, die das zu verantworten haben? Was haben sie sich über andere, über Tote zu erheben? Und was wissen sie von deren Leben? Kann es nicht sein, dass der ein oder andere hier Inkriminierte anderen Menschen das Leben gerettet hat, unter Einsatz des eigenen Lebens – und es weiß keiner davon? Dass einer derer, die sich jetzt nicht mehr wehren können, ohne großartiges Tamtam, also die Tonart, die das Kapitel und die Synodalen perfekt spielen, anderen Menschen geholfen hat zu überleben, nicht zu verhungern, nicht zu frieren, nicht gefoltert zu werden? Ihnen Zuspruch, Mut, Vertrauen ausgesprochen hat?" 

Und schließlich: "Wessen sich die Beigesetzten auch immer schuldig gemacht haben sollen: sie haben sich vor Jesus Christus zu verantworten, so der katholische Glaube." – Man könnte denken, Pavel könne sich diese Kritik, zumal in dieser Schärfe, nur aus einer Außenseiterposition heraus erlauben; kämen solche Töne aus dem Innenraum der Kirche, wäre der Vorwurf schnell zur Hand, man entschuldige, verharmlose oder relativiere wenn schon nicht den sexuellen Missbrauch selbst, so doch zumindest dessen Vertuschung und den seitens der kirchlichen Hierarchie über Jahrzehnte hinweg praktizierten Täterschutz. Tatsächlich steht Pavel mit seiner Kritik jedoch nicht allein. Peter Winnemöller behandelt das Thema in der "Tagespost" (sein Beitrag ist auch im "Overton Magazin"-Artikel verlinkt), und auch "Kirche + Leben" berichtet, die Generaloberin der Paderborner Vincentinerinnen, Schwester Katharina Mock, habe in einem Leserbrief an die Paderborner Kirchenzeitung "Der Dom" die Anbringung der Hinweistafel in der Bischofsgruft scharf getadelt: "Ist das die Zukunft der Kirche, dass menschlichen Meinungen, passend zum jeweiligen Zeitgeist, mehr Gewicht beigemessen wird als der frohmachenden Botschaft des Evangeliums?" Zuvor hatte bereits die Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz, Schwester Anna Mirijam Kaschner, in einem Kommentar auf der Website des Kölner Domradios "Entsetzen" über die sogenannte "Missbrauchstafel" geäußert und die Frage aufgeworfen, 

"warum dann konsequenterweise nicht an jedem Grab eines pädophilen Familienvaters, eines jeden Vergewaltigers, eines jeden Lehrers, der noch vor 50 Jahren seine Schüler verprügelt hat und an jedem Grab einer Mutter, die ein oder mehrere Kinder abgetrieben hat, genau solche Schuldtafeln zu finden sind? Wahrscheinlich, weil sonst jeder Friedhof einem Schilderwald gleichen würde. Als Christ kann man darauf nur antworten: Weil ich an einen gerechten Gott glaube, der nicht nur die Lebenden, sondern eben auch die Toten richten wird." 

(Es ist wohl nicht besonders überraschend, dass dieser Kommentar seinerseits besonders deshalb Empörung auslöste, weil darin das heiße Eisen Abtreibung berührt wird.) All diese Wortmeldungen stammen aus den letzten Tagen; man darf gespannt sein, was für Kreise die Angelegenheit noch ziehen wird. 

Die Rubrik "Was ich gerade lese" fällt diese Woche aus; ich komme im Urlaub kaum zum Lesen, und als Gutenachtlektüre hat das Tochterkind sich einen "Steinenschwerf"-, äh, "Sternenschweif"-Sammelband ausgesucht, über den ich lieber schweige. Für nächste Woche liebäugele ich jedoch mit der Einführung einer neuen Rubrik namens "Aus meinem Wichtelbuch". Lass Dich überraschen, Leser! 


Aus dem Stundenbuch 

Gott bringt die Verlassenen heim, †führt die Gefangenen hinaus in das Glück; *doch die Empörer müssen wohnen im dürren Land. 
Gott, als du deinem Volk voranzogst, † als du die Wüste durchschrittest, * da bebte die Erde, 
da ergossen sich die Himmel vor Gott, * vor Gott, dem Herrn vom Sínai, vor Israels Gott. 
Gott, du ließest Regen strömen in Fülle * und erquicktest dein verschmachtendes Erbland. 
Deine Geschöpfe finden dort Wohnung; * Gott, in deiner Güte versorgst du den Armen.
(Psalm 68,7-11

 

Ohrwurm der Woche 

Bibi & Tina – Der Film: Titelsong 

Ja, da kann ich nun auch nichts für. Im Urlaub auf einem Reiterhof, Tür an Tür mit einer Horde pferdebegeisterter Ferienmädchen, kann es keinen anderen Ohrwurm geben als diesen. Ich hab Euch auch extra eine leicht angerockte Version rausgesucht, Freunde. 


Blogvorschau 

Letzte Woche schrieb ich einerseits, ich könne nicht für das pünktliche Erscheinen der nächsten beiden Wochenbriefings garantieren, äußerte mich andererseits aber optimistisch, dass "der Urlaub mich nicht daran hindern" werde, in Hinblick auf andere Artikel außer den Wochenbriefings weiterhin produktiv zu bleiben. Tja, finde den Fehler. Ich sag mal so: Ich hätte den Artikel "Bloggen als unehrenhafte Form des Journalismus" vielleicht heute oder sogar schon gestern fertig kriegen können, wenn ich dafür die Arbeit am Wochenbriefing zurückgestellt hätte, aber das erschien mir dann doch nicht so recht sinnvoll. Immerhin bin ich mit dem genannten Artikel so gut vorangekommen, dass er wahrscheinlich übers Wochenende wird erscheinen können. Überhaupt nicht vorangekommen bin ich derweil mit dem Dossier "Warum eigentlich 'Punkpastoral'?", weshalb ich erwäge, doch lieber "Shopping-Queens und Horsefluencerinnen" vorzuziehen. An Inspiration dafür fehlt es mir ja gerade nicht...