Grüße aus Butjadingen, Leser – wo sich, wie man so sagt, die Schönheit der Landschaft nicht jedem sofort erschließt; aber ich komme nun mal hierher und bemühe mich, die Liebe zu dieser Landschaft auch meinen Kindern weiterzugeben. Mein bisheriger Eindruck ist, es läuft ganz gut. Bevor ich aber dazu komme, die ersten Tage unserer diesjährigen Sommerurlaubsreise zu schildern, kommen in diesem Wochenbriefing erst mal noch ein paar Themen dran, die ich aus Berlin "mitgenommen" habe...
An dem Samstag, an dem die vorige Nummer des Creative Minority Report erschien, hatten meine Familie und ich einen außerordentlich schönen Tag und vor allem Abend – so außerordentlich, dass seine Schilderung einen eigenständigen Artikel verdient, den ich erst einmal auf Patreon veröffentlicht und "(Vorerst) letzte Impressionen aus dem Berliner Sommer" genannt habe. Dieser Titel bezieht sich natürlich darauf, dass wir die zweite Hälfte der Sommerferien nahezu zur Gänze außerhalb von Berlin zu verbringen beabsichtigen und damit auch schon angefangen haben, aber wenn wir zurückkommen, ist der Sommer ja (hoffentlich) noch nicht ganz vorbei. – Am Sonntag gingen wir wieder in St. Joseph Siemensstadt in die Messe, wo es erneut eine recht interessante und anregende Predigt zu hören gab; mehr dazu weiter unten. Die folgenden Tage standen – abgesehen davon, dass wir am Montag noch einmal "Omatag" hatten – hauptsächlich im Zeichen von Reisevorbereitungen; am Mittwoch ging es dann früh morgens los in den Urlaub. Erstes Ziel unserer dreiwöchigen Urlaubsreise war jedenfalls mein Heimatstädtchen Nordenham, wo wir uns zunächst für drei Nächte im "Riverhouse", einem Hostel in einer ehemaligen Jugendherberge, direkt am Weserufer gelegen, einquartierten. Näheres zu unserer Reise gibt's im Abschnitt "Camino de Willehado 2024"; im Übrigen hat es sich gefügt, dass ausgerechnet an diesem Wochenende Nordenhamer Stadtfest ist – ein Thema, das einen separaten Abschnitt verdient ("Ahoi Nordenham, Moin Stadtfest").
Auch noch erwähnenswert ist, dass in der aktuellen Ausgabe der Tagespost ein Beitrag von mir auf der Familienseite erschienen ist – zum Thema "kindergartenfrei". Seit heute ist der Artikel auch online.
Unsere Urlaubsplanung sieht vor, dass wir heute unsere Unterkunft wechseln, d.h. wir checken aus dem "Riverhouse" aus und beziehen eine Ferienwohnung in Burhave, in unmittelbarer Nähe des Strandes. Außerdem wollen wir heute Nachmittag von Fedderwardersiel aus mit dem Ausflugsschiff WEGA II eine "Piratenfahrt mit Schatzsuche" unternehmen... Mal sehen, ob man an Bord Internetzugang hat, denn wenn nicht, wird sich die Veröffentlichung dieses Wochenbriefings wohl verzögern. – Morgen gibt's im Rahmen des Nordenhamer Stadtfests ein "Kinder-Piratenfest" auf dem Jahnplatz; ich denke, da werden wir hin wollen, und vorher nach Möglichkeit in St. Willehad in die Messe, da die Vorabendmesse in Burhave terminlich mit der Bootsfahrt kollidiert. Wie ich den Pfarrnachrichten entnehmen konnte, ist Pfarrer Jasbinschek in Urlaub und die Messe wird vom Subsidiar Michael Kenkel zelebriert, von dem ich mir ja durchaus gern mal einen persönlichen Eindruck verschaffen möchte.
Was wir in der kommenden Woche in Burhave so alles unternehmen, wird wesentlich vom Wetter abhängen: Ist es warm und sonnig, werden wir wohl möglichst viel Zeit an der Burhaver "Nordseelagune" verbringen wollen, bei schlechtem Wetter ist die Spielscheune ein guter Anlaufpunkt. Daneben werde ich aber definitiv auch die eine oder andere guerillamäßige Lobpreisandacht in der Kirche Herz Mariä abhalten wollen – umso mehr, als am Donnerstag ja Mariä Himmelfahrt ist! – Am nächsten Samstag geht die Reise dann weiter; nämlich zum Reiterhof "Kleine Mücke" in Tannenhausen bei Aurich, wo wir schon letztes Jahr waren und wo es uns ausnehmend gut gefallen hat. Ich freu mich drauf!
Die Messe in St. Joseph Siemensstadt am vergangenen Sonntag wurde vom leitenden Pfarrer der Großpfarrei Heilige Familie Spandau-Havelland zelebriert, der gleich zu Beginn seiner Predigt darauf hinwies, dass dieser Sonntag auf den Gedenktag des Hl. Pfarrers von Ars fiel. Und auch wenn dieser Gedenktag liturgisch vom Sonntag verdrängt wird, spielte der Pfarrer von Ars in dieser Predigt eine prominente Rolle. Der von seinen Vorgesetzten als wenig begabt eingeschätzte Jean-Baptist Marie Vianney habe damals, 1818, die schlimmste Pfarrstelle in der ganzen Diözese Lyon zugewiesen bekommen: Ars, ein kleines Kaff, dessen Einwohner nicht in die Kirche, dafür aber desto fleißiger ins Wirtshaus gingen. Diese religiöse Infifferenz der Bevölkerung sei, so meinte der Spandauer Pfarrer, eine Folge der Französischen Revolution gewesen, "die uns ja immer so gepriesen wird", die aber alles daran gesetzt habe, "alles, was an die bisherige Religion erinnerte, aus den Herzen der Menschen zu reißen" – bis hin dazu, dass man eine neue Zeitrechnung und einen neuen Kalender mit einer anderen Einteilung der Wochentage einzuführen versuchte, wodurch es keinen Sonntag und also keine Sonntagsmesse mehr geben sollte. "Viele Priester waren in der Französischen Revolution auf die Galeeren geschafft worden, weil sie nicht bereit waren, einen Eid zu leisten, oder hingerichtet worden oder sind geflohen, sodass viele Pfarren, gerade auf dem Land, verwaist sind." Das Ergebnis war, "dass eine ganze Generation aufwuchs, die gar nichts mehr von Gott, von der Religion und der Kirche wusste." Dass es unter solchen Bedingungen einem einfachen Landpfarrer, der nur mit Ach und Krach überhaupt die Priesterausbildung bewältigt hatte, durch seinen unermüdlichen Einsatz im Feiern der Heiligen Messe, im Predigen und im Hören der Beichte gelang, seine miese kleine Pfarrstelle zum Zentrum einer neuen geistlichen Erweckung, ja sagen wir ruhig: einer Neuevangelisierung zu machen, kann und sollte man in der gegenwärtigen Kirchenkrise zweifellos als ein Zeichen der Ermutigung betrachten.
Recht eindrucksvoll fand ich es, dass der Pfarrer in diesem Zusammenhang ein persönliches Zeugnis in seine Predigt einflocht: Er sprach darüber, wie er, von Haus aus eigentlich religionsfern aufgewachsen, im Alter von 15 Jahren anfing, regelmäßig in die Kirche zu gehen, und wie seine Familie darauf reagierte. Nicht weniger interessant war, dass er im Anschluss daran erwähnte, in der Gemeinde St. Konrad in Falkensee komme seit ein paar Monaten eine Gruppe Jugendlicher in die Messe, von denen anfangs niemand gewusst habe, wo die eigentlich herkommen. Diese Beobachtungen leiteten über zu der Frage: Was reizt an der Heiligen Messe, was macht sie attraktiv? Die Antwort, so meinte der Pfarrer, finde sich im Evangelium dieses Sonntags: Jesus ist das Brot des Lebens. Das Entscheidende an der Messe sei nicht das "Gemeinschaftserlebnis" und auch nicht die "schönen Lieder", die da gesungen werden: Das sei zwar "alles schön, aber selbst die trockenste Messe – das müssen wir vielleicht wieder lernen: wenn da keine Lieder gesungen werden und der Pfarrer vielleicht auch nicht seinen besten Tag hat – ist die Messe"; nämlich der Vollzug des Mysteriums der Eucharistie.
Auf die Abendmahlsdarstellung auf dem Altarbild von St. Joseph Siemensstadt hinweisend, betonte der Pfarrer, "wie wichtig es ist, dass wir heilige Bilder auch heilig bewahren"; deshalb dürfe man es "nicht zulassen, wie es vor einigen Tagen in Paris geschehen ist, dass ein solches heiliges Bild herabgewürdigt, lächerlich und schmutzig gemacht wird." Im Gesamtkontext der Predigt war dieser Kommentar zum Olympia-Eröffnungs-Skandal allerdings kaum mehr als eine Randbemerkung; weit ausführlicher und eindringlicher ging er auf die von den Bischöfen der USA initiierte "Nationale Eucharistische Erneuerung" ein, auf die großen Eucharistischen Prozessionen quer durch die USA und den fünftägigen Eucharistischen Kongress im Footballstadion von Indianapolis. Eine solche Rückbesinnung auf die Eucharistie, so meinte er, "brauchen wir auch hier in unserem Land". Weil wir, "wenn wir miteinander synodal umgehen" wollen, "zuallererst einmal den Herrn wiederfinden" müssen.
Lassen wir das ruhig mal so stehen.
Ein Thema, zu dem ich mich vielleicht schon früher hätte äußern können oder sollen, betrifft die Großpfarrei St. Franziskus Reinickendorf-Nord, zu der die Ortsteile Frohnau, Hermsdorf, Waidmannslust, Wittenau und das Märkische Viertel gehören. Vor knapp einem Jahr hatte ich in meinen Ansichten aus Wolkenkuckucksheim den Umstand angesprochen, dass diese Pfarrei einen neuen Pfarrer bekommen werde – und zwar einen, den meine Liebste und ich kannten:
"Er war Kaplan in Tegel, als wir in die dortige Gemeinde kamen, und solange er dort war, hat er unsere Initiativen stets unterstützt und gefördert, auch dann, wenn sie nicht unbedingt sein Stil waren (er ist zwar ungefähr in unserem Alter, aber man darf wohl behaupten, dass er in ästhetischen Fragen erheblich konservativer ist als wir). Also kurz und gut, wir kennen ihn nicht nur sondern schätzen und mögen ihn auch".
Gleichzeitig hatte ich dort den Eindruck meiner Liebsten – die vor unserer Heirat einige Jahre in Hermsdorf gewohnt hat – wiedergegeben, die Hermsdorfer Gemeinde sei "ein Hort des linksliberalen 'Boomer Catholicism"' und sei "ein Vierteljahrhundert lang von einem Pfarrer mit einigermaßen – gelinde gesagt – heterodoxen Anschauungen geprägt" worden. "Dieser Pfarrer in dieser Gemeinde, das wird... interessant", hatte ich geschlussfolgert; und auch wenn ich die dortige Entwicklung nicht so genau "im Auge behalten" habe, wie ich es vorgehabt und angekündigt habe, scheint es, dass ich mit dieser Einschätzung Recht behalten habe: Nachdem ich schon seit ein paar Monaten gerüchteweise von Konflikten zwischen Pfarrer und Gemeindemitgliedern gehört hatte – u.a. waren diese Vorgänge wiederholt Thema beim Gemeindefrühstück in Heiligensee –, ist der Pfarrer nun mit Wirkung zum 1. August von seinem Amt zurückgetreten. In der aktuellen Ausgabe der Pfarrnachrichten gibt es dazu eine ganze Menge zu lesen; angefangen mit einem Grußwort des scheidenden Pfarrers selbst, in dem er sich hinsichtlich der Gründe für seinen Amtsverzicht ausgesprochen bedeckt hält. Man muss schon zweimal hinschauen, um auch nur Andeutungen von Konflikten zu entdecken. Von einer "Zeit voller Herausforderungen" ist da die Rede ("aber auch voller Dankbarkeit und Segen"), von "Umbrüchen und Krisensituationen", aber auch von Geduld, Vertrauen und Unterstützung, die der Pfarrer seitens der Gemeinde erfahren habe: "Gemeinsam haben wir schwierige Zeiten durchgestanden, haben uns gegenseitig gestützt und sind daran gewachsen." – "Mit einem lachenden und einem weinenden Auge", so heißt es weiter, nehme er nun Abschied von der Pfarrei, "denn ich weiß, dass die Zeit gekommen ist, neue Wege zu gehen".
Etwas aufschlussreicher ist ein als persönlich an den scheidenden Pfarrer gerichteter Brief formulierter Leserbrief einiger Gemeindemitglieder, aber auch hier muss man ziemlich gründlich zwischen den Zeilen lesen. Gleich einleitend geben sich die Verfasser als "einfache und großenteils nicht gremienerfahrene Gottesdienstbesucher" zu erkennen, die sich "wie viele andere Pfarreimitglieder sehr gefreut" hätten, als der nun schon wieder ehemalige Pfarrer sich "nach der langen Vakanz ohne Pfarrer" bereit gefunden habe, "das Wagnis einzugehen, die große und schwierige Pfarrei St. Franziskus zu übernehmen". Dass die Gemeinde als "schwierig" gilt, habe ich auch aus den Tischgesprächen in St. Marien Maternitas herausgehört; umgekehrt gibt der Leserbrief aber auch, wenngleich sehr "durch die Blume", zu erkennen, was die Gemeinde an ihrem Pfarrer "schwierig" fand. "Sie haben in Ihren Predigten immer eine deutliche Sprache gefunden", heißt es da. "Sie haben einen festen theologischen Standpunkt, aber wir hatten immer das Gefühl, dass Sie offen sind für alle, die auf ihre Weise ihren Glauben gefunden haben." Die Verfasser des Leserbriefs attestieren dem scheidenden Pfarrer, dass er "eigentlich gut zu unserer Pfarrei gepasst" hätte, fügen allerdings hinzu: "Gewisse Gewöhnungs- und Anpassungsschwierigkeiten hätten wir Ihnen zugetraut zu überwinden, denn Sie sind noch jung für einen Pfarrer. Und für berechtigte Kritiken halten wir Sie für analysefähig genug. Das mögen nicht alle so gesehen haben". – Ich muss ehrlich sagen, diese gönnerhafte Haltung, die zudem wie selbstverständlich vorauszusetzen scheint, dass der Pfarrer sich von der Gemeinde belehren lassen müsse und nicht etwa umgekehrt, würde mich noch mehr aufregen als offene Feindseligkeit.
Was der Leserbrief derweil auch zu erkennen gibt, ist, dass in der Pfarrei St. Franziskus doch noch mehr im Argen liegt als Befindlichkeitskonflikte zwischen Gemeinde und Pfarrer, und auch noch mehr als Fragen des "theologischen Standpunkts": Am Rande wird angesprochen, "wie schlecht es um die Finanzen bestellt ist und welche Auswirkungen das auf das künftige Gemeindeleben haben wird". Man darf wohl davon ausgehen, dass dieser Umstand entscheidend für die in einem redaktionellen Beitrag der Pfarrnachrichten zum Thema "Leitungswechsel" (so auch die Überschrift des Artikels) als "[ü]berraschend" eingestuften Entscheidung von Erzbischof Koch, das Amt des Pfarrers von St. Franziskus "für ein Jahr" seinem Generalvikar Pater Manfred Kollig SSCC zu übertragen. "Warum hat der Bischof für den Übergang bis zur Berufung eines neuen Pfarrers nicht, wie üblich, einen Pfarradministrator eingesetzt?", wird gefragt; und im nächsten Absatz heißt es:
"Begründet wird die Entscheidung des Erzbischofs, seinen Stellvertreter als Pfarrer für ein Jahr in die Pfarrei St Franziskus zu entsenden, mit den schwerwiegenden Entscheidungen, die die Pfarrei und ihr Kirchenvorstand zu treffen haben."
Und weiter:
"Dabei geht es zum einen um die kürzliche Überprüfung der Pfarrei St. Franziskus durch einen Beauftragten des Bischofs und die notwendige Bearbeitung von im vorgelegten Revisionsbericht festgestellten Defiziten, zum anderen um den Immobilienentwicklungsprozess in unserer Pfarrei."
Bei diesem "Immobilienentwicklungsprozess" – wieder mal so ein Wort, um das das Ausland die deutsche Sprache zweifellos beneidet – gehe es "um die Instandsetzung und Sanierung von Kirchen und Gemeindehäuser[n] in unserer Pfarrei und leider auch um die Aufgabe einzelner Standorte". Ganz nebenbei erfährt man, dass Generalvikar Kollig "[a]ufgrund seiner vielfältigen Aufgaben [...] nur einmal im Monat eine Hl. Messe in der Pfarrei feiern" werde. Eine bemerkenswerte Prioritätensetzung wieder einmal. – Alles im allem scheint mir, die Vorgänge in dieser Pfarrei wären es wert, dass man sie sich noch etwas genauer anschaut. Allerdings bin ich ja jetzt erst mal in Urlaub. Ich bin indes annähernd sicher, dass ich Leser unter den Gemeindemitgliedern von St. Franziskus Reinickendorf-Nord habe, und vielleicht auch noch andere Personen, die einen tieferen Einblick in die dortigen Verhältnisse haben. Ich würde mich daher freuen, wenn jemand von diesen bereit wäre, mir seine Sicht der Dinge mitzuteilen – gegebenenfalls auch anonym...
Am Mittwoch klingelte früh um 5 der Wecker, und wir machten uns auf den Weg in den Urlaub, wieder einmal mit unseren Jakobsweg-erprobten Wanderrucksäcken. An meinem Rucksack hängt sogar immer noch eine echte Jakobsmuschel; ein Umstand, der uns im vorigen Jahr das schöne Erlebnis beschert hat, am Bahnhof von Emden (!) von einer uns unbekannten Frau mit "Buen Camino!" begrüßt zu werden. – Regelmäßige Leser meiner Wochenbriefings werden sich vielleicht erinnern, dass sich bei mir schon seit Ende Juni untrügliche Zeichen von Jakobsweg-Sehnsucht gezeigt haben, aber auch daran, dass ich ankündigte, der diesjährige Sommerurlaub werde "wieder einmal eher der Camino de Willehado als jener nach Santiago" werden. Wir sind also wieder einmal auf den Spuren des Hl. Willehad unterwegs, zunächst einmal, wie gesagt, in Nordenham. Tägliche Updates darüber, was wir da so alles erleben, gibt's auf der Patreon-Seite "Mittwochsklub" exklusiv für Abonnenten, aber die Highlights will ich natürlich auch dem größeren Leserkreis nicht vorenthalten.
Ob man es als ein Highlight bezeichnen möchte, dass unsere Anreise gut eine halbe Stunde länger dauerte als geplant, weil es zwischen Hude und Nordenham derzeit Schienenersatzverkehr mit Bussen gibt, sei mal dahingestellt; schlimm war es für uns jedenfalls nicht, durchs Busfenster bekam man gleich ein bisschen mehr von Land und Leuten zu sehen als entlang der Bahnstrecke, und unser Jüngster schlief während der Busfahrt ein bisschen. Erwähnenswert ist aber der Grund für den Schienenersatzverkehr: Die Eisenbahnbrücke über die Hunte bei Elsfleth ist von einem Schiff gerammt und schwer beschädigt worden. Und wer jetzt denkt "Moment mal, aber das ist doch schon Monate her", der hat durchaus Recht, jedoch: Es ist noch einmal passiert. Die Geschichte wiederholt sich, und was beim ersten Mal eine Tragödie ist, ist beim zweiten Mal eine Farce.
Ein echtes Highlight war hingegen der Besuch der Moorseer Mühle am Donnerstag. Die Moorseer Mühle besuchen wir annähernd jedesmal, wenn wir hier in der Gegend in Urlaub sind, und es ist immer wieder toll, gerade auch für die Kinder. Diesmal nahmen wir zudem an einer Führung unter dem Motto "Zu Besuch bei den Mühlenschafen" teil. Der Teil der Führung, der aus Sicht der Kinder das Highlight war, nämlich das Füttern und Streicheln der Schafe, kam gleich ganz am Anfang dran: "Sonst wird's den Kindern langweilig und den Schafen auch", merkte die Schäferin augenzwinkernd an.
Die zahlreichen Fakten zur Preisentwicklung bei Wolle und Lammfleisch, zum bürokratischen Aufwand beim Kauf und Verkauf von Schafen, dazu, zu welcher Jahreszeit die Paarung der Schafe und zu welcher Jahreszeit die Schur stattfindet und warum gerade zu diesen Zeiten, habe ich mir überwiegend nicht genau genug gemerkt, um sie hier verlässlich fehlerfrei wiedergeben zu können. Ein paar Eindrücke seien dennoch festgehalten; so zum Beispiel, dass man in Butjadingen nirgends mehr Lammbratwurst aus regionaler Aufzucht und regionaler Schlachtung bekommt – weil die Herstellungskosten so hoch wären, dass man die einzelne Bratwurst für mindestens 3 € verkaufen müsste, um daran etwas zu verdienen, und das zahlt der Verbraucher nicht, besonders wenn er Lammbratwurst aus Neuseeland erheblich billiger bekommt. Und dann: "Man darf Schafe nur an jemanden verkaufen, der eine Betriebsnummer hat. Eine Betriebsnummer bekommt man aber nur, wenn man Schafe hat. Wenn man also gerade erst frisch ins Schäfereigewerbe einsteigen will, wo kriegt man seine Schafe her?" Schließlich hieß es noch, es gebe eine Theorie, derzufolge die Rasse der Coburger Fuchsschafe durch die besondere Farbe ihrer Wolle die Sage vom Goldenen Vlies angeregt habe. So etwas erfährt man wohl nur von Schäfern, scheint mir.
Tags darauf war in Fedderwardersiel "Hafentag" zur Eröffnung des Butjadinger Kultursommers "Gezeiten". Die Veranstaltung fand im Garten des Nationalparkhaus-Museums Fedderwardersiel statt; Livemusik gab's von der Gruppe "Seewind", bestehend aus fünf älteren Mitbürgern, die mit Blockflöte, Gitarre, Akkordeon, Geige und Cajón "Musik aus allen vier Windrichtungen" darboten, wie es in der Veranstaltungsankündigung hieß. Neben internationaler Folklore umfasste das Repertoire z.B. auch "Der Hase Augustin" von Fredrik Vahle, "Marina" von Rocco Granata und, wenn ich mich nicht verhört habe, ein Medley aus "Wenn die Rosen erblühen in Málaga" und "Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling". Im Ganzen wirkte die Performance der Gruppe jedenfalls auf sympathische Weise semiprofessionell, na gut, vielleicht etwas weniger als "semi", aber auf jeden Fall sympathisch. Für die Kinder gab's eine Vielzahl von Spiel- und Bastelangeboten, so bastelten sie z.B. Holzkutter mit Schleppnetzen, Papierboote aus alten Seekarten und Fische aus Weidenruten. Kurzum, die Kinder waren gut beschäftigt und hatten eine Menge Spaß.
Ahoi Nordenham, Moin Stadtfest
Ich habe es weiter oben bereits erwähnt: Wir hatten es nicht so geplant, aber exakt in dem Teil unseres Urlaubs, den wir in Nordenham verbringen, ist dort Stadtfest. Sehen wir's mal als Fügung, auch wenn es, vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen aus früheren Jahren, nicht unbedingt und uneingeschränkt eine gute Nachricht ist. Lange Zeit empfand ich das Urteil, das eine liebe Freundin über das Nordenhamer Stadtfest 1996 (mit dem kongenialen Motto "Man sieht sich") abgab, als vollumfänglich treffend und maßgeblich:
"Stadtfest ist Scheiße! Man trifft alle möglichen Leute, aber unterhalten kann man sich doch nicht richtig; und wenn man jemanden sucht, findet man ihn bestimmt nicht. Aber wenn man nicht hingeht, denkt man, man hätte was verpasst!"
Und dabei hatte sie noch nicht mal die furchtbare Musik erwähnt. Aber in diesem Jahr sollte ja, den Beteuerungen der Veranstalter zufolge, alles anders und besser werden: "[D]as Fest soll endlich wieder ein Event für alle Generationen werden", heißt es auf der Website der Stadt Nordenham, und: "Maritime Anklänge finden sich im Programm und in der Deko". Beide Aspekte sollen sich in dem Motto "Ahoi Nordenham – Mein Stadtfest" widerspiegeln, wobei ich gestehen muss, dass ich das Wort "Mein" im Motto zunächst als "Moin" gelesen habe und das auch ganz stimmig fand.
Am Donnerstagabend schauten wir schon mal bei der "Warm-up-Party" vorbei, statt – womit ich durchaus ein wenig geliebäugelt hatte – zu einem "Liederabend mit neuem geistlichen Liedgut" in der OASE in Tossens zu gehen; aber das ist ein Thema für sich. Die Musik war beim Stadtfest-"Warm-up" jedenfalls nicht unbedingt besser, und auch sonst kam mir trotz der oben erwähnten Beteuerungen der Veranstalter so ziemlich alles genauso wie immer vor. Okay, das war nur ein erster Eindruck, und immerhin durften die Kinder schon einmal Karussell fahren und freuten sich darüber wie Bolle. Die offizielle Eröffnung des Stadtfests war erst am gestrigen Freitag, und wir waren rechtzeitig aus Fedderwardersiel zurück, um uns den Festumzug der Nordenhamer Vereine anzusehen. Unser Jüngster schlief allerdings auf dem Weg dorthin ein; aber unsere Große fand den Umzug toll, und zwar nicht nur, weil dabei reichlich Bonbons ins Publikum geworfen wurden, sondern vor allem, weil auch Pferde an dem Umzug teilnahmen.
Bei der Eröffnungsfeier auf dem Marktplatz spielte die Gruppe "Delicious Divine" aus Bremerhaven; auf den ersten Blick eine handelsübliche Coverband, aber während ich mir ein Zwickel vom Butjenter Brauhaus schmecken ließ (war wirklich lecker, sogar aus dem Plastikbecher) und die Band "Give It Up" von KC & The Sunshine Band spielte, musste ich doch mal den Hals recken, um mich zu überzeugen, ob die Bläserpassagen wirklich live gespielt wurden. Wurden sie. Und da musste ich dann doch feststellen: Man kann über das Nordenhamer Stadtfest, und gerade auch die Musik auf dem Nordenhamer Stadtfest, meckern so viel man will und wird auch nicht fertig damit, aber dass die Veranstalter es sich leisten, eine elfköpfige Band, mit Bläsern und allem Pipapo, auf die Bühne zu stellen, da ist – beispielsweise – das Tegeler Hafenfest ein Dreck dagegen.
Mehr vom Nordenhamer Stadtfest gibt's nächste Woche...
Es wird aber geschehen, dass ich meinen Geist ausgieße über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure Alten werden Träume haben und eure jungen Männer haben Visionen. Auch über Knechte und Mägde werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen. Ich werde wunderbare Zeichen wirken am Himmel und auf der Erde: Blut und Feuer und Rauchsäulen. Die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und schreckliche Tag. Und es wird geschehen: Wer den Namen des Herrn anruft, wird gerettet. Denn auf dem Berg Zion und in Jerusalem gibt es Rettung, wie der Herr gesagt hat, und wen der Herr ruft, der wird entrinnen.
Ohrwurm der Woche
Simple Minds: Don't You (Forget About Me)
Vorige Woche war an dieser Stelle von den Plänen für ein Jahrgangstreffen zum 30jährigen Jubiläum von "Abi '95" in Nordenham die Rede; und jetzt bin ich in Nordenham und es ist obendrein Stadtfest. Man sehe mir also bitte nach, dass ich weiter auf "in Erinnerungen schwelgen" eingestellt bin. – "Don't You" von den Simple Minds ist nicht nur ein weiterer Song, der charakteristisch für den Sound unserer Jahrgangsfeten auf der "Tenne" ist, sondern es ist auch der Song aus dem Filmklassiker "The Breakfast Club" (Ausschnitte im Video). Einem Film, über den ich zu sagen geneigt bin: Wer den nicht in seinen Teenagerjahren gesehen hat, sollte das schleunigst nachholen. Auch wenn es zu empfehlen ist, diesen Film nicht unkritisch anzusehen. Vor rund 30 Jahren, als ich mir den Film zusammen mit meinen drei besten Kumpels vom Gymnasium auf Video ansah, störte mich eigentlich nur eines daran, nämlich dass die von Ally Sheedy gespielte düster-rebellische Mädchenfigur am Ende "aufgehübscht" wird; ich glaube, es ist unter "Breakfast Club"-Fans weitgehend common sense, dass diese Wendung ein Griff ins Klo ist. Heute würden mir in der Darstellung der sozialen Dynamik und des Rollenverhaltens unter Teenagern, die der Film bietet, wahrscheinlich noch mehr frag- und kritikwürdige Details auffallen, aber das macht den Film nicht weniger sehenswert – vielleicht sogar eher im Gegenteil. Und der Song zum Film ist wahrlich kongenial. Ich meine mich zu erinnern, dass er in meinem Jahrgang als Abi-Hymne im Gespräch war. Aus Gründen.
Ich möchte auf diesem Erlebnis-Blog auch einmal ein Erlebnis mit der real existierenden Kirche, genauer mit dem gerade zurückgetretenen Pfarrer von St. Franziskus beisteuern.
AntwortenLöschenEs war im April 2017, beim Requiem unseres verstorbenen langjährigen Pfarrers in Spandau. Die Kirche war voll besetzt. Einige Pfadfinder und Mitglieder des Kirchenvorstands hatten wir Ordnerdienste übernommen. Dazu gehörte es auch, auf dem kleinen Parkplatz direkt an Kirche und Gemeindehaus zwei Parkplätze freizuhalten: für den Erbischof und den Caterer. Der Parkplatz war ansonsten voll, wir mussten sogar einige Gehbehinderte abweisen. Zehn Minuten vor Beginn der Messfeier erschien besagter Priester, fuhr auf den Parkplatz und begann mit den Jugendlichen einen Disput; er bestand auf einem Parkplatz. Ich kam dazu, stellte mich als Mitglied des KV vor und bat um Verständnis. Dann folgte etwas, das ich im 21. Jahrhundert in unserer Kirche nicht mehr für möglich gehalten hatte: Er baute sich in voller Lebensgröße mit Soutane vor mir und uns auf und herrschte mich im Kasernenhofton an: "Wer sind Sie denn? Wissen Sie denn gar nicht, wen Sie da vor sich haben? Wissen Sie nicht, wie man mit einem katholischen Priester spricht?" Dann lief er in die Sakristei und kam mit dem Pfarradministrator (unserem Kaplan, der mit ihm geweiht und wohl befreundet war und der der Hauptverantwortliche für den gesamten Ablauf der Bischofsmesse usw. war und weiß Gott in dem Moment andere Probleme hatte) zurück, und der Administrator wies uns dann an, seinem Freund zu gestatten, auf dem Rasen zu parken.
Ich habe mich wegen unserer Jugendlichen wegen dieses empörenden Auftritts sehr geschämt. Das II. Vatikanische Konzil hatte gesagt: "Die Presbyter sollen so vorstehen, dass sie - indem sie nicht, was das Ihre ist, suchen, sondern was Jesu Christi ist (Phil 2,31) - ihre Arbeit mit den gläubigen Laien verbinden und sich in ihrer Mitte nach dem Beispiel des Meisters benehmen, der unter die Menschen 'nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen' ((Mt 20,28)." (Presbyterum ordinis 9,2)
Priester G. ließ arrogant und eingebildet den "Hochwürden" heraushängen, ließ sich bedienen und beanspruchte Sonderbehandlung. (Auf Drängen des Pfarradministrators hat er sich nach einigen Wochen schmallippig telefonisch entschuldigt.)
Wie ich gesehen habe, hat er seitdem bereits mehrere Seelsorgeposten mit vergleichsweise kurzen Einsatzzeiten durchlaufen. In St. Franziskus blieb er nicht einmal ein Jahr. Nach dem Erlebten kann ich das gut verstehen. Er ist offenbar ein "Problempriester", der Entscheidendes an der Botschaft Jesu und seinem Beruf nicht verstanden hat bzw. für das von ihm angestrebte Vorzugsamt hundert Jahre zu spät kommt. Solche Priester brauchen wir in der Tat nicht.
Warum es denn auf eine öffentliche Machtprobe ankommen lassen und nicht stattdessen in dieser besonderen Situation für einen priesterlichen Mitzelebranten gleich einen Parkplatz auf dem Rasenstück bereitstellen?
LöschenIn unserer Gemeinde ist für den jeweiligen Gottesdienstleiter jedenfalls von vornherein ein Parkplatz per Schild reserviert.
"Machtprobe"? Diese Schublade passt nicht. Es war kein Konzelebrant und kein angemeldeter Gast, sondern ein Trauergast, wie es hunderte gab. Mehrere "priesterliche Mitzelebranten", auch wesentlich ältere, hatten keinen Parkplatz beansprucht. Wir haben keine "Macht" demonstriert, sondern ihn höflich angesprochen. Unsere Aufgabe war uns vom Küster und Hausmeister in Abstimmung mit dem Rector ecclesiae zugewiesen worden; es war somit keine Machtdemonstration, sondern ein Dienst in der Kirche. Das Rasenstück zwischen Kirche und Pfarrhaus ist kein Teil des Parkplatzes, und es wäre unschön, es mit dem Auto zu befahren. Der Priester war bei der ersten Ansprache, als er noch im Auto saß, nicht als solcher zu erkennen. Welchen Grund hätte es gegeben, ihn als ca. 35-jährigen Mann ohne Behinderung anderen vorzuziehen, die körperlich prekärer dran waren als er? Die nächsten Parkplätze waren maximal 300 m entfernt. So what?
AntwortenLöschenEin Widerspruch in Ihren Ausführungen scheint mir, dass Sie einerseits schreiben, er sei im Auto sitzend äußerlich nicht als Priester zu erkennen gewesen, aber gleichzeitig angeben, er habe sich vor Ihnen allen in Soutane aufgebaut. Was denn nun? Soutane ja, aber z.B. kein priesterlicher römischer Kragen?
LöschenZumindest jetzt war er ja als Priester zu erkennen, und Sie hätten ihm durchaus den nötigen Respekt erweisen können und ihm AUSNAHMSWEISE und EINMALIG das Rasenstück zuweisen können, statt es auf die Spitze zu treiben, was ja dann doch eine Machtprobe war.
Das ist jetzt Ideologie, und zwar die Ideologie einer faslch verstandenen Ecclesia triumphans, nach der einem Priester jederzeit und überall "die nötige Ehre zu erweisen" ist, und zwar durch Gewährung eines Ausnahmestatus und von Ausnahmeprivilegien auch in saecularibus. Ich habe die Heilige Schrift bisher anders verstanden, ich hatte oben ''Lumen gentium'' zitiert ("Die Presbyter sollen so vorstehen, dass sie - indem sie nicht, was das Ihre ist, suchen, sondern was Jesu Christi ist (Phil 2,31) -... sich in ihrer Mitte nach dem Beispiel des Meisters benehmen, der unter die Menschen 'nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen' ((Mt 20,28)." (Presbyterum ordinis 9,2)). Pflegen Sie ruhig weiter ihren klerikalen Dünkel, ich halte mich an Bibel und Lehramt, und ich ehre Priester besonders, wenn Sie "in persona Christi capitis" handeln. Und das tun sie nach Mt 20,28 nicht am Lenkrad und gegenüber sich korrekt verhaltenden ehrenamtlichen Laien, sondern am Altar.
AntwortenLöschenNö, Ideologie war das nicht, sondern die nüchterne Feststellung eines eklatanten Widerspruchs in Ihren Ausführungen:
LöschenSie wollen angeblich den Priester im Auto nicht als Priester erkannt haben - als er ausgestiegen ist, steht er in Soutane vor Ihnen. Wenn das so ist, dürfte er doch wohl auch den. römischen Priesterkragen getragen haben, an dem man Priester oder auch Diakone erkennt.
Mir werfen Sie "klerikalen Dünkel" vor, obwohl Sie mich doch gar nicht kennen, ob ich überhaupt ein Kleriker bin. Es scheint nicht in Ihr Weltbild zu passen, dass auch mal ein ganz einfacher katholischer Laie wie ich eine andere, mildere, Auffassung zum respektvollen Umgang mit einem Priester haben könnte, und dabei nicht den "Ober- oder Erz-Laien" "raushängen lässt".