Donnerstag, 30. März 2023

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #23

Es ist wieder Wochenbriefing-Zeit, Freunde! Dies ist die dritte Folge dieser Artikelserie seit der Wiederaufnahme, und das Konzept der Reihe ist immer noch ein bisschen "im Fluss"; so fällt die Rubrik "Spandau oder Portugal" schon zum zweiten Mal in Folge aus, da es diesbezüglich nichts Neues gibt. Man könnte sagen, die pragmatische Antwort auf die diesem Rubrikentitel zugrundeliegende Frage laute "Erst mal Spandau, Portugal eventuell später". Zu gegebener Zeit werde ich die Rubrik aber sicherlich wiederbeleben. Neu ist hingegen die Rubrik "Blogvorschau", in der ich die Themen der nächsten geplanten Artikel ankündige. Die kommt aber erst ganz am Ende des Wochenbriefings an die Reihe, nach dem "Ohrwurm der Woche". Erst mal eins nach dem anderen: 

Passions-Wandbehänge in der Kirche St. Stephanus Berlin-Haselhorst


Tagesreste

Freitag: Als ich am Nachmittag auf einem Spaziergang mit den Kindern an der Pfarrkirche unserer Ex-Gemeinde vorbeikam, bestand der Zweijährige mit bemerkenswertem Nachdruck darauf, dass wir hineingehen, also machten wir das. Es war just zu der Zeit, zu der die allwöchentliche Eucharistische Anbetung begann, und ich hatte ein bisschen Bedenken, dass unser Hereinschneien als Störung empfunden werden könnte, aber die Kinder benahmen sich absolut musterhaft. Ich wünschte, ich hätte ein Foto davon, wie sie auf dem Teppich im Mittelgang knieten.

Samstag – Verkündigung des Herrn: Am Vormittag war ich mit unserer Fünfjährigen beim "Stammestreffen" der Katholischen Pfadfinder Haselhorst. Mit Blick auf die bevorstehende Frühlingsfahrt wurde dort u.a. das Auf- und Abbauen der Gruppenzelte geübt, woran das Tochterkind sich engagiert und begeistert beteiligte.


Am Abend ging dann die ganze Familie zur Community Networking Night im Baumhaus – zum ersten Mal in diesem Jahr, wenn mich die Erinnerung nicht trügt. Ich meldete mich freiwillig fürs Küchenteam und widmete mich dem Schälen, Waschen und Kleinschneiden von Steckrüben, Kohlrabi und Kürbissen, während Frau und Kinder an einem Holzmosaik mitarbeiteten, das die Innendekoration des Baumhauses ergänzen soll.



Sonntag: Wir gingen in St. Stephanus zur Messe, da diese von den Pfadfindern mitgestaltet wurde. Das Tochterkind war so aufmerksam bei der Sache wie selten, und der Vikar, der die Messe zelebrierte, freute sich sichtlich über das laute und kräftige "Amen!" unseres Jüngsten am Ende des Tagesgebets. Leider gab es auch ein paar Gemeindemitglieder, denen die fröhliche, lebhafte Art unseres Sohnes weniger gut gefiel, aber darauf will ich hier und jetzt nicht näher eingehen; eventuell wird da mal ein Thema für einen eigenständigen Artikel draus. – Am Volksentscheid "Berlin 2030 klimaneutral" nahm ich übrigens nicht teil bzw. trug durch Nichtteilnahme zum Ergebnis bei. Warum? Weil mir – obwohl am Abend zuvor im Baumhaus noch recht eindringlich für den Volksentscheid geworben worden war – schlichtweg der Glaube fehlt, dass man mit einem Kreuz auf einem Wahlzettel das Klima beeinflussen kann. Etwas weniger pointiert gesagt, ich vertraue nicht so recht darauf, dass politische Maßnahmen, die angeblich dem Klimaschutz dienen sollen, wirklich dem Klimaschutz dienen, und halte "Klimaneutralität" für ein fragwürdiges Konstrukt. Ich war nicht direkt überrascht, dass der Volksentscheid nicht das erforderliche Bereiligungsquorum erreichte; überrascht war ich hingegen, dass über 400.000 Wahlberechtigte sich die Mühe machten, mit "Nein" zu stimmen, wo sie dasselbe Ergebnis doch auch durch schlichte Nichtteilnahme hätten erreichen können. Erst recht überrascht war ich, auf Twitter unter dem Hashtag #berlin2030klimaneutral weit überwiegend erfreute und erleichterte Stellungnahmen zum Scheitern des Volksentscheids vorzufinden. Mal wieder ein Indiz dafür, dass das, was einem in den Mainstream-Medien als herrschende Meinung präsentiert wird, nicht unbedingt der Stimmung an der Basis entspricht.

Montag: Hurra, der Blog "Katholisch ohne Furcht und Tadel" ist wieder da! – Genauer gesagt war dieser Blog natürlich, genau wie "Huhn meets Ei", nie wirklich weg, es gab nur hier wie dort sehr, sehr lange nichts Neues. Und nun hat also auch Bloggerkollegin Anna einen Comeback-Artikel veröffentlicht. Da muss ja wohl was in der Luft liegen! — Ganz und gar zufällig ist diese Parallelität der Ereignisse natürlich nicht. Ich zitiere aus Annas Artikel:
"Mit 'Huhn meets Ei' hat ein legendärer Akteur der ersten, einzigen und unverwechselbaren Blogoezese sich wieder neu ins Getümmel geworfen. Gondor hat um Hilfe gerufen, Jeanne d’Arc, geschätzte Patronin dieses Blogs, antwortet mit einem beherzten 'Deus vult'. Vielleicht ist es eine gute Zeit, nach den Synodalen Scharmützeln wieder anzufangen, etwas aufzubauen, katholische Stimmen hörbar zu machen."
Was soll ich sagen: Ich fühle mich geschmeichelt und freue mich.

Dienstag: Während meine Liebste mit den Kindern in den Tierpark fuhr, spazierte ich zur Kirche St. Joseph (in Tegel, nicht in Siemensstadt), die mir ja, wie ich schon mehrfach erwähnt habe, irgendwie besonders am Herzen liegt, und hielt dort ganz allein eine Andacht aus dem Stundenbuch ab: Hymnus, Antiphonen und Psalmen aus der Non, Kurzlesung und Fürbitten aus der Vesper, freie Fürbitten, Vaterunser, Tagesgebet. Eigentlich hatte ich dazu auch noch Lobpreismusik erschallen lassen wollen, hatte aber meine Box zu Hause vergessen. Memo an mich: Wird Zeit, dass ich mal mit dem Vikar aus Siemensstadt/Haselhorst über das Konzept "Lobpreis mit dem Stundenbuch" spreche.

Mittwoch: Zum Ausgleich dafür, dass ich tags zuvor nicht in den Tierpark mitgekommen war, begleitete ich Frau und Kinder zu einem Ausflug in Karls Erlebnisdorf in Elstal. Man könnte sagen, das sei ein eher fragwürdiger Tausch. Aber immerhin schaffte ich es, nebenbei meinen Blogartikel über die eingekerkerte Nonne fertigzustellen, und wir waren rechtzeitig zurück, um noch zum letzten JAM vor den Osterferien gehen zu können.

Donnerstag: Vormittags Sonnenschein, nachmittags Gewitter. Heute Abend findet ein erstes Planungstreffen für die gemeinsame Fronleichnamsfeier der Spandauer Pfarreien statt, da will ich hin, auch wenn ich noch keine konkrete Vorstellung habe, wie ich mich da produktiv einbringen könnte. Ich werde berichten...


Währenddessen in Tegel 

Zwei Fundstücke aus den aktuellen Vermeldungen unserer Ex-Pfarrei:
  • "Pastoralreferentin [Name der Redaktion bekannt] wird unsere Pfarrei zum 16.4. verlassen und eine neue Stelle antreten."
Schade. Als sie ihre nun bald ehemalige Stelle antrat – kurz vor dem ersten Corona-Lockdown war das –, hatte ich die Hoffnung, dass sie in dieser Pfarrei etwas zum Besseren bewegen könnte. Sie hat auch tatsächlich eine ganze Reihe im Prinzip vielversprechender Impulse in die Gemeindearbeit eingebracht, aber letztendlich stand sie damit wohl genauso auf verlorenem Posten wie meine Liebste und ich. Ich denke gerade sehr stark darüber nach, sie zu kontaktieren, solange sie noch hier ist. Zum Zweck eines Erfahrungsaustauschs, und auch um aufzuarbeiten, warum die Zusammenarbeit zwischen uns nicht besser funktioniert hat, wo wir doch im Grunde ein gemeinsames Anliegen hatten.
Ein würdiger Start in die Karwoche? Wie man's nimmt. Sogar die taz nennt den Film "eindimensional" und tadelt, "Dialoge und Handlung dienen einzig der Illustrierung politischer Aussagen und Thesen"; die Perspektive auf den historischen Stoff wirke teilweise "unfreiwillig komisch", vor allem aber "trotz hehrer Absicht erstaunlich eurozentristisch, paternalistisch": "Vieles war historisch tatsächlich viel komplexer, als es der Film suggeriert." Na, das passt ja.

Im Übrigen habe ich, als ich am Dienstag in St. Joseph war, einen Flyer für eine Veranstaltung mit dem Titel "dennoch. Konferenz für Neues in Kirche" aufgegabelt, die Mitte September in Hannover stattfinden soll. Der Untertitel macht – nicht zuletzt durch den fehlenden bestimmten Artikel bei "Kirche" – wohl deutlich genug, dass es sich nicht um eine Veranstaltung für Leute handelt, die nach dem Schismatischen Weg dennoch katholisch bleiben wollen, sondern eher für solche, die enttäuscht sind, dass beim SW so "wenig 'rausgekommen" ist. Ja, so Leute gibt's. In St. Joseph Tegel würde ich die allerdings eher nicht erwarten, daher wundert es mich etwas, dass der Flyer ausgerechnet dort auslag. Ich schätze, ich werde mich bis nächste Woche mal etwas näher über die "dennoch"-Konferenz informieren und, falls es sich lohnt, in der Rubrik "Neues aus Synodalien" darauf zurückkommen. À propos... 


Neues aus Synodalien

Der Osnabrücker Bischof Bode ist zurückgetreten. Okay, ganz so neu ist das nicht mehr, aber unkommentiert lassen kann ich es auch nicht. Da das, was ich dazu zu sagen habe, jedoch nicht für einen eigenständigen Artikel ausreicht, sage ich es eben hier. Franz Josef Bode ist vor kurzem 72 Jahre alt geworden, der regulär übliche Zeitpunkt für seinen Rücktritt wäre also Anfang 2026 gewesen. In kirchengeschichtlichen Dimensionen betrachtet, macht ein um knapp drei Jahre vorgezogener Rücktritt eigentlich keinen großen Unterschied. Drei Dinge sind an diesem Rücktritt dennoch interessant: der Zeitpunkt; der Umstand, dass er so unerwartet kam; und die Reaktionen aus dem "liberalkatholischen" Lager.

Alle drei Punkte hängen eng miteinander zusammen; insbesondere die beiden ersten sind kaum voneinander zu trennen. Noch am 12. Januar hatte er angesichts schwerwiegender Vorwürfe bezüglich seines Umgangs mit Missbrauchsfällen einen Rücktritt explizit ausgeschlossen. Wenige Tage später hatte der Papst sein Rücktrittsgesuch schon auf dem Tisch, aber die Öffentlichkeit erfuhr nichts davon; stattdessen übte Bode neben seinem Amt als Diözesanbischof auch seinen Posten als Stellvertreter des DBK-Vorsitzenden Bätziung und dessen "engster Mitstreiter auf dem Synodalen Weg" (O-Ton Bätzing) unverdrossen weiter aus; noch am 15. März ging seine vollmundige Ankündigung durch die Presse, in seinem Bistum "mehrere Beschlüsse des Synodalen Wegs direkt umzusetzen – darunter Segensfeiern für homosexuelle Verbindungen sowie die Taufe durch Laien". Zehn Tage später war er nicht mehr Bischof von Osnabrück. Das gibt zu denken – erst recht aber die Tatsache, dass er nach außen hin so selbstbewusst agierte, während er die ganze Zeit wusste, dass seine Karriere vor dem Aus stand. Mir kommt das vor wie das Verhalten eines zwanghaften Spielers, der gar nicht anders kann, als bis zum letzten Moment zu bluffen.

Wie sehr seine Bischofskollegen ihn zum Abschied mit Lob überhäufen, wirkt angesichts dieser Umstände, aber auch angesichts des ihm gutachterlich attestierten Mismanagements in Sachen Missbrauchsbekämpfung ausgesprochen schamlos; aber zu wundern braucht man sich darüber im Grunde nicht: Mehr und mehr erscheint mir der gesamte Schismatische Weg wie ein groß angelegtes Experiment, mittels Orwellscher Sprachregelungen eine alternative Realität zu erschaffen, eine Parallelwelt, deren Ähnlichkeit mit der empirischen Realität von Tag zu Tag schwindet.

Wie viele Kirchenmitglieder sich mental bereits in dieser Parallelwelt eingerichtet haben, kann man anhand von Nutzerkommentaren in den Sozialen Netzwerken beobachten, gerade auf den Seiten kirchenamtlicher Medien. Da wird vielstimmig bedauert, dass "ausgerechnet" Bischof Bode gehen müsse, der doch immerhin ein Liberaler sei, ein Vertreter des "Reformflügels", während der Papst so "erzkonservative" Leute wie Woelki im Amt belasse. Dass die bisher vorgelegten Gutachten über den Umgang der deutschen Bischöfe mit Missbrauchsfällen in ihren Diözesen Bode ein erheblich schlechteres Zeugnis ausstellen als Woelki, spielt in dieser Wahrnehmung keine Rolle: In den Köpfen der Leute hat sich nun einmal festgesetzt, dass der knuffige Bode ein "Guter" ist und der hagere Woelki ein "Böser".

Insgesamt sind nun jedenfalls drei der 27 katholischen Diözesen Deutschlands vakant, darunter zwei Erzbistümer (Bamberg und Paderborn). Eigentlich keine schlechten Voraussetzungen für eine gewisse Verschiebung der Kräftverhältnisse innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz. Damit, dass Kardinal Müller und/oder Erzbischof Gänswein, die ja sozusagen gerade "frei" wären, mit einem Bischofsstuhl in Deutschland betraut werden, rechne ich unter dem derzeitigen Pontifikat nicht ernsthaft (auch wenn die Vorstellung, als Vorstellung, natürlich ihren Reiz hat); aber dass die anstehenden Bischofsernennungen für Deutschland eine gewisse Menge Sand ins Synodale Getriebe streuen werden, damit darf man wohl rechnen. 

Im Übrigen empfehle ich zum Bode-Rücktritt die Kommentare von Peter Winnemöller in der Tagespost und meinem neuen Freund Jonathan Liedl im National Catholic Register.


Was ich gerade lese

Mit meiner Lektüre zu Studienzwecken bin ich nicht so weit vorangekommen dass es darüber viel zu erzählen gäbe; aber mit Natalie Standifords "Ein Baum voller Geheimnisse" bin ich durch und darf zu Protokoll geben, dass es mir zum Ende hin immer besser gefallen hat. Und das, obwohl die Frage, ob in dem Baum, auf den sich der Buchtitel bezieht, wirklich ein Geist wohnt, letztlich in der Schwebe bleibt. Ist aber ja auch nicht verwunderlich: Es handelt sich um einen lokalen Aberglauben, eine Ortslegende, wenn man so will; und die Hauptfiguren des Romans sind Kinder zwischen 9 und 11 Jahren. Kein Wunder, dass die sich einerseits von Gruselgeschichten angezogen fühlen, andererseits aber der Frage, ob diese wirklich wahr sind, lieber nicht allzu nah auf den Grund gehen wollen. Letzten Endes ist das für die Handlung aber auch gar nicht entscheidend. Alles in allem ist es eine spannende, humorvolle, warmherzige und ausgesprochen gut erzählte Geschichte.

Sodann habe ich dem Tochterkind drei Vorschläge für unsere nächste Bettlektüre gemacht, und sie hat sich für
entschieden, obwohl wir das schon mal gelesen haben. Es ist der achte, also vorletzte Band einer neunteiligen Buchreihe, über die ich eigentlich schon längst mal hatte bloggen wollen, und so Gott will, werde ich das auch noch tun. Ein Fanbrief an die Autorin ist eigentlich auch überfällig. Kurz und gut, ich finde die "Lola"-Reihe ausgesprochen großartig; aber da ich wie gesagt am anderer Stelle ohnehin noch mehr darüber zu schreiben gedenke, will ich hier und jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. "5 Sterne für Lola" hat zwei Haupthandlungsstränge, die, wie eigentlich immer in den "Lola"-Büchern, recht bald eng miteinander verflochten werden: Lola nimmt an einem Schulprojekt teil, das dem Konzept der Fernsehshow "Das perfekte Dinner" nachempfunden ist; und ihre beste Freundin Flo muss sich mit einem unerwünschten Mitbewohner herumschlagen, dem schwer erziehbaren Sohn einer alten Freundin ihrer Mutter, die ihn kurzerhand bei dieser abgeladen hat, um in einen indischen Ashram zu ziehen. Im Hintergrund der Handlung geht's u.a. um Mobbing und erste Vorboten der Pubertät.


Aus dem Stundenbuch
Das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. Es heißt nämlich in der Schrift: Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen und die Klugheit der Klugen verschwinden. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit, wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen. Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen. Das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott.

Ohrwurm der Woche

The Sonics: Have Love, Will Travel 


Ursprünglich eine Doo-Wop-inspirierte R&B-Nummer von Richard Berry aus dem Jahre 1959; aber diese Coverversion von 1965 dürfte wohl die bekannteste Inkarnation des Songs sein. Tante Wikipedia beschreibt die Stilrichtung als Proto-Punk Garage Rock. Genau mein Ding. – Noch bevor ich den Song "vom Hören" kannte, hatte mich übrigens der Titel fasziniert, seit er mir mal in der CD-Mappe eines DJ-Kollegen ins Auge gefallen war. Das lag zugegebenermaßen auch daran, dass ich die Formulierung zunächst nicht verstand. Irgendwann kam ich dann aber dahinter, dass der Songtitel auf eine gängige Formulierung aus Stellengesuchen anspielte: "Have irgendwas, will irgendwas anderes" sollte in möglichst kurzgefasster Form die Qualifikation und Einsatzbereitschaft des Bewerbers signalisieren. Und in diesem Sinne finde ich, dass "Have Love, Will Travel" auch ein passendes Mission Statement zum Thema Neuevangelisierung ist.


Blogvorschau

Im Zuge der Neubelebung meines Blogs nach einer langen Zeit der Inaktivität habe ich unlängst den Entschluss gefasst, nach dem Motto "Taking the Customer into the Organisation" die Leser an der Auswahl der Artikelthemen zu beteiligen. Eine erste Publikumsumfrage auf Facebook und Twitter ergab eine sehr deutliche Mehrheit für das Thema "Bischof Oster vs. Maria 1.0", gefolgt von der Wiederaufnahme der Artikelserie über die eingekerkerte Nonne. Auf den weiteren Plätzen folgen: ein Artikel darüber, wie es dazu kam, dass ich auf der Facebook-Seite der Münsteraner Bistumszeitung Kirche + Leben für die Kommentarfunktion gesperrt wurde; ein (eigentlich schon lange überfälliger) Bericht über meine Reise nach Wien zur "Nacht der Kirchen" im vergangenen Sommer; ein Artikel über christliches Gärtnern, zu dem mich eine Rezension von Simcha Fisher zu einem jüngst erschienenen Buch angeregt hat; und schließlich ein Artikel über den Ausbau der katholischen St.-Willehad-Kita in Nordenham. Da sich das Publikum in einer Zusatz-Umfrage mit 16 zu 12 Stimmen dafür ausgesprochen hat, dass ich diese Themen der Reihe nach abarbeite, werde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit bis nach Ostern beschäftigt sein; aber ich freue mich jetzt schon auf die nächste Publikumsumfrage! Wer mitmachen will, dem empfehle ich, Huhn meets Ei auf Facebook und/oder @MonsignoreCorpa auf Twitter zu folgen... 



Mittwoch, 29. März 2023

Der seltsame Fall der eingekerkerten Nonne, Teil 15

Auweia: Etwas über vier Jahre ist es her, dass ich mich auf meinem Blog zuletzt mit der Analyse des Kolportageromans "Barbara Ubryk oder die Geheimnisse des Karmeliter-Klosters in Krakau" (1869ff.) befasst habe. Ich würde ja jetzt gerne behaupten, die lange Wartezeit auf die Fortsetzung sei ein künstlerisches Mittel gewesen, um die Fans der Artikelserie die Leiden der angeblich 21 Jahre lang in ihrer Klosterzelle eingesperrten "unglücklichen Nonne von Krakau" wenigstens ansatzweise am eigenen Leib spüren zu lassen; aber das ist natürlich Quatsch – zumal an der Stelle der ausufernden Romanhandlung, bis zu der ich in meiner Analyse fortgeschritten war, die Hauptfigur gerade erst ins Kloster eingetreten war und von einer Einkerkerung in ihrer Zelle noch keine Rede sein konnte. 

Aber wie dem auch sei: Die kleine, aber lautstarke Minderheit der Schauerroman-Fans unter meinen Lesern hat es durchgesetzt, dass ich mich dieser Artikelserie wieder zuwende, und nachdem ich mich selbst wieder in die Materie eingearbeitet habe, muss ich, an die Adresse der betreffenden Leser gewandt, sagen: Ihr habt ja Recht. Das ist – ohne mich allzu doll selber zu loben – wirklich quality content; das ist eine literaturhistorische Pioniertat. Wenn ich mit der Artikelserie fertig bin, kann ich ein Buch daraus machen. 

Und dies wäre das Titelbild. 

Der Haken an der Sache ist indes, dass ich mit den zuletzt (also wie gesagt vor gut vier Jahren) veröffentlichten Folgen dieser Artikelserie die Messlatte für mich selbst ziemlich hoch gehängt habe. Ich schätze, ich werde eine gewisse Aufwärmphase benötigen, um an dieses Niveau wieder anknüpfen zu können. Verschärft wird dieses Problem dadurch, dass die Kapitel LV-LVII des Romans, die in der Analyse nun an der Reihe sind, nicht gerade handlungsstark sind – und originell schon gar nicht: Die Hauptfigur des Romans, jetzt "Jovita von den Engeln" genannt, ist neu im Kloster, jung und naiv, und ihr Beichtvater, Pater Gratian, zieht alle Register, um sie zu verführen. Dieser schurkische Ordensgeistliche hat bereits seit längerem eine Affäre mit der Priorin des Klosters, Lidwina, und mindestens eine weitere Schwester, Zitta, ist verliebt in ihn, sodass die augenfällige Vorliebe des Beichtvaters für den schönen Neuzugang Jovita reichlich Anlass für Eifersucht und Intrigen unter den Nonnen bietet. Das könnte theoretisch spannend sein, wenn es nicht so holzschnittartig dargestellt wäre; tatsächlich bildet die Handlung aber lediglich einen notdürftigen Rahmen für teils in Dialogform gestaltete, teils als Erzählerkommentar eingeschobene Tiraden gegen das Ordens- und Klosterwesen, die katholische Geistlichkeit insgesamt und diverse Aspekte der katholischen Glaubenslehre und -praxis. Die Kernaussage all dieser Exkurse lautet: "Das Kloster ist nur nach Außen heilig, im Innern herrscht oft die größte Verderbtheit" (S. 820). Es wird beklagt: "So lange die Frauen nicht emancipirt sind, wird das Klosterwesen kein Ende nehmen" (S. 801); gegen die These, "[d]as Christentum [...] habe das Weib erst in diejenige Stellung gehoben, die ihm gebührt" (ebd.), wird eingewandt: "Das ist nicht ganz wahr. Wo der Katholizismus am üppigsten in die Halme geschossen ist, dort steht das Weib auf derselben niedrigen Stufe wie im Heidenthume. Wie der Türke seine Frauen in den Harem, so sperrt der Spanier und Italiener seine Frauen in die Klöster" (ebd.). Über den Alltag im Kloster wird behauptet "Das Gebet ist eigentlich Nebensache und muß zudem im Chore lateinisch gesprochen werden, das die Nonnen alle miteinander nicht verstehen" (S. 802), zudem sei das Studium des Lebens der Heiligen "[f]ür Frauen, welche rasch und sicher eine Pension im Irrenhause erhalten wollen, [...] der geeignetste Weg" (ebd.). Nicht fehlen darf das Klischee von der Trunksucht der Mönche – "Ich glaube, wenn es in der Hölle Bier gäbe, würdet Ihr Euch selbst dort eine Klosterbräuerei einrichten!", meint die Priorin Lidwina, und Pater Gratian bestätigt: "Dann brächten wir gerne eine Ewigkeit in der Hölle zu, ja" (S. 808). Besondere Brisanz kommt im unmittelbaren Vorfeld des "Kulturkampfs" in Preußen und im Deutschen Kaiserreich dem nationalpolitischen Argument zu, die Ordensleute müssten "für die Interessen Roms die wärmste Liebe tragen" und könnten "darum niemals gute Bürger des Staates sein", der sie "duldet und [...] ernährt" (S. 847). 

Angebliche Belege aus Geschichte und (damaliger) Gegenwart, die für diese und ähnliche Thesen angeführt werden, wirken redundant und auf plumpe "Copy & Paste"-Manier aus verschiedenen Quellen zusammengestückelt; in einer Passage auf S. 845f., in der Pater Gratian sarkastisch-polemische Charakterisierungen der verschiedenen Orden der Kirche abgibt, scheint der Autor geradezu vergessen zu haben, dass die Romanhandlung in Polen spielt, und lässt den Beichtvater stattdessen über die Situation der Orden in Deutschland sprechen. Die Schlusspointe dieser Passage – "Und die Jesuiten – de mortuis nil nisi bene!" (S. 846) – ergibt erst recht keinen Sinn, da der Jesuitenorden zu diesem Zeitpunkt der Romanhandlung längst wieder zugelassen ist und gerade in Polen auch in der Zeit seiner offiziellen Aufhebung weiterexistiert hatte. –

Aber eins muss man doch sagen: Bei aller grotesken, zuweilen wohl nicht ganz unabsichtlich lächerlich wirkenden Überzeichnung – in einer Szene täuscht Pater Gratian Jovita vor, eine hölzerne Statue des Hl. Franz von Assisi im Garten des Klosters spreche zu ihr; zu diesem Zweck hat er der Statue den Kopf abgenommen und sich selbst "der Farbe des Holzes gemäß geschminkt" (S. 817) – hat es stellenweise doch etwas Beklemmendes, die Methoden, mit denen Pater Gratian sich sein Beichtkind Jovita sexuell gefügig macht, mit den Erkenntnissen neuerer Studien zu Mechanismen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche abzugleichen. Man kann sagen, dem Leser wird recht eindringlich vorgeführt wie "Grooming" für sexuellen Missbrauch funktioniert. So redet Pater Gratian Jovita zunächst unter zahlreichen Verweisen auf das Leben und die Schriften der Hl. Teresa von Àvila ein, "daß man dem Beichtvater mehr als Gott gehorchen muß" (S. 313) – und zwar ausdrücklich auch dann, "wenn er selbst Dinge von ihr verlangen würde, die gegen die Keuschheit verstießen; denn der Gehorsam steht noch über der Keuschheit" (S. 818). In einem nächsten Schritt behauptet er: "Mich zu lieben, ist keine Sünde, mein Täubchen, denn in mir ehrst und liebst Du den leibhaftigen Stellvertreter Gottes und diese Ehre und Liebe fällt wieder auf ihn zurück" (S. 832). Insbesondere ist hervorzuheben, wie Gratian theologische Argumente einsetzt, um Jovita einzureden, sie begehe keine Sünde, wenn sie seinem Begehren nachgebe: "Gott ist die Liebe", erklärt er ihr etwa, "aber die abstrakte Liebe, die ihre Verkörperung durch die gegenseitige Neigung zweier Herzen, die sich anbeten, erhält. Du kannst und darfst daher Gott nicht im abstrakten Sinne lieben; Du mußt ihn im Gegentheile in seiner Verkörperung lieben , das heißt in der ausschließlichen Liebe eines Mannes , der Dich vergöttert" (S. 834). Und weiter: "Der Name Christi soll bei unsern Liebesergießungen stets die erste Stelle einnehmen. Auf diese Weise wird unsere Liebe ein dem Herrn angenehmes Opfer werden, und mit Wohlgerüchen geschwängert zum Himmel steigen, wie der Weihrauch im Heiligthum. Sage zum Beispiel: Ich liebe Dich in Christo! Diese Nacht habe ich von Dir in Christo geträumt! Und [...] auf diese Weise werden alle Deine Entzückungen geheiligt sein" (S. 834f.). – Dieses Operieren mit Begriffsverwirrungen, ein solches Wegdiskutieren des Offensichtlichen, scheinbar legitimiert durch Autorität und überlegenes theologisches Wissen, erinnert allerdings zumindest mich z.B. auch an Versuche, exegetisch zu "beweisen", dass sich aus der Bibel keine Ablehnung von Homosexualität ableiten lasse. Die strukturelle Ähnlichkeit der Argumentationsweise sollte den Anhängern solcher Thesen eigentlich zu denken geben. 

Werfen wir nun aber mal einen Blick auf den Gesamtfortschritt der Handlung! Man könnte sagen, ebenso radikal, wie die Romanheldin mit ihrem Eintritt ins Kloster die Brücken zu ihrem bisherigen Leben "in der Welt" abgebrochen habe, habe der Autor mit diesem Schritt auch sämtliche noch unerledigte Handlungsstränge des Romans gekappt. Oder jedenfalls fast: Als davon die Rede ist, dass ein Bruder des Pater Gratian für "die Dienste, die er als Verräther während der lezten Revolution den Russen geleistet hatte [...], mit dem Posten des Polizeidirektors von Warschau belohnt" worden sei (S. 827), heißt es: "Jovita erinnerte sich , daß ihr Großvater ebenfalls diesen Posten einstmals innehatte , schwieg aber darüber" (ebd.). Das ist in den zuletzt gelesenen drei Kapiteln buchstäblich der einzige Hinweis darauf, dass die junge Klosterfrau "Jovita von den Engeln" mit der Barbara Ubryk der früheren Kapitel identisch ist; der Autor benutzt ja nicht einmal mehr ihren Namen. Indes hat die Vorgeschichte von Barbaras Großvater Jaromir, auf die hier angespielt wird, ja ihrerseits auch nichts mit dem realen Fall der Barbara Ubryk zu tun; zudem spricht nichts gegen die Annahme, dass die Bemerkung über Jaromir, die hier ja nicht mehr als einen assoziativen "Flashback" darstellt, nachträglich in den Text hineinredigiert wurde. In jedem Fall darf man behaupten, dass die Erzählung darüber, wie es Jovita im Kloster ergeht, völlig unabhängig von der gesamten vorangegangenen Romanhandlung ist. Selbst von dem zentralen Motiv, das von den ersten Lieferungen dieses Monsters von einem Fortsetzungsroman die Handlung vorangetrieben und die verschiedenen Stränge, wenn auch manchmal recht notdürftig, miteinander verklammert hatte – den Bemühungen des Jesuitenordens, das Vermögen der gräflichen Familie Zolkiewicz in seinen Besitz zu bringen –, ist fürs erste nichts übrig geblieben. Auch wenn es nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Autor darauf irgendwann doch noch wieder zurückkommen wird, muss ich sagen, das ist erzähltechnisch schon sehr schwach. 

Unklar ist übrigens weiterhin, wieso der Autor Jovita eigentlich im Warschauer Karmel untergebracht hat, obwohl der Romantitel doch verspricht, die "Geheimnisse des Karmeliter-Klosters in Krakau" aufzudecken, und auch die reale Barbara Ubryk bekanntermaßen im Krakauer Karmel eingekerkert war. Indes kann Romanautor "Dr. A. Rode" sich nicht einmal auf den Namen des Klosters einigen, in dem er die Handlung ansiedelt: Auf S. 800 nennt er es "St. Josef", auf S. 836 dagegen "St. Theresia". Aber das kann man wohl als einen für das Medium Kolportageroman typischen Flüchtigkeitsfehler betrachten, wie er auch bei erheblich besseren Autoren vorkommt. 

Indessen sei daran erinnert, dass vor vielen hundert Romanseiten schon einmal eine der handelnden Personen in ein Kloster gesteckt worden war – nämlich Elka, die Mutter Barbaras bzw. Jovitas. Das war allerdings eine vergleichsweise kurze Episode: Nach nur rund 15 Seiten gelang Elka und ihrer Freundin Therese mit Hilfe ihrer jeweiligen Verehrer die Flucht aus dem Kloster. Ich hatte seinerzeit spekuliert, möglicherweise habe der Autor sie deshalb so schnell wieder aus dem Kloster herausgeholt, weil er sich die Innenansichten aus dem Klosterleben, die in einer früheren Entwurfsfassung des Romans an dieser Stelle "dran" gewesen wären, "für später aufheben" wollte – d.h., sie als authentische Enthüllungen zum Fall Barbara Ubryk ausgeben wollte. Was ist nun im Lichte der Kapitel LV-LVII zu dieser Hypothese zu sagen? – Zunächst einmal: Die Annahme, in einer früheren Fassung wäre "Jovita von den Engeln" nicht Elkas Tochter, sondern stattdessen Elka selbst gewesen, ist unplausibel; denn für Jovitas Rolle ist es wesentlich, dass sie naiv und unschuldig ist, wohingegen Elka, als sie ins Kloster kam, bereits eine wilde Dreiecksbeziehung mit ihrem Hauslehrer und ihrer Stiefmutter hinter sich hatte und Mutter eines unehelichen Kindes war. Denkbar erscheint hingegen, dass Elka, wenn sie im Kloster geblieben wäre, in der Jovita-Handlung die Rolle von Jovitas vertrauter Mitschwester Paula hätte übernehmen können, die, aus Erfahrung desillusioniert, Jovita in zwei Dialogpassagen auf S. 819ff. und 825-830 darüber aufklärt, dass im Kloster durchaus nicht alles so fromm und heilig zugeht, wie sie sich das vorstellt. Zwingend ist diese Annahme allerdings nicht: Das Wenige, was in diesen drei Kapiteln an eigentlicher Handlung vorkommt, ist so klischeehaft und wirkt so sehr mit der heißen Nadel gestrickt, dass nichts gegen die Annahme spricht, der Autor habe diese Kapitel ad hoc und ohne weiterreichendes erzählstrategisches Konzept 'runtergeschrieben. Man wird sehen, ob das auch für den weiteren Verlauf der Jovita-Handlung gilt. 

Aber da ich just von "erheblich besseren Autoren" sprach: Um meinen Lesern zu demonstrieren, dass Kolportage auch anders geht, und um diesen Artikel nicht so unbefriedigend enden zu lassen, möchte ich noch auf ein thematisch verwandtes Kapitel aus einem etwa zeitgleich mit Dr. Rodes "Barbara Ubryk" erschienenen Fortsetzungsroman verweisen: das Kapitel "Die sieben Todsünden" aus dem 3. Band von Sir Retcliffes "Biarritz". In diesem 13bändigen, aber unvollendeten Romanzyklus unternahm Retcliffe den ehrgeizigen Versuch, in einer mehrsträngigen Handlung zeitgeschichtliche Ereignisse in Italien, Polen, Dänemark und Spanien zueinander in Beziehung zu setzen und gleichzeitig sämtliche aus seinen früheren Romanen übrig gebliebenen losen Handlungsfäden mit einzuknüpfen, machte dabei aber die Erfahrung, die schon Tristram Shandy im gleichnamigen, immerhin neunbändigen Roman von Laurence Sterne (erschienen 1759-67) in die Worte gekleidet hatte "The more I write, the more I shall have to write", und starb schließlich 1878, ohne das Ende seiner Romanhandlung auch nur von Weitem gesehen zu haben. 

Das Kapitel "Die sieben Todsünden" ist in den italienischen Handlungsstrang des Romans eingebunden, in dem eine aus einheimischen Banditen und Resten der in der Schlacht von Castelfidardo zerschlagenen päpstlichen Armee bestehende Truppe in den Abruzzen einen Guerillakrieg gegen die Invadionsarmee des Königreichs Sardinien-Piemont führt. Auf dem Rückzug vor einem zahlenmäßig weit überlegenen Truppenkontingent ihrer Gegner kommen die Briganti an einen Ort, dessen "bloße[r] Name genügt, um die Farbe manches wackern Mannes erbleichen zu lassen" (S. 65): das "Kloster der Verdammten" (ebd.). Das trifft sich nicht nur deshalb günstig, "weil es eine uneinnehmbare, vollständig sichere Position ist, wo schwerlich die Spürhunde der Piemontesen uns finden werden" (S. 66), sondern auch, weil der Räuberhauptmann Tonelletto – ein "leibliche[r] Vetter" (S. 68) des Kardinalstaatssekretärs Antonelli – dort "eine wichtige Botschaft" abzuliefern hat, die er allerdings, da er in den vorangegangenen Kämpfen am Bein verwundet wurde, dem französischen Offizier Chevigné anvertraut. Auf Chevignés Fragen, um was für eine Art von Kloster es sich handle, erklärt Tonelletto: 

"Alles was ich Ihnen sagen kann ist, daß schwere Bußen dort geübt werden müssen, denn" – er senkte noch mehr die Stimme und sprach mit einem gewissen Schauder – "ich selbst hörte, als ich in der Nähe jenes Klosters lauschte, als käme es aus den Tiefen der Erde, ein Wimmern und Stöhnen, das mir das Mark in den Knochen gefrieren machte und mich eilig von dannen trieb. Jeder meiner Leute wird lieber in die Büchsenmündungen der Bersaglieri sehen, als sich in die Nähe jenes verrufenen Ortes wagen." (S. 70) 

Während die Guerillatruppe "am Fuße der Felsen, eine halbe Stunde von dem Ort entfernt" lagert, soll Chevigné die geheime Botschaft nicht im Kloster selbst abgeben, sondern sie "dem Klausner" übergeben, "der auf dem Felsen wohnt. Er ist der Beichtiger des Klosters und hat große Macht, selbst über die Mutter Aebtissin. Er steht im Ruf eines Heiligen" (ebd.). Als Tonelletto auf Chevignés Nachfrage hin bestätigt, es handle sich um ein Nonnenkloster, scherzt der Franzose: "Nun, wenn sie jung und hübsch sind, soll mir der Auftrag willkommen sein!" (ebd.) – aber das findet der raubeinige Räuberhauptmann überhaupt nicht witzig: 

"Sprechen Sie nicht so frevelnd, Kapitain. Wir im Römischen haben wahrlich gelernt, keine Kopfhänger zu sein und verachten die Pfaffenwirthschaft gründlich, und dennoch..."
"Dennoch?" 
"Dennoch Signore, giebt es eine Macht der Kirche, die über dem sündigen Treiben steht und gleich der Hand Gottes richtet und straft. Die Sünden der Menschen selbst dienen ihren ewigen Zwecken!" (S. 70f.) 

Na, wenn das mal kein krasser Cliffhanger ist! Fortsetzung folgt!! 


Montag, 27. März 2023

Auf einer Skala von Bischof Oster bis Maria 1.0...

...wie dunkelkatholisch bist du? 

Eins vorweg: Ich bin, was dieses Thema angeht, wohl ein bisschen "late to the party", aber meine Leserschaft hat mir recht nachdrücklich zu verstehen gegeben, dass sie gerne eine Stellungnahme von mir dazu hätte, folglich müssen wir da jetzt wohl durch. 

Also: Am Rande der letzten Synodalversammlung des Schismatischen Weges hat es Zoff zwischen dem 85. Bischof von Passau, Stefan Oster, und der Initiative Maria 1.0 gegeben. Das war für die Anhänger und Propagandisten des SW natürlich ein gefundenes Fressen: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, und hier sah es nun so aus, dass die ohnehin schon ziemlich auf verlorenem Posten kämpfenden Kritiker des SW zu allem Überfluss anfingen, sich gegenseitig zu zerfleischen. Schon allein der Umstand, dass dieser Eindruck entstand, macht die ganze Angelegenheit natürlich ausgesprochen ärgerlich; wobei ich allerdings der Meinung bin, dass die "Progressiven" in der Kirche, wenn sie über die Uneinigkeit ihrer Gegner frohlocken, etwas Wesentliches übersehen, aber dazu später. Erst einmal: Was war überhaupt vorgefallen? 

Alles begann am Abend des 9. März mit einer Tanztheater-Performance im Frankfurter Kaiserdom St. Bartholomäus, die den Auftakt zur finalen Synodalversammlung bildete. Wie das Neue Ruhr-Wort schrieb, handelte es sich um eine "Performance aus Musik, Tanz und Lichtinstallation", die "das durch Missbrauchstaten in der Kirche hervorgerufene Leid" ausdrücken sollte. Anwesende Vertreter von Maria 1.0 sahen jedoch offenbar etwas Anderes in dieser Tanzdarbietung, denn auf dem Twitter-Account der Initiative erschien noch am selben Abend eine Stellungnahme, die die Performance als "satanisch" und "dämonisch" und als eine Entweihung des Gotteshauses einordnete. Dass dieser Tweet bei Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz und des "ZdK" mit Empörung aufgenommen wurde – der DBK-Missbrauchsbeauftragte, Bischof Helmut Dieser (Aachen), sprach von einer "scheußlichen Verunglimpfung", Generalsekretärin Beate Gilles fand die Stellungnahme von Maria 1.0 schlicht "unfassbar", "ZdK"-Generalsekretär Marc Frings bewertete sie als "Grenzüberschreitung und Respektlosigkeit"; der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, warf der Initiative Maria 1.0 vor, sie "drifte ins absolut Sektiererische ab" – war vermutlich einkalkuliert und womöglich sogar erwünscht. Dass kurz darauf jedoch auch Bischof Oster verlauten ließ, Maria 1.0 habe die Performance "völlig missverstanden", und der Gruppe ins Stammbuch schrieb "Ihr diskreditiert Euch damit wirklich selbst, wenn Ihr das als 'satanisch' bezeichnet. Ich meine, Ihr kommt da nur wieder raus, wenn Ihr Euch ehrlich für diese Einschätzung offen und klar entschuldigt", war das schon eine andere Kategorie; was man übrigens auch daran ablesen kann, dass z.B. das Neue Ruhr-Wort der Reaktion Bischof Osters einen eigenen Artikel widmete. Ich habe es bereits angedeutet, aber sagen wir's noch mal explizit: Was diese Kritik Bischof Osters an Maria 1.0 so brisant macht, ist der Umstand, dass er in den Kategorien des konventionellen innerkirchlichen Lagerdenkens als jemand gilt, der im Prinzip auf derselben Seite steht wie diese Laienintiative. 

Und wo stehe ich nun in diesem Konflikt? – Die Tanzperformance, die den Stein des Anstoßes bildete, habe ich erstens nicht gesehen und habe zweitens zwar einen Magister Artium in Theaterwissenschaft, aber trotzdem keine große Ahnung von Tanztheater. Ich verweise jedoch gern auf Anna Dioufs Bewertung in der Tagespost, die mir differenziert und ausgewogen scheint: Die Performance selbst wird dort als "künstlerisch souverän und authentisch" gelobt, gleichzeitig aber ihre Instrumentalisierung im Kontext der Synodalversammlung kritisiert; nicht zuletzt auch, weil die Aufführung des Werks an einem geweihten Ort als gezielte Provokation "glaubens- und lehramtstreuer" Katholiken verstanden werden konnte: Es sei "vorherzusehen" gewesen, dass diese darin eine "sakrilegische Zweckentfremdung des sakralen Raumes" sehen würden. Andererseits ärgert sich die Verfasserin auf Twitter darüber, dass "manche Katholiken über jedes noch so tief hängende Stöckchen" springen; und auch darin bin ich geneigt, ihr zuzustimmen. 

Was Maria 1.0 angeht, muss ich sagen, dass diese Gruppierung bei mir schon immer einen Stein im Brett hatte; nicht erst, seit die Initiatorin Johanna Stöhr mir erzählt hat, dass sie ohne die Lektüre der Benedikt-Option wohl nie auf die Idee gekommen wäre oder den Mut gefunden hätte, auf eigene Faust eine katholische Laienbewegung auf die Beine zu stellen. Als Johanna die Leitung der Gruppe abgab, machte sie mich auch mit der neuen Leiterin Clara Steinbrecher und ihrem Mann Felix bekannt; in den düsteren Corona-Zeiten hatte ich ein ausgesprochen nettes Zoom-Gespräch mit den Steinbrechers, und in der Folge arbeitete ich einige Zeit im, sagen wir mal, erweiterten Leitungskreis von Maria 1.0 mit. Allerdings in eher bescheidenem Umfang. Oberflächlich betrachtet lag das vor allem daran, dass es mir an der Zeit und Energie mangelte, die nötig gewesen wäre, um mich da in einem Ausmaß einzubringen, wie ich es für mich selbst als sinnvoll betrachtet hätte; der tieferliegende Grund war aber wohl doch der, dass ich mehr und mehr fand, eine aktive Mitarbeit in dieser Gruppe sei nicht so ganz mein Ding. Das ist nicht böse gemeint. Wenn ich sage, die Ausrichtung von Maria 1.0 sei mir im Ganzen zu konservativ – oder vielleicht präziser gesagt: konservativ auf eine Art, wie ich es nicht bin –, dann betrifft das eher Fragen des Stils und der Schwerpunktsetzung als grundlegende inhaltliche Differenzen. Sofern ich darüber hinaus etwas zu kritisieren habe, dann allenfalls, dass mir der Führungsstil zu autoritär und die interne Kommunikation zu sehr "top-down" war, aber auch das kann man vielleicht unter "Geschmackssache" abbuchen. Und das ist ja auch alles überhaupt nicht schlimm: Wenn's nicht passt, dann passt's nicht, dann macht halt jeder sein Ding ohne den anderen, und gut. Vive la difference. Huch, jetzt greife ich ja schon fast dem Fazit dieses Artikels vor. So weit bin ich eigentlich noch nicht. 

Bischof Oster bin ich zweimal in meinem Leben persönlich begegnet, einmal bei der MEHR in Augsburg und einmal beim "Meet Mission Manifest" in Altötting; beide Begegnungen waren eher flüchtig, ich würde daher sagen, dass ich ihm gegenüber weder im Guten noch im Bösen besonders voreingenommen bin. Beim Schismatischen Weg gehörte er jedenfalls zu denjenigen Bischöfen, die sich der "progressiven" Agenda am entschiedensten und konsequentesten verweigerten: Bei der letzten Synodalversammlung stimmte er gegen den Grundtext "Priesterliche Existenz heute" sowie gegen die Handlungstexte "Frauen in sakramentalen Ämtern", "Verkündigung des Evangeliums durch Lai*innen", "Segensfeiern für Paare, die sich lieben" und "Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt"; lediglich bei den Handlungstexten "Der Zölibat der Priester – Bestärkung und Öffnung" und "Maßnahmen gegen Missbrauch an Frauen in der Kirche" (1. Lesung) enthielt er sich. Entscheidender als das Abstimmungsverhalten bei einer Operettensynode, die aus kirchenrechtlicher Sicht ohnehin keinerlei bindende Beschlusskraft hat, ist derweil wohl der Umstand, dass Bischof Oster sich in seiner Diözese so intensiv um die Förderung der Neuevangelisierung bemüht wie wohl kein anderer derzeit amtierender deutscher Diözesanbischof. Gleichwohl kann man durchaus einige kritische Anfragen an seine Kommunikationsstrategie stellen: Sieht man sich zum Beispiel das Interview an, das Bischof Oster der Passauer Neuen Presse nach der letzten Synodalversammlung gegeben hat, dann kann man den Eindruck haben, er sende zu den innerkirchlich umstrittenen Themen wie Diakonat der Frau  Zölibat, Segnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen usw. allerlei gemischte und teilweise widersprüchliche Signale aus, als wolle er vermeiden, sich nach einer Seite hin festzulegen. Für seine Kritik an Maria 1.0 – an der nicht zuletzt bemerkenswert ist, dass er sie direkt als Kommentar auf der Instagram-Seite der Initiative platzierte – gilt im Grunde Ähnliches. Vom Sprachgestus her wirkt dieser Kommentar wie eine zwar strenge, aber doch grundsätzlich wohlmeinende Ermahnung; fast könnte man auf die Idee kommen, es hätte eigentlich eine private Nachricht sein sollen und wäre nur versehentlich öffentlich gepostet worden. Aber eben nur fast. Bischof Oster ist ein Medienprofi, dem passiert so etwas nicht aus Versehen. Man muss sich also schon fragen, was er mit diesem Vorgehen eigentlich bezweckt

Im Endergebnis muss man wohl feststellen, dass in der Causa "Bischof Oster vs. Maria 1.0" beide Seiten kein besonders rühmliches Bild abgeben und der Sache der glaubenstreuen Katholiken in Deutschland in der Öffentlichkeit nicht den allerbesten Dienst erwiesen haben. Man kann natürlich fragen, ob das angesichts der einseitig parteiischen Berichterstattung der meisten (kirchlichen und weltlichen) Medien zum Thema "Kirchenreform" überhaupt einem nennenswerten Unterschied macht. Wenn beispielsweise, wie unlängst beim Münsteraner Bistumsblatt "Kirche + Leben" zu lesen war, Ex-"Zdk"-Präsident Sternberg "kleinen, sehr lautstarken Protestgruppen" wie Maria 1.0 vorhält, die würden "den Rosenkranz für politische Agitation" missbrauchen, und sie als "eine katholische AfD-Variante" bezeichnet, dann sagt das natürlich mehr über Sternbergs verkorkste Denkstrukturen (und die der Kreise, für die und zu denen er spricht) aus als über Maria 1.0. Aber zuweilen würde man sich eben doch wünschen, die betreffenden konservativ-katholischen Gruppen würden es ihren Gegnern nicht gar so leicht machen, sie in die Ecke zu stellen. 

Damit sind wir bei einem gewichtigen Thema, das nicht nur und nicht einmal in erster Linie Maria 1.0 betrifft; es betrifft vielmehr die Außenwahrnehmung lehramtstreuer Katholiken überhaupt. Sicherlich kann man mit einigem Recht behaupten, zu Reizthemen wie Lebensrecht, Sex und Gender einfach nur die Position der katholischen Lehre zu vertreten, genüge heutzutage schon, um als "rechtskatholisch" eingestuft zu werden. Und wenn man infolgedessen erst einmal außerhalb des gesellschaftspolitischen Mainstreams steht, liegt es im nächsten Schritt umso näher, dem Mainstream-Narrativ auch in anderen Fragen zu misstrauen und eine gewisse Offenheit für Standpunkte zu entwickeln, die im öffentlichen Diskurs mehr oder weniger geächtet sind. Von Fall zu Fall kann es dafür durchaus gute Gründe geben. Bei einer ganzen Reihe von Stimmen aus dem konservativ-katholischen Spektrum, die man in den Sozialen Netzwerken antrifft – seien es Einzelpersonen, Initiativen, Institutionen, Nachrichtenportale... ich nenne lieber keine Namen – kann man allerdings zuweilen den Eindruck haben, der Kampf gegen den gesellschaftspolitischen Mainstream entwickle sich unversehens zu ihrem Hauptthema und zum Selbstzweck; und  das Zeugnis für das Evangelium, für die Schönheit und den Reichtum des Glaubens und der kirchlichen Lehre werde dadurch verdunkelt oder in den Hintergrund gedrängt. Als Beispiele könnte man etwa eine allzu überschwängliche Parteinahme für Trump oder Putin (okay, letzteres in neuerer Zeit eher weniger), allzu aggressive Polemik gegen Fridays for Future, Black Lives Matter usw. oder ein obsessives Festbeißen an Themen wie Corona-Politik oder Migrantenkriminalität nennen. Aber das mal nur nebenbei. – 

Ein anderes Problem ist das vom Betroffenenbeiratssprecher Norpoth angesprochene "Abdriften ins Sektenhafte". Gewiss kann man auch von dem Vorwurf "sektenartiger" Tendenzen sagen, er sei im heutigen innerkirchlichen Diskurs durch inflationären Gebrauch weitgehend entwertet; wie ich wohl schon öfter angemerkt habe: An der Auffassung, bei innerkirchlichen Gruppen, die ein intensiveres Glaubensleben führen als der Durchschnittskatholik von nebenan, könne es sich ja nur um gefährliche Fanatiker handeln, ist eigentlich vor allem interessant, was sie ex negativo über das Bild vom "normalen" Katholiken aussagt. Aber das heißt nicht, dass es sektenartige Tendenzen in (ihrem Selbstverständnis nach) besonders recht- und strenggläubigen Strömungen des Katholizismus nicht gäbe. In manchen Gruppierungen äußert sich dieses "Sektenhafte" darin, dass einzelnen Teilaspekten der katholischen Glaubenslehre und -praxis ein unverhältnismäßig hoher Stellenwert eingeräumt wird und andere, ebenso richtige und wichtige Aspekte darüber vernachlässigt werden; in anderen in einer ungesunden Fixierung auf lehramtlich nicht anerkannte oder umstrittene Privatoffenbarungen (Medjugorje, Garabandal, "Frau aller Völker", Vassula Ryden...). Zu einem gewissen Grad sind solche Phänomene wohl eine einigermaßen natürliche Reaktion auf den Mangel an solider, vertrauenswürdiger geistlicher Führung durch die ordnungsgemäßen kirchlichen Autoritäten  allen voran die Bischöfe – nach dem Motto: Dann suchen wir uns unsere Orientierung eben woanders –; aber dass das irgendwie verständlich ist, macht es ja nicht weniger problematisch

– Aber warum erwähne ich das alles hier überhaupt? Unter anderem deshalb, weil man daran erkennen kann, wie falsch die von den Protagonisten und Apologeten des SW so gern kolportierte Vorstellung, bei der "kleinen, aber lautstarken Minderheit" der "Ewiggestrigen", die "Reformen verhindern" wollen, um einen monolithischen Block. Tatsächlich ist weit eher das Gegenteil zutreffend: dass es zu wenig Einigkeit unter den glaubens- und lehramtstreuen Katholiken gibt. Selbst wenn man extreme Rand- und Splittergruppen außen vor lässt, herrscht zwischen den verschiedenen Fraktionen vielfach ein Abgrenzungsbedürfnis wie bei der Judäischen Volksfront und der Volksfront von Judäa. Ich selbst bin da alles andere als unschuldig. Was habe ich mir schon für Ärger eingehandelt, weil ich es mir nicht verkneifen konnte, mich polemisch und/oder sarkastisch z.B. über die Fokolarbewegung oder das Forum Altötting zu äußern, ganz zu schweigen von Hardcore-Tradis, die finden, Frauen sollten keine Hosen tragen dürfen. Aber was soll ich machen, zu einem gewiss Grad lebt mein Blog nun mal von solchen Auseinandersetzungen. Der Preis dafür ist, dass ich bei einigen dunkelkatholischen Publikationsorganen, für die ich früher mal gelegentlich oder regelmäßig als Gastautor tätig war, inzwischen offenbar auf einer Art Blacklist stehe, auch wenn das niemand offen sagt. 

Das alles ändert jedoch nichts daran – und damit komme ich so langsam mal zur Take-Home-Message dieses Artikels –, dass ich die Tatsache, dass es in den Reihen der glaubenstreuen Katholiken eine Vielzahl von Gruppen, Gemeinschaften, Initiativen und Strömungen mit jeweils unterschiedlichen Eigenheiten und Schwerpunkten gibt, grundsätzlich und potentiell für etwas Gutes halte. Allein hier in Berlin habe ich Freunde, Bekannte und "Kontaktpersonen" beim Institut St. Philipp Neri und in St. Clemens, bei den Dominikanern und beim Neokatechumenalen Weg, bei der Legio Mariae, der Gemeinschaft Brot des Lebens und der Charismatischen Erneuerung; da kommt eine ganz schön bunte Mischung von Stilen und Spiritualitäten zusammen. Sicherlich trägt die spezielle "Großstadtdiaspora"-Situation Berlins das Ihre dazu bei, Kontakte und Kooperationen zwischen verschiedenen Gruppen sowohl möglich als auch nötig zu machen. Wie ich immer gern sage: In Berlin macht sogar der BDKJ beim Nightfever mit. Natürlich führt so etwas zuweilen zu gewissen Dissonanzen, aber zumindest potentiell auch zu Synergieeffekten; und auch wo das nicht der Fall ist, kann man sich doch immerhin daran erfreuen, wie schön bunt es im Blumengarten Gottes ist und dass nicht alle anderen so sind wie man selber; denn das wär ja doch ein bisschen langweilig. 

Und genau das meinte ich, als ich weiter oben anmerkte, die "Progressiven" sollten mal nicht zu sehr frohlocken, wenn sie Differenzen im Lager ihrer Gegner bemerken. Der Witz ist ja gerade der: Theoretisch sind "Vielfalt" und "Buntheit" in progressiven Kreisen positiv besetzte und mit großem Pathos propagierte Begriffe, aber in Wirklichkeit herrscht da eine totale und durch eine Vielzahl von Kontrollmechanismen gehütete Monokultur in Meinungen und Ausdrucksformen. Mit einer Vielfalt, wie es sie bei "uns" gibt, könnten "die" überhaupt nicht umgehen. Im Grunde ist das auch gar nicht verwunderlich. Ich meine mich zu erinnern, bei Chesterton sinngemäß gelesen zu haben (habe das Zitat allerdings nicht verifiziert): Wenn man sich die Heiligen der Kirche in ihrer Vielfältigkeit ansieht – Männer und Frauen, Alte und Junge, Gelehrte und Arbeiter, Jungfrauen und Mütter, Krieger und Einsiedler –, dann wirken die Häretiker im Vergleich dazu eintönig und fade. – Es wäre für die Gegenwart und Zukunft der Kirche viel gewonnen, wenn die verschiedenen Gruppen glaubenstreuer Katholiken lernten, ihre Unterschiede untereinander als eine Chance, ein Geschenk und eine Stärke zu begreifen. 

Symbolbild: Fra Angelico, Die Vorläufer Christi mit Heiligen und Märtyrern, 1423/24 (gemeinfrei



Donnerstag, 23. März 2023

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #22

Willkommen zurück beim Wochenbriefing! Ich darf zu Protokoll geben, dass die Neubelebung meines Blogs, nachdem dieser so lange brachgelegen hatte, sich bislang recht erfreulich entwickelt: Die täglichen Zugriffszahlen sind noch nicht wieder ganz auf dem Niveau von "früher", aber auch nicht mehr allzu weit davon weg; ich bekomme gutes Feedback, und an Stoff mangelt es mir auch nicht. Ein Aspekt, den ich hier nicht unerwähnt lassen darf, ist, dass eine Reihe von Lesern nachdrücklich angefragt hat, wann es denn wohl endlich mal mit der eingekerkerten Nonne weitergeht; und ich möchte betonen, dass mich das nachhaltige Interesse meiner Leser an dieser Artikelserie durchaus nicht kalt lässt. Ich würde diesem Leserwunsch daher durchaus gern entgegenkommen und habe zu diesem Zweck schon mal die bislang letzte Folge der Artikelserie nachgelesen, musste dabei allerdings feststellen...: boah. Da steckt echt Arbeit drin, das schreibt sich nicht mal eben so nebenbei. Also; ich werde mal sehen, was sich machen lässt; wenden wir uns jetzt und hier aber erst mal den Ereignissen der zurückliegenden Woche zu mit der neu benannten Rubrik 


Tagesreste 

Freitag: Das Erzbistum Berlin wirbt auf seiner Facebook-Seite für Online-Familiengottesdienste. Beeindruckend, was man sich so alles einfallen lässt, um Familien mit Kindern physisch aus dem Kirchenraum fernzuhalten. Einen entsprechenden Kommentar von mir beantwortet der episkopale Account wie folgt: "Das Angebot ist für Familien gedacht, die in ihrer Gemeinde keine passenden Angebote finden. Wir finden es klasse, wenn in Gemeinden Familiengottesdienste vor Ort stattfinden." Da sieht man mal, wie tief die Überzeugung sitzt, die Kirche müsse "passende Angebote" für verschiedene Zielgruppen machen. Diese Annahme wird überhaupt nicht mehr hinterfragt. Und wer bleibt dann als Zielgruppe für den "normalen" Gemeindegottesdienst übrig? – Ich weiß, meine Ansichten zum Thema "Kinder in die Kirche mitnehmen" werden hierzulande von Vielen, quer durch alle innerlirchlichen "Lager", als extrem angesehen. Komischerweise gelten sie in anderen Gegenden der Welt als völlig normal, und es scheint mir nur folgerichtig, dass das kirchliche Leben dort besser gedeiht. Aber auf dieses Thema werde ich sicherlich noch öfter zurückkommen. Müssen. 

Samstag: Besuch bei meinen Schwiegermüttern, um den Geburtstag unseres Jüngsten nachzufeiern. 

Sonntag: Zur Sonntagsmesse gingen wir in St. Joseph Siemensstadt, wo der aus Mexiko stammende Vikar mit Blick auf die recht zahlreich anwesenden Kinder anmerkte: "Es gibt noch Hoffnung für die Kirche, trotz mancher düsterer Aussichten, trotz vieler Debatten, trotz des Synodalen Weges." Ich hab gefeiert. Anschließend aßen wir zu Mittag im "Hans im Glück" im Hauptbahnhof und trafen uns dort mit Jonathan Liedl vom National Catholic Register, der derzeit kreuz und quer durch Deutschland reist, um über die Situation an der Basis der hiesigen katholischen Kirche zu berichten. Ein paar Tage zuvor hatte ich auf Twitter gelesen, dass er auf dem Weg nach Berlin sei, und ihn daraufhin kurzerhand angeschrieben: "Lass ma' treffen". Ein klassischer Fall von "Frechheit siegt": Normalerweise liegt mir so etwas gar nicht, aber ich lerne eben von meiner Liebsten. – Kurzzeitig stand die Überlegung im Raum, dass ich allein zu dem Treffen gehen könnte, aber das Tochterkind war der Meinung, wir sollten alle zusammen gehen, und ich denke, das war eine gute Entscheidung: Zusammen sind wir einfach am besten. Das Gespräch war jedenfalls rundum erfreulich, und ich bin gespannt, inwieweit die Dinge, über die wir gesprochen haben, in Jonathans Berichterstattung einfließen werden. Im Übrigen möchte ich anmerken, dass es bei "Hans im Glück" ausgesprochen leckere Burger und Fritten gibt. 

Montag: Nachdem die ganze Familie seit Wochen reihum immer mal wieder mit den typischen saisonalen Erkältungssymptomen zu kämpfen hatte, ging meine Liebste am Morgen nicht zur Arbeit, sondern stattdessen zum Arzt – eigentlich in der Absicht, sich zwei Tage lang krankschreiben zu lassen. Wurden dann aber doch fünf Tage draus. Am Nachmittag waren wir schon wieder bei meinen Schwiegermüttern, zum regulären wöchentlichen "Omatag". 

Dienstag: Als aktuell eindeutig gesündestes Familienmitglied unternahm das Tochterkind mit einem Freund und dessen Mutter einen Ausflug, während der Rest der Familie es ruhig angehen ließ. Im Laufe des Vormittags stand für mich allerdings die Aktion "I Fought the Bürgeramt (and I Won)" an: Um wie geplant die (Co-)Leitung einer "Wichtelgruppe" unter dem Dach der "Katholischen Pfadfinder Haselhorst" übernehmen zu können, benötige ich ein erweitertes Führungszeugnis. Beantragen kann man das bei jedem Bürgeramt, angeblich aber nur mit Termin. Termine sibd jedoch auf mindestens zwei Monate hinaus ausgebucht. Aber das kenne ich schon von Berliner Bürgerämtern: Hätte ich mich von der "Nur mit Termin!"-Regel einschüchtern lsssen, hätte ich seinerzeit meine Hochzeit um mehrere Monate verschieben müssen. Ich versuchte also mein Glück ohne Termin, und siehe da: keine Pförtner, die einen abwimmeln, keine Warteschlangen auf den Fluren. Ich musste nur abwarten, bis eine Mitarbeiterin ihr Telefonat beendet hatte, und dann war die ganze Angelegenheit in kaum zehn Minuten erledigt. Mir scheint, mit Terminen beim Bürgeramt verhält es sich so ähnlich wie mit dem Kaffeeautomaten in einer Geschichte von Horst Evers: Der Automat ist defekt, wird repariert, und nach erfolgreicher Reparatur hängt der Servicemitarbeiter ein Schild mit der Aufschrift "außer Betrieb" dran. Warum? "An sich ist der Automat tadellos. Nur wenn er dauernd benutzt wird, dann geht er natürlich kaputt. Deshalb das Schild, dann benutzen ihn weniger, und die Reparatur hält länger." 

Mittwoch: Am Nachmittag waren wir wieder beim JAM in der Christuskirche Haselhorst; das Wetter war so schön, dass der Spiel-Anteil der Veranstaltung zum ersten Mal in diesem Jahr in den Garten verlegt werden konnte. 

Donnerstag: Stundenlang mit den Kindern durchs Viertel gezockelt – Hundewiese, Bücherei, Einkaufen. Heute Abend gibt's selbstgemachte Süßkartoffel-Fritten mit Rahmblumenkohl. 

Im Übrigen war ich in den letzten Tagen in eine ausufernde Diskussion auf der Facebook-Seite einer ungenannten Bistumszeitung verstrickt, die so ätzend war, dass ich zu anderen Zeiten wohl einen eigenen Artikel (wenn nicht sogar mehrere) darüber verfasst hätte; vielleicht mache ich das auch noch, aber im Moment habe ich jedenfalls keine Lust dazu. Die nächsten Tage versprechen etwas aktivistischer zu werden als die zurückliegenden: Am Samstag ist vormittags Pfadfindertreffen und abends mal wieder Community Dinner im Baumhaus, mal sehen, ob ich es zu beidem schaffe; und nächsten Donnerstag ist ein Planungstreffen für die gemeinsamr Fronleichnamsfeier der Spandauer Gemeinden, da will ich nach Möglichkeit auch hin. Ansonsten darf man gespannt sein, was sich noch so ergibt... 


Währenddessen in Tegel 

Im Schaukasten der Pfarrkirche unsrer "Ex-Gemeinde" kann man derzeit diesen Aushang bewundern: 

Nanu, möchte man fragen, was ist denn da los? Ist der Pfarrer – der sich notorischerweise persönlich um die Gestaltung des Schaukastens kümmert – plötzlich fromm geworden? – Nun, ganz so kann man das wohl nicht sagen. Ich erinnere mich, diese Grafiken und/oder ähnliche auch in früheren Jahren schon im Schaukasten gesehen zu haben. Vielleicht geht es dem Pfarrer mehr um den witzig-originellen Blickfang als um die Aussage, oder vielleicht ist doch etwas dran an der vielbeschworenen Überzeugung des Pfarrers, die Außendarstellung der Pfarrei solle "die Vielfalt der Gemeinde abbilden". So oder so, leichtfertig abtun sollte man solche Signale wohl nicht. Ich habe diesen Pfarrer auch schon mal bei einem Vortrag von Johannes Hartl getroffen, als der vor ein paar Jahren mal in Berlin-Tegel war. Das mal nur als Beispiel. Ich will damit sagen: Irgendwie ist der Pfarrer meiner Ex-Gemeinde wohl doch, zumindest immer mal wieder, auf der Suche nach etwas, das ihm den Glauben plausibel machen könnte. Auch seine Predigten fand ich immer dann am besten – oder ehrlich gesagt: am wenigsten schlecht –, wenn darin etwas von diesem Ringen spürbar wurde. Man sollte wohl öfter mal für ihn beten. Machst Du mit, Leser? 


Neues aus Synodalien 

Die rein quantitativ eher magere Resonanz auf meinen jüngsten "Follow-Up-Artikel" zur Butjenter Regenbogenflaggen-Affäre hat mir gezeigt, dass es sich wohl eher nicht lohnt, dem Thema noch weitere eigenständige Artikel zu widmen; aber zu sagen gibt es doch noch etwas dazu, und dafür ist hier im Wochenbriefing wohl allemal Platz. Inzwischen hat sich nämlich auch die Münsteraner Bistumszeitung Kirche + Leben der Sache angenommen, und wer diese Publikation kennt, braucht sich über die Tendenz des Artikels nicht zu wundern: "Pfarrei steht zur Regenbogenflagge vor ihrem Gästehaus", lautet die Überschrift, und im Text wird nicht nur der dümmliche Satz "Wir setzen daher ein sichtbares und klares Zeichen pro Mensch" aus der Stellungnahme der Geistlichen zitiert, sondern man erfährt auch Weiteres zum Hintergrund der Beflaggung: Diakon Richter habe "die Regenbogenflagge im vergangenen Sommer aus Anlass einer ökumenischen Aktion vor der Burhaver Kirche" gehisst. "In einer gemeinsam organisierten 'Nacht der Acht' konnten sich dabei Paare in verschiedenen Kirchen segnen lassen – ausdrücklich auch solche, die nach katholischem Recht nicht heiraten dürfen. Die Herz-Mariä-Kirche war dabei eine der 'Segenskirchen'." – "Da haben wir mitgemacht", wird der Diakon zitiert. "Weil bei uns jeder willkommen ist, egal in welcher Facette er lebt. Das ist nichts Ungewöhnliches für uns". – Offen gestanden: Was mich an solchen Äußerungen und solchen Aktionen am meisten aufregt, ist ihre greifbare Unehrlichkeit, die gewollte Schwammigkeit der Formulierungen; man bekennt sich nicht klar zur Lehre der Kirche, widerspricht ihr aber auch nicht explizit, sondern tut so, als könne man sich irgendwie in der Mitte dazwischen durchmogeln. Das ist feige, heuchlerisch und eine bewusste Irreführung der Gläubigen. – "Die Nacht der Acht" ist übrigens auch der Titel eines für Jugendliche ab 14 Jahren geschriebenen Horror-Thrillers von Philip Le Roy; "Ein Abend, der zum Horrortrip wird", heißt es in der Verlagswerbung. Das passt ja. – Wie gerufen kommt in diesem Zusammenhang übrigens ein Artikel der christlichen Satireseite The Babylon Bee zum Verhältnis zwischen dem Regenbogen als Symbol des Noachidischen Bundes und der Flagge der LGBT-Bewegung. 

Manche Leser werden vielleicht der Meinung sein, ich verwendete unverhältnismäßig viel Energie auf diese Angelegenheit. Dazu möchte ich sagen: Die kleine Kirche Herz Mariae in Burhave liegt mir nicht nur deshalb besonders am Herzen, weil ich dort aufgewachsen bin – und wie ich wohl schon erwähnt habe, bin ich gemessen daran, was für meine Generation als "normal" gelten kann, sehr "kirchennah" aufgewachsen –, sondern auch deshalb, weil diese Diasporagemeinde nach dem II. Weltkrieg von Heimatvertriebenen aus Schlesien mit ihrem Herzblut und ihren Spargroschen aufgebaut wurde, und ich bin schlichtweg nicht bereit, sie kampflos der Synodalen Mafia zu überlassen. – Immerhin hat mein Artikel mit dem Offenen Brief an die Verantwortlichen der Pfarrei und dem Gebet für die Gemeinde inzwischen mehr Leser erreicht, als die Facebook-Seite der Pfarrei Follower hat, und entschieden mehr Leute, als in Burhave und Nordenham regelmäßig zur Messe gehen; aber wenn auch mehr, so doch nicht unbedingt genau diese. Was mir also noch fehlt, wäre jemand vor Ort, der zumindest die Kernsätze des Briefes und vor allem das Gebet ausdruckt und an den beiden Kirchenstandorten auslegt oder, noch besser, vor oder nach der Messe an die Kirchgänger verteilt... 

Ach ja, und dann gibt es noch diese Facebook-Gruppe, die ich vor Jahren mal zu dem Zweck gegründet habe, die Vorgänge in der Pfarrei St. Willehad "kritisch zu begleiten", wie man so schön sagt. Leider führt die Gruppe ein ziemliches Schattendasein... Würd mich freuen, wenn sich daran mal was änderte.


Was ich gerade lese 
  • zu Studienzwecken: Mitten in dieser Welt. 82. Deutscher Katholikentag vom 4. September bis 8. September 1968 in Essen. Paderborn: Bonifacius, 1968

Ein ziemlicher Wälzer, aber durchaus aufschlussreich in Hinblick auf die Frage: Wie ist die katholische Kirche in Deutschland da hingekommen, wo sie heute ist? – Ich bin allerdings noch ziemlich am Anfang. Unmittelbar vor der offiziellen Eröffnung des Katholikentages fand in Essen ein "Pastoraler Priestertag" statt, bei dem zwei Vorträge über "Das moderne Priesterbild" gehalten wurden, einer davon von Karl Rahner. Nun überlegen wir mal: Es ist 1968, meine Freundin ist weg und beim "Pastoralen Priestertag" werden zwei Vorträge über "Das moderne Priesterbild" gehalten, mit ziemlich unterschiedlicher Tendenz; und einer davon ist von Karl Rahner. Welcher Redner wird da wohl die (nach landläufiger kirchenpolitischer Kategorisierung) "konservativere" Position vertreten? Bestimmt nicht Karl Rahner, oder? 

Doch: Karl Rahner. 

Man könnte das sicher mit einigem Recht als Indiz für die Relativität und Fragwürdigkeit von Zuschreibungen wie "konservativ" und "progressiv" im innerkirchlichen Diskurs betrachten – so habe ich z.B. auch bei der Lektüre von Manfred Plates Buch über die Würzburger Synode den Eindruck gewonnen, dass die damaligen "Progressiven" in einigen Fragen Positionen vertraten, die heute als "konservativ" gelten, und ungekehrt –; aber gleichzeitig bin ich ziemlich sicher, dass Teile von Rahners Ausführungen über Wesen und Aufgaben des katholischen Priestertums schon vom zeitgenössischen Publikum als vergleichsweise konservativ wahrgenommen wurden, gerade auch im Vergleich zu den Thesen des anderen Redners, des Pastoraltheologen Alois Müller, der geradezu besoffen von revolutionärem Überschwang  scheint. – Eine Äußerung Rahners, die sich nicht ohne Weiteres in das Schema konservativ-progressiv einordnen lässt, finde ich so großartig, dass ich sie hier zitieren möchte: 

"Gewiss wird der Priester in der Erfahrung seines Amtes immer wieder durch das Erlebnis gedemütigt, dass der Geist auch lebendig wirkt außerhalb der Grenzen des Institutionellen und bürokratisch veralteten Amtes, aber der Priester kann aus dieser Erfahrung nur die Folgerung ziehen, dass er sich immer aufs Neue diesem freien Walten des Geistes öffne. Er kann nicht sagen: Ich bin ein Kirchenbeamter mit geregelten Pflichten, Charismatiker soll ein anderer sein!" 
Man darf gespannt sein, was dieser Band sonst noch so an Entdeckungen bereithält. 

Dieses Buch hat unser Jüngster in der ausgesprochen gut sortierten Kinder- und Jugendbuchabteilung unserer örtlichen Stadtteilbibliothek aus dem Regal gezogen, und ich glaube, es hat ihm vor allem wegen der Katze auf dem Titelbild gefallen. Inhaltlich ist es sicher noch zu hoch für ihn – aber seine große Schwester findet's spannend, wenn sie vielleicht auch nicht alles versteht. Für sie ist es schon mal ein wesentlicher Pluspunkt des Buches, dass die Hauptfiguren Mädchen sind, deren Hobby Rollschuhlaufen ist. Und worum geht's in dem Buch sonst so? Um Geheimnisse und Gerüchte in einer amerikanischen Kleinstadt, Abenteuer in den Sommerferien. Fesselnd und flott erzählt, gelegentlich ein bisschen gruselig. Mit einer gewissen Besorgnis betrachte ich es, in welchem Ausmaß Aberglaube und Okkultismus (Aura-Sehen, Voodoo-Zauber) in der Romanhandlung eine Rolle spielen, und ich frage mich, ob es wohl bis zum Schluss des Buches in der Schwebe bleiben wird, ob in dem im Titel des Buches angesprochenen hohlen Baum im Wald tatsächlich ein Geist wohnt, oder wenn nicht, in welche Richtung diese Frage wohl aufgelöst wird. Na, warten wir's mal ab. 


Aus dem Stundenbuch 

Also sind wir vom Weg der Wahrheit abgeirrt, das Licht der Gerechtigkeit strahlte uns nicht, und die Sonne ging nicht für uns auf. Bis zum Überdruss gingen wir die Pfade des Unrechts und des Verderbens und wanderten durch weglose Wüsten, aber den Weg des Herrn erkannten wir nicht. 

Was nützte uns der Übermut, was brachten uns Reichtum und Prahlerei? All das ist vorbei wie ein Schatten, wie eine flüchtige Nachricht. 

So sind wir ins Dasein getreten, um hinzuschwinden; wir hatten keinerlei Tugend aufzuweisen, sondern wurden von unserer Schlechtigkeit verschlungen. 

Ja, die Hoffnung des Frevlers ist wie Spreu, die der Wind verweht, wie Gischt, die der Sturm verjagt, wie Rauch, den der Winf zerstäubt; sie schwindet wie die Erinnerung an einen flüchtigen Gast. Die Gerechten aber leben in Ewigkeit, der Herr belohnt sie  der Höchste sorgt für sie. 

(Weisheit 5,6-9.13b-15)


Ohrwurm der Woche 

Sting feat. Eric Clapton: It's probably me 


Der Auslöser dafür, dass dieser Song mir tagelang nicht aus dem Kopf ging, war eher abseitig: Mit meiner Liebsten sprach ich darüber, ob man wohl behaupten könne, dass ich nach fast eineinhalb Jahren Recherche für ein Buchprojekt (über das ich wohl demnächst mal Genaueres verraten werde, aber ein bisschen warte ich damit noch) mehr über das Thema dieses geplanten Buches weiß als irgendjemand sonst. Meine Liebste ist ganz entschieden dieser Meinung, und wenn ich ehrlich bin, glaube ich es eigentlich auch. – Davon abgesehen ist "It's probably me" aber auch einfach ein großartiger Song. 



Sonntag, 19. März 2023

Flagge zeigen, Farbe bekennen

Es ist zwar durchaus nicht so, als gäbe es keine anderen interessanten Themen, aber ich denke doch, ich bin meinen Lesern noch ein Update zur Butjenter Regenbogenflaggen-Affäre schuldig. Zunächst mal möchte ich Euch für Eure Unterstützung danken: Die Aktion, zu der ich am vorigen Sonntag auf meinem Blog aufgerufen habe, hat offensichtlich Wirkung gezeigt. Am Mittwoch veröffentlichte die Pfarrei auf ihrer Website und auf ihrer Facebook-Seite eine "Stellungnahme der Seelsorger der katholischen Kirchengemeinde St. Willehad Nordenham zur Regenbogenfahne am Gästehaus und Pfarrheim Rat-Schinke-Haus in 26969 Butjadingen-Burhave"; und tags darauf brachte die Kreiszeitung Wesermarsch einen Artikel, in dem die wichtigsten Passagen dieser Stellungnahme teilweise paraphrasiert, teilweise im Wortlaut wiedergegeben wurden. 

Bei aller Befriedigung über diese doch vergleichsweise prompte Reaktion kann ich den Inhalt dieser Stellungnahme indes nicht als befriedigend bezeichnen. Ein großer Teil des Texts dreht sich darum, dass der Regenbogen "[s]eit Menschengedenken" ein "Symbol des Bundes zwischen den Menschen und Gott" sei: 

"Schon im Buch Genesis (1 Mose) finden wir dazu klare Worte in den Versen 9 bis 17. Das Buch Jesus Sirach (43,11 und 50,7) im Alten Bund der Bibel spricht vom Regenbogen als Symbol des Ruhms über den Schöpfergott und als Symbol des Bundes Gottes mit der Erde. Im Neuen Bund schreibt Johannes in der Offenbarung über den Regenbogen als Begleiter der Engel und als Symbol, welches über dem Thron strahlt (Offb 4,3 und 10,1)." 

Gut und schön, aber was hat diese Bedeutung des Regenbogens mit der Flagge der LGBTTIQ-usw.-Bewegung zu tun? Richtig: überhaupt nichts. Ausführlich hat sich hierzu Bloggerkollegin Claudia in einem Artikel geäußert, den ich hier gern verlinke und darüber hinaus ein paar besonders relevante Passagen zitieren möchte: 

"Allenthalben – auch vor einigen katholischen Kirchen – findet man nun die sechsfarbige Regenbogenflagge (quergestreift, also eher Block als Bogen). Aussagen Geistlicher zu dieser deplazierten Beflaggung haben oft mit Toleranz und Nächstenliebe zu tun, sehr selten aber mit genauen Bibelzitaten und tiefgehender religiöser Kenntnis." 

und:

"Der quergestreifte sechsfarbige Block entstammt der postchristlichen LGTB-Bewegung. Daß nun Christen, die sich von ihnen unbequemen Punkten der christlichen Lehre entfernt haben, auch diesen bunten Block benutzen, macht ihn nicht zu einem Teil der christlichen Ikonographie."
Dass die Verantwortlichen der Pfarrei St. Willehad tatsächlich sehr genau wissen, wofür die Flagge, die sie da am Rat-Schinke-Haus gehisst haben, wirklich steht, macht schon ihre Beteiligung an der federführend vom CSD Wesermarsch Verein lancierten "Gemeinsamen Erklärung" vom 07.03. deutlich, die ein explizites Bekenntnis dazu enthält, "dass alle Menschen  [...] lieben können, wen sie wollen"; aussagekräftig ist auch, dass auf der Facebook-Seite der Pfarrei, die sich zuvor (soweit ich es beobachtet habe) nie besonders mit Stellungnahmen zu kirchenpolitischen Streitfragen hervorgetan hatte, am 11. und 12. März zwei Artikel über die Beschlüsse der 5. Synodalversammlung geteilt wurden, darunter einer mit der bezeichnenden Überschrift "Weg für Segensfeiern für homosexuelle Paare ist frei". Dagegen wird in der nun veröffentlichten Stellungnahme der Geistlichen nur in Form von vagen Andeutungen ein assoziativer Zusammenhang zwischen dem Regenbogensymbol und Schlagworten wie Vielfalt und Toleranz hergestellt – wenn etwa vom "strahlenden Regenbogen mit all seinen Farben des Lebens" die Rede ist: "Wir stehen hinter diesem Regenbogen mit all seinen Farben"; der Regenbogen werde "bis heute selbstverständlich als Symbol des Segens angesehen"; man wolle "ein sichtbares und klares Zeichen pro Mensch" setzen (ausgerechnet diese schon rein sprachlich ausgesprochen grausige Formulierung greift die Kreiszeitung in ihrer Überschrift auf); und: "Als Gemeinde in der nördlichen Wesermarsch schließen wir niemanden aus, der an unsere Türen klopft. Das wird auch deutlich in unserem Lokalen Pastoralplan, der durch den Pfarreirat St. Willehad am Fest des heiligen Willehad am 8. November 2020 verabschiedet wurde." Ja ja, bla bla. Die Leute will ich mal sehen, die da an die Tür klopfen. 

Zu allem Überfluss wird zudem behauptet, die "Regenbogenfahne am Fahnenmast am Rat-Schinke-Haus" bringe "sichtbar nach außen, was am Osterfest 1990 im Innern der Kirche vollendet wurde": Damals wurde nämlich "auf die Stirnseite direkt hinter dem Altar ein Regenbogen an die Wand gemalt. Mitte dieses Symbols ist Jesus Christus selbst, dessen Kreuz vor dem Licht der Auferstehung (goldene Mitte des Regenbogens) die Gläubigen zum Gebet einlädt". Ja danke, das weiß ich sehr gut: Der Entwurf zu diesem Wandgemälde stammt von meiner Schwester, die seinerzeit im Bauausschuss des Pfarrgemeinderats war. 

Eine andere Art von Regenbogen: Das in der Stellungnahne der Geistlichen von St. Willehad erwähnte Wandbild in Herz Mariae Burhave. 

In diesem Zusammenhang wird aus der "Gemeindechronik [...] von Pfarrer em. Alfons Kordecki († 2022)" zitiert: 

"Nun fällt der Schatten dieses Kreuzes je nach Lichteinfall und eigenem Standpunkt auf den goldenen Kreis in der Mitte der Altarfront und weist so auf die Kreuzigungsszene Jesu hin, in der das Heil für die ganze Menschheit geschehen ist. Dieser goldene Kreis, umgeben von Regenbogenfarben, deutet auf die verborgene Gegenwart Gottes in unserer Welt. Sein Licht strahlt aus in die Dunkelheit dieser Welt und fällt wie ein Lichtfall in Richtung des Altares, um uns auf die Gegenwart Christi in der Eucharistie hinzuweisen." 

Das ist schön dargelegt, hat aber – abermals – absolut nichts mit der hier in Frage stehenden Flagge zu tun. Und ich möchte hinzufügen: Den verstorbenen Pfarrer Kordecki in diese Sache hineinzuziehen, offenbart eine Schamlosigkeit, die ich nur als atemberaubend bezeichnen kann. 

Mein Gesamturteil über diese Stellungnahme lässt sich füglich in dem Satz "Das glauben die doch wohl selber nicht" zusammenfassen. Und genau das ist das hoch Problematische an solchen Aussagen: Jeder weiß, dass es gelogen ist, und jeder weiß, dass die anderen es auch wissen, aber man schließt eine stillschweigende Übereinkunft, so zu tun, als glaube man es. Das ist viel schlimmer als eine einfache Unwahrheit, denn es korrumpiert das Verhältnis zur Wahrheit insgesamt.

Übrigens hat diese ganze Affäre in meinen Augen frappierende Ähnlichkeit mit einem Vorgang in meiner hiesigen "Ex-Gemeinde", relativ kurz bevor meine Liebste und ich dort unsere Mitarbeit aufkündigten. Damals lief gerade die Namensfindung für die zu gründende Großpfarrei, und einer der drei Pfarrvikare, den ich – auch aus physiognomischen Gründen – privat gern Pater Mephisto nannte, brachte in einem Telefonimpuls (eine Errungenschaft der Corona-Lockdown-Zeit) allen Ernstes den Namensvorschlag "Regenbogen-Gemeinde" ins Gespräch. Auch er begründete dies ausführlich mit der Rolle des Regenbogens als Bundessymbol in der Sintfluterzählung und ließ so nebenbei den Hinweis einfließen, "junge Leute" verstünden den Regenbogen als Symbol für Vielfalt, Toleranz, Selbstbestimmung usw. und gegen Diskriminierung. Vermutlich fand Pater Mephisto sich und seine Ansprache enorm clever, aber tatsächlich war sie ein prächtiges Fallbeispiel für ein ebenso verbreitetes wie faszinierendes Paradox: Allzu clever macht dumm

Ein ähnlich interessantes Phänomen ist es, dass derjenige, der es allen recht zu machen versucht, es am Ende meist niemandem recht macht. So kommentierte ein Facebook-Nutzer das Regenbogenflaggen-Statement der Willehad-Geistlichen wie folgt: 

"In der Stellungnahne nicht auch ausdrücklich Bezug auf die Bedeutung dieser Flagge für die LGBTQ+ Community zu nehmen und sich klar dafür zu positionieren, ist wirklich ein Armutszeugnis. Da wären für eine Glaubensgemeinschaft, die den Schritt in unser Jahrtausend wagen will, mehr und klarere Worte angebracht gewesen." 

Tja. Ich würd mal sagen, das geschieht ihnen recht.