Samstag, 30. Juni 2018

Ein Streit der Königinnen in Friedrich-August-Hütte

Am Tag meiner Abreise aus Nordenham kam ich am Schaukasten der Nordwest-Zeitung vorbei, und dabei fiel mein Blick auf eine dramatische Überschrift im Lokalteil: "Ex-Vorsitzende sieht schwarz für FAH". Wieder einmal eine dieser für den Lokaljournalismus nicht ganz untypischen Überschriften, die dem Uneingeweihten auf den ersten Blick nicht so richtig verraten, worum es überhaupt geht. Nun ja, das Kürzel "FAH" steht in Nordenham für "Friedrich-August-Hütte", eine nach dem letzten regierenden Großherzog von Oldenburg benannte, Anfang des 20. Jhs. entstandene Industriesiedlung im Stadtnorden. Die düstere Einschätzung in der Überschrift bezieht sich jedoch nicht auf den Ortsteil als ganzen, sondern - wie ein Foto der 1966 erbauten evangelisch-lutherischen Pauluskirche andeutet - auf die örtliche Kirchengemeinde. Die genauer gesagt nur einer von zwei Pfarrbezirken der Evangelisch-lutherischen Gemeinde Blexen ist. Und da gibt es, wie der von Horst Lohe verfasste Artikel verrät, "[o]ffenbar [...] seit einigen Jahren einen Konflikt. Jetzt ist er eskaliert." 

Ausgelöst hat diese Eskalation die in der Überschrift genannten "Ex-Vorsitzende", nämlich Jutta Molitor, die "18 Jahre lang [...] dem Kirchenrat" der Gemeinde Blexen angehört hat. "Von 2012 bis 2015 war sie sogar Vorsitzende. Während der fast einjährigen Vakanz der beiden Pfarrstellen in FAH und in Blexen im Jahr 2012 hat Jutta Molitor weitgehend selbstständig die laufenden Geschäfte geleitet." Dann jedoch, am 1. Oktober 2012, wurde "Anke Claßen Pfarrerin in FAH und ihr Ehemann Dietmar Reumann-Claßen Pfarrer in Blexen". Und damit fingen die Konflikte offenbar an. "Bei der Neuwahl am 11. März dieses Jahres hat Jutta Molitor nicht mehr für den Kirchenrat kandidiert" -- und zwar, weil sie laut eigener Aussage die Arbeit der mittlerweile nicht mehr ganz so neuen Pfarrerin "nicht mehr ertragen" konnte. Damit nicht genug: "Ihr Ehemann Stephan Molitor (53) ist aus Protest im Frühjahr aus der Kirche ausgetreten." Die Eheleute erklären, sie "sehen schwarz für die Zukunft des Pfarrbezirks FAH. Pfarrerin Anke Claßen macht die Gemeinde kaputt". 

An dieser Stelle unterbreche ich mal. Ich kenne keine der beteiligten Personen und habe von den Zuständen in der evangelischen Kirchengemeinde Blexen-FAH nicht die geringste Ahnung. Vielleicht kann der eine oder die andere Leser/-in etwas Licht ins Dunkel bringen (ich werde ja erfahrungsgemäß auch und nicht zuletzt im Raum Nordenham fleißig gelesen). Jedenfalls habe ich bis auf Weiteres überhaupt keine Veranlassung, in diesem Konflikt irgendwie Partei zu ergreifen. Mir fallen lediglich ein paar Dinge auf, und zu denen möchte ich die eine oder andere Anmerkung vom Stapel lassen. 

(aus der Gartenlaube, Jg. 1891, nach einem Gemälde von F. Kirchbach. Gemeinfrei.) 
"Einige der Vorwürfe" des Ehepaars Molitor gegen die Pfarrerin - es gibt demnach also offenbar noch mehr - fasst Horst Lohe in der NWZ zu sechs bis sieben Punkten zusammen, aber diese Zusammenstellung sieht nach einem ziemlichen Durcheinander aus. Ich versuche da mal ein bisschen Ordnung reinzubringen. Die wohl gewichtigsten Vorwürfe - die "Gottesdienste seien schlecht vorbereitet", und unter Pfarrerin Claßens Amtsvorgänger Lars Löwensen "habe es im Unterschied zu heute ein 'fantastisches Gemeindeleben' gegeben" - wirken auf mich recht vage; darüber, wie ein gut vorbereiteter Gottesdienst auszusehen hätte und was ein gutes Gemeindeleben ausmacht, dürfte es durchaus unterschiedliche Ansichten geben, daher kann zumindest ich mir nicht recht vorstellen, was die Molitors hier konkret meinen. Wie schon gesagt: Vielleicht können Leser hier zur Aufklärung beitragen. -- Andere Kritikpunkte wirken eher kleinlich und gesucht. So will es mir zum Beispiel nicht recht einleuchten, wieso es der Pfarrerin übel genommen wird, dass sie im Rahmen eines "Austauschprogramm[s] mit Afrika [...] im Frühjahr 2014 für vier Wochen" nach Ghana gereist ist -- und dies, so liest es sich jedenfalls in der NWZ, "[o]bwohl sie [..] aus einem anderem Bundesland (aus Duisburg in Nordrhein-Westfalen) nach Nordenham gewechselt sei". Was hat da das eine mit dem anderen zu tun? Soll das heißen, vom Niederrhein an die Unterweser sei schon Weltreise genug, da müsse man nicht auch noch nach Ghana? Oder was?

Erscheinen die Vorwürfe gegen Pfarrerin Claßen also alles in allem wenig überzeugend, dann liegt es umso näher, die eigentlichen Ursachen des Konflikts woanders zu suchen. Zum Beispiel eben darin, dass Jutta Molitor die Belange der Kirchengemeinde während der Vakanz der beiden Pfarrstellen fast ein Jahr lang "weitgehend selbstständig" verwaltet hat. Da kann es schwer fallen, Leitungsfunktionen wieder abzugeben -- besonders wenn man mit der neuen Chefin einfach "nicht kann". "Die Pfarrerin habe sie zu wenig zu Rate gezogen und sie nicht einbezogen in wichtige dienstliche Angelegenheiten", beklagt sich Jutta Molitor. "Anke Claßens Vorgänger hätten sich anders verhalten."

Letztlich also alles nur ein Fall von verletzter Eitelkeit? Man könnte den Eindruck haben. Zu Stephan Molitor übrigens nur so viel: Immer wenn ich höre oder lese - und so selten kommt das gar nicht vor -, dass jemand aus Unzufriedenheit mit dem Pfarrer bzw. der Pfarrerin, anderen Gemeindemitgliedern, der Organistin, dem Blumenschmuck in der Kirche oder der Tatsache, dass er nicht mehr (wie früher) auf dem Kirchenvorplatz parken darf, aus der Kirche austritt, verfalle ich in zwanghaftes Kopfschütteln. Präziser gesagt, ich frage mich, was das eigentlich rückblickend über die bisherige Motivation, Kirchenmitglied zu sein, aussagt. Als Katholik räume ich freilich ein, dass ein solches Verhalten vor dem Hintergrund eines protestantischen Kirchenverständnisses um einige Grade weniger schräg ist, als es bei einem katholischen Kirchenverständnis wäre. Und ehe sich jetzt jemand aufregt, weil er diese Einschätzung falsch versteht, versuche ich sie mal möglichst knapp zu erläutern: Nach protestantischem Verständnis ist eine Vereinigung bzw. Körperschaft, die sich Kirche nennt, lediglich eine Gemeinschaft von Gläubigen; für den Katholiken ist seine Kirche DIE Gemeinschaft DER Gläubigen. Das ist ein bedeutender Unterschied. Für den Katholiken ist die Zugehörigkeit zur Kirche Teil seines Glaubensbekenntnisses; der Protestant bekennt sich im Credo zwar auch zur "heiligen christlichen Kirche", versteht darunter aber eher eine ideelle Größe und nicht notwendigerweise die Landeskirche oder den Gemeindeverband, in der bzw. dem er formell Mitglied ist. So, Ende des Exkurses. 

Andererseits, und da ich ja wie gesagt eigentlich nicht die Absicht habe, Partei zu ergreifen, muss ich auch sagen: Dass die zwei Pfarrstellen einer Gemeinde an ein Ehepaar vergeben werden, erscheint mir, gelinde gesagt, ungewöhnlich -- und geradezu wie eine Garantie für böses Blut. Allerdings werden die Pfarrer in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Oldenburg meines Wissens von den Gemeinden gewählt. Demnach wäre die Gemeinde also selbst schuld. Noch heikler wird es jedoch,  wenn die Pfarrerin und Pfarrersfrau obendrein auch noch - wie im Sommer 2015 geschehen - zur Vorsitzenden des Gemeindekirchenrates gewählt wird. In einer Kampfabstimmung gegen die bisherige Vorsitzende Silvia Molitor. Die nun argwöhnt, "dass offenbar Blexer Kirchenratsmitglieder ein abgekartetes Spiel mit dem Ehemann der Pfarrerin, mit Pfarrer Dietmar Reumann-Claßen betrieben hatten".

Pfarrerin Claßen äußert sich indes auf Anfrage der NWZ "verwundert" über das Vorgehen ihrer Gegnerin, "an den Kreispfarrer und den Oberkirchenrat zu schreiben und jetzt an die Öffentlichkeit zu treten. Die einzige Zielrichtung, die ich in ihrem Handeln erkennen kann, ist die, mir und der Gemeinde zu schaden."

Nicht so recht deutlich wird aus dem Presseartikel, ob die Eheleute Molitor bei ihrer Kritik an der Pfarrerin einen signifikanten Teil der Gemeinde auf ihrer Seite haben oder ob es sich lediglich um einen privaten Rachefeldzug handelt. Man könnte denken, wäre Letzteres der Fall, dann würde es nicht in der Zeitung stehen; aber ich würde sagen, bei den Gepflogenheiten der Lokalpresse ist darauf nicht unbedingt Verlass.

Andererseits wiederum hat, wie mir bei einer früheren Gelegenheit aus vertraulicher Quelle mitgeteilt wurde, "Pfarrervergrämung" - oder anders ausgedrückt: Mobbing gegen neu ins Amt eingeführte Geistliche durch Cliquen alteingesessener und einflussreicher Gemeindemitglieder - "in der Wesermarsch leider Tradition". Natürlich gibt es so etwas woanders auch -- aus Berlin sind mir ebenfalls ein paar solcher Fälle bekannt, wenn auch größtenteils nur vom Hörensagen. Aber die Gemeinden der Wesermarsch scheinen unter Pfarramtskandidaten besonders berüchtigt und gefürchtet zu sein. Meine anonyme Quelle sprach in diesem Zusammenhang von
"den Sturköpfen vor Ort [...]. Die mobben mit perversen Tricks jeden raus, der irgendwann mal etwas anderes sagt oder es wagt, seinen Horizont weiter zu ziehen als bis zum Watt. [...] Und die Presse sitzt natürlich dort auch in den jeweiligen Kirchenvorständen und Pfarrgemeinderäten..." 
Besonders Letzteres ist ein interessanter Hinweis, denn NWZ-Redakteur Horst Lohe, der redaktionsintern offenbar für die Kirchenberichterstattung zuständig ist, war am letzten spektakulären Fall von Pfarrervergrämung in Nordenham tatsächlich persönlich beteiligt, nämlich in seiner Eigenschaft als Mitglied des Kirchenvorstands der katholischen Pfarrei St. Willehad.

Bemerkenswert erscheint, dass im aktuellen Fall der Oberkirchenrat in Oldenburg entschieden hinter der angegriffenen Pfarrerin zu stehen scheint. Die für Personalangelegenheiten zuständige Oberkirchenrätin Annette-Christine Lenk lobt Pfarrerin Claßen auf Anfrage der NWZ als "eine hoch engagierte Pfarrerin", die "ihr Amt in hoher Professionalität und aller gebotene[n] persönliche[n] Distanz" ausübe -- und fügt hinzu:
"Uns ist durchaus bewusst, dass Pfarrerinnen und Pfarrer unserer Kirche auch Projektionsflächen sind und wir sie auch darin unterstützen müssen, nicht alle Erwartungen und Wünsche erfüllen zu können." 
Das scheint mir eine sehr profunde Aussage.

Abschließend noch einmal mein Aufruf an Leser oder Leserinnen, die über die Situation vor Ort besser bescheid wissen: Schreibt mir einen Kommentar -- auf Wunsch auch anonym!



1 Kommentar:

  1. Eineristkeiner1. Juli 2018 um 21:14

    „Dass die zwei Pfarrstellen einer Gemeinde an ein Ehepaar vergeben werden, erscheint mir, gelinde gesagt, ungewöhnlich“
    Das ist ganz und gar nicht ungewöhnlich. In meiner niedersächsischen Heimat kam und kommt das hin und wieder vor. Wegen zukünftiger Stellenstreichungen wird es jedoch zunehmend seltener werden, da nicht ausreichend Stellenanteile für zwei Pfarrer vorhanden sein werden. Es sei denn, man bildet in Zukunft Großgemeinden oder dergleichen.

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