Als Gotthold Ephraim Lessing anno 1767-69 in zweimal wöchentlich erscheinenden Fortsetzungen seine Hamburgische Dramaturgie publizierte, warfen ihm einige Leser vor, er ziehe darin in ungebührlicher Weise über seinen Kollegen Voltaire her. Lessings klassische Antwort darauf findet sich im 70. Stück der Dramaturgie, erschienen am Neujahrstag 1768:
"Ein kritischer Schriftsteller, dünkt mich, richtet seine Methode auch am besten nach diesem Sprüchelchen ein. Er suche sich nur erst jemanden, mit dem er streiten kann: so kömmt er nach und nach in die Materie, und das übrige findet sich. Hierzu habe ich mir in diesem Werke, ich bekenne es aufrichtig, nun einmal die französischen Skribenten vornehmlich erwählet, und unter diesen besonders den Hrn. von Voltaire."
Nun will ich mich wahrhaftig nicht mit Lessing auf eine Stufe stellen; aber gleichwohl wird es regelmäßigen Lesern meines Blogs schon aufgefallen sein, dass ich mir zum Zwecke der Auseinandersetzung mit der Social-Media-Arbeit kirchlicher Dienststellen vorzugsweise die Facebook-Präsenz des Bistums Münster als Gegner "erwählet" habe. Nur pars pro toto, versteht sich. Es hätte genausogut Osnabrück oder Rottenburg-Stuttgart sein können. Zum Beispiel. Wenn man aber erst einmal damit angefangen hat, sich auf eine spezielle Social-Media-Redaktion einzuschießen, dann geht einem der Stoff nicht so leicht aus.
Unlängst allerdings ergab sich ein Anlass, der mich grübeln ließ, ob ich den Kollegen aus Münster nicht womöglich doch ein wenig Abbitte leisten müsse. Nämlich, weil mich plötzlich der Eindruck beschlich, die Neigung der Münsteraner FB-RedakteurInnen, im Zweifel lieber unverbindliche Wohlfühlbotschaften mit Blümchenbildern zu posten als etwelche Beiträge zur Neuevangelisierung im Geiste der katholischen Lehre, könne noch ganz andere Ursachen haben als ich bislang vermutet hatte.
Doch genug der Vorrede und zur Sache. Am Ostermontag postete die Bistumsseite früh morgens als Tagesimpuls den folgenden Text:
"Wenn wir Menschen über Fakten reden, ist häufig kein Platz für Gefühle. Der Hauptantrieb Gottes für Ostern war aber ein Gefühl: Liebe.Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eigenen Sohn gab.Weil Gott die Menschen liebt – weil Gott Dich liebt -, wurde Jesus stellvertretend für uns – für Dich – gekreuzigt.Aber wäre das denn nicht auch anders gegangen, fragst Du jetzt vielleicht.Musste er denn gleich sterben? Nein, es wäre nicht anders gegangen.Der Himmel ist ein Ort ohne Sünde. Da wir aber tagein, tagaus Dinge falsch machen, also sündigen, können wir unter normalen Umständen nicht in den Himmel kommen. Irgendeiner musste also büßen für unsere Sünden. Entweder jeder einzelne Sünder selbst. Oder ein Stellvertreter, der so mächtig ist, dass er für alle Sünden der Welt eintreten kann. Und jetzt kommt Jesus ins Spiel, Gottes Sohn. Das war seine Aufgabe.Weil er, weil Gott die Welt und Dich so sehr liebt."
Nun ist es (natürlich) nicht so, dass ich daran überhaupt nichts auszusetzen gehabt hätte; beispielsweise würde ich einwenden, dass Liebe, anders als es uns etwa Sat 1 oder RTL einreden möchten, mehr ist als ein bloßes Gefühl. Und die Grafik, mit der die Redaktion ihren Morgenimpuls illustrierte, fand ich sooo gelungen nun auch nicht. Aber dass auf dieser Seite tatsächlich mal - wenn auch naturgemäß in recht vereinfachter Form - das stellvertretende Sühneopfer Jesu Christi angesprochen und erläutert wurde, fand ich denn doch ausgesprochen beachtlich.
Kritik an diesem Beitrag ließ nicht auf sich warten. "Jetzt kommen wir also alle in den Himmel?", motzte ein FB-Nutzer namens Michael Hölscher. "Was ist mit der persönlichen Freiheit eines jeden Menschen, trotzdem sündigen zu können?" Nanu, dachte ich, was ist denn da los? Vom ersten Eindruck her hätte es sich um einen Dunkelkatholen handeln können, der in dem Beitrag die Irrlehre der Apokatastasis (Allerlösung) witterte; nur dass in dem Text aus Münster überhaupt keine Rede davon war, dass dank des Opfertods Christi nun alle in den Himmel kommen - sondern lediglich, dass ihnen die Möglichkeit dazu eröffnet worden ist. Darauf wies ich Herrn Hölscher auch in einer Antwort auf seinen Kommentar hin, aber damit war die Sache noch nicht ausgestanden. "War das wirklich ein offizieller Beitrag des Bistums?", wunderte sich ein Nutzer namens Dieter Bauer; und Hölscher sekundierte: "Das habe ich mich auch sehr ernsthaft gefragt!" Nun konnte ich mich nicht enthalten, anzumerken: "Da gibt's hier aber ganz andere Beiträge, bei denen ICH mich das frage..." Michael Hölscher jedoch legte nach: "Hallo, Bistum Münster? Bitte klärt uns auf, was es mit diesem Text auf sich hat!" Was mich aber endgültig aus den Socken haute, war die Antwort der Redaktion auf diese aggressive Ansprache:
"Lieber Herr Hölscher,
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Wenn Sie Ihre Anmerkungen etwas konkretisieren könnten, dann würde ich das diese Woche in der Redaktionskonferenz zur Diskussion stellen und an das Impuls-Team weitergeben. Bis dahin wünsche ich Ihnen noch gesegnete Ostern und einen friedvollen Tag."
Unfassbar! Bislang hatte ich den Eindruck gehabt, die FB-Redaktion des Bistums Münster kenne hinsichtlich des Umgangs mit Kritik an ihren Beiträgen ausschließlich die Methoden "Ignorieren", "Bocken" ("Wir finden das aber richtig, was wir machen, und vielen unserer Leser gefällt es") und "Lächerlichmachen des Kritikers"; und nun soll sogar die Redaktionskonferenz darüber beraten, ob es tunlich sei, auf der Facebook-Seite eines katholischen Bistums Glaubenslehren der Katholischen Kirche zu vertreten? Dieses Einknicken dem "lieben Herrn Hölscher" gegenüber konnte ich mir nur damit erklären, von wem die Kritik ausging; also schaute ich mir die Herren Hölscher und Bauer mal ein wenig genauer an. Und richtig: Michael Hölscher ist Dozent für Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz; und Dieter Bauer arbeitet beim Katholischen Bibelwerk als Bildungsreferent und Redakteur biblischer Zeitschriften und zeichnet u.a. für die Bibel in Leichter Sprache verantwortlich.
Was diese beiden Herren Diplomtheologen nun daran zu bemängeln hatten, dass die Bischöflich Münsteraner FB-Redaktion sich ausnahmsweise mal in theologische Gefilde wagte, liegt einigermaßen auf der Hand: Die - wie gesagt, recht "niederschwellig" formulierten - Aussagen zum stellvertretenden Sühnetod Christi entsprächen nicht dem Stand der theologischen Wissenschaft. Dass sie hingegen sehr wohl der Lehre der Katholischen Kirche entspricht, wie sie etwa im Katechismus (unter Nr. 601-605) niedergelegt ist, fällt demgegenüber offenbar nicht groß ins Gewicht; so mahnte Michael Hölscher - der Aufforderung Folge leistend, seine Kritik zu konkretisieren - "eine (fundamentaltheologische?) Auseinandersetzung mit der Satisfaktionslehre" an.
Es liegt wohl einigermaßen nahe, diese Auseinandersetzung im Kontext der "neuerliche[n] Debatte um das Verhältnis der akademischen Theologie zum Lehramt von Papst und Bischöfen" zu sehen, die durch die Schlusserklärung des Internationalen Kongresses "Das Konzil 'eröffnen'" vom 8. Dezember 2015 ausgelöst worden ist. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer antwortete exakt einen Monat später in einer Instructio an die Priesteramtskandidaten der Bistümer Regensburg und Passau auf diese Erklärung, und abermals einen knappen Monat darauf schaltete sich auch der Passauer Bischof Stefan Oster in die Debatte ein - via Facebook. Ich mag den Verlauf der Debatte hier nicht im Einzelnen nachzeichnen; wer Lust und ausreichend Sitzfleisch hat, kann ja den Links folgen und sich selbst ein Bild machen. Ganz ganz knapp zusammengefasst könnte man sagen, die Bischöfe von Regensburg und Passau werfen insbesondere "liberalen" Theologen vor, sie versuchten ein akademisches Gegen-Lehramt zum von apostolischer Autorität getragenen Lehramt von Papst und Bischöfen zu etablieren. Einen Absatz aus der Instructio von Bischof Voderholzer möchte ich hier jedenfalls zitieren:
"In der 'Schlusserklärung' wird [...] das Thema 'Religionsfreiheit' innerkirchlich gewendet zur Forderung der Anerkennung der Freiheit der Theologie als wissenschaftlicher Reflexionsform. Man fragt sich, wo diese Freiheit denn im Ernst in einem bedrohlichen Maße begrenzt ist! Wo ist denn in den letzten Jahren das kirchliche Lehramt eingeschritten? Bei alldem fehlt vor allem die Anerkennung des Rechtes des bischöflichen Lehramts, qua apostolischer Autorität doch darüber wachen zu dürfen und zu müssen, ob eine bestimmte theologische Lehre noch mit der Lehre der Schrift und der Tradition übereinstimmt. Die Freiheit der theologischen Lehre ist begrenzt durch die Vorgaben, die jedem Theologie-Treiben gegeben sind; an die sich der Theologe und die Theologin, aber eben auch der Bischof treu halten müssen."
Wie eine Antwort auf Bischof Voderholzers rhetorische Frage, wo denn die "Freiheit der Theologie [...] im Ernst in einem bedrohlichen Maße begrenzt" sei, mutet ein Artikel des "Kölner Stadtanzeigers" vom 22. März an, der aus dem Wächteramt der Bischöfe über die Einhaltung der kirchlichen Lehre einen Skandal zu stricken versucht: "Treueeid verlangt - Erzbistum Köln verschärft Gangart gegenüber Theologen", liest man da. Was ist da passiert? "Erstmals seit Jahrzehnten verlangt Generalvikar Dominik Meiering einen schriftlichen Nachweis über die Ableistung eines speziellen Glaubensbekenntnisses, der 'Professio fidei'. Neue Professoren sollten zusätzlich zu einem 'Treueid' verpflichtet werden", weiß der Kölner Stadtanzeiger zu berichten. "Nicht nur im Erzbistum wird nach dem harten Vorgehen Meierings die Frage laut, wie dieser Kurs zu dem Ruf der Liberalität und Offenheit passe, den sich Kardinal Woelki erworben hat." Schockschwerenot! Hochschullehrer, so heißt es weiter, sähen "ihre wissenschaftliche Freiheit eingeschränkt, wenn sie schwören müssen, dass sie 'alle Lehren meiden werden, die dem Glaubensgut widersprechen' oder 'in christlichem Gehorsam' dem 'Folge leisten werden, was die Bischöfe als authentische Künder und Lehrer des Glaubens vortragen oder als Leiter der Kirche festsetzen'." Weil, schließlich, das fehlte gerade noch!
Mal im Ernst gesprochen: Natürlich befindet sich die akademische Theologie in einem Dilemma, wenn sie einerseits eine wissenschaftliche Disziplin unter anderen wissenschaftlichen Disziplinen sein will und andererseits im Dienst der Kirche stehen soll. Denn der Wissenschaftsbetrieb verlangt es, ständig "neue Erkenntnisse" zu produzieren - oder zumindest neue Theorien, und die haben es nun einmal an sich, dass sie nur dann "neu" sind, wenn sie bisherigen Lehrmeinungen zumindest tendenziell widersprechen. Die Kirche jedoch geht von ewigen Wahrheiten aus, woraus folgt, das alles, was die Kirche einmal verbindlich als wahr anerkannt hat, ein für alle Mal als wahr zu gelten hat. Insofern gibt es da tatsächlich eine gewisse Einschränkung der Forschungsfreiheit, aber diese resultiert nicht aus bösem Willen, Engstirnigkeit oder "Machtbesessenheit" (oder was man der Kirche sonst noch so alles vorwirft), sondern aus der Verantwortung gegenüber dem depositum fidei.
Gleichzeitig fragt Bischof Voderholzer im oben zitierten Absatz aber zweifellos zu Recht: "Wo ist denn in den letzten Jahren das kirchliche Lehramt eingeschritten?" Ich möchte behaupten, alle diejenigen katholischen Theologen, die in den letzten drei, vier Jahrzehnten von deutschen Bischöfen wegen Verstößen gegen die kirchliche Lehre gemaßregelt wurden, sind jedem halbwegs interessierten Beobachter namentlich bekannt und lassen sich an einer Hand abzählen. Oder sagen wir es andersherum: Würden die Hüter des kirchlichen Lehramts tatsächlich mit aller ihnen theoretisch zu Gebote stehenden Strenge und Konsequenz gegen "Dissidenten" an den theologischen Fakultäten vorgehen, woher kämen denn dann die Leute, die solche Manifeste wie die oben angesprochene "Schlusserklärung" oder gar das Memorandum "Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch" verzapft haben? Tatsächlich sitzen die nämlich an ihren jeweiligen Lehrstühlen oder Assistentenstellen vielfach ziemlich fest im Sattel - was nun wiederum die Frage aufwirft, ob die "Freiheit der Theologie" nicht in Wirklichkeit von ganz anderer Seite bedroht wird, als das ewige Genöle über die ach so autoritäre Kirche es vermuten lässt. Nicht umsonst wirft Bischof Oster in seinem erwähnten Facebook-Beitrag die Frage auf, ob denn auch konservativere, sprich: lehramtstreuere Theologen - derer man unter den Unterzeichnern der "Schlusserklärung" nämlich keine findet -, ob also auch "diejenigen aus dem 'anderen Lager' [...] zum erwünschten 'Lehramt der Theologie' gehören würden – oder ob 'Lehramt der Theologie' nur das sein dürfte, was in der Erklärung von den Unterzeichnern als Stoßrichtung formuliert worden ist". Man könnte hier noch weit schärfer fragen: Birgt nicht die Dominanz "liberaler" Theologen an den Universitäten die Gefahr, dass dem theologischen Nachwuchs eventuell noch vorhandene Neigungen zur Lehramtstreue konsequent ausgetrieben werden - oder dass, wenn das Austreiben nicht gelingt, zumindest dafür Sorge getragen wird, dass die "Konservativen" es im akademischen Betrieb nicht allzu weit bringen? Denn, machen wir uns nichts vor: Was "autoritäre Strukturen" angeht, kann der Wissenschaftsbetrieb es mit der Kirche noch allemal aufnehmen.
Was das alles mit dem wütenden Widerspruch der Diplomtheologen Hölscher und Bauer gegen einen Beitrag auf der Facebook-Seite des Bistums Münster zu tun hat, wird vielleicht deutlich, wenn man Michael Hölschers (von seinem Kollegen Bauer kräftig be-applaudierte) Forderung nach einer fundamentaltheologischen Auseinandersetzung mit der Satisfaktionslehre mit einer Passage aus der besagten "Schlusserklärung" abgleicht, in der "eine[] grundlegende[] Neubestimmung von Dogmatik und Fundamentaltheologie" gefordert wird - was, auf Hochdeutsch gesagt, auf eine Aushebelung des Dogmas hinausliefe. Denn Dogmen, das haben wir ja bereits festgestellt, stehen ja doch nur der Freiheit der Wissenschaft im Weg. Vergessen wir in diesem Zusammenhang nicht, dass der Wissenschaftsbetrieb nicht zuletzt auch ein Jahrmarkt der Eitelkeiten ist; da kommt es dann schon mal vor, dass die Herren von der theologischen Zunft sich für klüger halten als die gesamte kirchliche Hierarchie nicht nur der Gegenwart, sondern auch der gesamten Kirchengeschichte. Und dann kommen einem irgendwelche Social-Media-Praktikanten mit Sühneopfertheologie. So ein alter Hut. Dabei haben doch schon Wolfgang Huber, Nikolaus Schneider, Eugen Biser und nicht zuletzt Burkhard Müller, ach, geh mir doch weg. Nein, so geht das nicht, da muss eine Redaktionskonferenz einberufen werden!
Kurz, und um zum Ausgangspunkt meiner Bemerkungen zurückzukehren: So ein bisschen kann ich die Bischöflich Münsteraner FB-Redaktion ja schon verstehen, wenn sie unter solchen Umständen meist lieber auf Gefälliges und Unverfängliches setzt. Nicht jeder eignet sich zum Märtyrer...
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