...oder Warum die Volkskirche nicht zu feiern versteht
Aufmerksamen Lesern meines Blogs wird es vielleicht aufgefallen sein, dass ich mich im Vorfeld der diesjährigen Spandauer Fronleichnamsfeier recht skeptisch über den geselligen Teil der Veranstaltung geäußert hatte – ein kleines Pfarrfest im Garten der Pfarrkirche Maria, Hilfe der Christen im Anschluss an die Prozession. Nun will ich gleich vorausschicken, dass das Fest, gemessen an meinen Erwartungen, gar nicht so schlecht war. Ironischerweise war das bei jenem Pfarrfest in Herz Jesu Tegel vor knapp fünf Jahren, das mich erstmals dazu veranlasst hat, darüber zu reflektieren, warum die Volkskirche nicht zu feiern versteht, schon genauso. Wer also möchte, kann das ganze Thema unter "Der Klein hat halt immer was zu quaken" abhaken und braucht dann an dieser Stelle eigentlich nicht mehr weiterzulesen.
Herzlich zum Weiterlesen eingeladen sind hingegen diejenigen Leser, die verstehen, dass es mir hier gar nicht so sehr darum geht, Kritik an diesem konkreten Pfarrfest zu üben; vielmehr bietet dies nur den Anlass, grundsätzliche Erwägungen dazu anzustellen, wie Pfarrfeste sein sollten oder sein könnten und warum sie oftmals eben nicht so sind. Fangen wir trotzdem mal damit an, was an diesem konkreten Pfarrfest gut war: Das war zum einen das Wetter – aber das kann man ja schlecht planen; noch ein paar Tage zuvor hatten die Wetteraussichten erheblich schlechter ausgesehen – und zum anderen die Tatsache, dass der Spielplatz der an das Kirchengrundstück angrenzenden KiTa während des Fests frei zugänglich war. Auch den Programmbeitrag des Kinderwortgottesdienst-Arbeitskreises würde ich gern zu den Dingen zählen, die an diesem Pfarrfest gut waren; aber da bin ich voreingenommen, das mögen Andere beurteilen.
Was mir nicht gefiel, war, dass das Fest um Punkt 14 Uhr praktisch vorbei war. Da ich bei einem Vorbereitungstreffen für die Fronleichnamsfeier war, kann ich bezeugen, dass das seitens der Veranstalter ausdrücklich gewollt war: eine bis eineinhalb Stunden für die Messe, eine bis eineinhalb Stunden für die Prozession, eine bis eineinhalb Stunden für den geselligen Teil, und dann sollten die Leute gefälligst nach Hause gehen. Ich denke, es liegt auf der Hand, dass die kurze Dauer nur ein Aspekt eines Gesamtphänomens ist, das ich in meinem Artikel über das Pfarrfest in Herz Jesu Tegel im Sommer 2019 als "minimalistische Grundhaltung" charakterisiert habe: Man will das Ding einfach mit möglichst wenig Aufwand über die Bühne bringen, wozu auch gehört, dass das Pfarrfest die Pfarrei möglichst nichts kosten soll. (Auf den Kostenaspekt wird noch ausführlich zurückzukommen sein.) Einen bedeutenden Unterschied zwischen Tegel 2019 und Spandau 2024 habe ich dabei allerdings festgestellt: In Tegel hatte ich den Eindruck, dieser Minimalismus rühre aus einer Art "vorauseilender Frustration"; genauer gesagt, aus der im Zuge der Vorbereitungen wiederholt mal mehr, mal weniger explizit geäußerten Haltung "Wir sollten nicht so viel Aufwand betreiben, nachher kommt sowieso nur eine Handvoll Leute". In Spandau dagegen wurde die Veranstaltung von vornherein nur für maximal 200 Leute geplant, damit man nicht so viel Aufwand hat; um's noch deutlicher zu sagen, es war gar nicht gewollt, dass mehr als 200 Leute kommen. Bei dem Vorbereitungstreffen, an dem ich teilnahm, fiel explizit der Satz "Wir bestellen 200 Würstchen und 200 Brötchen, und wenn die alle sind, dann gehen die Leute auch nach Hause." Hashtag #kannstedirnichtausdenken.
Man bedenke: Die Fronleichnamsfeier ist einer der wenigen Anlässe im Kirchenjahr, bei denen die ganze Großpfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland gemeinsam feiert, anstatt dass jeder in seiner angestammten Teilgemeinde bleibt. Mit anderen Worten, eine der wenigen Gelegenheiten, etwas dafür zu tun, dass die 2023 gegründete Großpfarrei zusammenwächst, ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt. Dem Pastoralplan zufolge, den man von der Website der Pfarrei als pdf-Datei downloaden kann, leben auf dem Gebiet der Pfarrei rund 16.000 Katholiken (Stand: 2021); selbst wenn man von einer bescheidenen Gottesdienstbesuchsquote von 6-7% ausgeht, kommt man auf rund 1000 regelmäßige Kirchgänger. In einer Pfarrei dieser Größe ein Pfarrfest für 200 Leute zu planen, sendet ein verhängnisvolles Signal: Man geht offenbar davon aus, selbst bei der Stammklientel nur auf mäßiges Interesse zu stoßen, und dass man mit einem solchen Fest auch Leute ansprechen könnte, die (noch) nicht zur Kerngemeinde gehören, wird erst recht nicht in Betracht gezogen.
Nun argumentiere ich ja schon seit Jahren, sich bei der Vorbereitung eines Events permanent zu sagen "Da kommt ja sowieso keiner" sei eine self-fulfilling prophecy: Wenn man die Planung eines Events Leuten überlässt, die davon überzeugt sind, dass dieses Event nur eine Handvoll Leute interessiert, kommt dabei nahezu zwangsläufig etwas heraus, wofür sich tatsächlich nur eine Handvoll Leute interessiert, wenn überhaupt. Wenn man eine Veranstaltung plant, die nach Möglichkeit um 14 Uhr zu Ende sein soll, weil man davon ausgeht, dass die Leute dann nach Hause wollen, kommt dabei etwas heraus, wo tatsächlich niemand Lust hat, länger als bis 14 Uhr zu bleiben. Die oben angesprochene Begründung dafür, nur 200 Würstchen und 200 Brötchen zu bestellen – "Wenn die alle sind, dann gehen die Leute auch nach Hause" –, illustriert diesen Sachverhalt im Grunde perfekt. Dennoch glaube ich inzwischen, der Kausalzusammenhang zwischen Erwartung und Ergebnis ist doch etwas komplexer, als die Bezeichnung "self-fulfilling prophecy" es nahelegt. Ich glaube, dieser Kausalzusammenhang ähnelt eher einer Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Zum Teil, denke ich, sind Pfarrfeste deshalb so, wie sie sind, weil die Leute, die da hingehen, sie tatsächlich so haben wollen. Na klar, könnte man sagen, deshalb gehen sie ja hin, und die, deren Vorstellungen von einem gelungenen Fest das eher nicht entspricht, gehen eben nicht hin. So entsteht eine Art Echokammer des "Das haben wir schon immer so gemacht", aus der gemeinsam mit dem Wunsch, etwas zu verändern, auch das kreative Potential, Veränderungen überhaupt denkbar zu machen, mehr oder weniger konsequent verbannt wird. Das betrifft wohlgemerkt nicht nur die Organisation von Pfarrfesten, sondern nahezu alle Aspekte des Gemeindelebens in der sterbenden Volkskirche, und daher müsste man es wohl mal an anderer Stelle vertiefen. Indes liegt es wohl auf der Hand, dass es schwierig und riskant ist, den Kreislauf des "Das haben wir schon immer so gemacht" zu durchbrechen: Veränderungen bergen die Gefahr, die Stammklientel zu irritieren, schlimmstenfalls zu vergraulen, während es durchaus nicht ausgemacht ist, dass es gelingt, durch diese Veränderungen neue Zielgruppen zu erschließen (zumal wenn diese ihrerseits aus Erfahrung und Gewohnheit davon ausgehen, dass das betreffende Angebot "nichts für sie ist"). Dass es dennoch möglich ist, mit diesem Wagnis Erfolg zu haben, zeigt beispielsweise das "Patronats- und Siedlungsfest" in St. Joseph Tegel, das in diesem und letztem Jahr jeweils am 1. Mai stattfand; es dürfte sich daher lohnen, darüber nachzudenken, warum es da funktioniert.
Sagen wir es geradeheraus: Ein grundlegendes Problem bei Pfarrfesten in durchschnittlichen volkskirchlichen Gemeinden ist, dass Menschen schlichtweg keinen besonderen Grund haben, zusammen zu feiern, wenn sie außer der Tatsache, dass sie für eine Stunde am Sonntag zusammen die Kirchenbank drücken, nichts miteinander verbindet. Wie das Beispiel St. Joseph Tegel demonstriert, besteht sogar unter Eltern, deren Kinder zusammen in die KiTa gehen, ein intensiveres Gemeinschaftsgefühl als unter den Mitgliedern einer Kirchengemeinde. Und das ist ein womöglich recht bezeichnendes Beispiel: Kleine Kinder zu haben – ob die nun in die KiTa gehen oder nicht –, schafft einen Fundus gemeinsamer Erfahrungen, gemeinsamer Freuden und Sorgen, Herausforderungen und Frustrationen, der eine gute Basis dafür bildet, auf einen Nenner zu kommen. Wenn ich mit meinem Jüngsten (oder mit beiden Kindern, wenn die Große gerade nicht in der Schule ist) in der Stadt unterwegs bin und anderen Eltern mit Kindern in einem ähnlichen Alter begegne, dann grüße ich die, ganz automatisch, egal ob ich sie vorher schon mal gesehen und mit ihnen gesprochen habe oder nicht. Einfach aus dem Gefühl heraus, wir gehören zum selben Club. So ähnlich wie es in der Frühzeit des Automobils, als noch nicht jeder eins hatte, üblich gewesen sein soll, dass Autofahrer einander grüßten, wenn sie sich auf der Straße begegneten. Dass die Kirche es nicht schafft, dieses Maß an Gemeinschaftsgefühl unter ihren Mitgliedern zu erzeugen, ist eigentlich bedenklich.
Man könnte an dieser Stelle die Frage aufwerfen, ob es nicht etwas unfair sei, diese Beobachtung mit dem Begriff "Volkskirche" in Verbindung zu bringen; ob es sich nicht vielmehr gerade um ein post-volkskirchliches Problem handle – also eines, das gerade durch das Absterben der alten Volkskirche bedingt sei und das es zu Zeiten, als die Volkskirche noch gesund und intakt gewesen sei, gerade nicht gegeben habe. Dieser Einwand wirft allerdings die Gegenfrage auf, wann genau das eigentlich gewesen sein soll. Lothar Zenetti, seinerzeit Stadtjugendpfarrer in Frankfurt am Main, beschrieb jedenfalls schon 1966 den auffälligen Kontrast zwischen der "Familiarität und Herzlichkeit", die er in einer freikirchlichen Gemeinde erlebte ("Ich sehe, dass die meisten Leute sich begrüßen und leise ein paar Worte wechseln, wenn sie sich zueinander setzen"), und der "eigenartige[n] Distanz und Kühle" unter den Teilnehmern einer katholischen Messe: "Keiner nahm Notiz vom anderen. Jeder suchte sich einen Platz in der Bank, betete kurz und setzte sich nieder".
Derselbe Kontrast ist mir auch aus eigener Anschauung geläufig, und mein Paradebeispiel dafür ist bekanntlich die EFG The Rock Christuskirche in Haselhorst, wo, wie ich schon mehrfach in meinen Wochenbriefings notiert habe, "jeden Sonntag Gemeindefest" ist. Natürlich kommen da nicht jede Woche 200 Leute, und es gibt auch nicht jede Woche Würstchen vom Grill; aber hin und wieder eben doch. Das Entscheidende ist indes, dass die dortigen Gemeindemitglieder gern nach dem Gottesdienst noch Zeit miteinander verbringen, statt dass jeder schnell nach Hause will, um sein jeweils eigenes Mittagessen auf den Tisch zu bringen. Das Gemeindeleben steht da einfach auf einer höheren Prioritätsstufe als beim durchschnittlichen volkskirchlichen Gottesdienstbesucher. Die Leute kennen sich, mögen sich (vielleicht nicht jeder jeden und sicherlich nicht jeder jeden gleichermaßen, aber grundsätzlich eben doch) und nehmen Anteil am Wohl und Wehe der jeweils anderen. Hat ein Gemeindemitglied ein besonders wichtiges oder dringliches Anliegen, wird im Gottesdienst dafür gebetet. So etwas gibt es durchaus nicht nur in Freikirchen – ich habe es z.B. auch schon in der (ziemlich charismatisch ausgerichteten) katholischen Kirche St. Clemens am Anhalter Bahnhof erlebt –, aber im volkskirchlichen Normalbetrieb wird für Gemeindemitglieder meist erst dann gebetet, wenn sie tot sind.
Nun hat mir mal ein Leser meines Blogs gesagt, ich könne doch das Gemeinschaftsgefühl, das in freikirchlichen Gemeinden herrsche, nicht zum Maßstab für volkskirchliche Gemeinden machen, und ich verstehe diesen Einwand durchaus; schließlich ist es kennzeichnend für das Modell Volkskirche, dass die Kirchenzugehörigkeit nicht vom Maß des persönlichen Engagements und der Identifikation mit der Gemeinde abhängt. Verteidiger dieses Kirchenmodells betrachten gerade dies als eine Stärke und einen Vorzug, weil dadurch auch die nicht so Engagierten "mitgenommen" werden; und ich will auch nicht unbedingt bestreiten, dass da was dran ist. Problematisch wird's aber, wenn diese "nicht so Engagierten" innerhalb der Gemeinde tonangebend und maßstabsetzend werden. – Der besagte Leser meinte weiterhin, eine so intensive Gemeinschaft wie in freikirchlichen Gemeinden gebe es innerhalb der katholischen Kirche wohl in Geistlichen Gemeinschaften wie dem Neokatechumenalen Weg oder der Charismatischen Erneuerung. Da finde ich es nun wiederum bezeichnend, dass diese und ähnliche Gruppierungen nicht wenigen "Normalkatholiken" ausgesprochen suspekt sind, und zwar gerade wegen des Maßes an Gemeinschaft, das in ihnen praktiziert wird und das vielfach als extrem und potentiell schädlich angesehen wird; nicht selten ist von der Gefahr der Sektenbildung die Rede. Warum? Offenbar scheint die Vorstellung recht verbreitet zu sein, intensive Gemeinschaft "nach innen" bedinge umso stärkere Abschottung "nach außen". Mit meinen Erfahrungen deckt sich diese Annahme ganz und gar nicht: Ich möchte vielmehr behaupten, eine intensive Gemeinschaft wirkt nicht nur anziehend auf Außenstehende, sondern ist auch erheblich besser geeignet, Außenstehende zu integrieren, als eine nur lose vernetzte Gruppe von Leuten, die im Wesentlichen alle ihr eigenes Ding machen. Warum das so ist, ist eigentlich unschwer einzusehen: In einer Gemeinde, in der sich mehr oder weniger alle kennen und ein freundschaftliches Verhältnis zueinander pflegen, fällt es einfach eher auf, wenn "jemand Neues" zum Gottesdienst (oder auch zu einer anderen Veranstaltung) erscheint, und da findet sich dann auch leicht jemand, der auf die "Neuen" zugeht. Hallo, schön dass ihr da seid, was führt euch hierher, wie gefällt's euch bei uns, wir haben übrigens dann und dann noch diese und jene Veranstaltung, vielleicht wär das auch was für euch. In einer durchschnittlichen volkskirchlichen Gemeinde kann man dagegen wochen- und monatelang zum Sonntagsgottesdienst gehen, ohne dass jemand Notiz von einem nimmt – oder man wird als störend wahrgenommen, weil man sich nichtsahnend auf den Stammplatz der Kolping-Ortsvorsitzenden gesetzt hat oder die Kinder zu laut sind.
An dieser Stelle ein Gedanke, den meine Liebste eingebracht hat: Wenn davon die Rede ist, dass die Kirche sich bemühen müsse, "gesellschaftlich relevant" zu bleiben, dann wird darunter in der Regel verstanden, dass Kommunalpolitiker, Vertreter zivilgesellschaftlicher Institutionen und sonstige Personen des öffentlichen Lebens zum Neujahrsempfang der Pfarrei kommen und umgekehrt auch Kirchenvertreter zu ihren Empfängen einladen. Wäre es nicht ein viel erstrebenswerteres Ziel, die Relevanz der Kirchengemeinde für das persönliche Leben ihrer Mitglieder zu stärken?
Lassen wir diesen Gedanken mal ein bisschen sacken; weiter oben hatte ich in Aussicht gestellt, dass ich noch ausführlich auf Fragen der Finanzierung von Pfarrfesten eingehen wolle, und zu Überleitungszwecken möchte ich erst einmal auf einen Aspekt eingehen, der nur indirekt bzw. nur nebenbei mit Geld zu tun hat: Es gehört zum typischen Erscheinungsbild von Pfarrfesten, dass Gemeindemitglieder selbstgebackenen Kuchen und selbstgemachte Salate mitbringen, und das betrachte ich grundsätzlich auch als eine sehr gute Sache. Bei dem Vorbereitungstreffen für die Fronleichnamsfeier, an dem ich teilnahm, war nun die Rede davon, in den Kirchen Listen auszulegen, in die sich diejenigen Gemeindemitglieder, die etwas zum Büffet beitragen wollten, eintragen sollten. Ich wandte an dieser Stelle ein, es könne zwar sein, dass meine Erinnerung mich trügt, aber ich meinte mich zu erinnern, dass im letzten Jahr, als die Fronleichnamsfeier von beiden Spandauer Großpfarreien gemeinsam ausgerichtet wurde, explizit beschlossen worden sei, keine solchen Listen auszulegen, da das im Zweifel eher abschreckend wirke; außerdem zeige die Erfahrung, dass es so ziemlich das geringste Problem bei der Organisation eines Pfarrfests sei, genügend Leute zu finden, die bereit seien, etwas zum Büffet beizutragen. Auf diese Wortmeldung hin wurde ich angestarrt, als käme ich von einem anderen Stern. Keine Listen auslegen, das gehe doch nicht, man brauche doch Planungssicherheit.
Nun gut: Voriges Jahr hatte ich, zusammen mit den Kindern, einen Kuchen gebacken und einen Salat gemacht und beides fürs Büffet gespendet; dieses Jahr nicht. Das lag aber zugegebenermaßen nicht nur daran, dass ich keine Lust hatte, mich in eine Liste einzutragen. Der eigentliche Hauptgrund war, dass wir am Tag vor der Fronleichnamsfeier auf einem Straßenfest-Crawl waren und daher schlicht keine Zeit und Muße zum Kuchenbacken hatten. Nicht so richtig Lust darauf hatte ich aber auch noch aus einem anderen Grund, und der hatte nun doch etwas mit Geld zu tun: Ich meine die bei Pfarrfesten verbreitete Praxis, für Speisen, die die Gäste selbst mitgebracht haben, Geld zu verlangen. Machen wir uns mal klar, was das heißt: Ich kaufe die Zutaten für einen Kuchen, rühre ihn selbst an, backe ihn in meinem eigenen Ofen, verziere ihn, und dann gebe ich ihn beim Büffet ab und muss daraufhin einen Euro bezahlen, wenn ich selbst ein Stück davon essen möchte. Bizarr, oder?
Seit es sich herumgesprochen hat, dass der Verkauf von Speisen und Getränken auf Pfarrfesten umsatzsteuerpflichtig wäre, sind die angegebenen Preise offiziell nur noch Spendenvorschläge. Was indes nichts daran ändert, dass von den Gästen erwartet wird, mindestens so viel zu zahlen. Bei der Spandauer Fronleichnamsfeier lautete der pauschale Spendenvorschlag für alles "1 Euro": Ein Euro für jede Tasse Kaffee, jedes Stück Kuchen, jeden Teller Salat und auch jedes der streng limitierten Würstchen im Brötchen. Eine Mischkalkulation, wie beim Vorbereitungstreffen erläutert wurde: Würstchen und Brötchen sowie Erfrischungsgetränke in Flaschen kosteten die Veranstalter schon im Einkauf mehr als einen Euro pro Stück; das sollte dadurch ausgeglichen werden, dass derselbe Preis (pardon: Spendenvorschlag) auch für Dinge berechnet wird, die die Veranstalter erheblich weniger (wie Kaffee) oder gar nichts (wie die gespendeten Kuchen und Salate) kosten. Klingt erst mal clever, aber ich habe dazu eine grundsätzliche Anfrage: Woher kommt eigentlich die Idee, dass Pfarrfeste möglichst ihre Kosten decken, wenn nicht sogar Gewinn abwerfen sollten? Wieso lässt eine Pfarrei sich ein Pfarrfest nicht etwas kosten und betrachtet das als eine Investition in ihre Zukunft? Zumal, wie ich weiter oben schon schrieb, die Fronleichnamsfeier der Pfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland eine der wenigen Gelegenheiten im Kirchenjahr ist, "etwas dafür zu tun, dass die 2023 gegründete Großpfarrei zusammenwächst, ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt". Sollte man sich diese Gelegenheit nicht etwas kosten lassen?
Auch wenn man es grundsätzlich legitim finden mag, wenn die Verantwortlichen Wert darauf legen, dass ein Pfarrfest wenigstens einen Teil seiner Kosten direkt wieder "einspielt", muss ich doch sagen, dass ich es ziemlich abtörnend finde, wenn man für jeden Schluck und jeden Bissen einzeln zur Kasse gebeten wird und einem, wie meine Liebste es mal (leicht polemisch zugespitzt) formuliert hat, "jede Nudel einzeln auf den Teller gezählt wird". Da kommt einfach kein Gemeinschaftsgefühl auf, da fühlt man sich nicht eingeladen zu einem Fest, sondern bestenfalls wie zahlende Kundschaft; und, um mal einen ehemaligen Arbeitskollegen zu zitieren: Es hat schon seinen Grund, dass "Kunde im Osten ein Schimpfwort war".
Fragen wir uns auch hier wieder: Wie handhaben Andere das? Hier braucht man gar nicht auf das Beispiel freikirchlicher Gemeinden zu verweisen (wenngleich auch das sicherlich illustrativ wäre): Etwas, was ich bei der "Community Networking Night" im Baumhaus gelernt habe, ist das Prinzip "pay for the experience". Die genannte Veranstaltungsreihe zielt – unter anderem – durchaus auch darauf ab, Spendeneinnahmen zu generieren, die einen nicht unwesentlichen Baustein für die Finanzierung des Projektraums Baumhaus darstellen. Dabei wird aber Wert darauf gelegt, dass die Teilnehmer sich als Gäste fühlen, und dazu gehört, dass ihnen nicht das Gefühl vermittelt wird, sie müssten für das Essen bezahlen, das bei der Veranstaltung aufgetischt wird. Das Büffet sowie Kaffee, Tee und Wasser sind explizit gratis, andere Getränke können selbst mitgebracht werden. – Und wo kommen nun die Einnahmen her? Daher, dass am Ausgang ein Spendenglas steht, in dem die Besucher am Ende des Abends einen Betrag in selbstgewählter Höhe hinterlassen sollen. Für das Gesamtpaket. Sie sollen selbst entscheiden, was der Abend ihnen wert war bzw. wie wichtig es ihnen ist, die Veranstalter zu unterstützen. So funktioniert "pay for the experience" – aber das funktioniert natürlich nur, wenn man den Besuchern auch eine "experience" bietet, die ihnen etwas wert ist. Womit wir wieder am Anfang unserer Erwägungen wären.
(Ich ahne übrigens den Einwand, man könne doch nicht einfach ein Spendenglas offen und unbeaufsichtigt irgendwo 'rumstehen lassen – da würden doch Leute das Geld klauen. Zugegeben: Das kann passieren. Aber sollte man nicht gerade "als Kirche" das Gottvertrauen haben, dass einen so etwas letztlich nicht ruinieren wird?)
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass man gar nicht unbedingt "in die Ferne schweifen" muss, um Beispiele dafür zu finden, dass es auch anders geht: Man kann diese Erfahrung sehr wohl auch innerhalb der katholischen Kirche machen, ja, was das Beispiel Spandau angeht, bemerkenswerterweise sogar innerhalb derselben Pfarrei. Ich denke da konkret daran, wie in St. Joseph Siemensstadt der Geburtstag des Pfarrvikars nachgefeiert wurde: an die Stimmung, die da herrschte, aber nicht zuletzt auch an das Essen, das da aufgetafelt wurde. Und da fragte niemand danach, wer das eigentlich bezahlt hatte; da hieß es einfach: Der Herr war großzügig. Vielleicht sollte man sich mal Gedanken darüber machen, bei was für Gelegenheiten und unter was für Voraussetzungen der Herr sich als großzügig erweist und wann nicht; und was für Konsequenzen daraus zu ziehen wären.
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Also wenn es nur darum geht, dass einem niemand was aus dem Spendenglas klaut, kann man ja schnell eine Lösung finden: Man nimmt irgendeine Schachtel, schneidet einen Schlitz in den Deckel und klebt/nagelt/bindet sie irgendwo fest.
AntwortenLöschenIch habe diesen Artikel mit großem Erstaunen gelesen. In St. Michael Kreuzberg und Sankt Marien-Liebfrauen habe ich noch nie erlebt, dass bei den diversen Festlichkeiten für irgendwas Geld verlangt worden wäre. Aber vielleicht sind das spezielle Kreuzberger Verhältnisse?
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