Mittwoch, 13. Dezember 2023

Vorlesestoff fürs Tochterkind – Dezember '23

Symbolbild: Schön gestaltetes Bücherregal bei "Frieseneis" in Norddeich.

Was gibt's Neues aus der Kinder- und Jugendbuchabteilung? Regelmäßigen Lesern meiner Wochenbriefings wird schon aufgefallen sein, dass bei meinem Tochterkind derzeit Kira Gembris Romanserie "Ruby Fairygale" hoch im Kurs steht. Ich selbst bin nicht ganz so begeistert – was indes nicht etwa bedeutet, dass ich die beiden Bände der Reihe, die wir bisher gelesen haben, schlecht fände. Vielmehr finde ich sie – wie ich es schon einmal formuliert habe – gut genug, um mir zu wünschen, sie wären noch etwas besser. Nachdem schon der erste Band ("Der Ruf der Fabelwesen") diesen zwiespältigen Eindruck bei mir hinterlassen hatte, hat auch mein Urteil über die Qualität des zweiten Bandes ("Die Hüter der magischen Bucht") im Verlauf der Lektüre stark geschwankt. 

Man könnte vielleicht meinen, ich sei in meiner Beurteilung dieser Buchreihe unverhältnismäßig streng, jedenfalls im Vergleich zu meinen Besprechungen mancher anderer Kinder- und Jugendbücher. Aber das hat seinen Grund. Natürlich spielt "Ruby Fairygale" inhaltlich wie stilistisch in einer ganz anderen Liga als etwa "Sternenschweif" oder gar "Bibi und Tina", aber genau deshalb halte ich es für angemessen, auch entsprechend strengere kritische Maßstäbe an die Bücher dieser Reihe anzulegen. 

Zunächst einmal fällt es auf, dass ebenso wie der erste auch der zweite "Ruby Fairygale"-Roman einen Haupthandlungsstrang hat, der weitestgehend unabhängig von den phantastischen Elementen der Handlung funktioniert oder jedenfalls funktionieren könnte. Hier handelt es sich darum, dass sich die schon im ersten Band angedeuteten Herzbeschwerden von Rubys "Nana" nach einer dramatischen nächtlichen Rettungsaktion für gestrandete Wale so stark verschlimmern, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden und operiert werden muss. Danach wird sie, um sich endlich einmal richtig zu erholen, für mehrere Wochen zur Kur geschickt; infolgedessen ist nicht nur Ruby auf sich allein gestellt, sondern auch die Tierarztpraxis auf der kleinen Insel vor der irischen Küste ist unbesetzt. Bald findet sich eine Vertretung in Gestalt der energischen Mildred Silverton, die die Inselbewohner durch ihr adrettes Erscheinungsbild und ihr selbstbewusstes Auftreten für sich einzunehmen weiß; aber für Ruby und ihren Freund und Mitbewohner Noah fangen die Probleme damit erst richtig an, denn Dr. Silverton quartiert sich nicht etwa im Gasthaus, sondern in "Nanas" Privathaus ein, das sie mit ihrem Ordnungs- und Hygienefimmel komplett umkrempelt, sie kommandiert Ruby und Noah herum und begegnet ihrem Irischen Wolfshund "Schmuggel" mit unverhohlener Feindseligkeit. Bald kommen Ruby und Noah zudem auch ernste Zweifel an Dr. Silvertons tierärztlichen Behandlungsmethoden. – Im Zuge von Rubys und Noahs Bemühungen, Dr. Silvertons fragwürdigen Machenschaften auf die Schliche zu kommen, kommen durchaus phantastische bzw. magische Handlungselemente zum Einsatz, sodass man sagen kann, die Verknüpfung von phantastischer und nicht-phantastischer Handlung ist hier schon erheblich besser gelungen als im ersten Band. Dennoch erscheint diese Verknüpfung nicht gerade zwingend – zumal sich auch die Auflösung des Konflikts (d.h. die Art und Weise, wie die Insel die böse Tierärztin wieder loswird) auf gänzlich nicht-magische Weise vollzieht. 

Der phantastische Handlungsstrang beginnt damit, dass eine Fee mit Heuschnupfen in die magische Pflegestation kommt und nach erfolgreicher Behandlung Nana, Ruby und Noah je eine Schriftrolle mit einer Prophezeiung überreicht; bevor sie diese aber lesen können, werden die Schriftrollen von den frechen Kobolden gemopst, und als sie sie endlich wieder herausrücken, ist nicht mehr klar zu erkennen, welche Prophezeiung eigentlich für wen bestimmt war. Das ist eigentlich ein vielversprechender Einfall, aber leider wird nicht besonders viel daraus gemacht. Was den weiteren Fortgang des phantastischen Handlungsstrangs angeht, rufe ich msl vorsichtshalber 

+++++Spoiler-Alarm!+++++ 

Nachdem schon im ersten Band leise angedeutet war, die Protagonistin Ruby sei womöglich selbst ein Fabelwesen, beginnen bislang ungeahnte Kräfte in ihr zu erwachen, als sie gestresst vom täglichen Umgang mit der hyperkorrekten Dr. Silverton und zugleich in Sorge um ihre herzkranke Nana ist. Anzeichen für diese Kräfte äußern sich zunächst in plötzlicher Veränderung der Sinneswahrnehmung, dann aber auch darin, dass sie das Bewusstsein verliert und an einem anderen Ort wieder zu sich kommt. Mit Hilfe der zuvor bereits erwähnten Fee kommt Ruby schließlich dahinter, dass sie eine Pooka (auch: Púca) ist: ein Wesen, das über die Fähigkeit verfügt, die Gestalt verschiedener Tiere anzunehmen. Allerdings muss sie erst noch lernen, diese Fähigkeit kontrolliert einzusetzen.  

+++++Spoiler-Alarm Ende!+++++ 

Auf die Frage, welchen der beiden bisher gelesenen "Ruby Fairygale"-Bände ich als den besseren betrachte, kann ich übrigens keine eindeutige Antwort geben. Am ersten Bsnd hat mir vor allem die Entwicklung der Freundschaft zwischen Ruby und Noah gefallen – und zwar so gut, dass ich dafür ohne Weiteres auf die phantastischen Elemente der Handlung hätte verzichten können. Was Charakterzeichnung und emotionale Tiefe angeht, hat der zweite Band nichts Gleichwertiges zu bieten, dafür sind hier die phantastischen Elemente stärker ausgeprägt und besser in die Handlung integriert, wodurch die Handlung auch insgesamt spannender wird. 

Als einen Schwachpunkt des zweiten Bandes empfinde ich es, dass die Autorin sich allzu sehr darauf verlässt, dass die Leser den ersten Band bereits kennen; so gibt sie sich keine besondere Mühe, den Schauplatz und die handelnden Personen einzuführen – weil sie das ja schon einmal gemacht hat. Ich denke, ein bisschen leichter sollte man Lesern, die die Lektüre einer Buchreihe zufällig nicht mit dem ersten Band beginnen den Einstieg schon machen; und es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie das gelingen kann, ohne diejenigen Leser, die die Vorgeschichte bereits kennen, durch Wiederholung zu langweilen. 

Schließlich wäre noch auf eine Kleinigkeit einzugehen, über die ich mich vielleicht unverhältnismäßig stark geärgert habe: Auf S. 98 wird die Tierärztin Mildred Silverton als "Mischung aus Dolores Umbridge und Cruella DeVil" beschrieben. Frau Gembri, so etwas tut man nicht!, war meine spontane Reaktion. Man spielt nicht in einer Romanreihe des Genres "Phantastische Kinder- und Jugendliteratur" auf eine andere Romanreihe desselben Genres an, das ist ganz, ganz schlechter Stil, das wirkt einfach unbeholfen und peinlich. Später dann, auf S. 151, findet Ruby eine Werbebroschüre für ein Internat, die Noah von seinem Vater zugeschickt bekommen hat, und findet, diese Schule werde in dem Prospekt als "das tollste Internat gleich nach Hogwarts" dargestellt. Oops, she did it again, dachte ich. Aber dann machte meine Liebste mich auf etwas aufmerksam: Die Autorin Kira Gembri ist Geburtsjahrgang 1990 und gehört damit zu der Generation, die gewissermaßen mit Harry Potter lesen gelernt hat ("Harry Potter und der Stein der Weisen" erschien erstmals 1998 in deutscher Übersetzung). Aus ihrer Sicht, so darf man unterstellen, gehört Harry Potter demnach wohl zum allgemeinen Kulturgut, ähnlich wie beispielsweise Grimms Märchen oder die Sagen des Klassischen Altertums. Dies erwägend, finde ich die zitierten Passagen zwar immer noch irgendwie doof, aber doch halbwegs verzeihlich. 

Anerkennen muss man übrigens, dass es der Autorin im epilogartigen Schlusskapitel so gut gelingt, Spannung hinsichtlich der Fortsetzung zu erzeugen, dass nicht nur das Tochterkind, sondern auch meine Liebste am liebsten sofort mit Band 3 angefangen hätte. Der war allerdings in der Bibliothek unseres Vertrauens gerade nicht verfügbar; ich hätte mir das eBook per OnLeihe temporär auf mein Handy oder Tablet laden können, aber diese Option fand ich nicht so reizvoll, zumal wir ja noch vier andere aus der Bücherei ausgeliehene Bücher auf dem Nachtkästchen liegen hatten, die wir noch nicht gelesen hatten

Von diesen hätte mich "Ostwind – Der große Orkan" eigentlich am meisten interessiert (wenn auch nur, oder hauptsächlich, aus dem eher obskuren Grund, dass ich bei dem Reihentitel an die "Ostwind-Mission" der Franziskaner der Erneuerung denken muss und mir daher "Neuevangelisierung für Pferdemädchen" darunter vorstelle); ich war aber nicht direkt überrascht, dass meine Kinder, und zwar beide, erst einmal "Bibi und Tina" den Vorzug gaben. Danach votierten sie, wie ich an anderer Stelle schon zu Protokoll gegeben habe, für "Ella und ihre Freunde außer Rand und Band", und danach wiederum entschied das Tochterkind sich für "Sternenschweif – Freunde für immer". Immerhin sind alle diese Bücher recht kurz, sodass wir damit einigermaßen rasch fertig wurden; aber als wir mit allen dreien durch waren und ich dachte, nun würden wir wohl endlich mal zu "Ostwind" kommen, wollte das Tochterkind lieber ein Buch erneut vorgelesen bekommen, das wir nicht aus der Bücherei haben und das wir schätzungsweise schon: mindestens dreimal gelesen haben – nämlich "Lola macht Schlagzeilen" von Isabel Abedi. Zu diesem Buch hatte ich eigentlich schon längst mal einen eigenständigen Artikel in Aussicht gestellt, und die erneute Lektüre bietet eigentlich einen sehr willkommenen Anlass, auf diese Ankündigung zurückzukommen; aus genau diesem Grund werde ich hier und jetzt jedoch nicht näher auf dieses Buch eingehen. 

Kommen wir lieber erst einmal zu "Bibi und Tina – Der fliegende Sattel": Schon in meinen Wochenbriefings habe ich wiederholt angemerkt, dass mich dieses Buch positiv überrascht hat; und das möchte ich hier noch einmal bekräftigen. Die Ausgangssituation – Bibi und Tina entdecken bei einem Trödler einen alten Sattel, den Tinas Mutter auf das Drängen der Mädchen im Tausch gegen irgendwelchen anderen Krempel erwirbt; kurz darauf zeigt sich jedoch, dass es Leute gibt, die viel Geld für diesen Sattel zu zahlen bereit sind – erinnert frappierend an den letzten Roman des "Drei ???"-Erfinders Robert Arthur, "Die drei ??? und der sprechende Totenkopf" (1969/dt. 1971). Ganz so spannend wie dort geht's bei Bibi und Tina nicht weiter, aber es ist dennoch, bei aller Oberflächlichkeit der Erzählweise, eine gut durchdachte und überzeugend aufgebaute Geschichte – bis zum Schluss, den ich als eine ziemlich enttäuschende Antiklimax empfinde (Spoiler: Der Sattel ist gar nicht so wertvoll, wie praktisch alle handelnden Personen zwischenzeitlich angenommen haben). 

Wenn ich trotz dieses schwachen Schlusse dabei bleibe, dass dieses Buch meine Erwartungen übertroffen hat, dann könnte man vielleicht einwenden, das sei ja kein Kunststück, da meine Erwartungen an ein Buch der Reihe "Bibi und Tina" zweifellos von vornherein niedrig waren. Insofern darf man es vielleicht als bemerkenswert bezeichnen, dass "Sternenschweif – Freunde für immer" es geschafft hat, meine nicht gerade hohen Erwartungen zu unterbieten

Dazu ist zunächst zu sagen, dass unter den zahlreichen "Sternenschweif"-Büchern, die ich meiner Tochter bisher habe vorlesen müssen, durchaus einige waren, die ich gar nicht so blöd fand; was zugegebenermaßen ein recht zurückhaltendes Lob ist. Bei dem Band "Freunde für immer" fand ich den Klappentext einigermaßen vielversprechend: 

"Laura und Mel sind beste Freundinnen. Doch seit der Übernachtungsparty im Heu verhält sich Mel ganz seltsam. Laura ist traurig. Was ist bloß mit ihrer Freundin los?" 

Lach mich ruhig aus, Leser: Ich hielt es ernsthaft für möglich, dass hier, in der 38. Folge der Serie, die Pubertät in die Welt von "Sternenschweif" Einzug hält – und dass Mels Problem darin besteht, dass sie während der Heuboden-Übernachtungsparty ihre Tage bekommt. Wer nun meint, das sei ja wohl eine reichlich abwegige Vorstellung, dem sei gesagt, dass es beispielsweise in "5 Sterne für Lola" eine Szene gibt, in der... na, dazu lieber ein andermal; die Lola-Bücher spielen nun mal in einer ganz, ganz anderen Liga. 

Tatsächlich rührt Mels Verstimmung nämlich daher, dass sie neidisch auf das vertraute Verhältnis zwischen Laura und ihrem Pony Sternenschweif ist und außerdem das Gefühl hat, dass Laura ihr etwas verheimlicht. Man muss zugeben, das ist plausibel: Dass Laura Sternenschweifs Einhorn-Geheimnis sogar vor ihren besten Freundinnen geheim halten muss, musste ja irgendwann mal zu Konflikten führen. Man kann der Ghostwriterin Anne Scheller also zugute halten, dass sie sich bemüht, die Handlungsprämissen der Buchreihe ernst zu nehmen; aber in der Umsetzung ist es dann doch unbefriedigend. Insbesondere die Auflösung des Konflikts (Spoiler: Laura lässt Mel Sternenschweif in seiner Einhorngestalt sehen, lässt sie dann aber den "Trank des Vergessens" trinken, der in etwa so wirkt wie das "Blitzdings" bei den "Men in Black") fand ich eher so naja. Alles in allem wird man wohl sagen dürfen, dass "Freunde für immer" innerhalb der "Sternenschweif"-Reihe eines der besseren Bücher ist, aber dieses Urteil wird eben dadurch überschattet, dass ich mir mehr von diesem Buch versprochen hatte.  

Schließlich wären auch noch zu "Ella und ihre Freunde außer Rand und Band" ein paar Worte zu verlieren. Dass ich es etwas schwächer fand als die beiden anderen "Ella"-Bücher, die ich bisher gelesen habe, hatte ich bereits in meinem Wochenbriefing vom 25. November zu Protokoll gegeben, und ebenso, dass ich geneigt bin, dies darauf zurückzuführen, dass das Buch statt einer zusammenhängenden Handlung drei kurze, nur lose miteinander verknüpfte Episoden enthält. In gewissem Maße wirken diese Episoden unfertig, skizzenhaft, so als hätte der Verleger sie dem Autor vom Schreibtisch geklaut, ehe dieser ihnen den letzten Schliff verpassen konnte. Gleichwohl muss ich zu Protokoll geben, dass das Buch auch so noch genügend Komik und originelle Einfälle zu bieten hat, dass ich erheblichen Spaß an der Lektüre hatte – und meine Kinder auch. 

In der ersten Episode, "Pekka muss bleiben!", will die Schuldirektorin nach Spanien auswandern, weil sie den finnischen Winter nicht erträgt; Ellas Klassenlehrer rechnet sich daraufhin Chancen aus, selbst der neue Schuldirektor zu werden. Allerdings ist die Schuldirektorin die Mutter von Ellas Klassenkameraden Pekka, und Pekka will nicht nach Spanien. Also müssen Ella und ihre Freunde sich so einiges einfallen lassen, um die Auswanderungspläne der Direktorin zu vereiteln... Dieser Plot hätte, wie ich finde, eigentlich für ein ganzes Buch ausreichen sollen, wird aber tatsächlich auf nur 37 Seiten abgehandelt. Etwas länger, nämlich 51 Seiten lang, ist die zweite Episode, "Die Schatzsuche". Hier findet Ellas Klassenkamerad Timo in einem Ordner mit Bildern, die sein Vater als Kind im Kunstunterricht gemalt hat, ein Stück Papier, das aussieht wie ein Stück von einer Schatzkarte. Natürlich setzen die Kinder daraufhin alles daran, auch die anderen Stücke aufzutreiben – und am Ende den Schatz zu finden... Die letzte Episode, "So ein Zirkus!", ist nur 29 Seiten lang. Hier kommt ein Zirkus in den Ort, in dem Ella und ihre Freunde wohnen – aber dann bricht das Zirkuszelt zusammen, und Ella und ihre Freunde kommen auf die Idee, den Zirkus in der Turnhalle ihrer Schule unterzubringen. Und ausgerechnet an diesem Tag steht eine Inspektion vom Schulamt an... 

Kurz und gut, auch ein vergleichsweise schwaches "Ella"-Buch ist immer noch besser als vieles Andere, was der Kinderbuchmarkt so hergibt; ich schätze, wir werden uns noch weitere Bände dieser Reihe ausleihen. 


Bonus: Sven Nordqvist, Eine Geburtstagstorte für die Katze. Deutsch von Angelika Kutsch. Hamburg: Oetinger, 1984. 

Regelmäßige Leser meiner Wochenbriefings werden wissen, dass mein Tochterkind sich unlängst auf dem Heimweg aus der Schule – eigentlich direkt beim Verlassen des Schulhauses – verletzt hat; nachdem die Wunde in der Unfallambulanz versorgt worden war, sollten wir uns am nächsten Tag bei einem Unfallarzt zur Nachkontrolle bzw. Weiterbehandlung vorstellen. Die Praxis, bei der wir dies taten, vergab keine Termine, stattdessen sollte man innerhalb der Sprechzeiten "einfach vorbeikommen" – musste dafür aber auch erhebliche Wartezeiten in Kauf nehmen, umso mehr, als die Patienten offenbar nicht nach Ankunftsreihenfolge, sondern nach Priorität drangenommen wurden. Und die Nachkontrolle einer bereits versorgten Wunde hat naturgemäß eher niedrige Priorität. Dafür habe ich durchaus Verständnis, aber für zwei kleine Kinder (ja, zwei: der Jüngste musste mangels Betreuungsalternative mit) ist es kein Spaß, rund zwei Stunden in einem Wartezimmer zu sitzen – zumal es eben keine Kinderarztpraxis war und der Wartebereich daher keine Spielecke hatte. Was es hingegen gab, war dankenswerterweise ein Regal mit Kinderbüchern, und so las ich meinen Kindern im Laufe der Wartezeit zwei Bücher vor: zuerst "Gullivers Reise ins Zahnspangenland" (im Ernst!) und dann eben "Eine Geburtstagstorte für die Katze", das Buch, das die "Pettersson und Findus"-Reihe begründete. 

Ich scheue mich nicht, zuzugeben, dass ich Pettersson und Findus bisher nahezu ausschließlich vom Hörensagen kannte; oder vielleicht wäre es richtiger zu sagen "vom Sehen": Der Stil der Illustrationen, insbesondere das "character design" der beiden Hauptfiguren, ist mir seit einer gefühlten Ewigkeit bekannt und vertraut, aber die dazugehörigen Geschichten kannte ich bisher kaum – mit einer Ausnahme: Wir haben mal einen Schuhkarton voller Hörspiel- und Kinderliederkassetten geschenkt bekommen, und darin fand sich auch eine Musical-Fassung von "Aufruhr im Gemüsebeet". Und nun also "Eine Geburtstagstorte für die Katze", das erste Buch der Reihe. Ich möchte behaupten, es ist ein echtes Qualitätsmerkmal, dass dieser Band sich zwar ausgezeichnet als Auftakt zu einer Serie eignet, aber zugleich auch sehr gut für sich allein stehen könnte, also nicht eindeutig erkennen lässt, ob Pettersson und Findus von vornherein als Serienfiguren konzipiert waren. 

Der Handlungsverlauf folgt dem Muster einer bestimmten Sorte von Schwankerzählung, von der man z.B. auch in Grimms Märchen einige Beispiele findet und die die typische Struktur von Abenteuererzählungen (der Held benötigt, um seine Aufgabe zu erfüllen, Hilfsmittel – ein bestimmtes Schwert, ein bestimmtes Pferd usw. –, die er nur erringen kann, wenn er zunächst andere Aufgaben bewältigt), parodiert, indem sie dieses Schema auf ganz alltägliche Verrichtungen anwendet; in diesem Fall auf das Backen eines Kuchens. Pettersson will seinem Kater zum Geburtstag eine Pfannkuchentorte backen, hat aber kein Mehl im Haus; um ins Dorf zu fahren und neues zu kaufen, muss er aber erst sein Fahrrad reparieren, und der Schlüssel zu dem Schuppen, in dem er sein Werkzeug aufbewahrt, ist in den Brunnen gefallen. Die Angel, mit deren Hilfe er den Schlüssel zurückerlangen kann, liegt jedoch auf dem Dachboden, und um dorthin zu gelangen, braucht Pettersson eine Leiter, die auf der Weide des Nachbarn liegt. Folglich muss Pettersson mit Hilfe von Kater Findus erst einmal den bösen Stier des Nachbarn von der Weide weglocken. 

Was das Fazit angeht, können wir uns kurz fassen: "Eine Geburtstagstorte für die Katze" ist eine ebenso witzig wie warmherzig erzählte, raffiniert konstruierte und außerordentlich reizend illustrierte Geschichte, und ich denke, wir werden uns das Buch mal besorgen – mindestens leihweise aus der Bibliothek. Unter anderem deshalb, weil es auf den letzten Seiten ein Rezept für Pfannkuchentorte enthält... 


Hinweis in eigener Sache: Dieser Artikel erschien zuerst am 6.12. auf der Patreon-Seite "Mittwochsklub". Gegen einen bescheidenen Beitrag von 5-15 € im Monat gibt es dort für Abonnenten neben der Möglichkeit, Blogartikel bis zu einer Woche früher zu lesen, auch allerlei exklusiven Content, und wenn das als Anreiz nicht ausreicht, dann seht es als solidarischen Akt: Jeder, der für die Patreon-Seite zahlt, leistet einen Beitrag dazu, dass dieser Blog für den Rest der Welt kostenlos bleibt! 

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