Montag, 5. August 2013

Die Pastoralen Räume in unseren Köpfen

Ich bin kein regelmäßiger Zeitungsleser - nicht mehr, sollte ich wohl sagen. Ich war es mal, aber während meiner Studentenzeit hat das Grassieren kostenloser Probeabos, die sich, wenn man sie nicht rechtzeitig kündigte, schwuppdiwupp in kopstenpflichtige Dauerabos verwandelten, mir das Medium "Tageszeitung" gründlich verleidet. Inzwischen lese ich Zeitungen praktisch nur noch, wenn sie kostenlos in Cafés ausliegen - oder eben online, aber dann natürlich nur einzelne Artikel.

Mein Überblick über die Presselandschaft ist also bestenfalls als punktuell zu bezeichnen, aber ich habe doch den Eindruck, dass unter den Berliner Tageszeitungen der TAGESSPIEGEL diejenige ist, die am meisten Bereitschaft zeigt, sich mit Themen, die die Katholische Kirche betreffen, nicht nur auf weltpolitischer, sondern auch auf regionaler (sprich: diözesaner) Ebene zu befassen.

Manchmal wünscht man sich allerdings, er würde es lassen.

Jüngstes Beispiel: ein Artikel unter der Überschrift "Kardinales Unverständnis". Ein Frontalangriff auf den - bisher, so suggeriert es der Artikel - durchaus populären Erzbischof von Berlin, Rainer Maria Kardinal Woelki. Den Artikel ziert ein Bild des Kardinals, auf dem sein Gesicht praktisch zur Gänze hinter einer Monstranz verschwindet (das ist, den Unkundigen sei's gesagt, so ein bizarres, typisch katholisches Kultgerät, das v.a. bei Fronleichnamsprozessionen - gruselig! - den Gläubigen vorangetragen wird. Sowas wie die Heilige Sandale von Jerusalem also, nur mit mehr Gold und Glitzer.). Die Aussage des Bildes ist unmissverständlich: Der Blick des Kardinals ist so sehr auf Tradition, Pomp und sakrales Brimborium fixiert, dass er dahinter die Menschen nicht mehr sieht. Und für die sollte die Kirche doch eigentlich da sein, oder?

Man möchte es eigentlich niemandem zumuten, den recht länglich geratenen Artikel aus der Feder der einschlägig vorbest bekannten Claudia Keller zur Gänze zu lesen; speziell die human interest-triefenden Passagen über die Familie Plümpe, die als Fallbeispiel für die von Kardinal Woelki enttäuschten Katholiken fungiert, kann man sich getrost schenken. Ich bin mal so frei, die wirklich wesentlichen Passagen des Artikels hier zu dokumentieren - und zu kommentieren.
"Es hatte doch alles so gut angefangen mit Kardinal Rainer Maria Woelki und den Berliner Katholiken. Die Art, mit der er auf die Menschen zuging, und sein Werben für einen menschlicheren Umgang der Kirche mit Homosexuellen und wiederverheirateten Geschiedenen machten Hoffnung, dass der 56-Jährige vielleicht doch zu den Liberaleren gehört unter den deutschen Bischöfen."
Wohlgemerkt: Im weiteren Verlauf des Artikels geht es um ganz Anderes als den "Umgang der Kirche mit Homosexuellen und wiederverheirateten Geschiedenen". Erwähnt werden müssen sie trotzdem. Was schrieb doch Kardinal Dolan jüngst über die Besessenheit der Medien von "heißen Eisen"? - Womöglich noch bezeichnender: Die Annahme, Kardinal Woelki gehöre "vielleicht doch zu den Liberaleren [...] unter den deutschen Bischöfen", kann ja nichts Anderes gewesen sein als eine Hoffnung. Einen konservativen Erzbischof kann doch niemand wollen.

Was wird dem Berliner Erzbischof denn nun aber konkret vorgeworfen?
"Woelki will das Erzbistum tiefgreifend umstrukturieren, die 100 Gemeinden sollen bis 2020 zu 30 Großpfarreien fusionieren."
Im liberalen Sinne, das wusste schon Loriot, heißt liberal nicht nur liberal; andernfalls könnte man auf die Idee kommen, Rationalisierungsmaßnahmen wären etwas durchaus Liberales, wohingegen es eher konservativ wäre, bestehende Gemeindestrukturen erhalten zu wollen. -- Aber davon mal ganz ab: Natürlich bedeutet die Zusammenlegung von Pfarreien immer schmerzhafte Einschnitte. Das sehe ich auch in meiner eigenen Gemeinde, die schon an der letzten Fusionswelle (2003 wurden die Gemeinden St. Antonius und St. Pius zusammengelegt) einigermaßen zu kauen hatte, obwohl das von der Papierform her ein relativ "leichter Fall" hätte sein sollen (zumal beide Gemeinden schon vor der Fusion vom selben Pfarrer betreut worden waren). Inzwischen, so hörte ich kürzlich in einer Diskussion im privaten Kreis, wohnen einige der aktivsten Gemeindemitglieder eigentlich sowieso nicht mehr im "Einzugsbereich" dieser Pfarrei; dass sie ihre kirchliche Heimat trotzdem noch dort sehen, hat wohl nicht zuletzt auch mit der Person des Pfarrers zu tun, der schon über 40 Jahre in St. Antonius ist - und diese Zahl lässt bereits erkennen, dass er sein Amt nicht mehr unbegrenzt lange wird ausüben können. Auch ohne die anstehenden Strukturreformen wäre die Zukunft des Gemeindelebens von St. Antonius in seiner bisherigen Form also auf mittlere Sicht ungewiss. In vielen anderen Pfarreien mag es ähnlich aussehen. Es liegt aber auf der Hand, dass die angekündigte Schaffung von "Pastoralen Räumen" (wie die projektierten Großpfarreien offiziell genannt werden) die Unsicherheit in den Gemeinden eher erhöht; und ich möchte davor warnen, allzu schnell mit dem Vorwurf bei der Hand zu sein, den Kritikern der Fusionspläne gehe es nur um ihre eigene Bequemlichkeit und Besitzstandswahrung.

Fragen muss man sich allerdings: Was wäre, angesichts von "Mitgliederschwund und [...] Priestermangel", die Alternative zu einer Zusammenlegung von Pfarreien? Der Artikel ist um eine Antwort nicht verlegen. So wird die Frage aufgeworfen,
"warum nicht auch in Berlin qualifizierte Laien Gemeinden leiten können, so wie es in anderen Teilen der Weltkirche der Fall ist. Und ob es sonntags Gottesdienste geben könnte, bei denen nicht zwingend ein Priester dabei sein muss."
Genau! Wieso muss beim Gottesdienst eigentlich unbedingt ein Priester dabei sein? - Keine Sorge, Claudia Keller erklärt es:
"[D]ie katholische Messe beinhaltet immer eine Eucharistiefeier (das katholische Abendmahl), und die darf nur von einem geweihten Priester abgehalten werden."
Nun ja: So richtig viel ist damit ja nicht erklärt. Dass die Eucharistie hier als "das katholische Abendmahl" bezeichnet wird, zeigt, dass die Evangelische Kirche zum Vergleich herangezogen werden soll, um die Katholische zu erklären. Und das kann ja nicht gut gehen, nicht an einem Punkt, an dem die Konfessionen sich so fundamental unterscheiden. Warum müssen die Katholiken denn in jeder Messe ein "Abendmahl" haben? Haben die Protestanten doch auch nicht! - Hier jetzt zu erklären, warum das so ist, was das katholische Eucharistieverständnis vom evangelischen Abendmahl unterscheidet, und dass und warum die Eucharistie das Zentrum ist, auf das die gesamte Messliturgie ausgerichtet ist, während im evangelischen Gottesdienst tendenziell eher die Predigt im Mittelpunkt steht - das alles wirklich verständlich zu machen, wäre vermutlich wirklich ein bisschen ville für einen Zeitungsartikel. Aber vermutlich sollen es die Leser auch gar nicht verstehen, sonst würden sie am Ende gar Kardinal Woelki Recht geben, der "[a]ndere sonntägliche Gottesdienstformen" nicht erlauben will. Andererseits: Wie sollte man von einer TAGESSPIEGEL-Redakteurin erwarten, das ihren Lesern begreiflich zu machen, wenn viele der betroffenen Katholiken es offenbar selbst nicht verstehen?

Ein Theologe könnte es erklären. Bestimmt. Man könnte dazu mal einen Studientag anbieten. Oh, gab's schon? In Gemeinde St. Laurentius in Tiergarten? Tatsächlich:
"Ein emeritierter Theologe erklärte den 150 Zuhörern, warum der neue Zuschnitt der Verwaltungsbereiche nur eine Übergangslösung sein könne und der Priestermangel grundsätzlich angegangen werden müsse. Zum Beispiel indem man den Pflichtzölibat abschafft oder 'Viri probati', erfahrene, verheiratete Männer zu Gemeindeleitern macht."
Aha! Sehr fein, jedenfalls entwaffnet ehrlich, wäre es gewesen, hätte der hier ungenannte emeritierte Theologe seinen Vortrag "Priestermangel als Chance" betitelt. Denn das scheint hier doch die verborgene Agenda zu sein: den Priestermangel zu nutzen, um zwar rein räumlich gesehen "die Kirche im Dorf zu lassen", die Gemeinden also in ihrer bisherigen Form zu erhalten, den schrumpfenden Klerus aber draußen zu lassen und drinnen eine hippe, coole Laienkirche zu etablieren. Die dann natürlich auch viel "näher an den Menschen" ist.

Aussagekräftig ist hier nicht zuletzt ein (ausgerechnet!) "älteren Katholiken" in den Mund gelegter Kommentar zu der Aussicht auf Großpfarreien, in denen der Weg zur Sonntagsmesse sich womöglich vervielfacht: "Dann gehen wir lieber zu den Protestanten um die Ecke." In der Tat: Bei den Protestanten finden die Kirchenbesuchern ja alles, was der Artikel als Ausweg aus dem Dilemma des Priestermangels suggeriert: Gottesdienste, die von Personen geleitet werden, die nach katholischem Amts- bzw. Weiheverständnis keine Priester sind; von Personen, die auch heiraten oder sogar Frauen sein dürfen. Wenn man nun bedenkt, dass hier im Nordosten Deutschlands die Evangelische Kirche in der Fläche wesentlich besser aufgestellt ist als die Katholische, und wenn, wie hier der Eindruck erweckt wird, vielen Katholiken das spezifisch Katholische an ihrer religiösen Praxis weniger wichtig ist als der kurze Weg zur Kirche - warum macht dann das Erzbistum nicht gleich seinen Laden dicht oder fusioniert mit der Evangelischen Landeskirche?

Aber da macht Kardinal Woelki nicht mit. Der will ja nicht mal den Zölibat abschaffen - obwohl "im März sogar der Nuntius, der Botschafter des Papstes in Berlin, erklärt hatte, dass der Zölibat 'kein Dogma' sei und man darüber weltkirchlich diskutieren könne". Angesichts dieser starren Haltung Woelkis kommt Claudia Keller nicht umhin, zu resümieren:
"Woelki gehört nicht zum liberalen Lager, so viel ist klar. Vermutlich hat er genau deshalb 2014 gute Chancen, den Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz zu übernehmen, wenn der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch das Amt aus Altersgründen abgibt."
Da stellt sich freilich die Frage, wie es zu erklären ist, dass der Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz bereits seit über einem Vierteljahrhundert mit Vertretern des "liberalen Lagers" - 1987-2008 Karl Kardinal Lehmann, seither Robert Zollitsch - besetzt ist. Aber die Frage soll der geneigte Leser sich bitte nicht stellen, sondern sich lieber den deutschen Episkopat im festen Würgegriff reaktionärer Dunkelmänner vorstellen. Wer kann da noch helfen? - Wer wohl anders als Papst Franziskus, der Super-Liberale! Auf diesen nämlich "hoffen", so weiß es Claudia Keller, "[v]iele Berliner Katholiken", denn er
"hatte 2010 als Erzbischof von Buenos Aires daran erinnert, dass die Kirche zu den Menschen kommen muss und nicht umgekehrt. Wenn es nicht genug Priester gibt, sollten die verbleibenden 'Garagen mieten und wenigstens von einem Laien Wortgottesdienst mit Kommunion halten lassen'."

Einmal ganz davon abgesehen, dass der damalige Erzbischof von Buenos Aires bei dieser Äußerung wohl entschieden andere Verhältnisse vor Augen hatte als jene, die in der nordostdeutschen Diaspora herrschen, spricht aus seinen Worten doch wohl deutlich genug die Auffassung, dass eine solche Form kirchlichen Lebens nur eine Notlösung sein könne. Bei so einigen "liberalen Katholiken" hierzulande hat man hingegen den Eindruck, dass sie sich genau das für ihre Kirche wünschen: Gemeindeversammlungen in gemieteten Garagen, wo bärtige Pastoralreferenten die alte Kifferhymne "Herr, Deine Liebe ist wie Gras und Ufer" auf der Wandergitarre 'runterklampfen und Brot und Wein in lockerer Runde und ganz ohne Transsubstantiation herumgereicht werden. Zugegeben: Das hat ja was. Jedermanns Geschmack ist es sicher nicht, aber wer's mag, der soll es gerne mögen - und auch machen - dürfen. Gerade wenn in Folge der anstehenden Strukturreformen im Erzbistum (wie auch in anderen Diözesen) zukünftig weniger Eucharistiefeiern pro "Gottesdienststandort" werden stattfinden können als bisher, dürfte kaum jemand etwas dagegen haben, wenn engagierte Laien solche und andere Veranstaltungen organisieren, um das Gemeindeleben auch außerhalb des sonntäglichen Messbesuchs lebendig zu erhalten. Aber ein Ersatz für die Heilige Messe sind derartige Feiern eben nicht.

9 Kommentare:

  1. Sehr sehr cooler Kommentar! :-) hihi - Kifferhymne - das hatte ich noch nie gehört. Passt aber!

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  2. Der Richtigkeit halber sei angemerkt: Auf dem Bild des Tagesspiegels handelt es sich nicht um eine Monstranz, hinter der das Gesicht des Kardinals praktisch zur Gänze verschwindet, sondern um die Heilig-Blut-Reliquie aus Weingarten. Kardinal Woelki war dort dieses Jahr anlässlich des Blutritts zu Gast. Ist aber vermutlich im Sinne von 'nicht liberal' noch schlimmer...

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    1. Danke für die Präzisierung!

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    2. Manchmal geht halt mein Besserwisser-Gen mit mir durch. Genau gesagt ist es ja ein monstranzförmiges Reliquiar bzw. eine Reliquienmonstranz auf dem Bild, insofern haben wir beide Recht.
      Und natürlich: Hervorragender Beitrag das eigentliche Thema betreffend.

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  3. Um das völlig zu verstehen, müßte Frau Keller den Unterschied zwischen Agapefeier und Eucharistiefeier kennen. Aber ich bin fast sicher, daß sie keines dieser beiden Wörter befriedigend erklären kann.
    Gibt es eigentlich irgendein anderes Thema, über das so viel so kenntnisfrei geschwafelt wird wie über die katholische Kirche?

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  4. Kifferhymne, wie schön... "Ufer" habe ich allerdings noch nie konsumiert, wie wirkt das?

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    1. Du hast da was falsch verstanden, das heißt Uvae - "Uvae ursi folium" Das sind Bärentraubenblätter. Wirken ähnlich wie Alk, also leberschädigend und führen zum Erbrechen! ;-)
      http://www.pharmakobotanik.de/systematik/6_droge/uvae-u-f.htm

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  5. Klasse! Hast du schön auseinander gedröselt, das Blabla:-)

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  6. Sehr gut analysiert und ebenso geschrieben. Erspart mir die Arbeit. ;-)

    JoBo

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