Samstag, 30. November 2019

Gemeindeerneuerung als Fertigbausatz?

Kennst Du, wohllöblicher Leser, den Film "Bill McKay - Der Kandidat" (Originaltitel "The Candidate") mit Robert Redford? Ich habe ihn vor langer Zeit einmal im Fernsehen gesehen (wahrscheinlich auf Kabel 1 oder so), aber er hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Es geht in dem Film um eine Senatorenwahl in Kalifornien: Der republikanische Amtsinhaber gilt als praktisch unbesiegbar, sodass die Demokratische Partei Schwierigkeiten hat, einen Gegenkandidaten aufzustellen, da ambitionierte Politiker die zu erwartende Niederlage scheuen. Daher kommen Wahlkampfstrategen auf die Idee, den jungen Anwalt Bill McKay (Redford) zur Kandidatur zu überreden: Er ist smart und gutaussehend und hat außerdem einen guten Namen, denn sein Vater war mal Gouverneur. Als McKay zögert, die Kandidatur anzunehmen, schiebt der Wahlkampfmanager ihm einen Zettel zu, auf den er YOU LOSE geschrieben hat. Die Botschaft lautet: Es geht gar nicht ums Gewinnen, sondern nur darum, ein halbwegs achtbares Ergebnis einzufahren. Unter dieser Prämisse erklärt McKay sich zur Kandidatur bereit. Der Film endet jedoch damit, dass er die Wahl nach einem fulminanten Wahlkampf doch gewinnt -- und sich auf der Wahlparty seinen Wahlkampfmanager greift, ihn in ein Nebenzimmer zerrt und ihn ratlos fragt: "Was machen wir jetzt?" 

Bei meiner Kandidatur für die unlängst über die Bühne gegangene Pfarrgemeinderatswahl bin ich zwar nicht davon ausgegangen, ich würde "sowieso nicht gewählt werden" - spätestens als sich abzeichnete, dass es gar nicht genug Kandidaten für alle zu vergebenden Sitze im Rat geben würde, war es überdeutlich, dass mit dem Gegenteil zu rechnen sein würde -, aber die Frage "Was machen wir jetzt?" stellt sich nichtsdestoweniger. Natürlich habe ich meine Vorstellungen darüber, was in dieser Pfarrei alles in Angriff genommen werden könnte, sollte und müsste, und das ist nicht gerade wenig. Aber nun, nach der Wahl, stellt sich die Frage des praktischen Vorgehens, die Frage nach Strategien und Prioritäten; nun gilt es, sanft wie die Tauben und klug wie die Schlangen zu sein

Sehr wichtig: Sich an der Wahlurne fotografieren lassen. 
Nicht lange vor der Wahl sah ich auf Twitter ein Foto, das Fr. Michael White, den (Mit-)Erfinder der Gemeindeerneuerungs-Initiative REBUILTim Kreise von "parish leaders from Fulda, Germany" zeigte, und retweetete es mit dem Kommentar "Auweia". Diese Reaktion stieß in mir sonst wohlgesonnenen Kreisen auf Unverständnis. Was denn schlimm daran sei, "wenn sich Leute treffen, denen die Neuevangelisierung am Herzen liegt", wurde ich gefragt. Auch wurde die Vermutung geäußert, ich sei bloß "getriggert" vom Anblick einer Sitzung,  weil sich der "Marsch durch die Institutionen", den ich gerade angetreten hätte, anfühle "wie ein vorgezogenes Purgatorium". Dazu ist nun Verschiedenes zu sagen. 

Zunächst einmal: Ich strebe durchaus keinen "Marsch durch die Institutionen" an. Präziser gesagt, ich habe keine Ambitionen, in der deutsch-katholischen Gremienpyramide signifikant über die Ebene des Pfarrgemeinderats hinaus aufzusteigen. Wo sollte ich denn noch hin? In den Diözesanrat? Um Himmels Willen. Wenn sich eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages der Erdboden auftut, um dieses Gremium auf einen Haps zu verschlingen, möchte ich tunlichst nicht dabei sein, und bis dahin ist wohl das beste, was man mit diesem Gremium machen kann, seine Existenz so gut es geht zu ignorieren. Okay, zwischen der Pfarrei- und der Diözesan-Ebene gibt es wohl auch noch ein entsprechendes Gremium auf der Ebene des (in unserem Fall noch nicht offiziell eröffneten) "Pastoralen Raums", das nennt sich dann "Pastoralrat" oder so, und da könnte es unter Umständen schon sinnvoll sein, sich hineinfühlen bzw. dorthin abordnen zu lassen oder was man sonst tun muss, um da reinzukommen. Aber vom Grundsatz her bleibe ich gern möglichst nah an der Basis. Ich bin ein entschiedener Anhänger des Subsidiaritätsprinzips, und Subsidiarität bedeutet nach meinem Verständnis: Die unterste Ebene ist die wichtigste, die höheren sind ihr nachgeordnet. (Jedenfalls in denjenigen Fragen, die überhaupt unter die Entscheidungskompetenz von Laiengremien fallen; wozu Fragen der Lehre ausdrücklich nicht gehören.) 

Sodann äußerte ich im Zuge der besagten Twitter-Debatte, ich könne mir "kaum eine gruseligere Kombination vorstellen als 'Rebuilt plus deutscher Gremienkatholizismus'". Und ich schätze, auch das verlangt nach näherer Erläuterung. Nun denn: Dort, wo in den Gremien und Institutionen der katholischen Kirche in Deutschland "Neuevangelisierung überhaupt ein Anliegen ist" - so schrieb es einer meiner Diskussionspartner auf Twitter -, werden derzeit "überwiegend zwei Ansätze" diskutiert, nämlich einerseits "REBUILT" und andererseits "Divine Renovation"Das von Fr. Michael White und seinem Pastoralassistenten Tom Corcoran verfasste Buch "REBUILT - Die Geschichte einer katholischen Pfarrgemeinde" habe ich zugegebenermaßen nicht gelesen; alles, was ich über REBUILT weiß, habe ich aus verschiedenen Online-Quellen, aber was ich da gelesen habe, stimmt mich ausgesprochen skeptisch. Wobei es mir recht aussagekräftig scheint, dass ich diejenigen Darstellungen des REBUILT- Gemeindeerneuerungskonzepts, die eigentlich positiv gemeint sind, tendenziell noch gruseliger finde als kritisch gemeinte Schilderungen. Ausführlich habe ich das hier schon einmal dargelegt, aber wer das jetzt nicht alles nachlesen mag, dem sei in aller Kürze gesagt, wo ich das zentrale Problem sehe: nämlich darin, dass REBUILT - so jedenfalls mein Eindruck - darauf abzielt, sämtliche Aktivitäten der Kirchengemeinde, einschließlich der Gottesdienste, zu einem zielgruppenspezifisch optimierten Konsumangebot zu stylen. -- Sicher, das REBUILT-Konzept verheißt Wachstum, insofern ist es kein Wunder, dass es sich "gut verkauft", auch und gerade in Deutschland. Aber, wie es in Francine Rivers' "So stark wie das Leben" wiederholt und treffend heißt: Wachstum ist nicht zwingend ein Zeichen von Gesundheit -- Krebs wächst auch.

Was nun das gewissermaßen "rivalisierende" Konzept "Divine Renovation" betrifft, habe ich dessen Schöpfer Fr. James Mallon auf der MEHR 2018 gehört, war von ihm so beeindruckt, dass ich mir gleich an Ort und Stelle sein Buch "Wenn Gott sein Haus saniert" gekauft habe, habe dieses mit Gewinn gelesen und zitiere immer wieder gern daraus; übrigens weist Amazon darauf hin, dass "Wenn Gott sein Haus saniert" und die "Benedikt-Option" "oft zusammen gekauft" werden, und das kommt wohl nicht von ungefähr. Obendrein habe ich mir auch das "Divine Renovation Handbuch" gekauft und bin gewillt, es in die Arbeit des neu gewählten Pfarrgemeinderats "einzubringen", wie man so schön sagt. Aber obwohl ich Fr. Mallons Ansatz in vielen Punkten ausgesprochen gut finde, beobachte ich auch hier mit zunehmender Skepsis die Tendenz, dass "Divine Renovation" zur "Franchise", zum "Markenartikel" wird. Es gibt sogar schon eine "Divine Renovation"-App, ohne Scheiß. Vor meinem geistigen Auge tauchen Szenarien auf wie in handelsüblichen "Home Improvement"-Fernsehshows à la "Einsatz in vier Wänden": Ding-dong macht es an der Pfarrhaustür, und draußen steht nicht Tine Wittler, sondern entweder Fr. Mallon oder Fr. White, im Hintergrund steht ein Möbelwagen, auf dem entweder der Schriftzug "REBUILT" oder "Divine Renovation" prangt, und im Handumdrehen wird aus der verschnarchten deutschen Pfarrkirche eine amerikanische Megachurch mit Band, Videoleinwänden, Nebelmaschine und einem Espresso-Vollautomaten im Foyer. Okay, ich übertreibe. Aber die Gefahr einer derartigen Entwicklung sehe ich in Ansätzen durchaus: Ebenso wie es  im freikirchlichen Bereich "Hillsong"- und "Saddleback"-Gemeinden gibt, die sich, wie ich an anderer Stelle schrieb, "von anderen, ähnlichen Angeboten nicht so sehr hinsichtlich ihrer Positionen zu bestimmten Glaubensfragen unterscheidet, sondern vielmehr durch ein bestimmtes Image, einen bestimmten Stil und eine spezifische Zielgruppenorientierung",  könnte es innerhalb der katholischen Kirche zukünftig "REBUILT"- und "Divine Renovation"-Gemeinden geben, auf die mutatis mutandis dasselbe zutrifft. Das, meine lieben Freunde, ist nicht katholisch. 

Es ist eine Versuchung, sich einzubilden, man könnte Gemeindeerneuerung quasi als Fertigbausatz kaufen und hätte damit die Lösung aller Probleme in Sack und Tüten. Und den deutschen Gremienkatholizismus halte ich in dieser Hinsicht tatsächlich für besonders gefährdet. Kein Geringerer als Papst Franziskus schrieb den deutschen Bischöfen anlässlich ihres Ad-Limina-Besuches im Jahre 2015 ins Stammbuch, die Kirche in Deutschland zeige eine "Tendenz zu fortschreitender Institutionalisierung": "Es werden immer neue Strukturen geschaffen, für die eigentlich die Gläubigen fehlen. Es handelt sich um eine Art neuer Pelagianismus, der dazu führt, unser Vertrauen auf die Verwaltung zu setzen, auf den perfekten Apparat." Möglicherweise tun sich die Deutschen genau deshalb - weil sie es so gewohnt sind, in institutionellen Strukturen zu denken - mit der Benedikt-Option eher schwer, denn die ist vom Ansatz her eher anti-institutionell. Zumindest liefert sie kein Patentrezept, keine Schritt-für-Schritt-Anleitung, keine garantiert gelingende Backmischung, der man nur noch Wasser hinzufügen muss. Stattdessen verlangt sie vom einzelnen Gläubigen so anstrengende Dinge wie das eigene Gebetsleben zu vertiefen und seine Nachbarn zum Essen einzuladen. Es ist die Vision einer Gemeindeerneuerung, die organisch von unten wächst -- ein Gemeinschaftskonzept, das (ich zitiere das immer wieder gern) "vom Herzen des Einzelnen aus[geht] und [...] sich von dort aus in die Familie, die Kirchengemeinde, die Nachbarschaft und darüber hinaus" ausbreitet (BenOp S. 157 / Paperback-Ausgabe S. 169).

Ich will gar nicht bestreiten, dass ein ästhetisches Makeover der Selbstrepräsentation einer Pfarrei, bessere Musik im Gottesdienst, ja sogar eine bessere Kaffeemaschine sinnvoll und nützlich sein kann. Aber letztlich ist das alles von nachrangiger Bedeutung.  Was eine Pfarrei wie beispielsweise "meine" - und ich bin ziemlich überzeugt, dass sie in dieser Hinsicht repräsentativ für viele Pfarreien hierzulande ist - wirklich braucht, ist eine Erweckung; und das ist etwas, was man nicht auf administrativem Wege "machen" kann. Man kann allenfalls die Rahmenbedingungen dafür verbessern, dass die Gemeindemitglieder eine Erweckung erleben oder, umgekehrt, dass Menschen, die eine Erweckung erlebt haben, in der Gemeinde Heimat finden. Ich denke da an etwas, was Johannes Hartl einmal im Interview mit dem Podcast "Hossa Talk" sagte: Wenn es in der gegenwärtigen Situation in Deutschland eine große Bekehrungswelle gäbe, wenn heute oder morgen drei Millionen Menschen zum Glauben an Jesus Christus fänden, dann würde diese Welle verpuffen, weil es keine Gemeinde-Infrastruktur gibt, die geeignet wäre, all diese Leute "aufzufangen". Wo sollten die hin? Im Besonderen denke ich dabei an die Erfahrungen meiner Liebsten, als sie in ihren späten Teenagerjahren zum Glauben an Jesus Christus fand, aber zunächst einmal gar nicht wusste, wo sie damit nun hingehen sollte, was es mit den verschiedenen christlichen Konfessionen auf sich hat und so weiter. Was tun wir dafür, dass Menschen, die in einer solchen Situation sind, zu uns kommen, und wie tragen wir Sorge dafür, dass sie bei uns gut aufgehoben sind? Wenn ich ehrlich bin, könnte ich meine Pfarrgemeinde in ihrer jetzigen geistlichen Verfassung keinem neu- oder wiederbekehrten Christen guten Gewissens empfehlen. Schlimmer noch, ich habe zunehmend den Eindruck, die Verantwortlichen der Pfarrei würden solche Leute gar nicht haben wollen; mit Begeisterung oder Leidenschaft für Christus können die überhaupt nicht umgehen. Zu den Gründen für dieses harte Urteil vielleicht demnächst mehr. Jedenfalls gibt es eine Menge zu tun; und ein erster Schritt dürfte darin bestehen, der gewohnten Routine Sand ins Getriebe zu streuen. Alles, was in dieser Pfarrei getan wird, radikal daraufhin zu hinterfragen, ob es dem Ziel dient, "den Menschen in unserem Stadtteil die Begegnung mit Jesus Christus in Wort und Sakrament zu ermöglichen und eine Gemeinschaft zu bilden, deren Mitglieder sich gegenseitig darin unterstützen, im Glauben und in der Liebe zu wachsen". Egal ob es um die Sakramentenkatechese, den St.-Martins-Umzug, die Kaffeetafel nach der Sonntagsmesse oder den Adventströdelmarkt geht: "Das haben wir schon immer so gemacht" ist vielleicht, und höchstens, dann ein valides Argument, wenn alles gut läuft. In der derzeitigen Situation hingegen lautet die einzig sinnvolle Entgegnung auf diesen Einwand: Na, dann wird's ja Zeit, es zu ändern. 




Donnerstag, 28. November 2019

Hauptsache erst mal profanieren

Am heutigen Donnerstagabend um 18 Uhr wird in der Herz-Jesu-Kirche in Nordenham-Einswarden buchstäblich die letzte Messe gelesen; anschließend wird das vor gut 90 Jahren geweihte Gotteshaus profaniert. Dass es dazu kommen würde, war schon länger absehbar: Schon zum Jahreswechsel 2014/15 wurde die Kirche "vorläufig geschlossen" und seither nicht wiedereröffnet, und die Profanierung wurde vom Pfarreirat bereits Anfang 2019 einstimmig beschlossen, vorerst allerdings ohne konkreten Termin. Unklar bleibt, wieso man es damit jetzt plötzlich so eilig hat, zumal es offenbar noch keine konkreten Pläne für eine Nachnutzung der Gebäude oder des Grundstücks gibt. Das "benachbarte Werk des Flugzeugteileherstellers Premium Aerotec", das zumindest gerüchteweise immer wieder in diesem Zusammenhang genannt wurde, ist jedenfalls "an diesem Areal nicht interessiert", wusste die Nordwest-Zeitung mit Datum vom 16. November zu berichten. Die Überschrift des Artikels - "Wird Gotteshaus zum Haus der Kunst?" - wirkt übrigens ein bisschen tragikomisch, denn die Antwort auf diese Frage steht bereits im Artikel, und sie lautet Nein. Zwar könne Pfarrer Karl Jasbinschek sich "gut vorstellen, hier ein Haus der Kunst einzurichten" und habe "diese Anregung bereits Nordenhams Bürgermeister Carsten Seyfarth gegeben. Aber offenbar könne die Stadt wegen ihrer Finanznot ein solches Projekt nicht stemmen, jedenfalls habe die Stadt kein Interesse bekundet." Tja, das war dann wohl nichts. An dieser Stelle will ich übrigens erneut nicht unerwähnt lassen, was ich jedesmal erwähne, wenn es relevant ist: Der Verfasser des Artikels, Horst Lohe, ist selbst Gemeindemitglied der örtlichen katholischen Pfarrei St. Willehad. Dem Mangel an kritischer Berichterstattung seitens der lokalen Presse hilft dieser Umstand offensichtlich nicht ab.

Auf der zur Konkurrenz, nämlich zur Bremerhavener Nordsee-Zeitung, gehörenden Lokalnachrichten-Website nord24 wird Pfarrer Jasbinschek derweil mit der Einschätzung zitiert, es gebe "keine Alternative zu diesem Schritt. An den Gottesdiensten in Einswarden hatten zuletzt nur noch 25 bis 30 Besucher teilgenommen." Das seien zu wenige. Aber, 'Tschuldigung, das ist doch jetzt Quatsch. In mehrfacher Hinsicht. Wann soll denn dieses "zuletzt" gewesen sein, wenn die Kirche fast fünf Jahre lang zugesperrt war? Und wer bestimmt eigentlich, wie viele Gottesdienstbesucher "zu wenige" sind? Ich habe schon Messen erlebt, wo ich mit dem Zelebranten alleine war, so what? Die Engel und Heiligen im Himmel feiern in jedem Fall mit, und sooo wenig finde ich 25 bis 30 regelmäßige Gottesdienstteilnehmer in einer so kleinen Kirche nun auch wieder nicht. Das ist schlichtweg eine Ausrede, und noch dazu eine schlechte. Wenn man findet, dass zu wenig Leute in die Kirche kommen, könnte man sich ja theoretisch mal Gedanken darüber machen, woran das liegt und wie man das möglicherweise ändern könnte. Stattdessen sagt man: Ach, das ist ja praktisch, dann können wir ja einen oder zwei Kirchenstandorte einsparen. 


Zugegeben: In größeren kirchenpolitischen Zusammenhängen betrachtet, steckt durchaus eine strategische Absicht hinter diesem Vorgehen. Eine Kirche, deren Funktionäre sich von Unternehmensberatern coachen lassen, tendiert mehr und mehr dazu, nach unternehmerischen Maßstäben zu funktionieren. Wenn die Nachfrage nach dem "Produkt" Gottesdienst nachlässt, wird das Angebot zurückgefahren. Wenn man Kirchen bloß als Immobilien betrachtet, deren Betriebskosten in keinem rentablen Verhältnis dazu stehen, was sie "einbringen", dann liegt es nahe, sich aus der Fläche zurückzuziehen, wie es ja beispielsweise die Post schon vor Jahrzehnten getan hat. Ein Seitenblick ins Erzbistum Hamburg ist in diesem Zusammenhang sehr erhellend: Dort wurde jüngst verlautbart, "man wolle sich von vielen Kirchen und anderen Immobilien trennen", wohingegen "die Caritas und die katholischen Kindergärten weitgehend ungeschoren von den Kürzungsabsichten bleiben sollen". Erzbischof Stefan Heße erklärte dazu, "[e]in eigenes Kirchengebäude sei keine grundlegende Bedingung für das Gebet und den Gottesdienst". Was er damit vermutlich eigentlich meint, ist, dass Gebet und Gottesdienst keine grundlegende Bedingungen für den Einzug der Kirchensteuer sind. -- Im Ernst: Eine Kirche, die vergessen hat, dass ihr gesamtes Handeln, auch das soziale und kulturelle, im Gottesdienst verankert sein und aus diesem gespeist werden muss, ist eine Kirche, die ihr Selbstverständnis als Glaubensgemeinschaft aufgegeben hat und sich nur noch als zivilgesellschaftliche Institution sieht. Man könnte zwar meinen, auch so gäbe es an einem sozialen Brennpunkt wie Einswarden noch genug für sie zu tun, aber das ist ein Thema für sich. Ganz ehrlich gesagt bin ich auch der Meinung, eine Kirche, die so sehr vergessen hat, wozu sie eigentlich da ist, sollte das sozial-karitative Engagement lieber auch anderen Organisationen überlassen. Zum Beispiel der örtlichen Moscheegemeinde. Die soll ja, wie ich höre, recht aktiv sein. 

Natürlich stimmt mich die Profanierung ausgerechnet dieser Kirche vor allem deshalb traurig, weil ich erst in den Sommerferien selbst vor Ort war und ausgiebig Luftschlösser in Hinblick darauf gebaut habe, was man da alles machen könnte. Aber sehen wir die ganze Angelegenheit mal nicht zu negativ: Endgültig ist noch nichts verloren. Solange es kein konkretes Nachnutzungskonzept gibt, wird auf dem Grundstück, rein äußerlich betrachtet, wohl erst einmal alles so bleiben, wie es schon seit Jahren war. Die Nebengebäude um die Kirche herum könnte man zwar theoretisch abreißen und dort einen Parkplatz anlegen oder was weiß ich (was zwar schade um das Gebäudeensemble wäre, aber hey, that's life), das eigentliche Kirchengebäude allerdings ist denkmalgeschützt. Angesichts der eingeschränkten Möglichkeiten der "Umnutzung" ("Nach dem Verständnis der katholischen Kirche bieten sich als Nutzungen für profanierte Kirchen unter anderem Begegnungsräume, Urnenbegräbnisstätten oder auch kulturelle Verwendungen an. Umbauten zu Diskotheken, Moscheen oder Einkaufszentren verbieten sich", erklärt Horst Lohe den Lesern der NWZ) erscheint es auch fraglich, ob sich ein Kaufinteressent für die Kirche finden würde. Bis auf Weiteres kann also davon ausgegangen werden, dass das entwidmete Gotteshaus so stehen bleibt, wie es steht, und wenn der kirchenpolitische Wind irgendwann mal wieder aus einer anderen Richtung weht, könnte man die Kirche ja von neuem weihen. Hat's alles schon mal gegeben. So gesehen ist die Profanierung, gemessen daran, dass die Kirche bereits seit Jahren ungenutzt und zugesperrt war, nicht unbedingt ein Beinbruch. Ärgerlich ist aber die Geringschätzung gegenüber dem Standort Einswarden, die aus der ganzen Vorgehensweise spricht. Als St. Josef in Rodenkirchen profaniert wurde, kam immerhin der Bischof -- der Regionalbischof Wilfried Theising, um genau zu sein. Diesmal hat er den örtlichen Pfarrer beauftragt, die Profanierung selbst durchzuführen, und das Ganze findet an einem Werktag statt, quasi auf den letzten Drücker kurz vor Ende des Kirchenjahres. 

Aus der Distanz betrachtet erscheint diese nonchalante "Abwicklung" des Standortes Herz Jesu Einswarden als konsequenter Endpunkt einer jahrelangen Entwicklung: Im Jahr 2010 wurde die bis dahin eigenständige Pfarrei Herz Jesu mit St. Willehad zusammengelegt, und seitdem, so scheint es, wurde der Einswarder Gemeindeteil zunehmend stiefmütterlich behandelt. In einem Presseartikel von 2007 hieß es noch, in Herz Jesu verwirkliche sich "Weltkirche im Kleinen": "Zu den Gläubigen [...] gehören alt gewordene Vertriebene, Spätaussiedler aus Polen und der ehemaligen Sowjetunion sowie Asylbewerber". "In unserem Gottesdienst versammeln sich bis zu 30 Nationen", wird der damalige Pfarrer Alfons Kordecki zitiert. Wo sind die heute alle hin? In der Sonntagsgemeinde von St. Willehad, so wie ich sie in den letzten Jahren wahrgenommen habe, bildet sich eine solche Diversität jedenfalls nicht ab. Ein bezeichnendes Erlebnis war es für mich, als der Pfarrer von St. Willehad im letzten Sommer meiner Liebsten und mir eine junge Frau aus Madagaskar und eine von der Elfenbeinküste stammende Mutter zweier kleiner Kinder als "unsere afrikanischen Mitchristen" vorstellte. Die Botschaft war, wenn auch sicher unbeabsichtigt, deutlich: Gemeindemitglieder mit Migrationshintergrund gibt es, man bemüht sich auch einigermaßen, sie ins Gemeindeleben einzubinden, aber so ganz werden sie doch nicht zum "Wir" der Gemeinde gezählt, sondern bilden eine Kategorie für sich. (Das ist wohlgemerkt nichts, was ich speziell dieser Gemeinde oder diesenmPfarrer ankreiden möchte. Es ist vielmehr ein weit verbreitetes Problem. "Bei uns" z.B. werden Obdachlose, Tätowierte oder psychisch Kranke nicht zum "Wir" der Gemeinde gezählt.) 

Jedenfalls: Wenn ich es mir recht überlege, könnte es im Grunde durchaus im allseitigen Interesse liegen, für Herz Jesu Einswarden, wie ich es schon einmal angedacht habe, eine ähnliche Lösung zu finden wie für St. Clemens in Berlin-Kreuzberg; also eine Kombination aus privater Trägerschaft für die Immobilie und seelsorgerischer und sakramentaler Betreuung durch eine ausländische Ordensgemeinschaft. Auf diese Weise würde St. Willehad nicht nur den Kirchenstandort im sozialen Brennpunkt los, sondern die dazugehörige Gemeinde gleich mit... 



Montag, 25. November 2019

Kaffee & Laudes - Das Wochen-Briefing (34. Woche im Jahreskreis)

Was bisher geschah: Am Montagnachmittag, während die Liebste mit dem Kind und den Omas im Schwimmbad war, unternahm ich eine "kleine" Büchertour, d.h. ich beschränkte mich auf eine Büchertausch-Anlaufstelle, nämlich diejenige am Centre Français. Wie zumeist diente die Büchertour mir vor allem dazu, Bücher loszuwerden, diesmal in erster Linie solche aus meinen privaten Beständen -- 18 Stück, dazu fünf aus verschiedenen Quellen, die ich gelesen und für nicht behaltenswert befunden hatte. Aber natürlich fand ich im Gegenzug auch wieder einige interessant erscheinende Bücher, die ich mitnahm. Am Dienstag unternahm ich mit dem Kind einen Ausflug zur KiTa unserer Nachbarpfarrei St. Rita, um dort eine rosa Gitarre zu kaufen, die von dem Trödelmarkt übrig geblieben war, den die KiTa am Wochenende veranstaltete. Zurück zu Hause, begann ich zur Freude meiner Tochter gleich damit, Gitarrengriffe zu üben. Gar nicht so leicht, aber einer muss es ja tun. Ich habe nämlich einen Deal mit meiner Liebsten: Einer von uns muss Gitarre spielen lernen und der andere nähen. Das hätten wir dann ja wohl geklärt. -- Mittwoch und Donnerstag verliefen ohne besonders herausragende Ereignisse, aber in der Nacht von Donnerstag auf Freitag hielt mich das erkältete und zahnende Kind derart ausdauernd wach, dass ich den ganzen Freitag total in den Seilen hing. Am Samstag hatte ich mich aber wieder so weit erholt, dass ich mit Frau und Kind zum Grundstückspflege-Aktionstag auf dem Kirchengelände antreten konnte. Eigentlich eine schöne Sache - Gardening 4 Jesus und so -, aber ich frage mich doch, ob es nicht möglich sein müsste, das besser zu Organisieren. Hilfreich wäre es auch, wenn nicht die Mehrheit der freiwilligen Helfer um Punkt 12 Uhr alles stehen und liegen ließe und Käffchen trinken ginge. Am Ende blieb ein Großteil der Arbeit an einem kürzlich in Rente gegangenen Betonbauer, meiner Liebsten und mir hängen; zu dritt füllten wir elf große Plastiksäcke mit Herbstlaub, Eicheln und anderen Pflanzenresten. Am Sonntag war volles Programm: Christkönig, Büchertreff und Pfarrgemeinderats- und Kirchenvorstandswahlen. Ich habe ehrlich gesagt nicht die geringste Ahnung, wann und auf welchem Wege die Wahlergebnisse bekanntgegeben werden, aber da es bei der Pfarrgemeinderatswahl nur sechs Kandidaten für acht zu besetzende Sitze gegeben hat, übersteigt es mein Vorstellungsvermögen, was wohl passieren müsste, damit ich nicht reinkomme. Bei der Kandidatur meiner Liebsten für den Kirchenvorstand ist die Lage nicht ganz so eindeutig, aber auch da bin ich optimistisch. 


Was ansteht: Als erster Termin dieser Woche steht heute die Krabbelgruppe auf dem Programm, die nach einigem Hin und Her ab dieser Woche wieder im evangelischen Gemeindehaus stattfinden soll. Sodann ist meiner Liebsten ja nun das Los zugefallen, Nähen lernen zu müssen; daher wäre es theoretisch eine günstige Gelegenheit für sie, am Dienstag nach unserer Lobpreis-Session zum "Aktionsabend Textiles Upcycling" im Baumhaus zu gehen. Schauen wir mal. Unsere Pfarrei verschickt dieses Jahr wieder Weihnachtsgrüße an alle Mitglieder, und am Donnerstag - und zwar vormittags, im Anschluss an die Frühmesse - sollen die versandfertig gemacht werden, wofür noch freiwillige Helfer gesucht werden. Ich denke, als (vermutlich) frisch gekürtes Pfarrgemeinderats-Mitglied sollte ich da wohl Präsenz zeigen, vorausgesetzt, meine Tochter hat keine anderweitigen Pläne mit mir. Und am Samstag fahre ich nach Kiel, um in der dortigen St.-Bonifatius-Gemeinde einen Vortrag über die #BenOp zu halten. Aufregend! In Kiel war ich, wenn ich mich richtig erinnere, zuletzt 1994, zu einem Auftritt mit meiner Band. Wie es dazu kam, ist eine ziemlich lustige Geschichte; ich schätze, die werde ich als Einleitung zu meinem Vortrag verwenden -- und danach vielleicht auch hier verraten. 


aktuelle Lektüre: Meine Leseliste für das zu Ende gehende Kirchenjahr habe ich am Wochenende fertig abgearbeitet und habe nun erst einmal Pause, bevor ich am 1. Advent in eine neue Runde starte. Hier meine abschließenden Bemerkungen zu den drei zuletzt gelesenen Büchern: 

Nachdem ich, wie vorige Woche geschildert, an Gregory A. Thornburys Larry-Norman-Biographie "Why Should the Devil Have All the Good Music?" die Darstellung der Anfänge des "Jesus Movement" Anfang der 70er-Jahre, die das dritte Kapitel des Buches dominiert, besonders spannend fand, wirkt es erst einmal ernüchternd, dass es schon im vierten Kapitel zum Bruch zwischen Larry Norman und dieser Bewegung kommt. Gleichwohl sind die Gründe für diesen Bruch natürlich interessant: Einerseits war Norman zunehmend unzufrieden mit dem Umstand, dass explizit christliche Musik nahezu ausschließlich ein bereits gläubiges Publikum erreichte, andererseits lösten die Covergestaltung und die teilweise kryptischen, kaum explizit religiösen Songtexte seines dritten Solo-Studioalbums "So Long Ago in the Garden" in frommen Kreisen Irritationen aus, es gab Gerüchte, Norman sei vom Glauben abgefallen, nehme Drogen und/oder strebe eine Karriere als säkularer Rockstar an. Bezeichnend für die wachsende Entfremdung zwischen Larry Norman und dem "Jesus Movement" ist eine Interview-Aussage des Musikers von 1974: 
"Die Jesusbewegung war von Anfang an keine Bewegung von der Straße, wie die meisten Leute sie gern gesehen hätten und sie entsprechend beworben haben. [...] Die Wahrheit ist, die meisten dieser jungen Leute kamen aus der Mittelschicht, hatten als Kinder in ihrer Kirche Kontakt zu Jesus,  haben sich später von der Kirche entfernt, und als Teenager haben sie dann zu Jesus zurückgefunden.  Also, die meisten dieser Leute hatten kurze Haare und kamen aus der Mittelschicht, keine Freaks von der Straße, die gerade erst zu Jesus gefunden haben.  
Ich kann nichts dafür, dass die Presse das missverstanden und falsch dargestellt hat. Man verkauft wohl einfach nicht so viele Zeitungen, wenn man schreibt: 'Hey, stellt euch vor, was in Amerika los ist -- ein Haufen netter junger Leute wird noch netter!'" (S. 125f.) 
Im Grunde ist das so, als würde man plötzlich mit dem Gedanken aufwachen "Die Jesusbewegung ist aber auch nicht mehr das, was sie mal war", dann aber noch ein bisschen darüber nachdenkt und zu dem Schluss kommt: "Die Jesusbewegung war noch nie so ganz das, was sie hätte sein sollen". 

Spannend und lesenswert bleibt das Buch aber weiterhin, außerdem hat die Lektüre mich dazu veranlasst, mir diverse Songs von Larry Norman auf YouTube anzuhören, aber dazu vielleicht ein andermal mehr. Tendenziell weniger interessant, jedenfalls mit Blick auf die #BenOp-Relevanz, fand ich die recht breite Schilderung von Interna aus dem christlichen Musikbusiness, etwa Rechtsstreitigkeiten zwischen Bands und Plattenlabels; auf anderer Ebene ist die Darstellung des spannungsreichen Verhältnisses zwischen Larry Norman und dem evangelikalen Establishment aber ausgesprochen aufschlussreich. Ein bemerkenswertes Detail sei noch erwähnt: Larry Norman war ein begeisterter Leser der Werke G.K. Chestertons und steckte auch seinen Schwager Dale Ahlquist mit dieser Begeisterung an -- und der ist heute Präsident der American Chesterton Society

Die zweite Hälfte des Krimi-Sammelbandes "Tatort Tegel", herausgegeben von Horst Bosetzky, ist nicht signifikant besser oder schlechter als die erste; über die wohl meisten Texte der Sammlung kann man sagen, na okay, das zu lesen hat mein Leben jetzt zwar nicht gerade bereichert, aber immerhin auch nicht wesentlich verschlechtert. Von einigen Texten kann man Letzteres jedoch nicht behaupten, und einige - zugegebenemaßen wenige - sind dermaßen beleidigend schlecht, dass man sich fragen muss, aus was für einer finsteren Motivation heraus so etwas überhaupt veröffentlicht wird. -- Und gibt es auch gute? Ja, schon. Bernhard Schlinks nur knapp zweieinhalb Seiten lange Prosaminiatur  "Sommer" ragt in mehrfacher Hinsicht auffallend aus der Sammlung heraus, einmal, weil er von der literarischen Qualität her in einer ganz anderen Liga spielt (daneben verblassen auch die zwei, drei anderen relativ gelungenen Texte der Sammlung), dann aber auch, weil er eigentlich kein Krimi ist: Es wird zwar angedeutet, dass der Ich-Erzähler möglicherweise jemanden getötet hat oder zumindest indirekt für dessen Tod verantwortlich ist, aber alles bleibt in der Schwebe. -- In erster Linie nehme ich dem Band aber immer noch seinen irreführenden Titel übel, ohne den ich mich von vornherein gar nicht für ihn interessiert hätte. Mein Gesamturteil lautet: unnötig. 

Dagegen hat Walter Adolphs "Hirtenamt und Hitler-Diktatur" den Eindruck, das beste der aus dem Nachlass von Pfarrer Silvers fürs Büchereiprojekt abgezweigten Bücher zu sein, eindrucksvoll bestätigt. Als Analyse der Mechanismen totalitärer Herrschaftsformen ist der mit nur 180 Seiten doch recht schmale Band erstaunlich ergiebig, sodass ich ihn hier gar nicht so umfassend würdigen kann, wie er es verdient. Einige Aspekte seien dennoch hervorgehoben: So erklärt Adolph, "allen modernen totalitären Herrschaftssystemen" sei eine Tendenz zur Unterdrückung der Religion eigen, und zwar "nicht aus Willkür, sondern aus dem Zwang, die Menschen, insbesondere die Jugend, pädagogisch so zu formen, daß sie sich absolut zuverlässig [...] der Diktatur unterzuordnen [...] bereit fänden" (S. 53). Mit anderen Worten, die totalitäre Ideologie wird selbst zur Religion, die keine anderen Götter neben sich duldet. Insofern, meint Adolph, ist es dem  deutschen Episkopat schon hoch anzurechnen,  dass es ihm "gelang [...], innerhalb der totalitären Herrschaftsform einen breiten ideologiefreien Lebensraum in den Gemeinden aufrechtzuerhalten" (S. 61). Im besetzten Polen - konkret "[i]m Warthegau, der im Herbst 1939 vom Blut der polnischen Katholiken getränkt war" (S. 80), gingen die Nazis erheblich hemmungsloser gegen die katholische Kirche vor; Adolph zitiert eine Verordnung des Reichsstatthalters Arthur Greiser vom 14.3.1940, die nicht zuletzr deshalb so interessant ist, weil sie in Teilen dem entspricht, was sich so mancher Verfechter der Parole "Religion ist Privatsache!" wohl auch heute wünschen würde. Einige Beispiele:
"1. Es gibt keine Kirchen mehr im staatlichen Sinne,  nur religiöse Kirchengesellschaften im Sinne von Vereinen.  
2. Die Leitung liegt nicht in Händen von Behörden sondern es gibt nur Vereinsvorstände. [...]  
5. Mitglieder können nur Volljährige durch schriftliche Beitrittserklärung werden. Sie werden aber nicht mehr hineingeboren, sondern müssen erst bei Volljährigkeit ihren Beitritt erklären. [...]  
8.  In den Schulen darf kein Konfirmandenunterricht mehr abgehalten werden.  
9. Es dürfen außer dem Vereinsbeitrag keine finanziellen Zuschüsse geleistet werden. [...]  
10. Die Vereine dürfen kein Eigentum wie Gebäude, Häuser, Felder, Friedhöfe haben, außer ihrem Kultraum." (S. 80f.) 
In der zweiten Hälfte des Buches stellt der Verfasser zwei deutsche Bischöfe der NS-Zeit als exemplarische Vertreter zweier unterschiedlicher Auffassungen darüber, wie die Kirche sich dem NS-Staat gegenüber verhalten solle, einander gegenüber: den Erzbischof von Breslau, Adolf Kardinal Bertram, der damals auch Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz war, als Vertreter einer eher kompromissbereiten Haltung, und den Bischof von Berlin, Konrad Graf von Preysing, als Verfechter eines entschieden oppositionellen Kurses. Walter Adolph selbst war damals ein enger Mitarbeiter Preysings, und aus seinen Aufzeichnungen aus den Jahren 1937 bis 1940, die er als Quellentexte heranzieht, spricht eine deutliche Kritik an der Haltung Kardinal Bertrams -- für die er rückblickend gleichwohl um Verständnis wirbt: Der 1859 geborene Bertram habe noch den Kulturkampf der Bismarckzeit miterlebt und sei aufgrund dieser Erfahrung vor einer offenen Konfrontation zwischen Staat und Kirche zurückgeschreckt; intern habe er geäußert, dass er "sich nicht dazu entschließen könne, es dazu kommen zu lassen, daß wieder Gläubige ohne Geistlichen sterben müßten" (S. 102). Zudem sei "[s]eine Bischofspersönlichkeit [...] in der Zeit des Kaiserreiches und der Weimarer Republik geformt worden": "Als Hitlers Diktatur begann, trug Kardinal Bertram bereits 27 Jahre den Hirtenstab." Es sei "fraglich, ob er die abgrundtiefe Verdorbenheit der Hitler-Diktatur und ihren Machtmechanismus durchschaute", meint Adolph: "Ihm blieb wohl das Verständnis für die [...] Dynamik der totalitären Herrschaftsform verschlossen" (S. 176). Ich habe die vage Ahnung, es werden Zeiten kommen, da wird man Ähnliches auch über manche heutigen Kirchenvertreter sagen... 


Dass geschiedene Eltern sich darüber streiten, was das Beste für ihr Kind sei, ist sicherlich nicht ungewöhnlich. Aber dass sie sich darüber streiten, welches Geschlecht ihr Kind haben sollte? Nun, möglicherweise ist auch das nicht ganz so selten, wie man annehmen sollte. Chad Pecknold verweist auf den Fall des 7-jährigen James Younger, über den Madeleine Kearns im National Review ausführlich berichtet hat: Die Mutter des Jungen meint, er sei transgender und solle als Mädchen heranwachsen "dürfen", der Vater dagegen meint, die Mutter habe dem Jungen den Wunsch, ein Mädchen zu sein, bloß eingeredet. Pecknold argumentiert, der Fall beleuchte die grundsätzliche Fragwürdigkeit einer Transgender-Ideologie, die es nicht nur als legitim, sondern geradezu als geboten betrachtet, Geschlechtsdysphorie bei Kindern durch zunächst hormonelle und dann auch chirurgische Geschlechtsumwandlung zu "behandeln".

Die Römische Kleruskongregation hat den Plänen des Bistums Trier, die Zahl seiner Pfarreien durch großflächige Zusammenlegungen von jetzt 887 auf 35 (!!) zu reduzieren, per Dekret vorerst einen Riegel vorgeschoben. Die Freude darüber ist indes nicht ungeteilt: Wie beispielsweise die SZ "[d]irekt aus dem dpa-Newskanal" berichtet, reagiert "der Katholikenrat im Bistum Trier" mit "Erschrecken und Unverständnis". Ich will gar nicht groß erörtern, wer eigentlich dieser Katholikenrat ist, was für Leute da drin sitzen und woher die ihre Legitimation nehmen, geschweige denn, woher sie so einen guten Draht zur Presse haben; vielmehr empfehle ich, den Artikel einfach zu genießen. Schon rein sprachlich ist die Stellungnahme des Katholikenrates nämlich jenseits der Parodierbarkeit. "Schade, dass wir jetzt auf die Bremse treten müssen. Wir bitten alle, die sich voller Tatendrang auf den zukunftsfähigen Weg unserer Trierischen Kirche gemacht haben, nicht den Wagenstopp zum Anlass zu nehmen, auszusteigen." So reden Leute, die ihre kirchliche Sozialisation so gut wie ausschließlich in Form von NGL-Liedtexten erhalten haben. 


Heilige der Woche: 

Heute, Montag, 25. November: Hl. Katharina von Alexandrien, Jungfrau und Märtyrerin. Der Überlieferung zufolge überzeugte sie in einer öffentlichen Disputation 59 heidnische Philosophen, die sie auf Befehl des römischen Kaisers Maxentius oder Maximinus vom Christentum abbringen sollten, von der Wahrheit ihres Glaubens und wurde wegdn ihrer Weigerung, dem Christentum abzuschwören, gefoltert und hingerichtet. Ihre Reliquien befinden sich in einem Kloster auf dem Sinai; aus ihrem Sarkophag fließt unaufhörlich ein heilkräftige Öl. Tante Wiki meint (unter Berufung auf den "heutige[n] Forschungsstand", versteht sich), die Legende der Hl. Katharina sei "vermutlich nach der Persönlichkeit und dem Schicksal der spätantiken, von Christen ermordeten Philosophin Hypatia [...] konstruiert" worden: "Dabei wurden die Rollen von Christen und Heiden vertauscht." Na klar. Das könnte euch so passen, ihr Heiden. 

Dienstag, 26. November: Hll. Konrad und Gebhard, Bischöfe von Konstanz. Konrad (ca. 900-975) stand dem 1821 aufgelösten Bistum am Bodensee von 937 bis zu seinem Tod vor, er ließ mehrere Kirchen und ein Hospital erbauen und brachte von einer Pilgerreise nach Jerusalem Reliquien des Heiligen Kreuzes mit nach Konstanz. Sein Neffe Gebhard II. (949-995) wurde 979 sein zweiter Nachfolger, widmete sich besonders der Armenfürsorge und der Förderung des Bildungwesen und gründete das Benediktinerkloster Petershausen

Samstag, 30. November: Hl. Andreas, Apostel und Märtyrer. Bruder des Simon Petrus und wie dieser Fischer am See Gennesaret; dem Johannesevangelium zufolge war er zunächst ein Anhänger Johannes des Täufers und wurde von Jesus als erster der Zwölf Apostel berufen. Laut außerbiblischer Überlieferung verkündigte er den Glauben in der heutigen Türkei und auf dem Balkan und erlitt um das Jahr 60 in Patras auf der Peloponnes das Martyrium. Seine Gebeine wurden im Jahr 375 nach Konstantinopel übertragen; die orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel betrachten sich als seine Nachfolger.


Aus dem Stundenbuch: 

Erneuere die Zeichen, wiederhole die Wunder, * zeige die Macht Deiner Hand und die Kraft Deines rechten Armes! (Sir 36,6f.


Sonntag, 24. November 2019

Buchtipps für BenOpper (für den Weihnachts-Wunschzettel)

So, Freunde: Seit Beginn meiner Artikelserie "Kaffee & Laudes", mithin seit der ersten Woche der Fastenzeit und also in einem Zeitraum von rund achteinhalb Monaten, habe ich 63 Bücher gelesen -- fünf davon allerdings nicht zu Ende: Bei zweien einigen habe ich die Lektüre entnervt abgebrochen, bei zwei anderen habe ich das Weiterlesen auf unbestimmte Zeit vertagt (ich räume ein, dass das nur ein gradueller Unterschied ist), und in einem Fall ist mir das Buch, bzw. die Tasche, in der es sich befand, geklaut worden; darauf komme ich noch zurück. Aus den mithin 58 Büchern, die ich im genannten Zeitraum vollständig gelesen habe, habe ich nun - hoffentlich noch rechtzeitig, ehe das große Weihnachtsgeschenke-Shoppen in die heiße Phase geht - eine Hitliste von 25 Büchern erstellt, die ich insbesondere denjenigen meiner Leser empfehlen möchte, die daran interessiert sind, in ihrer Kirchengemeinde, ihrer Nachbarschaft oder ihrem Garten eigene "Benedikt-Options"-Initiativen zu starten (oder bereits damit begonnen haben); auch und nicht zuletzt aber solchen, die noch keine rechte Vorstellung davon haben, wie solche Initiativen bzw. Projekte konkret aussehen könnten. 

Hier nur eine Auswahl; nicht im Bild sind z.B. - aus technischen Gründen - eBooks. 

Das "Ranking" dieser 25 Bücher - ob ein bestimmtes Buch auf Platz 3 oder auf Platz 21 auftaucht - soll daher kein allgemeines Qualitätsurteil über das jeweilige Buch darstellen, sondern lediglich ein Urteil über den Grad seiner "#BenOp-Relevanz". Auch da ist meine Einschätzung selbstverständlich subjektiv gefärbt, aber ich werde jeweils ein paar Worte zur Begründung sagen. Von vornherein nicht in die Liste aufgenommen wurden Bücher, die ich schon früher gelesen hatte und an die ich mich noch gut genug erinnerte, dass die erneute Lektüre keine nennenswerten neuen Erkenntnisse brachte (dieser Regel fielen etwa Stefan Austs "Der Baader Meinhof Komplex" und Adrian Plass' "Tagebuch eines frommen Chaoten" zum Opfer), Bücher, die ich in die Kategorie "Klassiker der Weltliteratur" einordnen würde (wie etwa "Porträt des Künstlers als junger Mann" von James Joyce, "Manhattan Transfer" von John Dos Passos oder auch "Jane Eyre" von Charlotte Brontë); und natürlich Bücher, die ich trotz interessanter Einzelaspekte im Großen und Ganzen einfach doof fand (das waren nicht wenige, deutlich mehr als erwartet jedenfalls). Herausgekommen ist jedenfalls die folgende Liste-- die ich, um es spannend zu machen, in aufsteigender Reihenfolge vorstellen möchte: 



Okay, ich muss zugeben: Dass dieses Buch in den Top 25 gelandet ist, hat mich selbst ein bisschen überrascht. Es ist ein schönes, unkonventionelles, sehr lesenswertes Jugendbuch; aber die ##BenOp-Relevanz ist nicht so ohne Weiteres ersichtlich. Na gut, in der ersten der sieben Geschichten spielt ein Hippie, der in seinem Auto wohnt, eine zentrale Rolle, und der trägt eine Halskette mit einem Kreuzanhänger, das muss reichen. -- Nein, im Ernst: "Lieber Bill..." hätte es wohl nicht auf diese Liste geschafft, wenn sich nicht so viele andere Bücher von meiner Leseliste als absolut enttäuschend erwiesen hätten; aber ich gönne ihm diesen Erfolg. Das Schöne an dem Buch ist seine tiefe Sympathie für Außenseiter, Exzentriker, nonkonformistische Charaktere. Und ich denke, wenn ein Buch die Botschaft vermittelt "Es ist okay, 'anders' zu sein", ist das - gerade  bei einem Jugendbuch - durchaus eine #BenOp-relevante Qualität. In gewisser Weise - und zwar auf eine unaufdringliche, unpeinliche Weise - ist das Buch damit auch zutiefst moralisch. -- Erwähnen sollte ich wohl auch noch, woher ich dieses Buch habe; nämlich aus den privaten Beständen meiner Liebsten. Man bekommt es - wie übrigens auch einige andere der in dieser Rangliste noch folgenden Titel - nur noch antiquarisch, aber wie es aussieht, sind im Online-Buchhandel durchaus einige Exemplare zu haben



Bei dieser ethnographischen Studie über das ostafrikanische Volk der Tugen - einem Fundstück aus der Büchertelefonzelle auf dem Letteplatz in Reinickendorf - ist die #BenOp-Relevanz wohl ebenfalls nicht unbedingt offensichtlich. Ich würde diese Relevanz jedoch an drei Punkten festmachen: 1. Die radikale Fremdheit der Kultur der Tugen stellt die vermeintliche Selbstverständlichkeit der in unserer Kultur gültigen Regeln und Anschauungen infrage; 2. Man lernt etwas über die Bedeutung von Tradition und Ritualen für den Zusammenhalt einer Gesellschaft; 3. ist die ungeschönte Darstellung des Lebens der Tugen aber auch geeignet, dem Leser eventuelle romantisch-primitivistische Phantasien über glückliche Naturvölker und edle Wilde auszutreiben, wie sie ja gerade anlässlich der Amazonas-Synode mal wieder im Schwange gewesen sind



Ein Gedichtband, den mir der Mann der Autorin - den ich über Facebook kennengelernt habe - per Post hat zukommen lassen. Betty Quasts Gedichte zeichnen ein dystopisches Bild einer hochtechnisierten und funktionalistischen Zivilisation, die den Menschen des Kontakts zu seinen natürlichen Lebensgrundlagen beraubt. Eingeschoben sind kleine Science-Fiction-Geschichten, die die Autorin als Kind im Grundschulalter verfasst hat, mit typisch kindlichen Eigentümlichkeiten in Rechtschreibung und Satzbau und einem postapokalyptischen Grundton, der einerseits auf die Zeit des Waldsterbens und des atomaren Wettrüstens verweist, andererseits aber auch heute (Klimakatastrophe!) wieder sehr aktuell wirkt. Die Autorin ist ungefähr so alt wie ich. Ein sperriges, oft irritierendes, anregendes Buch. 



Wiederum ein Fundstück aus einer Büchertelefonzelle; wenn ich mich richtig erinnere, war es die beim Centre Français im Wedding. Ein satirischer Roman, der glücklicher-, wenn auch unverdienterweise gerade noch unbekannt genug ist, um nicht unter das Ausschlusskriterium "Klassiker der Weltliteratur" zu fallen. Worum geht's? In einer aus Sicht der Entstehungszeit des 1936 erstveröffentlichten Romans  nicht mehr fernen Zukunft entdeckt ein Schiffskapitän in einer Bucht in der Südsee eine zuvor unbekannte Spezies von Riesenmolchen, die sich als erstaunlich lernfähig erweisen, sich über die ganze Welt ausbreiten und eine Zivilisation aufbauen, die bald mit der menschlichen in Konflikt gerät. -- Dieser Roman besticht nicht nur durch seinen grotesken Witz, sondern übt zudem in satirischer Überzeichnung hellsichtige und ausgesprochen ernstzunehmende Medien-, Kapitalismus- und allgemein Zivilisationskritik, und wem das noch nicht #BenOp-relevant genug ist, der findet in dem Buch auch ein paar explizit religiöse Äußerungen.



Gefunden auf einer der, wie es scheint, letzten noch intakten "Moabiter Bücherbänke": ein Roman, der, jedenfalls laut Verlagswerbung, für sich in Anspruch nimmt, "kein reines Phantasieprodukt" zu sein. Das mag zu einem gewissen Grad zutreffen. Es geht in diesem Roman um einrn kommunistischen Geheimdienstoffizier, der sich undercover in ein orthodoxes Priesterseminar einschleusen lässt, mit dem Fernziel, möglichst Bischof werden zu sollen. Der brutale Zynismus, der die Hauptfigur über den größten Teil der Handlung hinweg auszeichnet, macht die Lektüre zuweilen schmerzhaft: aber als wenn auch fiktionale, so doch in wesentlichen Punkten wohl nicht unrealistische Schilderung des Kampfes eines kommunistischen Staatsapparats gegen das Christentum ist das Buch äußerst interessant -- vor allem, weil es darstellt, wie sehr der totalitäre Staat die Kirche als Gegner fürchtet und dass er das zu Recht tut. Weil die Macht der Kirche buchstäblich nicht von dieser Welt ist und die Macht des Staates daher letztlich kein Mittel gegen sie hat. -- Der Schluss des Romans, der überraschende Plottwist auf den letzten Seiten, gefällt mir nicht. Aber das ändert nichts daran, dass das Buch im Ganzen ausgesprochen lesenswert ist.  

Odd ones out, wie der Angloamerikaner sagt; und nun zu den Top 20! 



Aus dem Nachlass des kürzlich verstorbenen Pfarrers Michael Silvers: Anhand dokumentarischer Quellen wie etwa Auszügen aus Presseartikeln, aus Hirtenbriefen deutscher Bischöfe, öffentlichen Bekanntmachungen von staatlicher und kirchenamtlicher Seite, Schriftwechsel zwischen staatlichen und kirchlichen Dienststellen, Statistiken u.a. zeigt der Autor auf, wie das NS-Regime zunächst die (bis 1933 sehr umfangreiche) katholische Tagespresse und dann auch das kirchliche Zeitschriftenwesen unterdrückte, gleichschaltete und schließlich ausschaltete und wie die Kirche sich - letztlich vergeblich - dagegen zur Wehr zu setzen versuchte. Das erklärte Bemühen des Autors, die Kirche von jedem Vorwurf der Kollaboration oder des Appeasement gegenüber dem Regime freizusprechen, und der pathetische Tonfall, den er dabei zuweilen anschlägt, können ganz schön nerven, aber die Quellentexte sind sehr aufschlussreich -- und das auch nicht nur aus rein historischem Interesse: Vielmehr bin ich überzeugt, dass man aus den Erfahrungen der Kirche in der NS-Zeit mutatis mutandis auch für die Gegenwart und absehbare Zukunft manches lernen kann, was den Umgang mit christentumsfeindlichen Ideologien und deren Totalitätsansprüchen betrifft.  



Habe ich mir als eBook gekauft, nachdem ich via Twitter darauf aufmerksam geworden bin. Kein typischer Erziehungsratgeber, sondern eher ein temperamentvoller und zuweilen hochkomischer Erfahrungsbericht über den Umgang mit der Herausforderung, mitten in dem unvermeidlichen Chaos, das das Alltagsleben mit kleinen Kindern so mit sich bringt, Raum für den Glauben zu schaffen -- für sich selbst und für die Kinder. Das Autoren-Ehepaar hat selbst vier Kinder und kann daher in puncto Erfahrung aus dem Vollen schöpfen. In der zweiten Hälfte lässt das Buch für mein Empfinden vorübergehend etwas nach - die ganzen Tipps zur familiengerechten Gestaltung von Namenstagen, Advents-, Weihnachts- und Osterzeit hätten meinetwegen nicht sein müssen (für sowas gibt's doch Zeitschriften!) -, aber ich möchte nicht ausschließen, dass es Leser gibt, die gerade diese Passagen besonders zu schätzen wissen werden. 



Ein gegen Spende erworbenes Mitbringsel vom Büchertisch beim Forum Altötting. Dass die 1923 selig-, 1925 heiliggesprochene und 1997 zur Kirchenlehrerin ernannte "kleine Heilige Therese" auch Theaterstücke verfasst hat - nämlich zum Zweck der Aufführung im Rahmen von Feiern in ihrem Kloster -, dürfte wenig bekannt sein; auch ich wusste es nicht, ehe ich dieses schmale Bändchen in die Hand bekam. Die Qualität der acht zwischen 1894 und 1897 entstandenen Stücke würde ich zwar als ausgesprochen durchwachsen bezeichnen - ihren Charakter als "Gelegenheitsdichtung" merkt man ihnen recht deutlich an, zum Teil haben sie eine bedenkliche Nähe zu frommem Kitsch oder sind zumindest allzu stark dem Zeitgeschmack verhaftet -, aber in Hinblick auf ihren geistlichen "Gehalt"(ein besserer Ausdruck fällt mir nicht ein) sind die Stücke durchaus bemerkenswert, und einige von ihnen sind auch dramaturgisch auf reizvolle Weise unkonventionell. -- Als studierter Theaterwissenschaftler habe ich schon vor Jahren mal einige Überlegungen dazu, "das geistliche Theater neu zu erfinden", notiert, habe Listen mit Stücken erstellt, die für ein solches Ansinnen interessant wären; auf einer solchen Liste hätten die Stücke der Hl. Thérèse - oder jedenfalls einige von ihnen - definitiv Platz. Ich könnte mir sogar - mutatis mutandis vergleichbar mit Brechts "Lehrstück"-Konzeption - vorstellen, dass bereits die Einstudierung der Stücke, unabhängig davon, ob es zu einer Aufführung kommt oder nicht, der katechetischen Unterweisung der Mitwirkenden dienen könnte. Das wäre doch vielleicht mal was für einen Firmkurs... 



Dieses Buch wäre beinahe der oben erwähnten Regel zum Opfer gefallen, derzufolge Bücher, die ich schon länger kannte, nicht für die Rangliste qualifiziert sind, denn ich hatte es bereits in den Tagen unmittelbar vor und nach der Geburt meiner Tochter einmal gelesen (meine Mutter hatte es meiner Liebsten ein paar Monate zuvor zum Geburtstag geschenkt). Ich habe aber beschlossen, hier eine Ausnahme zu machen, da ich dieses Buch bei der erneuten Lektüre aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet habe. Die Grundidee des Buches ist es, frischgebackenen Eltern praxiserprobte, nicht selten durch Improvisation entstandene Alltagstricks an die Hand zu geben, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, dass sie schnell, einfach, ohne besondere Voraussetzungen und ohne viel Geld realisierbar sein müssen. Dazu gehört zum Beispiel die Zweckentfremdung von Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs (das Prinzip lautet: Kauf nicht teure Spezialprodukte, die nur für exakt einen Zweck zu gebrauchen sind, wenn Produkt X, das du sowieso im Haushalt hast, diesen Zweck - und noch zahlreiche andere - genauso gut erfüllt), aber auch Tipps für Vorratshaltung, Zeit- und Raummanagement. Und bei der wiederholten Lektüre des Buches ist mir aufgefallen, dass man die Grundprinzipien, auf denen die 134 darin zusammengetragenen Tipps und Tricks basieren, nicht bloß auf Haushalt und Familie anwenden kann, sondern etwa auch auf Aktivitäten in der Kirchengemeinde oder sonstige #BenOp-Projekte. Der Phantasie sind da kaum Grenzen gesetzt. 



Ein Buch, das meine Liebste sich schon vor längerer Zeit - unter dem Eindruck der MEHR 2018, wenn ich mich richtig erinnere - als eBook gekauft und mir wärmstens empfohlen hatte. Im Kern geht es in diesem Buch um eine Wiederentdeckung des vermeintlich unzeitgemäßen Konzepts "Gottesfurcht" -- ein Bekenntnis zur Größe, Heiligkeit und Anbetungswürdigkeit Gottes, verbunden mit einer klaren Absage an eine Pastoral, die Gott verharmlost und verniedlicht. Das spricht mich sehr an, und das Buch hätte leicht noch eine höhere Platzierung erreichen können, wenn Hartl nicht so oft und ausgiebig von diesem Thema abschweifen würde. (Manch ein Leser mag es als ironisch empfinden, dass ausgerechnet ich Kritik an Abschweifungen äußere; "but there it is", wie der Angloamerikaner sagt.) Wobei man andererseits auch wieder einräumen muss, dass die diversen Exkurse zu Apologetik, biblischer Philologie, zur Theodizeefrage, zur Auseinandersetzung mit der Philosophie der Aufklärung usw. an und für sich durchaus interessant sind, sie hätten nur für mein Empfinden nicht unbedingt in dieses Buch hineingehört. Aber okay, andere Leser empfinden das vielleicht anders. 


Platz 15: Wladimir Debogory-Mokriewitsch, "Erinnerungen eines Nihilisten" 

Ein wahres Juwel, das ich auf meiner allerersten "Büchertour" Mitte Juni aufgegabelt habe, und zwar in der Büchertelefonzelle am Centre Français. Es handelt sich um die Memoiren eines, wenn man so will, verhinderten russischen Revolutionärs aus den 1870er-Jahren; die Schilderung politischer Agitation und konspirativer Untergrundtätigkeit, bei der am Ende so gut wie nichts herauskommt, hat stellenweise durchaus seine unfreiwillig tragikomischen Züge, aber zugleich macht gerade das dieses Buch interessant und lehrreich, etwa in Hinblick auf konspirative Organisationsformen, aber auch auf deren Risiken, bis hin zum Abdriften in den Terrorismus. In der zweiten Hälfte des Buches schildert der Autor seine Verbannung nach Sibirien und seine Flucht von dort, und auch dieser Teil ist, etwa was das Thema "kollektive Selbsthilfe" angeht, ausgesprochen anregend. Zum Schluss zieht der Autor ein von Ernüchterung geprägtes Fazit der revolutionären Bewegungen der 1870er- und 80er-Jahre in Russland.


Platz 14: Erik Neutsch, "Spur der Steine" 

Ein weiteres Fundstück aus einer Büchertelefonzelle: Der wohl prototypische Industrieroman der DDR, bekannt geworden nicht zuletzt durch die Verfilmung, die in der DDR allerdings verboten wurde. Dem Buch selbst blieb dieses Schicksal erspart. Tatsächlich lässt der Verfasser zwar keinen Zweifel daran, dass er - ebenso wie die positiven Identifikationsfiguren unter seinen Romancharakteren - das Anliegen, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, voll und ganz unterstützt, aber er sieht eben auch die Probleme und ist in deren Darstellung so ehrlich, dass es aus propagandistischer Sicht unbequem wird. Das macht diesen Roman zu einem eindrucksvollen Zeitdokument; aber wo kommt da nun die #BenOp-Relevanz her? Nun, zunächst einmal drängte sich mir bei der Lektüre der Eindruck auf, dass die Kirche in ihrer Eigenschaft als bürokratische Institution eine gewisse Ähnlichkeit mit der DDR hat. Wenn man diesen Gedanken im Hinterkopf behält, ergeben sich zahllose Gelegenheiten, den Roman ausgiebig gegen den Strich zu lesen. Hinzu kommt, dass die Irrtümer des Sozialismus zumindest in der historischen Rückschau umso deutlicher zutage treten, wenn man sie aus der Sicht eines Autors geschildert bekommt, der an sie glaubt und sie zu verteidigen sucht. Dann kann man auch feststellen, dass die falschen Voraussetzungen dieser Ideologie zumindest teilweise auch im Woke Capitalism unserer Tage noch weiterwirken. Ja, zu einem gewissen Grad ist der Kapitalismus sogar besser geeignet, die Visionen des Sozialismus zu verwirklichen, als der Sozialismus selbst; der entscheidende Punkt ist aber, dass die Vision falsch ist.


Platz 13: Johann Baptist Metz, "Jenseits bürgerlicher Religion" 

Dieses Buch war eine Spende für das Büchereiprojekt, und da ich mir unter diesem Titel unschwer sowohl etwas ganz Großartiges als auch etwas ganz Grässliches vorstellen konnte, nahm ich es erst einmal mit nach Hause, um es kritisch unter die Lupe zu nehmen. Es handelt sich um einen Sammelband mit sieben Vorträgen des Autors, von denen einer aus dem mythischen Jahr 1968 stammt, die anderen aus den Jahren 1978-80; ich finde sie durchaus nicht alle gleichermaßen interessant, aber insgesamt finde ich doch, dass es ein höchst bemerkenswertes Buch ist. Was durchaus nicht heißt, dass ich daran nichts zu kritisieren hätte. Natürlich ist Metz ein "Linker". Natürlich hat er seinen Marx gründlich studiert, schwärmt von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie und erweckt zeitweilig den Eindruck, geradezu stündlich den Zusammenbruch der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu erwarten. Und seine Vision einer "Basiskirche" hat so manche Züge an sich, mit denen ich ganz und gar nicht einverstanden bin. Aber selbst in solchen Passagen wirkt Metz immer noch klüger, interessanter und anregender als andere, die ähnliche Positionen vertreten wie er. Übrigens ermöglicht auch der zeitliche Abstand von rund 40 Jahren einen klareren Blick darauf, wo Metz einfach falsch lag und wo seine Thesen auch heute noch, oder heute mehr denn je, diskutiert zu werden verdienen. Mein persönliches Highlight des Bandes ist ein Vortrag, den Metz 1980 bei einer Veranstaltung mit dem bezeichnenden Namen "Katholikentag von unten" gehalten hat. Wie er da den versammelten Möchtegern-Revoluzzern - wenn auch natürlich diplomatisch durch die Blume - vorhält, dass ihr Kirchenbild im Grunde durch und durch bourgeois ist, dass ihre Kirchenkritik im Wesentlichen bloß Hierarchiekritik ist, dass sie aber, wenn sie die Kirche wirklich von der Basis her reformieren wollten, erst einmal bei sich selber anfangen müssten: Das ist ganz großes Kino. Und im Kern ja auch ziemlich #benOppig. Er zitiert in diesem Zusammenhang Lenin: "Wenn deutsche Revolutionäre einen Bahnhof besetzen, kaufen sie sich erst einmal eine Bahnsteigkarte." Das hat mir gefallen.


Platz 12: Alex Garland, "The Beach" 

Das sieht auch eher nach einer ungewöhnlichen Wahl für diese Liste aus, oder? Ich habe das Buch aus einer Büchertauschkiste in einem Café an der Schönhauser Allee gezogen und hatte geradezu irrational hohe Erwartungen an die Lektüre -- die bemerkenswerterweise gar nicht mal so sehr enttäuscht wurden. Die #BenOp-Relevanz, die ich mir - nicht zu Unrecht, wie sich gezeigt hat - von diesem Roman versprochen bzw. erhofft habe, liegt in der Darstellung der Risiken und Nebenwirkungen des Versuchs, eine utopische Gemeinschaft zu erschaffen. Der zentrale Punkt der Story ist die Gratwanderung der scheinbar idyllischen Strandkommune zwischen Geschlossenheit und Offenheit; das ist eine Herausforderung für jede Art von Gemeinschaft, und der Roman zeigt auf drastische Weise, wie so etwas schiefgehen kann.


Platz 11: John Fischer, "Und Gott schuf Ben" 

Diesen Fund aus der Büchertelefonzelle am Letteplatz möchte ich als einen geradezu unrealistischen Glücksgriff bezeichnen: Wer rechnet schon damit, an einem solchen Ort ein explizit christliches Jugendbuch vorzufinden? Auf einer eher oberflächlichen Ebene handelt es sich um die unterhaltsame, etwas nostalgische (da in den 1950er-Jahren spielende) Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Jungen in einer Vorstadtsiedlung, die mit Modellautos spielen, Zeitungen austragen und elaborierte Streiche aushecken. Nur sind diese beiden Jungen der Sohn des Kirchenmusikers und der Sohn des neuen Pastors einer evangelikalen Gemeinde, ihre Streiche spielen sich in der Kirche ab und sind darauf ausgerichtet, die selbstzufriedene religiöse Routine der Gemeinde zu erschüttern. Als sich herausstellt, dass einer der beiden Jungen - nämlich Ben - einen angeborenen Herzfehler hat und unter anderem deshalb mit Gott hadert, gewinnt der Roman eine unerwartete Tiefe. -- Der Autor war in einem früheren Leben - Ende der 60er, Anfang der 70er - einer der Pioniere der christlichen Rockmusik (neben Larry Norman, siehe unten); zur Handlungszeit dieses Romans war er ungefähr so alt wie seine beiden Protagonisten, was die Vermutung nahelegt, dass eigene Kindheitseinnerungen in das Buch eingeflossen sein mögen -- vielleicht nicht auf der Ebene konkreter Ereignisse, aber hinsichtlich der Schilderung der spießbürgerlichen Enge und "Gesetzlichkeit" der dargestellten Kirchengemeinde. Dass den zugeknöpften Evangelikalen eine warmherzige katholische Seniorin als positive Kontrastfigur gegenübergestellt wird, finde ich natürlich ganz und gar entzückend.

Und schon sind wir in den Top 10 angekommen!


Platz 10: Wolfgang Knauft (Hg.), "Miterbauer des Bistums Berlin" 

Aus dem Nachlass von Pfarrer Silvers: 14 Kurzbiographien über Persönlichkeiten, die das Bistum Berlin in der Frühzeit seines Bestehens geprägt haben. Die von zwölf verschiedenen Autoren verfassten Einzelbeiträge sind von durchaus unterschiedlicher Qualität, aber vor allem die Beiträge über Carl Sonnenschein, Erich Klausener, Albert Coppenrath, Friedrich Radek und die Bischöfe Konrad Graf von Preysing (1935-50) und Wilhelm Weskamm (1951-56) finde ich ausgesprochen lesenswert. Ein gewichtiges Thema in diesen Beiträgen (außer in dem über Sonnenschein, der schon 1929 - und damit bereits vor der Gründung des Bistums Berlin - starb) ist das Agieren der Kirche unter totalitärer Herrschaft: erst im "Dritten Reich" und dann in der DDR. Der Band enthält auch diverse weiterführende Literaturhinweise, anhand derer man einige Einzelaspekte noch vertiefen könnte und wohl auch sollte.


Platz 9: Walter Adolph, "Hirtenamt und Hitler-Diktatur" 

Ebenfalls aus dem Nachlass von Pfarrer Silvers: Ein weiteres Buch zum Thema "Kirche im Nationalsozialismus". Das Bestreben, jegliche Kritik am Verhalten kirchlicher Autoritäten gegenüber dem NS-Regime zurückzuweisen, ist hier weniger stark ausgeprägt als etwa bei Altmeyer (s.o.); so erklärt der Autor gleich ziemlich zu Beginn: "Der Autoritätsglaube, den jeder Christ besitzen muß, verlangt nicht, jedes Wort und jede Tat eines Bischofs vor Kritik zu schützen" (S. 14). Dennoch bemüht Walter Adolph sich, auch für eine den Nazis gegenüber eher konziliante Haltung, wie sie exemplarisch der Breslauer Erzbischof Kardinal Bertram vertrat, um Verständnis zu werben, wenngleich aus zeitgenössischen Aufzeichnungen, die er als Quellen heranzieht, hervorgeht, dass Adolph diese Haltung schon damals falsch fand. Überhaupt macht das Ausmaß, in dem Adolph sich in seinen Ausführungen auf selbst Miterlebtes stützen kann, sein Buch zu einer sehr bemerkenswerten historischen Quelle: Als Domvikar war er ein enger Mitarbeiter des Berliner Bischofs Konrad Graf von Preysing, eines der kompromisslosesten Nazi-Gegners im deutschen Episkopat. Dennoch gilt sein Hauptinteresse nicht der historischen Rückschau, sondern vielmehr der "kirchengeschichtliche[n] Forschung über die Frage, wie wirkt sich die moderne totalitäre Herrschaftsform auf das kirchliche Leben aus" (S. 173). Er betont, dass es dabei "nicht nur um ein Problem der deutschen Geschichte geht,  sondern um eine Menschheitsfrage. Welcher Mensch und welches Volk weiß sich geschützt, daß die Mächte des Bösen nicht über sie Gewalt gewinnen?" (S. 179) Adolphs These, es liege geradezu in der Natur moderner totalitärer Herrschaftsformen, dass sie der Kirche mit unversöhnlicher Feindschaft gegenüberstünden (weshalb auch jegliche Appeasement-Bemühungen letztlich zum Scheitern verurteilt seien), macht sein Buch auch heute (noch oder wieder) brisant.


Platz 8: Gregory Alan Thornbury, "Why Should the Devil Have All the Good Music?" 

Eine Biographie über den 2008 verstorbenen christlichen Rockmusik-Pionier Larry Norman. Von der Existenz dieses Buches hatte ich durch Twitter erfahren, hatte einige begeisterte Rezensionen gelesen und daraufhin, obwohl mir Larry Norman kein Begriff war (tatsächlich kannte ich ein paar Songs von ihm sehr wohl, aber ohne zu wissen, von wem die waren), gedacht: Das muss ich wohl mal lesen. Um die freudige Erwartung auszukosten, wartete ich dann aber doch noch ziemlich lange, bis ich es mir als eBook kaufte. Und das Warten hat sich gelohnt! Eine ausgesprochen fesselnde Lektüre, und das nicht nur, weil Larry Norman eine so faszinierende Gestalt ist - das ist er durchaus auch -, sondern auch und gerade wegen der zeit- und kulturgeschichtlichen Hintergründe, die das Buch sozusagen an Normans Biographie entlang "mit-erzählt"; und dies mit einem speziellen Fokus auf Entwicklungen in der "frommen Szene" der USA, vom hippiesken "Jesus Movement" der frühen 70er über die Präsidentschaft Jimmy Carters bis hin zur "Moral Majority" der Reagan-Ära. Wer mich kennt, den wird es kaum überraschen, dass das "Jesus Movement" mich besonders interessiert. Hoffentlich kann ich für meine Leseliste fürs kommende Jahr noch ein paar weitere Quellen zu diesem Thema an Land ziehen. 



Dieses Buch hatte ich mir schon vor längerer Zeit in einer katholischen Buchhandlung in Berlin-Mitte gekauft und war seinerzeit einigermaßen irritiert gewesen, dass ich es dort gewissermaßen nur "unter dem Ladentisch" bekam. Das Buch gelte als "grenzwertig", weil der Autor so "erzkonservativ" sei, wurde mir mitgeteilt. Das kann ich mir eigentlich nur als ein Ergebnis der aggressiven (und zuweilen nicht nur unterschwellig rassistischen) Hetze erklären, die häretisch.de und ähnlich ausgerichtete Publikationen gegen Kardinal Sarah betreiben. Aber wie dem auch sei: Nachdem ich das Buch in einem ersten Anlauf nicht zu Ende gelesen hatte, nahm ich es mir in der diesjährigen Fastenzeit erneut vor, wodurch es sich für diese Rangliste qualifiziert hat. Die autobiographischen Passagen, besonders diejenigen über Robert Sarahs Aufwachsen in einem abgelegenen Dorf in Guinea, seinen Weg zum Priesteramt und seine Zeit als Pfarrer und Bischof unter dem diktatorischen Regime Sékou Tourés, lesen sich ausgesprochen fesselnd, aber auf einer anderen Ebene noch interessanter sind diejenigen Passagen, in denen der Kurienkardinal seine Sicht auf Entwicklungen in der Kirche seit dem II. Vatikanischen Konzil darlegt; und erst recht diejenigen, in denen es um die Herausforderungen des christlichen Bekenntnisses in der Postmoderne geht, mit all den Konfliktfeldern wie Bioethik, Lebensschutz, Gender. Ich kann nur dazu ermutigen, die Anmerkungen des Kurienkardinals zu diesen Themen gründlich zu reflektieren, anstatt sie mit einem achselzuckenden "Na ja, ist halt doch ein erzkonservativer Hardliner" wegzuwischen.


Platz 6: Bernhard Meuser, "Christsein für Einsteiger" 

Dieses Buch hat der Verfasser mir persönlich zukommen lassen -- allerdings schon voriges Jahr, aber ich benötigte mehrere Anläufe, um es durchzulesen. Wie wohl schon die gute Platzierung auf dieser Rangliste verrät, spricht dieser Umstand jedoch nicht gegen die Qualität des Buches -- eher im Gegenteil: Tatsächlich kam ich mit dem Buch hauptsächlich deshalb nur langsam und stückweise voran, weil ich das Buch an vielen Stellen erst einmal zuklappen musste, um die betreffenden Abschnitte "sacken zu lassen". Als "Handreichung für Abenteurer" wird das Buch im Klappentext beschrieben; man könnte auch sagen: ein praktischer Leitfaden für gelebtes Christsein im Alltag. Dabei orientiert sich das Buch in seinem Aufbau an den "74 Werkzeugen der geistlichen Kunst" aus der Ordensregel des Hl. Benedikt, adaptiert für den individuellen Alltag von Laien in der (post-)modernen Welt - wozu auch das Bemühen gehört, dem "Menschen von heute" zu verklickern, "wozu das gut sein soll", und das auch noch möglichst "niederschwellig". Was mich an dem Buch besonders angesprochen hat, ist, dass Meuser in seinen Ausführungen zur praktischen, alltäglichen Anwendung der "74 Werkzeuge der geistlichen Kunst" ein entschieden gegenkulturelles Bild von gelebtem Christsein entwirft: Mag an der Plattitüde, dass unsere ganze Gesellschaft zutiefst von christlichen Werten geprägt sei, in einem oberflächlichen Sinne etwas dran sein - vor allem bezogen auf solche "Werte", von denen unsere Gesellschaft gern behauptet, sie hochzuhalten -, so steht doch, wie Bernhard Meuser auf nahezu jeder Seite seines Buches aufzeigt, ein entschieden gelebtes Christsein in vielerlei Hinsicht in diametralem Gegensatz zu jenen Wertvorstellungen, die unsere Gesellschaft tatsächlich prägen. Diese unbequeme Wahrheit einzusehen, ist geradezu eine Grundvoraussetzung für die Benedikt-Option.


Platz 5: Anja Hradetzky, "Wie ich als Cowgirl die Welt bereiste und ohne Land und Geld zur Bio-Bäuerin wurde" 

Ich präsentiere: das bestplatzierte deutschsprachige Buch auf dieser Liste! Kurz vor Ostern besuchte ich, einer Empfehlung auf Facebook folgend, im Baumhaus eine Buchpräsentation der Autorin; in mehrfacher Hinsicht ein Glücksfall, einmal, weil ich diese großartige Location zuvor nicht gekannt hatte, und dann natürlich wegen des Buches. Ich fand, es könnte interessant sein, es für die Tagespost zu besprechen, und ließ mir vom Verlag ein Rezensionsexemplar schicken; und tatsächlich war ich vom Start weg ausgesprochen begeistert von dem Buch, und meine Liebste auch. Worum es geht, verrät ja im Wesentlichen schon der Buchtitel: Anja Hradetzky, Jahrgang 1987, beschreibt darin ihren Lebensweg "[v]om Aldi-Kind zur Öko-Landwirtin". Einigermaßen symbolträchtig stellt die Autorin einen kritischen Blick in den Kühlschrank ihrer Eltern, dessen Inhalt von billigen, industriell gefertigten und geschmacksarmen Lebensmitteln dominiert wird, an den Beginn ihrer Schilderung: Von diesem Ausgangspunkt aus ist es ein weiter Weg dahin, "wesensgemäße Milchviehhaltung" in einem Naturschutzgebiet zu betreiben und Seminare über "Low Stress Stockmanship" zu geben -- eine Methode der Herdenführung, die das natürliche Verhalten der Rinder berücksichtigt. Letztlich geht es bei der Kühlschrank-Episode durchaus nicht nur um Fragen der Ernährung, sondern in einem viel breiteren Sinne um die Frage, ob die Lebensbedingungen des Menschen in der hochtechnisierten, urbanisierten modernen Welt eigentlich seiner Natur entsprechen. Wer - wie ich - der Meinung ist, das Streben nach einer ganzheitlicheren, naturnäheren, kurz: hobbitmäßigeren Lebensweise sei ein wesentlicher Aspekt der #BenOp, wird unschwer einsehen, weshalb dieses Buch auf dieser Liste (und dann auch noch so weit oben) steht; wem das nicht genügt, dem sei noch verraten, dass das Buch von allerlei Hinweisen auf christliche Spiritualität und Glaubenspraxis durchzogen wird. Die Autorin zeigte sich nach der Lektüre meines Tagespost-Beitrags allerdings überrascht (positiv, wohlgemerkt!), dass ich diese religiösen Untertöne bemerkt hatte: Der Verlag, so verriet sie mir, habe dieses Thema eigentlich aus dem Buch eliminieren wollen, ihr Co-Autor Hans von der Hagen habe ihr jedoch geholfen, es "unauffällig" wieder hineinzuschmuggeln.


Platz 4: Rod Dreher, "Crunchy Cons" 

Dieses ursprünglich 2006 erschienene Buch von Freund Rod, das ich mir als eBook zugelegt habe - die eBook-Ausgabe basiert allerdings auf der überarbeiteten Fassung von 2010 -, kann in gewisser Weise als Vorläufer der "Benedikt-Option" betrachtet werden; nicht umsonst trägt das letzte Kapitel (abgesehen vom Nachwort) die Überschrift "Waiting for Benedict". Von der thematischen Bandbreite her hat "Crunchy Cons" jedoch einen erheblich anderen Zuschnitt, es geht darin ausführlich um Themen wie Konsumverhalten, Ernährung, ökologische Landwirtschaft, Stadtentwicklung und die sozialen Auswirkungen unterschiedlicher Bau- und Siedlungsformen -- dann allerdings auch um Themen, die auch in der "Benedikt-Option" eine große Rolle spielen, wie Familienleben, Bildung... und Religion. Insgesamt würde ich sagen, es ist nicht bloß ein Vorläufer, sondern auch eine wertvolle Ergänzung zu Rods berühmtestem Buch. Gerade unter dem gerade schon angesprochenen Aspekt des hobbitmäßigen Lebens

Und nun zu den Treppchenplätzen:


Platz 3: Adrian Plass, "A Smile on the Face of God" 

Das mit Abstand beste einer Auswahl an Büchern, die mein Bruder mir aus seinen privaten Beständen überlassen hat, als wir uns in den Sommerferien bei unserer Mutter trafen. Den Inhalt könnte man am kürzesten mit "Biographie eines anglikanischen Geistlichen" zusammenfassen, aber damit wäre noch nicht viel über das Buch gesagt. Adrian Plass schildert mit der für ihn typischen Mischung aus Einfühlungsvermögen und Sinn für Komik das an überraschenden und dramatischen Wendungen reiche Leben eines nach weltlichen Maßstäben nicht sonderlich prominenten Mannes namens Philip Ilott, der, nach einer zutiefst traumatischen Kindheit, als junger Erwachsener Jesus begegnet, sich der "Church Army", einer Evangelisationsgesellschaft innerhalb der anglikanischen Kirche, anschließt, dann aber die Berufung verspürt, Priester im hochkirchlichen Zweig der anglikanischen Kirche zu werden, als Pfarrer auf der Isle of Wight von der Welle der Charismatischen Erneuerung erfasst wird und mit der Gabe der Krankenheilung begnadet wird, selbst aber später an Multipler Sklerose erkrankt. Der Autor beschreibt Ilotts Biographie in seinem Vorwort als ein Beispiel dafür, wie die Liebe Gottes das Leben eines Menschen verwandeln kann. Ein sehr schönes Buch.


Platz 2: Haley Stewart, "The Grace of Enough" 

Noch ein eBook, das ich mir gekauft habe, nachdem ich via Twitter darauf aufmerksam geworden war; und wiederum ein Buch, in dem es schwerpunktmäßig um das hobbitmäßige Leben geht. Der erzählerische Aufhänger des Ganzen ist die Geschichte, wie die Autorin und ihr Mann - die beide, aus evangelikalen Familien stammend, als junge Erwachsene zum Katholizismus konvertiert sind -  ihrem ziemlich "normalen", materiell halbwegs komfortablen Leben in einer Vorstadtsiedlung in Florida Adieu sagten und mit ihren damals drei kleinen Kindern (inzwischen sind es vier) auf eine Farm in Texas zog, um dort ökologische Landwirtschaft zu erlernen und dabei Gott näher zu kommen. An diese Erzählung schließen sich allerlei Erörterungen über das Verhältnis des Menschen zur Natur, über Konsum, Familienleben, Nachbarschaft, über Gebet und Gottesdienstbesuch, über eheliche Sexualität und Fruchtbarkeit an. Das Ganze kommt umwerfend sympathisch 'rüber -- warmherzig, humorvoll, nicht selten sogar ausgesprochen witzig, und es bietet reichlich Stoff zum selbständigen Weiterdenken. Zu diesem Zweck gibt es am Ende jedes Kapitels einen Abschnitt mit praktischen Tipps und Anregungen,  ganz am Ende folgt noch ein Anhang mit Reflexionsfragen, die sich auch zur Diskussion in einer Gruppe eignen. Kurz, ich kann dieses Buch gar nicht eindringlich genug empfehlen -- auch wenn es nicht ganz die Spitze der Rangliste erklommen hat, denn dort thront...:


Platz 1: Dorothy Day, "The Long Loneliness"  

Ich erinnere mich noch lebhaft, wie ich erstmals in den Weiten des Internets auf einen Artikel über den laufenden Seligsprechungsprozess für Dorothy Day stieß und dachte: "Watt?!? Doris Day soll seliggesprochen werden?". Inzwischen weiß ich es besser und habe mehrere Bücher von und über Dorothy Day im Regal stehen; gelesen habe ich davon aber längst noch nicht alles. Zwei dieser Bücher - eine von Robert Ellsberg editierte Auswahl aus ihren Tagebüchern unter dem Titel "The Duty of Delight" und eine von ihrer Enkelin Kate Hennessy verfasste Biographie über sie - stehen auf meiner Leseliste fürs kommende Jahr, und auch "The Long Loneliness" - Dorothy Days erstmals 1952 veröffentlichter Rückblick auf ihre Kindheit und Jugend, die Anfänge ihrer journalistischen Tätigkeit, ihr politisches Engagement im Umfeld anarchistischer, sozialistischer und kommunistischer Bewegungen, ihre allmähliche Hinwendung zum katholischen Glauben und schließlich ihre Begegnung mit Peter Maurin und die Anfänge der Catholic Worker-Bewegung - stand eine ganze Weile ungelesen bei mir herum, was aber immerhin den Vorteil hat, dass das Buch sich dadurch für diese Rangliste qualifizieren konnte. UND ES IST PHANTASTISCH. Auf der, wenn man das so nennen kann, "Handlungsebene" sind natürlich besonders die Schilderungen über die Initiativen der Catholic Worker-Bewegung - von der Zeitung über die sogenannten "Houses of Hospitality" bis hin zu den Farmkommunen - lehrreich, inspirierend und motivierend für jedwedes Vorhaben in Richtung einer "christlichen Graswurzelrevolution" (und dies unbeschadet der Tatsache, dass auch Schwierigkeiten, Fehlschläge,  interne Streitigkeiten und Spaltungen keinesfalls verschwiegen oder beschönigt werden); indes finde ich auch die Kapitel über Dorothy Days Engagement in der "radikalen Bewegung", wie sie selbst es nennt, kaum weniger interessant. In den Schilderungen der Autorin erscheint die anarchistisch-sozialistisch-kommunistische Szene als außerordentlich gut vernetzt: Obwohl es sich um eine kleine und gesellschaftlich mehr oder weniger geächtete Gruppe handelt, haben ihre Anhänger anscheinend kaum Schwierigkeiten, überall, wo sie hinkommen, Gleichgesinnte und Unterstützer zu finden. So ähnlich stelle ich mir die frühe Kirche zur Zeit der Apostelgeschichte und der Paulusbriefe vor -- was die Organisationsform angeht, wohlgemerkt. Beachtenswert ist auch, dass Dorothy Day ihre Hinwendung zum Katholizismus offenkundig nicht als einen Bruch in ihrer Biographie betrachtet, sondern als das Resultat einer folgerichtigen Entwicklung - auch wenn einige ihrer früheren Genossen, an erster Stelle ihr zeitweiliger Lebensgefährte und Vater ihrer Tochter, Forster Batterham, das anders empfanden. -- Im Übrigen beeindruckt das Buch auch einfach durch die Art und Weise, wie sich die faszinierende Persönlichkeit der Verfasserin darin ausdrückt, und selbst in Randbemerkungen finden sich bemerkenswerte Denkanstöße etwa zu Themen wie zum Beispiel Kinderkatechese, Gartenbau und die nicht tot zu kriegende Frage "Kann man nicht auch ohne Kirche an Gott glauben?". Kurz und gut, ein absolutes Must-Read


Abschließend verdienen aber auch noch einige Bücher, die es aus unterschiedlichen Gründen nicht in die Rangliste geschafft haben, eine ehrenvolle Erwähnung



Dieses Buch taucht nur deshalb nicht in der Rangliste auf, weil ich es schon ausgelesen hatte, bevor ich im Rahmen der Artikelserie "Kaffee & Laudes" damit anfing, allwöchentlich meine jeweils gerade aktuelle Lektüre zu protokollieren. Andernfalls wäre es sicher in die Top 10 und höchstwahrscheinlich in deren obere Hälfte gekommen. Die #BenOp-Relevanz steht bereits explizit im Buchtitel. Leah Libresco gibt praktische Hinweise, wie man damit anfangen kann, christliches Leben in Gemeinschaft zu verwirklichen -- und konzentriert sich dabei auf kleine Dinge, die jeder sofort und ohne besondere Voraussetzungen umsetzen kann. Eine deutsche Ausgabe des Buches (ich wünschte, es gäbe eine!) könnte man etwa "BenOp für Anfänger" nennen, wenn das nicht vielleicht ein bisschen zu despektierlich klänge. Ein sehr anregendes, praxisorientiertes und zutiefst sympathisch 'rüberkommendes Buch. Übrigens das erste eBook, das ich mir in diesem Jahr gekauft habe. 



Das ist das Buch, das mir, sagen wir mal, abhanden gekommen ist, ehe ich es zu Ende lesen konnte; ich hatte es aus dem Bücherpaket, das ich in den Sommerferien von meinem Bruder bekommen habe. Es handelt sich um einen Roman, in dem ein junger, hochmotivierter Pastor eine akut vom Aussterben bedrohte freikirchliche Gemeinde übernimmt und gründlich "umkrempelt", in seinem Streben nach äußerlichem "Erfolg" aber die Orientierung am Willen Gottes aus den Augen verliert. Da ich es nicht zu Ende lesen konnte, bleiben allerlei Fragen offen. Stilistisch kommt das Buch ziemlich trivial daher, und auch inhaltlich bin ich längst nicht mit allem einverstanden, aber interessante Anregungen zur Reflexion und Diskussion über den Themenkomplex "Gemeindeerneuerung" bietet es allemal. Zumindest die deutschsprachige Ausgabe scheint allerdings schwer zu kriegen sein; die englischsprachige Originalausgabe, unter dem Titel "And the Shofar Blew", gibt's als eBook



Das Buch tauchte eines Tages in den Bücherspenden für unser Büchereiprojekt auf, und ich nahm es erst mal mit nach Hause, da ich begründete Zweifel hatte, ob es für eine katholische Pfarrbücherei geeignet ist. Es ist ein Roman für Jugendliche, und es geht in der Hauptsache um eine 17jährige College-Studentin (Naomi), die in ihren schwulen besten Freund (Ely) verliebt ist. Ein großer Teil der Handlung spielt sich in einem Apartmenthaus in New York ab, dessen Bewohner durch die Bank einen an der Waffel zu haben scheinen. Dass ich dieses Buch fast in die Top 25 der #BenOp-relevanten Leseempfehlungen aufgenommen hätte - es ist buchstäblich auf Platz 26 gelandet -, erscheint erklärungsbedürftig. Ansätze zu einer solchen Erklärung habe ich bereits skizziert, als ich noch mitten in der Lektüre steckte; ich werde hier mal versuchen, sie möglichst griffig auf den Punkt zu bringen: Einmal abgesehen davon, dass die in die Handlung eingestreuten Reflexionen über "[d]ie Liebe, die Freundschaft und alles dazwischen" (so die Titel-Unterzeile des Buches) zum Teil gar nicht so blöd sind, hat es mich überrascht, dass dieser Roman - laut meiner Wahrnehmung jedenfalls - eine verhältnismäßig skeptische Sicht auf die vermeintlichen Segnungen der Sexuellen Revolution einnimmt. Bezeichnend dafür ist besonders die backstory um Naomis und Elys Eltern ; ich will nicht zu viel verraten, aber sollte ich jemals eine literaturwissenschaftliche Arbeit über "Naomi & Ely" verfassen, würde ich darin die These vertreten, Naomis psychisch kranke Mutter sei - ähnlich wie Bertha Rochester in "Jane Eyre" - die entmythologisierte Version eines Gothic Novel-Schlossgespensts. Und was für eine Funktion hat so ein Gespenst? Natürlich die, eine Warnung an die anderen Romanfiguren zu verkörpern, dass ihnen ein ähnliches Schicksal blühen könnte. Tatsächlich, würde ich sagen, ist den Charakteren in "Naomi & Ely" mehr oder weniger  bewusst, dass das Streben nach sexueller Selbstverwirklichung (und Konsum) sie nicht glücklich macht, aber sie wissen schlichtweg nicht, was sie sonst tun sollten; es gibt für sie, in den Worten Adornos, "kein richtiges Leben im Falschen". Anders ausgedrückt: Diesen Leuten fehlt Jesus, sie wissen es nur nicht. Dass sie, so sehr sie auch ein "falsches Leben im Falschen" führen, überwiegend durchaus sympathisch 'rüberkommen, ist kein bug, sondern ein feature: Man muss die Menschen lieben, um zu wollen, dass sich in ihrem Leben etwas zum Besseren verändert. Reizvoll erscheint es, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn eine der Romanfiguren Christ wäre. Zum Beispiel Gabriel, der schöne Nachtportier. Zu dem würde das passen. 



Ein weiteres Fundstück aus einer Büchertelefonzelle (Letteplatz oder Osloer Straße? Ich erinnere mich nicht genau). Das Buch war seinerzeit ein Bombenerfolg bei Publikum und Kritikern, aber ich hatte es bisher nie gelesen und auch die Verfilmung nicht gesehen. Der Protagonist des Romans ist ein typischer "Antiheld", der mit 20 Jahren von Bremen nach (West-)Berlin gezogen ist, jetzt auf seinen 30. Geburtstag zusteuert und sein Leben im Wesentlichen damit verbringt, in einer Kneipe zu arbeiten und in seiner Freizeit in anderen Kneipen abzuhängen, wenn er nicht gerade schläft. Das klingt vielleicht nicht besonders aufregend oder originell, ist aber sehr gut dargestellt, und zudem glänzt das Buch durch jede Menge Witz, stimmige Charakterzeichnung und zum Teil geradezu philosophisch anmutende Dialoge. Auch der zeitgeschichtliche Hintergrund ist nicht uninteressant, denn der Roman spielt unmittelbar vor dem Mauerfall; genauer gesagt ereignet sich der Mauerfall auf den letzten Seiten des Buches. Der eigentliche Grund für die ehrenvolle Erwähnung dieses Romans in meinen Buchtipps zum Weihnachtsfest ist aber, ganz ähnlich wie im Falle von "Naomi & Ely", eine Art "negativer #BenOp-Relevanz": Die Ziellosigkeit der Hauptfigur ist geradezu emblematisch für die Orientierungslosigkeit des Menschen in der Postmoderne, in einer Gesellschaft, die Gott vergessen hat. Die anderen Charaktere des Romans sind schließlich auch nicht viel weniger verpeilt, nur auf andere Art. Das oben bereits angesprochene Phänomen des "falschen Lebens im Falschen" wird sehr scharf beleuchtet durch die Anmerkungen eines Arztes zum psychischen Zusammenbruch von Herrn Lehmanns besten Freund Karl: Es sei ein verbreitetes Phänomen, dass junge Männer aus Westdeutschland sich in Westberlin, insbesondere in Kreuzberg, mit Hilfe der günstigen Lebenshaltungskosten und des räumlichen Abstands zu ihrem bisherigen Leben eine Scheinexistenz aufbauen, eine Art Phantasieversion ihrer selbst; irgendwann breche dieses trügerische Selbstbild dann aber unweigerlich zusammen. 


Okay, Freunde: Das war's für dieses Jahr! Am 1. Advent starte ich meine neue Leseliste -- und bin gespannt, was mich da so alles erwartet...