"Jetzt predigen die
schon zum neuen Buch von @davidmholte und mir. :)", frohlockte Erik Flügge jüngst auf Twitter
und verlinkte einen Artikel der Saarbrücker Zeitung
über die Verabschiedung eines langjährigen Gemeindepfarrers im
saarländischen Eppelborn. Tatsächlich erfährt man aus dem Artikel,
dass der scheidende Seelsorger in seiner Predigt explizit auf die
Thesen des Buches „Eine Kirche für viele statt heiligem Rest“
eingegangen sei.
Nun, zugegeben, die
Versuchung zur Eitelkeit ist wohl jedem vertraut, der im weitesten
Sinne schriftstellerisch tätig ist; und ich würde wahrscheinlich
auch abfeiern, wenn ein Geistlicher in einer Predigt etwas
zitieren würde, was ich geschrieben habe. Aber wenn man sich die auf
Flügges Buch bezogene Passage der Predigt mal etwas genauer ansieht,
entsteht doch eher der Eindruck unfreiwilliger Komik.
"Wenn von zehn Söhnen
neun ihr Zuhause verlassen und nur einer bleibt, dann muss man neu
überlegen, wer nun der verlorene Sohn ist", äußerte Pfarrer
Matthias Marx, der nach fast 25 Jahren seinen Abschied von der
Pfarrei St. Sebastian nimmt, dem Zeitungsbericht zufolge. Ja wie
jetzt – was genau gibt es da "neu zu überlegen"? Wenn jetzt
etwa der eine, der noch da ist, der eigentliche Verlorene sein soll,
was folgt denn dann daraus? Dass man ihn dazu bringen muss, auch noch
wegzugehen? Nun, wahrscheinlich hat der brave Geistliche etwas ganz
Anderes sagen wollen und sich lediglich in seinen Metaphern
verheddert – was eine Twitter-Nutzerin zu der souveränen Parodie veranlasste:
"Wenn von hundert Schafen neunundneunzig den Weinberg des Königs verlassen und nur eine arme Witwe bleibt, dann müssen wir neu überlegen, wer hier eigentlich das Senfkorn ist."
Hermann Neuhaus: Der verlorene Sohn (ca. 1891). Gemeinfrei. |
In der Tat. – Davon abgesehen könnte man aber auch auf die Idee kommen, die Abschiedspredigt von Pfarrer Marx, der bisher auch Dechant des Dekanats Illingen gewesen ist, als anekdotischen Beleg dafür anzusehen, was es für Leute sind, die die pastoraltheologischen Bilderstürmereien von Leuten wie Flügge bejubeln und auf der kirchenpolitischen Agenda nach vorn pushen: altgediente Priester (und Laienfunktionäre), die 30 oder mehr Jahre damit verbracht haben, den Karren in den Dreck zu fahren, nun kurz vor dem Rentenalter oder schon darüber hinaus sind und applaudierend zuschauen, wie eine jüngere Generation so richtig Gas gibt, wenn auch mit durchdrehenden Rädern. -- Oder doch nicht? Matthias Marx ist Jahrgang 1954, und verabschiedet wurde er nicht etwa in den Ruhestand, sondern wird zukünftig als "Erkunder" für das Bistum Trier tätig sein. Kein Witz. Wer sich nun aber ausmalt, der bärtige Geistliche werde demnächst in Lederstrumpf-Manier durch die Wälder und Prärien des Saarlands und der Pfalz pirschen, um Wege zur Evangelisierung der Eingeborenen auszukundschaften, der wird auf der Bistumswebsite eines Langweiligeren belehrt:
"'Erkunden heißt zunächst, den Sozialraum zu analysieren', erläutert [Gemeindereferentin] Anne Kiefer. 'Das heißt, die Lebenswelten der Menschen im direkten Kontakt mit ihnen zu entdecken.' Man möchte also zunächst wissen, wo die Menschen leben und wo sich ihr Leben abspielt: Wo wohnen sie, wo arbeiten sie, wo gehen sie einkaufen, wo verbringen sie ihre Freizeit?"
Die Erkundung von Sozialräumen hatte dieser Gemeindereferent sich anders vorgestellt. (Gemeinfrei.) |
Hatten die Baby-Boomer die Kirche seit den 70ern und bis in die 90er hinein in erster Linie als eine Art politische Vorfeldorganisation betrachtet bzw. zu einer solchen machen wollen, tendieren neuere pastoraltheologische Entwürfe verstärkt dazu, sie als Dienstleister auf dem Markt für spirituelle Wellness und Lebenshilfe zu betrachten. Das bedingt teilweise unterschiedliche konzeptionelle Ansätze, aber gemeinsam ist ihnen eine fundamentale Unfähigkeit, die Kirche als Braut Christi zu sehen – und zu begreifen, dass sie Seinen Willen zu vollziehen hat und nicht ihren. Und dass die Kirche über Zweck und Ziel ihres Handelns im Letzten nicht frei verfügen kann bzw. darf – nicht auf bürokratischem und nicht auf politischem Wege, und auch nicht auf dem Wege der Marktorientierung.
Bei uns wurde der Inhalt des Aufsatzes am Pfingstsonntag ebenfalls in der Messe thematisiert, wenn auch nur die 90% gegen 10% These kurz angeschnitten wurde.
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