Samstag, 11. März 2023

Havels Gemüsehändler ist jetzt Tierarzt in Butjadingen

Die Butjenter haben es mal wieder geschafft. Seit Monaten werde ich von verschiedenen Seiten mit zunehmender Dringlichkeit, ja zuweilen fast mit Besorgnis gefragt, ob ich denn nicht endlich mal wieder was bloggen wolle, und immer sage ich: Wollen schon, wenn ich nur mal die Zeit dafür fände. Aber natürlich findet man die Zeit nie, wenn man sie sich nicht einfach mal nimmt. Man muss sich halt erst mal dazu aufraffen. Und den entscheidenden Schubs, damit ich das tue. haben mir, ich sagte es bereits, ausgerechnet mal wieder die Einwohner meiner idyllischen Herkunftsgemeinde an der Waterkant verpasst. Ganz unbeabsichtigt, versteht sich. 

Nämlich wie bzw. wodurch? – Seit einigen Tagen war mir in diversen Facebook-Gruppen und -Seiten aus Butjadingen eine gewisse Häufung von Beiträgen aufgefallen, die darauf schließen ließen, dass da irgendeine große virtue-signalling-Kampagne mit Regenbogenflaggen im Gange sei. Zunächst dachte ich an sowas wie "Gay-Pride-Parade in Stars Hollow" und nahm die ganze Sache nicht weiter ernst, aber nach und nach schnappte ich doch ein paar Hinweise darauf auf, dass die Aktion einen konkreten und brisanten Hintergrund hat. Irgendjemand in irgendwie prominenter Position in der Gemeinde hatte wohl irgendwas gesagt, wovon sich alle Gutgesinnten schleunigst distanzieren mussten. Es dauerte dann noch ein paar weitere Tage, bis ich dahinter kam, worum es tatsächlich ging; und dabei half mir ein am 06.03. in der Online-Ausgabe der Nordwest-Zeitung veröffentlichter Artikel von Eyleen Thümler. Über die journalistische Qualität dieses Artikels wird noch allerlei zu sagen sein, aber kommen wir erst mal zu den zentralen Fakten des Falles: 

Auslöser der ganzen Affäre war, wie es in dem Artikel heißt, "eine Regenbogenflagge vor dem Gästehaus der katholischen Kirche in Burhave". Hinzufügen sollte man, dass es sich bei diesem "Gästehaus" um das frühere Pfarrhaus handelt, das sich im selben Gebäude befindet wie die katholische Kirche Herz Mariae selbst. An einem Fahnenmast auf dem Kirchengrundstück war also eine Regenbogenflagge gehisst worden – warum? Von wem bzw. auf wessen Veranlassung? Das verrät der Artikel nicht; wohl aber, dass ein Mitglied des Gemeinderates von Butjadingen, der Tierarzt Dr. Hans Hortig, in einer Sitzung des Ausschusses für Familie, Jugend, Sport und Kultur die Entfernung der Flagge forderte und von einer "kulturellen Schande" sprach. 

Ehrlich gesagt, ich weiß nicht genau, was die Formulierung "kulturelle Schande" ausdrücken soll, und davon abgesehen meine ich mich vage zu erinnern, dass Dr. Hortig sich irgendwann mal zu einem völlig anderen Thema (oder verschiedenen) auf eine Weise positioniert hat, die ich nicht so richtig knorke fand, kann dafür aber keinen konkreten Beleg anführen. Aber wie dem auch sei, man kann wohl schwerlich leugnen, dass er mit seinem Protest gegen das Hissen einer Regenbogenflagge vor einem katholischen Kirchengebäude Rückgrat bewiesen hat. 

Und so etwas mögen die Butjenter nicht. 

Symbolbild (Quelle hier)

Zu sagen, Dr. Hortigs Einlassung habe Empörung hervorgerufen, wäre geradezu eine Untertreibung. Vielmehr scheint die Auffassung vorzuherrschen, er habe mit seiner Äußerung Schande über ganz Butjadingen gebracht, und diese Schmach könne nur dadurch abgewaschen werden, dass die ganze Gemeinde in ein Meer von Regenbogenflaggen getaucht wird. Angesichts der rituellen Qualität dieses kollektiven Bußakts möchte man als Katholik fast neidisch werden. Der oben bereits angesprochene Artikel der Nordwest-Zeitung feiert die Aktion "Butjadingen zeigt Flagge" mit der Überschrift "Jetzt zeigen die Butjenter, dass sie weltoffen und tolerant sind". Da muss man erst mal drauf kommen! Von dem journalistischen Grundsatz, sich mit keiner Sache gemein zu machen – auch nicht mit einer, die man für eine gute hält – haben Fräulein Thümler und ihre Redaktion offenbar auch noch nichts gehört, aber das ist man heutzutage ja kaum anders gewohnt. Bei den Stichworten Weltoffenheit und Toleranz will ich allerdings doch nochmal nachfassen. "Die Regenbogenflagge steht nicht nur [!] für Weltoffenheit und Toleranz", räumt Eyleen Thümler in ihrem Artikel ein, "sondern auch [!] für die LGBTQI*-Gemeinschaft und damit für sexuelle Selbstbestimmung."  Ach. Mal abgesehen davon, wie unkritisch-unreflektiert hier mit Propagandabegriffen wie "sexuelle Selbstbestimmung" hantiert wird, ist dieses "nicht nur, sondern auch" schon eine Glanzleistung in Sachen semantischer Verschleierung; es kommt aber noch besser: "Unabhängig davon ist der Regenbogen schon immer ein christliches Symbol, weshalb die bunte Flagge unter anderem auch an vielen Kirchen oder Gemeindehäusern hängt." Äh. Glaubt die Frau eigentlich selber, was sie schreibt? Man kann es wohl nicht ganz ausschließen. 

Wie dem auch sei: "Weltoffenheit und Toleranz" kann ich in dieser ganzen Angelegenheit nicht erkennen, sondern vielmehr eine beängstigende Mitläufermentalität, die der Regenbogenflagge ebenso huldigt, wie zu anderen Zeiten anderen Flaggen gehuldigt wurde. Erinnern wir uns an die Parabel vom Gemüsehändler, die Václav Havel in seinem Essay "Versuch, in der Wahrheit zu leben" (1978) erzählt und die in Rod Drehers "Benedikt-Option" wie folgt zusammengefasst und paraphrasiert wird: 

Man stelle sich vor – schreibt Havel –, ein Gemüsehändler, der unter kommunistischer Herrschaft lebt, hängt ein Schild in sein Ladenfenster, auf dem steht "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!". Er tut das nicht unbedingt, weil er daran glaubt. Er will einfach nur keinen Ärger. Und wenn er im Grunde gar nicht recht daran glaubt, wird er das Beschämende dieses Zwangs verbergen, indem er sich selbst sagt: "Warum sollten sich eigentlich die Proletarier aller Welt nicht vereinigen?". Furcht gestattet es der offiziellen Ideologie, ihre Macht zu bewahren – und verändert schließlich die Überzeugungen des Gemüsehändlers. Jene, die, so Havel, "in der Lüge leben", kollaborieren mit dem System und kompromittieren damit ihre Integrität als Mensch.

Jeder Akt hingegen, der der offiziellen Ideologie widerspricht, ist eine Verweigerung gegenüber dem System. Was, wenn der Gemüsehändler das Schild eines Tages nicht mehr in sein Ladenfenster hängt? Was, wenn er sich weigert, mitzumachen, nur um unbehelligt zu bleiben? "Seine Rebellion wird ein Versuch um das Leben in Wahrheit sein" – und sie wird ihn eine Menge kosten.
Wie ich schon vor ein paar Jahren mal schrieb: Das Propagandabanner unserer Tage ist die Regenbogenflagge, und wer sie sich nicht wenigstens im metaphorischen Sinne "ins Fenster hängt", bekommt Probleme. – Mit der großflächigen Regenbogen-Beflaggung des Gemeindegebiets, die die Aktion "Butjadingen zeigt Flagge" anstrebt, ist es indes noch nicht getan: Mit Datum vom 07.03. veröffentlichten diverse politische und gesellschaftliche Gruppen aus der Wesermarsch eine "Gemeinsame Erklärung zur Äußerung des Butjadinger Ratsherrn Dr. Hortig", mit folgendem Inhalt: 

1. Wir, die Unterzeichnenden dieser gemeinsamen Erklärung, begrüßen die Hissung der Regenbogenfahne am katholischen Gästehaus in Burhave durch die katholische Kirchengemeinde und erteilen der Forderung nach Entfernung dieser eine klare Absage.

2. Wir verurteilen, unter Respektierung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, die Äußerung des Butjadinger Ratsherren Dr. Hortig, in der dieser die Regenbogenfahne als "kulturelle Schande" bezeichnet, aufs Schärfste.

3. Wir betrachten die Regenbogenfahne nicht als Symbol von Minderheiten, sondern als Symbol für Akzeptanz, Vielfalt und eine bunte Gesellschaft, in der gemäß Grundgesetz alle Menschen ihre Persönlichkeit frei entfalten dürfen. Entsprechend sehen wir in der Äußerung von Herrn Dr. Hortig einen Angriff auf diese Werte.

4. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die durch die diskriminierende Äußerung angegriffen wurden, und stehen hinter ihnen.

5. Wir, die Unterzeichnenden dieser gemeinsamen Erklärung, bekennen uns zu Respekt, Akzeptanz, Vielfalt und freier Persönlichkeitsentfaltung und stehen dafür ein, dass alle Menschen so sein können wie sie sind und lieben können, wen sie wollen.
– Leute, Orwell hat "1984" als Warnung geschrieben und nicht als Anleitung. Schon allein bei der salvatorischen Klausel "unter Respektierung des Rechts auf freie Meinungsäußerung" in Punkt 2 wird mir ganz anders. Und dann in Punkt 3: "Wir betrachten die Regenbogenfahne nicht als [...], sondern als [...]": Das ist Augenwischerei im Sinne von "Was ist so falsch daran, dass sich die Proletarier aller Länder vereinigen?" Symbole zeichnen sich nun einmal dadurch aus, dass sie eine festgelegte Bedeutung haben. Man kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Swastika ein buddhistisches Glückssymbol sei – stopp, nehmen wir lieber ein anderes Beispiel: Wenn einen die Verkehrspolizei dafür belangt, dass man an einem Stoppschild nicht angehalten hat, kann man auch nicht sagen "Für mich hat dieses Schild aber eine andere Bedeutung". 

An erster Stelle bei den Unterzeichnern dieser Erklärung steht übrigens der "CSD Wesermarsch Verein", und direkt danach – vor dem "Ev.-luth. Kirchenkreis Wesermarsch" – folgt dann schon die "Kath. Kirchengemeinde Nordenham-Butjadingen-Stadland"; was, mit Blick auf Punkt 1, u.a. bedeutet, dass sie sich für die Anbringung der Regenbogenflagge am Rat-Schinke-Haus ein kräftiges Eigenlob zollt. Nun könnte man natürlich sagen, in Zeiten von "Synodalem Weg", #LoveIsNoSin, #OutInChurch usw. usw. brauche man sich über all das nicht sonderlich zu wundern. Es fällt allerdings auf, dass die Pfarrei St. Willehad, soweit ich sehe – sollte mir etwas entgangen sein, bitte ich um Mitteilung – weder auf ihrer Website noch auf ihrer Facebook-Seite noch gar in ihren Pfarrnachrichten irgendwie zu der Rolle, die sie in dieser ganzen Affäre gespielt hat und weiterhin spielt, Stellung nimmt. Ganz so billig, finde ich, sollte man sie nicht davonkommen lassen. Aber dazu folgt in Kürze noch ein eigener Artikel... 



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