Dienstag, 1. Oktober 2024

Camino de Willehado 2024 – Tourist Edition

Peinlich, peinlich: Nun ist schon der Herbst ins Land gezogen, und erst jetzt komme ich dazu, den längst angekündigten Rückblick auf die (mehr oder weniger) touristischen Aspekte unseres diesjährigen Sommerurlaubs zu bloggen. Aber besser spät als nie, wie man so sagt; und wenn dieser Artikel den einen oder anderen Leser auf den Geschmack bringt, auch mal Urlaub in Butjadingen zu machen, dann kann man wohl mit einiger Zuversicht sagen: Der nächste Sommer kommt bestimmt. 


In meinen direkt aus dem Urlaub heraus geposteten Wochenbriefings Creative Minority Report Nr. 41 und 42 hatte ich ja bereits über den Besuch der Moorseer Mühle, den "Hafentag" in Fedderwardersiel und das Nordenhamer Stadtfest berichtet; das erste Programmhighlight unseres Urlaubs, auf das ich dort noch nicht näher eingegangen bin, war eine "Piratenfahrt" mit dem Ausflugsschiff WEGA II ab Fedderwardersiel – das war am Samstag, dem 10. August. Die WEGA II, Baujahr 1986, ist eine Fedderwardersieler Institution; in den letzten Jahren war mehrfach und aus verschiedenen Gründen die Rede davon, dass das Schiff aus dem Verkehr gezogen werden sollte, und jedesmal hagelte es Proteste. Ich erinnere mich, als Kind sogar mal mit der WEGA I gefahren zu sein – das war ein derart spilleriger Kahn, dass uns das Nachfolgemodell damals im direkten Vergleich geradezu luxuriös vorkam. So oder so, eine Ausflugsfahrt auf die offene See hinaus ist allemal eine Attraktion. Ich kann nur sagen, die Begeisterung unserer Kinder kannte keine Grenzen, und zwar auch schon bevor das Schiff überhaupt abgelegt hatte. 



Bei der "Piratenfahrt" trugen die Besatzungsmitglieder Piratenkostüme, und die teilnehmenden Kinder sollten mit Hilfe eines Rätsels und einer Seekarte selbst das Ziel der Fahrt ermitteln, an dem es vorgeblich einen Schatz zu heben gab. Dort angekommen, wurde tatsächlich eine in ein Fischernetz gehüllte Holzkiste aus dem Wasser gezogen, die "Goldmünzen" enthielt, von denen jedes Kind eine erhielt (unser Jüngster schaffte es irgendwie, sogar zwei zu bekommen). Auf der Rückfahrt wurde den Kindern als "Mutprobe" ein kleines Gläschen mit einem tiefrot eingefärbten Getränk serviert, das angeblich "Haifischblut" sein sollte; für die Erwachsenen gab's nix. 



Kurz gesagt, für die Kinder war diese "Piratenfahrt" ein unvergessliches Erlebnis; aus Elternsicht muss man allerdings anmerken, dass eine Fahrt mit einem Schiff voller super-aufgeregter Kinder kaum weniger stressig ist als eine Fahrt mit einem Schiff voller besoffener Erwachsener. Erwähnt sei auch noch, dass so eine Bootsfahrt ein hohes Sonnenbrandrisiko birgt, denn auf See gibt es natürlich nirgendwo Schatten. Wer hätte aber auch geahnt, dass es in Butjadingen mal so sonnig wird? 

Tags darauf, am Sonntag, war nicht nur der letzte Tag des Nordenhamer Stadtfests, sondern parallel dazu fand auch ein "Mühlenfest" in Moorsee statt, und eigentlich wären wir da gern auch noch hingegangen, aber nachdem wir einige Stunden beim Stadtfest verbracht hatten, stellten wir fest, dass es keine sinnvolle Busverbindung gab, mit der wir nach Moorsee gekommen wären, ehe das Fest da vorbei war. 

Nachdem wir bis dahin so gut wie jeden Tag volles Programm gehabt hatten, wollten wir die nächsten drei Tage erst mal etwas lockerer und spontaner angehen. Der Montag stand im Zeichen von Nordseelagune und Spielscheune; für beides hatten wir freien Eintritt, bzw. der Eintritt war im Preis für unsere Unterkunft (im Seepark Burhave) inklusive. Im Fall der Nordseelagune hatte dieser freie Eintritt allerdings einen Haken: Schatten kostet extra. Genauer gesagt, Strandkörbe kann man für 9 € pro Tag mieten, nicht wenige sind aber bereits für die ganze Woche oder sogar die gesamte Badesaison reserviert, und im gesamten Kinder-/Nichtschwimmerbereich war kein Strandkorb mehr zu haben. 

Da muss man sich eben zu helfen wissen. 

Insgesamt war es mir auf die Dauer zu heiß (eine im Urlaub in Butjadingen sonst eher untypische Klage) und zu voll in der Nordseelagune, aber als meine Liebste mich überredete, ihr die Beaufsichtigung der Kinder vorübergehend allein zu überlassen und schwimmen zu gehen, genoss ich das doch sehr: Unter freiem Himmel und in echtem Meerwasser zu schwimmen ist eben doch irgendwie geiler als im Hallenbad. 


Die Kinder strotzten derweil so vor Energie, dass ich, nachdem wir aus der Nordseelagune zurück waren, noch für rund drei Stunden mit ihnen in die Spielscheune "musste". Und am nächsten Tag, Dienstag, wollten die Kinder partout nochmals in die Nordseelagune, obwohl es noch heißer war als tags zuvor. Diesmal kam ich aber nicht mit. Am Nachmittag gab es eine Kirchenführung in der St.-Bartholomäus-Kirche in Tossens; auf eine Gelegenheit, diese Kirche zu besichtigen, hatte ich ungelogen schon seit Jahren gewartet, denn sie hat eine kunsthistorisch ausgesprochen interessante Innenausstattung aus dem 17. Jahrhundert. Als Kind war ich mal mit meiner Schulklasse dort gewesen, aber das war nun schon mehr als dreieinhalb Jahrzehnte her und ich erinnerte mich nur noch bruchstückhaft daran. 

Wir fuhren also, nachdem Frau und Kinder genug vom Strandfeeling an der Nordseelagune hatten, alle zusammen mit dem Bus nach Tossens – wo wir fahrplanbedingt viel zu früh ankamen. Da wir jedoch dem Schaukasten der evangelischen Kirchengemeinde entnahmen, dass im Gemeindehaus gerade die Bücherei geöffnet hatte, entschieden wir, dass wir da ja ruhig mal 'reinschauen könnten. Das erwies sich als ausgezeichnete Idee, denn als wir die Bücherei betraten, saßen dort vier oder fünf ältere Frauen und eine Jugendliche bei Kaffee und Kuchen zusammen und luden uns herzlich ein, uns zu ihnen zu gesellen. Dorfleben von seiner besten Seite, sach ich ma'. Wie sich zeigte, kannte ich die Büchereileiterin von früher (auch wenn wir uns gegenseitig nicht gleich erkannten): Ich bin mal zwei Jahre lang, von 1986-88, in Tossens zur Schule gegangen, und da war diese Dame Lehrerin, und ihr Mann war mein Klassenlehrer. 



Wir unterhielten uns so gut, dass wir zur Kirchenführung beinahe zu spät gekommen wären. Die Führung war dann aber ausgesprochen interessant; sie konzentrierte sich vorrangig auf den Hochaltar, der ebenso wie der Taufsteindeckel und der Schalldeckel der Kanzel von dem Hamburger Drechslermeister Ludwig Münstermann (ca. 1575-1637) geschaffen wurde. Dieser war von dem von 1603-1667 regierenden Grafen Anton Günther von Oldenburg beauftragt worden, die in der Reformationszeit ihrer Kunstschätze beraubten und seither sehr kargen Kirchen seines Landes von neuem künstlerisch auszugestalten. 




Während unser Jüngster während der Führung einschlief, war die Große recht gut bei der Sache und wurde von der Gästeführerin, die sich offenbar über die Teilnahme eines Kindes freute, auch aktiv einbezogen, etwa in dem sie eine Reihe von "Quizfragen" zur biblischen Geschichte an sie richtete – die sie zum Teil auch korrekt beantworten konnte. Insgesamt fand ich es auffällig, wie viel religiöse Allgemeinbildung die Gästeführerin bei den Teilnehmern der Führung, auch den Erwachsenen, vorauszusetzen schien – Sätze wie "Das wissen Sie ja alle" fielen des öfteren –, aber vermutlich ging sie davon aus, dass Leute, die von diesen Dingen keine Ahnung haben, nicht in ihrem Urlaub zu einer Kirchenführung gehen würden. Was die Dame zum theologischen und kirchengeschichtlichen Kontext der Gestaltung des Hochaltars ausführte – also etwa dazu, wie sich in den verschiedenen Bildwerken und ihrer Anordnung reformatorische Auffassungen ausdrücken – erschien mir teilweise etwas oberflächlich und aus lutherischer Perspektive tendenziös verkürzt, aber gemessen daran, was man von einer ehrenamtlichen Gästeführerin auf'm Dorf realistischerweise erwarten darf, war der Vortrag insgesamt doch sehr gut. 

Ein paar Details möchte ich noch hervorheben, und zwar die beiden freistehenden Altarfiguren betreffend, die Moses und Johannes den Täufer darstellen. In der Gesamtkonzeption des Altars verkörpern sie den Alten und den Neuen Bund, das Gesetz und die Rechtfertigung aus dem Glauben. Wie oben bereits angedeutet, hatte ich ungefähr in der 5. Klasse schon einmal eine Führung in dieser Kirche mitgemacht, die von der Frau des damaligen Pastors, die zugleich auch Religionslehrerin an der Tossenser Schule war, geleitet wurde. Mich hatte damals besonders interessiert, warum Moses Hörner hat, und diese Frage konnte die Pastorenfrau und Religionslehrerin nicht befriedigend beantworten. Die ehrenamtliche Gästeführerin konnte es. Was andererseits die Figur Johannes des Täufers betraf, wies die Gästeführerin darauf hin, dass sie eine Bibel trage und einen Finger zwischen den Seiten habe. Damit solle das Ende des Alten und der Beginn des Neuen Testamentes markiert sein. – 



Was mir dazu einfiel: Erinnert sich noch jemand an den Playmobil-Luther, der zum Reformationsjubiläum herauskam? Der eine aufgeschlagene Bibel in der Hand hielt, auf deren Seiten "Altes Testament Ende" zu lesen war? Und an die Kritik, die das hervorrief: Das sei antijudaistisch, weil es impliziere, dass der Alte Bund verworfen und überholt sei? Da wurde seinerzeit beteuert, so sei das ja nicht gemeint, aber offensichtlich ist es doch so gemeint. Wofür natürlich Playmobil nichts kann: Das ist einfach eine Darstellungskonvention bei Lutherstatuen. 

Als wir aus Tossens zurück waren, gingen wir mit den Kindern noch eine Stunde in die Spielscheune, also bis zur Schließzeit. 

Tags darauf, am Mittwoch, fuhren wir nach Iggewarden zum Grillbüffet. Dazu mal nur so viel: Wer in Butjadingen Urlaub macht und nicht wenigstens einmal zum Grillbüffet auf Hof Iggewarden geht, der ist selber schuld. Das Essen ist exzellent und darf im Verhältnis zu Qualität und Auswahl ziemlich preiswert genannt werden, und außerdem ist der Erlebnisfaktor nicht zu verachten: Es ist einfach toll, mit anderen Familien auf der Veranda zu sitzen, mit Blick auf die weite Landschaft, und Hofbesitzer Reinhard Evers geht mit dem Tablett von Tisch zu Tisch und preist Spezialitäten aus seinem Smoker an. 





Die Kinder begeisterten sich nicht so fürs Essen, aber sie fanden's trotzdem toll auf Hof Iggewarden, vor allem dank der Schafe, Hängebauchschweine, Hühner und Kaninchen, die sie dort anschauen und zum Teil auch streicheln konnten. Dabei ließen sie sich auch von einem aggressiven Schafbock, dem sie den Spitznamen "Gemeinhorn" gaben, nicht einschüchtern. 

Hinweisen möchte ich übrigens noch auf die Aktion "Naturwunder des Jahres" der Heinz-Sielmann-Stiftung, bei der in diesem Jahr der Langwarder Groden in die Endauswahl gekommen ist: 

"Als Teil des Nationalpark niedersächsisches Wattenmeer wurde der Langwarder Groden vor 10 Jahren renaturiert und wieder dem Einfluss der Gezeiten ausgesetzt. So entstanden Salzwiesen und Wattflächen. Der neu entstandene Lebensraum bietet Platz für bedrohte und geschützte Arten. Vögel, wie Rotschenkel und Säbelschnäbler brüten und rasten in den Salzwiesen und suchen im Watt nach Nahrung." 

Zur Abstimmung über das "Naturwunder des Jahres" geht's hier. Hofbesitzer Reinhard Evers meint: "Wenn nur die Einheimischen abstimmen, haben wir keine Chance, dafür gibt es hier zu wenig Leute." Also verbreitet diesen Aufruf gern weiter, Leser! Die Abstimmung läuft noch bis zum 3. Oktober, somit wurde es wirklich höchste Zeit, dass ich das hier poste... 

Am Donnerstag, dem 15. August, war Mariä Himmelfahrt; was wir da machten, habe ich bereits ausführlich geschildert. Der Freitag – unser letzter "ganzer" Tag in Butjadingen, ehe wir zu unserem nächsten Urlaubsziel weiterreisten – war der erste und somit einzige echte Schlechtwettertag während unseres Aufenthalts: Von morgens bis in den Nachmittag hinein wechselte sich Nieselregen mit kräftigeren Regenschauern ab; auf die eigentlich für diesen Tag geplante Wattwanderung verzichteten wir da lieber. Worauf unsere Sechsjährige hingegen nicht verzichten wollte, war, ein Fahrrad zu leihen und damit Fahrradfahren zu üben. Da ich merkte, dass es sie stresste, auf dem schmalen Gehweg neben der Straße her fahren zu müssen, lotste ich sie zu einem verkehrsberuhigten Bereich (vulgo "Spielstraße"), wo sie nach Herzenslust die ganze Breite der Straße ausnutzen konnte; und das klappte prima. Gerade wenn ich an meine ersten Fahrradfahrversuche in ihrem Alter zurückdenke, muss ich sagen, ich bin wirklich stolz auf meine Tochter. Gegen Mittag wollte ich ihr zur Belohnung eine Portion Pommes spendieren, aber das Bistro neben der Tankstelle, das wir zu diesem Zweck ansteuerten, ist inzwischen eine Raucherkneipe. 

Sachen gibt's... 

Wir trafen uns also erst mal mit meiner Liebsten und unserem Jüngsten wieder, die inzwischen in der Spielscheune gewesen waren, und aßen bei der Fischbude am Deich. Danach gingen wir nochmals für ein paar Stunden in die Spielscheune – wo es sehr voll war, weil man bei diesem Wetter eben nicht viel anderes machen konnte. Am späteren Nachmittag wollten wir eigentlich im Indianerdorf hinter der Spielscheune zur Goldsuche, aber die fiel "[a]ufgrund der aktuellen Wetterlage" aus – dabei hatte der Regen inzwischen aufgehört. Also gingen wir über den Deich und schauten uns ein paar schöne Sandskulpturen an. 



Am nächsten Tag reisten wir dann weiter zum Reiterhof "Kleine Mücke" in Tannenhausen bei Aurich, wo wir die zweite Hälfte unseres diesjährigen Sommerurlaubs verbrachten. Wenn man unsere Tochter fragt, was für sie das Schönste an diesen Ferien war, antwortet sie ohne Zögern "Reiten"! Viel anderes als das kann man in Tannenhausen allerdings zugegebenermaßen auch nicht machen. Okay, es gibt dort einen schönen Badesee, an dem es mir persönlich besser gefallen hat als an der Burhaver Nordseelagune; allerdings ist in Ostfriesland ab Mitte August schon Herbst, wir hatten also nur an wenigen Tagen unseres Aufenthalts eingermaßen passables Badewetter. Auch immer einen Besuch wert ist das (teilweise rekonstruierte) Steinzeitgrab in Tannenhausen. Einmal fuhren wir mit dem Bus nach Aurich rein, wo die Kinder viel Spaß auf dem "Häuptlingsspielplatz" hatten, und einmal holten meine Schwester und mein Schwager uns mit dem Auto ab und fuhren mit uns zur Klosterstätte Ihlow. Diese Sehenswürdigkeit ist so interessant, dass ich denke, sie verdient einen eigenständigen Artikel – wenn ich mal dazu komme... 


1 Kommentar:

  1. Eine solche Luther-Figur steht sowohl bei mir zu Hause als auch in der Konstanten meiner Studentenverbindung. Allerdings statt Feder einen Krug "einpöckisch Bier".

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