Sonntag, 11. September 2016

Ben Hur oder wie ich lernte das 3D-Action-Kino zu lieben - jedenfalls fast

Seit gut einer Woche läuft Timur Bekmambetovs Ben Hur-Neuverfilmung in den deutschen Kinos, und trotz oder vielleicht auch gerade wegen der - soweit ich das überblicken kann - weit überwiegend negativen Kritiken, die der Film bekommen hat, wollten meine Liebste und ich ihn uns nicht entgehen lassen. Die Kritiken, die ich gelesen oder zum Teil auch nur überflogen hatte, waren übrigens praktisch ausschließlich auf christlichen Websites erschienen. Was ja schon mal ein erhebliches Interesse der christlichen Community an diesem Film erkennen lässt. 

Bevor der Film begann, gingen wir in der Nähe des Kinos noch etwas essen und "verpassten" so einen Teil der Werbung. Machen wir eigentlich immer so - klappt gut. Einige Trailer für in naher oder mittelferner Zukunft anlaufende Filme mussten wir aber doch noch über uns ergehen - und es gab mir zu denken, dass es sich dabei ausschließlich um Actionfilme handelte. Und um totalen Trash noch dazu. "Jack Reacher", "Assassin's Creed", "Doctor Strange", "The Great Wall" - einer hanebüchener als der andere. Ich fragte mich bang, was diese Trailerauswahl wohl über den Film aussagte, der uns erwartete, aber zugleich dachte ich auch, die geradezu schreiende Beklopptheit der angekündigten Filme würde mich Ben Hur gegenüber vielleicht toleranter stimmen. 

Aber kein noch so protzig überproduzierter Trailer für eine Comic- oder Videospielverfilmung und keine noch so negative Besprechung hätte mich angemessen darauf vorbereiten können, wie schlecht dieser Film ist. Also, zumindest das erste Drittel. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen und kann nicht sagen, ob es von der Länge her das erste Drittel ist - aber dramaturgisch ist es das erste Drittel. Also der Teil bis zum Attentat auf Pontius Pilatus. Wobei ich die Anfangssequenz, die mit dem Höhepunkt der Handlung, dem alles entscheidenden Wagenrennen, beginnt und dann acht Jahre zurück in die Vergangenheit zu einem spielerisch-freundschaftlichen Wettrennen zwischen Ben Hur und Messala überblendet, eigentlich relativ gelungen fand - ganz anders als José García in seiner Besprechung für die Tagespost: "Diese, der Fernsehdramaturgie entnommene Unsitte, die vermeintlich spannende Szene eines Filmes an dessen Anfang zu setzen, wirkt in 'Ben Hur' völlig fehl am Platz", meint der Rezensent. Ich musste da irgendwie an meine Dramaturgie-Dozentin an der Uni denken, die einmal, als ich mich über die in meinen Augen misslungene Exposition von George Lillos bürgerlichem Trauerspiel The London Merchant mokierte, sarkastisch erwiderte: "Na, da wird sich der Lillo jetzt aber im Grab umdrehen und sich fragen: Warum hab ich dem Stück keine vernünftige Exposition geschrieben?" Was sie mir damit klar machen wollte, war natürlich: Lillo hat die Exposition nicht aus Versehen genau so geschrieben, oder weil er es nicht besser konnte, sondern mit voller Absicht. Er wird sich schon was dabei gedacht haben. Und dasselbe gilt eben auch für Bekmambetovs Ben Hur-Eröffnungssequenz. Man kann sie doof finden, aber das heißt nicht zwangsläufig, dass es sich objektiv um einen Regiefehler handelt. Vielleicht ist das auch einfach ein zeitgemäßes dramaturgisches Mittel, an das wir uns, ob es uns gefällt oder nicht, gewöhnen müssen. -- Eine weitere Parallele zu Lillos The London Merchant besteht übrigens darin, dass der junge Goethe seinen Besuch einer Aufführung des damaligen Erfolgsstücks in einem Brief an seine Schwester mit den Worten schildert: "Die meiste Zeit über gegähnet, zum Schlusse aber geweint." (Das war die Epoche der Empfindsamkeit. Wenn das Publikum weinte, war das etwas Gutes.) 

Die Filmkritik in der Tagespost steht unter der Überschrift "Überflüssige Neuverfilmung eines Klassikers" und lässt den Leser somit von Anfang an nicht im Unklaren darüber, aus welcher Perspektive der Film hier beurteilt wird: Der Rezensent misst Bekmambetovs Neuverfilmung an William Wylers klassischem Monumentalfilm von 1959, mit Charlton Heston in der Titelrolle und Stephen Boyd als Messala. Bei diesem Vergleich kann der neuere Film natürlich nur verlieren - außer im Hinblick auf die Actionsequenzen. Besonders hart geht García mit der schauspielerischen Leistung ins Gericht, vor allem mit den "im Vergleich zu Charlton Heston und Stephen Boyd amateurhaft spielenden" Hauptdarstellern Jack Huston und Toby Kebbell. Na klar, solche Schauspieler wie Charlton Heston und Stephen Boyd werden heutzutage einfach nicht mehr gebacken. Von daher hatte ich, was die schauspielerische Qualität angeht, von vornherein keine großen Erwartungen; aber selbst die wurden von diesen mittelprächtigen Soap-Opera-Mimen mit ihren hübschen, glatten, uninteressanten Soap-Opera-Gesichtern noch unterboten. Im Grunde passte diese Besetzung aber recht gut zu dem Umstand, dass auch die Dialoge Soap-Opera-Niveau haben. Gute Schauspieler hätten in diesem Film nichts verloren - das merkt man nur allzu deutlich an Morgan Freeman, der in der zweiten Hälfte des Films als Scheich Ilderim auftritt: Die darstellerischen Fähigkeiten des Oscar-Preisträgers sind für diese Rolle schlicht verschwendet. Aber jetzt greife ich mir vor. 

Dass die Hauptkontrahenten der Handlung, Ben Hur und Messala, gerade im Vergleich zur Verfilmung von 1959 arg farblos und hölzern wirken, ist kaum zu leugnen. Charles Martig, der den Film für das Online-Portal kath.ch rezensiert hat, hat an ihnen jedoch noch etwas ganz Anderes zu bemängeln: nämlich, dass sie "deutlich heterosexuell konnotiert" seien. Will sagen: Die homoerotischen Untertöne ihrer Beziehung würden gezielt in den Hintergrund gedrängt. Da staunt der Fachmann und der Basischrist wundert sich: Mal ganz abgesehen davon, dass man sich - sofern auch hier wieder die Verfilmung von 1959 als Referenzpunkt dienen soll - ja wohl kaum einen heterosexuelleren Männerdarsteller vorstellen kann als Charlton Heston, wirkt es schon einigermaßen sonderbar, dass diese Kritik ausgerechnet auf einem katholischen Online-Portal geäußert wird. Aber dabei muss man bedenken, dass kath.ch kein Portal der Katholischen Kirche ist, sondern eines der Katholischen Kirche der Schweiz. Das ist ein Unterschied. Die Katholische Kirche der Schweiz, das muss man wissen, ist eher so etwas wie die Katholisch-Patriotische Vereinigung der Volksrepublik China, nur mit mehr Kohle. Wer sich als deutscher Katholik darüber ärgert, wie wenig glaubenstreu sich das Portal katholisch.de zuweilen positioniert, der kann Gott danken, dass er kein Schweizer ist. Aber zurück zum Film. 

Ab dem Attentat auf Pontius Pilatus nimmt der Film Tempo auf und hat dankenswerterweise nicht mehr so viel Zeit für banale Dialoge. Und ab der Galeeren-Sequenz fangen auch die 3D-Effekte an, sich zu lohnen. Die Seeschlacht und der anschließende Schiffbruch sind derart atemberaubend ins Bild gesetzt, dass man die Blödsinnigkeit der Handlung darüber fast übersehen könnte. -- Damit meine ich nicht die mangelnde historische Korrektheit ("Römische Galeeren wurden nicht von Sträflingen gerudert!!") - dieser Fehler geht schließlich auf das Konto der Romanvorlage. Nein, ich meine: Der Kommandant der Galeere findet, das Schiff sei zu langsam, und reagiert darauf, indem er den Ruderern eine Ansprache hält - während der sie nicht weiterrudern können. Mitten in der Seeschlacht. Geh mir doch weg. 

Den Untergang der Galeere überlebt Ben Hur dadurch, dass er sich an ein Trümmerteil des zerstörten Schiffes klammert, und nicht ohne Grund hat dieses Trümmerteil die Form eines Kreuzes - ein starkes Bild, das vielleicht nicht ganz zufällig an die Eröffnungsszene von Paul Claudels Drama "Der seidene Schuh" erinnert; eine Szene, von der Joseph Ratzinger in seiner "Einführung in das Christentum" schreibt, in ihr werde die "Situation des Glaubenden in eine große und überzeugende Bildvision gebannt": 
"Ein Jesuitenmissionar [...] wird als Schiffbrüchiger dargestellt. Sein Schiff wurde von Seeräubern versenkt, er selbst an einen Balken des gesunkenen Schiffes gebunden, und so treibt er nun an diesem Stück Holz im tosenden Wasser des Ozeans. Mit seinem letzten Monolog beginnt das Schauspiel: 'Herr, ich danke dir, daß du mich so gefesselt hast. Zuweilen geschah mir, daß ich deine Gebote mühsam fand, und meinen Willen im Angesicht deiner Satzung ratlos, versagend. Doch heute kann ich enger nicht mehr an dich angebunden sein, als ich es bin, und mag ich auch meine Glieder eines um das andere durchgehn, keines kann sich auch nur ein wenig von dir entfernen. Und so bin ich wirklich ans Kreuz geheftet, das Kreuz aber, an dem ich hänge, ist an nichts mehr geheftet. Es treibt auf dem Meere'." 
So ist auch Ben Hur "[a]ns Kreuz geheftet – das Kreuz aber an nichts, treibend über dem Abgrund. [...] Nur ein loser Balken knüpft ihn an Gott, aber freilich: er knüpft ihn unausweichlich, und am Ende weiß er, daß dieses Holz stärker ist als das Nichts, das unter ihm brodelt, das aber dennoch die bedrohende, eigentliche Macht seiner Gegenwart bleibt." -- Leider versaut es der Film gleich wieder, indem sich, nachdem Ben Hur gestrandet ist, unversehens von rechts oben eine Pferdeschnauze ins Bild schiebt - was dank 3D-Effekt wohl irgendwie toll wirken soll, tatsächlich aber einfach peinlich und unfreiwillig komisch ist.

Übrigens setzt an dieser Stelle eine erhebliche Straffung und Vereinfachung der Handlung ein, die wesentlich dazu beiträgt, dass die Neuverfilmung um über eineinhalb Stunden kürzer ist als der Monumentalfilmklassiker von anno 1959, und die auch in der Tagespost-Rezension zu Recht bemängelt wird. Mag ja sein, dass diese Kürzungen einer realistischen Einschätzung der in den letzten 57 Jahren rapide geschrumpften Aufmerksamkeitsspanne des durchschnittlichen Kinozuschauers geschuldet sind, aber sollte das so sein, fände ich das recht bedenklich: So kompliziert ist die Handlung der 59er Verfilmung ja nun auch nicht, dass man unbedingt Abitur bräuchte, um ihr folgen zu können.

Die Augen gerieben habe ich mir allerdings bei Garcías Kritik daran, dass "in der Neuverfilmung die Szenen im 'Tal der Aussätzigen'" weggefallen seien - denn eine solche Szene kommt sehr wohl im Film vor. Na, vielleicht war der Rezensent da gerade auf dem Klo. -- Immerhin ist die weitere Handlung ab Ben Hurs Rückkehr nach Jerusalem in erfreulichem Maße düsterer und spannender geraten als das läppische erste Drittel, aber so richtig überzeugend ist das weiterhin alles nicht - bis endlich, endlich das große Wagenrennen herannaht. Ich meine, seien wir ehrlich: Was erwartet jemand, der ins Kino geht, um sich - in 3D! - einen Film anzuschauen, wo groß und breit "Ben Hur" draufsteht? - Antwort: Er will ein geiles Wagenrennen sehen. Punkt. Und in dieser Hinsicht lässt der Film keine Wünsche offen. Dieses Wagenrennen: Uiuiui. Jungejunge. Ohauer hauerha. Dochdoch. 

So gesehen muss man den Film insgesamt als gelungen bezeichnen, und dabei könnte man es belassen - allerdings fällt mir beim Stichwort "blöder Film, aber gute Wagenrennszene" natürlich Star Wars Episode I ein. Ich sag mal so: Hätte es den damals schon in 3D gegeben, hätte ich den Film vermutlich für zu 50% gelungen erklärt. Gab's aber nicht, und so blieb es bei einem zu 80% schrottigen und nur zu 20% akzeptablen Film. Wenn man nun Star Wars Episode I und den neuen Ben Hur miteinander vergleicht, stellt sich natürlich die Frage, was sie außer der Rennsequenz noch haben, das sie sehenswert macht. Bei Star Wars Episode I war das Natalie Portman; bei Ben Hur ist es Jesus. Sprechen wir also mal über Jesus. 

Charles Martig bemängelt auf kath.ch, Jesus werde in Bekmambetovs Ben Hur-Verfilmung "nur noch [!] als Nebenfigur gezeigt" und spiele "keine zentrale Rolle mehr", sondern sei vielmehr "in die vielen dramaturgischen Lücken gepresst". - Dazu ist zunächst zu sagen, dass die 1880 erschienene Romanvorlage stark vom teils historisch, teils religiös motivierten Interesse des Autors Lew Wallace an der Gestalt Jesu geprägt war und auch den Untertitel A Tale of the Christ trägt; an entscheidenden Wendepunkten der Romanhandlung berühren sich immer wieder die Lebenswege Ben Hurs und Jesu. Schon in William Wylers Verfilmung von 1959 - in der Jesus dadurch mit einem besonderen Nimbus ausgestattet ist, dass er immer nur von hinten zu sehen ist - spielt dieser Aspekt jedoch nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle; man könnte sogar, ganz im Gegensatz zu Martigs Einschätzung, behaupten, dass Jesus in der Neuverfilmung - vielleicht auch bedingt dadurch, dass sie ansonsten weit weniger beeindruckend geraten ist - tendenziell eher eine größere Rolle spielt. Tatsächlich erweckt Martigs Kritik auf den zweiten Blick den Eindruck, der Rezensent störe sich in Wirklichkeit weniger daran, dass die Rolle Jesu zu klein ausgefallen sei, als vielmehr daran, dass dieser Jesus "den Klischees des konservativen Jesusfilms genügt", oder präziser gesagt, dass er "an die evangelikalen Vorbilder des weissgekleideten und langhaarigen Christus mit übermächtiger Präsenz angelehnt" ist. Dabei erscheint der Jesus des Films in seinen ersten Auftritten im Grunde als ein mit liberalen Vorstellungen durchaus kompatibler "Give-Peace-a-Chance"-Hippie und gewinnt erst gegen Ende des Films messianisches Format. Seine Kreuzigung allerdings wird dann als der entscheidende Wendepunkt der Handlung in Szene gesetzt: Im Moment seines Todes verfinstert sich nicht nur der Himmel, sondern es kommt auch zu einer Spontanheilung von Aussätzigen, sodass sich nun auch der Kinozuschauer sagen muss: "Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!" Und das kann kath.ch natürlich nicht gefallen. 

Das größte Wunder, das der Kreuzestod Jesu im Rahmen der Filmhandlung bewirkt, ist jedoch die Bekehrung Ben Hurs vom Rachedurst zur Vergebung. Plötzlich, ja schlagartig sieht er seinen Triumph über seinen Widersacher Messala beim Wagenrennen in einem neuen und unerwarteten Licht: "Ich habe meinen Bruder verloren." Mangels schauspielerischen Formats gerät diese Wandlung nicht ganz so eindrucksvoll, wie man sich das wünschen könnte, und die Versöhnungsszene zwischen den beiden Kontrahenten wirkt obendrein arg pathetisch und dick aufgetragen; dennoch ist dem Bloggerkollegen Josef Bordat zuzustimen, wenn er in seiner sehr wohlwollenden Besprechung des Films das Thema "Vergebung" als ein "Grundthema des Films" hervorhebt: Der Handlungsverlauf zeigt, "welche Kraft von der Versöhnungsbereitschaft ausgeht, eine Kraft, die der Film vor allem der Botschaft Jesu zuschreibt, die daher so 'gefährlich' sei, wie ein römischer Soldat bemerkt." Mit dieser Botschaft, so Josef Bordat, passe "[d]ie Neuverfilmung von Ben Hur [...] gut ins Jahr der Barmherzigkeit". Da will ich nicht unbedingt widersprechen. Aber das allein macht eben noch keinen guten Film aus.

So bleibt unter dem Strich der Eindruck einer unausgegorenen Mischung aus Möchtegern-Action-Blockbuster und evangelikalem Propagandafilm mit mittelbegabten Laiendarstellern. Vielleicht schaue ich mir als Nächstes doch lieber The Great Wall an. Da geht es, soweit ich es dem rasant geschnittenen Trailer entnehmen konnte, offenbar darum, dass die Chinesische Mauer zum Schutz vor irgendwelchen urweltlichen Monstern gebaut wurde; und die 3D-Effekte haben's wirklich in sich...


1 Kommentar:

  1. Man mag sich zwar kaum einen heterosexuelleren (ich hätte eher gesagt männlicheren) Darsteller als Heston vorstellen, Boyd hatte allerdings WiMRE tatsächlich die Regieanweisung, Messala in der Art eines verschmähten Liebhabers darzustellen - das erklärt zumindest in jener Verfilumung auch einiges.

    AntwortenLöschen