Mittwoch, 7. Juli 2021

Die 100-Bücher-Challenge: Etappe 5

Sagen wir's, wie es ist, Leser: Dem im Advent 2019 gestarteten Projekt, innerhalb eines (Kirchen-)Jahres 100 Bücher zu lesen und zu rezensieren, ist ganz schön schnell die Luft ausgegangen, und das lag, wie ich zugeben muss, nicht nur an der Coronavirus-Lockdown-Situation, die mir monatelang ganz allgemein die Lust am Bloggen vergällt hat. Tatsächlich war die "100-Bücher-Challenge" schon vorher ins Stocken gekommen. Zwar hatte ich die fünf Bücher, die ich mir für Etappe 5 meines Lektüreplans vorgenommen und auch bereits angekündigt hatte, in recht zügigem Tempo durchgelesen, aber mit der Auswertung kam ich nicht so recht voran, und als ich schließlich mit dem Lesen schon bis Etappe 7 vorgedrungen war, mit dem Rezensieren aber immer noch in Etappe 5 festhing, verlor ich erst den Faden und dann die Lust. 

Tja. 

Nun habe ich aber unlängst den Entschluss gefasst, diese Artikelreihe doch wieder aufzugreifen, ohne Zeitdruck - der Zug ist ohnehin abgefahren -, aber doch mit dem Ziel, am Ende eine Rangliste von 100 mehr oder weniger #BenOp-relevanten Buchtiteln vorweisen zu können. Wie gehe ich da nun am besten vor? 

Nun, zunächst einmal ist festzustellen, dass die Auswertung von Leseetappe 5 doch schon relativ weit gediehen war, bevor ich sie habebliegen lassen. Somit ist es mir innerhalb von rund einer Woche seit dem Wiederaufnahme-Entschluss gelungen, sie fertigzustellen. Fangen wir damit also mal an: 

  • Valentin Katajew: In den Katakomben von Odessa 
Dieses Buch habe ich auf meine Leseliste gesetzt, weil es darin - im wortwörtlichen wie auch im übertragenen Sinne - um "Leben im Untergrund" geht; gleichzeitig ist mir sehr bewusst, dass sich dieses Buch - dessen Verfasser ein überzeugter Kommunist war und dessen Helden es ebenfalls sind - sich in eine Serie von Büchern in meiner Lektüreauswahl einreiht, die geeignet sein mag, kritische Fragen hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen meiner persönlichen #BenOp-Interpretation und linksradikaler Ideologie aufzuwerfen: Im vorigen Jahr hatten wir Debogory-Mokriewitschs "Erinnerungen eines Nihilisten", Erik Neutschs "Spur der Steine" und den "Baader Meinhof Komplex" von Stefan Aust, im laufenden Jahr George Orwells "Mein Katalonien", Maxim Gorkis "Wanderungen durch Russland", und ich will mal lieber noch nicht verraten, was ich für die künftigen Leseetappen noch so alles geplant habe. Tatsächlich finde ich, dass man gerade an Katajews "Katakomben von Odessa" recht gut Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen radikaler missionarischer Jüngerschaft im christlichen Sinne und dem Ethos und Selbstverständnis des kommunistischen Berufsrevolutionärs aufzeigen kann; aber dazu später. Diese Aspekte kommen nämlich erst ab dem zweiten Viertel der Romanhandlung zum Tragen; dass das Buch mir trotzdem schon von den ersten Seiten an ausgezeichnet gefiel, verdankte sich in erster Linie dem erzählerischen Tonfall. Ich glaube, ich entwickle mich zum Fan russischer Literatur. Offenbar im Interesse eines effektvollen Kontrasts zu den später folgenden Schilderungen der Härten von Krieg und Okkupation beginnt der Roman mit der zugleich humorvollen und anrührenden Erzählung über einen lange geplanten, aber immer wieder aufgeschobenen Abenteuerurlaub von Vater und Sohn Batschej, gefolgt von einer witzigen Episode um einen Gast, der gerade dadurch, dass er überhaupt keine Umstände machen will, den häuslichen Alltag seiner Gastgeber gründlich auf den Kopf stellt; darin eingebunden ist eine ebenfalls sehr witzige Passage über die ordnungsgemäße Zubereitung von Auberginensalat. Sicherlich kann man in der betont beiläufigen Erwähnung des Umstands, dass die Familie Batschej eine Einbauküche, ein Bad mit "Brause" (S. 13), einen Kühlschrank und sogar ein Telefon besitzt, die Absicht erahnen, zu demonstrieren, wie gut es den Menschen im Kommunismus geht, aber derartige Wohlstandspropaganda gab es zeitgleich (das Buch, jedenfalls die mir vorliegende zweite Fassung, ist von 1961) im kapitalistischen Westen genauso. 

Erheblich deutlicher kommt die Technikbegeisterung, in der sich der kommunistische Fortschrittsoptimismus manifestiert, in der Schilderung von Vater und Sohn Batschejs Flugreise von Moskau nach Odessa zum Ausdruck: 

"In vierzig Jahren würde Petja, sein Sohn, wohl ebenso zärtlich und wehmütig an den heutigen Tag denken wie der Vater an seine erste Reise in der Postkutsche und anschließend auf dem Dampfer 'Turgenjew'. Der kleine Raddampfer, der bei Rückenwind ein Segel aufzog, war ihm damals als mächtige Errungenschaft der Technik erschienen, während er sich heute nur mit einem Lächeln an die primitive, plumpe Dampfmaschine, die roten Räder und das jüdische Orchester erinnerte. Wer konnte wissen, ob sich sein Petja in vierzig Jahren, dann schon ein zuverlässiges, geachtetes Mitglied der kommunistischen Gesellschaft, nicht mit einem interplanetarischen Raumschiff auf die Reise begeben und über den heutigen Tag, den Autobus, das altmodische Verkehrsflugzeug ebenso zärtlich und wehmütig lächeln würde, wie Pjotr Wassiljewitsch es jetzt tat." (S. 20)
Aus heutiger Sicht mag dieser optimistische Blick auf die zukünftige kommunistische Gesellschaft einigermaßen tragikomisch erscheinen; dieser Eindruck drängt sich im weiteren Verlauf des Romans noch öfter auf. Wüsste man nicht, dass der Autor Katajew ein überzeugter Kommunist war, wäre man des Öfteren versucht, in der zuweilen allzu dick aufgetragen anmutenden kommunistischen Propaganda parodistische Züge zu wittern; so etwa, wenn der Partisanenführer Tschornoiwanenko pedantisch auf die Einhaltung der reinen marxistisch-leninistischen Lehre pocht und bei jeder Gelegenheit "sinngemäße" Lenin-Zitate aus dem Ärmel schüttelt. Man muss aber wohl davon ausgehen, dass es dem Verfasser völlig ernst damit ist. Darauf wird noch zurückzukommen sein; aber erst mal der Reihe nach: 

Kaum sind Vater und Sohn Batschej in Odessa eingetroffen, da marschieren "faschistische" - deutsche und rumänische - Truppen in die Ukraine ein, der Vater wird an die Front beordert und lässt seinen Sohn in der Obhut von Freunden zurück; beim Versuch, aus dem belagerten Odessa zu fliehen, ertrinkt der Junge beinahe, wird gerettet und, nachdem er von dem Sturz ins Wasser eine fiebrige Erkrankung davongetragen hat, gesundgepflegt und findet Zuflucht bei einer Gruppe von Partisanen, die ihren Stützpunkt in den titelgebenden Katakomben haben -- einem Tunnelsystem, das im 19. Jahrhundert durch den unterirdischen Abbau von Sand- und Kalkstein entstanden ist. Und nun wird es wirklich interessant; zunächst vorrangig dank der teilweise ziemlich detaillierten und dadurch, wenn ich das so sagen darf, ausgesprochen instruktiven Schilderungen der alltäglichen "Kleinarbeit" des Untergrundkampfes. Dazu gehört es beispielsweise, dass "in der Küchennische auf dem Petroleumkocher in einem großen Topf Kleister hergestellt" wird -- zum Ankleben illegaler Plakate: "Genosse Tschornoiwanenko [...] maß der Qualität des Kleisters große Bedeutung bei. Die Flugblätter sollten so fest an der Wand kleben, daß man sie schwer abreißen konnte" (S. 142). "Auch ein Vorrat an Kohlepapier wurde angelegt. Gewöhnliches Papier wurde mit zerstampftem Grafit eingerieben, den man aus Bleistiftminen gewann" (S. 156). Auch die Lagerung von Lebensmitteln ist ein großes Thema: 
"Damit die Lebensmittel in dieser Feuchtigkeit nicht verdarben, mußte man sie ständig neu lagern, trocknen, lüften. Fast die gesamte Zeit, die Matrjona Terentjewna zur Verfügung stand, brauchte sie, um die Lebensmittel gegen Feuchtigkeit zu schützen. [...] Jeden Tag musste sie Mehl, Zucker, Salz, Makkaroni und Graupen über dem Feuer trocknen. Doch am nächsten Tag war schon wieder alles feucht, und sie fing von vorn an" (S. 158).
Die "Kinder" - Petja und die etwas ältere Valentina - legen sogar ein unterirdisches Gemüsebeet an, und zwar heimlich, um "die Partisanen damit [zu] überraschen": "Sie hatten Matrjona Terentjewna einige Zwiebeln entwendet und in die Erde gesteckt. [...] Schließlich war eine Zwiebel nicht nur einfach eine Zwiebel. Sie enthielt Vitamine, die alle so nötig brauchten" (S. 163). Um die jungen Keimlinge gegen die Kälte zu schützen, decken "die Kinder sie mit einem alten Einweckglas zu, das sie im Stollen gefunden hatten" (ebd.), und Petja führt penibel Buch über das Experiment. Außerdem gestalten Petja und Valentina im Hauptquartier der Partisanen eine Wandzeitung mit dem Titel "Der unterirdische Bolschewik" (S. 202); das fällt freilich schon in die Kategorie "Agitation und Propaganda", über die weiter unten noch mehr zu sagen sein wird. Halten wir an dieser Stelle aber ruhig schon einmal fest, dass es sich für die emotionale Anteilnahme des Lesers als sehr wirkungsvoll erweist, dass ein großer Teil der Handlung aus der Sicht von Kindern, nämlich eben Petja und Valentina, erzählt wird. -- Um aber noch einmal auf den Aspekt der alltäglichen Kleinarbeit zurückzukommen: Der Roman versteht es ausgesprochen gut, beim Leser ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie Arbeiten, die für sich selbst gesehen banal und monoton scheinen, im Gesamtgefüge des Untergrundkampfes dennoch eine wichtige, ja unverzichtbare Funktion erfüllen. "Seit kurzem war noch eine andere ermüdende und langweilige Arbeit hinzugekommen", heißt es etwa auf S. 156: 
"Jemand mußte mit der Hand einen kleinen Dynamo zum Aufladen der Akkumulatoren drehen, ohne die das Radiogerät nicht funktionierte. Damit der Empfänger zehn, fünfzehn Minuten arbeitete, mußte man vorher den verwünschten Dynamo einige Stunden hintereinander drehen. Jeder, der auch nur eine halbe Stunde frei hatte, beteiligte sich daran." 

Um die Wichtigkeit dieser ebenso anstrengenden wie "tödlich langweilige[n] Tätigkeit" (S. 157) eindringlich zu illustrieren, bedient der Autor sich wiederum der Perspektive des Kindes: 

"Der kleine Petja hatte früher in der 'Pionier-Prawda' von berühmten Polarforschern gelesen, die auf Eisschollen drifteten und abwechselnd stundenlang hintereinander den Dynamo drehten, damit der Funker in der Polarnacht, über Tausende Kilometer hinweg, durch Schneefälle, magnetische Stürme, Orkane und Unwetter hindurch auf seiner Eisscholle die Stimme der Heimat hören konnte. Sie grüßte ihn mit dem mitternächtlichen Glockenschlag des Spasskiturmes und die durch die Entfernung zwar leisen, aber dennoch mächtigen, feierlichen Klänge der 'Internationale'. Wie begeistert war der Junge damals gewesen, und wie hoch hatte er diese mutigen Menschen verehrt, die zum Ruhm des Vaterlandes den Kampf mit den gefährlichen Elementen wagten. Niemals war ihm in den Sinn gekommen, wieviel körperliche Anstrengungen sie das Tag für Tag kostete [...]. 

Wenn er nicht gewußt hätte, daß das Radiogerät ohne dieses fürchterliche Drehen nicht empfing, hätte er die Kurbel, an der er sich Blutblasen holte, bald fallen lassen. Doch Petja weißte, daß abends das Informbüro senden würde. Den ganzen Tag wartete er mit den anderen auf die Nachrichten. So biß er sich auf die Lippe und drehte, drehte unermüdlich das leise quietschende, schlecht geölte, selbstgebaute Rad" (S. 156f.) 

Mir fällt dazu unwillkürlich eine in anderem Zusammenhang schon einmal zitierte Passage aus C.S. Lewis' "Mere Christianity" ("Pardon, ich bin Christ") ein: 
"Vom Feind besetztes Land – das ist diese Welt. Das Christentum berichtet davon, wie der rechtmäßige König gelandet ist, in Tarnung, könnte man sagen, und wie er uns alle aufruft, uns an einem großen Sabotagefeldzug zu beteiligen. Man geht im Grunde in die Kirche, um dort die geheimen Funksprüche unserer Freunde abzuhören. Deshalb ist der Feind so erpicht darauf, uns von dort fernzuhalten."
Ein anderer interessanter Aspekt des Lebens im Untergrund betrifft "die Notwendigkeit [...], den Pionieren Petja Batschej und Valentina Perepelizkaja mehr Aufmerksamkeit zu widmen": "Da sie angesichts der objektiven Schwierigkeiten keine Möglichkeit zum Schulbesuch hatten, bestand die Gefahr, daß sie im Lernen zurückblieben" (S. 203). An dieser Stelle erweist es sich nun vielleicht doch als nützlich, dass ich die Auswertung dieser Leseetappe so lange unvollendet habe liegen lassen, dass ich nun auch Erkenntnisse aus der Lockdown-Zeit in sie einfließen lassen kann. Denn es liegt ja nahe, hier an das Stichwort "Homeschooling" zu denken, und in diesem Zusammenhang wirkt es durchaus erhellend, zu betrachten, was für einen Bedeutungswandel der Begriff "Homeschooling" im öffentlichen Diskurs - zumindest in Deutschland - im Zeichen pandemiebedingter Schulschließungen durchgemacht hat (vgl. dazu auch den Gastbeitrag "Homeschooling ist anders" in den "Lebendigen Steinen" Nr. 5, S. 28ff.). Aus #BenOp-Sicht ist Homeschooling - ebenso wie diverse alternative Schulformen, ("Classical Academies", elterngeführte Schulen wie Marco Sermarinis "Scuola G.K. Chesterton", Uracher Plan...) schließlich deshalb interessant, weil es eine Möglichkeit bietet, der Indoktrinierung durch das öffentliche Schulsystem zu entgehen und ein (in inhaltlicher wie in methodischer Hinsicht) alternatives Konzept von Bildung zu praktizieren. Im Unterschied dazu bedeutete "Homeschooling" unter Lockdown-Bedingungen in Deutschland lediglich eine Auslagerung des schulischen Unterrichts aus dem Schulgebäude heraus und in den privaten Raum hinein, wobei die Eltern gewissermaßen als verlängerter Arm der Lehrer agieren sollten bzw. mussten. 
Prinzipiell ähnlich verhält es sich in den "Katakomben von Odessa": Nicht das Schulsystem ist das Problem, sondern im Gegenteil gerade der Umstand, dass die Kinder daran nicht teilnehmen können. Also gilt es, unter Untergrund-Bedingungen einen möglichst passablen Ersatz für den schulischen Unterricht zu schaffen. Es wird daher angeregt, die Kinder "täglich zu zwei Stunden Unterricht zu verpflichten", zudem soll das Kreiskomitee der Partei "die Pioniere bei der ersten günstigen Gelegenheit mit Lehrbüchern und Schreibgeräten [...] versorgen": 
"Solange diese noch nicht beschafft waren, wurde Valentina ans Herz gelegt, Petja ins Schlepptau zu nehmen und mit ihm den Unterrichsstoff der sechsten Klasse aus dem Gedächtnis durchzugehen. Valentina ihrerseits sollte sich in allen Fächern der achten und neunten Klasse unter Leitung von Swjatoslaw weiterbilden." (S.203) 
Nur in einem Detail geht das Bildungsprogramm, das für Petja und Valentina entworfen wird, über eine reine Fortsetzung des normalen Schulunterrichts mit anderen Mitteln (bzw. unter veränderten Rahmenbedingungen) hinaus: Es wird angeregt, "die beiden unverzüglich einen Beruf zu lehren, der gleichzeitig für die illegale Arbeit von Nutzen sei, wie zum Beispiel Radiotechnik und Morsen" (ebd.). 
 
Ausgesprochen #benOppig - jedenfalls von der Grundidee her - mutet hingegen die "Einrichtung einer täglichen Vorlesestunde im illegalen Kreiskomitee" (S. 199) an: Gelesen wird Gogols "Taras Bulba", dem Einen oder Anderen (z.B. mir) eventuell bekannt durch die Verfilmung mit Yul Brynner, Tony Curtis und Christine Kaufmann (1962). Wie man sich vorstellen kann, geht es bei der Vorlesestunde nicht etwa nur um literarische Bildung; vielmehr soll durch Gogols Erzählung "die Erinnerung an unsere ruhmreiche Vergangenheit" wach gehalten werden -- nämlich daran, "wie unsere Vorväter, die Saporosher Kosaken, gegen das fremde Joch kämpften, das ihnen von Westen her auferlegt wurde" (S. 198). -- Die Parallelen zwischen Gogols Erzählung und der Gegenwart der Widerstandskämpfer in den Odessaer Katakomben werden besonders anlässlich der Erwähnung der Kiewer Höhlen deutlich; bezeichnenderweise unterbricht Genosse Tschornoiwanenko die Lesung just an dieser Stelle für eine “kleine sachliche Richtigstellung": Ihm missfällt es, dass "Gogol behauptet, daß in den Kiewer Höhlen fromme Menschen gesessen hätten, die sich dort vor den Stürmen, dem Kummer und den Versuchungen der Welt verborgen hielten". Dagegen betont der Kreiskommissar, "daß die Kiewer Höhlen vor allem militärstrategische Bedeutung hatten": 
"Dort drinnen haben sich nämlich die Kiewer während der mongolisch-tartarischen Einfälle aufgehalten. [...] Aus den Höhlen heraus führten sie Überfälle im Rücken des Feindes durch und teilten vernichtende Schläge aus. Sie haben ihr Vaterland gegen die Eindringlinge verteidigt und sich durchaus nicht vor den Stürmen, dem Kummer und den Versuchungen der Welt verborgen" (S. 200). 
Folglich ermahnt Tschornoiwanenko die Mitglieder seiner Kampfgruppe, sie dürften "in dieser Beziehung [...] Gogol, der hier [...] seine Leser gleichsam zum passiven Widerstand, ja sogar zur Kapitulation angesichts der Schwierigkeiten auffordert, keinen Glauben schenken": "[H]istorisch gesehen ist es falsch" (S. 200f.) -- das ist eine interessante und bezeichnende Aussage, vor allem wenn man bedenkt, dass Tschornoiwanenko noch unmittelbar zuvor eingeräumt hat, "ganz gewiß" habe es "auch solche frommen Leute" gegeben. Wenn er Gogols Darstellung also als historisch falsch bezeichnet, meint er damit offenkundig nicht, dass sie faktisch unzutreffend wäre -- sondern dass sie dem ideologisch korrekten Geschichtsbild widerspricht

Nicht weniger bezeichnend ist ein anderes Detail der Vorlesestunde: Als in der Gogol-Erzählung von einem "Madonnenbild" die Rede ist, vor dem ein "Lämpchen" brennt,  beschwert sich die Pionierin Valentina über die "Popenwirtschaft" und tadelt: "Eine Lampe ist zum Leuchten da, aber bei ihnen dient sie einem religiösen Zweck" (S. 199). 

Diese Abgrenzung von der "Popenwirtschaft", von den "frommen Leuten", die in den Kiewer Höhlen lediglich "passiven Widerstand" geleistet haben, ist für das Selbstverständnis der kommunistischen Widerstandskämpfer ausgesprochen bedeutsam; und es ist ja geradezu eine Binsenweisheit, dass ein betontes Abgrenzungsbedürfnis in aller Regel auf eine gewisse Nähe schließen lässt. Schon der Begriff "Katakomben" verweist ja assoziativ auf die verfolgte Urkirche; und im Rahmen einer Neujahrsfeier im Versteck trägt Tschornoiwanenko ein von ihm selbst gedichtetes Lied vor, dessen Refrain lautet: 
"Der Glaube gibt uns Hoffnung. Der Glaube gibt uns Mut.
Wer glaubt, wird immer siegen. Wer glaubt, weicht nie zurück!" (S. 210) -- 
das könnte man sich ohne Weiteres auch in einem NGL-Liederbuch vorstellen. -- Als die Widerstandskämpfer pünktlich zum Neujahrsfest ein Lebensmittelpaket erhalten, fragt ein Mitglied der Kampfgruppe, Ljonja Zimbal, scherzhaft provozierend: "Gibt es da oben nicht doch einen Gott?" - "Nein, den gibt es nicht", erwidert Tschornoiwanenko humorlos -- und betont: "Menschen sind dort oben. Gute Sowjetmenschen. Unser Aktiv der Genossen und Parteilosen. Das Volk." Daraufhin erklärt Ljonja, genau das habe er ja gemeint: "Oben ist das Volk. [...] Und das Volk ist unsterblich. Also ist das Volk soviel wie Gott." (S. 206) 

Stellen wie diese machen bemerkenswert deutlich, in welchem Maße die Religionsfeindlichkeit der Kommunisten dadurch motiviert ist, dass die kommunistische Ideologie sich selbst an die Stelle der Religion zu setzen strebt und daher keine andere Religion neben sich duldet. Folgerichtig hat diese Ideologie auch ihre eigenen Rituale, ihre eigenen Märtyrer und Reliquien; das wird insbesondere im letzten Kapitel überdeutlich akzentuiert, als die Widerstandskämpfer in dem unterirdischen Labyrinth der sogenannten Katakomben auf Spuren früherer Widerstandskämpfer stoßen, die diese Gänge und Kammern schon im Bürgerkrieg von 1917-20 als Operationsbasis und/oder Versteck benutzt hatten. "Genossen, das ist die Stimme unserer Partei!", frohlockt Tschornoiwanenko. "Sie dringt zu uns aus den Tiefen der Vergangenheit. Spürt ihr ihre Kraft? Sie sagt uns: 'Wir leben'!" (S. 379). Den von Mutlosigkeit angekränkelten Batschej senior weist er zurecht: "Und du denkst, es sei so leicht, uns beide lebendig zu begraben? Nein, mein Lieber, wir sind unsterblich!” (S. 380). 

-- Der offenkundige Mangel einer solchen Religion ohne Transzendenz, einer Religion, die kein anderes Heilsversprechen kennt als jenes, das in der Zukunft der Menschheit liegt, einer Zukunft, die die Berufsrevolutionäre erst noch erschaffen müssen, ist, dass die hier anklingende Verheißung von Unsterblichkeit nur für das Kollektiv gilt, aber nicht für den Einzelnen. Dem einzelnen Revolutionär ergeht es im günstigsten Fall wie Mose, der vor seinem Tod das Gelobte Land von Weitem sehen durfte, aber nicht mehr lebend hinein gelangte. 


Trotz der fesselnden Erzählweise muss man sagen, dass die kommunistische Propaganda des Romans die Sympathien des nicht-kommunistischen Lesers für die Protagonisten einigermaßen schmälert. Zu dieser propagandistischen Ausrichtung des Romans  gehört auch die totale Dämonisierung des Gegners , die im Kampf gegen diesen jedes Mittel recht erscheinen lässt: So erklärt Tschornoiwanenko seinen Mitkämpfern - unter Berufung darauf, "was Lenin über den Einfall der Interventen gesagt hat" -, den "durch internationalen Raub geschaffenen, im Krieg vertierten Truppen" des Feindes dürfe man keinesfalls mit "etwas anderem als Terror" begegnen: "Wir wären Narren! So lehrt es uns Lenin" (S. 146). Im Gesamtkontext wird deutlich, dass dies nicht nur für den aktuellen Gegner - die deutschen und rumänischen Besatzungstruppen -, sondern für alle Feinde des Kommunismus gilt. "Was für Schurken haben nicht schon versucht, uns zu erwürgen", erinnert Tschornoiwanenko seinen alten Kampfgenossen Batschej: "Die Denikin, Wrangel, Koltschak, Semjonow, Petljura, die Schachty-Leute, die Industriepartei, die Basmatschen, die Mussawatisten... [...] Chalchin-Gol, die Weißfinnen..."  (S. 378) -- eine äußerst bemerkenswerte Aufzählung, die nicht nur gegenrevolutionäre Kräfte umfasst, sondern auch andere, nicht-bolschewistische Revolutionsbewegungen, innere Abweichler, Opfer von innerparteilichen Säuberungen und Schauprozessen. "Doch wir haben sie geschlagen, wir schlagen sie und werden sie schlagen. Ja, schlagen im tödlichen Kampf!", bekräftigt Tschornoiwanenko. "Und wir werden sie vernichten... Einfach weil wir einen gerechten, einen Volkskrieg führen. Einen Krieg für die Zukunft der ganzen schaffenden Menschheit. Für den Frieden, das Glück, den Kommunismus!" (end.) 

Aus #benOppiger Perspektive möchte ich anmerken, dass gerade solche Passagen ausgesprochen lehr- und hilfreich dafür sein können, gewissermaßen "leninistische" Tendenzen im eigenen Denken aufzuspüren und kritisch zu reflektieren. Mit Blick auf die Mahnung des Apostels Paulus "Wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen Mächte und Gewalten, gegen die Weltherrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister in den himmlischen Bereichen" (Epheser 6,12) mag es in Konfliktsituationen ratsam sein, sich einerseits zu fragen "Was würde Lenin tun?" und andererseits "Was würde der Hl. Paulus tun?" -- und sich dann ganz bewusst gegen Lenin und für den Hl. Paulus zu entscheiden. 

Abschließend möchte ich behaupten, allein die Ausführlichkeit, mit der ich mich diesem Buch gewidmet habe, macht hinreichend deutlich, dass "In den Katakomben von Odessa" nach jetzigem Stand der Bücher-Evaluation allemal Einen Platz in den Top Ten verdient; ich sortiere es hinter "Las Casas vor Karl V." ein. 

  • Alexander von Schönburg: In bester Gesellschaft 
Diese Sammlung pointierter, häufig sarkastischer Kolumnen aus der Welt der Reichen und Schönen habe ich mit Vergnügen gelesen; über den reinen Unterhaltungsaspekt hinaus habe ich die einzelnen Beiträge allerdings als in sehr unterschiedlichem Maße interessant empfunden. Zum Teil sind Schönburgs Kolumnen ausgesprochen witzig (z.B. "Wie man sich unbeliebt macht", S. 23ff., oder "Brauchen Kinder Vielfliegerkarten?", S. 102ff.), ohne deswegen allerdings zwingend #BenOp-relevant zu sein; zum Teil machen sie den Eindruck, ihnen fehle die Pointe; und zum Teil sind sie wirklich einfach nur Klatsch. Da das Buch 2008 erschienen ist, ist als zeitgeschichtlicher die damals gerade aktuelle Bankenkrise mitzubedenken, auf die im Klappentext angespielt wird und die im Inneren des Buches erstmals auf S. 17 explizit erwähnt wird, insgesamt aber doch keine gar so herausragende Rolle spielt.
Trotz mehrerer im Text verstreuten Andeutungen dauerte es übrigens eine Weile, bis mir aufging, dass der Autor der Bruder von Fürstin Gloria von Thurn und Taxis ist -- ein Umstand, der für seine Stellung innerhalb der konservativ-katholischen Prominenz Deutschlands wohl nicht ganz unerheblich ist. Explizit kommt Schönburg aber nur sehr gelegentlich auf seinen Katholizismus oder überhaupt auf religiös-kirchliche Themen zu sprechen; ein Highlight in dieser Hinsicht ist der ursprünglich in Vanity Fair - dem Magazin, nicht dem Roman! - Nr. 18/07 erschienene Text "Klatschhochburg Vatikan" (S. 51ff.). Darin berichtet der Graf über die "Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag von Benedikt XVI.", die ihn "zu einer Expedition in den Vatikan" veranlasst haben: 
"Als Katholik war ich eigentlich davon ausgegangen, es hier hauptsächlich mit sehr frommen Menschen zu tun zu kriegen. Rückblickend muss ich feststellen, dass ich selten mit so viel Klatsch und Tratsch konfrontiert gewesen bin wie in Rom. Wie bei jedem anderen Hofstaat dreht es sich auch hier hauptsächlich um eines: die Nähe zum Thron. Nur dass alles hier, auch die Boshaftigkeit, renaissancehafte Ausmaße hat. Je größer die Nähe zum Souverän ist, desto unnachgiebiger wird man von Höflingen angefeindet. Das war in Versailles so, das ist im Buckingham-Palast so, und das ist offenbar auch im Vatikan nicht anders." (S. 51) 
Als "Hauptzielscheibe des Mobbings" macht Schönburg den "Privatsekretär des Papstes, Don Georg Gänswein" aus: 
"Hinter vorgehaltener Hand wird er gerne abfällig 'der Kaplan' genannt. Seine Freundschaft zum Papst, die Tatsache, dass er nicht nur dessen Büro leitet, sondern auch noch täglich eine Stunde mit Benedikt XVI. durch die vatikanischen Gärten spaziert, um den Rosenkranz zu beten, scheint eine Quelle unendlicher Missgunst zu sein." (ebd.) 
Im Übrigen merkt der  Verfasser an, die "deutsche Politprominenz" habe beim Empfang zum Papstgeburtstag, "wie nicht anders zu erwarten, entweder durch Abwesenheit oder durch unpassende Garderobe" geglänzt, und verrät, Edmund Stoiber sei - als "kleine, aber gerechte Strafe" für seinen Verstoß gegen die Kleiderordnung - "um ein Haar verhaftet" worden (S. 52). Im Zusammenhang mit protokollarischen Patzern in Grußbotschaften an die Adresse des Papstes fällt der herrlich süffisante Satz: "Die Anrede ‘Eure Heiligkeit’ ist in Deutschland dem Dalai Lama vorbehalten" (S. 53).

Unter den sonstigen - verstreuten, vereinzelten - Passagen mit Bezug zu Religion im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Besonderen scheinen mir vor allem diejenigen erwähnenswert, die sich mit der kirchlichen Lehre zur Sexualität befassen. So findet sich in einem ursprünglich 2004 in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Artikel über den exzentrischen und bekennend bisexuellen Schauspieler Helmut Berger eine erstaunliche Apologie der vielgescholtenen katholischen Sexualmoral -- von keinem anderen als Helmut Berger selbst: In seiner Autobiographie, so bemerkt Schönburg, habe Berger noch beklagt,
"dass er unter der katholischen Sexualmoral gelitten habe, weil ihm [sic] bei jedem Gedanken an Sex Schuldgefühle verfolgten. Heute sagt er: 'Diese Schuldgefühle, die ich mühsam bekämpft habe [...], das waren Eingebungen meines Engels! Leider war viel zu oft der Dämon aber stärker.' Irgendwann habe er die Stimme des Engels nicht mehr gehört." (S. 145) 
Und in einem 1998 im Gentleman's Quarterly erstveröffentlichten Artikel über den (post-)modernen  Künstler oder Anti-Künstler Damien Hirst (dazu weiter unten noch mehr) sinniert Schönburg über die bildungsbürgerliche Lust am Schockiertwerden, womöglich wäre es heutzutage die größtmögliche Provokation, "wenn man statt Promiskuität und Analsex plötzlich Askese und Enthaltsamkeit thematisieren würde"  (S. 158). 

Soweit die einzelnen Beiträge des Buches sich ganz oder weitgehend in den bewährten Bahnen des Genres "Klatschkolumne" bewegen, könnte man indessen den Eindruck haben, die Kernaussage dieses Werkchens laute "Ja, die Promi-Welt ist schon ein ziemlicher Misthaufen", und das allein sei ja nun - trotz des Scharfblicks und der flotten Schreibe des Autors - keine besonders bahnbrechende Erkenntnis. Aber es steckt doch mehr dahinter. Wenn das Buch als Ganzes gesehen überhaupt eine Kernaussage hat, dann lautet diese wohl eher "Die feine Gesellschaft ist auch nicht mehr das, was sie mal war"; und das ist nicht einfach als konservativ-kulturpessimistisches Lamento zu verstehen, sondern beschreibt einen sehr realen Transformationsprozess in der Gesellschaft. In einem wohl 2002 oder '03 (die Datumsangabe fehlt im Quellenverzeichnis) in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter dem Titel "Proletariat erster Klasse" erschienenen, für die Buchausgabe süffisant in "Ist Snobismus überhaupt noch möglich?" (S. 80-86) umbenannten Artikel bringt der Graf dies mit der Feststellung auf den Punkt, das, "was man früher ‘Gesellschaft’ nannte", werde "durch ‘Promis’ ersetzt" -- und zwar weil diese "eine wichtige Funktion erfüllen: Sie machen die Durchlässigkeit der sozialen Schranken plausibel" (S. 82). An anderer Stelle ("Geschlossene Gesellschaft", S. 45ff.; ursprünglich in Vanity Fair Nr. 40/07) stellt er fest, dieser Promi-Kult führe dazu, dass es, "grob gesagt, zwei Arten von gesellschaftlichen Ereignissen" gebe: 
"die wirklich interessanten Zusammenkünfte, die für die Öffentlichkeit unsichtbar sind [...]. Und die potemkinschen Partys, deren Sinn und Zweck es ist, in den Klatschspalten vorzukommen, die aber nur gesellschaftliches Leben simulieren - weil sie in Wahrheit reine PR-Veranstaltungen sind, denen die Mitglieder der wirklichen Gesellschaft fernbleiben." (S. 46f.)
Die Welt der Promis erweist sich mithin gleich in mehrfacher Hinsicht als eine Scheinwelt -- deren Absurditäten Schönburg gnadenlos, wenn auch zuweilen mit mild sarkastischem Lächeln, aufs Korn nimmt: “Früher war es so, dass sich die Damen der Gesellschaft nachmittags zu einem Schönheitsschlaf zurückzogen, heute lässt man sich lieber ein bisschen Nervengift ins Gesicht spritzen, um wieder frisch auszusehen" (S. 27f.). Demgegenüber erscheint die "echte, alte" Oberschicht, der Graf Schönburg sich zugehörig weiß, als geradezu bodenständig: 
"Für einen Milliardär ist es eine weise Entscheidung, eine Reiterin zur Freundin zu nehmen. Reiterinnen haben eine eingebaute Anti-Tussi-Versicherung. Jemand, der einen Stall ausmisten kann, ist jedenfalls schon einmal nicht verhätschelt." (S. 56) 
Man fühlt sich - genauer gesagt: ich fühle mich - ein wenig an die Ständetheorie Wilhelm Heinrich Riehls ("Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik", 1851-69) erinnert, der den im Wortsinne "bodenständigen", d.h. auf seinen Gütern sitzenden Landadel als eine Art veredeltes Bauerntum betrachtete und genau darum schätzte. -- Aber zurück zum vorliegenden Buch: Wo hinter dem aristokratischen Snobismus, mit dem der Verfasser vielfach kokettiert, eine ernsthafte zeitkritische Haltung durchschimmert, sehe ich durchaus Bezugspunkte zu Alasdair MacIntyres Buch "Der Verlust der Tugend", das ja bekanntlich zu den philosophischen Grundlagentexten der #BenOp zählt. Schönburg betrachtet, so möchte ich behaupten, die akut vom Aussterben bedrohten aristokratischen Tugenden als echte Tugenden im Sinne MacIntyres, wohingegen die sogenannten "bürgerlichen Tugenden", die Graf Schönburg unter augenzwinkernder Berufung auf sein blaues Blut (so schon in dem als eine Art Vorwort dienenden Text "Höflicher Monolog", S. 9-13) eher mit Geringschätzung betrachtet, eben - wiederum ganz im Sinne MacIntyres - nur sogenannte und keine wirklichen Tugenden sind; und die neue, quasi nach-bürgerliche Upper Class der Parvenüs und "Promis" hat selbst die nicht mehr. "Bis heute zehren wir von Traditionen und Kulturgütern, die durch das Mäzenatentum und die Glanzentfaltung im feudalen Zeitalter geschaffen wurden", gibt Schönburg zu bedenken. "Was, fragt man sich bang, wird uns wohl die heutige Elite als Kulturgut hinterlassen?” (S. 82f.) 

Nicht minder bemerkenswert erscheint Schönburgs Feststellung, dass die tatsächlich "Reichen und Mächtigen" sich dank der Fixierung des öffentlichen Interesses auf die "Promi"-Scheinwelt "zu den invisibles, den Unsichtbaren, zählen dürfen": 
"Die Soziologie erfand den Begriff invisibles für jene am untersten Rand der Gesellschaft, da sie von uns, wenn wir durch unsere Städte gehen, nicht wahrgenommen werden, wie sie in ihren Pappkartons hausen. Was noch aussteht, ist die soziologische Würdigung der Tatsache, dass jene am obersten Rand der Gesellschaft ebenso invisible sind." (S. 47) 
Gesondert eingehen muss ich noch, wie bereits angekündigt, auf den Beitrag über Damien Hirst (S. 151-158), denn darin findet sich eine Reflexionspassage, in der Graf Schönburg bemerkenswert leichthändig dem Dilemma dessen, was landläufig im polemischen Sinne als "moderne Kunst" bezeichnet wird (also insbesondere Aktions- und Objektkunst), auf den Grund geht: 
"Den Künstlern der modernen Welt [...] blieb in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts nichts anderes übrig, als einzusehen, dass man mit Pinsel auf Leinwand nichts Neues mehr sagen kann, zumindest nichts, was für eine Zeit der Massenproduktion typisch sei. Also erhob Andy Warhol das Massenprodukt selbst zur Kunst, mit der Dose Tomatensuppe von Campbell. Sein Kollege Lichtenstein machte Comics zur Kunst. Okay, okay, wir haben verstanden, die Kunst ist tot, in der Sterbensphase gab es noch ein paar große Werke, die dieses Sterben eindrucksvoll zeigen, aber irgendwann muss doch Schluss sein. Man kann doch nicht jahrzehntelang auf eine Leiche einstechen. Sind nun Hirsts Fleischfetzen und Tierkadaver in Formaldehyd das endgültige Ende, oder gibt es diese Kunst gar nur noch, weil der Kunstmarkt versorgt werden muss? Damien Hirst verarscht die Kunstwelt, aber er lebt auch von ihr. [...] Also ist Damien Hirsts Antwort auf die Frage, ob er Kunst oder Anti-Kunst macht, die einzig richtige: 'Lass uns in den Pub gehen und uns über die Ausweglosigkeit dieser Frage betrinken!'" (S. 152f.) 
Ich prognostiziere schon mal, dass uns dieses Thema in zukünftigen Leseetappen noch ein paarmal begegnen wird. Und ein #BenOp-relevantes Thema ist das deshalb, weil er hier diagnostizierte "Tod der Kunst" eine natürliche Folge des Verlusts metaphysischer Gewissheiten ist. Werfe ich jetzt mal so als These in den Raum. -- Nur als Kuriosität, besonders mit Blick auf die vorige Etappe meiner "100-Bücher-Challenge", sei erwähnt, dass der Verfasser an einer Stelle über seinen Freund Prinz Asfa-Wossen Asserate sagt, dessen Familiengeschichte sei "nicht, wie bei unsereinem, in spießigen Familienchroniken nachzulesen, sondern im Alten Testament. Im Buch der Könige. Zu seinen Vorfahren gehören die Königin von Saba und König Salomon" (S. 222). -- Alles in allem jedenfalls eine durchaus lohnende Lektüre; die spezifisch #BenOp-relevanten Aspekte sind zwar vergleichsweise klein und weit verstreut, reichen aber aus für die Aufnahme in die Rangliste -- auf dem vorerst letzten Platz. 

  • Caroline Plaisted: Erste Liebe übers Internet 
Die deutsche Fassung dieses Jugendromans der britischen Autorin Plaisted, der im Original den knackigeren Titel "E-Love" trägt, erschien exklusiv im "FUNtasie Club", den es schon seit längerer Zeit nicht mehr gibt, der aber offenbar nach einer Art Abo-System funktionierte (laut einem Eintrag bei gutefrage.net bekamen Clubmitglieder "jeden Monat ein Paket mit 2 Büchern und [...] kleinen Extras" wie z.B. Schreibzeug). Dass das Buch folglich nicht über den normalen Buchhandel erhältlich war, scheint zunächst einmal wenig Gutes über seine Qualität nahezulegen; und nebenbei bemerkt wirkt die deutsche Übersetzung teilweise recht plump und unbeholfen. Trotzdem fand ich das Buch über weite Strecken bedeutend besser als erwartet, oder sagen wir ehrlicherweise: bedeutend weniger schlecht als erwartet.

Interessiert hat mich an dem Buch ja vorrangig die Frage angeht, ob es sein Thema wohl ausreichend ernst nimmt; nun, dazu ist festzustellen: Die Originalausgabe erschien 2001, die deutsche Fassung 2002, das Internet war für uns alle Neuland, und so drehen sich die Gedanken der 15-jährigen Protagonistin Samantha (kurz "Sam") vor allem anfangs vorrangig darum, ob es nicht irgendwie peinlich und armselig sei, soziale Kontakte in Chatrooms zu suchen statt im wirklichen Leben. Man will schließlich nicht zu "diese[n] traurigen Typen" gehören, "die Schwierigkeiten haben, Freunde zu finden und sich deshalb auf die Chatrooms verlassen müssen, in der Hoffnung, dort mit jemandem in Kontakt zu kommen" (S. 15); und kann ein Junge, den man auf diesem Wege kennen lernt, überhaupt etwas anderes sein als ein "komischer Typ", ein "trauriger Fall", ein "asozialer Computerfreak" (S. 13)? Hätte er es andernfalls "nötig, auf diese Weise Freunde zu suchen" (ebd.)? Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich keine klare Vorstellung davon habe, wie "Chatrooms" - eine primitive Vorform sozialer Netzwerke aus der Zeit vor der Erfindung von MySpace (2003) und Facebook (2004) - eigentlich funktionierten. Das ist aber wohl auch nebensächlich. -- Im weiteren Verlauf ist, durchaus erwartungsgemäß, recht beharrlich von den Gefahren die Rede, die damit verbunden sein können, sich im Internet von Fremden ansprechen zu lassen. "Nein, nein, ich war ja nicht von gestern", versichert Sam. "Ich wusste sehr gut, dass man online sehr vorsichtig sein musste mit dem, was man von sich erzählte. Man liest ja schließlich immer wieder in den Zeitungen über diese ekligen Typen, oder? Über diese schmutzigen alten Männer, die versuchen über das Internet Kinder anzumachen." (S. 27) Halb scherzhaft, halb ernsthaft ermahnen ohre Freundinnen sie: "Da draußen gibt es ganz üble Spanner" (S. 42). - "Aber das könnte doch ein perverser alter Spinner sein? [...] Vor kurzem stand in der Zeitung, dass ein Mädchen in Amerika von einem Typen vergewaltigt wurde, den sie über das Internet kennen gelernt hatte!" (S. 57). Auch eine Lehrerin "hatte uns vor all den Pädophilen gewarnt, von denen die Polizei annahm, dass sie auf der Suche nach Kindern durch das Internet surften" (S. 43). Und dann natürlich die Eltern! "Du hast diesen Jungen im Internet getroffen?", empört sich Sams Mutter. "Samantha, ich weiß, dass du und deine Freundinnen über das Internet chattet, aber dein Papa und ich haben dir ausdrücklich verboten mit anderen Leuten in den Chatrooms zu sprechen. Das weißt du ganz genau. Wir haben lange darüber diskutiert. Wir haben doch in den Zeitungen alles über diese perversen Leute gelesen die andere Menschen über das Internet verfolgen." 

Ich bin geneigt zu sagen: Durch diese ständige Wiederholung, vor allem aber dadurch, dass aus solchen Warnungen aber keinerlei praktische Konsequenzen gezogen werden, werden sie in gewissem Sinne gerade verharmlost: Autorin und Verlag dürfen das gute Gefühl haben, ihrer Verantwortung gerecht geworden zu sein, indem sie die Gefahr angesprochen haben, aber die junge Leserin zieht aus dem Handlungsverlauf den Schluss: Hey, es geht ja alles gut, warum sollte also ausgerechnet mir etwas Schlimmes passieren. 

Davon abgesehen wartet die Handlung mit einigen durchaus interessanten Nebenaspekten auf, etwa was das Thema Familie und Beruf betrifft. Schon ziemlich zu Beginn der Handlung bekennt die Protagonistin, der Umstand, dass ihre "Eltern so viel arbeiten und [...] so wenig Freizeit haben", mache ihr "eigentlich nichts aus": "Wahrscheinlich habe ich mich schon daran gewöhnt und bin froh, dass ich meine Sachen machen kann, ohne dass mich dauernd jemand dabei stört" (S. 11). Noch einmal zur Erinnerung: Sie ist es fünfzehn. Ihre Mutter ist Anwältin für Familienrecht und ihre Fälle sind "immer so traurig": "Manchmal hört man, wie sie vor sich hin murmelt und ungläubig den Kopf schüttelt über das, was andere Menschen sich gegenseitig antun" (S. 12). Interessant ist auch eine im Gesamtzusammenhang der Handlung rein episodische Passage über Sams Klavierlehrerin: 
"Als Frau Jay jung war, war sie Meisterschülerin an der 'Royal Academy of Music' [...]. Sie sollte eigentlich eine große Konzertpianistin werden und um die Welt reisen, aber da kam ein großer Schicksalsschlag. Anscheinend starb ihr Vater und ihre Mutter erwartete von ihr, dass sie nach Hause kommen und für sie sorgen sollte. Ihre Karriere aufgeben und so weiter. Schrecklich. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie das gemacht hat, freiwillig alle Freunde aufzugeben, die ganze Freiheit des Alleinelebens. Und dann die Reisen um die Welt! Aber Frau Jay sprach darüber, als wäre das für sie damals genau das Richtige gewesen. Als hätte es keine andere Wahl gegeben, als nach Hause zurückzukommen und sich um ihre Mutter zu kümmern." (S. 20) 
Ich würde mal sagen: Dass die halbwüchsige Ich-Erzählerin sich so überzeugt zeigt, eine solche Lebensentscheidung zu Lasten der Karriere und der "Freiheit des Alleinelebens" sei "[s]chrecklich" und "[t]odtraurig" (ebd.), obwohl die Klavierlehrerin selbst das offenkundig nicht so empfindet, lädt dazu ein, diese Passage und dann auch gleich noch diverse andere gründlich gegen den Strich zu lesen. 

Und, ob man's für möglich halten mag oder nicht: Zum Thema Religion/Kirche ist "Erste Liebe übers Internet" für Jugendbuch-Verhältnisse ebenfalls gar nicht mal so unergiebig. Eine Passage, in der Samantha darüber reflektiert, "dass Sonntage eine Mischung aus wunderschönem Faulsein und total schrecklicher Langeweile" seien (S. 50), lässt zwar darauf schließen, dass aus ihrer Familie gewöhnlich niemand sonntags in die Kirche geht; anders aber ihre von den Westindischen Inseln stammende Freundin Debs, die in einem Kirchenchor singt und sogar - als "analoger" Gegenentwurf zu Sams Internet-Flirt - in der Kirche einen süßen Jungen kennenlernt: "Und nach dem Gottesdienst konnte ich sogar mit ihm reden, als es im Gemeinderaum Mittagessen gab" (S. 75). Na also! An anderer Stelle wird erwähnt, dass Sam und ihre Mitschülerinnen sich im Kunstunterricht "mit religiösen Malereien" beschäftigt haben - "wisst ihr, Heiligenbilder und Altäre und so etwas" - und dass sie sich dazu Mozarts Requiem angehört haben: "Das hat uns wirklich gut darauf eingestimmt" (S. 15). Später besichtigt sie zusammen mit ihrem Schwarm eine Kathedrale (S. 116). 

Alles in allem fand ich es zwischenzeitlich gar nicht unbedingt abwegig, dass man "Erste Liebe übers Internet" in die Rangliste der #BenOp-relevanten Lesefrüchte aufnehmen könnte, aber dann sagte ich mir: Wenn ich "Liebe, Stress, Gitarrenständchen" nicht in die Rangliste des letzten Jahres aufgenommen habe, warum erwäge ich es dann bei diesem Buch, das in nahezu jeder Hinsicht deutlich schwächer ist? Nur weil am Rande ein bisschen Kirche vorkommt? Hinzu kam, dass die zweite Hälfte qualitativ doch erheblich nachlässt: Sam und der im Chat kennengelernte Typ (namens Dan) treffen sich IRL, verlieben sich ineinander, knutschen... alles sehr vorhersehbar und unoriginell. Die letzten beiden Kapitel sind dann vollends tatsächlich so schlecht, wie ich mir ursprünglich das ganze Buch vorgestellt hatte. Offenbar gibt es in dieser Art von Jugendroman keinen anderen Ausweg aus der Handlung als den, die Heldin feststellen zu lassen, dass ihr Schwarm doch nicht so toll ist. In diesem konkreten Fall hat das damit zu tun, dass Dan, der in den Midlands wohnt, Tierarzt werden will, und zwar kein Therapeut für neurotische Schoßhündchen, sondern ein richtiger Viehdoktor; und Samantha ist einfach zu sehr Stadtkind, um sich damit anfreunden zu können, "ständig [...] von Kuhmist und stinkenden Tieren" umgeben zu sein, als sie ihn in den Ferien besucht (S. 135). Auch das könnte man natürlich gegen den Strich zu lesen versuchen, aber irgendwann stößt diese Methode eben doch an ihre Grenzen. Daß abschließende Urteil lautet also: nicht qualifiziert! 

  • C.J. Cherryh: Das Tor von Ivrel 
Das Erstlingswerk der sehr produktiven und mehrfach preisgekrönten Science-Fiction- und Fantasy-Autorin Cherryh spielt in einer archaischen, von Stammeskonflikten und kriegerischem Ethos geprägten Welt, in der es jedoch - offenbar als Relikte einer untergegangenen, technologisch hoch entwickelten Zivilisation - Dimensionstore gibt, die Reisen durch Raum und Zeit ermöglichen. Da niemand  mehr über die nötigen Kenntnisse verfügt, die Tore zu kontrollieren, stellen sie eine unkalkulierbare Gefahr dar, weshalb Morgaine, eine geheimnisvolle Frau, die offenbar aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit stammt, sie zerstören will. -- Für Fans von "heroic fantasy" ist dieser Roman sicherlich ein Leckerbissen (außer vielleicht für solche, die "crossovers" mit dem Science-Fiction-Genre dogmatisch ablehnen; was weiß denn ich, was es in diesen Kreisen für Befindlichkeiten gibt). Wer mit diesem Genre weniger vertraut ist, muss sich in der von der Autorin geschaffenen Welt mit all den unaussprechlichen Orts- und Personennamen erst mal zurechtfinden. Dann allerdings ist es eine fesselnde Lektüre, gut erzählt, abenteuerlich und geheimnisvoll, und man hat den Eindruck, die Handlung - einschließlich der zunächst nur in Umrissen zu erahnenden backstory - sei ausgesprochen gut durchdacht, was im Fantasy-Genre, meinen bescheidenen Kenntnissen zufolge, durchaus keine Selbstverständlichkeit ist.

Den Vergleich mit Tolkien, der - wie ich bereits zu Protokoll gegeben habe - mancherorts gezogen wird,  halte ich immer noch für sehr deutlich zu hoch gegriffen, aber ein gutes Buch ist es doch. Ich war da ja anfangs skeptisch. Gäbe es eine eigene Wertung dafür, wie sehr ein Buch meine Erwartungen übertroffen hat, dann läge "Das Tor von Ivrel" in dieser Wertung sehr weit vorn. Eine ganz andere Frage ist derweil jedoch, wie es mit der #BenOp-Relevanz aussieht. Ja, wie denn? 

Das erste, was mich an diesem Buch über das reine Vergnügen an der spannend erzählten Handlung hinaus faszinierte, war eine Passage über Ungeheuer aus anderen Welten, die durch die Dimensionstore eindringen: "Diese Ungeheuer - einige werden sterben wie Kleinkinder, die man vorzeitig an einem zu kalten oder zu warmen Ort aussetzt; viele werden harmlos bleiben, doch andere werden gedeihen und sich vermehren" (S. 95). Die Protagonistin Morgaine warnt vor den ökologischen Folgen des Eindringens dieser Wesen: "Nicht dem Menschen schaden solche Dinge, sondern der Natur" (ebd.). -- Ich will nicht unerwähnt lassen, dass - wie mir beim Nachdenken über diese Passage aufgegangen ist - neben der im eigentlichen Sinne ökologischen Lesart auch - vermittelt über das Konzept des sogenannten "Ethnopluralismus" - eine "migrationskritische" wenn schon nicht naheliegend, so doch zumindest möglich wäre. Das erwähne ich deshalb im Zusammenhang mit der Frage nach der #BenOp-Relevanz, weil eine gewisse Überbetonung bzw. Überinterpretation des "isolationistischen" Elements von Rod Drehers "Benedikt-Option" in der kritischen Rezeption einerseits dazu geführt hat, dass der #BenOp rassistische Tendenzen unterstellt wurden, andererseits aber ironischerweise auch dazu, dass der Identitären Bewegung und ähnlichen "neurechten" Gruppierungen nahestehende Kreise ein wohlwollendes Interesse an dem Buch entwickelten (Belege verlinke ich hier mal lieber nicht). Ich denke aber, dass es schon einer gewissen - sagen wir mal - "xenophoben" Prädisposition bedarf, um nicht zu kapieren, dass die "Große Flut", die den christlichen Kirchen in der westlichen Welt "bis ans Dach" steigt, nicht die Migrantenflut ist. "Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen Mächte und Gewalten, gegen die Weltherrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister in den himmlischen Bereichen." (Epheser 6,12)

Wie also wäre die betreffende Passage dann zu deuten? -- Ein Umstand, der so offensichtlich ist, dass man ihn leicht übersehen könnte, ist, dass es sich bei den Toren um Medien handelt; ein Bezug zur Technologie- und Medienkritik der #BenOp lässt sich also ohne große Schwierigkeiten herstellen, und insbesondere darin, dass Thiye Thiyessohn, der gespenstische Lord von Hjemur, die Tore zu seinem Nutzen einzusetzen versucht, obwohl er sie letztlich nicht beherrschen kann, kann man unschwer eine Warnung vor den Gefahren unkontrollierbarer Technologien (und deren politischer Instrumentalisierung) erkennen. 

Interessant ist auch, dass es von dem offenbar so gut wie ausgestorbenen Volk der qujal, aus deren untergegangenen Zivilisation die Tore und noch einige weitere hochtechnologische, von den jetzigen Bewohnern des Landes jedoch für magisch gehaltene Relikte stammen, heißt: 
"Für die qujal gibt es kein Hinterher, keine Unsterblichkeit,  sondern nur den Tod. Sie haben ihre Götter verloren, jeden Glauben, den sie früher einmal besessen haben mögen. Mehr gibt es nicht für sie - leben, die Freuden genießen, die Macht genießen." (S. 108f.) 
Aber gehen wir mal einen Schritt zurück: Der Passage über die andersweltlichen, das Ökosystem bedrohenden Ungeheuer im Koriswald geht ein - leider nur kurzer - Aufenthalt der Protagonisten beim Klan der Chya voraus, und verglichen mit praktisch allen anderen Örtlichkeiten, die der Roman schildert, mutet der Sitz dieses Klans geradezu idyllisch an: 
"Eine riesige Lichtung tat sich im Koriswald auf, im freundlichen Licht der Mittagssonne strahlend; die gesamte Fläche war gefüllt mit Hütten aus Baumstämmen und Flechtwerk -- die Chya waren der einzige Klan ohne Steinburg. Vor langer Zeit hatte es das alte Ra-koris gegeben, ein herrlicher Bau, Sitz der Hochkönige; die Ruinen lagen in einiger Entfernung von diesem Ort [...]. Die Enkel und Urenkel der Krieger [...] unterhielten nun lediglich diesen hölzernen Bau, ohne Schätze, ohne umfangreiche Besitztümer; zwischen ihnen und dem Hungertod standen lediglich der Bogen und ihre Jagdgeschicklichkeit. Allerdings wirkte keiner der hier Wohnenden krank; die Frauen und Kinder, die die Einreitenden beobachteten, waren aufrecht und groß gewachsen, wenn auch von schlichter Schönheit; dieses Volk besaß eine angenehme Art, die sich sehr von dem ungesunden Äußeren der Leth unterschied." (S. 90) 
Sollte man das als das Urbild einer #BenOp-Community betrachten? Ist es von besonderer Signifikanz, dass es gerade der Klan der früheren Hochkönige ist, der nun in einer Art freiwilligen Armut und offenkundig gesunden Naturnähe lebt? Und dass dem Co-Helden Vanye das Angebot gemacht wird, sich nach vollbrachter Mission diesem Klan anzuschließen (wozu es dann aber doch nicht kommt)? Es bleibt in der Schwebe. Fast noch interessanter ist indes, dass die Protagonisten kurz vor dem entscheidenden Showdown der Romanhandlung im Kloster von Baien-an Station machen, von dem bereits im Prolog die Rede war: Rund ein Jahrhundert vor der Haupthandlungszeit des Romans trat der einzige Überlebende der Schlacht von Irien "kummervoll [...] in das Kloster von Baien-an ein und verbrachte seine Tage im Gebet" (S. 11). 

Über die Religion, der dieses Kloster gewidmet ist, erfährt man inhaltlich praktisch nichts, aber es erscheint mir doch recht eindeutig, dass sich die Schilderung des Klosters und der Lebensweise der Mönche am Vorbild christlicher - ja, sagen wir dreist: benediktinischer - Klöster orientiert. Sogar "Kirche und Glockenturm" (S. 167) fehlen nicht, und in der Bevölkerung ertönt eine "Vesperglocke", die "die grauen Reihen der Mönche in die Heiligen Orte auf dem Hügel" zurückruft (S. 168). Benediktinisch mutet auch die wohlabgewogene Mischung aus Abgeschlossenheit und Gastfreundschaft an, die das Kloster kennzeichnet: Es gibt dort ein "Gästehaus [...] für Personen, die in den heiligen Mauern nicht willkommen waren" (S. 163), und dort finden die Romanhelden Unterschlupf. "Betet für mich", bittet Vanye die Mönche, und "da ein solcher Wunsch gewöhnlich von einer Gabe begleitet war", fügt er hinzu: "Ich habe kein Almosen für euch" -- worauf die Mönche versichern: "Das macht nichts. Wir beten für dich" (S. 166). 

Das mögen alles nur Kleinigkeiten sein, aber es summiert sich doch einigermaßen. Ausreichend jedenfalls, um dem "Tor von Ivrel" einen Platz in der Rangliste zu gönnen, und zwar, bei aller Sympathie, vor Alexander von Schönburg und somit auf dem derzeit vorletzten Platz. 

  • Mutter Teresa: Komm, sei mein Licht 
Wie schon einmal angemerkt, wird dieses Buch als kommentierte Edition von Originaltexten aus der Feder der 1997 verstorbenen Ordensgründerin vermarktet, macht jedoch auf den ersten Blick den Eindruck, die quantitativ überwiegende Textmenge stamme aus der Feder des Herausgebers Pater Brian Kolodiejchuk MC - des Postulators von Mutter Teresas Heiligsprechungsprozess - und dieser sei somit  der eigentliche Autor des Buches. Nach und nach relativiert sich dieser Eindruck allerdings: Der Band enthält Briefe, Tagebucheinträge, Rundschreiben, Vortragsmanuskripte und andere Notizen der Heiligen von Kalkutta, außerdem von Dritten mitgeteilte mündliche Äußerungen, und bietet so ein recht eindrückliches Bild von Mutter Teresas Persönlichkeit, ihrem Selbstverständnis und ihrer Berufung. Übrigens befasst sich die Einleitung des Herausgebers zu einem nicht unwesentlichen Teil mit dem Problem, dass es sich bei diesem Buch um eine Veröffentlichung von Schriftstücken handelt, von denen Mutter Teresa zu Lebzeiten wiederholt und nachdrücklich verlangt hat, sie sollten vernichtet werden. Dahinter stand offenbar das Bestreben der Heiligen, das öffentliche Interesse von ihrer Person ab- und auf Jesus hinzulenken. Ein sehr demütiger Wunsch, könnte man sagen; gleichzeitig ist es ein interessanter Gedanke, dass es der Heiligen wohl noch größere Demut abverlangte, das öffentliche Interesse an ihrer Person dennoch zuzulassen und zu ertragen. 

Hinsichtlich der Frage der #BenOp-Relevanz gilt hier zunächst, was ich schon anlässlich von Chestertons Biographien über Thomas von Aquin und Franz von Assisi angemerkt habe: Das Leben und Wirken großer Heiliger zu studieren, ist schon an und für sich #BenOp-relevant. In einem spezifischeren Sinne interessant ist "Komm, sei mein Licht" vor allem da, wo es sich um das Vorhaben der Gründung der "Missionarinnen der Nächstenliebe" und die Schwierigkeiten dreht, die sich diesem Projekt entgegenstellten. Beeindruckend fand ich allerdings auch eine Anekdote aus der Zeit, als Mutter Teresa noch dem Orden der irischen Loretoschwestern angehörte und als Lehrerin an einer von diesem Orden betriebenen Mädchenschule tätig war; genauer gesagt, eine Anekdote aus den Jahren 
1942/43, als in Bengalen eine schwere Hungersnot "mindestens zwei Millionen Menschen das Leben kostete" (S. 52): 
"Als die Schwestern und die Schülerinnen allmählich den Nahrungsmangel zu spüren bekamen, vertraute Mutter Teresa, die ja versprochen hatte, Gott nichts abzuschlagen, wiederum auf Gott, dass Er ihr nichts verweigern würde. Eine ihrer ehemaligen Schülerinnen erinnert sich: 'Eines Tages gab es nichts mehr zu essen. Um 8 Uhr morgens sagte Mutter (Teresa) zu uns: "Kinder, ich gehe jetzt los. Ihr bleibt in der Kapelle und betet." Um 16 Uhr war das Lagerhaus mit ganz verschiedenen Gemüsesorten gefüllt. Wir wollten unseren Augen nicht trauen.'" (ebd.) 
Zu den für mich unter dem Aspekt der #BenOp-Relevanz und des "Primats der Praxis", wie ich es hier unlängst mal genannt habe, interessantesten Passagen des Buches gehört der Anhang mit Mutter Teresas handschriftlichem Entwurf für die Ordensregel der "Missionarinnen der Nächstenliebe", verfasst im Jahr 1947. Darin heißt es: 
"Das besondere Ziel ist es, Christus in den Wohnstätten und Straßen der Slums zu tragen, (unter) die Kranken, die Sterbenden, die Bettler und die kleinen Straßenkinder. Die Kranken werden so weit wie möglich in ihren armen Wohnstätten gepflegt werden. Die kleinen Kinder werden eine Schule in den Slums haben. Die Bettler werden in ihren Löchern außerhalb der Stadt oder auf den Straßen ausfindig gemacht und besucht werden." (S. 393)
Die Schwestern, die in diese Gemeinschaft eintreten wollten, müssten - so heißt es weiter - "lernen, wie man landwirtschaftlich arbeitet, wie man kocht, wie man Kranke pflegt, und sie müssen ein wenig Unterrichten lernen - und stets bereit sein, irgendeine dieser Arbeiten auszuführen, wenn der Gehorsam es verlangt" (ebd.); ihre Kleidung solle "gemeinsam aufbewahrt, gewaschen und ausgebessert" werden und die Schwestern sollten "gemeinsam essen, schlafen und arbeiten" (S. 396). Zudem sollte die neue Ordensgemeinschaft "keine eigenen Gebäude besitzen", sondern, "was das Obdach angeht, abhängig von der Barmherzigkeit des Bischofs" sein, "unter dem sie arbeiten. - Der beste Raum und das Beste von dem, was sie haben, muss für die Kapelle genutzt werden" (ebd.). Dagegen könnten die Niederlassungen des Ordens "einen Bus, ein Fahrrad und ein Boot besitzen, mit denen die Schwestern umgehen lernen werden, wenn sie auf dem Missionsfeld sind" (ebd.). 

-- Ich gehe übrigens davon aus, dass viele Katholiken meiner Generation in ihrer Kindheit und Jugend ebenso wie ich die Erfahrung gemacht haben, dass Mutter Teresa zu ihren Lebzeiten als Inbegriff praktizierter Nächstenliebe galt, ja geradezu sprichwörtlich war ("Bin ich Mutter Teresa oder was?") und dass Religionslehrer, Katecheten, aber auch gänzlich kirchenferne oder betont kirchenkritische Personen sie gern als Vorbild herausstellten (wohingegen ich negative Äußerungen über sie - etwa weil sie entschieden gegen Abtreibung war, aber dazu später - in größerem Umfang, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, erst nach ihrem Tod wahrnahm); in der Rückschau habe ich den Eindruck, dass von der spirituellen Dimension von Mutter Teresas Arbeit bin diesen Lobeshymnen kaum je die Rede war und dass viele von denen, die gern Mutter Teresas Vorbildfunktion für die ansonsten viel zu reiche, viel zu satte und bequeme (und viel zu männliche) katholische Kirche betonten, mit dieser spirituellen Dimension eher wenig anfangen könnten. Möglicherweise wären sie überrascht, aus diesem Buch zu erfahren, dass nach Mutter Teresas eigener Auffassung das spirituelle Moment selbstverständlich im Zentrum ihrer Arbeit stand: "Die Arbeit, die wir zu tun haben, würde unmöglich sein ohne Seine beständige Gnade vom Tabernakel her", schrieb sie am 28.01.1948 an den damaligen Erzbischof von Kalkutta, Ferdinand Périer (S. 134); und in einem am Herz-Jesu-Freitag im Juli 1961 verfassten Rundschreiben Mutter Teresas an ihre Ordensschwestern heißt es: "Meine lieben Kinder -- ohne unsere Leiden wäre unser Arbeiten nur Sozialarbeit, zwar sehr gut und hilfreich, doch wäre es nicht das Werk Jesu Christi, es wäre nicht Teil der Erlösung" (S. 258). Für die tägliche Arbeit Mutter Teresas und der Angehörigen des von ihr gegründeten Ordens spielten die Eucharistie - auch die Eucharistische Anbetung - und das Rosenkranzgebet eine zentrale Rolle. 

Indessen nimmt das Ringen um die Ordensgründung in "Komm, sei mein Licht" zwar vergleichsweise großen Raum ein, aber das Hauptthema des Buches ist es nicht; als dieses wird hingegen bereits in der Einleitung Mutter Teresas "mystische Erfahrung" der "Dunkelheit" und Gottesferne hervorgehoben, von der der Herausgeber schreibt, dass sie "zur größten Prüfung ihres eigenen Lebens, ja zu einem fundamentalen Teil ihrer Mission werden würde" (S. 15). Das ist ein Thema, mit dem ich mich - wie ich gestehen muss - recht schwer tue: Das scheinbare Paradox, das sich hier auftut - auf der einen Seite ein Leben und ein Werk, das man sich gar nicht anders vorstellen kann als von einem starken und tiefen Glauben getragen, und auf der anderen Seite die Gefühle der Gottesferne, ja Gottverlassenheit und des Glaubensverlusts, zu denen Mutter Teresa sich in privaten Aufzeichnungen und in Briefen an ihre geistlichen Berater bekennt - ist für einen religiös eher durchschnittlich begabten Menschen (wie mich) schwer zu verdauen. So gesehen ist es im Grunde ein dankenswertes Unterfangen dieses Buches, sich um ein tieferes Verständnis dieses Problems zu bemühen, aber das ändert nichts daran, dass ich die betreffenden Passagen vielfach als schwierig, anstrengend und ermüdend empfunden habe -- und obendrein als teilweise arg redundant; da hätte man für mein Empfinden ruhig einiges kürzen können. Das heißt allerdings nicht, dass es nicht auch zu diesem schwierigen Thema immer wieder interessante, bewegende und inspirierende Passagen gäbe. 

Man könnte vielleicht sagen, das Beispiel Mutter Teresas zeige, dass es im Glauben nicht in erster Linie darauf ankommt, was man fühlt. Mir selbst ist bei der Lektüre (und auch schon früher einmal beim Anschauen eines Films über Mutter Teresa) wiederholt der Gedanke durch den Kopf gegangen, möglicherweise erkläre sich die intensive Erfahrung der Gottesferne nur vor dem Hintergrund (bzw. im Kontrast zu) einer zuvor erlebten innigen Verbundenheit mit Christus, die der "Normalgläubige" gar nicht kennt und darum auch nicht vermisst. Einen wiederum anderen Aspekt hebt Pater Kolodiejchuk, der Herausgeber von "Komm, sei mein Licht", hervor: 
"Ihre Dunkelheit war eine Identifizierung mit jenen, denen sie diente. Sie wurde auf mystische Weise in den tiefen Schmerz jener Menschen hineingezogen, die spürten, dass sie ungewollt und zurückgewiesen sind, und vor allem, dass sie ohne Glauben an Gott lebten" (S. 254). 
Ein definitiv #BenOp-relevanter Aspekt von Mutter Teresas Wirken, der gegen Ende des Buches immer deutlicher zutage tritt, ist ihr wachsendes Bewusstsein für unterschiedliche Erscheinungsformen von Armut und Mangel in unterschiedlichen Teilen der Welt -- einschließlich der emotionalen und spirituellen Armut in den materiell reichen Ländern. Ein in dieser Hinsicht hoch bemerkenswerter Text ist Mutter Teresas Rede anlässlich der Entgegennahme des Friedensnobelpreises am 11. Dezember 1979 in Oslo:
"Ich war überrascht, im Westen so viele drogenabhängige junge Männer und Frauen zu sehen, und ich versuchte herauszufinden, wieso das so ist. ... 'Weil es in der Familie niemanden gibt, der sie annimmt.' Vater und Mutter sind so beschäftigt, dass sie keine Zeit haben ... Das Kind geht dann auf die Straße, und wird in irgendetwas hineingezogen ... Dies sind Dinge, die den Frieden zerstören.  
Doch ich glaube, der größte Zerstörer des Friedens ist heute die Abtreibung, weil es ein direkter Krieg ist, ein direktes Töten, ein direkter Mord durch die Mutter selbst. Und wir lesen in der Heiligen Schrift, was Gott ganz deutlich sagt: 'Kann denn eine Frau ihr Kind vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände.' ... Dieses ungeborene Kind ist in die Hände Gottes eingezeichnet...  
Viele Leute sind sehr, sehr besorgt über die Kinder in Indien, über die Kinder in Afrika, wo sehr viele sterben, vielleicht an Unterernährung, Hunger und so weiter, doch Millionen von Kindern sterben bewusst durch den Willen der Mutter. Und dies ist auch der größte Zerstörer des Friedens heutzutage. Denn wenn eine Mutter ihr eigenes Kind töten kann, was kann mich dann noch davon abhalten, Sie zu töten, oder Sie, mich zu töten?" (S. 338f.) 
Das Buch betont auch Mutter Teresas Bestreben, "dass in jedem Land der Welt 'ein Tabernakel' (womit eine Niederlassung gemeint war) eröffnet werden sollte": "Mutter hatte eine große Vision von dem, was sie ihrem Herrn und Gott schenken wollte", berichtet eine Schwester ihres Ordens (S. 353). 
"Mutter brachte eines Tages eine Landkarte von Europa mit und breitete sie vor mir aus. Zu dieser Zeit war die Sowjetunion noch nicht zersplittert, und halb Europa war unter kommunistischer Herrschaft, und es war Missionaren nicht erlaubt, dort als Missionare einzureisen. Doch Mutter fuhr einfach mit dem Finger von Land zu Land und sagte: ‘Frankreich, hier sind wir. Deutschland, hier sind wir. Österreich, hier sind wir. Ungarn, noch nicht. Bulgarien, noch nicht.’ Und so ging es weiter. Dann fing sie an, die Länder, in denen wir ‘noch nicht’ waren, an den Fingern abzuzählen" (ebd.). 
So viel mal zum Stichwort "Think Global, Act Local"! -- Alles in allem gibt es an dem Buch als Buch wohl mancherlei zu kritisieren, aber die Faszination, die von Mutter Teresa und ihrem Werk ausgeht, dringt dennoch durch. Ich sortiere "Komm, sei mein Licht" daher vor Baumert, aber hinter Hildebrand ein. 

*

Ein bemerkenswertes Detail dieser Leseetappe ist es übrigens, dass ich, als ich alle oben aufgeführten Bücher ungefähr zur Hälfte durch hatte, erwogen habe, sie alle in die Rangliste aufzunehmen; das war zuvor noch nie der Fall gewesen, nicht einmal in der Advents-Etappe. Und mit einer Ausnahme haben's dann ja auch tatsächlich alle geschafft -- wobei zwei von ihnen ganz am unteren Ende der Rangliste gelandet sind und mit einiger Wahrscheinlichkeit recht bald weiter nach unten durchgereicht werden dürften. So jedenfalls sieht die Rangliste im Augenblick aus: 

1. (1) Carlo Carretto: Wir sind Kirche 
2. (2) G.K. Chesterton: Thomas & Franz 
3. (3) Dietrich von Hildebrand: Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes   
4. (NE) Mutter Teresa: Komm, sei mein Licht 
5. (4) Norbert Baumert (Hg.): Jesus ist der Herr 
6. (5) Georg Friedrich Rebmann: Ideen über Revolutionen in Deutschland 
7. (6) Sr. M. Lucia (Hg.): Umkehr - Heiligung - Freude in Gott 
8. (7) Reinhold Schneider: Las Casas vor Karl V. 
9. (NE) Valentin Katajew: In den Katakomben von Odessa
10. (8) Karl May: "Weihnacht!" 

11. (9) Maxim Gorki: Wanderungen durch Russland 
12. (10) George Orwell: Mein Katalonien  
13. (11) Martin Klein: Lene und die Pappelplatztiger 
14. (NE) C.J. Cherryh: Das Tor von Ivrel  
15. (NE) Alexander von Schönburg: In bester Gesellschaft  

Die Vorschau auf Etappe 6 hatte ich ebenfalls schon fertig, bevor ich das Projekt "100-Bücher-Challenge" erst einmal liegen ließ. Angesichts der seither ins Land gegangenen Zeit habe ich diese Vorschau nun teilweise etwas umformuliert, aber ohne dabei inhaltlich wesentliche Änderungen vorzunehmen. Schließlich ist es der Sinn der Vorschau auf die jeweils nächste Leseetappe, Einschätzungen über Bücher abzugeben, bevor ich sie gelesen habe. Also, zur Sache: 
  • Emma Braslavsky: Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten 
Eine Neuerscheinung von 2019; ich hatte mir vom Verlag (Suhrkamp!) ein Freiexemplar schicken lassen, da ich beabsichtigte, in einem Vortrag zum Thema "Transhumanismus und virtuelle Sexualität", den ich bei einer zunächst für Mitte Mai 2020 geplanten, dann aber aus pandemischen Gründen auf Oktober 2020 verschobenen Literaturtagung zu halten hatte, auf den Roman einzugehen. Womit also schon mal skizziert wäre, worum es in dem Buch geht. (Der besagte Vortrag - so viel sei hier schon mal verraten - würde per Zoom aufgezeichnet und kann auch auf YouTube bewundert werden.) 

Emma Braslavsky habe ich anno 2008 bei einer gemeinsamen Veranstaltung, einer vom Verein "Literaturplus Wesermarsch" veranstalteten Lesung auf einem Segelschiff, kennengelernt; damals stellte sie ihren zweiten Roman "Das Blaue vom Himmel über dem Atlantik" vor, und ich war schwer begeistert. Eine Buchvorstellung ihres neuen Werks habe ich im vergangenen September besucht. "Die Nacht war bleich, die Lichter blinken" spielt in einer nahen Zukunft in Berlin: Dort brummt der Markt für sogenannte "Hubots", menschengestaltige Roboter, die, nach den individuellen Wünschen der Kunden gestaltet, als Lebens- und auch Sexualpartner fungieren. Theoretisch sollte so das gravierende gesellschaftliche Problem der Einsamkeit gelöst sein, aber gleichzeitig ereignet sich in der Stadt eine massive Selbstmord-Welle. Was ist da los? -- Changierend zwischen dystopischer Science Fiction und Krimi-Dramaturgie behandelt der Roman - so jedenfalls mein erster Eindruck - Grundfragen menschlicher Existenz und menschlicher Beziehungen und könnte sich mittels des Gesellschaftsporträts, das er entwirft, als ausgesprochen #BenOp-relevant erweisen. Mit einer Platzierung in den Top 5 rechne ich zwar nicht, aber ich ahne trotzdem beträchtliches Potential... 

  • Kim Philby: Im Secret Service 
Dieses Buch ist vor rund 20 Jahren aus dem Besitz des inzwischen verstorbenen Hörfunkregisseurs und Schauspielers Ingo Langberg in den meinen übergegangen. Ingo war im Zuge der Abwicklung des staatlichen DDR-Rundfunks Ende 1991 mit 57 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden und war daraufhin auf die Idee verfallen, bei studentischen Theaterprojekten vorzusprechen -- da gäbe es doch sicherlich mal Rollen für einen "alten Kerl", so seine Überlegung. Auf diese Weise lernten wir uns kennen. Irgendwann um das Jahr 2000 herum - ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob er umgezogen war oder seine Wohnung nur neu eingerichtet hatte - half ich ihm dann mal dabei, seine umfangreiche Privatbibliothek neu in die Regale einzuräumen; das war eine körperlich durchaus anstrengende Arbeit, und zum Dank für meine Hilfe durfte ich mir einige Bücher aus seinem Bestand  aussuchen. Dies war eins davon. Der Spionagefall Philby war mir ein Begriff, weil er - eher am Rande - in Thomas Powers' Reportage-Buch "CIA" erwähnt wird, das es in der Stadtbücherei meines Heimatstädtchens gab und das ich schon mit 14 oder 15 Jahren gelesen hatte. 

Im vorliegenden Buch erzählt Philby seine Geschichte also selbst, und auch wenn man davon ausgehen kann, dass er dabei kräftig kommunistische Propaganda betreibt, stelle ich mir das recht spannend vor. Warum ich das Buch in all den Jahren bisher nie gelesen habe, ist mir daher selbst ein Rätsel. Eine Teilantwort dürfte darin bestehen, dass ich es zwischenzeitlich verkramt hatte und erst 7n jüngerer Zeit - vor einem oder zwei Jahren, schätze ich - beim Sortieren meiner privaten Bücherbestände wiederentdeckt habe. -- Übrigens, à propos kommunistische Propaganda: Natürlich stellen die Philby-Memoiren ein weiteres Glied in jener Kette von Büchern dar, von denen ich schon oben in meiner Auswertung von Katajews "Katakomben von Odessa" angemerkt habe, dass sie bei manch einem #BenOp-skeptischen Leser meines Blogs  für hochgezogene Augenbrauen sorgen dürfte; ehrlich gesagt glaube ich allerdings nicht, dass Philby in Sachen #BenOp-Relevanz an Katajew, Gorki oder Orwell wird heranreichen können. Eine Ranglistenplatzierung unter "ferner liefen" erscheint mir hingegen durchaus möglich. -- Nebenbei möchte ich nicht vergessen zu erwähnen, dass Philby in dem obrn besprochenen Buch von Alexander von Schönburg vorkommt: In einem Beitrag mit dem schönen Titel "Die Eleganz der Ignoranz" (S. 61ff., erstmals erschienen in Vogue Nr. 9/89) weiß der Gesellschaftskolumnist zu berichten: "Als dem Vorgesetzten des berühmten Spions Kim Philby das erste Mal von Verdachtsmomenten über Philby berichtet wurde, wehrte der Geheimdienstoffizier ab: 'Philby kann kein Verräter sein, er hat den gleichen Schneider wie ich!' - Für Engländer ein überzeugendes Argument" (S. 63). 

  • Gabriel Garcia Márquez: Hundert Jahre Einsamkeit 
Das wohl bekannteste Werk des Literaturnobelpreisträgers von 1982, in einer Ausgabe der DDR-Reihe "Taschenbibliothek der Weltliteratur". Kann sein, dass ich dieses Buch ebenfalls als Belohnung für die Regal-Umräum-Aktion bei Old Ingo abgestaubt habe (und dann beide Bücher rund 20 Jahre lang zusammen aufbewahrt habe, ohne sie zu lesen? Ausgesprochen möglich!); kann aber auch sein, dass ich es ungefähr um dieselbe Zeit für ein paar Mark auf dem Bücherflohmarkt vor der Uni aufgerissen habe. Dass ich es seither nie gelesen habe, ist anders als bei Philby jedoch nicht bloß der Schlamperei geschuldet, sondern ich hatte (aus zugegebenermaßen etwas unklaren Gründen) einfach nie Lust darauf. Und Lust hatte ich auch jetzt noch nicht, war aber gewillt, mich dazu aufzuraffen. -- Einige Wochen bevor dieses Buch in meinem Lektüreplan an die Reihe kam, war auf Rod Drehers Blog von einer Literaturprofessorin zu lesen, die einem ihrer Studenten Rassismus und Sexismus vorwarf, weil dieser sich ihr ins Gesicht hinein geweigert hatte, ein für ihren Kurs vorgeschriebenes Buch (nämlich eben, genau, "Hundert Jahre Einsamkeit") zu lesen  - weil er, wie er freimütig zugab, schlichtweg keinen Bock hatte auf "hundert Jahre in der Geschichte einer kleinen Stadt, eine Familiengeschichte mit Vergewaltigung, Inzest, bla bla bla". Irgendwie kann ich mich einer gewissen Sympathie für diesen Studenten nicht erwehren.

Ganz erklären konnte ich mir meinen Widerwillen gegen dieses Buch, bevor ich es auch nur angelesen hatte, übrigens nicht. Allerdings habe ich als Teenager ein anderes, wesentlich unbekannteres Buch von Garcia Márquez, "Von der Liebe und anderen Dämonen", gelesen und fand es fesselnd, aber auch verstörend; wohl ungefähr um dieselbe Zeit habe ich mir (hauptsächlich wegen Winona Ryder) eine Verfilmung von Isabel Allendes "Geisterhaus" angetan, und beides zusammen hat mir den Eindruck vermittelt, bei dem viel gepriesenen "Magischen Realismus" der lateinamerikanischen Literatur handle es sich im Wesentlichen um eine Mischung aus Sex, Okkultismus, Antiklerikalismus und linker Ideologie. Na, schauen wir mal. Für die Rangliste qualifiziert sich das Buch jedenfalls nicht, da es trotz seines noch verhältnismäßig jungen Alters bereits als Klassiker der Weltliteratur gelten kann. Hoffen wir, dass es trotzdem einige interessante Impulse abwirft. 

  • Eva Völler: Ich bin alt und brauche das Geld 
Dieses Buch nun stammt aus einer Spende für das Büchereiprojekt; es fiel mir bzw. zuerst meiner Liebsten beim Sortieren der eingegangenen Bücherspenden in die Hände, und obwohl es schon auf den ersten Blick nach "bäh, witzig sein wollende postfeministische Unterhaltungsliteratur für Frauen in oder nach den Wechseljahren" aussah, waren wir beide der Meinung, man könne da ja ruhig mal reinschauen. Auch so etwas kann schließlich irgendwie interessant sein, wenn auch oft auf eine eher unbeabsichtigte Weise... Soweit man es dem Klappentext entnehmen kann, geht es in dem Roman um eine knapp 50-jährige Frau, die nach dem plötzlichen Tod eines Lebensabschnittsgefährten unversehens mit einem Haufen Schulden dasteht und sich obendrein noch um die Enkelinnen des Verblichenen kümmern soll/muss. So etwas gilt heutzutage als Komödienstoff. Na dann Prost. 

  • Henri Nouwen: Ich hörte auf die Stille 
Ein Buch aus den privaten Beständen meiner Liebsten; es fiel mir bei der Zusammenstellung des Lektüreplans für dieses Kirchenjahr ins Auge, und ich fragte meine Liebste: "Lohnt sich das?" -- "Sehr", lautete die Antwort. Also nimmt es den Platz des "mutmaßlich rechtgläubigen Buches" in Etappe 6 ein. Der Priester und populäre Pastoralpsychologe Nouwen schildert darin einen siebenmonatigen Aufenthalt in einem Trappistenkloster. Ich bin gespannt -- zumal die Inhaber des jeweiligen "Rechtgläubigkeits-Slots" in den bisherigen Etappen jeweils sehr gute Ergebnisse erzielt haben. Sollte dieses Buch sich als, wie der Berliner sagt, "richté jut" erweisen, dann harren sowohl in diesem Haushalt als auch im Büchereiregal noch weitere Nouwen-Werke der Lektüre.

Da "Hundert Jahre Einsamkeit" wie gesagt außer Konkurrenz läuft, kann die Rangliste in dieser Etappe also um maximal vier Neueinsteiger erweitert werden (wobei es wohl eher unwahrscheinlich ist, dass Eva Völler reinkommt, aber man hat schon Pferde kotzen sehen); daraus folgt, dass keins von den bisher platzierten Büchern aus den Top 20 herausfallen wird, und aus den Top 25 auch in der nächsten Etappe noch nicht. Danach geht es dann langsam ans Eingemachte...  


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