Mittwoch, 31. Juli 2019

Büchereien pflasterten seinen Weg

Wie regelmäßige Leser meiner "Kaffee & Laudes"-Reihe wissen werden, fand am Sonntag in Herz Jesu Tegel die vierte Ausgabe des "Offenen Büchertreffs" statt -- einer Veranstaltungsreihe, die ursprünglich mit der Perspektive eingeführt worden war, das Projekt einer Leih- und Tauschbibliothek in den Räumen der Pfarrei voranzubringen. Die Gründung ist zwar noch gar nicht so lange her - die erste Veranstaltung der Reihe war im März -, aber ich hatte in letzter Zeit trotzdem ein bisschen das Gefühl, die ursprüngliche Motivation gerate in Vergessenheit. Damit meine ich: Der "Offene Büchertreff", ein Veranstaltungsformat, das "thematische" Beiträge (etwa Vorträge, Lesungen o.ä.) mit "geselligem Beisammensein", einem Brunch-Büffet und einer Kinderspielecke verbindet, ist an und für sich eine feine Sache und verdient es, weitergeführt zu werden, aber bislang ist die Ausrichtung dieser Veranstaltung so ziemlich das einzige, was die "AG Bücherparadies Herz Jesu Tegel" überhaupt tut, und dabei droht - so meine Befürchtung - aus dem Blick zu geraten, dass in dem Büchereiprojekt insgesamt ein weit größeres Potential schlummert, als diese Veranstaltungsreihe allein ausschöpfen könnte. Simpler gesagt: Auf längere Sicht wäre es unbefriedigend, wenn die Bücherei ausschließlich im Rahmen dieser Veranstaltung (und somit nur einmal im Monat) benutzbar wäre.

Aus diesem Grund habe ich im Vorfeld des jüngsten "Büchertreffs" ein kleines Thesen- und Konzeptpapier zum aktuellen Stand und zu zukünftigen Entwicklungsperspektiven des Projekts "Bücherparadies Herz Jesu Tegel" ausgearbeitet und als Diskussionsgrundlage an die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft und weitere potentiell Interessierte verschickt -- letzteres vor allem deshalb, weil es auf der Hand liegt, dass wir für eine Weiterentwicklung des Projekts weitere Mitarbeiter brauchen werden. 

Bei meinem acht Seiten langen Papier handelt es sich zugegebenermaßen eher um assoziativ-spontane als um systematische Ausführungen; mein vorrangiges Ziel dabei war es, ein Bewusstsein für das Potential zu schaffen, das in diesem Projekt schlummert und darauf wartet, entschlossen verwirklicht zu werden. Ich glaube nämlich tatsächlich, dass bislang niemand dieses Potential so deutlich sieht wie ich -- was zum Teil sicherlich daran liegt, dass ich bis zum jetzigen Zeitpunkt mehr Zeit und Mühe auf das Sichten, Sortieren und Aussortieren des Bücherbestandes verwendet habe als alle anderen Teammitglieder zusammen. Ich sage das weder als Eigenlob noch als Klage, schließlich mache ich das, weil ich Spaß daran habe. So viel Spaß, dass ich mir - wie neulich schon mal angemerkt - vorstellen könnte, noch mehrere solcher Büchereiprojekte an unterschiedlichen Orten zu realisieren.

Vielleicht muss ich aber auch nicht alles selber machen und kann stattdessen einige Leser meines Blogs dazu anregen und motivieren, an ihren jeweiligen Wohn- und Wirkungsorten ähnliche Projekte in Angriff zu nehmen. Aus dieser Erwägung heraus möchte ich Teile meines "Bücherparadies"-Konzeptpapiers in überarbeiteter Form auch hier meinen Lesern vorstellen. Fangen wir mal mit den Zielen an, die ein solches Büchereiprojekt im Rahmen einer Pfarrgemeinde verfolgt. Relativ offensichtlich sind die folgenden (wobei die Reihenfolge keine Prioritäts-Rangfolge implizieren soll): 
    a) Spendeneinnahmen generieren
    b) das gesellige Leben innerhalb der Pfarrgemeinde stärken
    c) einen („niederschwelligen“) Zugang für Personen schaffen, die (noch) nicht zur („Kern“-)Gemeinde gehören
    d) Menschen für die Mitarbeit in der Pfarrei gewinnen.
Darüber hinaus ist mir persönlich aber auf längere Sicht noch ein weiteres, zweifellos erheblich ambitionierteres Ziel wichtig, nämlich
    e) die Bücherei zu einer Ressource für katechetische Bildung und Jüngerschaftsschulung ausbauen.
An dieser Stelle gleich mal ein Exkurs, den ich in das Konzeptpapier für meine Teamkollegen nicht reingeschrieben habe. Ich war mit meiner Liebsten mal in einem im Aufbau befindlichen anarchistischen Jugendzentrum in einer besetzten ehemaligen Kirche in Hamburg zu Besuch (und habe für die Tagespost darüber berichtet). Da hatten die Besetzer auch eine Bibliothek eingerichtet, in einem Turmzimmer, aber der junge Mann, der uns herumführte, erklärte mit erkennbarem Stolz, die Bibliothek müsse demnächst in einen anderen Raum des Zentrums umziehen, da der Bücherbestand für das Turmzimmer zu groß werde. Ich habe mir die dortige Bibliothek nicht sehr genau angesehen, möchte aber mal behaupten, dass die da keine Romane von Rosamunde Pilcher, Minette Walters oder Judith Merkle Riley in den Regalen hatten, sondern dass es sich - zumindest schwerpunktmäßig - um eine anarchistische Fach- und Schulungsbibliothek handelte. Und so etwas will ich auch: eine benOppige Fach- und Schulungsbibliothek. Zumindest schwerpunktmäßig, wie gesagt.

-- Aber ist das eine realistische Zielvorstellung, wenn man den Buchbestand im Wesentlichen aus privaten Spenden bezieht und im Idealfall durch gezieltes Tauschen mit anderen gemeinnützigen Büchereiprojekten optimiert? Die Antwort lautet: ja, allerdings. Ein Großteil meiner Motivation rührt exakt daher, dass wir schon jetzt einige echt gute Sachen im Bestand haben, die uns im Laufe der vergangenen Monate buchstäblich in den Schoß gefallen sind. So habe ich beispielsweise feststellen können, dass unser Bücherbestand - auch wenn in unseren Regalen vorerst noch großes Chaos herrscht - im Sinne des mir vorschwebenden Konzepts schon jetzt "besser" ist als derjenige der Pfarrbücherei in Heiligensee. Was vermutlich daran liegt, dass die ein anderes Konzept haben oder (nicht unwahrscheinlich) gar keins.

Das hauptsächliche Problem, das wir im Moment haben - abgesehen davon, dass das Büchereiteam Verstärkung gebrauchen könnte - ist Platz. Die zur Verfügung stehenden Bücherregale sind schon jetzt praktisch überfüllt, aber es kommen weiterhin ständig neue Bücherspenden 'rein. Eine Erweiterung durch Anschaffung weiterer Regale wäre theoretisch denkbar, aber es ist absehbar, dass sich dies zumindest unter dem jetzigen Pfarrer nicht wird durchsetzen lassen. Bis auf Weiteres werden wir uns also darauf einstellen müssen, dass das "Bücherparadies" Platz für maximal ca. 600-800 Bände (je nach Format) hat. Da braucht es transparente Kriterien dafür, was man behalten will und was nicht. Diesem Aspekt habe ich den bei Weitem größten Teil meines Konzeptpapiers gewidmet, denn hier muss man sorgsam abwägen und gewissermaßen einen Kompromiss zwischen der oben unter e) skizzierten strategischen Ausrichtung und den anderen genannten Zielen finden; zumindest vorläufig ist es schlicht nicht praktikabel, die Bücherauswahl komplett dem Konzept einer "benOppigen Fach- und Schulungsbibliothek" zu unterwerfen. Praktisch heißt das, man will einerseits eine große thematische Bandbreite abdecken, andererseits aber nichts im Bestand haben, was dem strategischen Ziel direkt zuwiderläuft; und gleichzeitig sollen Bücher, die im Sinne der angestrebten konzeptionellen Ausrichtung eher uninteressant sind, dem "guten Stoff" nicht zu viel Platz wegnehmen.

Hier zum Beispiel hätten wir etwas "guten Stoff". 
Hier auch. 
Ein Grundgedanke, der meine Ausführungen zur inhaltlichen Schwerpunktsetzung implizit sehr stark prägt, den ich aber explizit vielleicht noch stärker hätte herausstellen können, ist: Eine Pfarrbücherei kann ihre Existenzberechtigung nicht darin finden, dass sie dasselbe bietet wie jede andere Bücherei, sondern vielmehr in dem, wodurch sich ihr Sortiment von anderen unterscheidet. Das heißt, wenn ich eine bestimmte Sorte von Büchern nicht im Bestand haben will, meine ich damit nicht zwingend, dass es diese Bücher besser überhaupt nicht geben bzw. dass kein guter Katholik, oder überhaupt kein anständiger Mensch, sie lesen sollte. In einigen Fällen meine ich das allerdings schon so, Zwinkersmiley.

Der Löwenanteil der eingehenden Bücherspenden besteht aus zeitgenössischer Trivialliteratur; viele der Bücher sehen so aus, als wären sie nur einmal gelesen worden, und wahrscheinlich wird diese Art von Literatur zu genau diesem Zweck produziert: Läse der Kunde ein Buch mehrmals, könnte man ihm weniger oft ein neues verkaufen. Ehrlich gesagt würde ich den Anteil solcher Bücher am Bestand der Bücherei am liebsten auf Null reduzieren, bin mir aber bewusst, dass sich dies wahrscheinlich nicht durchsetzen lassen wird -- erstens weil man schließlich auch Leute "mitnehmen" muss, die mit dem Büchereiprojekt keine so hehren Ziele verfolgen wie ich, und zweitens, weil damit zu rechnen ist, dass zukünftige Bücherspenden für ständigen Nachschub in dieser Kategorie sorgen werden. Man wird also schon genug damit zu tun haben, die Bücher schneller loszuwerden, als sie "nachwachsen". Ja, moderne Trivialliteratur ist eine Hydra. Wesentlich toleranter bin ich ja gegenüber älterer (sagen wir: mindestens rd. 100 Jahre alter) Unterhaltungsliteratur. Einmal, weil das seit meinem Studium ein spezielles Steckenpferd von mir ist, dann auch, weil solche Bücher mindestens aus rezeptionsästhetischer Perspektive einen gewissen zeithistorischen Wert haben; und nicht zuletzt sind ältere Werke der Unterhaltungsliteratur - im Gegensatz zur "hohen" Literatur - häufig nicht (mehr) in öffentlichen Bibliotheken zu finden, weil sie nicht als literarisch wertvoll angesehen werden und durch neuere Werke verdrängt werden. Daher finden sich in diesem Bereich zuweilen interessante Raritäten, die man tendenziell eher behalten sollte (außer sie sind ideologisch allzu fragwürdig).

Da wir gerade von "hoher Literatur" sprechen: Einen gewissen Bestand an Literatur-"Klassikern" im Angebot zu haben, gibt einer Bücherei ein seriöses bildungsbürgerliches Aussehen und kann daher gerade in der Gründungsphase des Projekts durchaus positive Effekte haben. Andererseits findet man diese Werke mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in praktisch jeder öffentlichen Bibliothek, es gibt also keinen überzeugenden Grund, warum Leute solche Bücher ausgerechnet "bei uns" suchen sollten. Empfehlung daher: Schöne u./o. seltene Ausgaben, insbesondere mehrbändige, tendenziell behalten, den übrigen Bestand nach und nach ausdünnen.

Überhaupt würde ich den Gesamtbereich "Fiktionale Literatur/Belletristik" nach Möglichkeit auf maximal die Hälfte der verfügbaren Regalfläche beschränken, auf längere Sicht idealerweise sogar auf nur ein Drittel -- da solche Literatur für die angestrebte strategische Ausrichtung des Projekts relativ uninteressant ist. Mit Ausnahmen, versteht sich. Eine Abteilung, die es definitiv zu pflegen und auszubauen gilt, wäre - natürlich - die der christlichen Literatur. Wir haben im Bestand bereits einige schöne Werke von Autoren wie Georges Bernanos, François Mauriac, Ruth Schaumann oder Franz Werfel; aus der Richtung hätte ich gern noch mehr, beispielsweise auch von Reinhold Schneider und Gertrud von Le Fort, aber auch Chesterton und C.S. Lewis; Tolkien würde ich quasi ehrenhalber mit zur christlichen Literatur rechnen. Auch ein gewisses Repertoire an geistlichen Schauspielen - von Calderón, Claudel, Max Mell... fände ich sinnvoll und wünschenswert.

Sodann natürlich: Kinderbücher. Für die Pfarrgemeinde ist es auf mittlere und längere Sicht überlebensnotwendig, gezielt Familien mit Kindern anzusprechen, folglich liegt es nahe, dass Familien mit Kindern auch für das Büchereiprojekt eine wichtige Zielgruppe sein sollten. Aus diesem Grund gibt es beim "Offenen Büchertreff" eine Kinderspielecke, und es ist auch zu bedenken, dass der monatliche "Krabbelbrunch" im selben Raum stattfindet und somit eine weitere Gelegenheit darstellt, bei der der Bücherbestand öffentlich zugänglich ist. All dies spricht dafür, eine gut sortierte und nicht zu kleine Kinderbuchabteilung aufzubauen und zu pflegen. Ein Schwerpunkt sollte dabei auf guten christlichen Kinderbüchern liegen, also etwa kindgerechte Bearbeitungen biblischer Erzählungen oder Heiligenviten, aber auch das ziemlich aus der Mode gekommene Genre der "katechetischen Beispielgeschichten". Das klingt vielleicht etwas sauertöpfisch und oll, aber tatsächlich gibt's da wirklich schöne Sachen; einige ziemlich gute Beispiele hierhür haben wir bereits im Bestand. -- Bei nichtchristlichen Kinderbüchern könnte es sich als notwendig erweisen, ein Auge darauf zu haben, ob darin problematische Botschaften vermittelt werden. Unabhängig vom Inhalt würde ich auch Bücher mit Charakteren aus Filmen und Fernsehserien oder mit anderen als Markenzeichen lizenzierten Figuren (z.B. "Hello Kitty"), die darauf abzielen, die Kinder auf ein bestimmtes Konsumverhalten zu konditionieren, tendenziell eher aussortieren.

Alles in allem relevanter für die Ausrichtung des Büchereiprojekts auf Katechese und Jüngerschaftsschulung erscheint mir aber doch der Sachbuchbereich, weshalb dieser längerfristig auch am stärksten ausgebaut werden sollte. Dass für den katechetischen Anspruch des Büchereiprojekts - "Katechese", so schrieb ich in meinem Konzeptpapier, lasse sich "relativ eindeutig mit 'Vermittlung von Glaubenswissen' übersetzen" - theologische Literatur (im weitesten Sinne)  eine entscheidender Rolle zu spielen hat, dürfte selbsterklärend sein; gleichzeitig betonte ich gegenüber meinen Büchetei-Teamkollegen (und denen, die es möglicherweise werden wollen) aber auch,
"dass gesteigerte Aufmerksamkeit darauf zu richten ist, dass die Bücher, die wir in dieser Abteilung sammeln, im Einklang mit der kirchlichen Lehre (und, bei neueren Titeln, insbesondere mit dem nachkonziliaren Lehramt Johannes Pauls II. und Benedikts XVI.) oder zumindest nicht in offenbarem Widerspruch zu diesem stehen. Jedes in Frage kommende Buch einer Einzelfallprüfung zu unterziehen, werden wir aber bis auf Weiteres nicht leisten können; daher empfiehlt es sich, Bücher, bei denen schon der Name des Autors verschärften Häresieverdacht nahelegt (z.B. Drewermann, Küng, Hasenhüttl, Schockenhoff, Striet), pauschal auszusortieren. Umgekehrt sollten lehramtliche Texte, Werke von Heiligen und Seligen sowie Texte aus dem Umfeld Neuer Geistlicher Bewegungen, der Gebetshausbewegung (Johannes Hartl) und der YOUCAT-Reihe unbedingt behalten werden." 
Anders liegt der Fall im Bereich Philosophie; hier argumentierte ich:
"Für die intellektuelle Auseinandersetzung mit den geistigen Grundlagen der (Post-)Moderne sind gewisse philosophische Grundkenntnisse ausgesprochen wichtig. Ein gewisser Bestand an philosophischen Werken (oder auch, tendenziell vielleicht sogar besser, Überblicksdarstellungen über Philosophie) kann dem Zweck des Büchereiprojekts also durchaus dienlich sein, aber allzu umfangreich braucht diese Abteilung nicht zu sein; wer sich vertiefend mit Philosophie befassen will, findet die entsprechenden Werke ohnehin andernorts. Es ist ohnehin nicht anzunehmen, dass wir über private Bücherspenden große Mengen an philosophischer Literatur hereinbekommen. Soweit das doch der Fall ist, wird es wenig praktikabel sein, dezidiert nicht- oder sogar antichristliche Philosophen (z.B. Nietzsche!) strikt auszusortieren; der Wert der Beschäftigung mit Philosophie liegt schließlich nicht zuletzt auch darin, das Denken des Feindes zu verstehen." 
Dieses Argument für die Auseinandersetzung mit Philosophie zielt natürlich in Richtung Apologetik -- eine theologische Disziplin, die ich gewissermaßen zwischen Katechese und Jüngerschaftsschulung ansiedeln würde. Mit einer gewissen apologetischen Motivation argumentiere ich im Konzeptpapier auch bezüglich des Fachgebiets Geschichte:
"Historische Sachbücher sind für den Bereich Katechese und Jüngerschaft besonders dann interessant, wenn sie einen Bezug zur Geschichte des Christentums und der Kirche aufweisen – was etwa bei Büchern über das europäische Mittelalter praktisch immer der Fall ist, bei anderen Epochen aber ebenfalls nicht ganz selten. Besonders wertvoll wären in diesem Zusammenhang Bücher, die verbreitete historische Irrtümer bzw. Fehlurteile (Glaubten die Menschen im Mittelalter wirklich, die Erde wäre eine Scheibe?) richtigstellen; umgekehrt erscheint es ratsam, Bücher auszusortieren, die von antireligiösen bzw. antikirchlichen Vorurteilen geprägt sind bzw. diesen Nahrung geben."
Da wir uns nunmehr, wie schon angedeutet, allmählich vom Bereich Katechese zum Bereich Jüngerschaft vorarbeiten, dürfte es ratsam sein, etwas genauer auszuführen, was ich unter diesem Begriff verstehe. Bei der Katechese war das ja, wie wir gesehen haben, relativ einfach; hingegen wurde mir im Laufe der Arbeit an meinem Thesenpapier klar, dass ich mit einem Begriff von Jüngerschaft operierte, dessen Bedeutungsradius alles andere als selbsterklärend war - nicht einmal für mich selbst. Meinen Teamkollegen erklärte ich daher erst einmal, unter Jüngerschaft verstünde ich "ein Programm zur Nachfolge Christi im persönlichen Leben" - und führte weiter aus:
"Es ist kein Geheimnis, dass meine Vorstellungen davon, wie Jüngerschaft in der (post-)modernen westlichen Gesellschaft verwirklicht werden kann und sollte, sehr wesentlich vom Konzept der 'Benedikt-Option' geprägt sind, also von der Idee einer christlichen Parallelkultur als Gegenpol zu einer zunehmend nicht- oder sogar antichristlich dominierten Öffentlichkeit."
Was dieses Konzept beispielsweise für die Auswahl an Büchern aus dem Themenbereich "Politik und Gesellschaft" bedeutet, versuchte ich exemplarisch anhand zweier Bücher zu erläutern, die wir bereits im Bestand haben und die mir beim Büchersortieren ins Auge bzw. in die Hand gefallen sind: "Die Löwen kommen" von Vladimir Palko und "Gender-Gaga" von Birgit Kelle.
"Mir ist bewusst, dass manch einer diese und ähnliche Bücher in die Kategorie 'rechte Verschwörungstheorien' einordnen würde, aber ich selbst bin nicht dieser Ansicht; ich würde vielmehr sagen, es handelt sich um engagierte Warnungen vor der kulturellen Dominanz der säkularen Linken und den Gefahren des 'social engineering' – und das sind Gefahren, über die Christen sich im Klaren sein müssen. Wo genau die Grenze zu tatsächlichen 'rechten Verschwörungstheorien' verläuft, die entschieden abzulehnen sind, wird wohl am jeweiligen Einzelfall zu klären sein. Auf der anderen Seite wären aber auch Bücher über alternative Lebens- und Gesellschaftsentwürfe interessant, die man gewöhnlich eher dem 'linken' Spektrum zuordnen würde (selbstverwaltetes Wohnen, 'Recht auf Stadt' etc.).
Da weiß natürlich kein Mensch, was das sein soll. Was mich nicht davon abhielt, im oben bereits angesprochenen Abschnitt über historische Sachbücher noch eins draufzusetzen und zu erklären, ein interessantes Thema seien auch
"historische Beispiele ethnischer, religiöser oder weltanschaulicher 'Sondergemeinschaften'; auch dann, wenn man mit der 'inhaltlichen' Ausrichtung solcher Gruppen wenig oder nichts gemein hat, kann man doch von ihren Organisationsformen mancherlei lernen." 
Klingt vielleicht auch ein bisschen kryptisch; konkret gesagt ist aber exakt das der Grund, dass ich den "Erinnerungen eines Nihilisten" von Wladimir Debogory-Mokriewitsch einen Büchereistempel verpasst habe und, auf die Gefahr hin, dass das missverständlich wirkt, erwäge, dasselbe sowohl mit dem "Baader-Meinhof-Komplex" als auch mit diesem Buch über Völkische Siedler zu tun.

Mein derzeitiges Lieblings-Steckenpferd beim Büchereiaufbau ist jedoch der Themenbereich "Do It Yourself" -- worunter ich Hierzu zähle ich alle Arten von Ratgeberbüchern zum Thema "Dinge selbermachen" verstehe, einschließlich Koch- und Handarbeitsbüchern. Warum interessiert mich das so? Weil gemäß meinem benOppigen Verständnis von "Jüngerschaft" auch die Vermittlung praktischer Fertigkeiten, die für den Aufbau und die Erhaltung "subkulturell"-christlicher Gemeinschaften und Netzwerke nützlich sein können, zur Jüngerschaftsschulung gehört. Das umfasst, wie ich in meinem Konzeptpapier schrieb, ein Spektrum
"vom Kochen über Gartenbau bis hin zu Möbeltischlerei und Gebäudeversorgungstechnik. Ich halte diese Forderung nicht einmal für besonders radikal. Dass und warum es in jeder Kirchengemeinde jemanden geben sollte, der in der Lage ist, eine Heizung zu reparieren, werden wir spätestens im nächsten Winter wieder am eigenen Leibe zu spüren bekommen." 
Ergänzend erwähnte ich noch, dass ich beispielsweise bei Kochbüchern
"'Lecker und gesund kochen mit überall erhältlichen billigen Zutaten' als relevanter ansehen würde als '150 fancy Fingerfood-Ideen im Stil von Fernsehserien der 70er-Jahre', wenn ich das mal so sagen darf. Analoges gilt natürlich auch für Handarbeits-, Handwerk- und Gartenbauratgeber und was es sonst noch so alles gibt. [...] Das entscheidende Auswahlkriterium für diese Abteilung sollte sein, ob man sich vorstellen kann, dass die im jeweiligen Buch vermittelten Fertigkeiten zum Nutzen der Gemeinde eingesetzt werden können."
Hier ein paar interessante Neuzugänge.
Als weitere eventuell interessante Themengebiete notierte ich:
  • Lokal- bzw. Regionalgeschichte/"Heimatkunde" (Brandenburg, Berlin, Bezirk Reinickendorf, Ortsteil Tegel)
  • Bildende Kunst, Theater, Film usw. 
  • Gesundheit, Familie, Kindererziehung (hier ist natürlich Vorsicht vor fragwürdigen ideologischen Einflüssen, Esoterik/Homöopathie etc. geboten!) 
  • Ratgeber-Literatur zu Themen wie Marketing, Fundraising, ggf. auch bestimmte juristische Fachgebiete 
Die Liste ist sicherlich noch erweiterbar.

Aber inhaltliche Schwerpunktsetzung hin oder her, vorrangig muss es erst einmal darum gehen, die praktische Benutzbarkeit der Bücherei zu verbessern. Maßnahmen dazu bilden den zweiten Schwerpunkt meines Konzeptpapiers, und ich kann erfreut zu Protokoll geben, dass die Diskussion darüber am Sonntag bereits bessere Ergebnisse erbracht hat, als ich auf kurze Sicht erwartet hätte. Wie es aussieht, können wir wahrscheinlich schon im August damit beginnen, die Bücherei regelmäßig einmal pro Woche für jeweils einige Stunden zu öffnen, außerdem soll es in Kürze einen Termin zum gemeinsamen thematischen Sortieren des Bücherbestands geben. Nun bin ich allerdings der Meinung, ehe man effizient sortieren kann, muss erst einmal gründlich Platz in den Regalen geschaffen werden, und damit beißt sich die Katze gewissermaßen in den Schwanz. Ich wäre aber wohl nicht der Tobi, wenn ich mir nicht schon Gedanken über eine Lösung gemacht hätte. --

Einen Büchertrödel zu veranstalten, bei dem Bücher, die man (sei es aus Platzgründen oder aus konzeptionellen Erwägungen) nicht im Bestand behalten möchte, gegen Spende abgegeben werden, ist ja an sich eine feine Sache, zumal es sogar Geld für das Projekt einbringt. Neulich beim Pfarrfest hat das schon mal ganz gut funktioniert, und sicherlich könnte man zukünftig etwa beim "Büchertreff" und anderen Veranstaltungen in der Pfarrei, an denen wir beteiligt sind, jeweils einen kleinen Bücher-"Grabbeltisch" anrichten. Das allein wird jedoch kaum ausreichen, um genügend Platz im Regal zu schaffen und die permanent neu eingehenden Bücherspenden zu bewältigen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, "überschüssige" Bücher auf die diversen "öffentlichen Bücherschränke", "Bücher-Telefonzellen" etc. zu verteilen, von denen es in Berlin nicht gerade wenige gibt. Das habe ich ja schon ein paarmal gemacht und werde es sicher gern noch öfter machen, zumal man da praktisch immer etwas Interessantes zum Tauschen findet. Aber das erfordert eben einen gewissen Aufwand an Zeit und Kraft. Wie wäre es hingegen,  wenn wir selbst ein offen zugängliches Büchertauschregal auf dem Kirchengrundstück einrichten und dieses auf der Website openbookcase.org registrieren? Man kann davon ausgehen, dass dies auch einen positiven Werbeeffekt für unser Büchereiprojekt hätte. Über die Aufstellung eines solchen Regals an einem nach Möglichkeit einigermaßen wettergeschützten Platz wäre mit dem Lokalausschuss oder zukünftig vielleicht mit dem Förderverein zu verhandeln, dessen Gründungsversammlung für nächste Woche geplant ist. Ich habe auch schon einen konkreten Standort im Auge. Es bleibt spannend, Leser...



Dienstag, 30. Juli 2019

Kirche wozu? Oder: Lagerdenken gibt's nur bei den anderen! (Teil 1)

Wenn man sich anschaut, was für ein Ton derzeit in innerkirchlichen Debatten angeschlagen wird, dann kann man es wohl niemandem verübeln, wenn der den Eindruck hat, es rieche verdächtig nach Schisma. "Kardinal Müller ätzt gegen kirchliche Reformprojekte": Diese Überschrift stand nicht in der taz oder im Neuen Deutschland, sondern in einem Magazin, als dessen Herausgeber laut Impressum ein katholischer Diözesanbischof firmiert. Derweil träumt in der Wochenzeitschrift "Christ in der Gegenwart", die früher mal Freiburger Katholisches Kirchenblatt hieß und deren Leserschaft laut einer Allensbach-Umfrage von 2004 zu 89% "jeden Sonntag in den Gottesdienst" geht, ein ungenannter Autor von einer runderneuerten, diskriminierungsfreien Kirche, aus der lediglich "ein paar alte Männer" ausgeschlossen bleiben sollen (was angesichts der typischen Altersstruktur der "Reform"-beflissenen kirchlichen Gremien und Verbände ein wenig tragikomisch wirkt, aber das nur nebenbei).

Wenn ich für die derzeitige innerkirchliche Polarisierung hier ausschließlich Beispiele von einer Seite gewählt habe, sehe ich das als ein Stück ausgleichende Gerechtigkeit angesichts des Umstands, dass die breite Öffentlichkeit von der anderen Seite ohnehin nichts anderes erwartet. Aber Spaß beiseite: Wie tief gespalten die katholische Kirche, aber auch darüber hinaus die ganze Christenheit hierzulande ist - wobei es oft den Anschein hat, dass die tiefsten Gräben quer durch die Konfessionsgrenzen verlaufen statt entlang dieser -, zeigt sich in jüngster Zeit vielleicht mit zunehmender Deutlichkeit und Dramatik, aber sehen konnte man es schon länger, wenn man nur hinschauen wollte. Ein Schlüsselerlebnis in dieser Hinsicht war für mich persönlich die Vorstellung des Mission Manifest Anfang 2018, oder genauer gesagt die Reaktionen darauf -- insbesondere die negativen. Darüber wollte ich schon lange mal was schreiben.

Lagerbildung, wie ich sie mag. (Bildquelle: Flickr
Bei der Live-Präsentation der Thesen des Manifests im Augsburger Messezentrum war ich nicht anwesend, da meine Liebste und ich währenddessen mit dem an jenem Abend lange erfolglos bleibenden Versuch beschäftigt waren, unsere Tochter ins Bett zu bringen. Aber immerhin war ich relativ dicht dran am Geschehen und las mir die zehn Thesen noch am selben Abend durch. Mein erster Eindruck war, dass diese Initiative eine ausgesprochene "Big Tent"-Strategie verfolge, ja ich dachte sogar, es wäre mir - im offenen Widerspruch zu dem Rat, den ein mir von jeher verhasstes Kinder-NGL gibt - lieber, den Kreis ein bisschen kleiner zu ziehen. Anders ausgedrückt, mir erschienen die Thesen derart inklusiv formuliert, dass ich dachte, da kann doch niemand was dagegen haben. Okay, an dem einen oder anderen Detail würde sicher der eine oder andere (möglicherweise einschließlich meiner Person) etwas auszusetzen haben, aber so im Großen und Ganzen...?

Tja. Werch ein Illtum.  

Noch eher vorhersehbar waren die einander gegenseitig auskonternden Reaktionen traditionell-konservativer Katholiken, denen das Manifest nicht katholisch genug war, und fundamentalistischer Evangelikaler, denen es zu katholisch war. Aber das war noch gar nichts gegen die Mischung aus Verachtung und blanker Panik, die die Reaktionen aus dem progressiv-relativistischen Lager prägte. Eine übersichtliche Zusammenschau derartiger Reaktionen hat seinerzeit das Zentralorgan der im Sitzen pinkelnden Föhnfrisurträger, otherwise known as "Die Eule", geliefert. Die gängigsten Vorwürfe in Stichworten: Das Mission Manifest sei von einem fundamentalistischen Glaubensverständnis geprägt; das Konzept von "Mission", das in den Thesen zum Ausdruck komme, sei bevormundend gegenüber Nicht- und Andersgläubigen; und außerdem seien die Initiatoren lauter Männer. Schlimm. 

Wohl auch in den Kontext solcher Äußerungen gehörte - wenngleich das Mission Manifest darin nur beiläufig und indirekt erwähnt wurde - ein Beitrag von Gabriele Höfling in der "Standpunkt"-Rubrik auf häretisch.de über, man lese und staune, "Bewegungen, die vermehrt auf Frömmigkeit setzen". Als konkrete Beispiele dafür nennt sie die MEHR und "neuere Jugendformate wie Nightfever". "Einfach mal einen Gang runterschalten", rät hat Frau Höfling solchen Initiativen bereits in der Überschrift ihres Kommentars:  Die sollen sich mal nicht so viel einbilden auf ihren Erfolg bei jungen Leuten, denn die "ganz normale" kirchliche Gremien- und Verbandsarbeit - beispielsweise "BDKJ, Pfadfinder und Ferienfreizeiten, denen aus bestimmten Kreisen gern ein mangelnder Glaubensgehalt unterstellt wird" - erreichten noch viel mehr Jugendliche, "ohne großen Hype". In "Lobpreis und Eucharistische[r] Anbetung" eine "bessere Antwort auf die Probleme der Kirche" zu sehen, "als es trockene Strukturreformen sein können", sei daher "ein Fehlschluss": "Von den genannten Angeboten werden eben nur die Leute angesprochen, mit einer solchen Frömmigkeit auch etwas anfangen können. Andere bleiben auf der Strecke." Oder, noch einmal anders ausgedrückt: "Ein solcher eher konservativer [!] Kurs, so formulierte es einmal der Religionssoziologe Detlef Pollack, könne zwar eine Minderheit enger an die Kirche binden. Eine große Mehrheit werde allerdings abgeschreckt."

Ach ja, Detlef Pollack. Der Münsteraner Religionssoziologe, der sowohl den Rat der EKD als auch die Deutsche Bischofskonferenz berät und zu dessen Glanzleistungen die Forderung gehört, Gottesdienste müssten kurz sein - auf jeden Fall kürzer als eine Stunde -, weil die Leut' am Sonntag schließlich auch noch was anderes vorhätten als in die Kirche zu gehen. Pollacks Dauerbrennerthema ist jedoch die Feststellung,  dass gerade die distanzierten Kirchenmitglieder - bzw. deren Geld - eine unverzichtbare Ressource für den Erhalt der institutionellen Strukturen der Großkirchen darstellen. Die daraus recht plausibel ableitbare Forderung, die Kirchen müssten sich gerade um diese Zielgruppe besonders bemühen, bedeutet für Pollack jedoch nicht, dass man versuchen sollte, die Distanzierten aus ihrer Distanziertheit herauszuholen; im Gegenteil, die sollen mal schön bleiben, wo sie sind, denn gerade so nützen sie - dem automatischen Kirchensteuereinzug sei Dank - den Kirchen am meisten. Ein ausgeprägtes religiöses Profil zu zeigen, ist viel zu riskant: Damit liefe man Gefahr, die weniger religiös interessierten Mitglieder zu verschrecken; genau das können die Kirchen sich nicht leisten; daher fahren sie besser damit, möglichst wenig Profil zu zeigen.

Ich muss mich selbst immer wieder ermahnen, zu bedenken, dass eine solche Sichtweise nicht zwangsläufig zynisch ist -- dass daraus nicht allein das Kalkül von "Strukturbesatzern" spricht, deren Loyalität zur Institution Kirche im Wesentlichen darin besteht, ihren Job und das Gehalt, das sie dafür beziehen, zu verteidigen. Nein, es gibt im "liberalen" oder "progressiven" institutionellen Apparat der Kirche sicherlich nicht wenige Leute, die ganz aufrichtig davon überzeugt sind, dass die Kirche als zuvilgesellschaftliche Institution gute, wichtige und gesellschaftlich notwendige Arbeit leiste und dass sie, um diese Arbeit leisten zu können, eben eine große Mitgliederbasis (und viel Geld) benötige. Nur dieser ganze "Glaubenskram", der ist eher hinderlich, weil sich davon eben nur eine Minderheit der Mitgliederbasis ansprechen lässt.

Jemand, der dieser Auffassung widerspricht, ist überraschenderweise Erik Flügge. So gern er sich über handelsübliche Methoden "milieusensibler Pastoral" lustig macht und etwa erklärt, es bringe nichts, Gottesdienste für ein Publikum zu konzipieren, das sich nicht für Gottesdienste interessiert, beharrt er andererseits darauf, die Kirche dürfe nicht den Anspruch aufgeben, "ihre Mitglieder auch religiös erreichen zu wollen", andernfalls könne sie "nicht dauerhaft bestehen". -- Darüber, wie die Kirche die Menschen "religiös erreichen" kann und soll, hat Flügge indes offenkundig erheblich andere Vorstellungen als etwa die Initiatoren des Mission Manifest. Die Kirche sieht er weniger in der Rolle der Trägerin und Botin einer göttlichen Offenbarung, sondern eher als Dienstleisterin für die religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder, und der geringe Grad der Mitgliederbindung in den Großkirchen zeigt laut Flügge, dass diese erst wieder neu lernen müssen, was die religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder eigentlich sind, um sich dann darauf einzustellen.

Wirklich frappierend finde ich es indes, dass es Kritiker Flügges gibt, denen diese Sichtweise immer noch zu religiös ist. Norbert Bauer zum Beispiel, einstmals Pastoralreferent in Köln, jetzt daselbst Leiter der Karl-Rahner-Akademie. In einem Beitrag für das Magazin futur2 attestiert er Flügge einen "Abwertungsjargon", weil er "wie die Glaubenskongregation überall Glaubensdefizite diagnostiziert"; er tadelt Flügge dafür, dass er sich ausdrücklich nicht für die Dauerbrennerthemen des kirchlichen "Reform"-Diskurses (z.B. Frauenweihe) interessiert und meint, mit solchen Debatten wollten "Liberale und Konservative nur ihre Zielgruppen befriedigen"; ja, schließlich wirft er Flügge vor, dieser wolle eine Kirche, die "sich nur noch als Glaubensgemeinschaft definiert und den daraus folgenden Anspruch als Dienstleister für die Gesellschaft und für ihre Mitglieder aufgibt".

Soweit, so bizarr; aber ich will mich hier nicht in Details verzetteln. Belassen wir es bei der Feststellung, dass es irgendwo da draußen, in "theologischen Feuilletons", an Hochschulen, in kirchlichen Gremien und pastoraltheologischen "Think Tanks", einen Diskurs gibt, in dem es bereits als anrüchig gilt, sich zu der Auffassung zu bekennen, eine zentrale Aufgabe der Kirche sei Glaubensverkündigung. Wenn man damit dann auch noch einen überindividuell verbindlichen, in seiner Substanz unverfügbar vorgegebenen Glauben meint, dann ist man, bevor man von Reizthemen wie Weihepriestertum, Zölibat, Rolle der Frau, Interkommunion oder Segnung gleichgeschlechtlicher Paare auch nur angefangen hat, bereits als Reaktionär, als Fundi, als "vorkonziliar" abgestempelt. Oder mindestens, allermindestens als "konservativ". Eine Bezeichnung, mit der ich mich schwer tue -- jedenfalls damit, sie auf mich selbst zu beziehen.

Sicherlich könnte ich mich lang und breit über unterschiedliche Definitionen von "konservativ" auslassen, von denen ich manche besser und andere schlechter mit meinem eigenen Standpunkt in Einklang bringen könnte; aber das spare ich mir an dieser Stelle lieber, denn ich muss ohnehin schon zusehen, dass dieser Artikel nicht zu sehr ausufert. Ich halte solche Erörterungen hier auch für verzichtbar, und das aus (mindestens) zwei Gründen. Zum einen kommt mir immer mal wieder der Verdacht, die Etikettierung bestimmter Positionen als "konservativ" verfolge ohnehin nur die Absicht, diese zu delegitimieren. Das funktioniert deshalb, weil in weiten Teilen des gesellschaftlichen Diskurses "konservativ" als negativ konnotierter Begriff wahrgenommen wird; das ist die logische Kehrseite eines ungebrochen positiv konnotierten Verständnisses von "Fortschritt". "Konservativ" gilt als gleichbedeutend mit "oll". Das ist mir neulich mal wieder aufgefallen, als ich mich beim "Klönschnack" in der OASE Tossens mit einem emeritierten Pfarrer aus dem westfälischen Teil des Bistums Münster unterhielt. Als das Gespräch darauf kam, dass ich für die Tagespost schreibe, wandte er an, diese Zeitung gelte doch als "ziemlich konservativ". So wie er das sagte, hielt er das offensichtlich für etwas Schlechtes. -- Zum zweiten (und wenn ich es recht bedenke, hängt das wohl einigermaßen eng mit dem erstgenannten Punkt zusammen) betrachte ich das Etikett "konservativ" nicht so sehr aufgrund bestimmter Begriffsdefinitionen als einen Schuh, der mir nicht passt, sondern vor allem aufgrund bestimmter assoziativer Vorstellungen, die sich nicht-nur-aber-auch für mich an diese Bezeichnung knüpfen. Nämlich vor allem die Vorstellung, konservativ sei jemand, der möchte, dass alles so bleibt, wie es schon immer war, WEIL es schon immer so war. Ich möchte behaupten, genau diese Motivation unterstellen "Progressive" den von ihnen als "konservativ" Eingeordneten permanent; da ist es dann nur noch ein kleiner Schritt dazu, die Haltung des vermeintlich oder tatsächlich Konservativen wahlweise mit Dummheit, Faulheit oder Angst, namentlich Angst vor Veränderung, in Verbindung zu bringen,  

Tatsächlich habe ich mit einem Konservatismus, für den das Althergebrachte und Gewohnte prinzipiell identisch mit dem Guten und Wahren ist, ebenso wenig am Hut wie mit einem Fortschrittsbegriff, der jede Neuerung, einzig aufgrund ihrer Neuheit, für eine Verbesserung hält. Das betrifft alle möglichen Lebensbereiche, aber bleiben wir hier mal beim religiösen Bereich. -- Ich habe schon gelegentlich mal erwähnt, dass ich die "erste Fundi-Phase" meiner an Irrungen und Wirrungen nicht armen Glaubensbiographie im Alter von ca. 14-16 Jahren hatte, und ich erinnere mich, dass ich damals eines Tages einen skizzenhaften Essay über verschiedene Fraktionen innerhalb der Kirche, so wie ich sie wahrnahm, in mein Tagebuch kritzelte. Ich hoffe, ich finde den Text mal wieder, aber die Grundzüge habe ich noch ganz gut im Gedächtnis. Ich unterschied seinerzeit nämlich nicht zwei, sondern drei innerkirchliche Lager, die ich die "Alteingesessenen", die "Liberalen" und die "Radikalen" nannte. Mich selbst ordnete ich natürlich ins "radikale" Lager ein, was sonst. Der entscheidende Punkt bei diesem sozusagen "dreipoligen" Modell war jedenfalls, dass ich die religiöse Praxis der "Alteingesessenen" - die ich idealtypisch in meiner Oma, ein paar angeheirateten Tanten und anderen alten Damen aus Schlesien verkörpert sah - als ebenso im Widerspruch zu meinen Vorstellungen von "radikalem Christsein" stehend betrachtete wie den verweltlichten Moralismus der "Liberalen". Heute würde ich über die "schlesische Oma-Fraktion" sicher milder urteilen; schon allein, weil ich bestimmte traditionell katholische Frömmigkeitsformen, die mir damals suspekt waren - weil man mich in meiner Kindheit und Jugend nicht an sie "herangeführt" hatte, wohl in der Annahme, sie seien nicht mehr "zeitgemäß", und weil ich mitreißende Begeisterung für Christus eher in evangelikalen Kreisen kennengelernt hatte -, inzwischen schätzen, ja lieben gelernt habe. Also beispielsweise den Rosenkranz oder das Knien vor dem Allerheiligsten. Aber auch wenn ich in meiner teenagertypischen Arroganz allzu voreilig davon überzeugt war, dass die formalisierte, rituelle Frömmigkeit der alten Schlesierinnen lediglich die Fassade vor einer gähnenden geistlichen Leere sei, würde ich dennoch sagen, dass meine damals entworfene Einteilung nicht gänzlich falsch war.

Ich finde, das ist ein guter Cliffhanger. Fortsetzung folgt!



Montag, 29. Juli 2019

Kaffee & Laudes - Das Wochen-Briefing (17. Woche im Jahreskreis)

Was bisher geschah: Verglichen mit den Wochen davor, und wohl erst recht mit der kommenden bzw. gerade begonnenen (s.u.), macht die zurückliegende Woche einen verhältnismäßig ereignisarmen Eindruck, aber das konnte ich auch mal ganz gut gebrauchen: Zeit zum Durchatmen, zum Lesen, zum Schreiben und zum Papa-Sein. Meine Liebste war, wie angekündigt, mal wieder in Sachen Foodsaving aktiv, und diesmal klappte auch das Weiterverteilen der Beute so gut, dass für uns selbst nicht mehr übrig blieb, als wir ohne Probleme verbrauchen konnten. Immerhin, nach einer Abholung in einem Bio-Supermarkt gab es bei uns "Pulled Jackfruit (offenbar die vegane Alternative zu "Pulled Pork") Barbecue Style", kombiniert mit herzhaften Gebäckteilchen und Paprika-Frischkäse, zum Abendessen; eine Abholung in einer Bäckerei stattete uns für mehrere Tage mit belegten Baguettes und Bagels aus, obendrein froren wir Kuchen und Süßgebäck fürs Büchertreff-Büffet ein.

Beim vierten "Offenen Büchertreff" am Sonntag war Kollegin Claudia als Stargast dabei und trug aus ihrem "Hymnarium" und ihrer historischen Novelle "Archipoeta - Der Erzdichter" vor; die Veranstaltung kann insofern als leidlich gut besucht bezeichnet werden, als die Zahl der Gäste höher war als die der Mitwirkenden, und vor allem war die Atmosphäre bei der Veranstaltung ausgesprochen nett. Gegen Ende wurden - auf der Basis eines von mir ausgearbeiteten und per Mail an die Teamkollegen versandten Konzeptpapiers; dazu in Kürze mehr - noch allerlei zum Teil recht konkrete Pläne zur Weiterentwicklung des Büchereiprojekts geschmiedet; wie's aussieht, stehen die Chancen günstig, dass es ab August regelmäßige wöchentliche Öffnungszeiten für die Bücherei geben wird.



Was ansteht: Die große Neuigkeit der Woche lautet: Wir fahren zum Internationalen Forum Altötting der Gemeinschaft Emmanuel! Von Donnerstag bis Sonntag. Ich gestehe allerdings gleich, dass mein Enthusiasmus angesichts dieser Aussicht nicht völlig ungetrübt ist. Noch vor ein Paar Tagen hatte ich überhaupt keine Lust darauf und erwartete, dass es ein einziger Kopfschmerz werden würde; und noch bin ich nicht vollkommen vom Gegenteil überzeugt. Vielleicht hatte ich einfach gerade allgemein schlechte Laune, als am Freitagvormittag der "Teilnehmer-Infobrief" per Mail eintrudelte; aber jedenfalls fand ich ihn abtörnend, schon allein aufgrund von Stichworten wie "Relax Programm", "Priest Band" und "Young Professionals". Mit einem Wort: un-punkig! Auf der anderen Seite erschien mir die Unterbringungssituation -Matratzen ohne Bettwäsche, alles Weitere, was man zum persönlichen Komfort braucht, einschließlich Handtücher, muss man selber mitbringen - fast schon ein bisschen zu punkig für einen Mann meines Alters und Familienvater. Mir kann man's halt nicht recht machen. Auf dem Höhepunkt meiner Unlust sah ich mir das Trailer-Video an und dachte anschließend: Na, vielleicht wird's ja doch ganz nett. Falls Leser meines Blogs dort anwesend sein werden: Sagt Bescheid! Trinken wir 'ne Brause zusammen, oder vielleicht besser ein Bier. 


aktuelle Lektüre: Meine bisherigen Eindrücke von den Büchern, die ich in der vergangenen Woche angefangen habe zu lesen, ergeben ein sehr gemischtes Bild. "Der Verräter" von Lavr Divomlikoff alias Vladimir Volkoff hat sich als ein äußerst beeindruckendes Stück Lektüre erwiesen: stilistisch von erheblich höherer Qualität, als man es von handelsüblichen Spionage-Thrillern erwarten würde, und inhaltlich erst recht. Die Geschichte eines kommunistischen Geheimdienstoffiziers, der undercover in ein Priesterseminar eingeschleust wird, um nach dem Willen seiner Vorgesetzten möglichst Bischof zu werden, zeichnet ein eindringliches Bild von einer Kirche, die vom totalitären Staat zwar nach Kräften drangsaliert und unterdrückt wird, die er aber letztlich dennoch nicht besiegen kann, weil sie über eine Macht verfügt, die nach anderen Gesetzmäßigkeiten funktioniert als die des Staates, ja buchstäblich "nicht von dieser Welt" ist. Ich bin annähernd sicher, dass ich dieses Buch in den Bestand unseres Büchereiprojekts aufnehmen werde. 

Bei Karel Čapeks "Der Krieg mit den Molchen" musste ich, da es sich bei meinem Exemplar um eine DDR-Ausgabe (Aufbau-Verlag 1956) handelt, erst einmal ein marxistisch-leninistisches Vorwort über mich ergehen lassen, das den 1936 erstveröffentlichten Roman ideologiegeschichtlich einordnet und schließlich deklariert, letztendlich gehe es in dem Buch darum, dass "die Kräfte des Humanismus den Kampf gegen das Chaos aufnehmen müssen" (S. 4). Gähn. Aber dann war ich vom ersten Satz an begeistert. Wenig überraschend entpuppt sich die Behauptung des Vorworts übrigens alsbald als falsch. Gewiss, Čapek liefert eine beißende Satire auf den Kapitalismus und spart dabei auch nicht mit Seitenhieben auf den Nationalismus und den Faschismus, der zur Entstehungszeit des Romans gerade sehr en vogue war; gleichzeitig verhohnepiepelt er aber auch noch ganz andere Dinge, wie zum Beispiel Abenteuerromane à la Jack London und Joseph Conrad, Hollywood, den Wissenschaftsbetrieb, die Sexualwissenschaft (was man heute "Gender-Studien" nennen würde), sowie kurz gesagt "Wissenschaft, Philanthropie, Aufklärung, Presse und andere Faktoren" (S. 147) -- vor allem aber nimmt er wissenschaftlich-technologischen Fortschritts-Enthusiasmus aufs Korn: 
"Wir können heute einfach nicht mehr einige hundert Jahre warten, bis mit der Welt etwas Gutes oder Schlimmes geschieht. So ließe sich zum Beispiel die Völkerwanderung, die sich einst über mehrere Menschenalter erstreckt hat, bei der heutigen Transportorganisation alles in allem in drei Jahren bewerkstelligen. Sonst könnte man nichts daran verdienen. Ähnlich steht es mit der Liquidation des Römischen Reiches, mit der Kolonisierung der Kontinente, der Ausrottung der Indianer usw. Das alles ließe sich heute unvergleichlich rascher durchführen, wenn es kapitalkräftigen Unternehmen anvertraut würde" (ebd.). 
Übrigens ist allein das Kapitel, in dem der Riesenmolch "Andy" im Londoner Zoo erst sprechen und dann auch lesen lernt ("aber nur Abendzeitungen"!, S. 104), derart aberwitzig, dass ich mich wundere wie dieses Buch unter einem für seine Humorlosigkeit berüchtigten Regime wie dem der DDR überhaupt erscheinen konnte. Entzückt war ich auch von einer Passage, in der im Zusammenhang mit der Beobachtung, dass "je größer der Herr, desto weniger [...] auf seinem Türschild zu lesen" sei, ausgeführt wird: 
"Ich glaube, der Papst hat an seiner Tür auch bloß Pius stehen, ohne Titel und ohne Nummer. Und Gott hat überhaupt keine Tafel, weder im Himmel noch auf Erden. Das mußt du schon selbst erkennen, Mensch, daß ER da wohnt. Aber das gehört nicht hierher und sei auch bloß nebenbei erwähnt." (S. 32f.) 
Hach. Das waren noch Zeiten, als die Tschechen gut katholisch waren. 

Eva Wind-Schwarz, die Verfasserin von "Der Pater - Tagebuch einer Konversion", schafft es schon im Vorwort mit wenigen Sätzen, mich gegen sie und somit auch gegen das Buch aufzubringen: 
"[M]ein Wechsel von der Evangelischen zur Katholischen Kirche Anfang der 80er-Jahre [...] war keine Trennung, aber ein für mich lebensnotwendiger Schritt. Gesucht und gefunden habe ich die dem Protestantismus verloren gegangene Spiritualität. Danach zu fragen lag damals noch nicht so im Trend wie heute. [...] Es kann sein, dass die Leser [...] die Aufwendigkeit meines Wege zur Konversion und danach sehr wundert. Denn heute stehen die Türen beider Kirchen viel offener und ihre Schwellen sind niedriger." (S. 5)
Inhaltlich habe ich daran nicht viel auszusetzen; insbesondere an der Feststellung, der evangelischen Kirche mangele es an Spiritualität, ist sicherlich etwas Wahres dran, wenngleich ich glaube, dass "Spiritualität" nicht ganz die richtige Bezeichnung für das ist, was die Autorin vermutlich meint, aber eine bessere fällt mir auch nicht ein. Man mag den Eindruck haben, die Autorin  fühle sich in erster Linie aus ästhetischen Gründen zum Katholizismus hingezogen, aber das finde ich nun nicht unbedingt besonders schändlich. Nein, nicht der Inhalt ist es, was mich hier stört, sondern der Tonfall -- diese charakteristische Mischung aus Pathos und Banalität. Und dazu dieser Doppelname. Das alles riecht überdeutlich nach mittelmäßig gutsituiertem sozialdemokratischem Bildungsbürgertum, nach Toskana-Landwein-Fraktion. Natürlich sie ist die Frau eines evangelischen Pfarrers, und natürlich ist sie gemeinsam mit diesem bemüht, "bildende Künstlerinnen und Künstler im Gottesdienst mit ihrer stillen Kunst 'zu Wort' kommen zu lassen" (S. 32): "Es gehört immer wieder Mut dazu, moderne Kunst in den Gottesdienst hineinzuholen" (S. 41). Sie besucht "einen Yoga-Kurs", lässt sich "[a]uf die Übungen durchaus mit ganzem Ernst ein", spürt, "wie mir die Aktivierung des Atmens guttat und mich auch psychisch zuversichtlich machte" (S. 17). Sie trägt eine "kleine Uhr an [einer] Halskette" (S. 24). "Ich sehe bei Ihnen keinen Grund zur Konversion", sagt der alte Jesuitenpater, der neben ihr die zweite Hauptfigur des Buches ist, auf S. 9 zu ihr, und ich stelle mir gern vor, er habe damit gemeint: "Leute wie Sie haben wir in unsere Kirche schon mehr als genug, bleiben Sie mal schön in Ihrer eigenen." -- Schon ziemlich zu Beginn des Buches nimmt die Autorin an Exerzitien im Benediktinerkloster Nütschau teil, leidet darunter, als Noch-nicht-Katholikin nicht an der Kommunion teilnehmen zu können, meint aber, "dieses Kommunionsfasten tapfer durchstehen zu müssen": "Eigentlich, tief im Herzen, bejahe ich es auch zu warten, bis es an der Zeit ist." Dann aber findet sie am letzten Tag der Exerzitien plötzlich doch "den Mut [...] zur Kommunion zu gehen, ohne vorher zu fragen" (alle Zitate von S. 24!). Erinnert ein bisschen an verliebte Teenager, die einander feierlich ein "Wahre Liebe wartet"-Versprechen geben und dann gleich beim nächsten Date doch zusammen mit Bett landen. UND ALLE FINDEN ES TOLL! "Jede und jeder sprach mich an und gratulierte mir zur 'Erstkommunion'" (S.25). Noch schlimmer ist allerdings die Schilderung der Kommunionspendung durch den titelgebenden alten Jesuiten einige Seiten zuvor:
"Der Pater hält in seiner linken Hand die Hostienschale, in seiner rechten den Kelch. Sein Gesicht strahlt von dem Geheimnis: Alle werden beschenkt. Die Kommunizierenden nehmen selbst [!] ihr Stückchen 'Manna' aus der kupfernen Schale und tauchen es in den Wein des Kelchs. Der Pater blickt jede und jeden herzlich an, spricht leise und nur an die einzelne Person gerichtet ein Wort oder einen Satz." (S. 15) 
Gruselig! Ich dachte, die Frau wollte katholisch werden?! -- Das Buch ist wohl doch eher was für den Giftschrank. 

Wie angekündigt, habe ich auch die unterbrochene Lektüre von "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" von James Joyce wiederaufgenommen, und ich war selbst überrascht, wie sehr es mich erneut in seinen Bann gezogen hat. Meine jüngste Leseetappe war hauptsächlich geprägt von der Teilnahme des jungen Protagonisten an Exerzitien über die "vier letzten Dinge": Tod, Gericht, Himmel und Hölle. Sehr stark, wenn auch in der genüsslichen Ausmalung der Höllenqualen etwas dick aufgetragen. Übrigens habe ich auf dem Rezensionsportal lovelybooks.de eine Besprechung des Romans entdeckt, deren Verfasser allen Ernstes meint, die "Predigt, mit der der arme Protagonist [...] von dem schließlich mit Hilfe [!] von Prostituierten beschrittenen Weg in eine freiere [!] Sexualität zurückgeholt wird", sei eine "überaus gelungene Polemik gegen die katholische Sexualmoral". Schon erstaunlich, wie einem die Propaganda der sexuellen Revolution das Gehirn verkleistern kann.

Von Watchman Nees "Das normale Christenleben" hatte ich mir durchaus Einiges versprochen, schließlich ist bzw. war der Autor eine durchaus bedeutende Figur der chinesischen Hauskirchenbewegung, und man könnte ja denken, von dieser könne man als BenOp-Aktivist so allerlei lernen; obendrein machte der provozierende Titel des Buches mich neugierig, zumal Nee gleich zu Beginn des ersten Kapitels sagt: 
"Was ist das normale Christenleben? Soviel wollen wir von vornherein sagen, daß es durchaus etwas anderes ist als das Leben eines Durchschnittschristen ." (S. 7) 
30 Seiten später muss ich leider gestehen, dass ich mit Watchman Nee absolut nicht klarkomme. Ich verstehe schlichtweg nicht, was er von mir will. Gleich das erste Kapitel, überschrieben "Das Blut Jesu Christi", erinnerte mich an meine erste und einzige "Fatima-Sühnenacht" in Berlin-Schöneberg (aus der ich seinerzeit gegen ein Uhr nachts geflüchtet bin). Da hatte ein argentinischer Priester mit Schaum vorm Mund darüber gepredigt, dass Sünden mit Blut gesühnt werden müssten; genau davon spricht Nee auch, aber er hat dabei gar keinen Schaum vorm Mund, sondern bleibt ganz nüchtern und kühl, und das finde ich eigentlich noch irritierender. Vielleicht ist das der Unterschied der chinesischen Mentalität gegenüber der argentinischen, ich weiß es nicht. Insgesamt macht Watchman Nee mit seiner pedantisch-wortklauberischen Exegese auf mich den Eindruck eines theologischen Autodidakten, der, mit nichts als den Paulus-Briefen auf dem Schreibtisch und ohne jede Anleitung durch irgendeine Lehrtradition, für sich selbst das Christentum quasi neu erfinden muss und anschließend - irgendwie folgerichtig - meint, er sei der Einzige, der das Christentum jemals wirklich verstanden habe. Solche Typen sind mir in evangelikalen und "post-evangelikalen" Kreisen schon ein paarmal begegnet, und ich fand sie fast immer gruselig


Linktipps:
Gewohnt Kluges und Besonnenes von Peter Winnemöller: Es gebe viele gute Gründe, gegen die Kirchensteuer zu sein, aber würde sie von jetzt auf gleich abgeschafft, hätte das dramatische Folgen. Andererseits ist angesichts der Entwicklung der Mitgliederzahlen der Großkirchen (und der Altersstruktur ihrer Mitglieder) schon jetzt absehbar, dass die Kirchensteuer in ihrer jetzigen Form keine große Zukunft mehr hat. Winnemöllers Schlussfolgerung: Die Kirche wäre gut beraten, schon jetzt damit zu beginnen, schrittweise aus der Kirchensteuer auszusteigen und alternative Finanzierungsmodelle aufzubauen. 
Lo and behold: häretisch.de, das Propagandaportal der künftigen deutschsynodalen Unkirche, hat angesichts der neuen Austrittszahlen seine Facebook-Fangemeinde dazu aufgerufen, in ca. 1000 Zeichen zu der Frage Stellung zu nehmen: "Was bindet Sie an die Kirche? Warum ist es Ihnen wichtig, in der katholischen Kirche zu bleiben?" -- "Eigentlich könnte man genauso den Karpfen fragen, warum er im See bleibt und es sich nicht statt dessen in der Wüste gemütlich macht", grummelt Bloggerkollege Kephas, rafft sich dann aber doch dazu auf, sich "der Why-Are-You-Still-In-The-Church-Challenge" zu stellen. Trotz des polemischen Einstiegs legt er ein sehr persönliches, sehr bewegendes Glaubenszeugnis ab. Ich will gar nicht viele Worte darüber verlieren. Lest es einfach. Es ist toll. 


Heilige der Woche:

Heute, Montag, 29. Juli: Hl. Marta von Betanien, Jüngerin Jesu. Wird im Lukas- und im Johannesevangelium erwähnt: In Lukas 10,38-42 bewirtet sie Jesus, während ihre Schwester Maria Ihm zu Füßen sitzt und Ihm zuhört; in Johannes 11,1-46 bittet sie Jesus, ihren Bruder Lazarus vom Tod aufzuerwecken, und bekennt sich zu dem Glauben, dass Jesus "der Christus, der Sohn Gottes" ist.

Dienstag, 30. Juli: Hl. Petrus Chrysologus (ca. 380-451), Erzbischof von Ravenna, enger Vertrauter von Papst Leo dem Großen. Von ihm sind 168 Predigten über die Evangelien, die Psalmen, die Briefe des Apostels Paulus  und das Vaterunser überliefert. 1729 zum Kirchenlehrer ernannt.

Mittwoch, 31. Juli: Hl. Ignatius von Loyola (1491-1556), Gründer des Jesuitenordens, Mystiker. Als kriegsversehrtem ehemaligem Offizier schwebte ihm die Gründung einer Art Elitetruppe der Christenheit vor. Wie er es findet, was heute aus seiner "Societas Jesu" geworden ist, sei mal dahingestellt.

Donnerstag, 1. August: Hl. Alfons Maria von Liguori (1696-1787), Gründer des Redemptoristenordens, Kirchenlehrer. Initiierte die für den von ihm gegründeten Orden charakteristischen Volksmissionen. Bedeutender Moraltheologe, der sich besonders mit der Theologie des Beichtsakraments befasste; daher auch Patron der Beichtväter. Bereitete zudem das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit theologisch vor.

Freitag, 2. August: Hl. Eusebius von Vercelli (ca. 283-371), erster Bischof von Vercelli im Piemont. Bekämpfte die Irrlehre des Arianismus, wurde deshalb zeitweilig verbannt und später - der Legende nach - von Arianern gesteinigt. Seine theologischen Werke sind größtenteils nicht erhalten. 


Aus dem Stundenbuch: 

"Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist." (Römer 12,2)



Donnerstag, 25. Juli 2019

Neues von der Willehad-Option #2: Warum nicht Einswarden?

"Für die Willehadleute, gleich welcher Fraktion, seid ihr einfach nur 'Spinner'." Das schrieb mir - teilweise als Replik auf meinen kürzlich hier veröffentlichten "Rumble on the Beach"-Artikel - jemand, der sich mit den Verhältnissen vor Ort recht gut auskennt.  Gehen wir ruhig mal davon aus, dass die Aussage im Wesentlichen stimmt; und wenn man weiterhin davon ausgeht, dass die Willehadianer sich selbst ganz in Ordnung finden, dann kann ich mit ihrer Meinung über mich ziemlich gut leben. Und umso ungenierter weiterspinnen, wobei, das hätte ich wohl ohnehin getan. Schließlich habe ich am Ende des besagten Artikels eine Andeutung bezüglich der "von der Pfarrei aufgegebenen Kirchengebäude" fallen lassen. Was also ist mit denen? 

Erinnern wir uns: Vor rund vier Monaten, am 31. März, wurde die zuletzt kaum noch genutzte Kirche St. Josef in Stadland-Rodenkirchen von Weihbischof Wilfried Theising profaniert. Im Protokoll der Pfarreiratssitzung vom 2. April heißt es: "Als Nächstes muss geklärt werden, was mit dem Inventar und dem Kirchengebäude geschieht. Hierzu laufen Gespräche mit einigen Interessenten." Just während meines jüngsten Aufenthalts in Nordenham, am 6. Juli, erschien in der Nordwest-Zeitung ein Artikel über den aktuellen Stand der Dinge. Das Kirchengebäude solle "ebenso wie das angebaute Hausmeister- und Küsterhaus und das separat stehende Gemeindehaus verkauft werden", heißt es da: "Wann, wie und an wen, steht aber noch nicht fest." Nun gut, das ist im Grunde nichts Neues. "Nach Auskunft von Pfarrer Karl Jasbinschek sind Überlegungen und Verhandlungen noch nicht abgeschlossen." Ja wie jetzt? Die Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen, und trotzdem gibt es schon Verhandlungen? "Wir hoffen, nach den Sommerferien weiter zu sein", wir der Pfarrer zitiert; das wäre ja schon bald. Und schließlich: "Wir versuchen, das unter Denkmalschutz stehende ehemalige Kirchengebäude in seiner Substanz zu erhalten." 

Äh, Moment. Was heißt hier "versuchen"? Ich dachte, wenn das Gebäude denkmalgeschützt ist, bedeutet das, dass es in seiner Substanz erhalten werden MUSS - oder verstehe ich hier was falsch? In mir regt sich jedenfalls der Verdacht, durch das Wörtchen "versuchen" solle ein Hintertürchen geöffnet werden, um das Gebäudeensemble schließlich doch abzureißen. 

Der Schwerpunkt des Artikels liegt indes darauf, dass für "Katholiken in Rodenkirchen, Schwei und Umgebung" ein "Shuttle-Dienst eingerichtet" worden ist: "Jeden Sonntag und Feiertag bringt der Kirchenbulli oder ein Personenwagen Gläubige von Rodenkirchen zum Gottesdienst in der Willehad-Kirche in Nordenham. Seit Pfingsten gibt es diesen kostenlosen Service. Doch er wird bisher wenig genutzt. Nur jeweils zwei Personen sind bisher mitgefahren." 

Tja. Da hat man die katholische Gemeinde in Rodenkirchen, die, einem Pressebericht zufolge, im Jahr 2008 noch rund 450 Mitglieder hatte, wohl gründlich an die Wand gefahren -- wozu es sicherlich beigetragen hat, dass es dort seit einigen Jahren nur noch Werktagsmessen gab, und zwar mittwochs um 15 Uhr; was hat man denn erwartet, wer da kommen sollte? "Zuletzt gab es dort nur noch jeweils drei bis fünf Gottesdienstbesucher". Tja.

Vermutlich kann man jedoch davon ausgehen, dass es im Stadland noch ein paar Katholiken gibt, die es aus eigener Kraft sonntags zur Messe nach Nordenham schaffen. Mit dem eigenen Auto zum Beispiel. Wenn die jeweils noch jemanden mitnähmen, könnte man sich vielleicht auch den Shuttle-Service sparen. Vorerst will die Pfarrei diesen aber trotz der geringen Nachfrage weiterführen: "Die Testphase endet erst zum Jahresende", lässt Pfarrer Jasbinschek wissen.

Bezeichnend erscheint mir auch die Aussage, bei diesem Shuttle-Dienst handle es sich um "ein Zusatzangebot zu den katholischen Gottesdiensten, die seit Anfang dieses Jahres alle 14 Tage im Wohn- und Pflegezentrum Friesenhof in Rodenkirchen gefeiert werden". Also, mein lieber (übrigens selbst katholischer) Herr Lokalredakteur: Die Gebote der Kirche kennen eine Sonntagspflicht, aber keine "Jeden-zweiten-Mittwoch-Pflicht". Eine Werktagsmesse in einem Altenheim kann man vielleicht als "Zusatzangebot" zur Sonntagsmesse bezeichnen, aber nicht umgekehrt

Derweil verkauft man es als Erfolgsmeldung, dass die "Zahl der Gottesdienstbesucher im Friesenhof [...] regelmäßig dreimal so groß" sei "wie die der Besucher früher in der Kirche" -- und dass "auch evangelische Christen" daran teilnehmen. Umgekehrt nehmen auch "Katholiken [...] an evangelischen Gottesdiensten im Friesenhof teil. 'Das ist gelebte Ökumene', freut sich Pfarrer Karl Jasbinschek." -- Na klar: DAS ist "gelebte Ökumene", und somit ein Grund zur FREUDE. Mann Mann Mann. 

Soweit also die (betrübliche) Lage in Rodenkirchen. Wie aber sieht es derweil in Einswarden aus? Die dortige Kirche Herz Jesu, die schon seit rund viereinhalb Jahren "vorläufig geschlossen" ist, soll, wie berichtet, ebenfalls profaniert werden, allerdings gibt es dafür meines Wissens noch keinen definitiven Termin -- wobei es sein kann, dass ich diesbezüglich nicht ganz auf dem neuesten Stand bin: Das Protokoll der Pfarreiratssitzung vom 11. Juni ist noch nicht online. Jedenfalls war ich - wie berichtet - unlängst, nämlich am 15. Juli, mit Frau und Tochter in Einswarden unterwegs, und natürlich haben wir uns bei dieser Gelegenheit auch auf dem Kirchengelände umgesehen. In die Gebäude hinein kamen wir erwartungsgemäß nicht, aber zu sehen gab es trotzdem so einiges: 

Eine Kirche im Dornröschenschlaf. Ansicht von der Straße. 



Das ist doch mal ein zustimmungsfähiges Motto, oder?
Ich übertreibe kaum, wenn ich sage: Am liebsten wären wir gleich dageblieben. Das ganze Ensemble - Kirche, Pfarrhaus, Gemeindesaal mit Küche und Toilette, eine Blockhütte und zwei Garagen, dazu ein großes Gartengrundstück - wäre geradezu ideal für ein BenOp- bzw. Punkpastoral-Projekt. Man bräuchte uns praktisch nur einen Schlüssel zu geben, und wir könnten morgen anfangen. -- Was würden wir machen? Nun, für den Anfang ließen sich diejenigen Aktivitäten, die wir derzeit in unserer Wohnortpfarrei in Berlin-Tegel betreiben, ziemlich problemlos dorthin übertragen; da die Kirche dort obendrein genauso heißt wie hier, nämlich eben Herz Jesu, könnten wir sogar das Logo weiterverwenden. 

Welches Logo? Dieses Logo! 
Konkret gesagt hätten wir also die folgenden bereits erprobten Veranstaltungsformate zu bieten: 
Ehrlich gesagt sähe ich in Einswarden erhebliches Potential, dieses monatliche Abendessen einschließlich gemeinsamen Kochens und Abwaschens dazu auszubauen, was es von Anfang an hätte sein sollen, was uns in Berlin-Tegel jedoch noch nicht in befriedigendem Maße gelungen ist: zu einem "Community Networking Dinner" wie im Baumhaus, also einem Forum zur Vernetzung mit anderen, auch nichtkirchlichen Initiativen vor Ort, um gemeinsam Konzepte zur Verbesserung bzw. Weiterentwicklung des gemeinschaftlichen Lebens zu entwickeln. Wie ich höre, braucht Einswarden so etwas dringend. Das Vereinsleben im Stadtteil soll ja seit Jahren ziemlich am Boden liegen. 
  • "Krabbelbrunch" 
-- oder meinetwegen auch "Familienfrühstück mit Kinderspielecke". Angebote für Familien mit kleinen Kindern kann es doch gar nicht genug geben, oder?

Dies könnte bei Euch stattfinden, liebe Einswarder! 
Die Aufgabe, aus bunt gemischten Bücherspenden und unter Ausnutzung diverser Büchertauschprojekte eine nicht nur, aber eben auch für eine benOppige "Jüngerschaftsschulung" (in einem sehr breiten Verständnis dieses Begriffs; dazu bei Gelegenheit mehr) geeignete Bibliothek aufzubauen, macht mir - unbeschadet des beträchtlichen Arbeitsaufwands und der mannigfaltigen Schwierigkeiten eines solchen Vorhabens - so viel Spaß, dass ich mir vorstellen könnte, das in meinem Leben noch öfter und an verschiedenen Orten zu machen. "Bibliotheken pflasterten seinen Weg", harr harr. Noch besonders erhöht wird meine Motivation im Fall Einswarden dadurch, dass die Nordenhamer Stadtbücherei in der Abteilung "Religion" einen ziemlich hohen Prozentsatz an häretischem Scheiß aufweist. Nicht dass mich das irgendwie überrascht. 

Need I say more? 
Gestaltete Gebetszeiten in der Kirche, wie wir sie in Tegel derzeit ein- oder in besonderen Fällen zweimal pro Woche abhalten, wären, wenn man effektiv auf dem Kirchengrundstück lebt und arbeitet, vermutlich öfter möglich -- täglich oder sogar mehrmals täglich, mit Elementen aus dem Stundenbuch

Und dann der Garten! Laut der in früheren Artikeln schon ein paarmal erwähnten Kirchenchronik "Wider das Vergessen!", S. 43f., ging die Idee, "das Grundstück um die Kirche zu einem Park zu gestalten", auf eine Anregung des früheren Pfarrers Franz Bieler (1976-82 in Einswarden) zurück, der gesagt haben soll: "Hört auf, grün zu reden, sondern beginnt, grün zu handeln". Von dem von Gemeindemitgliedern angelegten, am 28. Juni 1987 eingeweihten und in der Folge von einem ehrenamtlichen "Gartenteam" betreuten Park ist heute nicht mehr viel zu erkennen, aber Potential hat das Gartengrundstück allemal: Es böte genug Platz, um sowohl wetterfeste Spielgeräte aufzustellen als auch Beete anzulegen, und vielleicht wäre sogar ein bisschen Kleintierhaltung möglich. (Wie wir auf Hof Iggewarden beobachten konnten, ist es z.B. durchaus möglich, Hühner und Kaninchen auf derselben Fläche zu halten.) 

In einer der Garagen würde ich gern einen Bandprobenraum einrichten -- und dann an den Schulen, in der Jahnhalle, dem Jugendhaus Einswarden und anderen geeigneten Orten Aushänge machen. Schülerbands, die mit ihrer Musik kein Geld verdienen, sollten den Probenraum kostenlos nutzen können, sollten sich aber bereit erklären, sich, wenn sie irgendwann doch mal bezahlte Auftritte an Land ziehen, mit einer Spende erkenntlich zu zeigen. Wenn's gut läuft, kann man über kurz oder lang vielleicht einige der musizierenden Jugendlichen für eine Lobpreis-Band rekrutieren. 

Und das alles wäre - im buchstäblichsten Sinne - "nur der Anfang"; will sagen, das wären die Dinge, mit denen man sofort und ohne weitere Vorbedingungen loslegen könnte. Alles Weitere würde sich dann schon zu seiner Zeit finden. Zum Beispiel denkt meine Liebste in jüngster Zeit immer vernehmlicher über die Gründung einer Freien Schule mit einem am sogenannten "Uracher Plan" orientierten Unterrichtskonzept nach, aber so etwas lässt sich natürlich nicht von jetzt auf gleich verwirklichen. 

Soweit also erst einmal mit den Ansichten aus Wolkenkuckucksheim; wie steht es nun aber um die Realisierbarkeit solcher Ideen? -- Schlecht, meint ein befreundeter Netzkatholik auf Facebook: "Eher verkauft das zuständige Bistum das Objekt an einen hinduistischen Tempelverein, als es einem BenOp-Projekt zu geben." Ich würde diese Einschätzung für überspitzte Polemik halten, wenn sie nicht von jemandem käme, dem ich zutraue, ziemlich genau zu wissen, wovon er spricht. Trotzdem habe ich mal ein bisschen meine Phantasie angestrengt, um mir auszumalen, wie so ein Projekt doch realisierbar sein könnte -- und wie man zugleich das kürzlich angesprochene Problem der geistlichen (präzise: der sakramentalen) Betreuung gelöst bekommen könnte. Dafür gibt es in Berlin nämlich ein gut funktionierendes Vorbild in Gestalt der in einem Hinterhof in Kreuzberg unweit des Anhalter Bahnhofs gelegenen Kirche St. Clemens. Im Jahr 2007 verkaufte das Erzbistum Berlin das 1910 erbaute Gotteshaus samt Nebengebäuden an einen privaten Investor; dieser wiederum vermietete das ganze Ensemble an einen Förderverein, der dafür sorgte, dass St. Clemens weiterhin als Kirche genutzt wird -- und zwar durch eine Ordensgemeinschaft aus Indien, die "Vinzentiner-Kongregation von Malabar". Ein trotz eines ärgerlichen Hangs zu dummdreister Spöttelei recht anschaulicher Artikel über St. Clemens erschien vor gut einem Jahr in der "Antichrist und Unterwelt"

Halten wir also fest: Für ein Modell wie in St. Clemens bräuchte man a) einen privaten Investor als Käufer, b) einen Förderverein als Mieter und c) eine Ordensgemeinschaft zum "Bespielen" der Kirche. ("Bespielen" mag etwas despektierlich klingen, aber im Priesterbuschfunk nennt man das so, habe ich mir sagen lassen.) Der Clou ist: Handelt es sich um eine Ordensgemeinschaft, die den kirchenrechtlichen Status eines Institut päpstlichen Rechts hat - was auf die Vinzentiner von Malabar, aber beispielsweise auch auf die Franziskaner der Erneuerung oder die Zisterzienser von Heiligenkreuz zutrifft -, dann unterliegt sie nicht der Jurisdisktion des Ortsbischofs; strenggenommen bräuchte sie nicht einmal seine Erlaubnis für die Niederlassung. Schöner wäre es natürlich, wenn er seine Einwilligung trotzdem gäbe. Und ich schätze mal, dies wäre am ehesten dann zu erwarten, wenn die Ordenspriester die Diözese im Bereich der Gemeindeseelsorge entlasten. Was mich nun wiederum darauf bringt, zu sagen: Wenn's nach mir ginge, wäre ich dafür, die frühere Seelsorgeeinheit Herz Jesu-Herz Mariae, die 2010 mit St. Willehad fusioniert wurde, wieder von der Pfarrei abzutrennen

Diese Herz-Jesu-Figur steht derzeit in der OASE. Aber thematisch ist ja wohl klar, wo sie hingehört.
Mir ist allerdings klar, dass das eher ein Wunschtraum als eine realistische Option ist; zumal zum ehemaligen Territorium von Herz Jesu-Herz Mariae auch die Küstenbadeorte Butjadingens gehören, folglich hängt da die ganze Urlauberseelsorge dran, und die würde das Bistum nicht aus der Hand geben wollen. Aber okay, ich würde ja mit mir handeln lassen: Die OASE in Tossens kann die Pfarrei St. Willehad von mir aus gerne behalten, aber Herz Mariae in Burhave will ich für das BenOp-Projekt haben. Einerseits, weil Herz Jesu und Herz Mariae schon vom Namen her einfach zusammengehören, andererseits aber auch aus sentimentalen Gründen: Schließlich ist das die Kirche meiner Kindheit und Jugend. 

Außenbereich von Herz Mariae Burhave, mit einem Altar für Freiluftgottesdienste

Und der Altarraum, hier mit der neulich mal erwähnten Ikonen-Ausstellung. 
Auch da gibt es aber wiederum ein Problem, denn unter demselben Dach wie die Kirche Herz Mariae befindet sich das "Rat-Schinke-Haus" -- einst die Wohnung des Burhaver Pfarrers und dreier Ordensschwestern, später als Gästehaus genutzt; und dieses wird gerade für teures Geld kernsaniert. Man hat also offenbar noch größere Pläne mit dem Haus und wird es nicht ohne Weiteres irgendwelchen dahergelaufenen Ordenspriestern aus Indien (oder meinetwegen von den Philippinen, aus Äquatorialguinea oder Madagaskar) überlassen. Aber muss ja auch nicht. Die Kirche selbst hat jedenfalls noch Kapazitäten frei: Derzeit findet dort montags ein ökumenisches Friedensgebet mit anschließendem Klönschnack, donnerstags (außer in den Ferien) Rosenkranzgebet und Wort-Gottes-Feier und samstags eine Vorabendmesse statt. Über die Nutzung in der übrigen Zeit müsste man sich eben verständigen. Mein Favorit wäre ja Ewige Anbetung, wie in St. Clemens. 

(Nebenbei bemerkt: Ich kenne die ehrenamtlichen Laienmitarbeiter, die in Burhave das Gemeindeleben am Laufen halten. Die machen das schon seit 30 Jahren, teilweise länger. Ich würde mich nicht darauf verlassen, dass sie es noch weitere zehn Jahre machen. Aber so weit in die Zukunft traut sich anscheinend keiner zu denken.) 

Bei meinem jüngsten Besuch in Herz Mariae Burhave kam ich übrigens an einem Schild mit einer sehr sympathischen Botschaft vorbei: 


Die besagte Wiese grenzt an das Kirchengrundstück an, und da sie in meiner Jugend als Erweiterung des Pfarrgartens genutzt wurde, hatte ich angenommen, sie gehöre der Pfarrei. Is' aber (leider) nich' so, wie die Chronik "Wider das Vergessen!" verrät:
"Im Jahr 1989 wurde von der evangelisch lutherischen Kirchengemeinde die Wiese hinter dem Kirchengrundstück in Burhave gepachtet. Zwei Brücken führten über den kleinen Entwässerungsgraben auf einen neu angelegten Spielplatz. Außerdem wurde auf dieser Wiese ein Platz für Lagerfeuer eingerichtet, der von einem drei Meter hohen Damm umgeben und geschützt war. Da aber der Rat der politischen Gemeinde dieses Grundstück als Bebauungsland ausgewiesen hatte, wurde durch Verhandlungen zusammen mit der evangelischen Kirche erreicht, dass der Bebauungsplan zurückgezogen und das Grundstück als Ausgleichsland für eine verlegte Neubausiedlung festgeschrieben wurde. Damit übernahm die politische Gemeinde den Pachtvertrag und richtete eine Streuobstwiese ein." (S. 111f.) 
Well, that's Dorfpolitik. Ich versteh kein Wort, aber das kann auch an mir liegen. Betreut bzw. gepflegt wird die Streuobstwiese vom Bürgerverein; ich würde mal sagen, das wäre ein Arbeitsfeld, wo eine BenOp-Community sich auf jeden Fall mit einbringen sollte. Da würde übers Jahr bestimmt auch einiges an Marmelade, Kompott u./o. Saft anfallen.  

Kommen wir abschließend noch einmal zurück auf die eingangs angesprochene Einschätzung  "Für die Willehadleute, gleich welcher Fraktion, seid ihr einfach nur 'Spinner'" zurück: Dass der Verfasser dieses Satzes damit quasi durch die Blume zu verstehen gibt "Ich halte euch nicht für Spinner, oder jedenfalls nicht nur", habe ich sehr wohl wahrgenommen und weiß es durchaus zu schätzen; davon abgesehen finde ich besonders den Hinweis interessant, diese Wahrnehmung ziehe sich quer durch alle "Fraktionen" der Pfarrei. Ich muss sagen, auch damit bin ich gar nicht unzufrieden: Ich möchte zu gar keiner "Fraktion" gehören oder von einer vereinnahmt werden. Das mal als "sneak  preview" auf einen Artikel zum Stichwort "innerkirchliche Lagerbildung", den ich dringend mal schreiben muss. Harre aus, treuer Leser...!