Donnerstag, 31. August 2023

Ansichten aus Wolkenkuckucksheim #45

Sagen wir's, wie es ist, Freunde: Die zurückliegende Woche hat mich ziemlich geschlaucht. Dabei war gar nichts "Besonderes los", außer dass meine Liebste wieder arbeiten geht, unser Jüngster darüber ziemlich sauer (und entsprechend launisch und unausgeglichen) ist und das Tochterkind kurz vor der Einschulung steht. In summa hatte ich alle Hände voll zu tun mit dem Versuch, den Bedürfnissen aller Familienmitglieder gerecht zu werden, und wenig Zeit für meine eigenen. Habe dieses Wochenbriefing daher nur mit Ach und Krach fertig bekommen und dabei (wieder einmal) einige der sonst üblichen Rubriken eingespart. Dafür, dass der Artikel trotzdem nicht signifikant kürzer geworden ist als sonst, ist hauptsächlich meine Auseinandersetzung mit der "Humanae vitae"-Debatte beim Katholikentag 1968 (im Rahmen der Rubrik "Was ich gerade lese") verantwortlich... aber seht selbst! 



Spandau oder Synodalien 

Mal wieder ein "Remix" aus zwei regelmäßigen Rubriken. Vorige Woche hatte ich angekündigt, mich in der Rubrik "Neues aus Synodalien" mit den Äußerungen des Augsburger Bischofs Meier zum Thema "Gott geht die Synodalen Wege mit" zu befassen, habe nun aber festgestellt dass ich darauf schlichtweg keinen Bock habe. Zugleich hat sich mir wieder einmal gezeigt, dass Spandau und "Synodalien" manchmal gar nicht so weit auseinander liegen, wie man das hoffen oder wünschen könnte; aber mal der Reihe nach: 

Zur Sonntagsmesse in St. Joseph Siemensstadt schafften wir es diesmal pünktlich, und zu meiner Freude zelebrierte diesmal wieder der für Siemensstadt und Haselhorst sozusagen "zuständige" Pfarrvikar, also derjenige, der bis zur Pfarreienfusion hier Pfarrer gewesen war. Seine Predigt war, wie ich im Grunde nicht anders erwartet hatte, brillant; sie drehte sich wesentlich um die Frage, was es mit den Schlüsseln des Himmelreiches auf sich hat und was es bedeutet, dass Jesus sie Petrus, "also der Kirche", anvertraut. Ersteres erläuterte er unter Rückgriff auf die jüdische Tradition, letzteres, indem er die Schatzkammern des Himmels, die mit diesen Schlüsseln geöffnet werden können, zu den Sakramenten der Kirche in Beziehung setzte. Meine Leser mögen mir verzeihen, dass ich mir nicht zutraue, diese Passagen der Predigt präziser und detaillierter wiederzugeben; bemerkenswert fand ich jedenfalls, dass es dem konzentrierten und schlüssigen Eindruck, den diese Predigt machte, keinerlei Anbruch tat, dass der Pfarrvikar auch Anmerkungen über seinen Urlaub, über Begegnungen mit Verwandten oder über anstehende Verwaltungsstrukturreformen im Erzbistum in sie einflocht: Man hätte das leicht als nicht zum Thema gehörende Abschweifungen empfinden können, aber das war ganz und gar nicht der Fall. Zu dieser Art vermeintlicher Randbemerkungen gehörte es auch, dass der Pfarrvikar erwähnte, er habe im Urlaub Bonhoeffer gelesen, und dabei sei ihm aufgefallen, dass das, was Bonhoeffer über die "billige Gnade" sagt – den Versuch, die Rechtfertigung des Sünders dadurch zu erreichen, dass man die Sünde rechtfertigt –"viel damit zu tun hat, was beim Synodalen Weg passiert": Da werde vielfach in einer Weise argumentiert, "als ob es keinen Gott gäbe, der im Leben der Menschen wirkt und sie verwandeln kann". 

Übrigens lag in der Kirchenbank, in der ich mich mit meiner Familie niedergelassen hatte, ein Exemplar des ersten gemeinsamen Pfarrbriefs der Großpfarrei Heilige Familie; demnächst kommt schon der zweite heraus, aber trotzdem hatte ich die Erstausgabe bisher nicht zu Gesicht bekommen. Das Heft hat ein Oberthema, nämlich "Wandel", und auf dem Titelbild prangt der aus Scrabble-Spielsteinen zusammengesetzte Schriftzug "Time for Change". Auf der Umschlag-Innenseite erwartet den geneigten Leser ein "Impuls" in metrisch holprigen und unbeholfen gereimten Versen: 

"Ich stehe hier vor euch, mit diesem Thema im Blick, 
vom Wandel der Kirche, erzähl ich euch nun Stück für Stück." 
Wandert das Auge des Lesers daraufhin zum unteren Seitenrand, findet sich dort die Information: 
"Dieser Text wurde von ChatGPT auf die Frage: 'Schreibe einen Poetry-Slam zum Thema Wandel in der Kirche' geschrieben." 

Mal ehrlich, das ist doch schon nicht mehr parodierbar. ChatGPT und Poetry-Slam, das kommt dabei heraus, wenn eine Pfarrbriefredaktion partout zeigen will, dass sie auf der Höhe der Zeit ist. Dass das Ergebnis formal wie inhaltlich etwa so überzeugend geraten ist wie ein Geburtstagsgedicht in der "Familienanzeigen"-Rubrik der Kreiszeitung Wesermarsch, hat mit Blick auf Debatten über die Gefahren künstlicher Intelligenz für die Menschheit durchaus auch was Beruhigendes. 

Nicht so lustig ist indes, dass dieser "Impuls" durchaus bezeichnend ist für eine kirchenpolitische Schlagseite, die sich auch in anderen Beiträgen ausdrückt; so in einem Leitartikel unter der Überschrift "Auf neuen Wegen" (S. 4) und einem drei Seiten langen, wohlwollend-unkritischen Bericht über das "Gespräch mit Generalvikar Manfred Kollig über Chancen durch den Synodalen Weg" Ende April in Falkensee (S. 6ff.), auf dessen letzter Seite groß, zentral und in Farbe das Logo des Synodalen Wegs prangt. Zwar setzt das Grußwort des Pfarrers, in dem dieser das Stichwort "Wandel" aufgreift, aber dezidiert in eine andere Richtung auslegt ("Wenn wir katholische Christen 'Wandlung' hören, sind wir schnell beim Geheimnis der Eucharistie. Im Zentrum der Messe geschieht diese Wandlung. Das eucharistische Mysterium sagt uns, dass es eine neue Wirklichkeit hinter dem Sichtbaren gibt. Jesus ist da! Auch in uns verändert sich dann etwas. Gott berührt unsere Herzen und lässt uns die neue Wirklichkeit erkennen. Die Wandlung ist erst vollendet, wenn in unserem Leben Gott einen entscheidenden Platz eingenommen hat", S. 3), einen gewissen Kontrapunkt, und einen (inhaltlich aber eher wenig ergiebigen) Beitrag über den "Neokatechumenalen Weg" gibt es auch (S. 18), aber am Gesamteindruck ändert das nur wenig. Dazu möchte ich anmerken, dass ich eine solche Ausrichtung im Pfarrbrief dieser Pfarrei nun wirklich nicht erwartet hätte – auch dann nicht, wenn man in Betracht zieht, dass die Gemeinde in Siemensstadt, so wie ich sie bisher kennengelernt habe, vielleicht nicht unbedingt repräsentativ für die Gesamtpfarrei ist. Erhellend ist allerdings ein Blick ins Impressum: Von den sieben dort genannten Redaktionsmitgliedern sind mir drei namentlich bekannt, und dabei handelt es sich um einen Vertreter der Gruppe "Synodale Gemeinde/Maria 2.0", der die Veranstaltung mit dem Generalvikar in Falkensee moderiert hat (und den Bericht darüber geschrieben hat – gilt so etwas nicht als Interessenkonflikt?), eine pastorale Mitarbeiterin der Pfarrei, die bei der besagten Veranstaltung als entschiedene Verfechterin von Positionen des Synodalen Wegs, insbedondere in der Frage der "Segensfeiern für Paare, die sich lieben", hervorgetreten ist; und schließlich der als Verfasser kritischer Kommentare zu meinem Blog (und anderen) recht aktive "Egidius". Ich würde sagen, die Tendenz wird deutlich. 

Nun muss man allerdings zugeben, dass über Wochen, wenn nicht über Monate hinweg per Aushang und Vermeldungen nach Leuten gesucht worden ist, die Interesse haben, in der Pfarrbriefredaktion mitzuarbeiten, und ich habe mehr als einmal erwogen, mich da zu melden – was letztlich daran gescheitert ist, dass ich fand, ich hätte auch so schon mehr als genug zu tun. Nun frage ich mich natürlich, ob ich das nicht doch hätte tun sollen – und ob ich damit womöglich Schlimmeres hätte verhüten können. Aber ehrlich gesagt glaube ich's nicht. Wenn ich mir nur mal vorstelle, ich sitze in einer Redaktionskonferenz, und da kommt jemand mit diesem ChatGPT-Poetry-Slam-Dingens an: Da sehe ich mich ein fassungsloses Gesicht machen und sagen "Das kann man doch nicht bringen"; und wenn dann ein anderes Redaktionsmitglied in aller Unschuld fragt "Wieso denn nicht?", dann kommen mir verschiedene Szenarien in den Sinn, von denen das harmloseste wäre, dass ich ohne ein weiteres Wort vom Tisch aufstehe und den Raum verlasse. – Im Ernst: Die Rolle des einsamen Störenfrieds im Team habe ich in meinem Leben schon oft genug gespielt, im kirchlichen Bereich wie auch in ganz anderen Kontexten; das brauche ich nicht nochmal. 

Natürlich könnte man sagen, gerade unter den Bedingungen des "Schmutzigen Schismas" könne man es sich eigentlich nicht erlauben, ein potentiell so einflussreiches Medium wie den Pfarrbrief quasi kampflos in Feindeshand fallen zu lassen. Aber ich fürchte wirklich, der Zug ist abgefahren, die Redaktion hat sich jetzt gefunden und wird sich von ihrem Kurs nicht mehr abbringen lassen. Vielleicht irre ich mich; wie schon gesagt, dürfte in Kürze die zweite Nummer erscheinen, lassen wir uns also mal überraschen, wie die aussehen wird. Wenn es aber tatsächlich so weitergeht, wie es zu befürchten ist, dann muss man sich schon überlegen, wie man darauf reagiert. Ein bisschen regt sich bei mir ja schon die Lust, die "Lebendigen Steine" wiederzubeleben... 


Was ich gerade lese 
  • zu Studienzwecken: Georg Scherer, "Ehe auf dem Prüfstand"; Gusti Gebhardt, "Familie in der Zerreißprobe". Vorträge beim Forum II "Ehe und Familie" beim 82. Deutschen Katholikentag in Essen 1968 
Ich hatte ja bereits angekündigt, dass ich zu Georg Scherers Kritik an der Enzyklika "Humanae vitae" noch etwas sagen wollte, und zwar konkret dazu, "was ich an diesen Einwänden schwach, kurzsichtig, widersprüchlich und zum Teil greifbar unehrlich finde". Insgesamt ist das ein sehr weites Feld, das es möglicherweise verdient, im Rahmen eines eigenständigen Artikels, wenn nicht sogar einer Artikelserie, behandelt zu werden (Näheres dazu s. unter "Blogvorschau"); hier und jetzt will ich daher versuchen, mich auf einige Schlaglichter zu beschränken. – 

Seine Ausführungen zum Thema "Geburtenregelung" leitet Scherer mit der Feststellung ein, man müsse hierbei "zwei Fragenkomplexe sorgfältig unterscheiden: 1. die Verantwortung der Eltern bezüglich der Zahl ihrer Kinder und der zeitlichen Folge der Geburten, 2. die Frage nach den sittlich erlaubten Methoden der Empfängnisregelung". – "Hinsichtlich des ersten Fragekreises", so meint er, habe sich in der katholischen Kirche in jüngster Zeit "die Einsicht immer mehr durchgesetzt, dass es unter den Lebensbedingungen der modernen Gesellschaft ernsthafte Gründe gibt, welche die Geburtenregelung für die Ehepaare zur Pflicht machen können" (S. 258). Man beachte: Wenn man sich erst einmal ethisch berechtigt zu etwas fühlt, ist der Weg meist nicht mehr weit, sich dazu auch verpflichtet zu fühlen. Interessant ist übrigens nicht zuletzt der Hinweis auf die "Lebensbedingungen der modernen Gesellschaft": Heißt das, in der vormodernen Gesellschaft waren die Lebensbedingungen für kinderreiche Familien besser als heute? Das Faszinierende ist, dass da tatsächlich was dran sein könnte; aber da müsste man sich doch eigentlich fragen: Was ist das für 1 Fortschritt? 

Was demgegenüber "die umstrittene Methodenwahl" angeht, meint Scherer, diese sei "von ungleich geringerer ethischer Bedeutung": "Im Vergleich zu dem Gewicht der Entscheidung, ob ein Mensch, eine einmalige Person zum Sein gelangt oder nicht, erscheint die Frage nach den Methoden der Empfängnisverhütung geradezu als Nebensache". Dies untermauert er mit einem Musterbeispiel für "whataboutism", indem er beklagt: "Die Welt von heute steht wahrhaftig im Zeichen größerer Sorgen. Es ist eine Welt, durch die das unheimliche Wort vom Tode Gottes geht; eine Welt, in der nicht nur Hunger und ABC-Waffen die Fundamente unseres Daseins bedrohen, sondern der Mensch auch am Sinn dieses Daseins zu verzweifeln droht; eine Welt auch, in der Unfreiheit, Gewalt und ideologisch getarnte Machtvergötzung weithin herrschen. Muss man nicht befürchten, dass wir Christen für diese Welt unglaubwürdig werden, wenn sie uns in endloser Auseinandersetzung um einen Punkt von sekundärer Bedeutung verstrickt sieht?" – Dazu möchte ich anmerken, dass es nicht besonders glaubwürdig wirkt, eine Frage vorneweg für eigentlich unwichtig zu erklären und dann doch fast die Hälfte seiner Redezeit auf ebendiese Frage zu verwenden. 

Gleichzeitig erwecken Scherers Ausführungen aber auch den Eindruck, dass er tatsächlich nicht begreift, dass es zwischen einer Form der Empfängnisregelung, die auf dem natürlichen Fruchtbarkeitszyklus der Frau basiert, und einem manipulativen Eingriff in ebendiesen natürlichen Zyklus einen qualitativen Unterschied gibt – weshalb der Hl. Papst Paul VI. in "Humanae vitae" das eine gutheißt und das andere nicht. Dass man diesen qualitativen Unterschied nicht verstehen und trotzdem Philosophie lehren kann, finde ich offen gestanden bedenklich. – Ich habe allerdings auch schon Leute erlebt – gerade solche, die ihrem Selbstverständnis nach ausgesprochen konservativ (im CDU/CSU-Sinne) waren –, die ethische Bedenken gegenüber Genmanipulation an Pflanzen und Tieren mit dem Einwand entkräften zu können glaubten, Zuchtwahl sei schließlich auch eine Form von Genmanipulation und werde von der Menschheit schließlich schon seit Jahrtausenden praktiziert. Ich sag mal: Wer diesen qualitativen Unterschied nicht intuitiv begreift, dem wird man ihn auch nur mit erheblicher Mühe verständlich machen können. 

Dass Scherer somit einen entscheidenden Punkt der Enzyklika "Humanae vitae" gedanklich nicht nachvollziehen kann, wirkt umso tragikomischer, als er anschließend selbst Fakten aus der Biologie anführt, die ihn, wenn er mal drüber nachdächte, eines Besseren belehren könnten: 
"Die menschliche Sexualität ist [...] nicht an Brut- und Laichzeiten gebunden [...]. Auch gibt es beim Menschen keine Zuordnung von Paarungsbereitschaft und Empfängnisfähigkeit, wie sie sich bei vielen Tieren findet. Man muss auch beachten, dass die Eizelle nach dem Follikelsprung nur etwa drei Stunden befruchtungsfähig bleibt. Man hat ausgerechnet, dass die Frau nur etwa 39 Stunden im Jahr empfangen kann, was [...] ein ungeheures Missverhältnis zu ihrer Kopulationsfähigkeit darstellt". 

Sollte man nicht meinen, dass diese Fakten eher für die Auffassung sprechen, die vom Papst empfohlene Methode der natürlichen Empfängnisregelung durch Zyklusbeobachtung sei der Natur der menschlichen Sexualität angemessen, als dagegen? Als Argumente dafür, die menschliche Fruchtbarkeit durch künstliche Maßnahmen noch weiter einzuschränken, leuchten sie mir jedenfalls nicht ein. 

Übrigens räumt Scherer ein, "das Prinzip, dass der Mensch nicht willkürlich über seinen Organismus verfügen darf", sei "grundsätzlich anzuerkennen": "Es hat in einer Zeit, in welcher der Mensch über die biologischen Strukturen seiner selbst immer mehr Macht gewinnt, große Bedeutung. Es muss zum Schutz der Würde der menschlichen Person beachten werden". Dieser Grundsatz erfährt jedoch sogleich eine Einschränkung: Es gebe "Eingriffe in den Organismus des Menschen, welche im Dienst des Wohles der Person stehen und darum berechtigt sind". Hier sehen wir Relativismus live in Aktion: Ein ethischer Grundsatz wird "grundsätzlich" (!) anerkannt, aber dann schafft man sich ein Schlupfloch, eine Ausflucht, die einem in letzter Konsequenz ermöglicht, alles zu tun, was man will; genauer: alles, wovon man meint, dass es einem nützt. Ein perfekter Zirkelschluss ist es, wenn Scherer hinzufügt, dass "Eingriffe in den Organismus des Menschen [...] im Dienst des Wohles der Person stehen" könnten, werde "[g]erade an der Empfängnisregelung [...] deutlich"; damit setzt er gerade das voraus, was er eigentlich beweisen müsste. Ein gravierender Schwachpunkt seiner Argumentation zeigt sich darin, dass er den Einsatz empfängnisverhütender Mittel explizit nur dann für legitim erklärt, "wenn ernsthafte Gründe die Unfruchtbarkeit der ehelichen Geschlechtsgemeinschaft fordern"; gegen Ende seines Vortrags bekräftigt er das nochmals: "Die Eheleute dürfen das sexuelle Geschehen nicht ohne ernsten Grund, der ihre Verantwortung anruft, seiner natürlichen Frucht berauben". Hält er das ernsthaft für eine realistische Option: katholischen Ehepaaren die Pille zu erlauben,  aber gleichzeitig von ihnen zu verlangen, sie nur im Ausnahmefall – nur dann, wenn sie es nach gründlicher Abwägung als wirklich notwendig einschätzen – zu benutzen? Ich würde sagen, das beweist wenig Einsicht in die Wirkungsweise hormoneller Verhütung – und erst recht in die Schwäche der menschlichen Natur, die dazu neigt, die Ausnahme früher oder später zur Regel zu machen. 

Es geht aber noch blöder: Nach Prof. Scherer spricht Dr. Gusti Gerhardt, Erziehungsberaterin aus Frankfurt am Main; und ich mache mich durchaus darauf gefasst, dass manche Leser mir angesichts meines Urteils über ihre Ausführungen strukturelle Misogynie unterstellen werden. (Möglicherweise ist da sogar was dran, aber, #sorrynotsorry: Wer heißt denn bitte ernsthaft Gusti?) – Mit dem konkreten Inhalt der Enzyklika "Humanae vitae" befasst Frau Dr. Gebhardts sich in ihrem Vortrag kaum; ihr geht es vielmehr um deren Auswirkungen auf den Familienfrieden – wobei sie skurrilerweise zu unterstellen scheint, Empfängnisverhütung wäre den Katholiken erlaubt gewesen, bis Papst Paul VI. sie ihnen plötzlich und unerwartet verbot (sie spricht explizit vom "Problem der neu in Frage gestellten Erlaubtheit der Geburtenkontrolle"). – Tatsächlich scheinen das bis heute ziemlich viele Leute zu glauben, aber ich hätte doch gedacht, zumindest damals hätten die Leute mitkriegen können, dass das nicht stimmt. – Wenn die Referentin sodann auf die Bedeutung dieser Frage für die "Familie als Wirtschaftsgemeinschaft" zu sprechen kommt, ahnt man schon, das kann nur unappetitlich werden: "Haben die Kinder selber, hat die Gesellschaft nicht ein Recht, von den Eltern Rechenschaft darüber zu fordern, ob dem verursachten Leben [!] auch menschliche Entwicklungschancen geboten werden?" – Natürlich, wir kennen diese Argumentation, sie wird heute sowohl zur Rechtfertigung von Abtreibung eingesetzt als auch dazu, dass junge Erwachsene ihre Eltern dafür verklagen, dass sie sie gezeugt und geboren haben. Gustel setzt noch einen drauf: "Leidet die Freude am Kind und zum Kind nicht gerade dann, wenn jedes neue Kind eine kaum zu rechtfertigende Belastung, auch für die bereits vorhandenen Geschwister, bedeutet?" – Man darf daran erinnern, dass Frau Dr. Gebhardt diesen Vortrag in einer historisch singulären Prosperitätsphase der Bundesrepublik hält; was für wirtschaftliche Verhältnisse mag sie da im Auge haben, wenn sie mit solcher Selbstverständlichkeit davon spricht, dass Kinder eine Belastung darstellen? Besonders widerwärtig erscheint es mir, die "bereits vorhandenen" Kinder als Argument gegen weitere vorzuschieben, was letztlich bedeutet: ihnen Geschwister vorzuenthalten unter dem Vorwand, es wäre zu ihrem eigenen Besten. 

Nur am Rande sei erwähnt, dass Frau Dr  Gebhardt im Zusammenhang damit, welche Belastungen es für Eheleute mit sich bringt, Kinder zu haben, auch ein Thema anschneidet, das, wie regelmäßige "Huhn meets Ei"-Leser wissen werden, geradezu ein "pet peeve" von mir ist: "Oft scheitert schon der gemeinsame Theaterbesuch, ja der gemeinsame Kirchgang daran, dass kein Babysitter zu bekommen ist. Es gibt Familien, die jahrelang nur in den Kindergottesdienst kommen". – Ich muss sagen, ich finde es ausgesprochen frappierend, dass die Auffassung, Familien könnten mit ihren kleinen Kindern "nur in den Kindergottesdienst" (sofern es einen gibt), aber jedenfalls nicht in den normalen Gemeindegottesdienst gehen, in Deutschland offenbar schon 1968 so verbreitet war, dass Frau Dr. Gebhardt sie hier als derart selbsterklärend behandeln kann. 

Damit aber für diesmal genug vom Katholikentag 1968! Mehr zum Thema dieser beiden Vorträge, wie gesagt, gegebenenfalls mal an anderer Stelle. 
  • als Bettlektüre: Robert Louis Stevenson, Die Schatzinsel. Aus dem Englischen von Karl Lerbs. Frankfurt a.M./Leipzig: Insel, 1999 
Ich freu mich: Nachdem wir innerhalb von drei Abenden ein Buch aus einer weiteren Reihe der "Sternenschweif"- und "Sternenfohlen"-Schöpferin Linda Chapman, nämlich "Stardust" (wo es zur Abwechslung mal nicht um Einhörner, sondern um Elfen geht), durchgelesen haben, hat das Tochterkind sich unter vier von mir vorgeschlagenen Büchern für den Abenteuer-Klassiker "Die Schatzinsel" entschieden. Ich hatte Anfangs durchaus die Befürchtung, das Buch könne sprachlich zu anspruchsvoll für eine Noch-nicht-ganz-Sechsjährige sein, und obendrein vielleicht inhaltlich etwas zu schaurig, aber tatsächlich gefällt es meiner Tochter ausgesprochen gut, und ich habe erheblichen Spaß beim Vorlesen. 


Aus dem Stundenbuch 
Lebt als Kinder des Lichts! Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor. Prüft, was dem Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, sondern deckt sie auf! Denn man muss sich schämen, von dem, was sie heimlich tun, auch nur zu reden. 
Alles, was aufgedeckt ist, wird vom Licht erleuchtet. Alles Erleuchtete aber ist Licht. Deshalb heißt es: Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten und Christus wird dein Licht sein. Achtet also sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht töricht, sondern klug. Nutzt die Zeit; denn diese Tage sind böse. 

Ohrwurm der Woche 

Kansas: Point of Know Return 


Eins vorweg: Ja, der Titel schreibt sich tatsächlich so. Soll wohl irgendwie ein cleveres Wortspiel sein. – Aber nun mal der Reihe nach: Vorige Woche hatte ich angekündigt, "zum Ausgleich" für den in Teilen der Medienlandschaft als rechtspopulistische Propaganda verschrienen Folksong "Rich Men North of Richmond" werde ich in dieser Folge der "Ohrwurm"-Rubrik mal ein bisschen Prog-Rock präsentieren. Für diese Musikrichtung bin ich nicht gerade ein ausgewiesener Experte, habe aber zugleich den Eindruck, dass selbst eingefleischte Prog-Rock-Fans – und vielleicht sogar gerade diese – sich ausgesprochen uneinig sind, was zu diesem Genre zu zählen ist und was nicht. Während die einen es für unstrittig halten, dass Pink Floyd die bedeutendste Prog-Rock-Band aller Zeiten sei, lassen andere die Musik dieser Gruppe nur mit eineinhalb zugedrückten Augen überhaupt als Prog-Rock gelten. Was derweil die Gruppe Kansas angeht, ist zumindest die deutschsprachige Wikipedia überzeugt, diese gelte "als wichtigster amerikanischer Vertreter des klassischen Progressive Rock der 1970er Jahre" – während die sonstigen Hauptvertreter des Genres nämlich durchweg britische Bands sind. Durch diesen Umstand könnte man sich mal wieder in allen möglichen gängigen Vorurteilen über "die Amis" bestätigt fühlen, denn ich möchte mal behaupten, verglichen mit (beispielsweise) King Crimson oder Emerson, Lake & Palmer klingt Kansas doch sehr gefällig, um nicht zu sagen harmlos. Ich erinnere mich lebhaft, wie ich im Zuge meiner Tätigkeit als DJ mal ein Stück aus "Pictures at an Exhibition" von Emerson, Lake & Palmer auflegte, woraufhin ein Mädchen zu mir ans Pult kam und sagte: "Eigentlich gefällt mir ja alles echt gut, was du hier heute Abend spielst, aber das ist mir jetzt doch ein bisschen zu psychedelisch." Ich sag mal: Das wär' mir mit Kansas nicht passiert. Aber spricht das nun unbedingt gegen diese Band? Ist es nicht eher eine fragwürdige Manie der modernen bzw. postmodernen Kunstkritik, das Schöne pauschal für banal zu halten? – Wie dem auch sei, ich habe mich kürzlich mal kreuzbund quer durch das Œuvre von Kansas durchgehört, und nachdem ich bisher glaubte, von dieser Gruppe nur "Carry on Wayward Son" und "Dust in the Wind" zu kennen, habe ich dabei festgestellt, dass ich durchaus noch mehr Stücke kannte, nur bisher nicht wusste, von wem die sind. So zum Beispiel eben "Point of Know Return". Ohrwurmpotential hat die Nummer ja wohl reichlich. Und ist das Video nicht herrlich cheesy


Blogvorschau

Die erste schlechte Nachricht lautet: Zu einer Blog-Rundschau, wie ich sie vorige Woche hier eingeführt habe, fehlte mir diese Woche die Zeit. Die zweite: Mit "Shopping-Queens und Horsefluencerinnen" komme ich nicht so richtig voran. Ich bin aber halbwegs optimistisch, dass ich ab nächster Woche, wenn meine Große in der Schule ist, tagsüber etwas mehr Muße zum konzentrierten Arbeiten haben werde. Und ein paar gute Nachrichten gibt es auch: Mein erster Artikel über die "Lola"-Buchreihe, "Von der Freiheit einer Zehnjährigen" (über den Band "Lola in geheimer Mission"), hat inzwischen genug Aufrufe generiert, dass ich finde, es lohnt sich, diese Reihe fortzusetzen; daher werde ich demnächst einen Artikel über den Band "Lola macht Schlagzeilen" (Arbeitstitel: "Komm, wir machen eine Zeitung") in Angriff nehmen. An dem Dossier "Warum eigentlich 'Punkpastoral'?" arbeite ich nebenbei auch weiter; das ist zwar ein großer Brocken, aber mit ein bisschen Glück bekomme ich den Artikel pünktlich zum 12jährigen Bestehen meines Blogs (Stichtag: 27. September) fertig. Und wie oben schon angedeutet, hat mich meine Auseinandersetzung mit dem Forum II "Ehe und Familie" des Essener Katholikentags zu einem vierten Themenvorschlag für die nächste Publikums-Umfrage angeregt; ich nenne ihn "Der Pillenpapst und die B-Bombe" (wobei "B" für "Bevölkerung" steht, wie in "Bevölkerungsexplosion"). Somit kann die Umfrage am kommenden Wochenende starten... um teilzunehmen, folgt mir auf Facebook und/oder auf der App Formerly Known As Twitter, falls Ihr es nicht sowieso schon tut...! 


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