Dienstag, 18. Juni 2024

Klima und Pizza, Suppe und Mucke

Ich weiß nicht, wie es anderen Familien geht, die Kinder im Alter unserer Kinder haben, aber ich muss mal ein Geständnis machen: Wenn am Samstag, nach fünf Schul- und Arbeitstagen, endlich mal Gelegenheit ist, mit der ganzen Familie ohne Zeitdruck zu frühstücken und anschließend zusammen was Schönes zu unternehmen, läuft das bei uns oft nicht so harmonisch ab, wie man es sich in der Theorie gern vorstellen möchte. Der Drang der Kinder, sich entweder gegenseitig zu Quatsch anzustiften oder sich zu streiten – wobei das eine jederzeit und in Sekundenschnelle in das andere umschlagen kann – scheint sich, da sie unter der Woche nicht so viel Gelegenheit dazu haben, am Wochenende umso geballter zu entladen; und hinzu kommt, dass speziell unser Jüngster seine Mami stark in Anspruch nimmt, wie um sich dafür zu entschädigen, dass er unter der Woche so viel Zeit ohne sie verbringen musste. 

Erfahrungsgemäß ist das Konfliktpotential am größten, wenn das Frühstück vorbei ist, man zu Hause herumsitzt und "nichts Besonderes zu tun hat". Dieser Umstand veranlasste uns, am vergangenen Samstag möglichst früh zu dem "Klimafest" aufzubrechen, das der "Klimaschutzstammtisch Reinickendorf" zusammen mit einer Vielzahl von Kooperationspartnern in der Fußgängerzone Gorkistraße veranstaltete. Die Schattenseite war, dass, als wir dort ankamen, noch nicht viel los war. 

Aber so ist das, wenn man an einem nasskalten Junitag gegen den Klimawandel protestieren will. #sorrynotsorry

An einem Stand, den die Berliner Stadtreinigung zu diesem Fest beisteuerte, wurden wir als die ersten Gäste des Tages begrüßt, und die Kinder durften hier spielerisch ihre Mülltrennungs-Kompetenz unter Beweis stellen. 

An einem anderen Stand konnte man lernen, aus Papierresten und Bindfaden Notizhefte herzustellen, an wiederum einem anderen Glasflaschen bemalen. 


Davon abgesehen hielten wir uns bevorzugt am Stand der LebensMittelPunkt-Initiative Lichtenberg auf, denn da gab's Pizza, frisch aus dem Ofen und gegen Spende. 

Man beachte die Pizza-Girlande! 

Einen solchen transportablen Pizzaofen, wie er hier zum Einsatz kam, hatten wir schon vor ein paar Wochen im Baumhaus (oder genauer gesagt draußen vor dem Haus) in Aktion erlebt, und dieser Déja-vû-Effekt war durchaus kein Zufall: Das Baumhaus gehört ebenfalls zum LebensMittelPunkte-Netzwerk, und folgerichtig wird bei den Community Networking Nights im Baumhaus immer kräftig die Werbetrommel für diese Initiative gerührt. Folgerichtig kannte der Mann vom Pizzastand das Baumhaus auch und erzählte uns, er sei schon ein paarmal dort zur Community Networking Night gewesen, aber von Lichtenberg aus sei es doch ein ganz schön weiter Weg. Wir unterhielten uns mit ihm und einigen anderen Besuchern des Standes recht angeregt über Foodsaving, Foodsharing und angrenzende Themen und verdrückten dabei so einiges an Pizza. 

Was übrigens das Konzept der LebensMittelPunkte angeht, muss ich sagen, dass ich mich damit noch nicht sehr ausgiebig befasst habe, aber interessant finde ich es auf alle Fälle. Und nun rate mal, Leser, in welchem Berliner Bezirk es bisher keinen LebensMittelPunkt gibt... Na? In Spandau! Irgendwie sehe ich da Potential im Zusammenhang mit dem Gartenprojekt in St. Stephanus... aber das ist natürlich noch ein sehr unausgegorener Gedanke. 

An wiederum einem anderen Stand – bei dem für mich nicht ersichtlich war, wer den im wahrsten Sinne des Wortes gestellt hatte – wurden die "17 Ziele für nachhaltige Entwicklung" der UN-Agenda 2030 vorgestellt; wenngleich, wie man hier sieht, nicht für alle 17 Platz an der Girlande war: 


Besonders möchte ich übrigens auf die Nr. 5 aufmerksam machen: "Geschlechtergleichheit" ist auch ein Klimaziel. Keine Klimagerechtigkeit ohne Geschlechtergerechtigkeit! Und/oder umgekehrt. Das ist Intersektionalismus, das muss man nicht verstehen. Und wer es doch tut, der versteht wahrscheinlich auch das Bohrsche Atommodell und die Heisenbergsche Unschärferelation. 

Livemusik gab's auch, und zwar zunächst von einem Trio aus zwei in Ehren ergrauten Gitarristen (elektrisch und akustisch) und einem bedeutend jüngeren Percussionisten; der Mann mit der akustischen Gitarre war unverkennbar der Bandleader und sang auch. Zuerst spielten sie eine folkrockige Interpretation von George und Ira Gershwins "Summertime", dann eigene Stücke mit deutschen Texten, stilistisch irgendwo zwischen Klaus Lage, Hans Hartz, Fanny van Dannen und Chris Rea. Diese Beschreibung mag etwas sonderbar klingen, aber ich fand die Musik durchaus gut – gut genug, dass ich, als das Trio eine erste Pause machte, den Leadsänger und Akustikgitarristen fragte, wie die Gruppe denn heiße. "Ich bin Liedermacher", erwiderte der Mann würdevoll. Über diesen Standesstolz musste ich ja schon ein bisschen grinsen, aber das schmälert meine Wertschätzung für die Musik dieses Herrn nicht, und seinen Namen verriet er mir dann doch: Mimi Wohlleben

Immer dann, wenn die Musiker Pause machten, stellte eine Seniorentheatergruppe namens "RostSchwung" – die bei ihrer Gründung vor gut 30 Jahren noch "OstSchwung" hieß, und das ist kein Witz – Auszüge aus ihrem Bühnenprogramm "Umweltgeflüster" vor. Einen Trailer zu dieser Inszenierung, ohne Originalton und stattdessen mit flotter Musik unterlegt, gibt's bei YouTube; und wer der Meinung ist, das, was man da zu sehen bekommt, sehe irgendwie doof aus, dem sei versichert: so richtig doof ist es erst, wenn man's live sieht. Meine alte Dramaturgie-Dozentin hätte gesagt: Das war nicht nur peinlich, das war schon hochnotpeinlich.

Später trat dann auch noch ein anderer, jüngerer Gitarrist und Sänger auf, der allerdings keine Eigenkompositionen spielte, sondern Folk-Klassiker von "Bella Ciao" bis Reinhard Mey. Nicht schlecht, aber eben nicht gerade originell. Immerhin, ein Medley aus "Volare" und "Über den Wolken" gefiel mir dann doch recht gut. 

Alles in allem verbrachten wir dann doch so annähernd drei Stunden auf dem Klimafest, was ich anfangs wirklich nicht erwartet hätte; die Schattenseite war, dass unser Jüngster keinen Mittagsschlaf bekam, und auch das Tochterkind war nicht gerade ein Muster an Ausgeglichenheit und Wohlverhalten. Zwischenzeitlich hatte ich schon Zweifel, ob wir es überhaupt noch zu "Suppe & Mucke" schaffen würden. Gegen 16:30 Uhr erreichten wir dann aber doch einigermaßen wohlbehalten den S-Bahnhof Warschauer Straße. 

Dort erwartete uns erst mal dieses Plakat, dessen – äh – Sekundärbeschriftung mir so einige Rätsel aufgab. Ich fürchte, da hat jemand so einiges falsch verstanden bzw. durcheinandergekriegt.

Bei "Suppe & Mucke" angekommen, ging es mir prompt so, wie ich es mir eigentlich von der Fiesta Kreutziga zwei Wochen zuvor erhofft hätte: Kaum hatte ich fünf Schritte aufs Festivalgelände gemacht, da traf ich auch schon Bekannte. Konkret gesagt handelte es sich um einen auf meinem Blog schon mehrfach (wenn auch nicht namentlich) erwähnten alten Freund, den ich irgendwann in der zweiten Hälfte der Nuller Jahre in einer links-alternativen Kneipe kennengelernt habe, samt Tochter und Schwiegersohn (bei deren Hochzeit ich einen Auftritt als DJ hatte) und zwei Enkelkindern, die ungefähr so alt sind wie meine Kinder. Zuletzt hatte ich den besagten Freund hier übrigens deshalb erwähnt, weil er in der Kneipe, in der wir uns kennengelernt haben und über viele Jahre Stammgäste waren, inzwischen ebenso persona non grata ist wie ich und insgesamt in dem Milieu, aus dem dieses Lokal seine Kundschaft schöpft, als "rechtsoffener Wagen-Knecht" gilt, wie er selbst sagte. "Ja, ich habe das mit Interesse verfolgt", merkte ich an, worauf er lachte und sagte "Ja, das glaub' ich, dass du das mit Interesse verfolgt hast." Kurz, es war ein rundum erfreuliches Wiedersehen; auch sonst war die Stimmung bei "Suppe & Mucke" gut, auch das Wetter wurde doch noch unerwartet sommerlich. 


In durch hohe Zäune abgetrennten Bereichen des RAW-Geländes fand Public Viewing zur Fußball-EM statt (erst Schweiz gegen Ungarn, dann Spanien gegen Kroatien); das interessierte mich ja wider Willen schon ein wenig, aber wesentlich interessanter war dann doch, dass es auch auf diesem Festival ein Kreativangebot für Kinder gab: 



Zunächst dachte ich, es handle sich lediglich um eine Ausstellung, aber als wir den Hinweisschildern folgten, gelangten wir zu einer Werkstatt, in der Kinder allerlei Gebrauchtmaterialien mit einer Heißklebepistole zu Leibe rücken durften. 


Oder auch die Eltern: Unser Jüngster wünschte sich einen Elefanten, also bastelte meine Liebste ihm einen Elefanten. 

Nach dem Motto: Man wächst mit den Anforderungen, die die Kinder an einen stellen. 

Hier noch mal aus einem anderen Blickwinkel, damit man sieht, dass der Elefant auch ein Schwänzchen hat. In einem früheren Leben war es ein Karabinerhaken.

Kunst zum Anschauen gab es aber auch nicht zu knapp. 







Davon abgesehen geht es bei "Suppe & Mucke" naturgemäß vor allem um zwei Dinge, nämlich zum einen Suppe und zum anderen Mucke; und beide waren gut. Wie ich schon mal geschildert habe, ist es wesentlich für das Konzept dieses Festivals, dass diverse soziale und/oder ökologische Initiativen und Projekte dort ihre Arbeit vorstellen, wobei es eine unerlässliche Teilnahmebedingung ist, dass es anders jedem Infostand eine Suppe gibt (gegen Spende). Ich kostete mindestens fünf verschiedene Suppen und meine Liebste wohl noch mehr. Was die Mucke angeht, wurde auf mindestens drei auf dem Gelände verteilten Bühnen musiziert; die größte war die Bühne am Blechpalast, dort hörten wir eine Weile einer Band namens Mishmosh zu, die ihren Stil als "KlezHop" bezeichnet – also als Mischung aus Klezmer und HipHop. Hat was. 

Hier ist der Name der Band falsch geschrieben. 


Übrigens trug ich an diesem Tag, ohne dass ich mir dabei etwas Besonderes gedacht hätte, ein T-Shirt, das meine Liebste mir zum Abschluss unseres gemeinsam bewältigten Jakobswegs in Santiago de Compostela gekauft hat; darauf zu sehen sind zwei verpflasterte Füße und der spanische Schriftzug "Sin dolor no hay gloria" ("Ohne Schmerz kein Ruhm"). Während des Aufenthalts auf dem RAW-Gelände hatte ich mehrmals den Eindruck, dass Leute, die ich nicht kannte, diesen T-Shirt-Aufdruck aufmerksam und etwas misstrauisch beäugten; vielleicht verstanden sie Spanisch, vielleicht wunderten sie sich nur über die Füße. Ich würde mal sagen, ich habe durchaus T-Shirts im Schrank, deren Motive geeignet wären, noch wesentlich kontroverse Reaktionen hervorzurufen. 

Ach ja, und à propos "Leute, die ich nicht kannte": Außer den Bekannten, die ich gleich beim Betreten des Festivalgeländes getroffen hatte, begegnete ich vielleicht noch einer Handvoll Leute, die ich "vom Sehen her" kannte; insgesamt blieb damit auch dieses Festival, was den Punkt "Leute von früher wiedersehen" angeht, deutlich hinter den Erwartungen zurück. Wie ich schon mal erwähnt habe, war ich schon beim ersten "Suppe & Mucke"-Festival in Berlin, im Jahr 2009, nicht nur als Besucher mit von der Partie, sondern hatte da sogar einen Auftritt auf der Kleinkunstbühne. Auch in den verschiedenen Clubs auf dem RAW-Gelände, so im "Lovelite" und im "Cassiopeia", hatte ich in den Nuller und Zehner Jahren ein paar Auftritte oder war auf Partys. Ich frage mich manchmal, was aus den ganzen Leuten geworden ist, mit denen ich mir damals regelmäßig die Nächte um die Ohren geschlagen habe. Ob die sich damals wohl hätten träumen lassen, dass ich anno 2024 immer noch zur "Fiesta Kreutziga" und zu "Suppe & Mucke" gehen würde, sie aber nicht? Dem einen oder anderen dieser Leute würde ich eigentlich gern mal meine Frau und meine Kinder vorstellen. 


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